Language of document : ECLI:EU:T:2014:1076

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

7. Oktober 2010(*)

„Vorabentscheidungsersuchen – Freizügigkeit – Richtlinie 2004/38/EG – Art. 16 – Recht auf Daueraufenthalt – Zeitliche Geltung – Vor dem Umsetzungsdatum zurückgelegte Zeiten“

In der Rechtssache C‑162/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 10. März 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Mai 2009, in dem Verfahren

Secretary of State for Work and Pensions

gegen

Taous Lassal,

Beteiligte:

The Child Poverty Action Group,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter G. Arestis, J. Malenovský und T. von Danwitz,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: N. Nanchev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der The Child Poverty Action Group, vertreten durch S. Clarke, Solicitor, R. Drabble, QC, und R. Turney, Barrister,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Seeboruth und S. Ossowski als Bevollmächtigte im Beistand von D. Beard, Barrister,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Maidani und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. Mai 2010

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigte Fassungen: ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2007, L 204, S. 28).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Lassal und dem Secretary of State for Work and Pensions (Minister für Arbeit und Altersversorgung, im Folgenden: Secretary of State). Die Child Poverty Action Group (im Folgenden: CPAG) ist dem Ausgangsrechtsstreit als Streithelferin auf Seiten von Frau Lassal beigetreten.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestimmt unter der Überschrift „Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit“:

„(1)      Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.

(2)      Staatsangehörigen von Drittländern, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, kann nach Maßgabe der Verträge Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit gewährt werden.“

4        Die Erwägungsgründe 1 bis 3 und 17 bis 19 der Richtlinie 2004/38 lauten:

„(1)      Die Unionsbürgerschaft verleiht jedem Bürger der Union das elementare und persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

(2)      Die Freizügigkeit von Personen stellt eine der Grundfreiheiten des Binnenmarkts dar, der einen Raum ohne Binnengrenzen umfasst, in dem diese Freiheit gemäß den Bestimmungen des Vertrags gewährleistet ist.

(3)      Die Unionsbürgerschaft sollte der grundsätzliche Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein, wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt wahrnehmen. Daher müssen die bestehenden Gemeinschaftsinstrumente, die Arbeitnehmer und Selbstständige sowie Studierende und andere beschäftigungslose Personen getrennt behandeln, kodifiziert und überarbeitet werden, um das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken.

(17)      Wenn Unionsbürger, die beschlossen haben, sich dauerhaft in dem Aufnahmemitgliedstaat niederzulassen, das Recht auf Daueraufenthalt erhielten, würde dies ihr Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und entscheidend zum sozialen Zusammenhalt – einem grundlegenden Ziel der Union – beitragen. Es gilt daher, für alle Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die sich gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen fünf Jahre lang ununterbrochen in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben und gegen die keine Ausweisungsmaßnahme angeordnet wurde, ein Recht auf Daueraufenthalt vorzusehen.

(18)      Um ein wirksames Instrument für die Integration in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darzustellen, in dem der Unionsbürger seinen Aufenthalt hat, sollte das einmal erlangte Recht auf Daueraufenthalt keinen Bedingungen unterworfen werden.

(19)      Bestimmte für abhängig oder selbstständig erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen geltende Vergünstigungen sollten aufrechterhalten werden, die diesen Personen gegebenenfalls gestatten, ein Recht auf Daueraufenthalt zu erwerben, bevor sie einen Aufenthalt von fünf Jahren in dem Aufnahmemitgliedstaat vollendet haben, da sie erworbene Rechte aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970 über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben [ABl. L 142, S. 24], und der Richtlinie 75/34/EWG des Rates vom 17. Dezember 1974 über das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, nach Beendigung der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu verbleiben [ABl. 1975, L 14, S. 10], darstellen.“

5        Art. 6 der Richtlinie 2004/38 bestimmt:

„(1)      Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht.

(2)      Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige im Besitz eines gültigen Reisepasses, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.“

6        Art. 7 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2004/38 sieht vor:

„(1)      Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a)      Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b)      für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c)      –      bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

      –      über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d)      ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstabens a), b) oder c) erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2)      Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a), b) oder c) erfüllt.

(3)      Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe a) bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft dem Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger nicht mehr ausübt, in folgenden Fällen erhalten:

…“

7        In Kapitel IV („Recht auf Daueraufenthalt“) lautet Art. 16 („Allgemeine Regel für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen“) der Richtlinie 2004/38:

„(1)      Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft.

(2)      Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.

(3)      Die Kontinuität des Aufenthalts wird weder durch vorübergehende Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr, noch durch längere Abwesenheiten wegen der Erfüllung militärischer Pflichten, noch durch eine einzige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Niederkunft, schwere Krankheit, Studium oder Berufsausbildung oder berufliche Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat berührt.

(4)      Wenn das Recht auf Daueraufenthalt erworben wurde, führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zu seinem Verlust.“

8        In Abweichung von Art. 16 der Richtlinie 2004/38 sieht deren Art. 17 die Gewährung eines Rechts auf Daueraufenthalt vor Ablauf des ununterbrochenen Aufenthaltszeitraums von fünf Jahren für Personen, die im Aufnahmemitgliedstaat aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, und ihre Familienangehörigen vor.

9        Art. 38 der Richtlinie 2004/38 lautet:

„(1)      Die Artikel 10 und 11 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 werden mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben.

(2)      Die Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG werden mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben.

(3)      Bezugnahmen auf die aufgehobenen Bestimmungen oder Richtlinien gelten als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie.“

10      Nach Art. 40 der Richtlinie 2004/38 mussten die Mitgliedstaaten diese Richtlinie bis zum 30. April 2006 umsetzen.

 Nationales Recht

 Das Gesetz von 1992 über die Beiträge und Leistungen der sozialen Sicherheit und die (Allgemeine) Verordnung von 1987 über Einkommensbeihilfe

11      Das Gesetz von 1992 über die Beiträge und Leistungen der sozialen Sicherheit (Social Security Contributions and Benefits Act 1992) und die (Allgemeine) Verordnung von 1987 über Einkommensbeihilfe (Income Support [General] Regulations 1987) bilden die für die Einkommensbeihilfe (Income Support) anwendbare Regelung.

12      Die Einkommensbeihilfe ist eine Leistung, die verschiedenen Personengruppen nach Maßgabe der Einkünfte gewährt wird. Sie ist insbesondere an die Bedingung geknüpft, dass das Einkommen des Betreffenden den „maßgeblichen Betrag“ nicht übersteigt, der auf Null festgesetzt werden kann, was in der Praxis bedingt, dass in diesem Fall keine Leistung gewährt wird.

13      Der für eine „Person aus dem Ausland“ festgesetzte maßgebliche Betrag beträgt Null; der Definition nach ist eine solche Person ein „Antragsteller, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Vereinigten Königreich, auf den Kanalinseln, der Isle of Man oder in Irland hat“. Für die Zwecke der Einkommensbeihilfe kann von einem gewöhnlichen Aufenthalt eines Antragstellers im Vereinigten Königreich nur ausgegangen werden, wenn er ein „Aufenthaltsrecht“ erworben hat.

14      Das „Aufenthaltsrecht“ für die Zwecke der in Rede stehenden Leistung ist nicht ausdrücklich definiert.

15      Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass das in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehene Recht auf Daueraufenthalt ein Aufenthaltsrecht für die Zwecke der Einkommensbeihilfe ist.

 Die Verordnung von 2006 über die Zuwanderung (Europäischer Wirtschaftsraum)

16      Die Verordnung von 2006 über die Zuwanderung (Europäischer Wirtschaftsraum) (Immigration [European Economic Area] Regulations 2006, im Folgenden: Verordnung von 2006) trat am 30. April 2006 in Kraft und dient der Umsetzung der Richtlinie 2004/38 in das Recht des Vereinigten Königreichs.

17      Section 15 der Verordnung von 2006 setzt unter der Überschrift „Dauerhaftes Aufenthaltsrecht“ Art. 16 der Richtlinie 2004/38 um.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

18      Frau Lassal, eine französische Staatsbürgerin, reiste im Januar 1999 in das Vereinigte Königreich ein, um dort eine Arbeit aufzunehmen. Von September 1999 bis Februar 2005 war sie während ihres Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat entweder erwerbstätig oder arbeitsuchend. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens unstreitig, dass Frau Lassal in dem Zeitraum von Januar 1999 bis Februar 2005 „Arbeitnehmerin“ im Sinne des Unionsrechts war.

19      Im Februar 2005 verließ Frau Lassal das Vereinigte Königreich, um ihre Mutter in Frankreich zu besuchen, wo sie für zehn Monate blieb. Im Dezember 2005 kehrte sie in das Vereinigte Königreich zurück, wo sie sich auf Arbeitsuche begab. Von Januar bis November 2006 erhielt sie Arbeitslosenunterstützung. Im November 2006 beantragte sie unter Berufung auf ihre Schwangerschaft Einkommensbeihilfe. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, sie habe kein Recht auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich.

20      Frau Lassal legte gegen die Ablehnung ihres Antrags einen Rechtsbehelf bei einem Appeal Tribunal ein. Dieses gab dem Rechtsbehelf am 3. September 2007 mit der Begründung statt, dass die Betroffene ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für das Vereinigte Königreich nach Section 15 der Verordnung von 2006 habe.

21      Gegen diese Entscheidung des Appeal Tribunal legte der Secretary of State Rechtsmittel zunächst bei einem Social Security Commissioner und dann bei dem vorlegenden Gericht ein.

22      In diesem Zusammenhang hat der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist, wenn eine Unionsbürgerin im September 1999 als Arbeitnehmerin in das Vereinigte Königreich einreiste und dort bis Februar 2005 als Arbeitnehmerin blieb, anschließend das Vereinigte Königreich verließ und für zehn Monate in den Mitgliedstaat zurückkehrte, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, im Dezember 2005 in das Vereinigte Königreich zurückkehrte und sich dort ununterbrochen bis November 2006, als sie einen Antrag auf Sozialhilfe stellte, aufhielt, Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG so auszulegen, dass er dieser Unionsbürgerin ein Recht auf Daueraufenthalt in diesem Mitgliedstaat verleiht, weil sie sich dort während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren, der vor dem 30. April 2006 (dem Ende der Frist für die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie) endete, rechtmäßig gemäß früheren gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über die Gewährung von Aufenthaltsrechten für Arbeitnehmer aufgehalten hatte?

 Zur Vorlagefrage

23      Da die vorgelegte Frage von bestimmten Tatsachenvoraussetzungen ausgeht, ist sie in zwei Teile zu trennen, damit der Gerichtshof sie sachdienlich beantworten kann.

24      Erstens möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob für den Erwerb des in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren zu berücksichtigen sind, die vor dem Umsetzungsdatum für diese Richtlinie, also dem 30. April 2006, im Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden.

25      Sollte der erste Teil der Frage bejaht werden, möchte das vorlegende Gericht zweitens wissen, ob vorübergehende Abwesenheiten vor dem 30. April 2006 und nach einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren die Erlangung eines Rechts auf Daueraufenthalt im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 seitens einer Unionsbürgerin wie Frau Lassal berühren können.

 Zur Berücksichtigung der Zeiten, die vor dem Datum für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38 im Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden, für die Zwecke des Erwerbs des in Art. 16 dieser Richtlinie vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt

 Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

26      Bei den Beteiligten, die schriftliche Erklärungen gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union eingereicht haben, lassen sich zwei grundsätzliche Standpunkte unterscheiden.

27      Auf der einen Seite sind die Regierung des Vereinigten Königreichs und die belgische Regierung der Ansicht, dass allein Aufenthaltszeiten zu berücksichtigen seien, die entweder frühestens am 30. April 2006 geendet oder nach diesem Datum begonnen hätten. Die Regierung des Vereinigten Königreichs stützt sich für diese Auslegung im Wesentlichen auf die Wendung „gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen“ im 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 und auf die Entstehungsgeschichte der Richtlinie, während die belgische Regierung insbesondere das Fehlen einer Rückwirkung von Art. 16 dieser Richtlinie und den Grundsatz der Rechtssicherheit anführt.

28      Auf der anderen Seite vertreten die CPAG und die Europäische Kommission die Auffassung, dass, selbst wenn das Recht auf Daueraufenthalt erst ab dem 30. April 2006 erworben werde, die Zeiten von fünf Jahren ununterbrochenen Aufenthalts, die im Einklang mit vor der Richtlinie 2004/38 bestehenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt worden seien und vor dem genannten Datum geendet hätten, für die Zwecke von Art. 16 dieser Richtlinie Berücksichtigung finden müssten. Sowohl die CPAG als auch die Kommission berufen sich insbesondere auf das Ziel und den Regelungszweck der Richtlinie, nach denen Art. 16 in vollem Umfang auf diese Aufenthaltszeiten angewandt werden müsse.

 Antwort des Gerichtshofs

29      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Unionsbürgerschaft jedem Bürger der Union das elementare und persönliche Recht verleiht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten, wobei die Freizügigkeit von Personen im Übrigen eine der Grundfreiheiten des Binnenmarkts darstellt, die auch in Art. 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nochmals bekräftigt wurde.

30      Zur Richtlinie 2004/38 hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass diese die Ausübung des den Unionsbürgern unmittelbar aus dem Vertrag erwachsenden elementaren und persönlichen Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, erleichtern soll und insbesondere bezweckt, dieses Recht zu verstärken, so dass nicht in Betracht kommt, dass die Unionsbürger aus dieser Richtlinie weniger Rechte ableiten als aus den Sekundärrechtsakten, die sie ändert oder aufhebt (vgl. Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a., C‑127/08, Slg. 2008, I‑6241, Randnrn. 82 und 59).

31      Der Gerichtshof hat auch festgestellt, dass in Anbetracht des Kontexts und der Ziele der Richtlinie 2004/38 deren Bestimmungen nicht eng ausgelegt und keinesfalls ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt werden dürfen (vgl. Urteil Metock u. a., Randnr. 84).

32      Wie es im 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 heißt, trägt das Recht auf Daueraufenthalt entscheidend zum sozialen Zusammenhalt bei und wurde mit dieser Richtlinie vorgesehen, um das Gefühl der Unionsbürgerschaft zu verstärken.

33      Zwar steht fest, dass es die Erlangung eines Rechts auf Daueraufenthalt aufgrund eines rechtmäßigen Aufenthalts während einer ununterbrochenen Zeit von fünf Jahren im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats, wie es in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 vorgesehen ist, vor dieser Richtlinie in den Rechtsvorschriften der Union zur Durchführung von Art. 18 EG nicht gab.

34      Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass nur die Zeiten eines ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünf Jahren, die entweder frühestens am 30. April 2006 geendet oder nach diesem Datum begonnen haben, für die Zwecke des Erwerbs des in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt zu berücksichtigen sind.

35      Erstens nämlich führt die Auslegung, dass nur die Zeiten eines ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünf Jahren, die nach dem 30. April 2006 begonnen haben, für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt zu berücksichtigen sind, dazu, dass ein solches Recht erst ab dem 30. April 2011 gewährt werden könnte. Eine solche Auslegung liefe darauf hinaus, Aufenthaltszeiten, die die Unionsbürger im Einklang mit vor dem 30. April 2006 geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt haben, jede Wirksamkeit für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt zu nehmen. Insoweit ist hervorzuheben, dass das Unionsrecht vor dem Erlass der Richtlinie 2004/38 bereits in einigen bestimmten Fällen ein Recht auf Daueraufenthalt vorsah, das im Übrigen in Art. 17 dieser Richtlinie aufgegriffen worden ist.

36      Ein solches Ergebnis steht aber im Widerspruch zu dem oben in den Randnrn. 30 bis 32 dargestellten Ziel der Richtlinie 2004/38 und nimmt dieser ihre praktische Wirksamkeit.

37      Zweitens läuft auch die Auslegung, dass allein die Zeiten eines ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünf Jahren, die frühestens am 30. April 2006 geendet haben, für die Zwecke des Erwerbs des in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt zu berücksichtigen sind, dem Ziel und der praktischen Wirksamkeit dieser Richtlinie zuwider. Der Unionsgesetzgeber hat nämlich die Erlangung eines Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 von der Integration des Unionsbürgers in den Aufnahmemitgliedstaat abhängig gemacht. Wie aber die Generalanwältin in Nr. 80 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, wäre es mit dem Art. 16 dieser Richtlinie zugrunde liegenden Integrationsgedanken unvereinbar, für den erforderlichen Grad an Integration in den Aufnahmemitgliedstaat daran anzuknüpfen, ob der fünfjährige ununterbrochene Aufenthalt vor dem 30. April 2006 geendet hat oder danach.

38      Außerdem hat, da das in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehene Recht auf Daueraufenthalt erst ab dem 30. April 2006 erworben werden kann, die Berücksichtigung der vor diesem Datum zurückgelegten Aufenthaltszeiten nicht zur Folge, dass Art. 16 dieser Richtlinie Rückwirkung verliehen wird, sondern nur, dass Sachverhalten, die vor dem Datum für die Umsetzung der Richtlinie entstanden sind, eine gegenwärtige Wirkung beigemessen wird.

39      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft seit ihrem Inkrafttreten anwendbar und deshalb auf die gegenwärtigen Wirkungen von zuvor entstandenen Sachverhalten anzuwenden sind (vgl. Urteil vom 11. Juli 2002, D’Hoop, C‑224/98, Slg. 2002, I‑6191, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Folglich sind für die Zwecke des Erwerbs des in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren, die vor dem Datum für die Umsetzung dieser Richtlinie, also dem 30. April 2006, in Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden, zu berücksichtigen.

 Zur Auswirkung von vorübergehenden Abwesenheiten für eine Dauer von weniger als zwei aufeinander folgenden Jahren vor dem 30. April 2006 und nach einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren auf das Recht auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38

 Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

41      Wie den Randnrn. 27 und 28 dieses Urteils zu entnehmen ist, vertritt die Regierung des Vereinigten Königreichs die Auffassung, dass Art. 16 der Richtlinie 2004/38 einschließlich der darin enthaltenen Bestimmungen über vorübergehende Abwesenheiten auf vor dem 30. April 2006 beendete ununterbrochene Aufenthaltszeiten nicht anzuwenden sei.

42      Demgegenüber sprechen sich CPAG und die Kommission dafür aus, die Bestimmungen dieses Artikels in vollem Umfang auf diese Art von Zeiten anzuwenden.

 Antwort des Gerichtshofs

43      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Erwerb des in Art. 16 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt einen rechtmäßigen Aufenthalt während einer ununterbrochenen Zeit von fünf Jahren im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats voraussetzt.

44      Im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits ist unstreitig, dass sich Frau Lassal während einer ununterbrochenen Zeit von länger als fünf Jahren rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Sie hat diesen Mitgliedstaat jedoch nach diesem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von länger als fünf Jahren und vor dem Datum für die Umsetzung der Richtlinie 2004/38, dem 30. April 2006, für zehn Monate verlassen. Die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage dreht sich im Wesentlichen darum, ob eine Abwesenheit vor dem 30. April 2006 und nach einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren im Aufnahmemitgliedstaat einen Unionsbürger daran hindert, sich auf ein Recht auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 zu berufen.

45      Insoweit kommt in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem die Kontinuität des rechtmäßigen Aufenthalts für eine Dauer von mindestens fünf Jahren im Sinne des Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 unstreitig ist, der Auslegung von Art. 16 Abs. 3 dieser Richtlinie keine Bedeutung zu. Die letztgenannte Bestimmung regelt nämlich die vorübergehenden Abwesenheiten näher, die während der in Art. 16 Abs. 1 vorgesehenen Aufenthaltszeit von fünf Jahren eintreten können, ohne jedoch die Kontinuität des betreffenden Aufenthalts und damit dessen Qualifikation als ununterbrochenen Zeitraum zu berühren. Im Übrigen ist jedenfalls unstreitig, dass die vorübergehende Abwesenheit von Frau Lassal unter keine der in der genannten Bestimmung vorgesehenen Kategorien fällt.

46      Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 betrifft demgegenüber den Fall des Verlusts eines Rechts auf Daueraufenthalt. Er bestimmt insoweit, dass nur eine Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des Rechts auf Daueraufenthalt führt.

47      Zur Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 auf vorübergehende Abwesenheiten vor dem 30. April 2006 machen die Regierung des Vereinigten Königreichs und die belgische Regierung geltend, dass nicht unter Art. 16 Abs. 3 dieser Richtlinie fallende und vor dem 30. April 2006 eingetretene vorübergehende, eine Dauer von zwei aufeinanderfolgenden Jahren unterschreitende Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat von Unionsbürgern, die sich vor diesem Datum fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in diesem Staat aufgehalten hätten, einem Erwerb des in dem genannten Artikel vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt durch die betreffenden Unionsbürger entgegenstünden, da Letztere, weil die in Rede stehenden vorübergehenden Abwesenheiten einem Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt vorgelagert seien, nicht in den Genuss von Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie kommen könnten und folglich ihre Aufenthaltszeit keine Kontinuität aufweise und deshalb als unterbrochen gelten müsse.

48      Insoweit ist zwar richtig, dass aus Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38, da das in diesem Artikel vorgesehene Recht auf Daueraufenthalt, wie oben in Randnr. 38 ausgeführt, erst ab dem 30. April 2006 erworben werden kann, nicht ausdrücklich hervorgeht, dass den Unionsbürgern, die sich vor diesem Datum fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben, ihre Verbindung zu diesem Staat zugute kommen kann, damit ihre vor dem 30. April 2006 erfolgten vorübergehenden Abwesenheiten für eine Dauer von weniger als zwei aufeinander folgenden Jahren nicht ihren Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt hindern.

49      Allerdings sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteile vom 19. September 2000, Deutschland/Kommission, C‑156/98, Slg. 2000, I‑6857, Randnr. 50, vom 7. Dezember 2006, SGAE, C‑306/05, Slg. 2006, I‑11519, Randnr. 34, und vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 41).

50      In diesem Sinne ist der verfügende Teil eines Unionsrechtsakts untrennbar mit seiner Begründung verbunden und erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe auszulegen, die zu seinem Erlass geführt haben (Urteile vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C‑298/00 P, Slg. 2004, I‑4087, Randnr. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Sturgeon u. a., Randnr. 42).

51      Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass bei verschiedenen möglichen Auslegungen einer Vorschrift des Unionsrechts derjenigen der Vorzug zu geben ist, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist (vgl. Urteil Sturgeon u. a., Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Eine Auslegung, wie sie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die belgische Regierung vertreten, liefe aber der praktischen Wirksamkeit und dem Ziel der Richtlinie 2004/38 sowie der allgemeinen Systematik und dem Geist von Art. 16 dieser Richtlinie zuwider.

53      Erstens nämlich würden sowohl Zweck und Ziel der Richtlinie 2004/38, wie sie oben in den Randnrn. 30 und 31 dargestellt worden sind, d. h. die Erleichterung der Ausübung des elementaren Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, und die Verstärkung dieses elementaren Rechts, als auch, ganz konkret, Zweck und Ziel von Art. 16 dieser Richtlinie, wie sie oben in Randnr. 32 dargestellt worden sind, d. h. die Förderung des sozialen Zusammenhalts und die Verstärkung des Gefühls der Unionsbürgerschaft durch das Recht auf Daueraufenthalt, ernsthaft gefährdet, wenn dieses Aufenthaltsrecht Unionsbürgern, die sich vor dem 30. April 2006 fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben, nur deshalb verwehrt würde, weil später, aber vor dem genannten Datum, vorübergehende Abwesenheiten für eine Dauer von weniger als zwei aufeinander folgenden Jahren dazwischen getreten sind.

54      Zweitens gebieten auch die allgemeine Systematik und der Geist von Art. 16 der Richtlinie 2004/38, dass Art. 16 Abs. 4 auf vorübergehende Abwesenheiten vor dem 30. April 2006 bei Vorliegen eines diesem Datum vorgelagerten ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünfjähriger Dauer Anwendung findet.

55      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 den Verlust des Rechts auf Daueraufenthalt wegen Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat für eine längere Dauer als zwei aufeinander folgende Jahre betrifft. Nach den Vorarbeiten zur Richtlinie 2004/38 rechtfertigt sich eine derartige Maßnahme damit, dass nach einer solchen Abwesenheit die Verbindung zum Aufnahmemitgliedstaat gelockert ist (vgl. die Begründung des vom Rat am 5. Dezember 2003 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2004/38 festgelegten Gemeinsamen Standpunkts [EG] Nr. 6/2004 [ABl. 2004, C 54 E, S. 12] zu Art. 16 dieser Richtlinie).

56      Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 findet unabhängig davon Anwendung, ob es um Aufenthaltszeiten geht, die vor dem 30. April 2006 zurückgelegt worden sind, oder um solche, die nach diesem Datum angesiedelt sind. Da nämlich, wie sich aus der oben in den Randnrn. 29 bis 40 angestellten Prüfung ergibt, vor dem 30. April 2006 zurückgelegte fünfjährige Aufenthaltszeiten für die Zwecke des Erwerbs des in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechts auf Daueraufenthalt zu berücksichtigen sind, muss Art. 16 Abs. 4 zwangsläufig auf die genannten Zeiten anwendbar sein. Andernfalls müssten die Mitgliedstaaten nach Art. 16 der Richtlinie dieses Recht auf Daueraufenthalt selbst im Fall von erheblichen Abwesenheiten gewähren, die die Verbindung des Betroffenen zum Aufnahmemitgliedstaat in Frage stellen.

57      Daraus ergibt sich, dass Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 auf vor dem 30. April 2006 zurückgelegte Zeiten eines ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünfjähriger Dauer Anwendung findet und dass diese Anwendung insbesondere mit sich bringt, dass die eine Dauer von zwei aufeinander folgenden Jahren unterschreitenden Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat, die nach diesen Zeiten, aber vor dem genannten Datum eingetreten sind, nicht das Band der Integration des betroffenen Unionsbürgers berühren können.

58      Folglich können eine Dauer von zwei aufeinander folgenden Jahren unterschreitende Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Datum liegenden ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind, nicht den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 berühren.

59      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 16 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass

–        ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren, die vor dem Datum für die Umsetzung dieser Richtlinie, also dem 30. April 2006, in Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden, für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 zu berücksichtigen sind und

–        eine Dauer von zwei aufeinander folgenden Jahren unterschreitende Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Datum liegenden ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind, nicht den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 berühren können.

 Kosten

60      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 16 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass

–        ununterbrochene Aufenthaltszeiten von fünf Jahren, die vor dem Datum für die Umsetzung dieser Richtlinie, also dem 30. April 2006, in Einklang mit vor diesem Datum geltenden Rechtsvorschriften der Union zurückgelegt wurden, für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 zu berücksichtigen sind und

–        eine Dauer von zwei aufeinander folgenden Jahren unterschreitende Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat, die vor dem 30. April 2006 und nach einem vor diesem Datum liegenden ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren eingetreten sind, nicht den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 berühren können.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.