Language of document : ECLI:EU:C:2021:798

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

6. Oktober 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsstaatlichkeit – Wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Grundsätze der Unabsetzbarkeit der Richter und der richterlichen Unabhängigkeit – Nicht einvernehmliche Versetzung eines Richters eines ordentlichen Gerichts – Rechtsbehelf – Unzulässigkeitsbeschluss eines Richters des Sąd Najwyższy (Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych) (Oberstes Gericht [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten], Polen) – Richter, der auf der Grundlage einer Entschließung des Landesjustizrats vom Präsidenten der Republik Polen trotz einer Gerichtsentscheidung ernannt wurde, mit der die Aussetzung der Vollziehung dieser Entschließung in Erwartung eines Vorabentscheidungsurteils des Gerichtshofs angeordnet worden war – Richter, der kein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht ist – Vorrang des Unionsrechts – Möglichkeit, einen solchen Unzulässigkeitsbeschluss als nicht existent anzusehen“

In der Rechtssache C‑487/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer], Polen) mit Entscheidung vom 21. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juni 2019, in dem Verfahren

W.Ż.,

Beteiligte:

Prokurator Generalny zastępowany przez Prokuraturę Krajową, vormals Prokurator Prokuratury Krajowej Bożena Górecka,

Rzecznik Praw Obywatelskich,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan, M. Ilešič, L. Bay Larsen, A. Kumin und N. Wahl, der Richter D. Šváby, S. Rodin und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos und N. Jääskinen,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von W.Ż., vertreten durch S. Gregorczyk-Abram und M. Wawrykiewicz, adwokaci,

–        des Prokurator Generalny zastępowany przez Prokuraturę Krajową, vertreten durch R. Hernand, A. Reczka, S. Bańko, B. Górecka und M. Słowińska,

–        des Rzecznik Praw Obywatelskich, vertreten durch P. Filipek und M. Taborowski,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, S. Żyrek und A. Dalkowska als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann, P. Van Nuffel und H. Krämer, dann durch K. Herrmann und P. Van Nuffel als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. April 2021

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2, Art. 6 Abs. 1 und 3 sowie Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie von Art. 267 AEUV und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens auf Betreiben des Richters W.Ż. wegen einer Entschließung, mit der die Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen, im Folgenden: KRS) den Widerspruch von W.Ż. gegen eine Entscheidung des Präsidenten des Sąd Okręgowy w K. (Regionalgericht K., Polen), mit der die Versetzung von W.Ż. von einer Abteilung in eine andere Abteilung dieses Gerichts angeordnet worden war, für erledigt erklärt hat (im Folgenden: streitige Entschließung). Gegen die streitige Entschließung legte W.Ż. einen Rechtsbehelf beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) ein und beantragte außerdem die Ablehnung aller Richter der für die Prüfung eines solchen Rechtsbehelfs zuständigen Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych (Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten, Polen).

 Polnisches Recht

 Verfassung

3        Art. 7 der Verfassung lautet:

„Die Organe der öffentlichen Gewalt handeln auf der Grundlage und in den Grenzen des Rechts.“

4        Art. 10 der Verfassung bestimmt:

„1.      Die Ordnung der Republik Polen stützt sich auf die Trennung und das Gleichgewicht der gesetzgebenden, der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt.

2.      Die gesetzgebende Gewalt üben Sejm und Senat, die vollziehende Gewalt der Präsident der Republik Polen und der Ministerrat, die rechtsprechende Gewalt Gerichte und Gerichtshöfe aus.“

5        Art. 45 Abs. 1 der Verfassung sieht vor:

„Jedermann hat das Recht auf gerechte und öffentliche Verhandlung der Sache ohne unbegründete Verzögerung vor dem zuständigen, unabhängigen, unparteiischen Gericht.“

6        Art. 60 der Verfassung lautet:

„Polnische Staatsangehörige, die die vollen bürgerlichen Rechte genießen, haben das Recht auf gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst.“

7        Art. 77 Abs. 2 der Verfassung bestimmt:

„Das Gesetz darf es niemandem unmöglich machen, verletzte Freiheiten oder Rechte auf dem Gerichtsweg geltend zu machen.“

8        Art. 179 der Verfassung sieht vor:

„Die Richter werden vom Präsidenten der Republik Polen auf Vorschlag [der KRS] auf unbestimmte Zeit berufen.“

9        In Art. 184 der Verfassung heißt es:

„In dem durch Gesetz bestimmten Umfang kontrollieren [der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen)] und die anderen Verwaltungsgerichte die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung. …“

 Neues Gesetz über das Oberste Gericht

10      Am 20. Dezember 2017 unterzeichnete der Präsident der Republik die Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 5, im Folgenden: neues Gesetz über das Oberste Gericht), die am 3. April 2018 in Kraft trat.

11      Mit dem neuen Gesetz über das Oberste Gericht wurde u. a. die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten innerhalb des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) eingerichtet.

12      Art. 26 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht bestimmt:

„Die [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten] ist zuständig für außerordentliche Rechtsbehelfe, Wahlstreitigkeiten und Anfechtungen der Gültigkeit eines nationalen Referendums oder eines Verfassungsreferendums, für die Feststellung der Gültigkeit von Wahlen und Referenden und andere öffentlich-rechtliche Fälle, einschließlich Streitigkeiten über den Schutz des Wettbewerbs, die Regulierung der Energie- und Telekommunikationswirtschaft und des Eisenbahnverkehrs sowie von Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen des Przewodniczy Krajowej Rady Radiofonii i Telewizji [Vorsitzender des Nationalen Rundfunkrats, Polen] oder Anfechtungen der überlangen Verfahrensdauer bei ordentlichen und militärischen Gerichten sowie vor dem [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)].“

13      Nach Art. 29 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht werden die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag der KRS ernannt.

 Gesetz über die KRS

14      Die KRS unterliegt der Ustawa o Krajowej Radzie Sądownictwa (Gesetz über den Landesjustizrat) vom 12. Mai 2011 (Dz. U. 2011, Nr. 126, Pos. 714) in der u. a. durch die Ustawa o zmianie ustawy o Krajowej Radzie Sądownictwa oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Landesjustizrat und bestimmter anderer Gesetze) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 3) und der Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit und einiger anderer Gesetze) vom 20. Juli 2018 (Dz. U. 2018, Pos. 1443) geänderten Fassung (im Folgenden: KRS-Gesetz).

15      Art. 37 Abs. 1 des KRS-Gesetzes bestimmt:

„Hat sich mehr als ein Kandidat um eine Stelle als Richter beworben, prüft und bewertet [die KRS] alle eingereichten Bewerbungen gemeinsam. In diesem Fall verabschiedet [die KRS] eine Entschließung, die ihre Entscheidungen über die Einreichung eines Vorschlags zur Ernennung auf eine Richterstelle für alle Kandidaten enthält.“

16      Art. 43 dieses Gesetzes lautet:

„1.      Eine Entschließung [der KRS] wird bestandskräftig, wenn sie nicht angefochten werden kann.

2.      Wird die in Art. 37 Abs. 1 genannte Entschließung nicht von allen Verfahrensteilnehmern angefochten, so wird sie vorbehaltlich von Art. 44 Abs. 1b für den Teil bestandskräftig, der die Entscheidung enthält, die Teilnehmer, die keinen Rechtsbehelf eingelegt haben, nicht zur Ernennung zum Richter vorzuschlagen.“

17      Art. 44 des KRS-Gesetzes sah vor:

„1.      Ein Teilnehmer an dem Verfahren kann gegen die Entschließung [der KRS] einen Rechtsbehelf beim [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] mit der Begründung einlegen, dass diese rechtswidrig sei, soweit nicht besondere Bestimmungen etwas anderes vorsehen. …

1a.      In Individualverfahren, die eine Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen, kann ein Rechtsbehelf beim [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] eingelegt werden. In diesen Fällen kann kein Rechtsbehelf beim [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] eingelegt werden. Der Rechtsbehelf zum [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] kann nicht damit begründet werden, dass nicht zutreffend beurteilt worden sei, ob die Kandidaten die Kriterien erfüllen, die bei der Entscheidung über die Einreichung des Vorschlags für die Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] berücksichtigt werden.

1b.      Haben in Individualverfahren, die eine Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen, nicht alle Teilnehmer an dem Verfahren die in Art. 37 Abs. 1 genannte Entschließung angefochten, wird diese Entschließung für die Teilnehmer, die keinen Rechtsbehelf eingelegt haben, in dem Teil bestandskräftig, in dem die Entscheidung über die Einreichung eines Vorschlags für die Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] bzw. die Entscheidung, keinen Vorschlag für die Ernennung zum Richter an diesem Gericht einzureichen, enthalten ist.

3.      Die Bestimmungen [der Zivilprozessordnung] …, die sich auf die Kassationsbeschwerde beziehen, sind auf Verfahren vor dem [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] und dem [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] anwendbar. Art. 871 [der Zivilprozessordnung] findet keine Anwendung.

4.      In Individualverfahren, die eine Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen, kommt die Aufhebung der Entschließung [der KRS], den Vorschlag für eine Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] nicht einzureichen, durch den [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] der Zulassung der Bewerbung des Verfahrensteilnehmers, der den Rechtsbehelf eingelegt hat, um eine freie Richterstelle am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] gleich, und zwar für die Stelle, für die das Verfahren vor [der KRS] zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils des [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] noch nicht abgeschlossen ist, oder mangels eines solchen Verfahrens, für die nächste freie Richterstelle am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], die ausgeschrieben wird.“

18      Abs. 1a von Art. 44 des KRS-Gesetzes wurde durch das Gesetz vom 8. Dezember 2017 zur Änderung des Gesetzes über den Landesjustizrat und einiger anderer Gesetze, das am 17. Januar 2018 in Kraft trat, und die Abs. 1b und 4 wurden durch das Gesetz vom 20. Juli 2018 zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit und einiger anderer Gesetze, das am 27. Juli 2018 in Kraft trat, in diesen Artikel aufgenommen. Vor der Einführung dieser Änderungen wurden die in Abs. 1a genannten Rechtsbehelfe gemäß Art. 44 Abs. 1 des KRS-Gesetzes beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) eingelegt.

19      Mit Urteil vom 25. März 2019 erklärte das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof, Polen) Art. 44 Abs. 1a des KRS-Gesetzes für unvereinbar mit Art. 184 der Verfassung. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die dem Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) durch Abs. 1a übertragene Zuständigkeit weder durch die Art der betroffenen Fälle noch durch die organisatorischen Merkmale dieses Gerichts oder durch das von ihm angewandte Verfahren gerechtfertigt sei. Außerdem habe die Feststellung der Verfassungswidrigkeit „zwangsläufig die Einstellung aller auf der Grundlage der aufgehobenen Bestimmung geführten Gerichtsverfahren zur Folge“.

20      In der Folge wurde Art. 44 des KRS-Gesetzes durch die Ustawa o zmianie ustawy o Krajowej Radzie Sądownictwa oraz ustawy – Prawo o ustroju sądów administracyjnych (Gesetz zur Änderung des [KRS-Gesetzes] und des Gesetzes über die Organisation der Verwaltungsgerichte) vom 26. April 2019 (Dz. U. 2019, Pos. 914) (im Folgenden: Gesetz vom 26. April 2019) geändert, das am 23. Mai 2019 in Kraft trat. Art. 44 Abs. 1 lautet seitdem:

„Ein Teilnehmer an dem Verfahren kann gegen die Entschließung [der KRS] einen Rechtsbehelf beim [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] mit der Begründung einlegen, dass diese rechtswidrig sei, soweit nicht besondere Bestimmungen etwas anderes vorsehen. In Individualverfahren, die die Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen, kann kein Rechtsbehelf eingelegt werden.“

21      Darüber hinaus sieht Art. 3 des Gesetzes vom 26. April 2019 vor, dass „Verfahren über Rechtsbehelfe gegen die Entschließungen [der KRS] in Individualverfahren, die die Ernennung zum Richter [am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleitet und nicht entschieden wurden, … von Rechts wegen eingestellt [werden]“.

 Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit

22      Die Ustawa – Prawo o ustroju sądów powszechnych (Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit) vom 27. Juli 2001 in geänderter Fassung (Dz. U. 2019, Pos. 52) bestimmt in Art. 22a:

„…

§ 4b.      Die Versetzung eines Richters in eine andere Abteilung ist nicht von seiner Zustimmung abhängig, wenn

1)      die Versetzung in eine Abteilung erfolgt, die sich mit Sachen aus dem gleichen Bereich befasst;

§ 4c.      § 4b Nr. 1 … findet keine Anwendung auf einen Richter, der innerhalb von drei Jahren ohne seine Zustimmung in eine andere Abteilung versetzt worden ist. …

§ 5.      Ein Richter oder Richteranwärter, dessen Aufgaben- und infolgedessen Zuständigkeitsbereich geändert wurde, insbesondere durch Versetzung in eine andere Abteilung des betreffenden Gerichts, kann innerhalb von sieben Tagen ab Zuweisung des neuen Aufgabenbereichs Widerspruch bei der [KRS] einlegen. Der Widerspruch ist nicht statthaft, wenn

1)      er in eine Abteilung versetzt wurde, die sich mit Sachen aus dem gleichen Bereich befasst;

…“

 Zivilprozessordnung

23      In Art. 49 der Ustawa – Kodeks postępowania cywilnego (Gesetz über die Zivilprozessordnung) vom 17. November 1964 in geänderter Fassung (Dz. U. 2018, Pos. 1360) (im Folgenden: Zivilprozessordnung) heißt es:

„… das Gericht [schließt] einen Richter auf dessen Antrag oder auf Antrag einer Partei aus, wenn ein Umstand vorliegt, der begründete Zweifel an seiner Unparteilichkeit in einer bestimmten Rechtssache aufkommen lassen kann.“

24      Art. 50 § 3 der Zivilprozessordnung bestimmt:

„Bis zur Entscheidung über den Antrag auf Ablehnung eines Richters

1)      kann der vom Antrag betroffene Richter weitere Maßnahmen ergreifen;

2)      darf keine Entscheidung oder Maßnahme erlassen werden, die das Verfahren beendet.“

25      Art. 365 § 1 der Zivilprozessordnung sieht vor:

„Eine rechtskräftige Entscheidung bindet nicht nur die Parteien und das Gericht, das sie erlassen hat, sondern auch andere Gerichte, andere staatliche Stellen und Verwaltungsorgane sowie in den gesetzlich vorgesehenen Fällen andere Personen.“

26      In Art. 388 § 1 der Zivilprozessordnung heißt es:

„Im Falle einer Kassationsbeschwerde kann das zweitinstanzliche Gericht, wenn einer Partei durch die Vollstreckung einer Entscheidung ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen kann, die Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung bis zum Abschluss des Kassationsverfahrens aussetzen … Die Entscheidung kann unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen werden. …“

27      Art. 391 § 1 der Zivilprozessordnung bestimmt:

„Fehlen spezielle Bestimmungen für das Verfahren vor dem zweitinstanzlichen Gericht, gelten für dieses Verfahren die Bestimmungen für das Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht entsprechend. …“

28      Art. 39821 der Zivilprozessordnung sieht vor:

„Fehlen spezielle Bestimmungen für das Verfahren vor dem [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], gelten für dieses Verfahren die Bestimmungen über Rechtsmittel entsprechend, …“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

29      W.Ż. ist Richter am Sąd Okręgowy w K. (Regionalgericht K.). Mit Entscheidung vom 27. August 2018 entschied der Präsident dieses Gerichts nach Art. 22a § 4b Nr. 1 des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, W.Ż. von der Abteilung dieses Gerichts, in der er bis dahin tätig war, in eine andere Abteilung dieses Gerichts zu versetzen.

30      W.Ż. legte gegen diese Entscheidung gemäß Art. 22a § 5 dieses Gesetzes Widerspruch bei der KRS ein. Mit der streitigen Entschließung stellte die KRS das Verfahren über diesen Widerspruch ein.

31      Am 14. November 2018 legte W.Ż. gegen die streitige Entschließung einen Rechtsbehelf beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) ein. Für die Entscheidung über einen solchen Rechtsbehelf ist innerhalb dieses Gerichts die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten zuständig. In diesem Zusammenhang stellte W.Ż. jedoch auch einen Antrag auf Ablehnung aller Richter der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten, da diese wegen der Umstände ihrer Ernennung nicht die erforderliche Gewähr für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit böten. Für die Prüfung dieses Antrags ist der Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in der Besetzung mit drei Richtern zuständig.

32      Zu diesen Umständen der Ernennung führt das vorlegende Gericht, der Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]), der in erweiterter Besetzung mit sieben Richtern entscheidet, aus, dass die Entschließung Nr. 331/2018 der KRS vom 28. August 2018, mit der dem Präsidenten der Republik vorgeschlagen worden sei, die betreffenden Personen auf Richterstellen der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten zu ernennen, von in dieser Entschließung nicht zur Ernennung vorgeschlagenen Bewerbern beim Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) gemäß Art. 44 Abs. 1a des KRS-Gesetzes angefochten worden sei.

33      Mit rechtskräftigem Beschluss vom 27. September 2018 ordnete der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) nach Art. 388 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 39821 der Zivilprozessordnung und Art. 44 Abs. 3 des KRS-Gesetzes die Aussetzung der Vollziehung der Entschließung Nr. 331/2018 an.

34      Ungeachtet der eingelegten Rechtsbehelfe und dieses Beschlusses ernannte der Präsident der Republik am 10. Oktober 2018 einige der von der KRS in der Entschließung Nr. 331/2018 vorgeschlagenen Bewerber zu Richtern der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten.

35      In der Folge setzte der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) mit Entscheidungen vom 22. November 2018 das Verfahren über die bei ihm anhängigen Rechtsbehelfe bis zur Entscheidung des Gerichtshofs über die Fragen aus, die er diesem mit Entscheidung vom 21. November 2018 in der Rechtssache zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte, in der das Urteil vom 2. März 2021, A.B. u. a. (Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf) (C‑824/18, im Folgenden: Urteil A.B. u. a., EU:C:2021:153), ergangen ist und in der es um eine weitere Entschließung der KRS ging, mit der dem Präsidenten der Republik einige Personen zur Ernennung auf Richterstellen in der Zivil- und in der Strafkammer des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vorgeschlagen worden waren. Mit diesen Fragen wollte der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) wissen, ob das Unionsrecht Vorschriften wie Art. 44 Abs. 1a bis 4 des KRS-Gesetzes entgegensteht.

36      Am 20. Februar 2019 ernannte der Präsident der Republik eine Person, die von der KRS ebenfalls in ihrer Entschließung Nr. 331/2018 vorgeschlagen worden war, zum Richter in der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten (im Folgenden: betreffender Richter).

37      Am 8. März 2019 erließ der betreffende Richter, der als Einzelrichter entschied, ohne über die Akte zu verfügen, die sich noch im Besitz des Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in der Besetzung mit drei Richtern befand, und ohne W.Ż. angehört zu haben, einen Beschluss, mit dem der Rechtsbehelf von W.Ż. gegen die streitige Entschließung als unzulässig zurückgewiesen wurde (im Folgenden: streitiger Beschluss).

38      Mit Entscheidung vom 20. März 2019 entschied der Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in der Besetzung mit drei Richtern, dass der streitige Beschluss unter Verstoß gegen Art. 50 § 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung erlassen worden sei. Diese Bestimmung stehe einer verfahrensbeendenden Entscheidung entgegen, solange über einen von einem anderen Richter gestellten Antrag auf Ablehnung eines Richters nicht entschieden worden sei. Dieser Beschluss verletze zudem die Verteidigungsrechte von W.Ż. im Sinne von Art. 45 Abs. 1 der Verfassung, Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) und Art. 47 der Charta, da er von einem Spruchkörper erlassen worden sei, der nicht über die Akte verfügt habe, und ohne dass W.Ż. die Möglichkeit gehabt habe, Kenntnis vom Standpunkt der Staatsanwaltschaft zu nehmen.

39      In dieser Entscheidung prüfte dieses Gericht auch die Frage, ob der betreffende Richter tatsächlich als Richter anzusehen sei; andernfalls sei der streitige Beschluss rechtlich nicht existent. Eine solche Frage sei für den Ausgang des bei ihm anhängigen Ablehnungsverfahrens insofern von Bedeutung, als im Fall der erwiesenen Existenz des streitigen Beschlusses das Verfahren durch eine Erledigungsentscheidung wegen Gegenstandslosigkeit beendet werden müsse, während im Fall der Inexistenz dieses Beschlusses über den Ablehnungsantrag von W.Ż zu entscheiden sei. Unter diesen Umständen hat der Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in der Besetzung mit drei Richtern beschlossen, dem vorlegenden Gericht folgende Fragen vorzulegen:

„1.      Ist ein Beschluss über die Zurückweisung eines beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) eingelegten Rechtsbehelfs gegen eine Entschließung der KRS, der von einem Gericht erlassen wurde, das als Einzelrichter besetzt ist, der zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) ernannt wurde, obwohl zuvor beim Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) ein Rechtsbehelf gegen die Entschließung der KRS mit dem Vorschlag zur Ernennung dieser Person zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) eingelegt worden war und das Verfahren vor dem Obersten Verwaltungsgericht im Zeitpunkt der Übergabe der Ernennungsurkunde noch anhängig war, rechtlich existent und beendet er das durch die Einlegung des fraglichen Rechtsbehelfs eingeleitete Verfahren?

2.      Ist es für die Beantwortung der in Nr. 1 gestellten Frage von Bedeutung, dass der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) vor der Übergabe der Ernennungsurkunde für das Amt eines Richters am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) die Vollziehung der Entschließung der KRS gemäß Art. 388 § 1 in Verbindung mit Art. 39821 der Zivilprozessordnung und Art. 44 Abs. 3 des KRS-Gesetzes ausgesetzt hat?“

40      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hängt die Antwort auf diese Fragen insbesondere davon ab, ob ein unter solchen Umständen ernannter Richter ein unabhängiges, unparteiisches und durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 267 AEUV, Art. 47 Abs. 2 der Charta und Art. 6 Abs. 1 EMRK sei.

41      Die Mitgliedstaaten seien nämlich nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre nationalen Gerichte, die in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu entscheiden hätten, diese Anforderungen erfüllten, was insbesondere voraussetze, dass die Richter ordnungsgemäß ernannt würden.

42      Die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten habe u. a. Rechtssachen in Bereichen zu entscheiden, die unter das Unionsrecht fielen, wie z. B. solche betreffend den Schutz des Wettbewerbs und die Regulierung der Energiewirtschaft. Außerdem sei der streitige Beschluss in einer Rechtssache ergangen, in der es um die Stellung und den Schutz der Unabhängigkeit eines Richters eines nationalen Gerichts gegangen sei, das seinerseits in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu entscheiden habe, so dass in jedem Abschnitt des Ausgangsverfahrens die in Art. 47 Abs. 2 der Charta genannten Anforderungen erfüllt sein müssten.

43      Hinzu komme, dass der betreffende Richter unter eklatanter und vorsätzlicher Verletzung grundlegender Vorschriften des polnischen Rechts über das Verfahren zur Ernennung von Richtern ernannt worden sei.

44      Erstens sei nämlich diese Ernennung erfolgt, obwohl der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) mit einem Rechtsbehelf gegen die Entschließung Nr. 331/2018 befasst gewesen sei, mit der die Ernennung des Betroffenen vorgeschlagen worden sei. Aus Art. 179 der Verfassung ergebe sich jedoch, dass ein solcher Vorschlag konstitutive Bedeutung habe, so dass, solange die rechtliche Existenz der Entschließung aufgrund dieses Rechtsbehelfs ungewiss bleibe, jeder Ernennung die Rechtsgrundlage fehle, denn ein solcher Rechtsbehelf solle den Teilnehmern am Ernennungsverfahren den Schutz ihrer Rechte auf gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst und zu einem Gericht gemäß Art. 45 Abs. 1, Art. 60 und Art. 77 Abs. 2 der Verfassung gewährleisten.

45      Art. 44 Abs. 1b und 4 des KRS-Gesetzes stehe diesen Erwägungen nicht entgegen. Wie in Rn. 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt, habe der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) den Gerichtshof nämlich mit einem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache, in der das Urteil A.B. u. a. ergangen sei, befasst, weil es Zweifel an der Vereinbarkeit der genannten nationalen Bestimmungen mit dem Unionsrecht gehabt habe. Der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) habe unter Zugrundelegung der Hinweise, die ihm der Gerichtshof in dieser Rechtssache gegeben habe, über diese Vereinbarkeit zu befinden bzw. eine unionsrechtskonforme Auslegung der nationalen Bestimmungen sicherzustellen.

46      Zweitens habe der Präsident der Republik dadurch, dass er die streitige Ernennung trotz der rechtskräftigen Entscheidung vorgenommen habe, mit der der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) die Aussetzung der Vollziehung der Entschließung Nr. 331/2018 angeordnet habe, gegen Art. 365 § 1 in Verbindung mit Art. 391 § 1 und Art. 39821 der Zivilprozessordnung sowie Art. 44 Abs. 3 des KRS-Gesetzes verstoßen. Außerdem verstoße die streitige Ernennung auch gegen die Art. 7 und 10 der Verfassung, da der Präsident der Republik die dem Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) übertragene Rechtsprechungsbefugnis nicht beachtet habe.

47      Im Übrigen füge sich diese nicht ordnungsgemäße Ernennung in einen allgemeineren Kontext ein, in dem sich die Maßnahmen gehäuft hätten, mit denen eine wirksame gerichtliche Kontrolle der Entschließungen der KRS, mit denen Ernennungen zu Richtern am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vorgeschlagen würden, verhindert werden solle.

48      Dies gelte erstens für den Erlass von Art. 44 Abs. 1b und 4 des KRS-Gesetzes, dessen Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, wie bereits ausgeführt, Gegenstand der dem Gerichtshof in der Rechtssache, in der das Urteil A.B. u. a. ergangen sei, vorgelegten Fragen sei, zweitens für die Erhebung von Klagen durch die KRS und eine Gruppe von Senatoren beim Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht), das daraufhin in einem Urteil vom 25. März 2019 erklärt habe, dass Art. 44 Abs. 1a des KRS-Gesetzes verfassungswidrig sei und daher alle beim Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) anhängigen Rechtsbehelfe gegen solche Entschließungen einzustellen seien, und drittens für die Verabschiedung des Gesetzes vom 26. April 2019, mit dem angeordnet worden sei, dass diese Rechtsbehelfe erledigt seien und jeder Rechtsbehelf dieser Art in Zukunft ausgeschlossen sei.

49      Hinzu kämen weitere Mängel bei der Ernennung des betreffenden Richters, zu denen der Umstand gehöre, dass die 15 Mitglieder der heutigen KRS, die Richter seien, vom Sejm (Erste Kammer des Parlaments) und nicht mehr, wie zuvor, von ihren Kollegen ausgewählt worden seien, sowie der Umstand, dass die Ernennung dieser Mitglieder der KRS unter Verkürzung der verfassungsmäßig garantierten Amtszeit der Mitglieder der vorherigen KRS erfolgt sei. Diese Aspekte seien ihrerseits Gegenstand der Fragen, die dem Gerichtshof im Rahmen der verbundenen Rechtssachen zur Vorabentscheidung vorgelegt worden seien, in denen das Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982) ergangen sei.

50      In Anbetracht aller dieser Umstände, unter denen die Ernennung des betreffenden Richters erfolgt sei, biete dieser nicht die erforderliche Gewähr für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Diese Umstände seien nämlich geeignet, bei den Rechtsunterworfenen hieran Zweifel hervorzurufen sowie den Richter einem Druck von außen auszusetzen, der von den Behörden ausgehe, die ihn ernannt und anschließend dafür gesorgt hätten, dass seine Ernennung nicht mehr gerichtlich angefochten werden könne. Diese Umstände begründeten außerdem eine Gefahr der Parteilichkeit im Ausgangsverfahren, wie der Erlass des streitigen Beschlusses durch den betreffenden Richter zeige.

51      Vor diesem Hintergrund hat der Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in erweiterter Besetzung mit sieben Richtern beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind Art. 2, Art. 6 Abs. 1 und 3 sowie Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta und Art. 267 AEUV dahin auszulegen, dass es sich bei einem Gericht, das als Einzelrichter besetzt ist, der unter eklatanter Verletzung der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats über die Ernennung von Richtern in das Richteramt berufen wurde – insbesondere weil diese Person in das Richteramt berufen wurde, obwohl zuvor gegen die Entschließung einer nationalen Einrichtung ([KRS]), die den Vorschlag enthielt, diese Person zum Richter zu ernennen, ein Rechtsbehelf bei dem zuständigen nationalen Gericht (dem Naczelny Sąd Administracyjny [Oberstes Verwaltungsgericht]) eingelegt worden war, die Vollziehung dieser Entschließung dem nationalen Recht gemäß ausgesetzt wurde und das Verfahren vor dem zuständigen nationalen Gericht, dem Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht), vor der Übergabe der Ernennungsurkunde noch nicht beendet war –, nicht um ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne des Unionsrechts handelt?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

 Zum Antrag auf Anwendung des beschleunigten Verfahrens

52      Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. Zur Begründung seines Antrags hat es ausgeführt, dass ein solches Verfahren dadurch gerechtfertigt sei, dass die Antwort auf die dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage über das vorliegende Ausgangsverfahren hinaus Auswirkungen auf die richterliche Tätigkeit einer Reihe anderer Richter haben könne, die jüngst den verschiedenen Kammern des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) zugewiesen worden seien und deren Ernennung unter Umständen erfolgt sei, die denen der Ernennung des betreffenden Richters ganz oder teilweise entsprächen.

53      Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung sieht vor, dass der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden kann, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

54      Ein solches beschleunigtes Verfahren ist ein Verfahrensinstrument, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll. Ferner geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass das beschleunigte Verfahren keine Anwendung finden kann, wenn die Sensibilität und die Komplexität der durch einen Fall aufgeworfenen rechtlichen Fragen kaum mit der Anwendung des beschleunigten Verfahrens zu vereinbaren sind, insbesondere, wenn es nicht angebracht erscheint, das schriftliche Verfahren vor dem Gerichtshof zu verkürzen (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs am 20. August 2019 nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts entschieden, dem in Rn. 52 des vorliegenden Urteils genannten Antrag nicht stattzugeben.

56      Aus der Vorlageentscheidung geht nämlich hervor, dass der Ausgangsrechtsstreit im Wesentlichen einen Widerspruch betrifft, mit dem ein Richter die Entscheidung anficht, durch die er von einer Abteilung des Gerichts, in der er bis dahin tätig war, in eine andere Abteilung dieses Gerichts versetzt wurde, wobei dieser Widerspruch im Zusammenhang mit einem Antrag auf Ablehnung der Richter steht, die in der Sache zu entscheiden haben. Ein Rechtsstreit dieser Art kann als solcher aber keine außerordentliche Dringlichkeitssituation herbeiführen.

57      Überdies bezieht sich die Vorlagefrage zwar tatsächlich auf grundlegende Bestimmungen des Unionsrechts, doch ist sie komplex und äußerst sensibel und gehört selbst zu einem relativ komplizierten nationalen verfahrensrechtlichen und rechtlichen Kontext, so dass sie sich nicht für ein Verfahren eignet, das von den üblichen Verfahrensvorschriften abweicht. Im Übrigen war auch zu berücksichtigen, dass, wie sich aus den Rn. 45, 48 und 49 des vorliegenden Urteils ergibt, einige der Fragen des vorlegenden Gerichts, auf denen die Vorlagefrage beruht, bereits Gegenstand anderer Vorlagen zur Vorabentscheidung waren, die sich in einem vergleichsweise fortgeschrittenen Stadium der Bearbeitung befanden.

 Zum mündlichen Verfahren und zum Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens

58      Im Anschluss an das schriftliche Verfahren sind die Beteiligten, u. a. die polnische Regierung, in einer mündlichen Verhandlung angehört worden, die am 22. September 2020 stattgefunden hat. Der Generalanwalt hat seine Schlussanträge am 15. April 2021 gestellt; das mündliche Verfahren ist folglich an diesem Tag abgeschlossen worden.

59      Mit am 7. Mai 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Schriftsatz hat die polnische Regierung die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt.

60      Zur Begründung dieses Antrags machte die polnische Regierung geltend, dass zwischen den Schlussanträgen des Generalanwalts in der vorliegenden Rechtssache auf der einen Seite und den Schlussanträgen von Generalanwalt Hogan in der Rechtssache Repubblika (C‑896/19, EU:C:2020:1055) und dem Urteil vom 20. April 2021, Repubblika (C‑896/19, EU:C:2021:311), auf der anderen Seite hinsichtlich der Beurteilung des Verfahrens zur Ernennung nationaler Richter in den verschiedenen Mitgliedstaaten im Licht des Unionsrechts Unterschiede in der Ausrichtung bestünden.

61      Eine Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens sei im vorliegenden Fall deshalb gerechtfertigt, weil der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen, mit denen sie nicht einverstanden sei, ihre Argumente nicht hinreichend berücksichtigt habe, so dass es diesen Schlussanträgen an Objektivität fehle.

62      Zu diesem Vorbringen ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung des Gerichtshofs keine Möglichkeit für die in Art. 23 der Satzung bezeichneten Beteiligten vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen (Urteil vom 6. März 2018, Achmea, C‑284/16, EU:C:2018:158, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Zum anderen stellt der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Der Gerichtshof ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden. Dass ein Beteiligter nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 6. März 2018, Achmea, C‑284/16, EU:C:2018:158, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64      Zum Vorbringen der polnischen Regierung, die Schlussanträge des Generalanwalts seien nicht objektiv, genügt der Hinweis, dass der Umstand, dass die polnische Regierung meint, ihre Argumente im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren seien in diesen Schlussanträgen nicht hinreichend berücksichtigt worden, jedenfalls nicht geeignet ist, einen solchen Mangel an Objektivität darzutun.

65      Der Gerichtshof kann gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist.

66      Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof jedoch nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er nach dem schriftlichen Verfahren und der vor ihm abgehaltenen mündlichen Verhandlung über alle für die Entscheidung über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen erforderlichen Informationen verfügt. Der Antrag der polnischen Regierung auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens lässt zudem keine neue Tatsache erkennen, die geeignet wäre, die vom Gerichtshof zu erlassende Entscheidung zu beeinflussen.

67      Aus diesen Gründen ist das mündliche Verfahren nicht wiederzueröffnen.

 Zur Vorlagefrage

68      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69      Im vorliegenden Fall geht aus der Entscheidung des vorlegenden Gerichts hervor, dass es die in Rn. 39 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Fragen zu beantworten hat, die ihm der Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in der Besetzung mit drei Richtern vorgelegt hat. Mit diesen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es den streitigen Beschluss außer Acht lassen und infolgedessen die Prüfung des Ablehnungsantrags, mit dem es im Ausgangsverfahren befasst ist, fortsetzen darf, oder ob es diesen Antrag für erledigt zu erklären hat, weil der Ausgangsrechtsstreit durch den streitigen Beschluss beendet wurde, indem mit ihm der von W.Ż. beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) gegen die streitige Entschließung eingelegte Rechtsbehelf für unzulässig erklärt wurde.

70      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die KRS mit der streitigen Entschließung die Erledigung eines Widerspruchs festgestellt hat, den W.Ż. gegen die Entscheidung eingelegt hatte, durch die der Präsident des Sąd Okręgowy w K. (Regionalgericht K.), des Gerichts, dem W.Ż. als Richter zugewiesen ist, diesen ohne seine Zustimmung aus der Abteilung dieses Gerichts, in der er bis dahin tätig war, in eine andere Abteilung dieses Gerichts versetzt hatte.

71      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage wissen möchte, ob Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen sind, dass ein nationales Gericht, das mit einem Ablehnungsantrag im Zusammenhang mit einem Widerspruch eines Richters gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der dieser ohne seine Zustimmung von einer Abteilung des Gerichts, dem er zugewiesen ist, in eine andere Abteilung dieses Gerichts versetzt wurde, einen Beschluss, mit dem ein in Einzelrichterbesetzung entscheidender Spruchkörper diesen Widerspruch letztinstanzlich zurückgewiesen hat, als nicht existent anzusehen hat, weil in Anbetracht der Umstände, unter denen der Einzelrichter dieses Spruchkörpers ernannt worden ist, dieser Spruchkörper kein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist.

72      Hinsichtlich dieser Umstände weist das vorlegende Gericht in seiner Frage insbesondere darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Ernennung des betreffenden Richters die Entschließung der KRS, mit der dieser zur Ernennung vorgeschlagen worden sei, Gegenstand eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gewesen sei und dass der mit diesem Rechtsbehelf befasste Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) die Aussetzung der Vollziehung dieser Entschließung angeordnet habe.

73      Wie sich aus den Rn. 45, 48 und 49 des vorliegenden Urteils ergibt, äußert das vorlegende Gericht in der Begründung der Vorlageentscheidung zudem Zweifel, die es in diesem Zusammenhang zum einen hinsichtlich der sukzessiven Änderungen der nationalen Vorschriften für solche gerichtlichen Rechtsbehelfe und der Zuständigkeit des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) für die Entscheidung über diese und zum anderen hinsichtlich der offensichtlich fehlenden Unabhängigkeit der KRS hegt. Es weist auch darauf hin, dass diese beiden Problembereiche bereits Gegenstand von Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof waren, und zwar in der Rechtssache A.B. u. a. und in den verbundenen Rechtssachen, in denen das Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982), ergangen ist.

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

74      Nach Ansicht des Prokurator Generalny (Generalstaatsanwalt, Polen) fallen die für die Ernennung von Richtern geltenden Verfahrensmodalitäten und die Voraussetzungen für die Gültigkeit solcher Ernennungen in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts. Daher gehörten diese Fragen nicht zur Zuständigkeit des Gerichtshofs.

75      Zu diesem Vorbringen ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung zwar die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten in deren Zuständigkeit fällt, die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit jedoch die Verpflichtungen einzuhalten haben, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben, und dass dies insbesondere dann der Fall sein kann, wenn es sich um nationale Vorschriften zum Erlass von Entscheidungen über die Ernennung von Richtern und gegebenenfalls um Vorschriften über die im Zusammenhang mit solchen Ernennungsverfahren anwendbare gerichtliche Kontrolle handelt (vgl. in diesem Sinne Urteile A.B. u. a., Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 48).

76      Zudem bezieht sich das Vorbringen des Generalstaatsanwalts in Wirklichkeit auf die Tragweite und damit auf die Auslegung der Bestimmungen des Primärrechts, die in der Vorlagefrage genannt werden; diese Auslegung fällt offenkundig in die Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 111 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77      Die polnische Regierung macht ihrerseits geltend, dass die Vorlagefrage nicht auf eine Auslegung des Unionsrechts abziele, sondern lediglich die Auffassung des vorlegenden Gerichts bestätigen solle, dass der betreffende Richter weder unabhängig und unparteiisch noch rechtmäßig ernannt sei, was sowohl eine Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften über das Verfahren zur Ernennung von Richtern als auch eine Würdigung des Sachverhalts anhand dieser Vorschriften sowie die Prüfung der Frage voraussetze, ob ein solcher Verstoß gegen das nationale Recht zu einem Verstoß gegen das Unionsrecht geführt habe. Solche Fragen fielen jedoch nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs, wenn er über eine Vorlage zur Vorabentscheidung entscheide.

78      Zu diesem Vorbringen ist aber zum einen darauf hinzuweisen, dass zwar in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig ist (vgl. u. a. Urteil vom 26. April 2017, Farkas, C‑564/15, EU:C:2017:302, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung), doch ist es Sache des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht, das ihn um Vorabentscheidung ersucht hat, unter Berücksichtigung der Angaben in der Vorlageentscheidung zu dem auf den Rechtsstreit anwendbaren nationalen Recht und zu dem ihn kennzeichnenden Sachverhalt die Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die sich als erforderlich für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erweisen können.

79      Zum anderen ist der Gerichtshof, auch wenn es nicht seine Sache ist, im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht zu beurteilen, gleichwohl befugt, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über die Frage der Vereinbarkeit zu befinden (Urteil vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80      Nach alledem ist der Gerichtshof für die Entscheidung über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zuständig.

 Zur Zulässigkeit

81      Die polnische Regierung und der Generalstaatsanwalt halten das Vorabentscheidungsersuchen aus verschiedenen Gründen für unzulässig.

82      Als Erstes trägt der Generalstaatsanwalt vor, dass der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), wenn er über einen Rechtsbehelf gegen eine Entschließung der KRS wie den des Ausgangsverfahrens entscheide, nicht als Gericht tätig werde, das einen Rechtsstreit entscheide, sondern als „Rechtsschutzorgan“, das in einem Verfahren zu einer „abstrakten“ Entschließung tätig werde.

83      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Bedingungen, unter denen der Gerichtshof die ihm in Vorentscheidungssachen zufallende Aufgabe erfüllt, nicht von der Art und dem Ziel der vor den innerstaatlichen Gerichten anhängigen Verfahren abhängen. Art. 267 AEUV bezieht sich auf das vom nationalen Gericht zu erlassende Urteil, ohne dass besondere Regelungen je nach Art dieses Urteils vorgesehen wären (Urteil vom 16. Dezember 1981, Foglia, 244/80, EU:C:1981:302, Rn. 33).

84      Nach ständiger Rechtsprechung können die nationalen Gerichte den Gerichtshof anrufen, wenn bei ihnen ein Rechtsstreit anhängig ist und sie im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden haben, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 2013, Belov, C‑394/11, EU:C:2013:48, Rn. 39).

85      Das ist hier aber eindeutig der Fall.

86      Wie nämlich aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, hat der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) im Ausgangsverfahren über einen Rechtsbehelf zu entscheiden, mit dem W.Ż. eine Entschließung der KRS anficht, mit der die KRS die Erledigung seines bei ihr eingelegten Widerspruchs gegen eine Entscheidung festgestellt hat, durch die er ohne seine Zustimmung von einer Abteilung des Gerichts, dem er als Richter zugewiesen ist, in eine andere Abteilung dieses Gerichts versetzt wurde.

87      Als Zweites macht die polnische Regierung geltend, dass die Bestimmungen des Unionsrechts, um deren Auslegung im vorliegenden Fall ersucht werde, auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar seien. Sie könnten einem Mitgliedstaat insbesondere keine Verpflichtungen für den Fall auferlegen, dass er die für Richter geltenden Bedingungen für die Versetzung oder das Verfahren für deren Ernennung festlege, und den Präsidenten der Republik auch nicht verpflichten, die Übergabe der Ernennungsurkunden für Richter aufzuschieben, bis der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) über einen Rechtsbehelf gegen eine Entschließung der KRS entschieden habe. Alle diese Fragen fielen nämlich gemäß Art. 5 EUV in Verbindung mit den Art. 3 und 4 AEUV in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.

88      Außerdem sei das vorlegende Gericht nach nationalem Recht nicht zum Erlass einer Entscheidung befugt, die de facto einem Entzug des Mandats des betreffenden Richters gleichkomme, und jede Begründung einer solchen Zuständigkeit auf der Grundlage des Unionsrechts oder eines Urteils des Gerichtshofs missachte unter Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 EUV bestimmte grundlegende innerstaatliche Verfassungsprinzipien sowie die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der Unabsetzbarkeit der Richter und der Rechtssicherheit.

89      Insoweit ist zum einen in Rn. 75 des vorliegenden Urteils bereits darauf hingewiesen worden, dass die Mitgliedstaaten bei Ausübung ihrer Zuständigkeit, insbesondere der Zuständigkeit für den Erlass nationaler Vorschriften über das Verfahren zur Ernennung von Richtern und über die gerichtliche Kontrolle dieses Verfahrens, die Verpflichtungen zu beachten haben, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben.

90      Zum anderen ist festzustellen, dass dieses Vorbringen der polnischen Regierung im Wesentlichen die Tragweite und damit die Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts, auf die sich die Vorlagefrage bezieht, sowie die Wirkungen betrifft, die sich aus diesen Bestimmungen insbesondere im Hinblick auf den Vorrang des Unionsrechts ergeben können. Solche Argumente, die die inhaltliche Prüfung der vorgelegten Frage betreffen, können daher ihrem Wesen nach nicht zu einer Unzulässigkeit dieser Frage führen (vgl. in diesem Sinne Urteil A.B. u. a., Rn. 80).

91      Als Drittes halten die polnische Regierung und der Generalstaatsanwalt eine Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefrage im Ausgangsrechtsstreit nicht für erforderlich.

92      Da erstens der Rechtsbehelf von W.Ż. gegen die streitige Entschließung mit dem streitigen Beschluss zurückgewiesen worden sei, gebe es im Ausgangsverfahren keinen Rechtsstreit mehr, der zu entscheiden sei, so dass der beim Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in der Besetzung mit drei Richtern anhängige Ablehnungsantrag nunmehr gegenstandslos sei.

93      Zu diesem Vorbringen ist jedoch darauf hinzuweisen, dass, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, eine Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefrage erforderlich ist, um diesem nationalen Gericht die Beantwortung der Fragen zu ermöglichen, die ihm vom Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in der Besetzung mit drei Richtern gestellt worden sind und mit denen gerade geklärt werden soll, ob dieses letztgenannte Gericht den streitigen Beschluss als nicht existent anzusehen hat und deshalb noch über den bei ihm gestellten Ablehnungsantrag entscheiden muss.

94      Somit ist im vorliegenden Fall eine Antwort des Gerichtshofs erforderlich, um es dem vorlegenden Gericht und anschließend dem Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in der Besetzung mit drei Richtern zu ermöglichen, über Vorfragen zu entscheiden, bevor das letztgenannte Gericht im Ausgangsverfahren gegebenenfalls in der Sache entscheiden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung). Unter diesen Umständen ist der Einwand der polnischen Regierung und des Generalstaatsanwalts zurückzuweisen.

95      Der Generalstaatsanwalt trägt zweitens vor, dass der im Ausgangsverfahren anhängige Ablehnungsantrag nach der nationalen Rechtsprechung für unzulässig hätte erklärt werden müssen, da er sich an Richter gerichtet habe, denen die Entscheidung über die betreffende Sache noch nicht zugewiesen gewesen sei.

96      Insoweit genügt jedoch der Hinweis, dass es nach ständiger Rechtsprechung weder Sache des Gerichtshofs ist, im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV zu prüfen, ob die Vorlageentscheidung den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das gerichtliche Verfahren entspricht (Urteil vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a., C‑62/14, EU:C:2015:400, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung), noch hat er insbesondere zu prüfen, ob ein bei einem vorlegenden Gericht anhängiger Antrag nach diesen Vorschriften zulässig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Dezember 2000, Schnorbus, C‑79/99, EU:C:2000:676, Rn. 21 und 22).

97      Drittens stützt sich die Vorlagefrage nach Ansicht des Generalstaatsanwalts auf die Behauptung, dass die Vorschriften über das nationale Verfahren zur Ernennung von Richtern im vorliegenden Fall missachtet worden seien, allerdings seien solche Verstöße gegen nationales Recht nicht erwiesen.

98      In Rn. 78 des vorliegenden Urteils ist insoweit jedoch bereits darauf hingewiesen worden, dass es im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nicht Sache des Gerichtshofs ist, über die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zu entscheiden oder den Sachverhalt zu würdigen.

99      Als Viertes und Letztes trägt der Generalstaatsanwalt vor, dass die Begründung des Vorabentscheidungsersuchens nicht den Anforderungen von Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entspreche. Die Darstellung der Bestimmungen des anwendbaren nationalen Rechts in dieser Entscheidung sei nämlich selektiv und belege nicht die behaupteten Verstöße gegen das nationale Verfahren zur Ernennung von Richtern. Auch lege das vorlegende Gericht die Gründe nicht dar, die für die Wahl der auszulegenden Bestimmungen des Unionsrechts maßgebend gewesen seien und den erforderlichen Zusammenhang zwischen diesen Bestimmungen und der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Regelung herstellen könnten.

100    Zu diesem Vorbringen ist jedoch festzustellen, dass sich aus den Ausführungen in den Rn. 3 bis 28 und 40 bis 50 des vorliegenden Urteils ergibt, dass das Vorabentscheidungsersuchen alle erforderlichen Angaben enthält, insbesondere solche zum Inhalt der möglicherweise auf den vorliegenden Fall anwendbaren nationalen Bestimmungen, zu den Gründen, die das vorlegende Gericht veranlasst haben, dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vorzulegen, und zu den Verbindungen, die das vorlegende Gericht zwischen dieser Bestimmung und den genannten nationalen Vorschriften herstellt, so dass der Gerichtshof in der Lage ist, über die ihm vorgelegte Frage zu entscheiden.

101    Nach alledem ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

 Zur Beantwortung der Vorlagefrage

102    Nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist es Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, das den Einzelnen die Wahrung ihres Rechts auf wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet. Der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, von dem in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Rede ist, ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt; er ist in den Art. 6 und 13 EMRK und nun auch in Art. 47 der Charta verankert (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 190 und die dort angeführte Rechtsprechung). Art. 47 der Charta ist daher bei der Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV gebührend zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

103    Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung in den „vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ Anwendung findet, ohne dass es insoweit darauf ankäme, in welchem Kontext die Mitgliedstaaten Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführen (Urteile vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 192 und die dort angeführte Rechtsprechung).

104    Somit hat jeder Mitgliedstaat gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV u. a. dafür zu sorgen, dass Einrichtungen, die als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteil seines Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind und daher möglicherweise in dieser Eigenschaft über die Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts entscheiden, den Anforderungen an einen wirksamen Rechtsschutz gerecht werden (Urteil A.B. u. a., Rn. 112 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

105    Was das Ausgangsverfahren betrifft, ist zunächst noch einmal darauf hinzuweisen, dass sich der von W.Ż. beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) eingelegte Rechtsbehelf gegen eine Entschließung der KRS richtet, mit der die KRS die Erledigung eines Widerspruchs festgestellt hat, den W.Ż. bei dieser Einrichtung gegen eine Entscheidung des Präsidenten des Sąd Okręgowy w K. (Regionalgericht K.) eingelegt hatte, durch die W.Ż. von der Abteilung dieses Gerichts, in der er bis dahin tätig war, in eine andere Abteilung dieses Gerichts versetzt worden war.

106    Insoweit steht außer Frage, dass ein polnisches Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit wie ein Sąd Okręgowy (Regionalgericht) zur Entscheidung über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts berufen sein kann und daher als „Gericht“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteil des polnischen Rechtsbehelfssystems in den „vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 104, und vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 55).

107    Um zu gewährleisten, dass ein solches Gericht in der Lage ist, den nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erforderlichen wirksamen Rechtsschutz sicherzustellen, ist es von grundlegender Bedeutung, dass seine Unabhängigkeit gewahrt ist, wie Art. 47 Abs. 2 der Charta bestätigt, wonach zu den Anforderungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf u. a. der Zugang zu einem „unabhängigen“ Gericht gehört (Urteile vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 194 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 57).

108    Das Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte, das dem Auftrag des Richters inhärent ist, gehört zum Wesensgehalt des Rechts auf wirksamen Rechtsschutz und des Grundrechts auf ein faires Verfahren, dem als Garant für den Schutz sämtlicher dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte und für die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, u. a. des Wertes der Rechtsstaatlichkeit, grundlegende Bedeutung zukommt (Urteile vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311‚ Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 58).

109    Nach ständiger Rechtsprechung setzen die nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteil vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311‚ Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

110    Dafür sind die Richter vor Interventionen oder Druck von außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, zu schützen. Die für den Status der Richter und die Ausübung ihres Richteramts geltenden Vorschriften müssen es insbesondere ermöglichen, nicht nur jede Form der unmittelbaren Einflussnahme in Form von Weisungen, sondern auch die Formen der mittelbaren Einflussnahme, die zur Steuerung der Entscheidungen der betreffenden Richter geeignet sein könnten, auszuschließen, und damit auszuschließen, dass diese Richter den Eindruck vermitteln, nicht unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 197 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

111    Die unerlässliche Freiheit der Richter von jeglichen Interventionen oder jeglichem Druck von außen erfordert somit insbesondere bestimmte Garantien, die geeignet sind, die mit der Aufgabe des Richtens Betrauten in ihrer Person zu schützen, wie z. B. die Unabsetzbarkeit (Urteil vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 112 und die dort angeführte Rechtsprechung).

112    In Anbetracht der grundlegenden Bedeutung des Grundsatzes der Unabsetzbarkeit ist eine Ausnahme von diesem Grundsatz nur dann statthaft, wenn sie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt und im Hinblick auf dieses Ziel verhältnismäßig ist und sofern sie nicht geeignet ist, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der betreffenden Gerichte für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen. So ist allgemein anerkannt, dass Richter abberufen werden können, wenn sie wegen Dienstunfähigkeit oder einer schweren Verfehlung nicht zur Fortführung ihres Amtes geeignet sind, wobei angemessene Verfahren einzuhalten sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 113 und 115 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

113    Insoweit verlangt nach ständiger Rechtsprechung das Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, dass die Disziplinarregelung für Richter die erforderlichen Garantien aufweist, damit jegliche Gefahr verhindert wird, dass eine solche Regelung als System zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt wird. Regeln, die insbesondere festlegen, welche Verhaltensweisen Disziplinarvergehen begründen und welche Sanktionen konkret anwendbar sind, die die Einschaltung einer unabhängigen Instanz gemäß einem Verfahren vorsehen, das die in den Art. 47 und 48 der Charta niedergelegten Rechte, namentlich die Verteidigungsrechte, in vollem Umfang sicherstellt, und die die Möglichkeit festschreiben, die Entscheidungen der Disziplinarorgane vor Gericht anzufechten, bilden eine Reihe von Garantien, die wesentlich sind, um die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren (Urteile vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 198 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 61).

114    Auch nicht einvernehmliche Versetzungen eines Richters an ein anderes Gericht oder, wie dies im Ausgangsverfahren der Fall war, die nicht einvernehmliche Versetzung eines Richters zwischen zwei Abteilungen desselben Gerichts können potenziell die Grundsätze der Unabsetzbarkeit und der richterlichen Unabhängigkeit verletzen.

115    Solche Versetzungen können nämlich ein Mittel zur Kontrolle des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen sein, da sie nicht nur den Umfang der Befugnisse der betreffenden Richter und die Bearbeitung der ihnen zugewiesenen Fälle beeinflussen können, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Laufbahn und damit entsprechende Wirkungen wie eine Disziplinarstrafe haben können.

116    So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nach Prüfung verschiedener internationaler Rechtsinstrumente, die sich mit der Frage der Versetzung in der Justiz befassen, festgestellt, dass diese Instrumente in der Regel bestätigen, dass es ein Recht von Mitgliedern der Judikative auf Schutz vor willkürlicher Versetzung als logische Folge der richterlichen Unabhängigkeit gibt. Er hat insoweit insbesondere die Bedeutung hervorgehoben, die Verfahrensgarantien und die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen im Zusammenhang mit der Laufbahn von Richtern, einschließlich ihres Status, vor allem von sie betreffenden Entscheidungen über nicht einvernehmliche Versetzungen haben, um zu gewährleisten, dass die Unabhängigkeit der Richter nicht durch unzulässige äußere Einflüsse beeinträchtigt wird (vgl. in diesem Sinne EGMR, 9. März 2021, Bilgen/Türkei, CE:ECHR:2021:0309JUD000157107, § 63 und 96).

117    Nach alledem ist festzustellen, dass das Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit, das sich aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta ergibt, verlangt, dass die für nicht einvernehmliche Versetzungen von Richtern geltende Regelung ebenso wie Disziplinarvorschriften insbesondere die erforderlichen Garantien aufweist, damit jegliche Gefahr verhindert wird, dass diese Unabhängigkeit durch unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen von außen beeinträchtigt wird. Daraus folgt, dass die in Rn. 113 des vorliegenden Urteils hinsichtlich der Disziplinarordnung für Richter angeführten Vorschriften und Grundsätze entsprechend auch für eine solche Versetzungsregelung gelten müssen.

118    Deshalb ist es wesentlich, dass solche Maßnahmen einer nicht einvernehmlichen Versetzung, selbst wenn sie – wie im Kontext des Ausgangsverfahrens – vom Präsidenten des Gerichts, dem der von ihnen betroffene Richter angehört, außerhalb des Rahmens der Disziplinarordnung für Richter getroffen werden, nur aus berechtigten Gründen beschlossen werden dürfen, die insbesondere in der Verteilung der verfügbaren Ressourcen, um eine ordnungsgemäße Rechtspflege gewährleisten zu können, liegen, und dass solche Entscheidungen vor den Gerichten nach einem Verfahren angefochten werden können, das die in den Art. 47 und 48 der Charta verankerten Rechte, insbesondere die Verteidigungsrechte, in vollem Umfang gewährleistet.

119    Zum Hintergrund des Ausgangsverfahrens hat der Rzecznik Praw Obywatelskich (Bürgerbeauftragte, Polen) vor dem Gerichtshof u. a. erstens ausgeführt, dass die von W.Ż. angefochtene Versetzungsentscheidung dessen Ansicht nach eine ungerechtfertigte Zurückstufung darstelle, da W.Ż. von einer im zweiten Rechtszug entscheidenden Zivilkammer des Regionalgerichts in eine im ersten Rechtszug entscheidende Zivilkammer dieses Gerichts versetzt worden sei. Zweitens sei W.Ż. Mitglied und Sprecher der vorherigen KRS und dafür bekannt gewesen, dass er die jüngsten Reformen der polnischen Justiz öffentlich kritisiert habe. Drittens sei der Gerichtspräsident, der die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Versetzung beschlossen habe, vom Justizminister gemäß Art. 24 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit nach freiem Ermessen ernannt worden und habe den früheren Präsidenten dieses Gerichts abgelöst, dessen Amtszeit jedoch noch nicht beendet gewesen sei. Unter Hinweis darauf, dass der Widerspruch von W.Ż. gegen die Versetzungsentscheidung durch die streitige Entschließung für erledigt erklärt worden sei, hat der Bürgerbeauftragte in diesem Zusammenhang außerdem geltend gemacht – und damit die vom vorlegenden Gericht dazu geäußerten Zweifel aufgegriffen –, dass die neue KRS, die diese Entschließung erlassen habe, keine unabhängige Einrichtung sei.

120    Zwar fällt es nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs, wenn er – wie im vorliegenden Fall – um Vorabentscheidung ersucht wird, zu prüfen, inwieweit solche Umstände oder einige von ihnen tatsächlich vorliegen, doch ist es, um die Möglichkeit eines wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über eine nicht einvernehmliche Versetzung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu gewährleisten, in jedem Fall erforderlich, dass ein unabhängiges, unparteiisches und durch Gesetz errichtetes Gericht nach einem Verfahren, das die in den Art. 47 und 48 der Charta verankerten Rechte in vollem Umfang gewährleistet, die Begründetheit dieser Entscheidung und der Entscheidung einer Einrichtung wie der KRS, den Widerspruch gegen die Versetzungsentscheidung für erledigt zu erklären, überprüfen kann.

121    In der vorliegenden Rechtssache möchte das vorlegende Gericht, wie sich aus Rn. 71 des vorliegenden Urteils ergibt, klären, ob das Unionsrecht im Kontext des Ausgangsverfahrens verlangt, dass der streitige Beschluss, mit dem der betreffende Richter den von W.Ż. gegen die streitige Entschließung eingelegten Rechtsbehelf zurückgewiesen hat, in Anbetracht der Umstände, unter denen die Ernennung dieses Richters erfolgt ist, als nicht existent anzusehen ist. Im Einzelnen geht es bei dieser Frage ihrem Wortlaut nach darum, ob der betreffende Richter unter Berücksichtigung dieser Umstände als „unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne des Unionsrechts“ angesehen werden kann.

122    Zu diesen Begriffen geht aus Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta, der, wie bereits in Rn. 102 des vorliegenden Urteils ausgeführt, im Wesentlichen den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes widerspiegelt, auf den sich auch Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV bezieht, hervor, dass jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.

123    Da ferner die in der Charta enthaltenen Rechte den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, soll mit Art. 52 Abs. 3 der Charta die notwendige Kohärenz zwischen den in der Charta enthaltenen Rechten und den durch die EMRK gewährleisteten entsprechenden Rechten geschaffen werden, ohne dass dadurch die Eigenständigkeit des Unionsrechts berührt wird. Nach den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17) entspricht Art. 47 Abs. 2 der Charta Art. 6 Abs. 1 EMRK. Der Gerichtshof muss daher darauf achten, dass seine Auslegung von Art. 47 Abs. 2 der Charta ein Schutzniveau gewährleistet, das das in Art. 6 Abs. 1 EMRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte garantierte Schutzniveau nicht verletzt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Juli 2019, Gambino und Hyka, C‑38/18, EU:C:2019:628, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 72).

124    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat insoweit u. a. festgestellt, dass das in Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierte Recht auf ein „auf Gesetz beruhendes Gericht“ zwar ein eigenständiges Recht ist, aber dennoch sehr eng mit den Garantien der „Unabhängigkeit“ und „Unparteilichkeit“ im Sinne dieser Bestimmung verbunden ist. So hat er insbesondere entschieden, dass mit den institutionellen Erfordernissen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar jeweils ein konkretes Ziel verfolgt wird, das sie zu besonderen Garantien für ein faires Verfahren macht, ihnen aber gemeinsam ist, dass sie auf die Wahrung der grundlegenden Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltenteilung abzielen; jedem dieser Erfordernisse liegt die Notwendigkeit zugrunde, das Vertrauen, das die Justiz beim Einzelnen wecken muss, und die Unabhängigkeit der Justiz gegenüber den anderen Staatsgewalten zu wahren (EGMR, 1. Dezember 2020, Ástráðsson/Island, CE:ECHR:2020:1201JUD002637418, § 231 und 233).

125    Hinsichtlich des Verfahrens zur Ernennung von Richtern hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Einzelnen zudem festgestellt, dass es in Anbetracht seiner grundlegenden Bedeutung für das ordnungsgemäße Funktionieren und die Legitimität der Justiz in einem demokratischen Rechtsstaat zwangsläufig eng mit dem Begriff des auf Gesetz beruhenden Gerichts im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK verbunden ist, und dass die Unabhängigkeit eines Gerichts im Sinne dieser Bestimmung u. a. an der Art und Weise der Ernennung seiner Mitglieder gemessen wird (EGMR, 1. Dezember 2020, Ástráðsson/Island, CE:ECHR:2020:1201JUD002637418, § 227 und 232).

126    Wie der Gerichtshof seinerseits entschieden hat, bilden die Garantien für den Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht, insbesondere diejenigen, die für den Begriff und die Zusammensetzung des Gerichts bestimmend sind, den Grundpfeiler des Rechts auf ein faires Verfahren. Die Überprüfung, ob eine Einrichtung in Anbetracht ihrer Zusammensetzung ein solches Gericht ist, wenn insoweit ein ernsthafter Zweifel besteht, ist im Hinblick auf das Vertrauen erforderlich, das die Gerichte einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtssuchenden wecken müssen (vgl. Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

127    Nach dem für einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung ist die Unabhängigkeit der Gerichte insbesondere gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten (Urteil vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

128    Wie in den Rn. 109 und 110 des vorliegenden Urteils ausgeführt, verlangen die Erfordernisse der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung und die Ernennung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen.

129    Ferner hat der Gerichtshof in Rn. 73 des Urteils vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission (C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232), unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festgestellt, dass die Einfügung des Ausdrucks „auf Gesetz beruhend“ in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verhindern soll, dass die Organisation des Justizsystems in das Ermessen der Exekutive gestellt wird, und dafür sorgen soll, dass dieser Bereich durch ein Gesetz geregelt wird, das von der Legislative im Einklang mit den Vorschriften über die Ausübung ihrer Zuständigkeit erlassen wurde. Dieser Ausdruck spiegelt insbesondere das Rechtsstaatsprinzip wider und umfasst nicht nur die Rechtsgrundlage für die Existenz des Gerichts, sondern auch die Zusammensetzung des Spruchkörpers in jeder Rechtssache sowie alle weiteren Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, deren Nichtbeachtung die Teilnahme eines oder mehrerer Richter an der Verhandlung über die Rechtssache vorschriftswidrig macht, was insbesondere Vorschriften über die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der Mitglieder des betreffenden Gerichts einschließt.

130    Zum Unionsrecht hat der Gerichtshof daher in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entschieden, dass eine bei der Ernennung von Richtern im betroffenen Justizsystem begangene Vorschriftswidrigkeit insbesondere dann einen Verstoß gegen das Erfordernis, dass ein Gericht durch Gesetz errichtet sein muss, darstellt, wenn die Art und Schwere der Vorschriftswidrigkeit dergestalt ist, dass sie die tatsächliche Gefahr begründet, dass andere Teile der Staatsgewalt – insbesondere die Exekutive – ein ihnen nicht zustehendes Ermessen ausüben können, wodurch die Integrität des Ergebnisses des Ernennungsverfahrens beeinträchtigt und so beim Einzelnen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des oder der betreffenden Richter geweckt werden, was der Fall ist, wenn es um Grundregeln geht, die Bestandteil der Errichtung und der Funktionsfähigkeit dieses Justizsystems sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 75).

131    Letztlich wird es Sache des vorlegenden Gerichts sein, unter Berücksichtigung aller in den Rn. 126 bis 130 des vorliegenden Urteils genannten Grundsätze und nach Vornahme der hierfür erforderlichen Beurteilungen über die Frage zu entscheiden, ob die Gesamtheit der Umstände, unter denen die Ernennung des betreffenden Richters erfolgt ist, insbesondere etwaige Unregelmäßigkeiten im Verfahren zu seiner Ernennung, den Schluss zulassen, dass der Spruchkörper, in dem dieser Richter als Einzelrichter den streitigen Beschluss erlassen hat, nicht als „unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht“ im Sinne des Unionsrechts gehandelt hat.

132    Wie im Wesentlichen in Rn. 78 des vorliegenden Urteils ausgeführt, verleiht Art. 267 AEUV dem Gerichtshof nämlich nicht die Befugnis, die Normen des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden, sondern nur die, sich zur Auslegung der Verträge und der Rechtsakte der Unionsorgane zu äußern.

133    Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof aber das Unionsrecht im Rahmen der durch Art. 267 AEUV begründeten Zusammenarbeit zwischen den Gerichten unter Berücksichtigung der Akten auslegen, soweit dies dem innerstaatlichen Gericht bei der Beurteilung der Wirkungen einer unionsrechtlichen Bestimmung dienlich sein könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 201 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

134    Im vorliegenden Fall ergeben sich die Zweifel des vorlegenden Gerichts daran, dass der betreffende Richter ein „unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht“ war, als er den streitigen Beschluss erließ, erstens aus dem Umstand, dass die Ernennung dieses Richters erfolgte, obwohl die Entschließung Nr. 331/2018 der KRS, mit der er zur Ernennung vorgeschlagen wurde, Gegenstand eines beim Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) anhängigen Rechtsbehelfs war, was nach Ansicht des vorlegenden Gerichts zur Folge hat, dass die Ernennung unter Verstoß gegen das anwendbare nationale Recht erfolgt ist.

135    Sowohl die polnische Regierung als auch der Generalstaatsanwalt und die Europäische Kommission haben jedoch insoweit vorgetragen, dass die zum Zeitpunkt der Einlegung des genannten Rechtsbehelfs geltenden nationalen Vorschriften, insbesondere Art. 44 Abs. 1b und 4 des KRS-Gesetzes, ihrem Wortlaut nach nicht darauf schließen ließen, dass ein solcher Rechtsbehelf letztlich dazu führen könnte, dass der Vorschlag für die Ernennung des von der KRS ausgewählten Bewerbers in Frage gestellt würde, und folglich auch nicht zu einem Hindernis für dessen Ernennung.

136    Im Übrigen geht aus der Vorlageentscheidung in der vorliegenden Rechtssache hervor, dass die Beurteilung durch das vorlegende Gericht, dass die Ernennung des betreffenden Richters unter Verstoß gegen die nationalen Bestimmungen über die Ernennung von Richtern erfolgt sei, nicht darauf beruht, dass Art. 44 Abs. 1b und 4 des KRS-Gesetzes im vorliegenden Fall missachtet wurde, sondern vielmehr darauf, dass diese nationale Bestimmung nach Ansicht des vorlegenden Gerichts selbst gegen einige Bestimmungen der Verfassung und des Unionsrechts verstößt.

137    Sollte das vorlegende Gericht unter diesen Umständen letztlich der Auffassung sein, dass der bloße Umstand, dass ein Rechtsbehelf wie der in Rn. 134 des vorliegenden Urteils genannte beim Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) anhängig war, nach dem zum Zeitpunkt der Ernennung des betreffenden Richters geltenden nationalen Recht den Präsidenten der Republik nicht klar an dieser Ernennung hindern konnte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ernennung unter eindeutigem Verstoß gegen die für die Ernennung von Richtern geltenden Grundregeln im Sinne der in Rn. 130 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung erfolgt ist.

138    Das vorlegende Gericht hat aber auch zweitens zum einen darauf hingewiesen, dass die Ernennung des betreffenden Richters unter Verstoß gegen die rechtskräftige Entscheidung des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) erfolgt sei, mit der im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes eine Aussetzung der Vollziehung der Entschließung Nr. 331/2018 angeordnet worden sei, obwohl die Aussetzung nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ein Verbot für den Präsidenten der Republik begründet hat, die Ernennung vorzunehmen.

139    Dazu hat das vorlegende Gericht, wie sich aus Rn. 46 des vorliegenden Urteils ergibt, ausgeführt, dass die Ernennung aus dem genannten Grund unter Verstoß gegen Art. 365 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 391 Abs. 1 und Art. 39821 der Zivilprozessordnung sowie Art. 44 Abs. 3 des KRS-Gesetzes erfolgt sei, die die Befugnis verliehen, solche Maßnahmen im vorläufigen Rechtsschutz zu ergreifen, und unter Verstoß gegen die Art. 7 und 10 der Verfassung über die Trennung und das Gleichgewicht zwischen Exekutive und Judikative und über die Grenzen ihres Handelns.

140    Zum anderen hat das vorlegende Gericht hervorgehoben, dass der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) zum Zeitpunkt der Ernennung des betreffenden Richters zudem die Entscheidung über den gegen die Entschließung Nr. 331/2018 gerichteten Rechtsbehelf ausgesetzt habe, und zwar in Erwartung des Urteils des Gerichtshofs auf die Vorlage zur Vorabentscheidung dieses nationalen Gerichts in der Rechtssache, in der das Urteil A.B. u. a. ergangen sei. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) mit dieser Vorlage zur Vorabentscheidung den Gerichtshof gerade um Klärung der Frage ersucht hat, ob Art. 44 Abs. 1b und 4 des KRS-Gesetzes mit dem Unionsrecht und dem unionsrechtlich garantierten Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf vereinbar ist.

141    Aus dem Vorstehenden folgt zum Ersten, dass bei der Ernennung des betreffenden Richters nicht außer Acht gelassen werden durfte, dass die Wirkungen der Entschließung Nr. 331/2018, mit der seine Ernennung vorgeschlagen wurde, durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) ausgesetzt worden waren. Zum Zweiten war offensichtlich, dass die Aussetzung so lange andauern würde, bis der Gerichtshof über die Frage entschieden hätte, die ihm dieses nationale Gericht mit Entscheidung vom 22. November 2018 in der Rechtssache, in der das Urteil A.B. u. a. ergangen ist, zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte, und dass mit dieser Frage gerade geklärt werden sollte, ob das Unionsrecht Bestimmungen wie Art. 44 Abs. 1b und 4 des KRS-Gesetzes entgegensteht. Unter diesen Umständen war es zum Dritten ebenfalls klar, dass der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts durch die in jener Rechtssache erwartete Antwort des Gerichtshofs verpflichtet sein könnte, diese nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen und gegebenenfalls die Entschließung der KRS in ihrer Gesamtheit aufzuheben.

142    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfordert die volle Wirksamkeit des Unionsrechts, dass ein mit einem nach Unionsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes Gericht einstweilige Anordnungen erlassen kann, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung sicherzustellen. Die praktische Wirksamkeit des mit Art. 267 AEUV geschaffenen Systems würde nämlich beeinträchtigt, wenn ein nationales Gericht, das das Verfahren bis zur Beantwortung seiner Vorlagefrage durch den Gerichtshof aussetzt, nicht so lange einstweiligen Rechtsschutz gewähren könnte, bis es auf der Grundlage der Antwort des Gerichtshofs seine eigene Entscheidung erlässt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Juni 1990, Factortame u. a., C‑213/89, EU:C:1990:257, Rn. 21 und 22, sowie vom 9. November 1995, Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a. [I], C‑465/93, EU:C:1995:369, Rn. 23 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Die Wirksamkeit dieses Systems würde auch dann beeinträchtigt, wenn die Verbindlichkeit dieser einstweiligen Anordnungen insbesondere von einer Behörde des Mitgliedstaats, in dem diese Anordnungen ergangen sind, missachtet werden könnte.

143    Somit hat die Ernennung des betreffenden Richters unter Verstoß gegen die Verbindlichkeit des rechtskräftigen Beschlusses des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) vom 27. September 2018 und ohne das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache, in der das Urteil A.B. u. a. ergangen ist, abzuwarten, die Wirksamkeit des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Systems beeinträchtigt. Im Übrigen hat der Gerichtshof im Tenor seines Urteils A.B. u. a. unter Berufung auf die in den Rn. 156 bis 165 des Urteils dargelegten Erwägungen entschieden, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen ist, dass er Bestimmungen entgegensteht, mit denen die geltende nationale Rechtslage geändert wird und nach denen

–        zum einen die Entscheidung einer Einrichtung wie der KRS, die Bewerbung eines Kandidaten für eine Richterstelle an einem Gericht wie dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) nicht zu berücksichtigen, sondern dem Präsidenten der Republik die Bewerbung anderer Kandidaten vorzulegen, auch dann in dem Teil bestandskräftig wird, mit dem die anderen Kandidaten vorgeschlagen werden, wenn der abgelehnte Kandidat einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung einlegt, so dass dieser Rechtsbehelf der Ernennung der anderen Kandidaten durch den Präsidenten der Republik nicht entgegensteht und die etwaige Aufhebung der Entscheidung in dem Teil, mit dem der Rechtsbehelfsführer nicht zur Ernennung vorgeschlagen wird, nicht zu einer neuen Beurteilung der Lage des Rechtsbehelfsführers im Hinblick auf eine etwaige Besetzung der betreffenden Stelle führen kann, und

–        zum anderen ein solcher Rechtsbehelf nicht damit begründet werden kann, dass nicht zutreffend beurteilt worden sei, ob die Kandidaten die Kriterien erfüllen, die bei der Entscheidung über die Einreichung des Ernennungsvorschlags berücksichtigt werden,

wenn sich herausstellt, dass diese Bestimmungen geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der auf der Grundlage der Entschließungen der KRS vom Präsidenten der Republik ernannten Richter für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und dass die Bestimmungen daher dazu führen können, dass diese Richter nicht den Eindruck vermitteln, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss.

144    Im Urteil A.B. u. a. hat der Gerichtshof außerdem entschieden, dass im Fall eines erwiesenen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er das vorlegende Gericht verpflichtet, diese Bestimmungen zugunsten der Anwendung der zuvor geltenden nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen und die in diesen letztgenannten Bestimmungen vorgesehene gerichtliche Kontrolle selbst auszuüben.

145    Drittens hat das vorlegende Gericht, wie aus Rn. 49 des vorliegenden Urteils hervorgeht, in Bezug auf die Umstände, unter denen der betreffende Richter auf der Grundlage der Entschließung Nr. 331/2018 ernannt wurde, auch Zweifel an der Unabhängigkeit der KRS geäußert, die diesen zur Ernennung vorgeschlagen hatte.

146    Diese Zweifel ergaben sich zum einen daraus, dass die in Art. 187 Abs. 3 der Verfassung vorgesehene Amtszeit von vier Jahren für einige vorherige Mitglieder der KRS verkürzt wurde, zum anderen daraus, dass infolge der jüngsten Änderungen des KRS-Gesetzes die fünfzehn Mitglieder der KRS aus der Richterschaft, die zuvor von ihren Kollegen gewählt worden waren, im Fall der neuen KRS von einem Teil der polnischen Legislative ausgewählt wurden, so dass 23 der 25 Mitglieder der KRS in der neuen Zusammensetzung von der polnischen Exekutive und Legislative ausgewählt wurden oder diesen angehören.

147    Insoweit hat der Gerichtshof in mehreren kürzlich ergangenen Urteilen bereits klargestellt, dass der bloße Umstand, dass die betreffenden Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vom Präsidenten der Republik ernannt werden, keine Abhängigkeit dieser Richter von ihm schaffen oder Zweifel an ihrer Unparteilichkeit aufkommen lassen kann, wenn sie nach ihrer Ernennung keinem Druck ausgesetzt sind und bei der Ausübung ihres Amtes keinen Weisungen unterliegen (Urteile vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 133, A.B. u. a., Rn. 122, sowie vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 97).

148    In diesen Urteilen hat der Gerichtshof jedoch auch darauf hingewiesen, dass sicherzustellen ist, dass die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten für den Erlass der Ernennungsentscheidungen so beschaffen sind, dass sie bei den Rechtsunterworfenen, sind die betreffenden Richter erst einmal ernannt, keine berechtigten Zweifel an deren Unempfänglichkeit für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen lassen, und dass dafür die genannten Voraussetzungen und Modalitäten u. a. so ausgestaltet sein müssen, dass sie den in den Rn. 109 und 110 des vorliegenden Urteils genannten Erfordernissen genügen (Urteile vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 134, A.B. u. a., Rn. 123, sowie vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung).

149    Nach einem Hinweis darauf, dass die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) gemäß Art. 179 der Verfassung vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag der KRS ernannt werden, die gemäß Art. 186 der Verfassung die Aufgabe hat, über die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter zu wachen, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Einschaltung einer solchen Einrichtung im Verfahren zur Ernennung von Richtern grundsätzlich zur Objektivierung dieses Verfahrens beitragen kann, indem es den Handlungsspielraum des Präsidenten der Republik bei der Ausübung der ihm übertragenen Befugnisse einschränkt; er hat jedoch zugleich klargestellt, dass dies u. a. nur insoweit gilt, als diese Einrichtung selbst von der Legislative und der Exekutive sowie dem Organ, dem es einen solchen Ernennungsvorschlag übermitteln soll, hinreichend unabhängig ist (Urteile vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 136 bis 138, A.B. u. a., Rn. 124 und 125, sowie vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 99 und 100 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

150    Der Gerichtshof hat unlängst entschieden, dass die beiden in Rn. 146 des vorliegenden Urteils erwähnten, vom vorlegenden Gericht genannten Umstände in Verbindung mit der Tatsache, dass sie in einem Kontext auftraten, in dem erwartet wurde, dass in Kürze zahlreiche Stellen beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) zu besetzen sein würden, berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit der KRS und ihrer Rolle in dem Ernennungsverfahren aufkommen lassen konnten, das zu Ernennungen zu Richtern am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) führen sollte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 104 bis 108).

151    Viertens ist in Bezug auf die besonderen Umstände, unter denen der betreffende Richter vom Präsidenten der Republik zum Richter der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten ernannt wurde und anschließend den streitigen Beschluss erlassen hat, festzustellen, dass der Vorlageentscheidung als Erstes zu entnehmen ist, dass die Ernennung erfolgte und der Beschluss erlassen wurde, obwohl dem Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) im Kontext des Ausgangsverfahrens ein Antrag auf Ablehnung aller damals in der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten tätigen Richter vorlag. Als Zweites geht aus der Vorlageentscheidung auch hervor, dass sich die Begründung des Ablehnungsantrags u. a. auf die Umstände bezog, unter denen die Ernennung der Richter dieser Kammer erfolgt war, d. h. auf Umstände, die in vielerlei Hinsicht den Umständen der Ernennung des betroffenen Richters selbst ähnelten.

152    Zusammen betrachtet können die in den Rn. 138 bis 151 des vorliegenden Urteils genannten Umstände vorbehaltlich der insoweit vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden abschließenden Würdigung zum einen den Schluss zulassen, dass die Ernennung des betreffenden Richters unter offensichtlicher Missachtung der Grundregeln des Verfahrens für die Ernennung von Richtern am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) erfolgt ist, die Bestandteil der Errichtung und der Funktionsfähigkeit des betroffenen Justizsystems im Sinne der in Rn. 130 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsprechung sind.

153    Unter demselben Vorbehalt kann das vorlegende Gericht zum anderen aus all diesen Umständen auch den Schluss ziehen, dass die Bedingungen, unter denen die Ernennung des betreffenden Richters erfolgt ist, die Integrität des Ergebnisses des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ernennungsverfahrens beeinträchtigt haben, indem sie nicht nur dazu beigetragen haben, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit dieses Richters für äußere Faktoren und an seiner Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, sondern auch dazu, dass dieser Richter nicht den Eindruck vermittelt, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss.

154    Kommt das vorlegende Gericht zu solchen Ergebnissen, wird davon auszugehen sein, dass die Umstände, unter denen die Ernennung des betreffenden Richters erfolgt ist, im vorliegenden Fall der Erfüllung des Erfordernisses aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV entgegenstehen können, wonach es sich bei einem Spruchkörper, wenn er wie derjenige, in dem im vorliegenden Fall der betreffende Richter als Einzelrichter entschieden hat, über eine nicht einvernehmliche Versetzung eines Richters zu entscheiden hat, der wie W.Ż. mit der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts befasst werden kann, um ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne dieser Bestimmung handeln muss.

155    In diesem Fall wird es auch noch Sache des vorlegenden Gerichts sein, in seinen Antworten auf die ihm vom Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in der Besetzung mit drei Richtern gestellten Fragen klarzustellen, dass das letztgenannte Gericht den streitigen Beschluss nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts als nicht existent anzusehen hat, ohne dass eine Bestimmung des nationalen Rechts dem entgegenstehen könnte.

156    Nach ständiger Rechtsprechung besagt nämlich der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, dass das Unionsrecht dem Recht der Mitgliedstaaten vorgeht. Dieser Grundsatz verpflichtet daher alle mitgliedstaatlichen Stellen, den verschiedenen unionsrechtlichen Vorschriften volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten die diesen Vorschriften zuerkannte Wirkung in ihrem Hoheitsgebiet nicht beeinträchtigen darf (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 244 und die dort angeführte Rechtsprechung).

157    Somit kann nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass sich ein Mitgliedstaat auf Bestimmungen des nationalen Rechts beruft, auch wenn sie Verfassungsrang haben. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Wirkungen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts für alle Einrichtungen eines Mitgliedstaats verbindlich, ohne dass dem insbesondere die innerstaatlichen Bestimmungen, auch wenn sie Verfassungsrang haben, entgegenstehen könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 245 und die dort angeführte Rechtsprechung).

158    Insbesondere ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet, jede nationale Bestimmung, die einer Bestimmung des Unionsrechts, die in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit unmittelbare Wirkung hat, entgegensteht, unangewendet zu lassen (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 248 und die dort angeführte Rechtsprechung).

159    Somit wird der Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in der Besetzung mit drei Richtern in Anbetracht dessen, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV den Mitgliedstaaten eine klare und präzise Ergebnispflicht auferlegt, die in Bezug auf die Unabhängigkeit, die die zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts berufenen Gerichte aufweisen müssen, unbedingt ist, verpflichtet sein, im Rahmen seiner Zuständigkeiten die volle Wirksamkeit dieser Bestimmung zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 250 und die dort angeführte Rechtsprechung), was im vorliegenden Fall – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht noch vorzunehmenden Beurteilung – unter Berücksichtigung der Ausführungen in Rn. 39 des vorliegenden Urteils erfordern wird, dass der streitige Beschluss als nicht existent angesehen wird.

160    Insoweit ist noch darauf hinzuweisen, dass, wenn das vorlegende Gericht zu der Auffassung gelangt, dass ein solcher Beschluss von einem Spruchkörper erlassen wurde, der kein unabhängiges, unparteiisches und durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne des Unionsrechts ist, im vorliegenden Fall keine Erwägung, die auf dem Grundsatz der Rechtssicherheit beruht oder mit einer behaupteten Rechtskraft zusammenhängt, mit Erfolg geltend gemacht werden kann, um ein Gericht wie den Sąd Najwyższy (Izba Cywilna) (Oberstes Gericht [Zivilkammer]) in der Besetzung mit drei Richtern daran zu hindern, einen solchen Beschluss als nicht existent anzusehen.

161    Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen sind, dass ein nationales Gericht, das mit einem Ablehnungsantrag im Zusammenhang mit einem Rechtsbehelf befasst ist, mit dem ein Richter, der in einem Gericht tätig ist, das Unionsrecht auslegen und anwenden kann, eine Entscheidung anficht, durch die er ohne seine Zustimmung versetzt wurde, einen Beschluss als nicht existent anzusehen hat, mit dem ein letztinstanzlich und in Einzelrichterbesetzung entscheidender Spruchkörper diesen Rechtsbehelf zurückgewiesen hat, wenn eine solche Folge in Anbetracht der in Rede stehenden Verfahrenslage unerlässlich ist, um den Vorrang des Unionsrechts zu gewährleisten, und wenn sich aus der Gesamtheit der Bedingungen und Umstände, unter denen das Verfahren zur Ernennung dieses Einzelrichters stattgefunden hat, ergibt, dass die Ernennung unter offensichtlicher Verletzung der Grundregeln erfolgt ist, die Bestandteil der Errichtung und der Funktionsfähigkeit des betroffenen Justizsystems sind, und dass die Integrität des Ergebnisses dieses Ernennungsverfahrens dadurch gefährdet ist, dass bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des betreffenden Richters geweckt werden, so dass der genannte Beschluss nicht als von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erlassen angesehen werden kann.

 Kosten

162    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts sind dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, das mit einem Ablehnungsantrag im Zusammenhang mit einem Rechtsbehelf befasst ist, mit dem ein Richter, der in einem Gericht tätig ist, das Unionsrecht auslegen und anwenden kann, eine Entscheidung anficht, durch die er ohne seine Zustimmung versetzt wurde, einen Beschluss als nicht existent anzusehen hat, mit dem ein letztinstanzlich und in Einzelrichterbesetzung entscheidender Spruchkörper diesen Rechtsbehelf zurückgewiesen hat, wenn eine solche Folge in Anbetracht der in Rede stehenden Verfahrenslage unerlässlich ist, um den Vorrang des Unionsrechts zu gewährleisten, und wenn sich aus der Gesamtheit der Bedingungen und Umstände, unter denen das Verfahren zur Ernennung dieses Einzelrichters stattgefunden hat, ergibt, dass die Ernennung unter offensichtlicher Verletzung der Grundregeln erfolgt ist, die Bestandteil der Errichtung und der Funktionsfähigkeit des betroffenen Justizsystems sind, und dass die Integrität des Ergebnisses dieses Ernennungsverfahrens dadurch gefährdet ist, dass bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des betreffenden Richters geweckt werden, so dass der genannte Beschluss nicht als von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erlassen angesehen werden kann.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Polnisch.