Language of document : ECLI:EU:C:2021:151

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

25. Februar 2021(*)

„Rechtsmittel – Antrag auf Zulassung als Streithelfer – Berufsverband – Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits – Zulassung“

In der Rechtssache C‑621/20 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 20. November 2020,

Einheitlicher Abwicklungsausschuss (SRB), vertreten durch K.‑P. Wojcik, P. A. Messina, J. Kerlin und H. Ehlers als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte H.‑G. Kamann und P. Gey sowie von F. Louis, avocat,

Rechtsmittelführer,

andere Parteien des Verfahrens:

Landesbank Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H. Berger und M. Weber,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Europäische Kommission, vertreten durch D. Triantafyllou, A. Nijenhuis, V. Di Bucci und A. Steiblytė als Bevollmächtigte,

Streithelferin im ersten Rechtszug,


erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

auf Vorschlag des Berichterstatters L. Bay Larsen,

nach Anhörung des Generalanwalts J. Richard de la Tour

folgenden

Beschluss

1        Mit seinem Rechtsmittel beantragt der Einheitliche Abwicklungsausschuss (SRB) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 23. September 2020, Landesbank Baden-Württemberg/SRB (T‑411/17, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2020:435), mit dem das Gericht den Beschluss der Präsidiumssitzung des SRB vom 11. April 2017 über die Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge zum Einheitlichen Abwicklungsfonds für 2017 (SRB/ES/SRF/2017/05) für nichtig erklärt hat, soweit er die Landesbank Baden-Württemberg betrifft.

2        Mit Schriftsatz, der am 29. Januar 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Fédération bancaire française nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Landesbank Baden-Württemberg zugelassen zu werden.

3        Mit Schriftsätzen, die am 1., 2. bzw. 8. Februar 2021 bei der Kanzlei eingegangen sind, haben die Europäische Kommission, die Landesbank Baden-Württemberg und der SRB schriftliche Stellungnahmen zu diesem Antrag abgegeben.

 Zum Antrag auf Zulassung zur Streithilfe

 Zur Begründetheit des Antrags auf Zulassung zur Streithilfe

4        Nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann einem beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreit beitreten, wer ein berechtigtes Interesse an dessen Ausgang glaubhaft macht.

5        Nach ständiger Rechtsprechung kann insoweit ein repräsentativer Berufsverband, der als Zweck den Schutz der Interessen seiner Mitglieder hat, als Streithelfer zugelassen werden, wenn der Rechtsstreit Grundsatzfragen aufwirft, die sich auf diese Interessen auswirken können (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 27. Februar 2019, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:174, Rn. 10, sowie vom 1. Oktober 2019, Kommission/Ville de Paris u. a., C‑179/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:836, Rn. 7).

6        Insoweit ist erstens festzustellen, dass die Fédération bancaire française zur Stützung ihres Antrags auf Zulassung zur Streithilfe u. a. geltend macht, sie vertrete alle in Frankreich niedergelassenen Banken, einschließlich der Tochterunternehmen und Zweigstellen von Banken mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittländern, und insbesondere die sechs wichtigsten französischen Banknetze. Im Übrigen geht aus der dem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe beigefügten Satzung dieses Verbands hervor, dass die Zentralinstitute von fünf dieser Netze Mitglieder seines Exekutivausschusses sind.

7        Des Weiteren führt die Fédération bancaire française aus, dass sie Ansprechpartnerin des SRB und der Kommission in Bezug auf die Modalitäten der Berechnung der Beiträge zum Einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) sei, was in den schriftlichen Stellungnahmen des SRB und der Kommission nicht bestritten worden ist.

8        Die Fédération bancaire française kann daher in Anbetracht dessen, dass sie alle Hauptakteure des Bankensektors eines Mitgliedstaats sowie zahlreiche Tochterunternehmen und Zweigstellen von Banken mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittländern vereinigt, als repräsentativer Berufsverband im Sinne der in Rn. 5 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung angesehen werden.

9        Zweitens sieht die Satzung der Fédération bancaire française vor, dass diese u. a. zum Ziel hat, im Interesse ihrer Mitglieder die Bank- und Finanztätigkeit zu fördern, die Positionen und Stellungnahmen des Bank- und Finanzgewerbes gegenüber öffentlichen Stellen im weitesten Sinne zu vertreten und Gerichtsverfahren zum Schutz oder zur Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder einzuleiten.

10      Daraus folgt, dass der Zweck der Fédération bancaire française im Schutz der Interessen ihrer Mitglieder besteht.

11      Drittens ist festzustellen, dass die vorliegende Rechtssache u. a. die Frage nach der Gültigkeit verschiedener Bestimmungen aufwirft, mit denen wesentliche Aspekte der Methode zur Berechnung der Beiträge zum SRF festgelegt werden sollen. In diesem Zusammenhang geht aus dem angefochtenen Urteil hervor, dass der rechtliche Rahmen, der diese Methode festlegt, geändert werden müsste, um eine Berechnung dieser Beiträge ohne Verstoß gegen die Begründungspflicht und das Recht auf effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen.


12      Da feststeht, dass zumindest ein Teil der Mitglieder der Fédération bancaire française der Verpflichtung unterliegt, jährlich Beiträge zum SRF zu entrichten, kann sich die Antwort auf die in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfene Grundsatzfrage auf die Interessen dieser Mitglieder auswirken.

13      In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist festzustellen, dass die Fédération bancaire française das Vorliegen eines berechtigten Interesses am Ausgang des beim Gerichtshof im Rahmen der vorliegenden Rechtssache anhängigen Rechtsstreits rechtlich hinreichend glaubhaft gemacht hat.

14      Folglich ist die Fédération bancaire française im vorliegenden Rechtsstreit als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Landesbank Baden-Württemberg zuzulassen.

 Zu den Verfahrensrechten der Streithelferin

15      Zunächst ist festzustellen, dass die Fédération bancaire française gemäß Art. 131 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der gemäß deren Art. 190 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, Anspruch auf Übermittlung aller den Parteien zugestellten Verfahrensschriftstücke hat, mit Ausnahme der geheimen oder vertraulichen Belegstücke oder Dokumente, die von der Übermittlung ausgenommen sind.

16      Mit Schriftsatz, der am 10. Februar 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Landesbank Baden-Württemberg aber beantragt, Anlage 8 der Rechtsmittelschrift des SRB sowie Fn. 37 der von ihr eingereichten Rechtsmittelbeantwortung und Anlage 5 ihrer Stellungnahme zum Antrag, die Rechtssache dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, gegenüber der Fédération bancaire française vertraulich zu behandeln. Des Weiteren hat der SRB mit Schriftsatz, der am 11. Februar 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, beantragt, Anlage 8 seiner Rechtsmittelschrift gegenüber der Fédération bancaire française vertraulich zu behandeln. Zu diesem Zweck haben die Landesbank Baden-Württemberg und der SRB nicht vertrauliche Fassungen dieser Dokumente vorgelegt.

17      Da die genannten Dokumente tatsächlich vertrauliche Informationen betreffend die wirtschaftliche Situation der Landesbank Baden-Württemberg und die Berechnung der Höhe ihres Beitrags zum SRF enthalten, ist diesen Anträgen stattzugeben.

18      Sodann ist darauf hinzuweisen, dass Streithelfer nach Art. 129 Abs. 3 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 190 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, den Rechtsstreit in der Lage annehmen müssen, in der dieser sich zum Zeitpunkt des Streitbeitritts befindet, und dass im vorliegenden Fall die Rechtssache C‑621/20 P dem beschleunigten Verfahren unterworfen worden ist.

19      Schließlich ist festzustellen, dass sich aus Art. 134 Abs. 2 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 190 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ergibt, dass Streithelfer, wenn eine Rechtssache dem beschleunigten Verfahren unterworfen wird, nur dann einen Streithilfeschriftsatz einreichen können, wenn der Präsident dies nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts für erforderlich hält.

20      Im vorliegenden Fall erscheint es im Hinblick auf die Gewährleistung einer zügigen Behandlung der vorliegenden Rechtssache und da die Fédération bancaire française ihre Argumente in der mündlichen Verhandlung, die nach Art. 135 der Verfahrensordnung anzuberaumen ist, vorbringen kann, nicht erforderlich, der Fédération bancaire française die Einreichung eines Streithilfeschriftsatzes zu gestatten.

 Kosten

21      Nach Art. 137 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, wird über die Kosten im Endurteil oder in dem das Verfahren beendenden Beschluss entschieden.

22      Da im vorliegenden Fall dem Antrag der Fédération bancaire française auf Zulassung zur Streithilfe stattgegeben wird, ist die Entscheidung über die mit ihrer Streithilfe verbundenen Kosten vorzubehalten.

Aus diesen Gründen hat der Präsident des Gerichtshofs beschlossen:

1.      Die Fédération bancaire française wird in der Rechtssache C621/20 P als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Landesbank Baden-Württemberg zugelassen.

2.      Anlage 8 der Rechtsmittelschrift des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB) sowie Fn. 37 der Rechtsmittelbeantwortung der Landesbank Baden-Württemberg und Anlage 5 der Stellungnahme der Letztgenannten zum Antrag, die Rechtssache dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, sind gegenüber der Fédération bancaire française vertraulich zu behandeln.

3.      Der Fédération bancaire française wird eine Kopie sämtlicher Verfahrensschriftstücke mit Ausnahme der vertraulichen Fassungen dieser Rechtsmittelbeantwortung und dieser Anlagen durch den Kanzler zugestellt.

4.      Die nicht vertraulichen Fassungen der genannten Rechtsmittelbeantwortung und der genannten Anlagen werden der Fédération bancaire française durch den Kanzler zugestellt.

5.      Die Fédération bancaire française kann in der mündlichen Verhandlung Stellung nehmen.

6.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 25. Februar 2021

Der Kanzler

 

Der Präsident

A. Calot Escobar

 

K. Lenaerts


*      Verfahrenssprache: Deutsch.