Language of document : ECLI:EU:C:2004:553

Conclusions

SCHLUSSANTRÄGE DER FRAU GENERALANWALT
CHRISTINE STIX-HACKL
vom 23. September 2004(1)



Rechtssache C-26/03



Stadt Halle

RPL Recyclingpark Lochau GmbH

Arbeitsgemeinschaft Thermische Restabfall- und Energieverwertungsanlage TREA Leuna


(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Naumburg [Deutschland])


„Richtlinie 89/665/EWG – Direktvergabe – Rechtsschutz gegen die Nichtdurchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens – Richtlinie 92/50/EWG – In-House-Vergabe“






I – Einleitung

1.       In diesem Vorabentscheidungsverfahren geht es im Wesentlichen um folgende zwei Rechtsprobleme des Vergaberechts: den Rechtsschutz gegen die Direktvergabe, d. h. die Nichtdurchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens, und die Voraussetzungen für die Ausnahme für so genannte Quasi-In-House-Vergaben. Letzteres betrifft die Auslegung des Urteils in der Rechtssache Teckal (2) .

II – Rechtlicher Rahmen

2.       Die Vorlagefragen betreffen erstens die Auslegung der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (3) (im Folgenden: Richtlinie 89/665) und zweitens die Auslegung der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (4) (im Folgenden: Richtlinie 92/50).

3.       Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665 lautet in der geltenden Fassung:

„Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinien 71/305/EWG, 77/62/EWG und 92/50/EWG fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge die Entscheidungen der Vergabebehörden wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der nachstehenden Artikel, insbesondere von Artikel 2 Absatz 7, auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.“

4.       Artikel l Buchstabe a der Richtlinie 92/50 lautet auszugsweise:

„Im Sinne dieser Richtlinie

a)
gelten als ‚öffentliche Dienstleistungsaufträge‘ die zwischen einem Dienstleistungserbringer und einem öffentlichen Auftraggeber geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge, ...“

5.       Schließlich wurde im Ausgangsverfahren auch auf die Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (5) (im Folgenden: Richtlinie 93/38) Bezug genommen. Deren Artikel 13 Absatz 1 lautet:

„(1) Diese Richtlinie gilt nicht für Dienstleistungsaufträge,

a)
die ein Auftraggeber an ein mit ihm verbundenes Unternehmen vergibt;

b)
die ein gemeinsames Unternehmen, das mehrere Auftraggeber zur Durchführung von Tätigkeiten im Sinne des Artikels 2 Absatz 2 gebildet haben, an einen dieser Auftraggeber oder an ein Unternehmen vergibt, das mit einem dieser Auftraggeber verbunden ist,

sofern mindestens 80 % des von diesem Unternehmen während der letzten drei Jahre in der Gemeinschaft erzielten durchschnittlichen Umsatzes im Dienstleistungssektor aus der Erbringung dieser Dienstleistungen für die mit ihm verbundenen Unternehmen stammen.

Werden die gleiche Dienstleistung oder gleichartige Dienstleistungen von mehr als einem mit dem Auftraggeber verbundenen Unternehmen erbracht, ist der Gesamtumsatz in der Gemeinschaft zu berücksichtigen, der sich für diese Unternehmen aus der Erbringung von Dienstleistungen ergibt.“

III – Sachverhalt und Ausgangsverfahren

6.       Die Stadt Halle begann im Frühjahr 2001 mit Planungen, die auf eine Vorbehandlung, Verwertung bzw. Beseitigung ihrer überlassungspflichtigen und eventuell auch ihrer nicht überlassungspflichtigen Abfälle durch einen kommunal dominierten Vorhabenträger gerichtet waren. Mit Beschluss vom 12. Dezember 2001 beauftragte die Stadt Halle die RPL Recyclingpark Lochau GmbH (im Folgenden: RPL) mit der planerischen, genehmigungstechnischen und baulichen Umsetzung der Errichtung der Thermischen Abfallbeseitigungs- und Verwertungsanlage in Lochau (im Folgenden: TABVA). Zugleich beschloss die Stadt Halle, mit der RPL ohne vorherige Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens Verhandlungen über einen Vertrag über die Entsorgung der Restabfälle der Stadt Halle mit Wirkung ab dem 1. Juni 2005 aufzunehmen. Der bereits im Entwurf vorliegende Vertrag würde den Schwellenwert für solche Dienstleistungsaufträge bei weitem übersteigen. Die Stadt Halle beabsichtigt darüber hinaus, zur Gewährleistung der Mengenauslastung der Anlage mit zwei umliegenden Landkreisen Zweckvereinbarungen abzuschließen, wonach diese Gebietskörperschaften der Stadt Halle die Aufgabe der Abfallbehandlung und -verwertung zur Erfüllung übertragen, sodass letztlich die Behandlung der Restabfälle dieser Landkreise ebenfalls in der TABVA der RPL erfolgen soll. Die Stadt Halle geht davon aus, dass es sich insoweit um ein nicht der Ausschreibungspflicht unterfallendes „In-House-Geschäft“ handelt.

7.       RPL ist eine seit 1996 bestehende Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Gesellschafter der RPL sind zu 75,1 % die Stadtwerke Halle GmbH, an deren Alleingesellschafterin, der Verwaltungsgesellschaft für Versorgungs- und Verkehrsbetriebe der Stadt Halle mbH, die Stadt Halle eine 100%ige Beteiligung hält, sowie zu 24,9 % die RWE Umwelt Sachsen-Anhalt GmbH, ein privates Unternehmen. Die jetzigen Beteiligungsverhältnisse sind erst Ende 2001 im Zusammenhang mit der beabsichtigten Vergabe von Abfallentsorgungsleistungen ab dem 1. Juni 2005 im Gesellschaftsvertrag vereinbart worden. Gegenstand des Unternehmens von RPL ist nach dem Gesellschaftsvertrag der Betrieb von Recycling- und Abfallentsorgungsanlagen, insbesondere der Betrieb von Anlagen zur Kompostierung von Bioabfällen, zur Aufbereitung von Baustellenmischabfällen und Gewerbeabfällen, der Bau und Betrieb von Anlagen zur Klärschlammbehandlung und -verwertung, zur Verwertung von Sickerwasser, Deponie- und Biogas sowie zur thermischen Abfallbehandlung.

8.       Nach dem Gesellschaftsvertrag sind die Beschlüsse der Gesellschafter mit einfacher Mehrheit und bei bestimmten Entscheidungen, darunter bei der Bestellung der beiden Geschäftsführer der Gesellschaft, mit qualifizierter Mehrheit von 75 % der Stimmen zu fassen. Die Geschäftsführung hat den Gesellschaftern monatlich Bericht entsprechend der Regelungen für das Berichtswesen innerhalb der Stadtwerke Halle GmbH zu erstatten. Einzelne Rechtsgeschäfte und Maßnahmen, darunter der Abschluss bzw. die Änderung von Betreiberverträgen, die Vornahme von Investitionen sowie die Aufnahme von Darlehen jeweils ab einem bestimmten Volumen, unterliegen der Zustimmungspflicht durch die Gesellschafterversammlung. Derzeit ist die kaufmännische und technische Betriebsführung von RPL vertraglich auf ein drittes Unternehmen übertragen. Aufsichtsratstypische Kontrollfunktionen werden durch den Aufsichtsrat der Stadtwerke Halle GmbH wahrgenommen. Der Stadt Halle stehen nach dem Gesellschaftsvertrag im Hinblick auf den Jahresabschluss insbesondere die Befugnisse zur Rechnungsprüfung und zur unmittelbaren Information der Rechnungsprüfungsbehörde der Stadt Halle zu.

9.       Die Arbeitsgemeinschaft Thermische Restabfall- und Energieverwertungsanlage TREA Leuna (im Folgenden: TREA) hat gegenüber der Stadt Halle mit Schreiben vom 21. Dezember 2001 und vom 30. Januar 2002 gerügt, dass die Voraussetzungen eines „In-House-Geschäftes“ nicht vorlägen und dass daher die Absicht der Antragsgegnerin, Abfallentsorgungsleistungen ab dem 1. Juni 2005 ohne förmliche Ausschreibung zu vergeben, vergaberechtswidrig sei. Die Stadt Halle hat mit Schreiben vom 7. Februar 2002 sowie in einem Gespräch am 19. Februar 2002 bestätigt, dass sie an ihrer Rechtsansicht festhalte. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2001 hat TREA die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer beim Regierungspräsidium Halle mit dem Ziel beantragt, dass die Stadt Halle verpflichtet werden möge, eine öffentliche Ausschreibung durchzuführen. Die Vergabekammer beim Regierungspräsidium Halle hat durch Beschluss vom 27. Mai 2002 der Stadt Halle aufgegeben, anstehende Dienstleistungen – „Entsorgung der Restabfälle der Stadt Halle ab dem 1. Juni 2005“ – im Wettbewerb und im Wege eines transparenten Vergabeverfahrens nach der nationalen Verdingungsordnung zu vergeben.

10.     Gegen diese Entscheidung haben die Stadt Halle sowie RPL sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Naumburg erhoben.

IV – Die Vorlagefragen

11.     Das Oberlandesgericht Naumburg hat das Beschwerdeverfahren ausgesetzt und an den Gerichtshof folgende Vorlagefragen gerichtet:

1.
Verlangt Artikel 1 Absatz 1 S. 1 RMKR von den Mitgliedstaaten die Sicherstellung einer wirksamen und möglichst raschen Nachprüfungsmöglichkeit der Entscheidung der Vergabebehörde, einen öffentlichen Auftrag nicht in einem Verfahren zu vergeben, das den Bestimmungen der Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge angepasst ist?

2.
Verlangt Artikel 1 Absatz 1 S. 1 RMKR von den Mitgliedstaaten auch die Sicherstellung einer wirksamen und möglichst raschen Nachprüfungsmöglichkeit der Entscheidungen der Vergabebehörden im Vorfeld einer förmlichen Ausschreibung, insbesondere der Entscheidung der Vorfragen, ob ein bestimmter Beschaffungsvorgang überhaupt in den persönlichen bzw. sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge fällt bzw. ob ausnahmsweise ein Ausschluss des Vergaberechts vorliegt?

3.
Für den Fall der Bejahung der Vorlagefrage 1 und der Verneinung der Vorlagefrage 2: Genügt ein Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Sicherstellung einer wirksamen und möglichst raschen Nachprüfungsmöglichkeit der Entscheidung der Vergabebehörde, einen öffentlichen Auftrag nicht in einem Verfahren zu vergeben, das den Bestimmungen der Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge angepasst ist, wenn der Zugang zum Nachprüfungsverfahren vom Erreichen eines bestimmten formellen Stadiums des Beschaffungsvorgangs, z. B. vom Beginn mündlicher oder schriftlicher Vertragsverhandlungen mit einem Dritten, abhängig gemacht wird?

4.
Ausgehend davon, dass ein öffentlicher Auftraggeber, wie etwa eine Gebietskörperschaft, beabsichtigt, mit einer Einrichtung, die sich formal von ihm unterscheidet – im Folgenden: der Vertragspartner –, einen schriftlichen entgeltlichen Vertrag über Dienstleistungen zu schließen, der der DKR unterfallen würde, und weiter ausgehend davon, dass dieser Vertrag ausnahmsweise dann kein öffentlicher Dienstleistungsauftrag i. S. v. Artikel 1 lit. a DKR ist, wenn der Vertragspartner der öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers zuzurechnen ist – im Folgenden: vergabefreies Eigengeschäft –, möchte der Senat wissen, ob die Einordnung eines solchen Vertrages als vergabefreies Eigengeschäft stets durch die bloße gesellschaftsrechtliche Beteiligung eines privaten Unternehmens am Vertragspartner ausgeschlossen ist?

5.
Für den Fall der Verneinung der Vorlagefrage 4: Unter welchen Voraussetzungen ist ein Vertragspartner mit einer privaten gesellschaftsrechtlichen Beteiligung – im Folgenden: Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand – der öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers zuzurechnen? Hierzu insbesondere:

a)
Genügt für eine Zurechnung einer Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand zum Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers unter dem Aspekt der Ausgestaltung und Intensität der Kontrolle dessen „Beherrschung“ durch den öffentlichen Auftraggeber, etwa im Sinne von Artikel 1 Nr. 2 und Artikel 13 Absatz 1 der Richtlinie 93/38/EWG des Rates zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vom 14. Juni 1993 (ABl. 1993, L 199, S. 84), geändert durch Beitrittsakte 1994 (ABl. C 241 vom 29. August 1994, S. 228) sowie durch die Richtlinie 98/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 101 vom 16. Februar 1998, S. 1) – im Folgenden: Sektorenkoordinierungsrichtlinie (SKR) –?

b)
Schließt jedwede rechtlich mögliche Einflussnahme des privaten Mitgesellschafters der Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand auf die strategischen Zielsetzungen des Vertragspartners und/oder auf die Einzelentscheidungen bei der Leitung des Unternehmens dessen Zurechnung zum Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers aus?

c)
Genügt für die Zurechnung einer Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand zum Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers unter dem Aspekt der Ausgestaltung und Intensität der Kontrolle ein umfassendes Weisungsrecht allein im Hinblick auf die Entscheidungen zum Vertragsabschluss und zur Leistungserbringung, betreffend den konkreten Beschaffungsvorgang?

d)
Genügt für die Zurechnung einer Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand zum Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers unter dem Aspekt der Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber, dass mindestens 80 % des von diesem Unternehmen während der letzten drei Jahre in der Gemeinschaft erzielten durchschnittlichen Umsatzes im Dienstleistungssektor aus der Erbringung dieser Dienstleistungen für den öffentlichen Auftraggeber bzw. für die mit dem öffentlichen Auftraggeber verbundenen bzw. ihm zuzurechnenden Unternehmen stammen oder – soweit das gemischt-wirtschaftliche Unternehmen noch keine dreijährige Geschäftszeit aufweist – im Wege der Prognose eine Erfüllung dieser 80%-Regel zu erwarten ist?

V – Zu den Vorlagefragen betreffend den Rechtsschutz (Erste bis dritte Vorlagefrage)

A – Zur Zulässigkeit

12.     Hinsichtlich der Vorlagefragen betreffend den Rechtsschutz ist zunächst zu untersuchen, ob und inwieweit diese Vorlagefragen zulässig sind.

13.     Der Gerichtshof ist grundsätzlich gehalten, über ein Vorabentscheidungsersuchen zu befinden, es sei denn, er soll offensichtlich in Wirklichkeit dazu veranlasst werden, über einen konstruierten Rechtsstreit zu entscheiden oder Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben, die begehrte Auslegung des Gemeinschaftsrechts steht in keinem Zusammenhang mit der Realität oder der Gegenstand des Rechtsstreits oder der Gerichtshof verfügt nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (6) .

14.     Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass die geplante Vergabe, die den Gegenstand des Ausgangsverfahrens bildet, sich in einem bestimmten Stadium befindet, es liegt nämlich bereits ein Vertragsentwurf vor. Daraus folgt, dass die Vorlagefragen nur insoweit zulässig sind, als sie für die Lösung des Rechtsstreits in dieser Konstellation erforderlich sind. Zwar betreffen die Vorlagefragen wesentliche Rechtsprobleme des Rechtsschutzes, doch sind solche generelle Überlegungen aus prozessualen Gründen nicht anzustellen. Sie betreffen nämlich Konstellationen, die nicht Gegenstand des konkreten Rechtsstreits sind, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist. Im Übrigen erläutert das vorlegende Gericht auch nicht, welche Gründe es zu der Erwägung veranlasst haben, dass eine Antwort auf solche Konstellationen notwendig ist, um ihm die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu ermöglichen.

15.     Daher sind diese Fragen in Ermangelung von Anhaltspunkten, aus denen sich ergäbe, dass eine Antwort auf solche Konstellationen für die Entscheidung des Rechtsstreits des Ausgangsverfahrens notwendig ist, als hypothetisch und somit unzulässig anzusehen (7) .

16.     Insofern mit den Vorlagefragen die Klärung allgemeiner Rechtsfragen begehrt wird, sind sie also unzulässig. Das gilt ebenso für die in der dritten Vorlagefrage angesprochene Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht. Mit diesen Einschränkungen sind die Vorlagefragen betreffend den Rechtsschutz im Übrigen, d. h. in der Konstellation des Ausgangsverfahrens, aber zulässig. Im Hinblick auf die gleiche inhaltliche Ausrichtung der ersten drei Vorlagefragen, nämlich die Bestimmung der nachprüfbaren Handlungen des Auftraggebers, empfiehlt es sich, diese gemeinsam zu prüfen und zu beantworten.

B – Würdigung in der Sache

17.     Die Vorlagefragen zum Rechtsschutz gegen bestimmte Entscheidungen des Auftraggebers betreffen im Wesentlichen die Frage, ab welchem Stadium vor der eigentlichen Vergabe die in der Richtlinie 89/665 vorgesehene Nachprüfungsmöglichkeit durch innerstaatliche Instanzen zu gewähren ist. Im Kern geht es um die Bestimmung des Moments, in dem ein Beschaffungsvorhaben den für diesen Rechtsschutz erforderlichen Grad der Konkretisierung erreicht hat.

18.     Zunächst ist von dem Grundsatz auszugehen, dass der Begriff „Entscheidungen“ im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 und der Begriff „Entscheidungen“ als nachprüfbare Handlungen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/665, d. h. also die angreifbaren Handlungen des Auftraggebers, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes weit auszulegen ist.

19.     Nach dieser Rechtsprechung sieht Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665 „keine Beschränkung in Bezug auf Art und Inhalt“ (8) von Entscheidungen vor.

20.     Des Weiteren sind die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 89/665 gehalten, sicherzustellen, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Nachprüfungsverfahren „zumindest“ jedem zur Verfügung stehen, der ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Auftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Verstoß gegen die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts über öffentliche Aufträge oder gegen die zu seiner Umsetzung erlassenen nationalen Regelungen ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.

21.     In diesem Verfahren stellt sich die Frage, ob unter den weiten Entscheidungsbegriff auch Entscheidungen fallen, die „im Vorfeld“ oder juristisch gesprochen vor Einleitung eines Vergabeverfahrens getroffen werden. Es geht daher um Entscheidungen, die zwischen bloßen Überlegungen und der Einleitung oder der Nichteinleitung eines Vergabeverfahrens liegen.

22.     Im Hinblick auf den Zweck der Richtlinie 89/665, und zwar die Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes, wie er auch in Artikel 1 Absatz 1 ausdrücklich normiert ist, sollten daher auch Entscheidungen, die vor Einleitung eines Vergabeverfahrens getroffen werden, erfasst werden.

23.     Was die Nachprüfbarkeit der Entscheidung angeht, kein Vergabeverfahren einzuleiten, so handelt es sich dabei um eine Entscheidung, die als Gegenstück der Entscheidung über die Beendigung eines Vergabeverfahrens vergleichbar ist.

24.     Entscheidungen über die Beendigung eines Vergabeverfahrens gehören zu den nachprüfbaren Handlungen des Auftraggebers. Das hat der Gerichtshof für den Widerruf eines Vergabeverfahrens auch ausdrücklich betont. So würde die „vollständige Verwirklichung des mit der Richtlinie 89/665 verfolgten Zieles ... vereitelt, wenn die öffentlichen Auftraggeber die Ausschreibung für einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag widerrufen könnten, ohne dass dies den Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung unterläge, mit denen in jeder Hinsicht sichergestellt werden soll, dass die Vergaberichtlinien und die Grundsätze, auf die sie sich stützen, tatsächlich beachtet werden“ (9) .

25.     Zwar liegt eine Entscheidung über die Nichteinleitung eines Vergabeverfahrens im Sinne der Vergaberichtlinien im Unterschied zu einem Widerruf eines eingeleiteten Vergabeverfahrens naturgemäß außerhalb eines Vergabeverfahrens, doch schließt das die Anwendung der Richtlinie 89/665 keineswegs aus.

26.     Denn gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofes fällt nicht nur die Nachprüfung von Verstößen gegen die materiellen Vergaberichtlinien unter die dem Rechtsschutz dienende Richtlinie 89/665. So sei Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665 auf alle „Entscheidungen der Vergabebehörden ..., die den Regelungen des Gemeinschaftsrechts im Bereich des öffentlichen Auftragswesens unterliegen“ (10) , anzuwenden, wobei der Gerichtshof keine Einschränkung auf die Vorgaben vornimmt, die sich aus den Vergaberichtlinien ergeben.

27.     Die Mitgliedstaaten sind nicht gehalten, jeder Person, die einen bestimmten öffentlichen Auftrag erhalten will, ohne weiteres ein Nachprüfungsverfahren zur Verfügung zu stellen. Vielmehr steht es den Mitgliedstaaten frei, zusätzlich zu verlangen, dass der betreffenden Person durch den behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht (11) . Demgemäß dürfen sie grundsätzlich die Teilnahme an einem Auftragsvergabeverfahren zur Voraussetzung dafür machen, dass die betreffende Person sowohl ein Interesse an dem fraglichen Auftrag als auch einen aufgrund der angeblich unrechtmäßigen Zuschlagserteilung drohenden Schaden nachweisen kann.

28.     Allerdings hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass für den Fall, dass ein Unternehmen deshalb kein Angebot gelegt hat, weil es sich durch angeblich diskriminierende Spezifikationen in den Ausschreibungsunterlagen oder im Pflichtenheft gerade daran gehindert gesehen hat, die ausgeschriebene Gesamtleistung zu erbringen, es berechtigt ist, ein Nachprüfungsverfahren unmittelbar gegen diese Spezifikationen einzuleiten, noch bevor das Vergabeverfahren für den betreffenden öffentlichen Auftrag abgeschlossen ist (12) .

29.     So wie es einem Unternehmen möglich sein muss, ein Nachprüfungsverfahren unmittelbar gegen Verstöße durchzuführen, ohne den Abschluss des Vergabeverfahrens abzuwarten (13) , muss es einem Unternehmen somit auch möglich sein, bestimmte vergaberelevante Entscheidungen nachprüfen zu lassen, ohne die Einleitung eines Vergabeverfahrens abzuwarten. Denn gerade für die hier interessierenden Fälle ist es typisch, dass es eben nicht zu einem Vergabeverfahren im Sinne der Vergaberichtlinien kommt. Von einem Unternehmen kann aber nicht verlangt werden, ein Angebot zu legen, wenn gar kein Vergabeverfahren eingeleitet wurde.

30.     Für die Anwendung der Rechtsmittelrichtlinien und damit der Nachprüfungsverfahren ist es daher nicht entscheidend, dass ein in den materiellen Vergaberichtlinien vorgesehenes Vergabeverfahren durchgeführt wurde. Der Geltungsbereich der Rechtsmittelrichtlinien knüpft nämlich nicht an die tatsächliche Anwendung der materiellen Vergaberichtlinien, also etwa der Richtlinie 93/38 an, sondern daran, ob eine dieser Richtlinien anwendbar gewesen wäre bzw. anwendbar ist, also etwa der zu überprüfende Vorgang unter eine dieser Richtlinien fällt.

31.     Aus diesen Überlegungen folgt, dass auch bestimmte Handlungen, die vor Einleitung eines Vergabeverfahrens gesetzt werden, der Nachprüfung im Sinne der Richtlinie 89/665 unterliegen. Doch bestehen dafür auch Grenzen.

32.     Dagegen, dass schlichtweg alle Handlungen eines Auftraggebers nachprüfbar sind, spricht einmal der Umstand, dass die einzelnen Phasen bis zur Einleitung eines Vergabeverfahrens nicht nur von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden sind, sondern auch von den konkreten Beschaffungsvorhaben abhängen.

33.     Des Weiteren ist an ein vom Gerichtshof herausgearbeitetes Kriterium für die Gewährung von Rechtsschutz zu erinnern. Danach „ist die Richtlinie 89/665 darauf gerichtet, die auf einzelstaatlicher Ebene wie auf Gemeinschaftsebene vorhandenen Mechanismen zur Durchsetzung der Gemeinschaftsrichtlinien im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu verstärken, vor allem dann, wenn Verstöße noch beseitigt werden können (14) .

34.     Dass nicht jede Handlung des Auftraggebers der Nachprüfung unterliegt, wird auch durch ein anderes Urteil des Gerichtshofes bestätigt, in dem es um eine Einschränkung der Nachprüfbarkeit auf bestimmte Entscheidungen der Auftraggeber durch nationales Recht ging. In diesem Urteil stellte der Gerichtshof darauf ab, ob angemessener Rechtsschutz gewährleistet ist. In jenem Verfahren kam er zum Ergebnis, dass der Rechtsschutz angemessen war, obwohl nach nationalem Recht nur solche Verfahrenshandlungen anfechtbar waren, die unmittelbar oder mittelbar eine Entscheidung in der Sache enthalten, die eine Fortführung des Verfahrens oder eine Verteidigung unmöglich machen oder Ansprüche oder berechtigte Interessen irreparabel beeinträchtigen (15) .

35.     Wenn es also zulässig ist, d. h., mit der Richtlinie 89/665 vereinbar ist, auch bestimmte Handlungen, die nach Einleitung eines Vergabeverfahrens gesetzt werden, von der Nachprüfbarkeit auszunehmen, muss es erst recht zulässig sein, bestimmte Handlungen, die vor Einleitung eines Vergabeverfahrens erfolgen, auszunehmen.

36.     Schließlich ist noch daran zu erinnern, dass die Vergaberichtlinien sich auf eine Koordinierung, d. h. eine bloße Harmonisierung des Vergabeverfahrens, beschränken und nicht auch die einem Vergabeverfahren vorangehenden Phasen regeln.

37.     Als Ergebnis ist also festzuhalten, dass die Richtlinie 89/665 keinen umfassenden vorbeugenden Rechtsschutz gewährt.

38.     Einen entscheidenden Faktor für die Ermittlung der nachprüfbaren Handlungen bildet das materielle Recht, also ob ein Unternehmen nach den Vergaberichtlinien einen bestimmten Anspruch auf Vornahme oder Unterlassung einer Handlung hat.

39.     Grundsätzlich kommt so auch ein Anspruch auf Untersagung in Betracht. Dieser kann etwa darauf gerichtet sein, einer den Vergaberichtlinien unterliegenden Einrichtung zu untersagen, eine diesen Richtlinien unterfallende Beschaffung ohne Durchführung eines in diesen Richtlinien vorgesehenen Vergabeverfahrens zu tätigen. Damit wird auch im Rechtsschutz die Parallelität zur Untersagung der Erteilung des Zuschlags hergestellt.

40.     Ein mögliches Kriterium zur Bestimmung der vor Einleitung eines Vergabeverfahrens vorgenommenen Handlungen, die einer Nachprüfung zugänglich gemacht werden müssen, stellt somit die Wirkung auf das Unternehmen dar, das die Nachprüfung begehrt. Dabei handelt es sich also um eine Voraussetzung für die Anfechtungsbefugnis (Aktivlegitimation).

41.     Im vorliegenden Verfahren geht es hingegen rein um die Voraussetzungen für die Anfechtbarkeit einer Handlung.

42.     Eine weitere Einschränkung, die in diesem Vorabentscheidungsverfahren zu beachten ist, ergibt sich aus den verfahrensrechtlichen Vorgaben für diese Art von Verfahren vor dem Gerichtshof. So kann es auch in diesem Vorabentscheidungsverfahren nicht darum gehen, eine allgemeine Definition anfechtbarer Handlungen zu geben, sondern nur darum, eine für den nationalen Richter nützliche Antwort zu geben, damit er den bei ihm anhängigen Rechtsstreit lösen kann.

43.     Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist daher nicht die Entwicklung von allgemeinen Kriterien, um die Anfechtbarkeit von Handlungen von Auftraggebern zu beurteilen, sondern nur von Kriterien für die Handlungen des konkreten Ausgangsverfahrens.

44.     In diesem Zusammenhang genügt der Hinweis, dass die Richtlinie 89/665 rein interne Überlegungen ebenso wenig erfasst wie die Bedarfsermittlung, die Erstellung der Leistungsbeschreibung oder die bloße Markterkundung. Damit werden auch interne rechtliche Überlegungen des Auftraggebers, ob ein Beschaffungsvorgang unter die Vergaberichtlinien fällt oder nicht, nicht erfasst.

45.     Die Frage, ob bereits die Entscheidung, mit einem anderen Unternehmen Verhandlungen aufzunehmen, oder erst laufende Vertragsverhandlungen als nachprüfbare Handlung zu qualifizieren sind, kann hier im Übrigen dahin gestellt bleiben. Dabei handelt es sich nämlich insofern um hypothetische Fragen, als Gegenstand des Ausgangsverfahrens und damit auch dieses Vorabentscheidungsverfahrens eine andere Konstellation ist, und zwar eine solche, in der bereits ein Vertragsentwurf vorliegt.

46.     In einem solchen Fall steht der Auftraggeber vor dem Abschluss eines Vertrages. Damit entspricht eine solche Situation aber einer anderen im Beschaffungswesen häufig auftretenden Konstellation, nämlich der Phase kurz vor der Erteilung des Zuschlags. Denn der Zuschlag geht – je nach nationalem Recht – entweder dem Abschluss eines Vergabevertrags voraus oder der Vergabevertrag kommt mit dem Zuschlag, ausgestaltet als Annahme des Angebotes, zustande.

47.     Dass in einer solchen Situation ein Vergabeverfahren eingeleitet wurde, in der vorliegenden Situation aber nicht, darf aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes keinen Unterschied machen.

48.     Auf die ersten drei Vorlagefragen ist daher zu antworten, dass Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen eine wirksame und möglichst rasche Nachprüfungsmöglichkeit auch von bestimmten Entscheidungen der Auftraggeber, die außerhalb eines Vergabeverfahrens getroffen werden, sicherzustellen haben; dazu können auch Entscheidungen über die Vorfrage gehören, eine bestimmte Beschaffung ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens zu tätigen.

VI – Zu den Vorlagefragen betreffend die Quasi-In-House-Vergabe (Vierte und fünfte Vorlagefrage)

49.     Die zweite Gruppe von Vorlagefragen betrifft die Voraussetzungen für so genannte Quasi-In-House-Vergaben. Dabei handelt es sich, wie die österreichische Regierung zu Recht herausstreicht, im Unterschied zu so genannten In-House-Vergaben (Eigenleistungen) um Vergaben an eine vom Auftraggeber getrennte Einrichtung mit Rechtspersönlichkeit. Fehlt es nämlich der die Leistung ausführenden Einrichtung an Rechtspersönlichkeit, könnte gar kein Vertrag vorliegen. Damit würde es auch an einer Voraussetzung für einen Auftrag im Sinne der Vergaberichtlinien fehlen.

50.     Im vorliegenden Verfahren geht es genau genommen um die Auslegung des Begriffes „Auftrag“, der eine der Voraussetzungen für die Anwendung der Vergaberichtlinien darstellt. Dabei ist vom Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Teckal auszugehen, in dem der Gerichtshof bestimmte Beschaffungsvorgänge als nicht vom Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien erfasst ansah.

51.     Nach diesem Urteil finden die Vergaberichtlinien dann keine Anwendung, „wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben“ (16) .

52.     Damit hat der Gerichtshof also zwei Voraussetzungen aufgestellt, unter denen ein Beschaffungsvorgang nicht unter die Vergaberichtlinien fällt, er hat also den Begriff „Auftrag“ teleologisch reduziert.

53.     An dieser Stelle ist zunächst zu betonen, dass der Gerichtshof die Nichtanwendbarkeit der Vergaberichtlinien selbst ausdrücklich als Ausnahme bezeichnet hat. Damit greift der allgemeine Grundsatz, wonach Ausnahmen eng auszulegen sind. Im Rahmen der im Folgenden vorzunehmenden Untersuchung der beiden Voraussetzungen ist das als generelle Vorgabe zu beachten.

54.     Zu betonen ist weiter, dass Vergaben an Einrichtungen, die selbst öffentliche Auftraggeber sind, wie etwa bestimmte Tochterunternehmen, – abgesehen von der Teckal-Ausnahme und anderen Ausnahmen, wie etwa Artikel 6 der Richtlinie 92/50 – generell unter den Auftragsbegriff fallen. Die Anwendbarkeit der Vergaberichtlinien bleibt also die Regel (17) .

55.     Ferner ist an den Ursprung der Quasi-In-House-Vorgänge und damit der Teckal-Ausnahme zu erinnern, nämlich die besondere Behandlung innerorganisatorischer Vorgänge, d. h. der In-House-Vorgänge, und diesen gleichzuhaltenden Konstellationen.

56.     Schließlich sind im vorliegenden Kontext auch die Ziele der Vergaberichtlinien zu beachten, nämlich die Marktöffnung und die Sicherstellung des Wettbewerbs.

57.     Das sind die Orientierungspunkte, die bei der Auslegung der Teckal-Ausnahme eine Rolle spielen.

58.     Im Allgemeinen sind folgende drei Quasi-In-House-Konstellationen zu unterscheiden: Vergaben an Eigengesellschaften (Gesellschaften mit 100 % Anteil des Auftraggebers oder ihm zuzurechnender Einrichtungen), an gemischt-öffentliche Gesellschaften (Gesellschaften, an denen mehrere öffentliche Auftraggeber beteiligt sind) und an gemischt-wirtschaftliche Gesellschaften (Gesellschaften, an denen auch echte Private beteiligt sind).

59.     Das Ausgangsverfahren betrifft die geplante Vergabe durch die Stadt Halle, also einer Gebietskörperschaft, welche unzweifelhaft als öffentlicher Auftraggeber im Sinne der Vergaberichtlinien zu qualifizieren ist, an eine „Urenkelin“. Zwar hält die Stadt Halle an ihrer „Tochter“ und diese an der „Enkelin“ jeweils 100 % der Anteile, doch hält die „Enkelin“ an der „Urenkelin“ nur 75,1 %. Die restlichen Anteile an der „Urenkelin“ hält ein rein privates Unternehmen.

60.     Im vorliegenden Verfahren geht es also um eine so genannte gemischt-wirtschaftliche Gesellschaft, d. h. eine Gesellschaft mit (indirekter) Mehrheitsbeteiligung eines Auftraggebers und Beteiligung eines Nicht-Auftraggebers.

61.     Aus prozessualen Gründen ist im Folgenden lediglich eine Konstellation wie die des Ausgangsverfahrens zu behandeln. Die Anwendung auf die konkreten Umstände des Ausgangsverfahrens bleibt hingegen Aufgabe des nationalen Richters (18) .

A – Erstes Kriterium: Kontrolle wie über eigene Dienststellen

62.     Die erste Voraussetzung für die Anwendung der Ausnahme und damit für die Nichtanwendbarkeit der Vergaberichtlinien betrifft die Art der Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers über die Einrichtung, an die die Vergabe erfolgen soll. Der Gerichtshof verlangt, dass die vergebende Stelle eine „Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen“.

63.     Der Gerichtshof geht dabei also von einem Maßstab aus, den er dem öffentlichen Recht entnimmt. Da das Kontrollkriterium jedoch wie auch der Auftrags- und der Auftraggeberbegriff funktional und nicht formal zu verstehen ist, steht das einer Übertragbarkeit auf die Beziehung eines öffentlichen Auftraggebers zu juristischen Personen des Privatrechts, wie in casu einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, nicht entgegen. Das Anknüpfen an eine Dienststelle erklärt sich vielmehr mit der ursprünglichen Funktion der Gründung von selbständigen Einrichtungen, nämlich der Ausgliederung von Dienststellen.

64.     Für die Übertragbarkeit auf andere Konstellationen spricht zudem der Umstand, dass sich aus dem Urteil Teckal in der Verfahrenssprache Italienisch ergibt, dass der Gerichtshof nur eine analoge („analogo“), d. h. vergleichbare, aber keine idente Kontrolle verlangt (19) .

65.     Die Beurteilung der Rechtsstellung eines Mehrheitsgesellschafters richtet sich so zum einen nach den einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts, im vorliegenden Fall also nach den gesellschaftsrechtlichen Regelungen betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Zum anderen sind jene Regelungen zu beurteilen, die das Verhältnis näher ausgestalten, in der Regel also der Gesellschaftsvertrag. Das bedeutet, dass eine rein abstrakte Betrachtung nach der für die – der Kontrolle unterworfenen – Einrichtung gewählten Rechtsform, etwa des Typs der juristischen Person, nicht ausreicht.

66.     Damit aber kommt den in den nationalen, meist gesetzlichen Vorschriften, normierten Regelungen nur begrenzte Bedeutung zu. Das gilt insbesondere für die Vorschriften, die festlegen, unter welchen Voraussetzungen Minderheitsgesellschaftern welche Rechte zustehen. Im Wesentlichen geht es um Vorschriften, die bestimmte Kontroll- und Sperrrechte von Gesellschaftern von der Höhe ihres Anteils abhängig machen, etwa von 10 %, 25 % oder mehr als 50 %.

67.     Solche Vorschriften entfalten eher eine Vermutungswirkung dafür, welche Rechte einem Minderheitsgesellschafter zustehen. Entscheidend bleibt die nähere Ausgestaltung im Einzelfall. Als wichtigster Fall ist in diesem Zusammenhang ein so genannter Beherrschungsvertrag zu nennen, der einem bestimmten Gesellschafter – unabhängig von seinem Anteil – bestimmte über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehende Rechte einräumt.

68.     Da es also nicht auf die nationale Gesetzeslage, sondern auf die konkrete Ausgestaltung ankommt, kann auch die Höhe der Beteiligung des öffentlichen Auftraggebers bzw. umgekehrt des privaten Minderheitsgesellschafters allein nicht entscheidend sein.

69.     Daraus folgt, dass ein fixer Prozentsatz insofern ein Hindernis für eine sachgerechte Lösung ist, als er keine Berücksichtigung der konkreten Ausgestaltung erlaubt und in den nicht dem Prozentkriterium entsprechenden Fällen eine Anwendung des Kontrollkriteriums kategorisch ausschließt.

70.     Da aber auch Einrichtungen, an denen ein privater Minderheitsgesellschafter beteiligt ist, das Kontrollkriterium erfüllen können, ist zu folgern, dass die Teckal-Ausnahme nicht nur für Eigengesellschaften, sondern auch für gemischt-wirtschaftliche Gesellschaften gilt. Die Hereinnahme privater Unternehmen schadet also grundsätzlich nicht.

71.     An dieser Stelle sei an die Ausführungen von Generalanwalt Léger erinnert, der die Teckal-Ausnahme sogar schon bei einem Anteil von 50,5 % für anwendbar hielt (20) .

72.     Für das vom Gerichtshof entwickelte Kontrollkriterium bedarf es jedenfalls mehr als eines beherrschenden Einflusses im gesellschaftsrechtlichen Sinn oder wie er für die Qualifizierung bestimmter Einrichtungen als öffentlicher Auftraggeber im Sinne der jeweiligen Artikel 1 der Vergaberichtlinien gefordert wird. Ebenso wenig reicht der beherrschende Einfluss im Sinne von Artikel 1 Nummer 3 in Verbindung mit Artikel 13 der Richtlinie 93/38. Denn hierbei handelt es sich erstens um eine für die so genannten Sektoren geltende Regelung, die in der hier anwendbaren Richtlinie keine Entsprechung findet, und zweitens um eine Ausnahmebestimmung, welche generell eng auszulegen ist.

73.     Weder der Gemeinschaftsgesetzgeber noch der Gerichtshof haben in den Richtlinien bzw. in der Rechtssache Teckal an Vorschriften der Vergaberichtlinien angeknüpft.

74.     Das hier verlangte Niveau der Intensität der Kontrolle ist daher nicht von bestimmten Vorschriften der Vergaberichtlinien zu übernehmen und geht wegen des Ausnahmecharakters über die Anforderungen der anderen Ausnahmeregelungen hinaus.

75.     In einem Vorabentscheidungsverfahren ist es Aufgabe des nationalen Richters, erstens die nationalen Rechtsvorschriften auszulegen und zweitens diese und andere Vorschriften auf den konkreten Sachverhalt anzuwenden. Das vorlegende Gericht wird daher zu ermitteln haben, welche Rechte der „Urgroßmutter“, d. h. der Stadt Halle, an ihrer „Urenkelin“, RPL, zustehen.

76.     Bei der Anwendung des Kriteriums der Kontrolle hat der nationale Richter von den Befugnissen zur Kontrolle auszugehen. Darauf, ob und wie die Kontrolle tatsächlich ausgeübt wird oder gar auf eine Prognose, wie der Mehrheitsgesellschafter seinen Anteil nützen würde, d. h., ob er auch gegen den Minderheitsgesellschafter entscheiden würde, kann es schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht ankommen. So gesehen ist auch die Bedeutung eventueller Treuepflichten des Mehrheitsgesellschafters zu relativieren, insbesondere weil auch die Treuepflichten des Minderheitsgesellschafters mitzuberücksichtigen sind, worauf die Stadt Halle hinweist.

77.     Was den Gegenstand der Kontrolle angeht, hat der Gerichtshof in der Teckal-Ausnahme keine Beschränkung auf bestimmte Entscheidungen der kontrollierten Einrichtung vorgenommen. Eine Kontrolle lediglich der Vergabeentscheidungen im Allgemeinen oder gar der konkreten Vergabeentscheidung reicht daher nicht hin.

78.     Ausgehend von Formulierung und Ziel des Kriteriums „Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen“ ist vielmehr eine umfassende Kontrollmöglichkeit zu fordern. Diese hat sich jedenfalls nicht nur auf strategische Marktentscheidungen zu beschränken, sondern auch Einzelentscheidungen der Geschäftsführung zu umfassen. Auf weitere Einzelheiten ist in diesem Vorabentscheidungsverfahren nicht näher einzugehen, weil das für die Lösung des Rechtsstreits des Ausgangsverfahrens nicht erforderlich ist.

B – Zweites Kriterium: Tätigkeit im Wesentlichen für den Inhaber der Anteile

79.     Die zweite Voraussetzung, die vorzuliegen hat, damit die Teckal-Ausnahme greift, bezieht sich auf die Tätigkeiten der kontrollierten Einrichtung. Nach dem Wortlaut der entsprechenden Passage des Urteils greift die Ausnahme nur, wenn diese Einrichtung „ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben“.

80.     Dieses Kriterium kann man insoferne verallgemeinern, als erstens nicht nur direkte Anteilseigner, sondern wie in casu auch „Urgroßmütter“, also indirekte Beteiligungen, in Betracht kommen und zweitens auch andere als Gebietskörperschaften erfasst sind.

81.     Das im Urteil in der Rechtssache Teckal aufgestellte Kriterium bezieht sich also auf einen bestimmten Mindestanteil an den von der kontrollierten Einrichtung insgesamt erbrachten Tätigkeiten. Es geht also um die Ermittlung des Umfangs der insgesamt und der für den Anteilseigner im weiten Sinn erbrachten Tätigkeiten.

82.     In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass aus dem Umstand, dass der Begriff Anteilseigner nicht zu eng auszulegen ist, allerdings nicht geschlossen werden darf, dass damit auch Tätigkeiten an Dritte erfasst sind, die aber der Anteilseigner andernfalls selbst erbringen müsste. Das betrifft in der Praxis in erster Linie die Daseinsvorsorge und hier wiederum Gemeinden (Kommunen), die gegenüber bestimmten Personen eine Verpflichtung zur Erbringung bestimmter Leistungen trifft. Diese allgemeine Frage ist nicht Gegenstand dieses Vorabentscheidungsverfahrens, weil das vorlegende Gericht eine entsprechende Antwort nicht zur Lösung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits benötigt.

83.     Klarzustellen ist ferner, dass es auf die tatsächlichen Tätigkeiten ankommt und nicht auf die nach Gesetz oder Unternehmenssatzung möglichen Tätigkeiten oder gar auf die Tätigkeiten, zu denen die kontrollierte Einrichtung verpflichtet ist.

84.     Die zentrale Frage ist nun, ab welchem Anteil die Schwelle der Teckal-Ausnahme erreicht wird. Dazu werden mehrere Auffassungen vertreten. Diese reichen von mehr als 50 % über „im nennenswerten Umfang“, „ganz überwiegend“, „nahezu ausschließlich“ bis „ausschließlich“.

85.     Dabei wird nicht nur ein positiver Ansatz vertreten, in dem Sinn, dass der Umfang der dem Anteilseigner erbrachten Leistungen zu bestimmen ist, sondern auch ein negativer. Nach dem negativen Ansatz wäre davon auszugehen, wie hoch der Anteil der an andere als den Anteilseigner erbrachten Leistungen ist. Letztere Auffassung findet sich abgesehen von diesem Verfahren in den von mehreren Beteiligten zitierten Schlussanträgen von Generalanwalt Léger. Ihm zufolge „ist die Richtlinie anwendbar, wenn diese Einrichtung im Wesentlichen für andere Wirtschaftsteilnehmer oder andere Körperschaften als diejenigen tätig wird, aus denen sich dieser öffentliche Auftraggeber zusammensetzt“ (21) . Im Hinblick auf den in der Teckal-Ausnahme gewählten positiven Ansatz soll der negative Ansatz hier allerdings nicht weiter verfolgt werden.

86.     In der zitierten Passage der Schlussanträge von Generalanwalt Léger kommt aber ein anderer wichtiger Aspekt zum Ausdruck, der im Rahmen der Bestimmung des Anteils zu berücksichtigen ist.

87.     So stellt sich die Frage, ob die Teckal-Ausnahme nur eine quantitative Betrachtungsweise erlaubt oder vielmehr auch qualitative Umstände mit einzubeziehen sind. Für Letzteres sprechen der Wortlaut und der Sinn der Ausnahme, die auch keinen Hinweis darauf enthält, wie die Tätigkeiten zu bewerten sind. Auch die authentische Fassung der entsprechenden Passage des Teckal-Urteils, d. h. die italienische Version, schließt eine zusätzliche oder alternative qualitative Betrachtungsweise nicht aus („la parte più importante della propria attività“).

88.     Im Übrigen enthält die Teckal-Ausnahme auch keinen Hinweis auf die Berechnungsmethode des Anteils. Es ist daher nicht selbstverständlich, dass es allein auf den Umsatz ankommt.

89.     Der nationale Richter hat also die „Wesentlichkeit der Tätigkeiten“ anhand quantitativer und qualitativer Umstände zu ermitteln. Im Übrigen könnte auch die Stellung der kontrollierten Einrichtung auf dem Markt eine Rolle spielen, d. h. insbesondere die wettbewerbliche Situation gegenüber eventuellen Mitbewerbern.

90.     Hinsichtlich der von mehreren Beteiligten in Bezug auf die zweite Teckal-Voraussetzung zitierten Schlussanträge von Generalanwalt Léger ist zudem daran zu erinnern, dass Schlussanträge in der vom Generalanwalt als Originalsprache gewählten Sprache authentisch sind.

91.     Von diesem Grundsatz ausgehend zeigen die Schlussanträge von Generalanwalt Léger folgendes Bild: So stellt er zum einen auf die „quasi-exclusivité“ der erbrachten Leistungen ab, wobei es in der deutschen Fassung „sämtliche Dienstleistungen“ heißt (22) . Zum anderen lehnt er sich an die Fassung der Teckal-Ausnahme in der Verfahrenssprache Italienisch an und spricht von „en grande partie“, das in der deutschen Fassung mit „im Wesentlichen“ (23) wiedergegeben wird, oder von „la plus grande partie de leur activité“ („den größten Teil ihrer Tätigkeit“) (24) .

92.     Zur näheren Konkretisierung haben mehrere Beteiligte vorgeschlagen, das Wesentlichkeitskriterium im Sinne einer Vorschrift auszulegen, die für die Behandlung jener Vergaben an Unternehmen gilt, die mit dem Auftraggeber verbunden sind. Es geht um das 80%-Kriterium von Artikel 13 der Richtlinie 93/38. Als Begründung dafür wurde angeführt, dass dieses Kriterium „objektiv“ oder „sachgerecht“ sei.

93.     Dazu ist zu bemerken, dass auch ein anderer fixer Prozentsatz objektiv oder sachgerecht sein könnte. Aber gerade die Starrheit eines fixen Prozentsatzes kann auch ein Hindernis für eine sachgerechte Lösung sein. Zudem erlaubt es keine Berücksichtigung qualitativer Elemente.

94.     Gegen die Übertragbarkeit des 80%-Kriteriums spricht vor allem der Umstand, dass es sich um eine Ausnahmevorschrift einer nur für bestimmte Sektoren geltenden Richtlinie handelt. Die dort getroffene Wertung beschränkt sich nach dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers auf jene Richtlinie. Mag der Grundgedanke auch außerhalb der Sektoren praktisch anwendbar sein, ist doch entscheidend, dass eine solche Regelung in der hier anwendbaren Richtlinie nicht getroffen wurde.

95.     Gegen die Heranziehung von Artikel 13 der Richtlinie 93/38 spricht aber noch ein weiterer Grund. Dessen Absatz 2 verpflichtet nämlich die Auftraggeber, der Kommission auf deren Verlangen bestimmte Auskünfte zu erteilen. Diese Bestimmung wirkt als verfahrensrechtlicher Ausgleich für die in Artikel 13 normierte Ausnahme. Bei der Teckal-Ausnahme ging der Gerichtshof jedoch einen anderen Weg. Er begnügte sich mit den zwei darin aufgestellten Voraussetzungen materieller Art. Diese Voraussetzungen sind aber gerade wegen des Fehlens einer vergleichbaren verfahrensrechtlichen Regelung streng auszulegen.

VII – Ergebnis

96.     Nach alldem wird dem Gerichtshof vorgeschlagen, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

1.
Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665/EWG ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten eine wirksame und möglichst rasche Nachprüfungsmöglichkeit von bestimmten Entscheidungen der Auftraggeber, die außerhalb eines Vergabeverfahrens getroffen werden, jedoch mit einem Beschaffungsvorgang in Zusammenhang stehen, sicherzustellen haben; dazu können auch Entscheidungen über die Vorfrage gehören, eine bestimmte Beschaffung ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens zu tätigen.

2.
Die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass die gesellschaftsrechtliche Beteiligung eines privaten Unternehmens an einem Vertragspartner des öffentlichen Auftraggebers, an dem dieser öffentliche Auftraggeber direkt oder indirekt beteiligt ist, allein die Nichtanwendung dieser Richtlinie nicht ausschließt.

3.
Damit ein Vertragspartner mit einer privaten gesellschaftsrechtlichen Beteiligung – im Folgenden: Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand – der öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers zuzurechnen ist, kommt es auf die konkrete Ausgestaltung des Verhältnisses an, wobei die Höhe der Beteiligung allein nicht entscheidend ist.

Für die Zurechnung genügt nicht

die Beherrschung der Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand durch den öffentlichen Auftraggeber im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 und Artikel 13 Absatz 1 der Richtlinie 93/38/EWG des Rates zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vom 14. Juni 1993;

ein umfassendes Weisungsrecht allein im Hinblick auf Vergabeentscheidungen im Allgemeinen oder Vergabeentscheidungen betreffend den konkreten Beschaffungsvorgang.

4.
Für die Zurechnung einer Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand zum Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers unter dem Aspekt der „Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber“ ist im Gegensatz zu Artikel 13 der Richtlinie 93/38/EWG nicht davon auszugehen, ob mindestens 80 % des von diesem Unternehmen während der letzten drei Jahre in der Gemeinschaft erzielten durchschnittlichen Umsatzes im Dienstleistungssektor aus der Erbringung dieser Dienstleistungen für den öffentlichen Auftraggeber bzw. für die mit dem öffentlichen Auftraggeber verbundenen bzw. ihm zuzurechnenden Unternehmen stammen oder – soweit das gemischt-wirtschaftliche Unternehmen noch keine dreijährige Geschäftszeit aufweist – im Wege der Prognose eine Erfüllung dieser 80%-Regel zu erwarten ist.

Der nationale Richter hat für die Zurechnung vielmehr von den tatsächlichen Tätigkeiten auszugehen und dabei insbesondere quantitative sowie qualitative Umstände zu berücksichtigen.


1
Originalsprache: Deutsch.


2
Urteil vom 18. November 1999 in der Rechtssache C‑107/98 (Teckal, Slg. 1999, I‑8121).


3
ABl. L 395, S. 33, geändert durch Artikel 41 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1), in der Diktion des Vorlagegerichts RMKR.


4
ABl. L 209, S. 1, mehrfach geändert; in der Diktion des Vorlagegerichts DKR.


5
ABl. L 199, S. 84, mehrfach geändert.


6
Zu Vergabeverfahren siehe die Urteile vom 16. Oktober 2003 in der Rechtssache C‑421/01 (Traunfellner, Slg. 2003, I‑0000, Randnr. 37) und vom 4. Dezember 2003 in der Rechtssache C‑448/01 (EVN und Wienstrom, Slg. 2003, I‑0000, Randnr. 76).

Vgl. weiter insbesondere die Urteile vom 16. Dezember 1981 in der Rechtssache 244/80 (Foglia, Slg. 1981, 3045, Randnr. 18), vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C‑415/93 (Bosman, Slg. 1995, I‑4921, Randnr. 61), vom 16. Januar 1997 in der Rechtssache C‑134/95 (USSL N° 47 di Biella, Slg. 1997, I‑195, Randnr. 12) und vom 7. Januar 2003 in der Rechtssache C‑306/99 (BIAO, Slg. 2003, I‑1, Randnr. 89).


7
Urteile in der Rechtssache C‑421/01 (zitiert in Fußnote 6), Randnrn. 38 f., und in der Rechtssache C‑448/01 (zitiert in Fußnote 6), Randnr. 83; vgl. auch das Urteil vom 18. März 2004 in der Rechtssache C‑314/01 (Siemens, Slg. 2004, I‑0000, Randnr. 36).


8
Urteile vom 28. Oktober 1999 in der Rechtssache C‑81/98 (Alcatel Austria u. a., Slg. 1999, I‑7671, Randnr. 35), vom 18. Juni 2002 in der Rechtssache C‑92/00 (HI, Slg. 2002, I‑5553, Randnr. 49) und vom 19. Juni 2003 in der Rechtssache C‑315/01 (Gesellschaft für Abfallentsorgungs-Technik GmbH [GAT]/Österreichische Autobahnen und Schnellstraßen AG [ÖSAG], Slg. 2003, I‑6351, Randnr. 52).


9
Urteil in der Rechtssache C‑92/00 (zitiert in Fußnote 8), Randnr. 53.


10
So vor allem das Urteil vom 23. Januar 2003 in der Rechtssache C‑57/01 (Makedoniko Metro und Michaniki, Slg. 2003, I‑1091, Randnr. 68).

Vgl. ferner die Urteile in der Rechtssache C‑92/00 (zitiert in Fußnote 8), Randnr. 37, und in der Rechtssache C‑315/01 (zitiert in Fußnote 8), Randnr. 52.


11
Urteil vom 12. Februar 2004 in der Rechtssache C‑230/02 (Grossmann Air Service, Slg. 2004, I‑0000, Randnrn. 25 f.) und vom 19. Juni 2003 in der Rechtssache C‑249/01 (Hackermüller, Slg. 2003, I‑6319, Randnr. 18).


12
Urteil in der Rechtssache C-230/02 (zitiert in Fußnote 11), Randnr. 28.


13
Urteil in der Rechtssache C‑230/02 (zitiert in Fußnote 11), Randnrn. 29 f.


14
Urteil in der Rechtssache C‑81/98 (zitiert in Fußnote 8), Randnr. 33 (unsere Hervorhebung); vgl. das Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C‑433/93 (Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I‑2303, Randnr. 23).


15
Urteil vom 15. Mai 2003 in der Rechtssache C‑214/00 (Kommission/Spanien, Slg. 2003, I‑4667, Randnrn. 77 ff.).


16
Urteil in der Rechtssache C‑107/98 (zitiert in Fußnote 2), Randnr. 50 (unsere Hervorhebung).


17
Urteile vom 7. Dezember 2000 in der Rechtssache C‑94/99 (ARGE Gewässerschutz, Slg. 2000, I‑11037, Randnr. 40) und in der Rechtssache C‑107/98 (zitiert in Fußnote 2), Randnr. 50.


18
Vgl. Beschluss des Gerichtshofes vom 14. November 2002 in der Rechtssache C‑310/01 (Comune di Udine u. a., nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).


19
Siehe hingegen Generalanwalt Léger, der an einer Stelle seiner Schlussanträge vom 15. Juni 2000 in der Rechtssache C‑94/99 (Urteil zitiert in Fußnote 17), Nr. 66, sogar verlangt, dass der Auftraggeber, „der dem Wirtschaftsteilnehmer die Ausführung verschiedener Dienstleistungen überträgt, mit der Körperschaft, die diesen kontrolliert, identisch“ sei.


20
Schlussanträge von Generalanwalt Léger in der Rechtssache C-94/99 (zitiert in Fußnote 19, Urteil zitiert in Fußnote 17), Nr. 60.


21
Schlussanträge von Generalanwalt Léger in der Rechtssache C‑94/99 (zitiert in Fußnote 19, Urteil zitiert in Fußnote 17), Nr. 93 (unsere Hervorhebung).


22
Schlussanträge von Generalanwalt Léger in der Rechtssache C‑94/99 (zitiert in Fußnote 19, Urteil zitiert in Fußnote 17), Nr. 74.


23
Schlussanträge von Generalanwalt Léger in der Rechtssache C‑94/99 (zitiert in Fußnote 19, Urteil zitiert in Fußnote 17), Nr. 81.


24
Schlussanträge von Generalanwalt Léger in der Rechtssache C‑94/99 (zitiert in Fußnote 19, Urteil zitiert in Fußnote 17), Nr. 83.