Language of document : ECLI:EU:F:2013:194

URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION

(Zweite Kammer)

11. Dezember 2013

Rechtssache F‑15/10

Carlos Andres u. a.

gegen

Europäische Zentralbank (EZB)

„Öffentlicher Dienst – Personal der EZB – Reform des Vorsorgesystems – Einfrieren des Versorgungsplans – Umsetzung des Versorgungssystems – Anhörung des Überwachungsausschusses – Anhörung der Personalvertretung – Anhörung des Erweiterten Rates – Anhörung des EZB-Rates – Dreijährliche Bewertung des Versorgungsplans – Verstoß gegen die Beschäftigungsbedingungen – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Erworbene Ansprüche – Grundsatz der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit – Informationspflicht“

Gegenstand:      Klage nach Art. 36.2 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, im Wesentlichen zum einen auf Aufhebung der Gehaltsabrechnungen von Herrn Andres und 168 weiteren Klägern für den Monat Juni 2009, da diese Abrechnungen ihnen gegenüber die erste Anwendung der am 4. Mai 2009 beschlossenen Reform des Vorsorgesystems der Europäischen Zentralbank (EZB) darstellen, und auf Aufhebung aller späteren Gehaltsabrechnungen sowie aller zukünftigen Ruhegehaltsabrechnungen und zum anderen auf Verurteilung der EZB zur Zahlung der Differenz zwischen den Bezügen oder den Ruhegehältern, die sie in Anwendung des vorangegangenen Vorsorgesystems bezogen hätten, und den Bezügen oder den Ruhegehältern, die sich aus dem neuen Vorsorgesystem ergeben, sowie auf Ersatz des Schadens, der ihnen ihrer Ansicht nach durch die Verringerung ihrer Kaufkraft entstanden ist

Entscheidung:      Die Klage wird abgewiesen. Herr Andres und die 168 weiteren im Anhang namentlich aufgeführten Kläger tragen ihre eigenen Kosten und werden verurteilt, die der Europäischen Zentralbank entstandenen Kosten zu tragen.

Leitsätze

1.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Vertretung – Überwachungsausschuss für den Versorgungsplan – Zwingende Anhörung – Umfang – Reform des Vorsorgesystems – Einbeziehung – Grenzen

(Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Anhang III Art. 2.2)

2.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Vertretung – Überwachungsausschuss für den Versorgungsplan – Zwingende Anhörung – Umfang – Pflicht, dem Ausschuss alle relevanten Informationen zu übermitteln – Grenzen – Interne vorbereitende Dokumente und Protokolle der Sitzungen der Beschlussorgane – Nichteinbeziehung

(Protokoll über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, Art. 10.4; Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank, Art. 23.1)

3.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Vertretung – Personalvertretung – Zwingende Anhörung – Umfang – Zweck

(Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Art. 48 und 49)

4.      Europäische Zentralbank – Direktorium – Sitzungen – Einberufung – Pflicht des Präsidenten der Bank, eine Sitzung einzuberufen, um ein Schreiben der Personalvertretung der Bank zu behandeln – Fehlen

(Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank, Art. 6; Geschäftsordnung des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, Art. 4)

5.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Versorgungsbezüge – Finanzierung des Versorgungssystems – Pflicht des EZB-Rates, das strukturelle Defizit des Versorgungsplans durch die Zahlung zusätzlicher Beiträge aus den allgemeinen Aktiva der Bank auszugleichen – Fehlen

(Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Anhang III Art. 5.1, 6.3 und 6.6)

6.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Versorgungsbezüge – Finanzierung des Versorgungssystems – Modalitäten der Aufrechterhaltung des versicherungsmathematischen Gleichgewichts des Vorsorgesystems der Bank – Festsetzung – Ermessen des EZB-Rates – Gerichtliche Überprüfung – Grenzen – Reform des Vorsorgesystems, die für die Mitglieder des Personals und die Bank unterschiedliche Folgen in Bezug auf die Beiträge nach sich zieht – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Fehlen

(Beamtenstatut, Anhang XII; Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Anhang IIIa Art. 23)

7.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Natur des Beschäftigungsverhältnisses – Vertragliche und nicht dienstrechtliche Natur – Änderung der Beschäftigungsbedingungen in Bezug auf den Versorgungsplan der Bank durch den EZB-Rat – Pflicht zur Einholung der vorherigen Zustimmung der betroffenen Bediensteten – Fehlen

(Protokoll über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, Art. 36.1; Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Art. 9 Buchst. a, Art. 10 Buchst. a und Anhang III; Richtlinie 91/533 des Rates, Art. 2 Abs. 2 Buchst. j Ziff. i)

8.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Versorgungsbezüge – Ersetzung des Versorgungsplans durch ein Versorgungssystem – Abschaffung des Rechts auf ein vorgezogenes Ruhegehalt ohne Kürzung ab einem Alter von 60 Jahren – Anwendung der neuen Bestimmungen auf Bedienstete, die dieses Alter zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Reform noch nicht erreicht haben – Verstoß gegen den Grundsatz der Wahrung erworbener Rechte – Fehlen – Bestehen eines Rechts auf Beibehaltung der alten Umrechnungsfaktoren für die Versorgungsbezüge – Fehlen

(Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Anhang III Art. 11.1 und 11.5)

9.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Versorgungsbezüge – Ersetzung des alten Versorgungsplans der Bank durch ein Vorsorgesystem – Einführung weniger günstiger Bestimmungen – Zulässigkeit – Voraussetzung – Einrichtung einer hinreichend langen Übergangszeit

(Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Anhang III Art. 6.3)

1.      Da sich die Aufgaben des Überwachungsausschusses der Europäischen Zentralbank nur auf die Durchführung des Versorgungsplans und nicht auf seine Konzeption beziehen, kann er nur im Zusammenhang mit Aspekten, die die allgemeine Durchführung des Versorgungsplans betreffen, Stellungnahmen abgeben und ist in keiner Weise dafür zuständig, Stellungnahmen zu den von der Europäischen Zentralbank in Aussicht genommenen Änderungen des Vorsorgesystems im Allgemeinen abzugeben. Die Zuständigkeiten des Überwachungsausschusses werden daher nicht verkannt, wenn seine Anhörung auf den Teil der Reform beschränkt wird, der sich auf ein Einfrieren des Versorgungsplans bezieht.

Insoweit gilt für die Europäische Zentralbank zwar die Fürsorgepflicht, wenn sie gegenüber ihren Bediensteten einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung erlässt, doch wird die Verwaltung dadurch nicht verpflichtet, die Reichweite der anwendbaren Bestimmungen zu missachten. Und auch wenn eine Anhörung des Überwachungsausschusses zu den im Rahmen der Reform ins Auge gefassten Änderungen des Vorsorgesystems weder durch den alten Anhang III der Beschäftigungsbedingungen noch durch das Mandat des Überwachungsausschusses ausdrücklich untersagt wird, sehen diese Bestimmungen nichtsdestoweniger zum einen keine Verpflichtung zur Durchführung einer solchen Anhörung vor, und zum anderen ist der Überwachungsausschuss nur berechtigt, Stellungnahmen zu Fragen der allgemeinen Durchführung des Versorgungsplans abzugeben. Unter diesen Umständen kann der Bank nicht vorgeworfen werden, sie habe das Interesse des Personals nicht beachtet, indem sie entschieden habe, den Überwachungsausschuss nicht zur Einführung des Versorgungssystems anzuhören.

(vgl. Randnrn. 141, 143, 146 und 147)

Verweisung auf:

Gericht für den öffentlichen Dienst: 15. Dezember 2010, Saracco/EZB, F‑66/09, Randnr. 106; 29. September 2011, Angé Serrano/Parlament, F‑9/07, Randnr. 89

2.      Die Anhörungspflicht, die der Europäischen Zentralbank im Rahmen einer Reform ihres Vorsorgesystems obliegt, impliziert, dass sie dem Überwachungsausschuss für den Versorgungsplan die relevanten Informationen während des gesamten Anhörungsverfahrens zukommen lassen muss, da damit bezweckt wird, es diesem Ausschuss zu ermöglichen, so umfassend und effektiv wie möglich an dem Anhörungsverfahren mitzuwirken. Dazu hat ihm die Bank bis zum letzten Moment dieses Verfahrens alle neuen relevanten Informationen zu übermitteln.

Von dieser Verpflichtung sind die vorbereitenden internen Dokumente ausgenommen, in Bezug auf die die Bank grundsätzlich berechtigt ist, anderen Stellen als ihren Beschlussorganen den Zugang zu verweigern. Gleiches gilt für die vorbereitenden Dokumente für Sitzungen des EZB-Rates, des Direktoriums und des Erweiterten Rates sowie die Bildschirmpräsentationen während dieser Sitzungen. Außerdem ergibt sich, was die Protokolle der Sitzungen des EZB-Rates, des Direktoriums und des Erweiterten Rates betrifft, aus Art. 10.4 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank und Art. 23.1 der Geschäftsordnung der Bank, dass die Sitzungen der Beschlussorgane der Bank vertraulich sind, sofern nicht der EZB-Rat den Präsidenten der Bank dazu ermächtigt, das Ergebnis ihrer Beratungen zu veröffentlichen. Unter diesen Bedingungen ist die Bank nicht verpflichtet, sie dem Überwachungsausschuss von sich aus mitzuteilen.

(vgl. Randnrn. 153, 154, 157, 164 und 220)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a., C‑44/08, Randnr. 53

3.      Die Anhörung der Personalvertretung beinhaltet nur das Recht, gehört zu werden. Auch wenn die vorherige Anhörung der Personalvertretung ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Dialogs ist, da sie es der Personalvertretung ermöglicht, in bestimmten Bereichen, die die Interessen des Personals betreffen, effektiv am Entscheidungsprozess mitzuwirken, handelt es sich doch um eine bescheidene Form der Beteiligung am Erlass einer Entscheidung, da die Verwaltung nicht verpflichtet ist, auf die von der Personalvertretung im Rahmen ihrer Anhörung abgegebenen Stellungnahmen hin entsprechend tätig zu werden. Allerdings muss die Verwaltung, soll die praktische Wirksamkeit der Pflicht zur Anhörung der Personalvertretung nicht beeinträchtigt werden, diese Pflicht strikt beachten, wenn die Anhörung der Personalvertretung den Inhalt der zu treffenden Maßnahme beeinflussen könnte.

Das Recht der Personalvertretung der Europäischen Zentralbank, angehört zu werden, beinhaltet daher keine Garantie, dass der Entscheidungsprozess beeinflusst werden kann, da die Bank nicht verpflichtet ist, den von der angehörten Personalvertretung geäußerten Auffassungen zu folgen. Die Antwort auf die Frage nach der praktischen Wirksamkeit des Anhörungsverfahrens hängt somit nicht von der Zahl oder vom Inhalt der Änderungen ab, die die Bank auf Ersuchen der Personalvertretung an ihrem ursprünglichen Reformvorschlag vorgenommen hat, sondern von den tatsächlichen Möglichkeiten, die der Personalvertretung geboten wurden, sich sachdienlich zu den Vorschlägen der Bank zu äußern und andere denkbare Lösungen zu prüfen.

(vgl. Randnrn. 191 und 192)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: 20. November 2003, Cerafogli und Poloni/EZB, T‑63/02, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung

4.      Der Präsident der Europäischen Zentralbank ist in keiner Weise verpflichtet, Maßnahmen einschließlich der Einberufung einer Sitzung des Direktoriums der Bank zu ergreifen, damit ein Schreiben der Personalvertretung den Mitgliedern des Direktoriums und den Mitgliedern des EZB-Rates vorgelegt werden kann. Denn es ist zwar richtig, dass der Präsident der Bank nach Art. 6 ihrer Geschäftsordnung Sitzungen des Direktoriums einberufen kann, wenn er es für nötig hält, und dass Art. 4 der Geschäftsordnung des Direktoriums vorsieht, dass das Direktorium Entscheidungen per Telekonferenz fassen kann, doch ist es Sache des Präsidenten, die Notwendigkeit zu beurteilen, eine solche Sitzung des Direktoriums einzuberufen oder eine Telekonferenz zu organisieren.

(vgl. Randnr. 241)

5.      Entsprechend dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung steht es in der Verantwortung der Europäischen Zentralbank, die Maßnahmen zu erlassen, die sie für angemessen hält, um dem strukturellen Defizit ihres Versorgungsplans abzuhelfen.

Auch wenn Art. 6.3 des alten Anhangs III der Beschäftigungsbedingungen der Bank vorsieht, dass diese aus ihren allgemeinen Aktiva die zusätzlichen Beiträge zahlt, die der EZB-Rat nach einer versicherungsmathematischen Stellungnahme für angemessen hält, ist die Bank jedoch nicht verpflichtet, zusätzliche Beiträge zu dem Plan zu zahlen, wenn der EZB-Rat es nicht für angemessen hält, diese Verpflichtung für die Zukunft aufrechtzuerhalten. Ebenso wenig kann mit Erfolg geltend gemacht werden, dass die Europäische Zentralbank dass finanzielle Gleichgewicht des Plans durch eine Erhöhung ihrer regulären Beiträge gemäß Art. 6.6 des alten Anhangs III der Beschäftigungsbedingungen hätte wiederherstellen müssen. Unmittelbar aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht nämlich hervor, dass eine solche Entscheidung vollständig im Ermessen des EZB-Rates steht.

Im Übrigen ist der EZB-Rat jederzeit berechtigt, die Beiträge der Bank und den Versorgungsplan im eigentlichen Sinne gemäß Art. 5.1 und Art. 6.6 des alten Anhangs III der Beschäftigungsbedingungen zu beenden. Erst recht ist er auch befugt, deutlich weniger drastische Entscheidungen zu treffen, etwa die Zahlung zusätzlicher Beiträge oder erhöhter regulärer Beiträge abzulehnen.

(vgl. Randnrn. 268, 269, 271 und 272)

6.      Das versicherungsmathematische Gleichgewicht des Versorgungssystems der Beamten der Union, dessen Modalitäten in Anhang XII des Statuts festgelegt sind, setzt die langfristige Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklungen und Finanzvariablen voraus und verlangt die Durchführung komplexer statistischer Berechnungen. Aus diesem Grund verfügt der Gesetzgeber der Union über ein weites Ermessen, um die Modalitäten des versicherungsmathematischen Gleichgewichts dieses Vorsorgesystems festzulegen. Dasselbe muss für das Regelungswerk gelten, das vom EZB-Rat aufgestellt wird, der ebenfalls über ein weites Ermessen verfügt, um das versicherungsmathematische Gleichgewicht des Vorsorgesystems für die Mitglieder des Personals der Bank zu gewährleisten. Da es sich um einen Bereich handelt, in dem der Gesetzgeber über ein weites Ermessen verfügt, ist die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit indessen auf die Prüfung beschränkt, ob die fragliche Maßnahme zur Erreichung des Ziels, mit dessen Verfolgung das zuständige Organ betraut ist, offensichtlich ungeeignet ist.

Der bloße Umstand, dass die Reform hinsichtlich der Beiträge für die Mitglieder des Personals und für die Bank als Arbeitgeber unterschiedliche Folgen hat, lässt insoweit für sich genommen nicht die Feststellung eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu, da der Bank mit dem alten Anhang III der Beschäftigungsbedingungen in keiner Weise die Verpflichtung auferlegt wurde, zum Ausgleich eines eventuellen Defizits des Versorgungsplans automatisch zusätzliche Beiträge zu zahlen, wobei eine solche Zahlung im Übrigen eine Zustimmung des EZB-Rates voraussetzte, der der Ansicht war, dass der Plan einzufrieren und durch das Versorgungssystem zu ersetzen sei.

(vgl. Randnrn. 315 bis 318 und 321)

Verweisung auf:

Gericht für den öffentlichen Dienst: 11. Juli 2007, Wils/Parlament, F‑105/05, Randnrn. 70, 72 und 73

7.      Die Beschäftigungsverhältnisse zwischen der Bank und ihrem Personal sind zwar vertraglicher Natur, doch ergibt sich aus Art. 9 Buchst. a der Beschäftigungsbedingungen auch, dass diese Beschäftigungsverhältnisse den im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen geschlossenen Arbeitsverträgen unterliegen. Daraus folgt, dass die Bestimmungen der Beschäftigungsbedingungen und ihres alten Anhangs III über das Vorsorgesystem der Bank Bestandteil der Arbeitsverträge des Personals sind. Die Beschäftigungsbedingungen können insoweit nicht als Tarifverträge im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. j Ziff. i der Richtlinie 91/533 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen angesehen werden, da sie allein vom EZB-Rat in Ausübung seiner ihm mit Art. 36.1 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank übertragenen Regelungsbefugnis einseitig erlassen wurden und nicht zwischen den Beschäftigten und dem Organ ausgehandelt wurden.

Da die Arbeitsverträge nach Art. 9 Buchst. a der Beschäftigungsbedingungen im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen geschlossen werden, erkennen die Bediensteten somit durch die Gegenzeichnung des in Art. 10 Buchst. a der Beschäftigungsbedingungen vorgesehenen Einstellungsschreibens die Beschäftigungsbedingungen an, ohne irgendeinen ihrer Bestandteile einzeln aushandeln zu können. Die Einigung ist demnach teilweise auf die Anerkennung der in den Beschäftigungsbedingungen vorgesehenen Rechte und Pflichten beschränkt. Die betreffenden Arbeitsverträge sind weitgehend durch Rechtsvorschriften geregelt, und die Willensautonomie der künftigen Bediensteten ist bereits im Stadium des Vertragsschlusses sehr schwach. Die Verträge können zwar auch andere Bestandteile enthalten, die von dem betroffenen Bediensteten am Ende von Diskussionen über beispielsweise die wesentlichen Merkmale der ihm übertragenen Aufgaben akzeptiert werden. Jedoch hindert das Vorhandensein solcher Bestandteile als solches die Leitungsorgane der Bank nicht daran, das Ermessen auszuüben, über das sie zur Durchführung der Maßnahmen verfügen, die die im Allgemeininteresse bestehenden Verpflichtungen mit sich bringen, die sich aus der der Bank übertragenen besonderen Aufgabe ergeben. Um solchen dienstlichen Anforderungen zu genügen und es dem Dienst insbesondere zu ermöglichen, sich neuen Erfordernissen anzupassen, können diese Organe somit gezwungen sein, Entscheidungen oder einseitige Maßnahmen zu treffen, die u. a. die Bedingungen für die Erfüllung der Arbeitsverträge ändern können. Daraus ergibt sich, dass sich die Leitungsorgane der Bank bei der Ausübung dieser Befugnis in keiner anderen Lage befinden als die Leitungsorgane der übrigen Einrichtungen und Organe der Union in ihren Beziehungen zu ihren Bediensteten.

Folglich können die Bestimmungen der Beschäftigungsbedingungen des Personals der Europäischen Zentralbank sowie die ihres alten Anhangs III über den Versorgungsplan nicht als unantastbare Bedingungen des Arbeitsverhältnisses zwischen der Bank und ihrem Personal angesehen werden, so dass die Europäische Zentralbank rechtlich nicht in der Lage wäre, sie ohne die Zustimmung ihres Personals zu ändern, und mit ihrem entsprechenden Vorgehen die grundlegenden Bedingungen der Arbeitsverträge des Personals verletzt hätte.

(vgl. Randnrn. 373 bis 375 und 377 bis 380)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: 18. Oktober 2001, X/EZB, T‑333/99, Randnr. 61

Gericht der Europäischen Union: 14. Oktober 2004, Pflugradt/EZB, C‑409/02 P, Randnrn. 34 bis 37, 49 und 53

8.      Ein Beamter kann sich nur dann auf ein erworbenes Recht berufen, wenn die anspruchsbegründende Tatsache unter der Geltung einer Regelung eingetreten ist, die zeitlich vor der Änderung liegt, die an dieser Regelung vorgenommen wurde und die er mit seiner Klage beanstandet.

Was eine Reform der Beschäftigungsbedingungen des Personals der Europäischen Zentralbank betrifft, in deren Rahmen der alte Anhang III dieser Beschäftigungsbedingungen dahin gehend geändert wurde, dass der Versorgungsplan der Bank eingefroren und durch eine neue Vorsorgeregelung, nämlich das Versorgungssystem, ersetzt wurde, ergibt sich in Bezug auf das erworbene Recht eines Mitglieds dieses Personals, ab dem Alter von 60 Jahren ohne Kürzung der Leistungen nach den Art. 11.1 und 11.5 des alten Anhangs III in den Ruhestand zu gehen, aus diesen Bestimmungen, dass das Erreichen des Alters von 60 Jahren durch ein Mitglied des Personals die anspruchsbegründende Tatsache darstellt und es ihm erlaubt, die unmittelbare Feststellung seiner Ruhegehaltsansprüche und die Zahlung der entsprechenden Leistungen ohne jede Kürzung zu verlangen. Ein Mitglied des Personals der Bank, das dieses Alter zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Reform nicht erreicht hat, kann daher zu diesem Zeitpunkt nur über ein Anwartschaftsrecht verfügen, nicht aber über ein erworbenes Recht auf die Feststellung seiner Ruhegehaltsansprüche ohne Leistungskürzung.

Da im Übrigen ein deutlicher Unterschied zwischen der Feststellung des Ruhegehaltsanspruchs und der Zahlung der sich daraus ergebenden Leistungen besteht, werden die erworbenen Rechte in Bezug auf die Feststellung eines Ruhegehalts nicht verletzt, wenn sich aus Umrechnungsfaktoren Änderungen hinsichtlich der tatsächlich gezahlten Beträge ergeben, da diese Änderungen den Ruhegehaltsanspruch im eigentlichen Sinne nicht berühren. Die Umrechnungsfaktoren für Ruhegehälter sind nämlich kein Bestandteil der eigentlichen Ruhegehaltsansprüche, sondern stellen ein Instrument dar, mit dem gewährleistet wird, dass die Ruhegehaltsleistungen auf der Grundlage aktualisierter Sterbetafeln berechnet werden. Da die Umrechnungsfaktoren insbesondere auf den Sterbetafeln beruhen, ist eine regelmäßige Aktualisierung zwingend geboten, um die Vorhersagen hinsichtlich der Lebenserwartung widerzuspiegeln. Folglich kann ein Mitglied des Personals der Bank nicht über ein erworbenes Recht auf die Beibehaltung der angewandten Umrechnungsfaktoren in ihrer vor dem Inkrafttreten der Reform geltenden Form oder auf die Feststellung – zu gegebener Zeit – seiner Ruhegehaltsansprüche für die im Rahmen des eingefrorenen Planes zurückgelegten Zeiten nach Maßgabe insbesondere dieser Faktoren verfügen.

(vgl. Randnrn. 385 bis 387, 389 und 390)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 11. März 1982, Grogan/Kommission, 127/80, Randnrn. 14 und 15

Gericht erster Instanz: 29. November 2006, Campoli/Kommission, T‑135/05, Randnrn. 78 und 80; 11. Juli 2007, Centeno Mediavilla u. a./Kommission, T‑58/05, Randnr. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung

9.      Im Rahmen einer Reform des Versorgungssystems der Beamten der Union steht es dem Unionsgesetzgeber frei, an den Statutsbestimmungen jederzeit die Änderungen vorzunehmen, die seiner Ansicht nach im Einklang mit dem dienstlichen Interesse stehen, und – für die Zukunft – Statutsbestimmungen zu erlassen, die für die betroffenen Beamten weniger günstig sind, sofern er eine Übergangszeit vorsieht, die hinreichend lang ist, um zu vermeiden, dass die zum Zeitpunkt des Ruhestandsalters erworbenen Modalitäten der Ruhegehaltsfeststellung unerwartet geändert werden. Die Verpflichtung, eine angemessene Übergangszeit vorzusehen, gilt auch für den Fall, dass ein weniger günstiges Vorsorgesystem eingeführt wird.

Mit dieser Verpflichtung steht eine Reform des Vorsorgesystems der Bediensteten der Europäischen Zentralbank im Einklang, die vorsieht, dass die Mitglieder des Personals, die ihren Dienst vor dem Inkrafttreten der Änderungen angetreten haben, sowie die ehemaligen Mitglieder des Personals in Bezug auf die Dienste, die sie im Rahmen des alten Versorgungsplans vor dem Inkrafttreten der Reform geleistet haben, weiterhin diesem alten Plan unterliegen. Nach Art. 6.3 des neuen Anhangs III der Beschäftigungsbedingungen ist die Bank ferner verpflichtet, jedes eventuelle Defizit auszugleichen, das im Zusammenhang mit vergangenen oder zukünftigen Passiva steht, die den von den Mitgliedern im Rahmen des alten Versorgungsplans geleisteten Diensten entsprechen. Somit ist eine Übergangszeit vorgesehen worden, die so lange gilt, bis die letzte nach dem alten Plan geschuldete Leistung gezahlt ist, und in der die Bank die Zahlung der geschuldeten Leistungen garantiert.

(vgl. Randnrn. 391 bis 394)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 17. Juli 2008, Campoli/Kommission, C‑71/07 P, Randnr. 74

Gericht erster Instanz: Campoli/Kommission, Randnrn. 85 und 105