Rechtssache C‑386/14
Groupe Steria SCA
gegen
Ministère des Finances et des Comptes publics
(Vorabentscheidungsersuchen der Cour administrative d’appel de Versailles)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Niederlassungsfreiheit –Richtlinie 90/435/EWG – Art. 4 Abs. 2 – Grenzüberschreitende Dividendenausschüttungen – Körperschaftsteuer – Konzernbesteuerung (französische ‚intégration fiscale‘) – Steuerbefreiung für von den Tochtergesellschaften eines steuerlichen Konzerns ausgeschüttete Dividenden – Sitzerfordernis – Dividendenausschüttungen gebietsfremder Tochtergesellschaften – Nicht abziehbare Ausgaben und Aufwendungen, die mit der Beteiligung zusammenhängen“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 2. September 2015
1. Niederlassungsfreiheit – Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Nationale Regelung, die es gebietsansässigen Muttergesellschaften erlaubt, mit ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaft eine steuerliche Einheit zu bilden – Ausschluss gebietsfremder Tochtergesellschaften, wenn ihre Gewinne nicht den Steuervorschriften des Mitgliedstaats der Muttergesellschaft unterliegen – Rechtfertigung – Ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten
(Art. 49 AEUV und 54 AEUV)
2. Niederlassungsfreiheit – Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Nationale Regelung, die eine vollständige Steuerbefreiung für von den Tochtergesellschaften ausgeschüttete Dividenden gemäß einer Regelung zur Konzernbesteuerung vorsieht, die nur gebietsansässigen Gesellschaften vorbehalten ist – Teilweise Steuerbefreiung für von den gebietsfremden Tochtergesellschaften ausgeschüttete Dividenden, die nicht einer solchen Steuereinheit angehören können – Unzulässigkeit – Rechtfertigung – Fehlen
(Art. 49 AEUV; Richtlinie 90/435 des Rates)
3. Rechtsangleichung – Gemeinsames Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten – Richtlinie 90/435 – Art. 4 Abs. 2 – Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die Nichtabsetzbarkeit der Kosten der Beteiligung an der Tochtergesellschaft und der Minderwerte, die sich aufgrund der Ausschüttung ihrer Gewinne ergeben, vom steuerpflichtigen Gewinn der Muttergesellschaft vorzusehen – Grenze – Verpflichtung zur Beachtung der grundlegenden Bestimmungen des Vertrags, darunter Art. 49 AEUV
(Art. 49 AEUV; Richtlinie 90/435 des Rates, Art. 4 Abs. 2)
1. Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Rn. 25-27)
2. Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zur Konzernbesteuerung entgegensteht, wonach bei der Muttergesellschaft eines steuerlichen Konzerns die Hinzurechnung eines Anteils für Ausgaben und Aufwendungen, der pauschal auf 5 % des Nettobetrags der Dividenden, die sie von den in den steuerlichen Konzern einbezogenen gebietsansässigen Gesellschaften erhält, festgelegt ist, neutralisiert wird, während ihr nach diesen Rechtsvorschriften eine solche Neutralisierung für diejenigen Dividenden versagt wird, die von ihren Tochtergesellschaften an sie ausgeschüttet werden, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind und die, wenn sie gebietsansässig wären, objektiv für die Wahl der Konzernbesteuerung in Betracht kämen.
Im Gegensatz zu dem Fall, dass das Sitzerfordernis als Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer Regelung zur Konzernbesteuerung in Anbetracht dessen gerechtfertigt ist, dass eine solche Regelung die Übertragung von Verlusten innerhalb des steuerlichen Konzerns ermöglicht, kann hingegen in Bezug auf andere Steuervorteile als die Übertragung von Verlusten innerhalb eines steuerlichen Konzerns eine solche unterschiedliche Behandlung nicht mit dem Erfordernis gerechtfertigt werden, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren. Sie betrifft nur eingehende Dividenden, die von gebietsansässigen Muttergesellschaften bezogen werden, so dass die Steuerhoheit ein und desselben Mitgliedstaats betroffen ist.
Da im Übrigen kein unmittelbarer Zusammenhang festgestellt werden kann zwischen diesem Steuervorteil und einem steuerlichen Nachteil, der sich aus der Neutralisierung der konzerninternen Transaktionen ergibt, kann ein solcher Vorteil auch nicht mit dem Erfordernis einer Wahrung der Kohärenz des Steuersystems des betreffenden Mitgliedstaats gerechtfertigt werden. Denn auch wenn die Neutralisierung der Hinzurechnung des Anteils für Ausgaben und Aufwendungen aus der Gleichstellung des aus der Muttergesellschaft und ihren Tochtergesellschaften bestehenden Konzerns mit einem einzigen Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten folgt, entsteht der Muttergesellschaft an der Spitze eines steuerlichen Konzerns durch diese Neutralisierung kein steuerlicher Nachteil, sondern im Gegenteil der genannte Steuervorteil.
(vgl. Rn. 27-29, 34-36, 40 und Tenor)
3. Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Rn. 39)