Language of document : ECLI:EU:C:2008:283

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

DÁMASO RUIZ-JARABO COLOMER

vom 15. Mai 20081(1)

Rechtssache C‑298/07

Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände

gegen

deutsche internet versicherung AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

„Richtlinie 2000/31/EG – Elektronischer Geschäftsverkehr – Anbieter von Diensten über das Internet – Elektronische Post“





I –    Einleitung

1.        Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs legt dem Gerichtshof seine Zweifel bezüglich der Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/31/EG(2) vor. Er möchte wissen, ob diese Gemeinschaftsvorschrift ein ausschließlich über das Internet tätiges Versicherungsunternehmen dazu verpflichtet, auf seiner Webseite eine Telefonnummer anzugeben, damit potenzielle Kunden ungehindert mit seinen Mitarbeitern in Kontakt treten können. Hilfsweise fragt er, ob die Angabe einer Adresse für die elektronische Post genügt oder ob daneben ein weiterer Kommunikationsweg eröffnet werden muss, und ob in diesem Fall eine Internet-Anfragemaske zulässig ist.

2.        Die Unsicherheit rührt daher, dass die genannte Bestimmung vom Anbieter Angaben verlangt, die es ermöglichen, schnell mit ihm in Kontakt zu treten und eine unmittelbare und effiziente Kommunikation mit ihm aufzunehmen, dabei aber nur speziell auf die Adresse der elektronischen Post Bezug nimmt.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

3.        Die aufgeworfenen Vorlagefragen konzentrieren sich also auf Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr.

4.        Gemäß ihren Erwägungsgründen 3 bis 6 verfolgt die Richtlinie das Ziel, einen wirklichen Raum ohne Grenzen für die Dienste der Informationsgesellschaft einzurichten und die rechtlichen Hemmnisse zu beseitigen, die ihre Entfaltung und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erschweren, indem sie die Ausübung der Niederlassungs- und Verkehrsfreiheit weniger attraktiv machen.

5.        Im neunten Erwägungsgrund wird zudem ausgeführt, dass diese Richtlinie zusammen mit anderen die Ausübung dieser Tätigkeit als Ausprägung des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Sinne von Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet. Der zehnte Erwägungsgrund stellt klar, dass gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Richtlinie nur diejenigen Maßnahmen vorgesehen sind, die zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts unerlässlich sind, und der elfte Erwägungsgrund sieht vor, dass die Richtlinie das durch die Richtlinie 97/7/EG(3) eingeführte Schutzniveau unberührt lässt.

6.        Der erwähnte Art. 5 Abs. 1 bestimmt, welche Daten der Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft den Nutzern und den zuständigen Behörden zur Verfügung stellen muss; hierzu gehören die Angaben für die unmittelbare Kontaktaufnahme mit ihm, „einschließlich seiner Adresse der elektronischen Post“ (Buchst. c).

B –    Die deutsche Regelung

7.        In § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 des Telemediengesetzes vom 26. Februar 2007 werden diese Bestimmungen der Richtlinie fast wörtlich wiedergegeben, indem den Anbietern dieser Dienste auferlegt wird, durch ihre Angaben einschließlich der Adresse der elektronischen Post für einen leichten, unmittelbaren und ständig verfügbaren Zugang zu sorgen.

III – Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und die Vorlagefragen

8.        Deutsche internet versicherung (im Folgenden: DIV) ist ein Unternehmen, das Kraftfahrzeugversicherungen ausschließlich über das Internet verkauft. Auf seiner Webseite gibt das Unternehmen seine Postanschrift und seine E-Mail-Adresse an, aber keine Telefonnummer; eine solche nennt es nur den Kunden, die einen Vertrag abschließen. Interessenten können dennoch über eine Internet-Anfragemaske Fragen an DIV richten; die Antworten erhalten sie per E-Mail.

9.        Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (im Folgenden: Bundesverband) erhob vor dem Landgericht Dortmund Klage gegen DIV, um sie zur Angabe einer Telefonnummer auf ihrer Internetseite zu verpflichten, was eine unmittelbare Kommunikation mit den potenziellen Kunden ermöglichte. Konkret beantragte der Bundesverband, DIV zur Unterlassung ihrer Haupttätigkeit zu verurteilen; diesem Antrag gab das Landgericht statt.

10.      Diese gerichtliche Entscheidung wurde vor dem Oberlandesgericht Hamm angefochten, das der Berufung stattgab, da es der Auffassung war, dass die gesetzlich verlangte unmittelbare Kommunikation mit dem Diensteanbieter auf dem von DIV verwendeten elektronischen Weg, ohne telefonische Kontaktaufnahme, möglich sei. Es wies darauf hin, dass das Unternehmen Anfragen bearbeite, ohne Dritte dazwischenzuschalten, und dass die Antwort schnell bei der E-Mail-Adresse des Kunden eingehe (nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen zwischen 30 und 60 Minuten später).

11.      Der Bundesverband legte Revision beim Bundesgerichtshof ein, der der Auffassung ist, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr abhänge, und dem Gerichtshof gemäß Art. 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

1.      Ist ein Diensteanbieter nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie verpflichtet, vor Vertragsabschluss mit einem Nutzer des Dienstes eine Telefonnummer anzugeben, um eine schnelle Kontaktaufnahme und eine unmittelbare und effiziente Kommunikation zu ermöglichen?

2.      Falls die Frage zu 1 verneint wird:

a)      Muss ein Diensteanbieter neben der Angabe der Adresse der elektronischen Post vor einem Vertragsschluss mit einem Nutzer des Dienstes nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie einen zweiten Kommunikationsweg eröffnen?

b)      Bejahendenfalls: Reicht es für einen zweiten Kommunikationsweg aus, dass der Diensteanbieter eine Anfragemaske einrichtet, mit der der Nutzer sich über das Internet an den Diensteanbieter wenden kann, und die Beantwortung der Anfrage des Nutzers durch den Diensteanbieter mittels E-Mail erfolgt?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

12.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 22. Juni 2007 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

13.      Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die Kommission sowie die italienische, die polnische und die schwedische Regierung haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

14.      Da keiner der Beteiligten die Eröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt hat, konnten nach der Generalversammlung am 1. April 2008 die Schlussanträge in dieser Rechtssache ausgearbeitet werden.

V –    Prüfung der Vorlagefragen

15.      Der Bundesgerichtshof begehrt vom Gerichtshof eine Klarstellung bezüglich der Tragweite des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr.

16.      Es geht um die Frage, ob eine Webseite eines deutschen Unternehmens, die nur eine Adresse für elektronische Post und ein Formular für per E-Mail zu beantwortende Anfragen, aber keine Telefonnummer enthält, den in dieser Bestimmung und in den nationalen Vorschriften selbst vorgesehenen Anforderungen genügt.

17.      Nach der Gemeinschaftsregelung muss der Diensteanbieter den Nutzern Angaben für eine schnelle Kontaktaufnahme und eine unmittelbare und effiziente Kommunikation mit ihm, einschließlich seiner Adresse der elektronischen Post, unmittelbar und ständig zur Verfügung stellen.

18.      Bei einer streng grammatikalischen Auslegung zeichnet sich keine zufriedenstellende und eindeutige Antwort auf die vorgelegten Fragen ab, vor allem, wenn man die verschiedenen Sprachfassungen der Vorschrift vergleicht. Es ist daher unerlässlich, auch eine teleologische und systematische Prüfung durchzuführen, denn nur mittels der Abwägung aller dieser Faktoren für die Auslegung (Wortlaut, Ziele und Kontext der Richtlinie) können die Zweifelsfragen in dieser Rechtssache gelöst werden.

A –    Der Wortsinn von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie

19.      Eine erste Annäherung an die syntaktische Beschaffenheit der Bestimmung verursacht einige Unsicherheiten, die sich aus der Verwendung der Begriffe „incluyendo“ [„einschließlich“] und „señas“ [„Angaben“] ergeben.

20.      Der Gebrauch des Gerundiums „incluyendo“ vor der besonderen Erwähnung der elektronischen Post („y compris“ in der französischen, „including“ in der englischen und „einschließlich“ in der deutschen Fassung) scheint darauf hinzudeuten, dass das Unternehmen neben der E-Mail noch irgendein anderes Mittel zur Kontaktaufnahme anbieten muss, da dieses Mittel allein möglicherweise nicht ausreicht, um der Richtlinie zu genügen. Nach diesem Verständnis hätte der Diensteanbieter den Nutzern mindestens zwei Kommunikationswege zu garantieren, zu denen die elektronische Post zählen müsste. Dieser Auslegung ist, wie in dem Vorabentscheidungsersuchen ausgeführt wird, der österreichische Oberste Gerichtshof zu Art. 5 Abs. 1 Nr. 3 des E-Commerce-Gesetzes, der nationalen Umsetzungsregelung, gefolgt.

21.      Der Richtlinientext enthält jedoch keine Erläuterungen zu den zusätzlichen Kontaktinformationen, die dem Interessenten zu erteilen sind. Eine Prüfung einiger Fassungen des Artikels legt unterschiedliche Schlüsse nahe. So bezieht sich das Wort „señas“ der spanischen Fassung im Sprachgebrauch gewöhnlich auf die Adresse einer Person(4), während zu den „coordonnées“ der französischen Fassung auch die Telefonnummer zählt(5). Die Ausdrücke im Englischen oder im Deutschen sind dagegen sehr viel neutraler und allgemeiner (mit „details“ bzw. „Angaben“ werden Informationen jeglicher Art bezeichnet).

22.      Nach ständiger Rechtsprechung haben alle Sprachfassungen denselben Wert, und die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung von Gemeinschaftsvorschriften verbietet es, „im Fall von Zweifeln eine Bestimmung in einer ihrer Fassungen isoliert zu betrachten“, sondern gebietet vielmehr, sie unter Berücksichtigung ihrer Fassungen in den anderen Amtssprachen auszulegen und anzuwenden; gibt es Abweichungen, sind die Systematik und der Zweck der Regelung heranzuziehen(6).

23.      Wenn aber aus dieser kleinen vergleichenden Analyse eine Folgerung gezogen werden kann, dann die, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nach einer allgemeinen Formulierung für die Vorschrift gesucht hat, die jeden für eine unmittelbare und effiziente Verbindung mit dem Diensteanbieter geeigneten Hinweis umfasst, und lediglich die Angabe einer Adresse der elektronischen Post als unabdingbar voraussetzt.

B –    Bedeutung des Ausdrucks „unmittelbare und effiziente Kommunikation“ im Hinblick auf den Kontext und die Ziele der Richtlinie

24.      Der Kern des Problems liegt also darin, zu bestimmen, was eine „unmittelbare und effiziente Kommunikation“ gemäß Art. 5 voraussetzt.

25.      Der Kläger des Ausgangsverfahrens und die italienische Regierung machen geltend, dass ein solcher Kontakt nur auf telefonischem Weg zu erreichen ist, da die Unmittelbarkeit ein Gespräch „von Person zu Person“ voraussetze und die Effizienz die Sicherstellung einer praktisch sofortigen Antwort erfordere; eine zeitversetzte Behandlung der übermittelten Informationen sei nicht ausreichend. Sie tragen auch vor, dass der Wortlaut der Vorschrift dazu verpflichte, ein zusätzliches Kommunikationsmittel neben der E-Mail anzugeben.

26.      Diese Auffassung ist jedoch übermäßig einschränkend und berücksichtigt, was noch wichtiger ist, weder den besonderen Kontext, in dem die Richtlinie angewendet wird, noch die mit ihr verfolgten Ziele.

27.      Ich meine aber, dass eine vollständige und umfassende Prüfung der streitigen Vorschrift die folgenden Fragen umfasst: Ist, erstens, das Telefon das einzige Mittel zu einer „unmittelbaren und effizienten“ Kommunikation; stellt, zweitens, die elektronische Post ein effizientes Instrument im Kontext der Richtlinie dar; steht es, drittens, mit den Zielen der Richtlinie selbst in Einklang, nur eine E-Mail-Adresse zu verlangen, und liegt, viertens, bei diesem Sachverhalt auch eine Verletzung der Rechte der Verbraucher vor?

1.      Das Telefon ist nicht das einzige Mittel zur Sicherstellung einer „unmittelbaren und effizienten“ Kommunikation

28.      Ich teile nicht die Auffassung, dass eine unmittelbare Kommunikation nur hergestellt wird, wenn ein Informationsaustausch „von Person zu Person“ stattfindet, da das Adjektiv „unmittelbar“ nicht auf die Art des Kontakts – verbal oder schriftlich – hinweist, sondern darauf, dass er ohne Vermittler stattfindet (in diesem Fall: zwischen dem Kunden und einem Vertreter des Unternehmens). Diese Voraussetzung kann sowohl mittels Telefon als auch mittels elektronischer Post erfüllt werden.

29.      Ebenso wenig bin ich damit einverstanden, einem Kommunikationsmittel, bei dem eingehende Informationen „zeitversetzt“ (wie es der Kläger ausdrückt) bearbeitet werden, die Eigenschaft der Effizienz abzusprechen, da dies der Aussage gleichkäme, eine schriftliche Antwort sei ineffizient.

30.      Vorausgesetzt, dass die Antwortfrist nicht zu sehr ausgedehnt wird, bringt die Schriftform größere Sicherheit mit sich, da normalerweise angenommen werden kann, dass die Antwort mit mehr Bedacht und Überlegung erfolgt, und weil sie aufgrund der Beständigkeit einen unleugbaren Vorteil als Beweismittel hat. Effizienz wird nur erreicht, wenn der Kunde eine schnelle Antwort erhält: nicht sofort, aber doch bald. Die streitige Bestimmung spricht von der Möglichkeit einer „unmittelbaren und effizienten Kommunikation“ mit dem Diensteanbieter, aber auch von der Möglichkeit, „schnell“ mit ihm Kontakt aufzunehmen.

31.      Schließlich halte ich es für wichtig, die Aussage zu nuancieren, dass die „effiziente“ Kommunikation einen wirklichen Dialog der Beteiligten befördert, bei dem auf jede Frage eine rasche Antwort folgt, mit zusätzlichen Reaktionen, was bei telefonischen Antwortdiensten nicht immer geschieht, da die Anrufe oft nicht von einer Person entgegengenommen werden und der Interessent mit einem Sprachmenü verbunden wird, bei dem er die Optionen auswählen muss, die dem, worüber er sich beraten lassen will, am nächsten kommen.

32.      Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass das Telefon nicht das einzige Medium ist, um eine unmittelbare und effiziente Kommunikation zwischen dem Diensteanbieter und dem potenziellen Kunden herzustellen. Eine schriftliche Verbindung über das Internet(7) würde diesen Voraussetzungen genügen, sofern sie ohne Vermittler und mit einer gewissen Zügigkeit stattfände. Dies ist bei dem im Ausgangsfall beklagten Unternehmen der Fall: Nach dem in der Tatsacheninstanz erhobenen Sachverständigenbeweis gingen die Antworten auf die Anfragen der Interessenten nach 30 bis 60 Minuten mit ihrer elektronischen Post ein.

33.      Dieses Verständnis, das für die Annahme einer unmittelbaren und effizienten Kommunikation über das Telefon hinaus andere Instrumente zulässt, scheint besser mit den Zielen und dem Kontext der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr vereinbar und in Einklang zu stehen, Auslegungsfaktoren, die nach ständiger Rechtsprechung die strikt am Wortlaut orientierte Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts ergänzen(8).

2.      Die elektronische Post als Instrument der effizienten Kommunikation im Kontext der Richtlinie

34.      Die Richtlinie ist in einem ganz bestimmten Rahmen anwendbar, nämlich dem der Handelsbeziehungen über das Internet, in dem die Information über die angebotenen Dienste, die vorbereitenden Kontakte und der Vertragsschluss selbst im Netz erfolgen. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c nimmt nur auf die elektronische Post als das am besten an dieses Medium angepasste Kommunikationsinstrument ausdrücklich Bezug.

35.      Entschließt sich ein Nutzer, sich an einen ausschließlich im Internet tätigen Händler zu wenden, erklärt er sich stillschweigend damit einverstanden, dass die Korrespondenz mit dem Unternehmen ausschließlich auf elektronischem Weg geführt wird, unter Ausschluss (zumindest in einer ersten, der Vertragsunterzeichnung vorausgehenden Phase) jedes persönlichen oder telefonischen Kontakts. Außerdem verfügt, wer sich an ein Unternehmen wendet, das seine Dienste ausschließlich im Internet anbietet, normalerweise über eine E-Mail-Adresse (oder über die Fähigkeit, eine solche ohne Schwierigkeit zu schaffen).

36.      Geschäftliche Transaktionen im Internet rufen einiges Misstrauen hervor, so dass sie besondere Garantien in Bezug auf die Identität und die Zuverlässigkeit des Diensteanbieters verlangen. Man kann aber heute diesen Garantien nicht ein Kommunikationsmittel hinzufügen, das dem Umfeld selbst, in dem die Geschäftstätigkeit stattfindet, fremd ist, nur weil man es als herkömmlicher und bekannter, insgesamt als sicherer ansieht. Schon immer hat es in der Menschheitsgeschichte Ablehnung und Skepsis gegenüber neuen Geschäftsformen gegeben, und das Telefon selbst, jetzt so alltäglich und vertrauenswürdig, erweckte großes Misstrauen, als es begann, in die menschlichen Beziehungen vorzudringen(9).

37.      Das Internet hat eine ähnliche Entwicklung erlebt: Die anfänglichen Vorbehalte (die zum „Platzen der Dotcom-Blase“ am Anfang dieses Jahrhunderts beitrugen(10)) machten einem ganz anderen Bild Platz, das gekennzeichnet ist durch eine außerordentliche Verbreitung des Zugangs zum Netz und ein größeres Vertrauen der Verbraucher in das Medium(11) dank der Verbesserung der Chiffrierungsmechanismen für die Sicherheit der Transaktionen und der Verstärkung der Instrumente zum Schutz persönlicher Daten(12).

38.      Alles in allem gehört die Kommunikation über das Internet zum Wesen des elektronischen Geschäftsverkehrs, mit dem sie untrennbar verbunden ist, so dass es vollkommen natürlich ist, dass die Kontakte zwischen dem im Netz tätigen Unternehmen und einem potenziellen Kunden auf diesem Weg, unter Ausschluss jedes anderen Weges, aufgenommen werden.

3.                Es ist mit den Zielen der Richtlinie besser zu vereinbaren, ausschließlich elektronische Post zu verlangen

39.      Es scheint somit sowohl mit den allgemeinen Zielen der Richtlinie als auch mit dem Zweck, den ihr Art. 5 verfolgt, besser in Einklang zu stehen, nur elektronische Post zu verlangen.

40.      Gemäß ihren Erwägungsgründen 3, 4, 5, 6 und 8 zielt die Richtlinie auf die Entwicklung der Informationsgesellschaft und die Nutzung der Chancen des elektronischen Geschäftsverkehrs für den Binnenmarkt ab.

41.      Ich stimme folglich mit der schwedischen und der polnischen Regierung darin überein, dass das Erfordernis einer Telefonleitung ein bedeutendes Hemmnis für diese Art Handel und auf jeden Fall für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts in diesem Bereich darstellen kann.

42.      Darüber hinaus garantiert die bloße Angabe einer Telefonnummer auf der Webseite nicht jene unmittelbare und effiziente Kommunikation, von der die Richtlinie spricht, die sich nur mit einem „Call‑Center“ (im Wirtschaftsjargon) erreichen lässt. Diese Systeme der telefonischen Kundenbetreuung sind für das Unternehmen mit hohen Kosten verbunden(13), was sich negativ auf die Preise auswirkt und die Fähigkeit kleiner Unternehmen, die häufig die innovativsten und dynamischsten in der Wirtschaft sind, gefährdet, elektronischen Geschäftsverkehr zu betreiben.

43.      Es ist daher undenkbar, dass die Richtlinie die im Netz tätigen Unternehmen verpflichtet, den Interessenten stets die Möglichkeit einer telefonischen Betreuung anzubieten, wie dies auch weder die Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz noch die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher(14) tun. Vielmehr gestatten diese beiden Richtlinien im Rahmen der Regelung über die jedem Nutzer vor Vertragsabschluss zur Verfügung zu stellenden Informationen, diese Informationen auf jedwede der verwendeten Fernkommunikationstechnik angepasste Weise zu erteilen (Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 97/7 und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2002/65).

44.      Hier kommt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ins Spiel, da nach dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie die vorgesehenen Maßnahmen auf diejenigen beschränkt sind, die zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts unerlässlich sind. Eine Wortlautauslegung der in Rede stehenden Vorschrift ginge, abgesehen von der damit verbundenen Beeinträchtigung der Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs, über das hinaus, was sowohl für die Gewährleistung eines funktionierenden Binnenmarkts als auch für eine „unmittelbare und effiziente Kommunikation“ mit dem Anbieter strikt unerlässlich wäre.

4.                In diesem Fall liegt keine Verletzung der Rechte der Verbraucher vor

45.      Der Verbraucherschutzgedanke kann nicht angeführt werden, da es bei diesem Sachverhalt darum geht, sich an ein Unternehmen zu wenden, um Erläuterungen zu den Diensten zu erbitten, die dieses im Internet anbietet. Es besteht noch keinerlei Vertragsverhältnis zwischen den Beteiligten und daher auch noch keine Möglichkeit einer schweren Beeinträchtigung der Interessen des Verbrauchers. Das Unternehmen entscheidet sich dafür, ausschließlich im Internet tätig zu sein, und der potenzielle Kunde wählt einen Anbieter, den eben dies kennzeichnet.

46.      Das vom Anbieter verwendete Mittel ist einer der Bestandteile seines Angebots; wenn der Kunde seine Fragen nicht schriftlich stellen will oder wenn er einen persönlicheren Kontakt vorzieht, kann er sich jederzeit an ein anderes Unternehmen wenden, das ihm telefonisch (oder sogar am Schalter) antwortet. Er verzichtet somit auf ein Angebot zugunsten eines anderen, das seine Anforderungen besser erfüllt, so wie er die Preise oder Versicherungsbedingungen vergleicht und ebenso wie derjenige verfährt, der sich gern persönlich in seiner Bank einfindet und der seine Ersparnisse keinem Finanzunternehmen anvertraut, das nicht über Zweigniederlassungen verfügt.

C –    Zusammenfassung

47.      Aus allen diesen Gründen scheint es unumgänglich, die Wortlautauslegung des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr im Sinne einer besseren Verwirklichung ihrer Ziele unter Berücksichtigung des Kontextes, in dem sie Anwendung findet, zu nuancieren, wobei vor allen anderen das Ziel steht, dem Verbraucher eine schnelle, unmittelbare und effiziente erste Kommunikation mit dem Diensteanbieter zu gewährleisten.

48.      Auf die erste Frage des Bundesgerichtshofs wäre zu antworten, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. c weder ausdrücklich noch implizit die Veröffentlichung einer Telefonnummer auf der Webseite des Diensteanbieters verlangt, obwohl die Vorschrift ausdrücklich die Herstellung eines Kontaktes durch elektronische Post erwähnt.

49.      Hinsichtlich der zweiten Frage schließe ich mich der Kommission an, da eine schnelle, effiziente und unmittelbare elektronische Kommunikation genügt, um den von der Richtlinie geforderten qualifizierten Zugang verfügbar zu machen, ohne dass ein zweiter Weg der Kontaktaufnahme mit dem Anbieter eröffnet werden müsste. Die fragliche Vorschrift ist daher in dem Sinne zu verstehen, dass die Internetseite zumindest die Adresse der elektronischen Post enthalten muss. Gemäß dieser Auslegung wäre ein zusätzlicher Mechanismus nur hinzuzufügen, wenn die E-Mail diese Art Verbindung nicht gewährleisten könnte, wobei geprüft werden müsste, ob mit dem Telefon das Ziel des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c erreicht werden kann.

50.      Nach diesem Verständnis der Richtlinie erübrigt sich eine Prüfung der dritten Frage des deutschen Gerichts. Sollte sich jedoch der Gerichtshof zu einer Wortlautauslegung der Richtlinie entscheiden, wonach die Eröffnung eines zweiten Kommunikationswegs verpflichtend wäre, so wäre eine Internet-Anfragemaske als zweckmäßig anzusehen, trotz der Ähnlichkeit dieses Instruments mit der einfachen Angabe der Adresse der elektronischen Post.

VI – Ergebnis

51.      Aufgrund dieser Überlegungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

1.       Ein Diensteanbieter ist nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt nicht verpflichtet, vor Vertragsabschluss eine Telefonnummer zur Information der Verbraucher anzugeben.

2.       Ebenso wenig ist der Diensteanbieter nach dieser Bestimmung verpflichtet, neben der Angabe der Adresse der elektronischen Post für einen zweiten Weg zu sorgen, um Anfragen des Nutzers entgegenzunehmen, sofern der Weg der elektronischen Post angemessen und ausreichend ist, um einen schnellen Kontakt herzustellen und eine unmittelbare und effiziente Kommunikation einzuleiten.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (ABl. L 178, S. 1).


3 – Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. L 144, S. 19).


4 – Das Wörterbuch der Real Academia Española nennt diese Bedeutung nicht (es führt nur „señas personales“, die als „rasgos característicos [charakteristische Züge] de una persona“ definiert werden, die sie von anderen unterscheiden, und die Wendung „dar señas de algo“ im Sinne von „manifestar sus circunstancias individuales“, etwas als aus etwas anderem Hervorstechendes beschreiben). Dagegen wurde diese Bedeutung in den Diccionario de Uso del Español von María Moliner aufgenommen, der als dritte Bedeutung des Wortes (im Plural) die „indicación precisa del sitio donde vive una persona“ nennt.


5 – Interessanterweise führt das Wörterbuch der Académie Française zwar die umgangssprachliche und bildliche Wendung „donnez-moi vos coordonnées“ als Synonym für Adresse und Telefonnummer, rät aber von ihrer Verwendung ab.


6 – Urteile vom 12. November 1969, Stauder/Ulm (29/69, Slg. 1969, 419), vom 27. Oktober 1977, Bouchereau (C‑30/77, Slg. 1977, 1999), vom 12. Juli 1979, Koschniske (9/79, Slg. 1979, 2717), vom 7. Juli 1988, Moksel (55/87, Slg. 1988, 3845), vom 2. April 1998, EMU Tabac u. a. (C‑296/95, Slg. 1998, I‑1605), vom 7. Dezember 2000, Italien/Kommission (C‑482/98, Slg. 2000, I‑10861), vom 1. April 2004, Borgmann (C‑1/02, Slg. 2004, I‑3219), vom 19. April 2007, Profisa (C‑63/06, Slg. 2007, I‑3239), und vom 4. Oktober 2007, Schutzverband der Spirituosen-Industrie (C‑457/05, Slg. 2007, I‑8075).


7 – Sei sie nun synchron (wie bei den sogenannten „chats“) oder asynchron (wie bei der elektronischen Post), um eine in der Welt der Informatik weitverbreitete Terminologie zu verwenden.


8 – Urteile vom 23. November 2006, ZVK (C‑300/05, Slg. 2006, I‑11169), vom 6. Juli 2006, Kommission/Portugal (C‑53/05, Slg. 2006, I‑6215), vom 18. Mai 2000, KVS International (C‑301/98, Slg. 2000, I‑3583), vom 19. September 2000, Deutschland/Kommission (C‑156/98, Slg. 2000, I‑6857), und vom 17. November 1983, Merck (292/82, Slg. 1983, 3781).


9 – In À la recherche du temps perdu, À l’ombre des jeunes filles en fleur, Ed. Gallimard, La Pléiade, Paris, 1987, Band I, S. 596, schildert Marcel Proust, wie Frau Bontemps mit Frau Swann anlässlich des Anschlusses von Elektrizität durch Frau Verdurin in ihrem neuen Haus die Geschichte der Schwägerin einer ihrer Bekannten bespricht, die Telefon in ihrer Wohnung installiert hat, mit dem sie bestellen könne, was sie wolle, ohne selbst ihr Zimmer zu verlassen! Frau Bontemps gibt eine gewisse Neugier auf den Apparat und eine unwiderstehliche Versuchung zu, seine Funktion zu erproben, zieht es jedoch vor, dies im Haus einer anderen Person zu tun, da er, ihrem Urteil nach, wenn das erste Vergnügen einmal vorüber sei, wirklich Kopfzerbrechen bereiten müsse.


10 – Castells, M., La Galaxia Internet, Plaza y Janés Editores, SA, Barcelona, 2001.


11 – Nach Eurostat stieg der prozentuale Anteil der Familien in der Europäischen Union, die Zugang zu Breitbanddiensten in ihrer Wohnung haben, von 14 % im Jahr 2004 auf 42 % im Jahr 2007; in Deutschland stieg dieser Anteil von 9 % (2003) auf 50 % (2007). Aufschlussreich ist auch (ebenfalls nach Eurostat) der aus dem elektronischen Geschäftsverkehr herrührende Anteil am Umsatz der europäischen Unternehmen, der von 2,1 % im Jahr 2004 auf 4,2 % im Jahr 2007 gestiegen ist (Gesamtumsätze für die Europäische Union).


12 – Die Studie Realities of the European on line marketplace des European Consumer Centre’s Network spricht von einer zweiten E-commerce‑Welle als Ergebnis einer zunehmenden Sicherheit der Verbraucher in Bezug auf digitale Medien; dennoch räumt sie ein, dass es bis zur Verwirklichung der Voraussagen über den Absatz dieses Marktes noch ein langer Weg sei (http://ec.europa.eu/consumers/redress/ecc_network/european_online_marketplace2003.pdf). Luc Grynbaum hält es für „denkbar, dass die von einigen Wirtschaftlern so geliebte unsichtbare Hand des Marktes in der Zukunft nicht nur eine finanzielle Realität darstellt, sondern auch zu einer geschäftlichen Realität in Form des durch das Web geschaffenen großen, virtuellen und dauerhaften Markts wird“ (Grynbaum, L., „La Directive ‚commerce électronique‘ ou l’inquiétant retour de l’individualisme juridique“, in La Semaine Juridique, Edition Générale, nº 12, 21. März 2001, S. I 307).


13 – Wie kostspielig dieser Dienst ist, wird aus dem Vergleich mit anderen Kommunikationsformen, bei denen schriftlich geantwortet wird, deutlich, da sich gezeigt hat, dass sich die Telefonanrufe gewöhnlich auf bestimmte Stoßzeiten konzentrieren (Empirical Analysis of a Call Center, von Avishai Mandelbaum, Anat Sakov und Sergey Zeltyn, Israel Institute of Technology, 2001).


14 – Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. L 271, S. 16).