Language of document : ECLI:EU:T:2007:344

BESCHLUSS DES FÜR DIE GEWÄHRUNG VORLÄUFIGEN RECHTSSCHUTZES ZUSTÄNDIGEN RICHTERS

15. November 2007(*)

„Vorläufiger Rechtsschutz – Beschluss des Europäischen Parlaments – Prüfung der Mandate der gewählten Mitglieder – Aus der Anwendung des nationalen Wahlrechts resultierende Ungültigerklärung eines Parlamentsmandats – Antrag auf Aussetzung des Vollzugs – Zulässigkeit – Fumus boni iuris – Dringlichkeit – Interessenabwägung“

In der Rechtssache T‑215/07 R

Beniamino Donnici, wohnhaft in Castrolibero (Italien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Sanino, G. M. Roberti, I. Perego und P. Salvatore,

Antragsteller,

unterstützt durch

Italienische Republik, vertreten durch I. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato P. Gentili,

Streithelferin,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch H. Krück, N. Lorenz und A. Caiola als Bevollmächtigte,

Antragsgegner,

unterstützt durch

Achille Occhetto, wohnhaft in Rom (Italien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte P. De Caterini und F. Paola,

Streithelfer,

wegen Aussetzung des Vollzugs des Beschlusses des Europäischen Parlaments vom 24. Mai 2007 zur Prüfung des Mandats von Beniamino Donnici (2007/2121[REG]) bis zur Entscheidung des Gerichts über die Klage

erlässt

DER RICHTER DER EINWEILIGEN ANORDNUNG

in Vertretung des Präsidenten des Gerichts gemäß Art. 106 der Verfahrensordnung und den Entscheidungen des Plenums des Gerichts vom 5. Juli 2006, vom 6. Juni 2007 und 19. September 2007

folgenden

Beschluss

 Rechtlicher Rahmen

1        Die Art. 6 bis 8, Art. 12 und Art. 13 Abs. 3 des Aktes zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments (ABl. 1976, L 278, S. 5), zuletzt geändert und neu nummeriert durch den Beschluss 2002/772/EG, Euratom des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 (ABl. L 283, S. 1, im Folgenden: Akt von 1976), lauten:

„Artikel 6

(1) Die Mitglieder des Europäischen Parlaments geben ihre Stimmen einzeln und persönlich ab. Sie sind weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden.

(2) Die Mitglieder des Europäischen Parlaments genießen die Vorrechte und Befreiungen, die nach dem Protokoll vom 8. April 1965 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften für sie gelten.

Artikel 7

(1) Die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament ist unvereinbar mit der Eigenschaft als

–        Mitglied der Regierung eines Mitgliedstaats;

–        Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaften;

–        Richter, Generalanwalt oder Kanzler des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften oder des Gerichts erster Instanz;

–        Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank;

–        Mitglied des Rechnungshofs der Europäischen Gemeinschaften;

–        Bürgerbeauftragter der Europäischen Gemeinschaften;

–        Mitglied des Wirtschafts- und Sozialausschusses der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft;

–        Mitglied von Ausschüssen und Gremien, die auf Grund der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft Mittel der Gemeinschaften verwalten oder eine dauernde unmittelbare Verwaltungsaufgabe wahrnehmen;

–        Mitglied des Verwaltungsrats oder des Direktoriums oder Bediensteter der Europäischen Investitionsbank;

–        im aktiven Dienst stehender Beamter oder Bediensteter der Organe der Europäischen Gemeinschaften oder der ihnen angegliederten Einrichtungen, Ämter, Agenturen und Gremien oder der Europäischen Zentralbank.

(2) Ab der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 ist die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament unvereinbar mit der Eigenschaft als Abgeordneter eines nationalen Parlaments.

Abweichend von dieser Regel und unbeschadet des Absatzes 3

–        können die Abgeordneten des nationalen irischen Parlaments, die in einer folgenden Wahl in das Europäische Parlament gewählt werden, bis zur nächsten Wahl zum nationalen irischen Parlament ein Doppelmandat ausüben; ab diesem Zeitpunkt ist Unterabsatz 1 anwendbar;

–        können die Abgeordneten des nationalen Parlaments des Vereinigten Königreichs, die während des Fünfjahreszeitraums vor der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments sind, bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2009 ein Doppelmandat ausüben; ab diesem Zeitpunkt ist Unterabsatz 1 anwendbar.

Artikel 8

Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Akts bestimmt sich das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften.

Diese innerstaatlichen Vorschriften, die gegebenenfalls den Besonderheiten in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen können, dürfen das Verhältniswahlsystem insgesamt nicht in Frage stellen.

Artikel 12

Das Europäische Parlament prüft die Mandate seiner Mitglieder. Zu diesem Zweck nimmt das Europäische Parlament die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse zur Kenntnis und befindet über die Anfechtungen, die gegebenenfalls auf Grund der Vorschriften dieses Akts – mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird – vorgebracht werden könnten.

Artikel 13

(3) Ist in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates ausdrücklich der Entzug des Mandats eines Mitglieds des Europäischen Parlaments vorgesehen, so erlischt sein Mandat entsprechend diesen Rechtsvorschriften. Die zuständigen einzelstaatlichen Behörden setzen das Europäische Parlament davon in Kenntnis.“

2        Art. 3 und Art. 4 Abs. 3 und 4 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments lauten:

„Artikel 3

Prüfung der Mandate

1. Im Anschluss an die Wahlen zum Europäischen Parlament fordert der Präsident die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten auf, dem Parlament unverzüglich die Namen der gewählten Mitglieder mitzuteilen, damit sämtliche Mitglieder ihre Sitze im Parlament ab der Eröffnung der ersten Sitzung im Anschluss an die Wahlen einnehmen können.

Gleichzeitig macht der Präsident die genannten Behörden auf die einschlägigen Bestimmungen des Akts [von] 1976 aufmerksam und ersucht sie, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um jedweder Unvereinbarkeit mit der Ausübung eines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments vorzubeugen.

2. Jedes Mitglied, dessen Wahl dem Parlament bekannt gegeben worden ist, gibt vor der Einnahme seines Sitzes im Parlament eine schriftliche Erklärung dahin gehend ab, dass es kein Amt innehat, das im Sinne des Artikels 7 Absätze 1 und 2 des Akts [von] 1976 mit der Ausübung eines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments unvereinbar ist. Nach allgemeinen Wahlen ist diese Erklärung, soweit möglich, spätestens sechs Tage vor der konstituierenden Sitzung des Parlaments abzugeben. Solange das Mandat eines Mitglieds nicht geprüft oder über eine Anfechtung noch nicht befunden worden ist, nimmt das Mitglied unter der Voraussetzung, dass es zuvor die vorgenannte schriftliche Erklärung unterzeichnet hat, an den Sitzungen des Parlaments und seiner Organe mit vollen Rechten teil.

Steht auf Grund von Tatsachen, die an Hand öffentlich zugänglicher Quellen nachprüfbar sind, fest, dass ein Mitglied ein Amt innehat, das im Sinne des Artikels 7 Absätze 1 und 2 des Akts [von] 1976 mit der Ausübung eines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments unvereinbar ist, stellt das Parlament nach Unterrichtung durch seinen Präsidenten das Freiwerden des Sitzes fest.

3. Auf der Grundlage eines Berichts seines zuständigen Ausschusses prüft das Parlament unverzüglich die Mandate und entscheidet über die Gültigkeit der Mandate jedes seiner neu gewählten Mitglieder sowie über etwaige Anfechtungen, die aufgrund der Bestimmungen des Akts [von] 1976 geltend gemacht werden, nicht aber über diejenigen, die auf die nationalen Wahlgesetze gestützt werden.

4. Der Bericht des zuständigen Ausschusses stützt sich auf die offizielle Mitteilung sämtlicher Mitgliedstaaten über die Gesamtheit der Wahlergebnisse unter genauer Angabe der gewählten Kandidaten sowie ihrer etwaigen Stellvertreter einschließlich ihrer Rangfolge aufgrund des Wahlergebnisses.

Das Mandat eines Mitglieds kann nur für gültig erklärt werden, wenn das Mitglied die schriftlichen Erklärungen abgegeben hat, zu denen es aufgrund dieses Artikels sowie Anlage I dieser Geschäftsordnung verpflichtet ist.

Das Parlament kann sich jederzeit auf der Grundlage eines Berichts seines zuständigen Ausschusses zu etwaigen Anfechtungen der Gültigkeit des Mandats eines Mitglieds äußern.

5. Wird ein Mitglied benannt, weil Bewerber derselben Liste zurücktreten, dann vergewissert sich der für Wahlprüfung zuständige Ausschuss, dass ihr Rücktritt gemäß Geist und Buchstaben des Akts [von] 1976 sowie Artikel 4 Absatz 3 dieser Geschäftsordnung erfolgt ist.

6. Der zuständige Ausschuss wacht darüber, dass alle Angaben, die die Ausübung des Mandats eines Mitglieds bzw. die Rangfolge der Stellvertreter beeinflussen können, dem Parlament unverzüglich von den Behörden der Mitgliedstaaten und der Union – unter Angabe deren Wirksamwerdens im Falle einer Benennung – übermittelt werden.

Falls zuständige Behörden der Mitgliedstaaten gegen ein Mitglied ein Verfahren eröffnen, das den Verlust des Mandats zur Folge haben könnte, so ersucht der Präsident sie darum, ihn regelmäßig über den Stand des Verfahrens zu unterrichten. Er befasst damit den zuständigen Ausschuss, auf dessen Vorschlag das Parlament Stellung nehmen kann.

Artikel 4

Dauer des Mandats

3. Jedes zurücktretende Mitglied teilt dem Präsidenten seinen Rücktritt sowie den entsprechenden Stichtag mit, der innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten nach der Mitteilung liegen muss. Diese Mitteilung erfolgt in Form eines Protokolls, das in Gegenwart des Generalsekretärs oder seines Vertreters aufgenommen, von diesem sowie dem betreffenden Mitglied unterzeichnet und unverzüglich dem zuständigen Ausschuss vorgelegt wird, der sie auf die Tagesordnung seiner ersten Sitzung nach Eingang dieses Dokuments setzt

Ist der zuständige Ausschuss der Auffassung, dass der Rücktritt nicht mit dem Geist und dem Buchstaben des Akts [von] 1976 vereinbar ist, unterrichtet er hierüber das Parlament, damit dieses einen Beschluss darüber fasst, ob das Freiwerden des Sitzes festgestellt wird oder nicht.

Andernfalls wird das Freiwerden des Sitzes festgestellt, und zwar ab dem Zeitpunkt, der von dem zurücktretenden Mitglied im Rücktrittsprotokoll angegeben wird. Eine Abstimmung des Parlaments findet darüber nicht statt.

4. Gibt die zuständige Behörde eines Mitgliedstaates dem Präsidenten das Erlöschen des Mandats eines Mitglieds des Europäischen Parlaments gemäß den gesetzlichen Bestimmungen dieses Mitgliedstaates entweder aufgrund von Unvereinbarkeiten im Sinne von Artikel 7 Absatz 3 des Akts [von] 1976 oder eines Entzugs des Mandats gemäß Artikel 13 Absatz 3 dieses Akts bekannt, unterrichtet der Präsident das Parlament darüber, dass das Mandat zu dem vom Mitgliedstaat mitgeteilten Zeitpunkt erloschen ist, und ersucht den Mitgliedstaat, den freien Sitz unverzüglich zu besetzen.

Geben die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder der Union oder das betreffende Mitglied dem Präsidenten eine Ernennung oder eine Wahl zu einem Amt bekannt, das mit der Ausübung eines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments gemäß Artikel 7 Absätze 1 oder 2 des Akts [von] 1976 unvereinbar ist, unterrichtet dieser hierüber das Parlament, welches das Freiwerden des Sitzes feststellt.“

3        Nach Art. 9 der Geschäftsordnung des Parlaments sowie deren Anlage I sind die Abgeordneten verpflichtet, ihre beruflichen Tätigkeiten sowie alle sonstigen gegen Entgelt ausgeübten Funktionen oder Tätigkeiten genau anzugeben.

4        Die Art. 2 und 30 des Beschlusses 2005/684/EG, Euratom des Europäischen Parlaments vom 28. September 2005 zur Annahme des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments (ABl. L 262, S. 1, im Folgenden: Abgeordnetenstatut) bestimmen:

„Artikel 2

(1) Die Abgeordneten sind frei und unabhängig.

(2) Vereinbarungen über Niederlegung des Mandats vor Ablauf oder zum Ende einer Wahlperiode sind nichtig.

Artikel 30

Dieses Statut tritt am ersten Tag der im Jahre 2009 beginnenden Wahlperiode des Europäischen Parlaments in Kraft.“

5        Der vierte Erwägungsgrund des Abgeordnetenstatuts lautet:

„Die in Artikel 2 geschützte Freiheit und Unabhängigkeit der Abgeordneten ist regelungsbedürftig und in keinem Text des Primärrechts erwähnt. Erklärungen, in denen sich Abgeordnete verpflichten, das Mandat zu einem bestimmten Zeitpunkt niederzulegen, oder Blanko-Erklärungen über die Niederlegung des Mandats, deren sich eine Partei nach Belieben bedienen kann, sind mit der Freiheit und Unabhängigkeit des Abgeordneten unvereinbar und können daher rechtlich nicht verbindlich sein.“

 Sachverhalt

6        Der Antragsteller Beniamino Donnici nahm an der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments vom 12. und 13. Juni 2004 für die gemeinsame Liste „Società Civile – Di Pietro Occhetto“ im Wahlkreis Süditalien teil. Diese Liste gewann zwei Sitze, den ersten in dem genannten Wahlkreis und den zweiten im Wahlkreis Nordwestitalien. Herr A. Di Pietro, der in beiden Wahlkreisen den ersten Platz errang, entschied sich für den Wahlkreis Süditalien.

7        Herr A. Occhetto kam aufgrund der Anzahl der in den beiden Wahlkreisen erhaltenen Stimmen auf Platz zwei der Wahllisten und lag deshalb im Wahlkreis Süditalien vor dem Antragsteller und im Wahlkreis Nordwestitalien vor Herrn G. Chiesa. Nachdem sich Herr Di Pietro für den Sitz des Wahlkreises Süditalien entschieden hatte, hätte Herr Occhetto als im Wahlkreis Nordwestitalien gewählt erklärt werden müssen. Herr Occhetto, der seinerzeit ein Mandat im italienischen Senat innehatte, verzichtete jedoch in einer schriftlichen Erklärung, die er am 6. Juli 2004 vor einem Notar unterzeichnete und die am 7. Juli 2004 beim Ufficio elettorale nazionale per il Parlamento europeo presso la Corte di cassazione (Nationales Wahlbüro für das Europäische Parlament bei der Corte di Cassazione, im Folgenden: italienisches Wahlbüro) einging, „unwiderruflich“ für beide Wahlkreise auf ein Mandat als Europaabgeordneter.

8        Nach dieser Verzichtserklärung teilte das italienische Wahlbüro dem Parlament am 12. November 2004 die amtlichen Ergebnisse der europäischen Wahlen mit und fügte eine Liste der gewählten Kandidaten und ihrer Stellvertreter bei. Es erklärte Herrn Chiesa für im Wahlkreis Nordwestitalien und Herrn Di Pietro für im Wahlkreis Süditalien gewählt, so dass der Antragsteller der erste nicht gewählte Kandidat in dem letztgenannten Wahlkreis wurde.

9        Bei den Parlamentswahlen in Italien vom 9. und 10. April 2006 wurde Herr Di Pietro zum Abgeordneten im italienischen Parlament gewählt. Er entschied sich mit Wirkung vom 28. April 2006 für sein nationales Mandat. Da diese Funktion nach Art. 7 Abs. 2 des Aktes von 1976 mit der Eigenschaft als Mitglied des Parlaments unvereinbar war, stellte dieses am 27. April 2006 das Freiwerden des fraglichen Sitzes mit Wirkung vom 28. April 2006 fest und unterrichtete die Italienische Republik davon.

10      Herr Occhetto widerrief seine Verzichtserklärung vom 7. Juli 2004 durch eine an das italienische Wahlbüro gerichtete Erklärung vom 27. April 2006, in der er „seinen Wunsch [zum Ausdruck brachte], als erster nicht gewählter Kandidat des Wahlkreises Süd[italien] an die Stelle von [Herrn] Di Pietro zu treten, so dass jede anders lautende frühere Willenerklärung als ungültig, unwirksam und jedenfalls widerrufen anzusehen ist … und insoweit auf jeden Fall der zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der gewählten Kandidaten bestehende Wille zu berücksichtigen ist“.

11      Aufgrund dieser Erklärung gab das italienische Wahlbüro am 8. Mai 2006 die Wahl von Herrn Occhetto als Mitglied des Parlaments bekannt.

12      Das Tribunale amministrativo regionale del Lazio (Verwaltungsgericht der Region Latium, Italien, im Folgenden: Verwaltungsgericht) wies die Klage des Antragstellers auf Nichtigerklärung dieser Bekanntgabe durch Urteil vom 21. Juli 2006 als unbegründet ab. Es führte im Wesentlichen aus, die Verzichtserklärung von Herrn Occhetto vom 7. Juli 2004 hinsichtlich der Bekanntgabe der gewählten Kandidaten stelle keinen Verzicht auf seinen Listenplatz nach der Wahl dar. Das Wahlergebnis aus Achtung vor dem Willen des Volkes sei als unantastbar und unveränderlich zu betrachten, und eine solche Verzichtserklärung habe keine Auswirkungen auf die Entscheidung über eventuelle Ersetzungen in Fällen von Unvereinbarkeit, Verlust, Nichtwählbarkeit oder Verzicht der Berechtigten auf die Benennung oder das Amt. Mithin habe ein Kandidat, der verzichtet habe, bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Ersetzung das Recht, seinen Verzicht zu widerrufen, um auf den frei gewordenen Sitz nachzurücken.

13      Der Antragsteller focht ferner die Bekanntgabe der Wahl von Herrn Occhetto als europäischer Abgeordneter anstelle von Herrn Di Pietro beim Parlament an. Diese Anfechtung wurde vom Rechtsausschuss des Parlaments in seiner Sitzung vom 21. Juni 2006 geprüft. Der Ausschuss stellte zunächst fest, dass die Anfechtung gemäß Art. 12 des Aktes von 1976 unzulässig sei, da sie auf das italienische Wahlgesetz gestützt sei, und schlug sodann dem Parlament einstimmig vor, das Mandat von Herrn Occhetto mit Wirkung vom 8. Mai 2006 für gültig zu erklären. Das Parlament bestätigte das Mandat von Herrn Occhetto am 3. Juli 2006.

14      Der Consiglio di Stato (Staatsrat) gab dem Rechtsmittel des Antragstellers gegen das Urteil des Tribunale amministrativo regionale del Lazio mit Endurteil vom 6. Dezember 2006, das rechtskräftig geworden ist, statt, änderte das Urteil ab und erklärte die Bekanntgabe der Wahl von Herrn Occhetto zum Parlamentsmitglied durch das italienische Wahlbüro am 8. Mai 2006 für nichtig. Der Consiglio di Stato war erstens der Auffassung, dass die Unterscheidung zwischen dem Verzicht auf die Wahl und dem Verzicht auf den Listenplatz unlogisch sei, da die Wahl sich aus dem Listenplatz ergebe und der Verzicht auf die Wahl impliziere, dass der Betroffene nicht mehr auf dieser Liste stehe, und zwar mit allen sich daraus ergebenden Wirkungen. Zweitens sei die Behauptung widersprüchlich, dass der Verzicht auf die Wahl keine Auswirkungen auf die Ersetzungen habe und dass der Kandidat, der auf ein Mandat als europäischer Abgeordneter verzichtet, diesen Verzicht widerrufen könne, wenn es um eine Ersetzung gehe. Drittens handele es sich beim Verzicht auf die Wahl um eine unwiderrufliche Erklärung, wenn die zuständige Stelle oder das zuständige Büro, der gegenüber sie abgegeben werde, davon Kenntnis genommen habe, wodurch die ursprünglich vom italienischen Wahlbüro aufgestellte Rangfolge geändert werde.

15      Am 29. März 2007 nahm das italienische Wahlbüro von dem Urteil des Consiglio di Stato Kenntnis und gab die Wahl des Antragstellers als Mitglied des Europäischen Parlaments für den Wahlkreis Süditalien bekannt, indem es das Mandat von Herrn Occhetto widerrief.

16      Nach Eingang dieser Bekanntgabe beim Parlament nahm dieses im Protokoll der Plenarsitzung vom 23. April 2007 mit folgenden Worten davon Kenntnis:

„Die zuständigen italienischen Behörden haben mitgeteilt, dass mit Wirkung vom 29. März 2007 die Bekanntgabe der Wahl von Herrn … Occhetto annulliert und der somit frei gewordene Sitz [dem Antragsteller] zugewiesen wurde.

Solange [sein] Mandat nicht geprüft [ist] oder über eine Anfechtung noch nicht befunden worden ist, [nimmt der Antragsteller] … gemäß Artikel 3 Absatz 2 [der Geschäftsordnung des Parlaments] an den Sitzungen des Parlaments und seiner Organe mit vollen Rechten teil, unter der Voraussetzung, dass [er] zuvor eine Erklärung abgegeben [hat], wonach [er] kein Amt [innehat], das mit der Ausübung eines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments unvereinbar ist.“

17      Inzwischen hatte Herr Occhetto mit Schreiben vom 5. April 2007, das er durch ein Schreiben vom 14. April 2007 ergänzte, den Beschluss angefochten und das Parlament ersucht, die Gültigkeit seines Mandats zu bestätigen und das Mandat des Antragstellers für ungültig zu erklären. Das Parlament erklärte durch Beschluss vom 24. Mai 2007 (im Folgenden: angefochtener Beschluss), der aufgrund des Berichts des Rechtsausschusses vom 22. Mai 2007 (A6‑0198/2007) erging, das Mandat des Antragstellers, dessen Wahl von der zuständigen nationalen Behörde mitgeteilt worden war, als Abgeordneter des Parlaments für ungültig und bestätigte die Gültigkeit des Mandats von Herrn Occhetto. Es beauftragte ferner seinen Präsidenten, diesen Beschluss den zuständigen italienischen Behörden sowie dem Antragsteller und Herrn Occhetto zu übermitteln.

 Verfahren und Anträge der Verfahrensbeteiligten

18      Der Antragsteller hat mit Klageschrift, die am 22. Juni 2007 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, gemäß Art. 230 Abs. 4 EG Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses erhoben.

19      Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Antragsteller gemäß Art. 104 der Verfahrensordnung des Gerichts und Art. 242 EG beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung den Vollzug des angefochtenen Beschlusses auszusetzen und dem Parlament die Kosten des vorliegenden Verfahrens aufzuerlegen oder die Kostenentscheidung vorzubehalten.

20      Das Parlament hat in seinen schriftlichen Erklärungen, die am 8. Juli 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, beantragt, den Antrag auf einstweilige Anordnung als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen und dem Antragsteller die Kosten aufzuerlegen.

21      Herr Occhetto hat mit Antrag, der am 5. Juli 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, seine Zulassung als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Parlaments beantragt.

22      Die Parteien haben zu diesem Antrag fristgemäß Erklärungen eingereicht.

23      Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter hat Herrn Occhetto durch Beschluss vom 13. Juli 2007 als Streithelfer zugelassen und ihn aufgefordert, einen Streithilfeschriftsatz einzureichen.

24      Herr Occhetto hat in seinem Streithilfeschriftsatz, der am 29. Juli 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragt, den Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen und dem Antragsteller die Kosten aufzuerlegen oder die Kostenentscheidung vorzubehalten.

25      Die Italienische Republik hat mit Antrag, der am 2. August 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, ihre Zulassung als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Antragstellers beantragt. Sie ist aufgefordert worden, vorbehaltlich der Entscheidung über ihre Zulassung in der mündlichen Verhandlung ihre Erklärungen abzugeben.

26      Die Verfahrensbeteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2007 mündliche Ausführungen gemacht.

27      In der mündlichen Verhandlung sind die Verfahrensbeteiligten aufgefordert worden, zu dem Streithilfeantrag der Italienischen Republik mündlich Stellung zu nehmen. Sie haben keine Einwendungen dagegen erhoben. Folglich hat der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter gemäß Art. 40 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs, der gemäß Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung auf das Gericht anwendbar ist, die Italienische Republik als Streithelferin zugelassen. Dies ist im Sitzungsprotokoll vermerkt worden.

28      Die Italienische Republik hat in ihren mündlichen Erklärungen in der mündlichen Verhandlung beantragt, dem Antrag auf einstweilige Anordnung stattzugeben.

29      Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter hat in der mündlichen Verhandlung beschlossen, einen Auszug aus dem Protokoll der Plenarsitzung des Parlaments vom 23. April 2007, in dem der Tagesordnungspunkt 10 dieser Sitzung wiedergegeben ist, sowie eine Kopie des Zweiten Berichts des Wahlprüfungsausschusses des Parlaments vom 7. Januar 1983 zu den Akten zu nehmen. Die Verfahrensbeteiligten haben keine Einwendungen dagegen erhoben.

 Rechtliche Würdigung

30      Nach den Art. 242 EG und 243 EG in Verbindung mit Art. 225 Abs. 1 EG kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung von angefochtenen Handlungen aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen. Dabei berücksichtigt es die Voraussetzungen des Art. 104 § 2 der Verfahrensordnung in der Auslegung durch die Rechtsprechung.

31      So kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter die Aussetzung des Vollzugs anordnen und sonstige einstweilige Anordnungen treffen, wenn die Notwendigkeit der Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht ist (fumus boni iuris) und wenn feststeht, dass sie in dem Sinne dringlich sind, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten müssen. Der Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der bestehenden Interessen vor (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. Juli 2000, Niederlande/Parlament und Rat, C‑377/98 R, Slg. 2000, I‑6229, Randnr. 41, und vom 23. Februar 2001, Österreich/Rat, C‑445/00 R, Slg. 2001, I‑1461, Randnr. 73; Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 16. Februar 2007, Ungarn/Kommission, T‑310/06 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 19).

 Zulässigkeit

 Vorbringen der Parteien

32      Das Parlament macht geltend, dass der vorliegende Antrag unzulässig sei, denn der angefochtene Beschluss enthalte nur einen Punkt, der vollzogen werden könnte, nämlich die dem Präsidenten des Parlaments erteilte Anweisung, diesen Beschluss den betroffenen Einrichtungen und Personen zu übermitteln. Im Hinblick auf den Antragsteller habe der verfügende Teil des angefochtenen Beschlusses einen nicht vollziehbaren negativen Inhalt, da dort lediglich sein Mandat für ungültig erklärt werde. Die Aussetzung des Vollzugs des angefochtenen Beschlusses könne sich jedoch nicht in einen positiven Akt verwandeln, d. h. in eine Entscheidung, durch die das Mandat des Antragstellers für gültig erklärt würde. Denn nach der Rechtsprechung sei gegen eine ablehnende Verwaltungsentscheidung ein Antrag auf Aussetzung des Vollzugs grundsätzlich nicht statthaft, da eine solche Aussetzung keine Änderung der Lage des Antragstellers herbeiführen könnte (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 21. Februar 2002, Front national und Martinez/Parlament, C‑486/01 P‑R und C‑488/01 P‑R, Slg. 2002, I‑1843, Randnr. 73; Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 12. Mai 2006, Gollnisch/Parlament, T‑42/06 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 30) und deshalb keinen praktischen Nutzen für ihn hätte (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 2. Juli 2004, Bactria/Kommission, T‑76/04 R, Slg. 2004, II‑2025, Randnr. 52, und Gollnisch/Parlament, Randnrn. 36 und 37).

 Würdigung durch den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter

33      Es ist wiederholt entschieden worden, dass gegen eine ablehnende Verwaltungsentscheidung ein Antrag auf Aussetzung des Vollzugs grundsätzlich nicht statthaft ist, weil die Anordnung einer Aussetzung keine Änderung der Lage des Antragstellers herbeiführen könnte (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 30. April 1997, Moccia Irme/Kommission, C‑89/97 P[R], Slg. 1997, I‑2327, Randnr. 45, sowie Front national und Martinez/Parlament, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnr. 73; Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 11. Juli 2002, Lormines/Kommission, T‑107/01 R und T‑175/01 R, Slg. 2002, II‑3193, Randnr. 48; vom 16. Januar 2004, Arizona Chemical u. a./Kommission, T‑369/03 R, Slg. 2004, II‑205, Randnr. 62, und Gollnisch/Parlament, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnr. 30).

34      Eine ablehnende Entscheidung ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung, durch die der Erlass der beantragten Maßnahme abgelehnt wird (siehe in diesem Sinne Beschluss Lormines/Kommission, oben in Randnr. 33 angeführt, Randnr. 48).

35      Die Auffassung des Parlaments, bei dem angefochtenen Beschluss handele es sich um einen solchen ablehnenden Rechtsakt, trifft nicht zu. Gegenstand dieses Beschlusses ist die Prüfung des Mandats des Antragstellers als Mitglied des Parlaments und die aufgrund dieser Prüfung erfolgende Ungültigerklärung seines Mandats. Zugleich wird durch den angefochtenen Beschluss das Mandat von Herrn Occhetto für gültig erklärt und dadurch die sich aus Art. 3 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Parlaments ergebende vorläufige für den Antragsteller vorteilhafte Lage mit Wirkung vom 29. März 2007 beendet.

36      Wie das Parlament selbst einräumt (siehe unten, Randnr. 99), wird die Aussetzung des Vollzugs des angefochtenen Beschlusses eine Änderung der Rechtsstellung des Antragstellers herbeiführen, da sie die vorläufige, für ihn vorteilhafte Lage aufrechterhalten wird, während deren Fortbestand er an den Sitzungen des Parlaments und seiner Organe mit vollen Rechten wird teilnehmen können. Deshalb kann der angefochtene Beschluss entgegen dem Vorbringen des Parlaments im Hinblick auf den Antragsteller nicht als ablehnender Rechtsakt im Sinne der oben in Randnr. 33 angeführten Rechtsprechung angesehen werden.

37      Folglich tut der Antragsteller in rechtlich hinreichender Weise ein Interesse an der beantragten Aussetzung des Vollzugs dar. Der Antrag ist somit zulässig.

 Der „fumus boni iuris“

38      Der Antragsteller weist darauf hin, dass er seine Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses auf zwei Gründe stütze: Erstens habe das Parlament beim Erlass dieses Beschlusses die Regeln und Grundsätze verletzt, denen seine Befugnis zur Prüfung der Mandate seiner Mitglieder unterliege, und zweitens sei der Beschluss nicht ausreichend begründet.

39      Um festzustellen, ob die Voraussetzung des fumus boni iuris hier erfüllt ist, muss geprüft werden, ob die Rechtsgründe, auf die der Antragsteller seine Klage stützt, auf den ersten Blick stichhaltig erscheinen. Somit ist zu untersuchen, ob zumindest einem von ihnen so viel Gewicht beizumessen ist, dass er im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zurückgewiesen werden kann (siehe in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 19. Juli 1995, Kommission/Atlantic Container Line u. a., C‑149/95 P[R], Slg. 1995, I‑2165, Randnr. 26; Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 30. Juni 1999, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99 R, Slg. 1999, II‑1961, Randnr. 132, und Beschluss des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters des Gerichts vom 28. September 2007, Frankreich/Kommission, T‑257/07 R, Slg. 2007, II‑0000, Randnr. 59).

40      Zuerst ist zu prüfen, ob das Vorbringen des Antragstellers im Rahmen seines ersten Klagegrundes auf den ersten Blick stichhaltig erscheint.

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

41      Der Antragsteller bemerkt, unterstützt von der Italienischen Republik, dass die die Mandate der Mitglieder des Parlaments betreffenden nationalen Rechtsakte nach Art. 190 Abs. 4 EG und Art. 8 des Aktes von 1976 in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fielen und gemäß den Vorschriften, Verfahren und Garantien des internen Rechts dieser Staaten erlassen würden. Bei der Prüfung der Mandate könne das Parlament gemäß Art. 12 des Aktes von 1976 lediglich die auf nationaler Ebene erlassenen Entscheidungen zur Kenntnis nehmen und dürfe die Bekanntgabe der Wahlergebnisse und die Zuweisung des Mandats an einen gewählten Kandidaten nicht in Frage stellen, da sie Ausdruck der Vorrechte der nationalen Behörden seien, die diesen durch die Gemeinschaftsbestimmungen zuerkannt würden. Die Nachprüfung der Einhaltung des im innerstaatlichen Recht festgelegten Verfahrens, der Gültigkeit der nationalen Vorschriften, insbesondere derjenigen über den Verzicht auf die Wahl, und der Wahrung der Grundrechte der Betroffenen sei ausschließlich Sache der zuständigen innerstaatlichen Gerichte oder – im Fall seiner Anrufung – des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nicht aber des Parlaments.

42      Dieses Vorbringen finde eine Stütze in der Rechtsprechung (Urteil des Gerichts vom 10. April 2003, Le Pen/Parlament, T‑353/00, Slg. 2003, II‑1729, Randnrn. 92 und 93, und Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juli 2005, Le Pen/Parlament, C‑208/03 P, Slg. 2005, I‑6051, Randnr. 51), in der darauf hingewiesen worden sei, „dass das Parlament beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts bezüglich des Freiwerdens eines Sitzes, das seine Ursache in innerstaatlichen Vorschriften hat, keine Zuständigkeiten hat“. Es werde ferner durch die Praxis des Parlaments selbst bestätigt, wie sie aus dessen ablehnender Entscheidung vom 3. Juli 2006 über die Anfechtung des Antragstellers als unzulässig und aus dem Bericht des Rechtsausschusses des Parlaments vom 26. November 2004 (A6‑0043/2004) über die Prüfung der Mandate hervorgehe. In diesem Bericht werde unterschieden zwischen auf Vorschriften des Aktes von 1976 gestützten Anfechtungen und solchen, die auf das nationale Recht gestützt gewesen und als unzulässig zurückgewiesen worden seien.

43      Die übrigen Vorschriften, auf die der Rechtsausschuss des Parlaments in seinem Bericht vom 22. Mai 2007 (A6-0198/2007) über die Prüfung des Mandats des Antragstellers Bezug genommen habe, insbesondere Art. 3 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Parlaments, der auf deren Art. 4 Abs. 3 verweise, seien nicht einschlägig.

44      Zum einen gehe es hier um die Prüfung des Mandats eines neu gewählten Kandidaten gemäß Art. 12 des Aktes von 1976 und nicht um das Freiwerden eines Sitzes, für das Art. 4 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Parlaments gelte. Jedenfalls unterscheide der Akt von 1976 eindeutig zwischen dem Freiwerden eines Sitzes durch Rücktritt, auf das sich die letztgenannte Vorschrift allein beziehe, und den Gründen für den Entzug des Mandats, die im innerstaatlichen Recht festgelegt seien und von denen das Parlament gemäß Art. 13 dieses Aktes lediglich Kenntnis nehme. Das Freiwerden des Sitzes von Herrn Occhetto und dessen Ersetzung durch den Antragsteller ergäben sich unmittelbar aus der Mitteilung des italienischen Wahlbüros vom 29. März 2007, mit der dieses dem Parlament die endgültig gewordene Ungültigerklärung der Benennung von Herrn Occhetto als Herrn Di Pietro ersetzender Kandidat und die Benennung des Antragstellers als Abgeordneten des Wahlkreises Süditalien bekannt gegeben habe. Aus diesem Grund habe das Parlament die auf nationaler Ebene getroffenen Entscheidungen zugrunde legen müssen, ohne zu prüfen, ob der Verzicht von Herrn Occhetto im Einklang mit dem Akt von 1976 gestanden und den förmlichen Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 der Geschäftsordnung entsprochen habe.

45      Zum anderen könne der Hinweis auf „Geist und Buchstaben“ des Aktes von 1976 in Art. 3 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Parlaments nicht so verstanden werden, dass er es dem Parlament gestatte, die von den nationalen Behörden getroffenen Entscheidungen zu überprüfen, denn Art. 12 des Aktes von 1976 bestimme eindeutig, dass das Parlament die von den nationalen Behörden amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse „zur Kenntnis“ nehme. Eine Art. 3 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Parlaments widersprechende Auslegung wäre zwangsläufig ungültig, da sie eine mit den Vorschriften des Aktes von 1976 unvereinbare Ausnahme vorsähe.

46      Im Übrigen könne sich das Parlament nicht auf Art. 3 Abs. 5 seiner Geschäftsordnung – auch nicht in Verbindung mit Art. 6 des Aktes von 1976 – berufen, um die Bekanntgabe durch die zuständige nationale Behörde in Frage zu stellen. Erstens betreffe Art. 6 des Aktes von 1976 nur die Ausübung des Mandats der ordnungsgemäß gewählten Mitglieder des Parlaments und sei nicht auf die dieser vorgelagerte Frage der Wahl eines Parlamentsmitglieds anwendbar. Zweitens ermögliche es diese Vorschrift keinesfalls, die Ungültigkeit von Handlungen oder Entscheidungen der Kandidaten festzustellen, auch wenn diese Teil politischer Absprachen seien, wie der unwiderrufliche Rücktritt eines Kandidaten, der den Verzicht auf ein Parlamentsmandat mit sich bringe. Dies werde bestätigt durch die Entschließung des Parlaments zu den Anfechtungen und Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Mandate im Zusammenhang mit dem „Tourniquet-System“ (ABl. 1983, C 68, S. 31) und den in dieser Entschließung erwähnten Zweiten Bericht des Wahlprüfungsausschusses vom 7. Januar 1983. Was Art. 2 des Abgeordnetenstatuts betreffe, so handele es sich, wie sich aus seinem vierten Erwägungsgrund ergebe, entgegen den Angaben in dem angefochtenen Beschluss um eine völlig neue Vorschrift, die im vorliegenden Fall jedenfalls nicht anwendbar sei.

47      Abschließend vertritt der Antragsteller die Auffassung, dass der angefochtene Beschluss den Grundsatz der Rechtskraft verletze, da er dem Urteil des Consiglio di Stato, das Rechtskraft erlangt habe, seine Wirkung nehme. Der Antragsteller verweist dazu auf das Urteil des Gerichtshofs vom 30. November 2003, Köbler (C‑224/01, Slg. 2003, I‑10239, Randnrn. 38 und 39), das jede Möglichkeit, die Rechtskraft in Frage zu stellen, ausschließe, und zwar auch im Fall eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht. Dieses ermögliche es lediglich, unter bestimmten Voraussetzungen vor den nationalen Gerichten den Ersatz des eventuell entstandenen Schadens durch den Staat zu verlangen.

48      Das Parlament weist erstens darauf hin, dass die Zuständigkeit, die Art. 12 Satz 1 des Aktes von 1976 ihm einräume, das Herzstück dieser Vorschrift bilde. Die Befugnis des Parlaments, die Mandate seiner Mitglieder zu prüfen, bestehe darin, zu untersuchen, ob die von den innerstaatlichen Behörden in Anwendung des nationalen Rechts mitgeteilte Benennung den Grundsätzen des Aktes von 1976 entspreche. Das sei der Sinn dieses Verfahrens, wie sich aus dem Bericht des Parlamentsausschusses für Geschäftsordnung, Wahlprüfung und Fragen der Immunität zur Änderung der die Prüfung der Mandate und die Dauer des Parlamentsmandats betreffenden Art. 7 und 8 der Geschäftsordnung des Parlaments (A3-0166/94), die den Art. 3 und 4 der derzeit geltenden Geschäftsordnung des Parlaments entsprochen hätten, ergebe.

49      Deshalb dürfe das Parlament ein Mandat nicht für gültig erklären, wenn es wie hier feststelle, dass die Benennung eines seiner Mitglieder durch die zuständige nationale Behörde gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße. Dies gelte auch dann, wenn der fragliche nationale Rechtsakt von einem höchstrichterlichen Organ der Rechtspflege des betreffenden Mitgliedstaats erlassen worden sei. In diesem Fall sei das Parlament letztlich befugt, die Einhaltung der vorgenannten Grundsätze und Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu prüfen, um den Vorrang des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, indem es die diesem widersprechenden nationalen Rechtsakte für unanwendbar erkläre. Es könne sich in einem solchen Fall nicht darauf beschränken, die Kommission auf eine eventuelle Verletzung des Aktes von 1976 aufmerksam zu machen, denn dies würde bedeuten, dass es verpflichtet wäre, eine mit dem Akt von 1976 unvereinbare Entscheidung über die Prüfung der Mandate zu erlassen, d. h. im vorliegenden Fall das Mandat des Antragstellers entgegen Art. 6 dieses Aktes von 1976 zu bestätigen.

50      Zweitens macht das Parlament geltend, dass der angefochtene Beschluss mit Art. 6 des Aktes von 1976 in Einklang stehe. Das italienische System der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments gestatte es, in mehreren Wahlkreisen zu kandidieren. Diese Möglichkeit könnte die Kandidaten veranlassen, Absprachen über das zukünftige Parlamentsmandat zu treffen, das sie eventuell nach den Wahlen erhielten. Derartige Absprachen stellten jedoch nicht nur eine Missachtung des in den Wahlen zum Ausdruck gekommenen Willens des Volkes dar, sondern schränkten auch die gewählten Kandidaten in der Ausübung ihres Mandats ein. Es sei somit Aufgabe des Parlaments, über die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts zu wachen und zu verhindern, dass eventuelle rechtswidrige Akte sich auf seine eigenen Entscheidungen auswirkten.

51      In der vorliegenden Rechtssache habe das Parlament einen Verstoß gegen Art. 6 des Aktes von 1976 durch die italienischen Behörden festgestellt. Der in dieser Vorschrift verankerte Grundsatz des freien Parlamentsmandats sei nämlich mit der Anerkennung einer rechtlichen Bedeutung von Absprachen über die Wahrnehmung des Mandats unvereinbar. Das Tribunale amministrativo regionale del Lazio habe somit zu Recht entschieden, dass sich der Verzicht von Herrn Occhetto keinesfalls auf seine Kandidatur habe beziehen können. Das gegenteilige Urteil des Consiglio di Stato habe dagegen die Bedeutung des Grundsatzes des freien Mandats verkannt.

52      Drittens trägt das Parlament vor, Art. 3 Abs. 5 seiner Geschäftsordnung sei sehr wohl auf die Befugnis zur Prüfung des Mandats des Antragstellers anwendbar, da sich dessen Benennung als Mitglied des Parlaments aus der Bejahung der Gültigkeit des am 7. Juli 2004 erklärten Verzichts von Herrn Occhetto durch die zuständigen italienischen Behörden ergebe. Sobald das Parlament ein Mandat für gültig erklärt habe – wie im Juli 2006 das von Herrn Occhetto –, sei es im Fall des Widerrufs der Benennung des betreffenden Abgeordneten durch die innerstaatlichen Behörden verpflichtet zu prüfen, ob dieser Widerruf den im Akt von 1976 festgelegten Grundsätzen entspreche. Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers handele es sich nicht um den Entzug eines Parlamentsmandats nach nationalem Recht, von dem das Parlament lediglich Kenntnis zu nehmen habe. Wäre dies der Fall, so hätte der Beschluss des Parlaments vom 3. Juli 2006 über die Gültigkeit des Mandats von Herrn Occhetto keine rechtliche Bedeutung. Denn eine derartige Einschränkung der Befugnis des Parlaments in einer solchen Situation würde der Prüfungsbefugnis, die ihm ausdrücklich durch Art. 12 des Aktes von 1976 verliehen worden sei, jede praktische Wirksamkeit nehmen und wäre offensichtlich mit den Regeln der Auslegung des Gemeinschaftsrechts unvereinbar. Aus diesem Grund sei der vom Antragsteller gegen Art. 3 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Parlaments erhobene Einwand der Rechtswidrigkeit zurückzuweisen, denn diese Vorschrift stehe im Einklang mit den Art. 6 und 12 des Aktes von 1976.

53      Diesen Erwägungen stehe auch die Entschließung des Parlaments zu den Anfechtungen und Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Mandate im Zusammenhang mit dem „Tourniquet-System“ (siehe oben, Randnr. 46) nicht entgegen, denn das Parlament habe dort auch eine Stellungnahme zu Art. 6 des Aktes von 1976 abgegeben, in der es die Wahrung des Grundsatzes des freien Mandats bekräftigt habe. In dem angefochtenen Beschluss habe das Parlament auch nicht den Grundsatz der Rechtskraft verletzt, da es in Buchst. O der Erwägungsgründe festgestellt habe, dass das Urteil des Consiglio di Stato Rechtskraft erlangt habe.

54      Abschließend macht das Parlament geltend, es habe sich im angefochtenen Beschluss zu Recht vom Abgeordnetenstatut leiten lassen. Bei diesem Statut handele es sich um einen Rechtsakt des Gemeinschaftsgesetzgebers, der im Jahr 2005 erlassen worden sei, auch wenn er erst im Jahr 2009 in Kraft treten werde. Bei der Auslegung des Art. 6 des Aktes von 1976 sei deshalb der Auffassung Rechnung zu tragen, die der Gemeinschaftsgesetzgeber bereits zum Ausdruck gebracht habe. Außerdem seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, keine Bestimmungen zu erlassen, die im Widerspruch zu einer bereits erlassenen Vorschrift des Gemeinschaftsrechts stünden, selbst wenn diese noch nicht in Kraft getreten sei.

55      Herr Occhetto weist darauf hin, dass er seine am 7. Juli 2004 beim italienischen Wahlbüro eingereichte Verzichtserklärung (siehe oben, Randnr. 7) aufgrund einer Wahlabsprache über die Aufteilung der von der gemeinsamen Liste „Società Civile – Di Pietro Occhetto“, errungenen Sitze abgegeben habe, die zwischen den Spitzenkandidaten der beiden Teile dieser Liste, ihm selbst und Herrn Di Pietro, getroffen worden sei. Dies ergebe sich im Übrigen aus dem Vorbringen des Antragstellers und des Herrn Di Pietro im Rahmen einer beim Tribunale civile Roma (Zivilgericht Rom) gegen ihn, Herrn Occhetto, eingereichten Klage auf Ersatz des Schadens, den sie angeblich dadurch erlitten hätten, dass er seinen Verzicht auf seine Benennung als Mitglied des Parlament widerrufen habe. Er habe in diesem Verfahren Widerklage auf Nichtigerklärung seines Verzichts erhoben, da dieser auf einer rechtswidrigen und somit nichtigen Absprache beruht habe.

56      Herr Occhetto führt aus, er habe gemäß dieser Absprache am 6. Juli 2004 vor einem Notar vier Erklärungen über seinen Verzicht auf die Benennung als Parlamentsmitglied unterzeichnet, von denen er eine am nächsten Tag bei den zuständigen italienischen Behörden eingereicht habe. Diese Dokumente hätten es dem in den beiden betroffenen Wahlkreisen gewählten Herrn Di Pietro ermöglicht, dank der Kontrolle über die Zuweisung des auf die gemeinsame Liste entfallenden zweiten Sitzes „Meister“ und „Schiedsrichter“ über die Wirkungen seines Optionsrechts zu werden.

57      Diese Absprache, die darauf gerichtet gewesen sei, die sich aus den Stimmen der Wähler ergebende Rangfolge der Kandidaten auf der betreffenden Liste zu ändern, sei jedoch rechtswidrig und nichtig. Folglich sei ein Verzicht aufgrund dieser Absprache ebenfalls ungültig. Er verstoße zudem gegen Art. 3 des Zusatzprotokolls zu der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK), wonach sich die Mitgliedstaaten verpflichteten, „freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten“, und verletze außerdem Art. 4 des Aktes von 1976. Im Übrigen verletze dieser Verzicht nicht nur das passive Wahlrecht von Herrn Occhetto, sondern auch das aktive Wahlrecht seiner Wähler.

58      Herr Occhetto bemerkt, das Argument, sein Verzicht sei absolut nichtig, da er sich aus einer rechtswidrigen Absprache ergebe, sei vor den italienischen Verwaltungsgerichten nicht vorgebracht worden, da es nicht ihrer Prüfung unterlegen habe. Die italienische Gerichtsverfassung sehe eine Kompetenzverteilung zwischen den Verwaltungsgerichten und den ordentlichen Gerichten vor, und der Consiglio di Stato, der ein Verwaltungsgericht sei, könne die Frage der Nichtigkeit des Verzichts von Herrn Occhetto auf seine Wahl nicht entscheiden, da diese Frage in die Zuständigkeit der italienischen Zivilgerichte falle.

59      Somit habe das Parlament den angefochtenen Beschluss rechtmäßig in Ausübung der ihm im Akt von 1976 und in seiner Geschäftsordnung eingeräumten Befugnisse erlassen. Denn es sei letzten Endes Aufgabe des Parlaments, sicherzustellen, dass die nationalen Verfahren mit den wesentlichen Grundsätzen einer konstitutionellen Demokratie in Einklang stünden.

60      Insoweit ergebe sich aus den Vorschriften des Aktes von 1976 und der EMRK, dass die Rangfolge der Kandidaten auf den Wahllisten nach der Anzahl der Stimmen unabänderlich sei und nicht durch private Willenserklärungen geändert werden könne. Folglich sei der einzige Zeitpunkt, zu dem die für Wahlfragen zuständigen Behörden einen eventuellen Verzicht des Spitzenkandidaten berücksichtigen dürften, der Zeitpunkt des Beginns des Verfahrens der Bekanntgabe der gewählten Kandidaten, wobei der betreffende Kandidat die Möglichkeit habe, einen eventuellen früheren Verzicht zu widerrufen oder gegebenenfalls stillschweigend zu bestätigen. Wollte man dem betreffenden Kandidaten diese Möglichkeit versagen, wie der Consiglio di Stato dies in seinem Urteil (siehe oben, Randnr. 14) tue, so würde dies bedeuten, dass der Verzicht auch dann unwiderruflich wäre, wenn er das Ergebnis von Willensmängeln, von Manipulationen oder von politischen Betrügereien oder Wahlbetrug wäre.

61      Das Urteil des Consiglio di Stato habe somit die EMRK verletzt, und er habe aufgrund dessen Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben.

62      Abschließend führt Herr Occhetto aus, die vom Antragsteller herangezogene Entschließung zu den Anfechtungen und Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Mandate im Zusammenhang mit dem „Tourniquet-System“ (siehe oben, Randnr. 46) sei nicht einschlägig, da es sich dort um Ereignisse innerhalb ein und derselben politischen Partei und nicht, wie hier, innerhalb einer Wahlliste, in der sich verschiedene politische Formationen zusammengefunden hätten, gehandelt habe. Im Übrigen gehe es hier weder um eine vertragliche Vereinbarung noch darum, dass irgendein Druck auf einen Kandidaten ausgeübt worden sei, sondern um eine Entscheidung, durch die die weitverbreitete und gleichmäßige Repräsentativität der der betreffenden Partei angehörenden Personen habe sichergestellt werden sollen, ohne das Recht irgendeines Kandidaten, diese Partei zu vertreten, auszuschließen. Dabei sei von dem Grundsatz ausgegangen worden, dass dasselbe politische Projekt zum Ausdruck gebracht worden sei.

63      Aus diesen Gründen ist Herr Occhetto der Auffassung, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen eines fumus boni iuris hier nicht erfüllt seien.

 Würdigung durch den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter

64      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Parlament nach Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 EG und Art. 189 Abs. 1 EG die Befugnisse ausübt, die ihm nach dem Vertrag zustehen, und nach Maßgabe dieser Befugnisse handelt.

65      Art. 190 Abs. 4 EG bestimmt, dass das Parlament einen Entwurf für allgemeine unmittelbare Wahlen seiner Mitglieder nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen ausarbeitet und dass der Rat nach Zustimmung des Parlaments, die mit der Mehrheit seiner Mitglieder erteilt wird, einstimmig die entsprechenden Bestimmungen erlässt und sie den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfiehlt.

66      Diese Bestimmungen wurden durch den Akt von 1976 erlassen, nach dessen Art. 8 Abs. 1 sich das Wahlverfahren vorbehaltlich der Vorschriften des Aktes in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften bestimmt. Somit war gemäß dieser Vorschrift das Verfahren für die Wahl der Mitglieder des Parlaments, die am 12. und 13. Juni 2004 abgehalten wurde, in jedem Mitgliedstaat durch die einschlägigen nationalen Vorschriften geregelt, hier also durch das italienische Gesetz Nr. 18 vom 24. Januar 1979 über die Wahl der italienischen Mitglieder des Europäischen Parlaments (GURI Nr. 29 vom 30. Januar 1979, S. 947).

67      Zur Verdeutlichung des Rahmens, in den sich der vorliegende Rechtsstreit einfügt, ist darauf hinzuweisen, dass das italienische Gesetz Nr. 18 es ermöglicht, zugleich in mehreren Wahlkreisen zu kandidieren. Auf diese Weise konnte Herr Di Pietro auf der gemeinsamen Liste „Società Civile – Di Pietro Occhetto“ gleichzeitig in den Wahlkreisen Süditalien und Nordwestitalien kandidieren. Diese Liste errang, wie schon dargelegt, zwei Sitze, nämlich je einen in diesen beiden Wahlkreisen. Herr Di Pietro, der in beiden Wahlkreisen den ersten Platz errang, entschied sich am 6. Juli 2004 für den Sitz des Wahlkreises Süditalien, und Herr Occhetto – der damals auch ein Mandat als nationaler Abgeordneter innehatte – verzichtete am selben Tag vor einem Notar „unwiderruflich“ für beide Wahlkreise auf ein Mandat als europäischer Abgeordneter.

68      Nach dieser Entwicklung der Ereignisse übermittelte das italienische Wahlbüro dem Parlament am 12. November 2004 die amtlichen Ergebnisse der europäischen Wahlen mit der Liste der gewählten Kandidaten und ihrer Stellvertreter. Das italienische Wahlbüro erklärte Herrn Chiesa im Wahlkreis Nordwestitalien und Herrn Di Pietro im Wahlkreis Süditalien gewählt, so dass der Antragsteller der erste nicht gewählte Kandidat in dem letztgenannten Wahlkreis wurde. Der Name von Herrn Occhetto stand nicht auf dieser Liste.

69      Herr Di Pietro nahm jedoch seinen Sitz im Parlament nicht ein, nachdem er bei den Wahlen vom 9. und 10. April 2006 in das italienische Parlament gewählt worden war und sich für ein nationales Mandat entschieden hatte. Herr Occhetto widerrief seine Verzichtserklärung, und das italienische Wahlbüro gab seine Wahl für den Wahlkreis Süditalien bekannt. Diese Bekanntgabe führte zu einem Rechtsstreit vor den zuständigen italienischen Gerichten, in dem der Verzicht von Herrn Occhetto erwähnt und erörtert wurde und der mit der amtlichen Bekanntgabe der Wahl des Antragstellers endete, die dem Parlament am 29. März 2007 vom italienischen Wahlbüro mitgeteilt wurde.

70      Der vorliegende Rechtsstreit fügt sich somit in den Rahmen einer Prüfung des Mandats des Antragstellers durch das Europäische Parlament gemäß Art. 12 des Aktes von 1976 ein. Diese Prüfung erfolgte, nachdem Herr Occhetto aufgrund derselben Vorschrift, die die Rechtsgrundlage der Prüfungsbefugnis des Parlaments bildet, die Wahl angefochten hatte.

71      Nach Art. 12 des Aktes von 1976 besitzt das Parlament keine grundsätzliche Zuständigkeit für die Kontrolle der Einhaltung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten, sei es allgemein oder in Wahlfragen im Besonderen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift erscheint die Prüfungsbefugnis des Parlaments vielmehr, zumindest auf den ersten Blick, begrenzt.

72      Zwar stellt das Parlament in Buchst. P der Erwägungsgründe des angefochtenen Beschlusses zu Recht fest, dass es selbst – und nur es selbst – die Mandate seiner Mitglieder prüft, es erwähnt jedoch nicht den zweiten Satz des Art. 12 des Aktes von 1976, der von dem ersten nicht getrennt werden kann, da er diesen durch die Einführung einer zweifachen Einschränkung der Prüfungsbefugnis des Parlaments ergänzt.

73      Zum einen „… nimmt das Europäische Parlament [zu diesem Zweck] die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse zur Kenntnis“.

74      Insoweit ist daran zu erinnern, dass sich nach Art. 8 des Aktes von 1976 „das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat [vorbehaltlich der Vorschriften des Aktes von 1976] nach den innerstaatlichen Vorschriften [bestimmt]“. Die Mitgliedstaaten müssen somit die Vorschriften des Aktes von 1976, die bestimmte Wahlmodalitäten enthalten, beachten, sie haben jedoch letztlich die Aufgabe, die Wahlen nach dem in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegten Verfahren durchzuführen und dabei die Stimmzettel auszuzählen und die Wahlergebnisse amtlich bekannt zu geben.

75      Die „Kenntnisnahme“ von diesen Ergebnissen scheint zu bedeuten, dass die Rolle des Parlaments sich darauf beschränkt, von der bereits von den nationalen Behörden getroffenen Feststellung der gewählten Personen, d. h. von einer bereits bestehenden und ausschließlich aus einer Entscheidung dieser Behörden resultierenden Rechtslage Kenntnis zu nehmen, woraus sich das völlige Fehlen eines Beurteilungsspielraums des Parlaments in diesem Bereich ergibt. Es ist also offenbar ausgeschlossen, dass das Parlament in diesem Zusammenhang die Ordnungsgemäßheit des betreffenden nationalen Rechtsakts in Frage stellen und sich weigern kann, davon Kenntnis zu nehmen, wenn es der Ansicht ist, dass ein Fehler begangen worden sei (siehe zu einem Fall, in dem das Parlament von einem von der zuständigen nationalen Behörde bekannt gegebenen Entzug eines Mandats Kenntnis genommen hat, Urteil vom 7. Juli 2005, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 42 angeführt, Randnrn. 49 und 56, und Urteil vom 10. April 2003, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 42 angeführt, Randnrn. 90 bis 92).

76      Zum anderen ist die besondere Zuständigkeit des Parlaments für die Entscheidung über Anfechtungen, die während der Prüfung der Mandate vorgenommen werden, inhaltlich auf die Anfechtungen beschränkt, die „gegebenenfalls aufgrund der Vorschriften [des] Akts [von 1976] – mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird – vorgebracht werden könnten“.

77      Es hat, zumindest auf den ersten Blick, den Anschein, dass das Parlament die Bedeutung des Art. 6 des Aktes von 1976 verkannt hat, indem es diesen in einem Fall angewandt hat, der nicht in seinen Geltungsbereich fällt. Diese Vorschrift betrifft nämlich nur die Mitglieder des Parlaments, die in der Lage sein müssen, ihr Mandat unabhängig auszuüben, nicht dagegen die gewählten Kandidaten, deren Mandat noch nicht gemäß Art. 12 des Aktes von 1976 vom Parlament geprüft worden ist. Für die Anwendung des Art. 6 auf diese Personen bildet die Gültigerklärung ihres Mandats durch das Parlament im Rahmen des Prüfungsverfahrens eine unverzichtbare Vorbedingung.

78      Dem steht auch Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 letzter Satz der Geschäftsordnung des Parlaments nicht entgegen. Dieser ermöglicht es einem Kandidaten, der gewählt, dessen Mandat jedoch noch nicht geprüft worden ist, an den Sitzungen des Parlaments mit vollen Rechten einschließlich der sich aus Art. 6 des Aktes von 1976 ergebenden Rechte teilzunehmen, jedoch nur zeitlich begrenzt und unbeschadet der späteren Entscheidung des Parlaments über die Prüfung seines Mandats.

79      Die Begründung des angefochtenen Beschlusses lässt jedoch den Willen des Parlaments erkennen, die Stellung eines gewählten Kandidaten derjenigen eines Parlamentsmitglieds anzugleichen, und zwar aufgrund einer Auslegung des Art. 6 des Aktes von 1976 im Licht des Art. 2 des – erst 2009 in Kraft tretenden – Abgeordnetenstatuts, der vorsieht, dass die Abgeordneten frei und unabhängig sind (Abs. 1) und dass Vereinbarungen über die Niederlegung des Mandats vor Ablauf oder zum Ende einer Wahlperiode nichtig sind (Abs. 2) (siehe Buchst. F der Erwägungsgründe des angefochtenen Beschlusses).

80      Das Parlament vertritt deshalb in Buchst. K der Erwägungsgründe des angefochtenen Beschlusses die Auffassung, dass „die rechtliche Tragweite des Anwendungsbereichs von Artikel 6 des Akts [von] 1976 im Interesse des … Parlaments auch die Kandidaten einschließt, die offiziell auf einer Wahlliste stehen, weil diese Abgeordneten Mitglieder des Parlaments werden können“.

81      Abgesehen davon, dass Herr Occhetto nach der von den italienischen Behörden nach den Wahlen von Juni 2004 aufgestellten Liste der Kandidaten gerade keinen Platz auf der Liste innehatte, kann auf den ersten Blick festgestellt werden, dass sich dieses Vorbringen des Parlaments aus einer Auslegung des Art. 6 des Aktes von 1976 ergibt, die dem Gesetz zuwiderläuft und der nicht gefolgt werden kann.

82      Das durch die Anfechtung von Herrn Occhetto aufgeworfene Problem betrifft a priori gar nicht die tatsächliche Ausübung des Mandats durch ein Parlamentsmitglied, sondern eine Situation, die dieser vorgelagert ist und mit der Ordnungsgemäßheit der amtlichen Bekanntgabe der Wahl eines Kandidaten durch die zuständigen nationalen Behörden zusammenhängt. Diese Situation und die damit zusammenhängenden Rechtsstreitigkeiten fallen in den Geltungsbereich des innerstaatlichen Wahlrechts und in die Zuständigkeit der nationalen Verwaltungen und Gerichte.

83      Gerade in diesem Sinne erließ das Parlament seinen Beschluss vom 3. Juli 2006, den es im angefochtenen Beschluss nicht erwähnt und in dem es gemäß Art. 12 des Aktes von 1976 ausführte, dass die Anfechtung der amtlichen Bekanntgabe der Wahl von Herrn Occhetto, der zuvor in seine Stellung als erster nicht gewählter Kandidat des Wahlkreises Süditalien wieder eingesetzt worden sei, durch den Antragsteller unzulässig sei, da sie auf das italienische Wahlgesetz gestützt sei.

84      Deshalb ist das Vorbringen des Antragstellers, das Parlament habe durch den Erlass des angefochtenen Beschlusses Art. 12 des Aktes von 1976 verletzt, nicht offensichtlich unbegründet.

85      Dem steht auch Art. 3 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Parlaments nicht entgegen, auf den in Buchst. C der Erwägungsgründe des angefochtenen Beschlusses ausdrücklich Bezug genommen wird. Die Berufung auf diese Vorschrift kann es dem Parlament auf den ersten Blick nicht ermöglichen, den Umfang der ihm durch Art. 12 des Aktes von 1976 verliehenen Zuständigkeit im Hinblick auf die Mandate seiner Mitglieder zu ändern.

86      Eine Bestimmung der Geschäftsordnung des Parlaments kann nämlich nach dem Grundsatz der Normenhierarchie keine Abweichung von den Vorschriften des Aktes von 1976 erlauben und dem Parlament keine umfassenderen als die ihm nach diesem Akt zustehenden Befugnisse verleihen (Urteil vom 10. April 2003, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 42 angeführt, Randnr. 93). Wenn Art. 3 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Parlaments in diesem Sinne auszulegen sein sollte, wäre er, wie der Antragsteller zu Recht bemerkt, rechtswidrig.

87      Das Parlament schlägt eine andere Auslegung des Art. 3 Abs. 5 seiner Geschäftsordnung vor: Sobald das Europäische Parlament ein Abgeordnetenmandat für gültig erklärt habe – wie im Juli 2006 das von Herrn Occhetto –, sei es im Fall des Widerrufs der Benennung des betreffenden europäischen Abgeordneten durch die nationalen Behörden aufgrund des von diesem erklärten Rücktritts – wie im Fall der Mitteilung des italienischen Wahlbüros vom 29. März 2007 – verpflichtet zu prüfen, ob der Widerruf den im Akt von 1976 festgelegten Grundsätzen entspreche.

88      Dazu genügt es, festzustellen, dass der Antragsteller nicht nach dem Rücktritt des „Abgeordneten“ Occhetto als Abgeordneter benannt worden ist.

89      Das Vorbringen des Parlaments, das im Wesentlichen dahin geht, dass eine andere Auslegung der in Art. 12 des Aktes von 1976 festgelegten Prüfungsbefugnis als die, die im angefochtenen Beschluss vorgenommen worden sei, dieser Bestimmung jede praktische Wirksamkeit nehmen würde, erscheint nicht begründet. Denn unstreitig ist das Parlament ohne Weiteres befugt, gemäß Art. 12 des Aktes von 1976 über die Stellung eines gewählten Kandidaten zu entscheiden, der eine der in Art. 7 des Aktes von 1976 aufgeführten Eigenschaften besitzt, die mit der Mitgliedschaft im Parlament unvereinbar sind.

90      Nicht stichhaltig erscheint auch das weitere Vorbringen des Parlaments, seine Entscheidung über die Prüfung des Mandats wäre selbst rechtswidrig, wenn sie auf einen rechtswidrigen nationalen Rechtsakt – im vorliegenden Fall den nationalen Rechtsakt der amtlichen Bekanntgabe der Wahlergebnisse – gestützt wäre.

91      Nach der Rechtsprechung können sich etwaige Fehler der Handlung einer nationalen Behörde, die wie hier Teil eines gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesses ist und aufgrund der in diesem Bereich geltenden Zuständigkeitsverteilung die gemeinschaftliche Beschlussinstanz bindet und demzufolge den Inhalt der zu treffenden Gemeinschaftsentscheidung bestimmt, nämlich keinesfalls auf die Gültigkeit der Gemeinschaftsentscheidung auswirken (siehe in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 3. Dezember 1992, Oleificio Borelli/Kommission, C‑97/91, Slg. 1992, I‑6313, Randnrn. 10 bis 12, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 21. Mai 2007, Kronberger/Parlament, T‑18/07 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 38 bis 40).

92      Somit wirken sich etwaige Fehler der amtlichen Bekanntgabe der Wahlergebnisse durch die zuständige nationale Behörde unter keinen Umständen auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Parlaments über die Prüfung der Mandate der gewählten Mitglieder aus.

93      Insoweit ist daran zu erinnern, dass es Sache der nationalen Gerichte – gegebenenfalls nach einem Vorabentscheidungsersuchen im Sinne von Art. 234 EG an den Gerichtshof – ist, über die Rechtmäßigkeit der innerstaatlichen Wahlgesetze und ‑verfahren zu entscheiden (siehe in diesem Sinne Beschluss Kronberger/Parlament, oben in Randnr. 91 angeführt, Randnr. 41).

94      In der vorliegenden Rechtssache haben die zuständigen italienischen Gerichte eine solche gerichtliche Kontrolle gemäß dem italienischen Gesetz Nr. 18 ausgeübt: Das Tribunale amministrativo regionale del Lazio und dann der Consiglio di Stato haben über die Rechtmäßigkeit des italienischen Wahlverfahrens entschieden, was zur Bekanntgabe der Wahl des Antragstellers zum Abgeordneten des Parlaments führte. Der Umstand, dass diese italienischen Gerichte den Gerichtshof in diesem Verfahren nicht um eine Vorabentscheidung ersucht haben, mag darauf zurückzuführen sein, dass die vor ihnen erörterten Fragen nicht die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, sondern das innerstaatliche Recht, genauer die Gültigkeit des ursprünglichen Verzichts von Herrn Occhetto auf die Wahl und den späteren Widerruf dieses Verzichts, zum Gegenstand hatten.

95      Aus allen diesen Erwägungen ergibt sich, dass dem Vorbringen des Antragstellers, das Parlament sei für den Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht zuständig gewesen, einiges Gewicht beizumessen ist und dass es nicht ohne eingehende Prüfung zurückgewiesen werden kann, die allein der Richter im Verfahren zur Hauptsache vornehmen kann. Somit ist die Voraussetzung des fumus boni iuris hier erfüllt, so dass sich eine Prüfung des weiteren Vorbringens des Antragstellers erübrigt.

 Zur Dringlichkeit und zur Interessenabwägung

 Vorbringen der Parteien

96      Der Antragsteller macht geltend, dass die Zurückweisung des vorliegenden Antrags zu einem schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden für ihn führen würde, da der angefochtene Beschluss ihm sein Mandat im Europäischen Parlament genommen und ihn folglich daran gehindert habe, die Aufgaben zu erfüllen, die ihm von den Wählern übertragen worden seien. Dieser Schaden habe schon einzutreten begonnen, denn sein Name und die sonstigen Angaben über ihn seien aus dem Internetauftritt des Parlaments verschwunden. Das Gericht habe bereits entschieden, dass ein solcher Schaden nicht wiedergutzumachen sei und dass in einem solchen Fall Dringlichkeit vorliege (Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 26. Januar 2001, Le Pen/Parlament, T‑353/00 R, Slg. 2001, II‑125, Randnrn. 96 bis 98).

97      Zur Interessenabwägung trägt der Antragsteller vor, der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter müsse in Anlehnung an die Ausführungen des Präsidenten des Gerichts in den Beschlüssen vom 25. November 1999, Martinez und de Gaulle/Parlament (T‑222/99 R, Slg. 1999, II‑3397, Randnr. 80), und vom 26. Januar 2001, Le Pen/Parlament (oben in Randnr. 96 angeführt, Randnrn. 101 und 103), dem besonderen Interesse des Antragstellers, dem durch den angefochtenen Beschluss die Möglichkeit genommen worden sei, das ihm rechtmäßig übertragene Mandat auszuüben, Vorrang einräumen. Dieses Interesse entspreche im Übrigen sowohl dem allgemeinen Interesse des Parlaments an der Wahrung seiner rechtmäßigen, den Vorschriften und Verfahren des anwendbaren nationalen Rechts entsprechenden Zusammensetzung als auch den Interessen des betroffenen Mitgliedstaats an der Beachtung seiner Zuständigkeiten in Wahlangelegenheiten und der rechtskräftigen Entscheidungen seiner Gerichte (siehe zu diesem letzteren Interesse Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 31. Juli 2003, Le Pen/Parlament, C‑208/03 P‑R, Slg. 2003, I‑7939, Randnr. 108).

98      Das Parlament führt aus, der Antragsteller habe die Dringlichkeit nicht dargetan. Dem Vorbringen, ihm sei durch den angefochtenen Beschluss sein Mandat genommen worden, das ihm seine Wähler übertragen hätten, könne nicht gefolgt werden, da Herr Occhetto auf der Wahlliste vor dem Antragsteller gestanden habe. Wenn es sich um ein Parlamentsmandat handele, sei die Dringlichkeit nicht nur in Bezug auf die Rechte der Gewählten, sondern auch unter Berücksichtigung der Rechte der Wähler zu beurteilen. Zudem habe Herr Occhetto sein Mandat bereits über ein Jahr ausgeübt.

99      Eine Abwägung der Interessen der Parteien des Rechtsstreits gehe nicht zugunsten des Antragstellers aus. In der vorliegenden Rechtssache handele es sich nicht um die vorläufige Fortsetzung des Mandats eines Parlamentsmitglieds wie in der Rechtssache, die zum Beschluss vom 26. Januar 2001, Le Pen/Parlament (siehe oben, Randnr. 96), geführt habe. Der Antragsteller strebe vielmehr die Aufrechterhaltung der vorläufigen Rechtsstellung an, in deren Genuss er nach Art. 3 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Parlaments seit dem 29. März 2007 gekommen sei und der der angefochtene Beschluss ein Ende gesetzt habe. Diese Rechtsstellung des Antragstellers sei schwächer als die des Antragstellers in der Rechtssache, die zum Beschluss vom 26. Januar 2001, Le Pen/Parlament (siehe oben, Randnr. 96), geführt habe und in der der Antragsteller versucht habe, ein vom Parlament definitiv für gültig erklärtes Mandat zu behalten.

100    Außerdem hätte die Aussetzung des Vollzugs des angefochtenen Beschlusses Rechtsfolgen nicht nur für das Parlament, sondern auch für Herrn Occhetto, da sie sich auf die Ausübung seines Mandats auswirken würde, das das Parlament in seinem Beschluss vom 3. Juli 2006 definitiv für gültig erklärt habe. Unter diesen Umständen würde die beantragte Aussetzung des Vollzugs zu einem sehr schweren Schaden für das Allgemeininteresse führen. Da es sich um eine Frage handele, die die für das Mandat eines Parlamentsmitglieds geltenden wesentlichen Grundsätze berühre, könne nur das Urteil zur Hauptsache zu einer Änderung der bestehenden Situation führen, und es könne nicht zugelassen werden, dass den Interessen des Antragstellers Vorrang eingeräumt werde, da bestenfalls ein fumus boni iuris zu seinen Gunsten bestehe.

101    Herr Occhetto macht geltend, dass nur eine Beurteilung des Rechtsstreits in der Hauptsache zu einem erneuten Wechsel bei den parlamentarischen Ämtern führen könne, nachdem es durch die Bekanntgabe der Wahl des Antragstellers am 29. März 2007 bereits zu einem ersten Wechsel gekommen sei. Da er sein parlamentarisches Amt seit seiner Benennung am 8. Mai 2006 verrichte und zudem Vorsitzender der Delegation des Parlaments für die Beziehungen zum Nordatlantikpakt (NATO) sei, würde eine eventuelle Unterbrechung der Ausübung dieser Ämter ihm einen nicht wiedergutzumachenden Schaden verursachen und die Arbeit des Parlaments selbst beeinträchtigen. Deshalb greife das Vorbringen des Antragstellers zur Dringlichkeit nicht durch.

102    Jedenfalls wäre es, da Herr Occhetto eine größere Anzahl Stimmen erhalten habe als der Antragsteller, im Rahmen der Interessenabwägung völlig unangebracht, dem vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnung aufgrund einer Beurteilung stattzugeben, die zwangsläufig nur summarisch sein könne.

 Würdigung durch den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter

103    Nach ständiger Rechtsprechung besteht der Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes darin, die volle Wirksamkeit des Urteils zur Hauptsache zu sichern. Zur Erreichung dieses Zieles müssen die begehrten Maßnahmen in dem Sinn dringlich sein, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten müssen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. März 1999, Willeme/Kommission, C‑65/99 P[R], Slg. 1999, I‑1857, Randnr. 62; Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 15. Juli 1999, Giulietti/Kommission, T‑167/99 R, Slg. ÖD 1999, I‑A‑139 und II‑751, Randnr. 29, sowie Martinez und de Gaulle/Parlament, oben in Randnr. 97 angeführt, Randnr. 79).

104    Im vorliegenden Fall geht daraus, dass die Laufzeit des Mandats eines Mitglieds des Parlaments auf fünf Jahre beschränkt ist und dass die sich aus dem angefochtenen Beschluss ergebende Ungültigerklärung des Mandats des Antragstellers es ihm unmöglich macht, sein Amt als europäischer Abgeordneter weiter auszuüben, klar hervor, dass im Fall der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung im Verfahren zur Hauptsache der Schaden, den der Antragsteller erleidet, wenn der Vollzug dieser Handlung nicht ausgesetzt wird, nicht wiedergutzumachen wäre (siehe in diesem Sinne Beschlüsse vom 31. Juli 2003, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 97 angeführt, Randnr. 102, und vom 26. Januar 2001, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 96 angeführt, Randnr. 96).

105    Dieser Schaden hat bereits einzutreten begonnen, da aus den Akten und den Schriftsätzen des Parlaments klar hervorgeht, dass dieses seit dem Erlass des angefochtenen Beschlusses Herrn Occhetto und nicht den Antragsteller als denjenigen ansieht, der den Sitz für den Wahlkreis Süditalien innehat.

106    In diesem Stadium der Prüfung hat der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter ferner die bestehenden Interessen gegeneinander abzuwägen. Es steht fest, dass der schwere und nicht wiedergutzumachende Schaden – das Kriterium der Dringlichkeit – überdies den Ausgangspunkt des Vergleichs darstellt, der im Rahmen der Interessenabwägung durchgeführt wird. Bei diesem Vergleich muss der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter insbesondere prüfen, ob die etwaige Nichtigerklärung der streitigen Handlung durch den Richter der Hauptsache die Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch den sofortigen Vollzug dieser Handlung entstanden wäre, und – umgekehrt – ob die Aussetzung des Vollzugs dieser Handlung deren volle Wirksamkeit behindern könnte, falls die Klage abgewiesen würde (siehe Beschluss vom 31. Juli 2003, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 97 angeführt, Randnr. 106 und die dort angeführte Rechtsprechung).

107    Im vorliegenden Fall wurde die Ungültigerklärung des parlamentarischen Mandats des Antragstellers mit allen für ihn nachteiligen Folgen am 24. Mai 2007 wirksam. Je länger der Antragsteller daran gehindert ist, sein Mandat auszuüben, dessen Restlaufzeit weniger als zwei Jahre beträgt, desto größer wird im Übrigen sein Schaden, der naturgemäß nicht wiedergutzumachen ist (siehe in diesem Sinne Beschluss vom 26. Januar 2001, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 96 angeführt, Randnr. 102). Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass ein für den Antragsteller günstiges Urteil zur Hauptsache erst nach Ablauf der Legislaturperiode und damit zu einem Zeitpunkt ergeht, zu dem der von ihm geltend gemachte Schaden – der Verlust seines Status als Mitglied des Parlaments – unumkehrbar eingetreten ist (siehe in diesem Sinne Beschluss vom 31. Juli 2003, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 97 angeführt, Randnr. 107).

108    Es muss jedoch anders als in der Rechtssache, die zum Beschluss vom 26. Januar 2001, Le Pen/Parlament (oben in Randnr. 96 angeführt, Randnr. 105), geführt hat, auch dem Interesse von Herrn Occhetto am Vollzug des angefochtenen Beschlusses Rechnung getragen werden, der die Aufrechterhaltung seines Mandats impliziert. Denn wenn der Vollzug des angefochtenen Beschlusses dem Antragsteller einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zu verursachen droht, besteht in dem Fall, dass dem vorliegenden Antrag stattgegeben wird, dasselbe Risiko für Herrn Occhetto, da ein eventuelles die Klage abweisendes Urteil wahrscheinlich erst ergehen wird, nachdem die Restlaufzeit seines Mandats zum größten Teil, wenn nicht gar ganz abgelaufen ist. Im Übrigen kann das Interesse des Antragstellers keinesfalls als älter oder vorrangig angesehen werden, denn Herr Occhetto nahm vor seinem Rücktritt am 7. Juli 2004 auf der Liste der gewählten Kandidaten den Platz vor dem Antragsteller ein.

109    In dieser Situation, in der die besonderen und unmittelbaren Interessen des Antragstellers und von Herrn Occhetto gleichgewichtig sind, kommt den allgemeineren Interessen, die für die beantragte Aussetzung des Vollzugs oder aber für deren Ablehnung sprechen, besondere Bedeutung zu.

110    Unbestreitbar hat der betroffene Mitgliedstaat, hier die Italienische Republik, ein Interesse an der Beachtung seiner wahlrechtlichen Vorschriften durch das Parlament (siehe in diesem Sinne Beschlüsse vom 31. Juli 2003, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 97 angeführt, Randnr. 108, und vom 26. Januar 2001, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 96 angeführt, Randnr. 104). Zwar könnte man diesem Interesse das allgemeine Interesse des Parlaments an der Aufrechterhaltung seiner Entscheidungen entgegenhalten (siehe in diesem Sinne Beschluss vom 26. Januar 2001, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 96 angeführt, Randnr. 99). Dieses letztgenannte Interesse kann jedoch bei der Interessenabwägung keinen Vorrang haben.

111    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter das unterschiedliche Gewicht der Gründe, die geltend gemacht werden, um einen fumus boni iuris darzutun, bei seiner Beurteilung der Dringlichkeit und gegebenenfalls der Interessenabwägung berücksichtigen kann (siehe Beschluss vom 31. Juli 2003, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 97 angeführt, Randnr. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung).

112    Nach den in den Randnrn. 64 bis 95 dargelegten Erwägungen erscheinen die Argumente, die der Antragsteller für das Vorliegen eines fumus boni iuris vorbringt, unter Berücksichtigung der Informationen, über die der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter verfügt, solide und haben ein gewisses Gewicht.

113    Ferner dürfte das Parlament, selbst wenn es sich für befugt halten könnte, die von dem betroffenen Mitgliedstaat bekannt gegebenen Wahlergebnisse zu ignorieren, wenn sie seiner Meinung nach gegen den Akt von 1976 verstoßen, eine solche Befugnis allenfalls in seltenen Ausnahmefällen ausüben, da die Annahme berechtigt ist, dass die Mitgliedstaaten ihre sich aus Art. 10 EG ergebende Pflicht, ihr Wahlrecht den Erfordernissen des Aktes von 1976 anzupassen, im Allgemeinen erfüllen werden.

114    Deshalb wäre es unverhältnismäßig, zuzulassen, dass der angefochtene Beschluss unumkehrbare Wirkungen hervorbringt, obwohl das Vorliegen eines solchen seinen Erlass rechtfertigenden Ausnahmefalls vor dem Gemeinschaftsrichter ernsthaft bestritten wird.

115    Schließlich ist bei der Interessenabwägung auch zu berücksichtigen, dass Herr Occhetto sein Abgeordnetenmandat vom 28. April 2006 bis zur Bekanntgabe des italienischen Wahlbüros am 29. März 2007 und erneut vom Erlass des angefochtenen Beschlusses am 24. Mai 2007 an, also während eines Zeitraums von mehr als einem Jahr, hat ausüben können (siehe entsprechend Beschluss vom 31. Juli 2003, Le Pen/Parlament, oben in Randnr. 97 angeführt, Randnr. 109).

116    Nach alledem ist dem Antrag des Antragstellers stattzugeben, da die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Vollzugs des angefochtenen Beschlusses erfüllt sind.

Aus diesen Gründen hat

DER FÜR DIE GEWÄHRUNG VORLÄUFIGEN RECHTSSCHUTZES ZUSTÄNDIGE RICHTER

beschlossen:

1.      Der Vollzug des Beschlusses des Europäischen Parlaments vom 24. Mai 2007 zur Prüfung des Mandats von Beniamino Donnici (2007/2121[REG]) wird ausgesetzt.

2.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 15. November 2007

Der Kanzler

 

      Der Richter

E. Coulon

 

      M. Vilaras


* Verfahrenssprache: Italienisch