Language of document : ECLI:EU:T:2011:342

Rechtssache T‑112/07

Hitachi Ltd u. a.

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Projekte im Bereich gasisolierter Schaltanlagen – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen festgestellt wird – Aufteilung des Marktes – Verteidigungsrechte – Nachweis der Zuwiderhandlung – Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – Geldbußen – Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung – Abschreckungswirkung – Zusammenarbeit“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Akteneinsicht – Umfang – Nichtübermittlung eines Schriftstücks – Folgen

(Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

2.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Übermittlung der Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte – Voraussetzungen – Grenzen

(Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

3.      Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Nachweis der Zuwiderhandlung – Schriftliche Aussagen der Mitarbeiter einer an der Zuwiderhandlung beteiligten Gesellschaft – Beweiswert – Beurteilung

(Art. 81 Abs. 1 EG; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

4.      Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Grundrechte – Unschuldsvermutung – Verfahren in Wettbewerbssachen

(Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

5.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Art des Nachweises – Heranziehung eines Indizienbündels

(Art. 81 Abs. 1 EG)

6.      Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Nachweis der Zuwiderhandlung – Beurteilung des Beweiswerts der verschiedenen Beweisstücke – Kriterien

(Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53)

7.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung und ihre Dauer

(Art. 81 Abs. 1 EG; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

8.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Nichtfestsetzung oder niedrigere Festsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens

(Art. 81 Abs. 1 EG; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission, Nr. 21)

9.      Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien – Wettbewerbswidriger Zweck – Hinreichende Feststellung

(Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

10.    Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen – Begriff – Persönliche Verantwortung der Unternehmen, die Mittäter der Zuwiderhandlung sind, für die gesamte Zuwiderhandlung – Voraussetzungen

(Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung

(Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Abschreckender Charakter

(Art. 81 Abs. 1 EG; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

1.      Als Ausfluss des Grundsatzes der Wahrung der Verteidigungsrechte bedeutet in einem Verwaltungsverfahren zur Anwendung von Wettbewerbsregeln das Recht auf Akteneinsicht, dass die Kommission dem betroffenen Unternehmen die Möglichkeit geben muss, alle Schriftstücke in der Ermittlungsakte zu prüfen, die möglicherweise für seine Verteidigung erheblich sind. Zu ihnen gehören sowohl belastende als auch entlastende Schriftstücke mit Ausnahme von Geschäftsgeheimnissen anderer Unternehmen, internen Schriftstücken der Kommission und anderen vertraulichen Informationen.

Die Nichtübermittlung eines Schriftstücks, auf das sich die Kommission zur Untermauerung ihres Vorwurfs gegen ein Unternehmen gestützt hat, stellt nur dann eine Verletzung der Verteidigungsrechte dar, wenn das betroffene Unternehmen nachweist, dass das Ergebnis, zu dem die Kommission in ihrer Entscheidung gelangt ist, anders ausgefallen wäre, wenn das nicht übermittelte Schriftstück als belastendes Beweismittel ausgeschlossen werden müsste.

Wurde ein entlastendes Schriftstück nicht übermittelt, so muss das betroffene Unternehmen nur nachweisen, dass seine Nichtoffenlegung den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission zu seinen Ungunsten beeinflussen konnte. Es genügt, dass das Unternehmen dartut, dass es die fraglichen entlastenden Schriftstücke zu seiner Verteidigung hätte einsetzen können, und zwar in dem Sinne, dass es, wenn es sich im Verwaltungsverfahren auf diese Schriftstücke hätte berufen können, Gesichtspunkte hätte geltend machen können, die nicht mit den in diesem Stadium von der Kommission gezogenen Schlüssen übereinstimmten und daher, in welcher Weise auch immer, die von der Kommission in ihrer Entscheidung vorgenommenen Beurteilungen zumindest in Bezug auf die Schwere und die Dauer des ihm zur Last gelegten Verhaltens und damit die Höhe der Geldbuße hätten beeinflussen können.

(vgl. Randnrn. 31, 36-37)

2.      In einem wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln eingeleiteten Verfahren wird das betroffene Unternehmen erst zu Beginn des kontradiktorischen Abschnitts des Verwaltungsverfahrens durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte über alle wesentlichen Gesichtspunkte informiert, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt, und verfügt zur Sicherstellung der wirksamen Ausübung seiner Verteidigungsrechte über ein Recht auf Zugang zu den Akten. Folglich gehört die Antwort anderer Beteiligter auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte grundsätzlich nicht zu den Unterlagen der Ermittlungsakte, die die Beteiligten einsehen können.

Wenn sich allerdings die Kommission auf eine Passage in einer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder auf eine dieser Antwort beigefügte Anlage stützen will, um in einem Verfahren nach Art. 81 Abs. 1 EG das Bestehen einer Zuwiderhandlung nachzuweisen, muss den anderen Beteiligten dieses Verfahrens Gelegenheit gegeben werden, sich zu einem solchen Beweismittel zu äußern. Unter solchen Umständen stellt nämlich die fragliche Passage in einer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder die Anlage zu dieser Antwort Material dar, das die verschiedenen an der Zuwiderhandlung angeblich Beteiligten belastet.

Entsprechend stellt eine Passage in einer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder eine Anlage zu dieser Antwort, wenn sie für die Verteidigung eines Unternehmens von Bedeutung sein kann, da sie es diesem Unternehmen ermöglicht, sich auf Beweisstücke zu berufen, die nicht im Einklang mit den Ergebnissen der Kommission in diesem Verfahrensstadium stehen, ein entlastendes Beweismittel dar. In diesem Fall muss dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben werden, die fragliche Passage oder das fragliche Dokument zu prüfen und sich zu ihm zu äußern.

(vgl. Randnrn. 32-34)

3.      Die schriftlichen Aussagen der Mitarbeiter einer Gesellschaft, die unter deren Kontrolle verfasst wurden und zu deren Verteidigung im Rahmen des von der Kommission geführten Verwaltungsverfahrens wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln vorgelegt werden, können grundsätzlich nicht als von den eigenen Erklärungen dieser Gesellschaft verschiedene und unabhängige Beweisstücke angesehen werden. Im Allgemeinen beruht nämlich der Standpunkt einer Gesellschaft in Bezug auf das Vorliegen des ihr von der Kommission vorgeworfenen Sachverhalts in erster Linie auf den Kenntnissen und Ansichten ihrer Mitarbeiter und Geschäftsleiter.

Somit sind die Aussagen der Mitarbeiter einer an einem Kartell beteiligten Gesellschaft keine von deren eigenen Erklärungen getrennte und unabhängige Beweismittel, da sich die Zeugen auf Betreiben dieser Gesellschaft und im Rahmen der Verpflichtung der Letzteren zur Zusammenarbeit nach der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen gegenüber der Kommission geäußert haben, wobei ein externer Berater der betreffenden Gesellschaft anwesend sein durfte. Diese Aussagen sind daher nicht geeignet, die Erklärungen der Gesellschaft, die sie beschäftigt, zu erhärten. Sie ergänzen diese Erklärungen vielmehr und können ihren Inhalt näher ausführen und konkretisieren. Auch sie müssen daher durch andere Beweise erhärtet werden.

(vgl. Randnrn. 48, 129)

4.      Hat das Gericht Zweifel, so muss dies dem Unternehmen zugutekommen, an das sich die Entscheidung richtet, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG festgestellt wird. Das Gericht kann daher nicht davon ausgehen, dass die Kommission das Vorliegen der betreffenden Zuwiderhandlung rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, wenn bei ihm noch Zweifel in dieser Hinsicht bestehen, insbesondere dann, wenn es sich um eine Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung zur Verhängung einer Geldbuße handelt.

Unter den genannten Umständen ist nämlich die Unschuldsvermutung insbesondere nach Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu beachten, die zu den Grundrechten gehört, die allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts darstellen. Angesichts der Art der betreffenden Zuwiderhandlungen sowie der Art und der Schwere der ihretwegen verhängten Sanktionen gilt die Unschuldsvermutung insbesondere in Verfahren wegen Verletzung der für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln, die zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können.

(vgl. Randnrn. 58-59)

5.      Im Wettbewerbsbereich ist es erforderlich, dass die Kommission aussagekräftige und übereinstimmende Beweise beibringt, um das Vorliegen der Zuwiderhandlung nachzuweisen. Jedoch muss nicht jeder von der Kommission erbrachte Beweis notwendigerweise für jeden Teil der Zuwiderhandlung diesen Kriterien entsprechen. Es genügt, wenn ein von der Kommission angeführtes Bündel von Indizien im Ganzen betrachtet dem genannten Erfordernis entspricht. Das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise oder Vereinbarung kann folglich aus einer Reihe von Koinzidenzen und Indizien abgeleitet werden, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können.

Stützt sich die Kommission jedoch für ihre Feststellung des Vorliegens einer Zuwiderhandlung ausschließlich auf das Marktverhalten der Unternehmen, genügt es für diese, das Vorliegen von Umständen nachzuweisen, die den von der Kommission festgestellten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen lassen und damit eine andere plausible Erklärung der Tatsachen ermöglichen, aus denen die Kommission auf die Begehung einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln geschlossen hat.

Dies gilt jedoch nicht für alle Fälle, in denen eine Zuwiderhandlung nur aufgrund nichtschriftlicher Nachweise festgestellt wird. Hinsichtlich der Beweismittel, die zum Nachweis einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG herangezogen werden dürfen, gilt im Gemeinschaftsrecht nämlich der Grundsatz der freien Beweiswürdigung.

Selbst wenn sich somit das Fehlen schriftlicher Nachweise im Rahmen der Gesamtbeurteilung des von der Kommission angeführten Bündels von Indizien als relevant erweisen kann, kann das betroffene Unternehmen nicht allein seinetwegen die Behauptungen der Kommission durch eine andere Erklärung des Sachverhalts in Frage stellen. Dies ist nur dann der Fall, wenn aufgrund der von der Kommission beigebrachten Beweise das Vorliegen der Zuwiderhandlung nicht eindeutig und nur durch Auslegung dieser Beweise nachgewiesen werden kann.

Aus diesem Grund ist die Kommission selbst bei Fehlen schriftlicher Nachweise nicht gehalten, unabhängige Untersuchungen zur Überprüfung der Tatsachen durchzuführen.

(vgl. Randnrn. 60-66)

6.      In einem Verfahren wegen Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG ist das alleinige Kriterium für die Beurteilung des Beweiswerts der verschiedenen Beweisstücke ihre Glaubhaftigkeit. Nach den allgemeinen Beweisgrundsätzen hängt die Glaubhaftigkeit eines Schriftstücks und damit sein Beweiswert von seiner Herkunft, den Umständen seiner Entstehung, seinem Adressaten und seinem Inhalt ab.

Zudem kann Erklärungen von Unternehmen ein besonders hoher Beweiswert beigemessen werden, wenn sie verlässlich sind, im Namen eines Unternehmens abgegeben wurden, von einer Person stammen, die beruflich verpflichtet ist, im Interesse dieses Unternehmens zu handeln, den Interessen des Erklärenden zuwiderlaufen, von einem unmittelbaren Zeugen der Vorgänge stammen, auf die sie sich beziehen, und bedacht sowie nach reiflicher Überlegung schriftlich abgegeben werden.

Hingegen kann eine Erklärung, die ein der Beteiligung an einem Kartell beschuldigtes Unternehmen abgibt und deren Richtigkeit von mehreren anderen betroffenen Unternehmen bestritten wird, nicht als hinreichender Beweis für die Begehung einer Zuwiderhandlung durch diese anderen Unternehmen angesehen werden, wenn sie nicht durch andere Beweise untermauert wird, wobei jedoch der erforderliche Grad der Erhärtung aufgrund der Glaubhaftigkeit der fraglichen Erklärungen geringer ist.

(vgl. Randnrn. 68-71)

7.      Auch wenn gegenüber den freiwilligen Angaben der Hauptteilnehmer an einem rechtswidrigen Kartell im Allgemeinen ein gewisses Misstrauen angebracht ist, da die Möglichkeit besteht, dass diese Teilnehmer die Neigung haben, die Bedeutung ihres eigenen Tatbeitrags als so klein wie möglich und den der anderen als so groß wie möglich darzustellen, so ändert dies nichts daran, dass ein Antrag auf Anwendung der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, um einen Erlass oder eine Herabsetzung der Geldbuße zu erreichen, nicht zwangsläufig einen Anreiz schafft, verfälschte Beweise für die Beteiligung der übrigen Kartellmitglieder vorzulegen. Jeder Versuch einer Irreführung der Kommission könnte nämlich die Aufrichtigkeit und Vollständigkeit der Kooperation des Antragstellers in Frage stellen und damit die Möglichkeit gefährden, dass er in den vollen Genuss der Kronzeugenregelung gelangt.

Was die individuellen Beweggründe der Zeugen betrifft, ist zwar möglich, dass auch die Mitarbeiter eines Unternehmens, das einen Antrag auf Geldbußenerlass gestellt hat, die gehalten sind, in dessen Interesse zu handeln, so viele belastende Umstände wie möglich anführen wollen, da sich ihre Mitarbeit im Rahmen des Verfahrens auch positiv auf ihre berufliche Zukunft auswirken kann. Ist dies der Fall, werden den fraglichen Mitarbeitern jedoch auch die möglichen negativen Folgen unrichtiger Angaben bewusst sein, die durch die Notwendigkeit ihrer Erhärtung durch andere Beweise deutlicher spürbar sind.

(vgl. Randnrn. 72, 130)

8.      Eine Ermäßigung der Geldbuße kann nach Randnr. 21 der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen nur dann gewährt werden, wenn den betreffenden Beweismitteln im Vergleich zu denen, über die die Kommission bereits verfügt, erheblicher Beweiswert zukommt. Daher ist es legitim, dass sich ein Unternehmen, das eine Geldbußenermäßigung erlangen möchte, in einem nach der Versendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte gestellten Antrag auf Geldbußenerlass auf die Umstände konzentriert, die seines Erachtens bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen wurden, um einen erheblichen Mehrwert beizutragen. Dies kann eine Erklärung dafür sein, warum das betreffende Unternehmen die Umstände nicht erwähnt, die seines Erachtens durch bereits zuvor übermittelte Beweisstücke zweifelsfrei nachgewiesen sind.

Außerdem ist nach dem Wortlaut von Randnr. 21 der Kronzeugenregelung nicht auszuschließen, dass die Vorlage von Beweismitteln, denen zwar ein gewisser Beweiswert zukommt, die jedoch Tatsachen betreffen, die bereits durch andere Beweismittel nachgewiesen wurden, zu keiner Ermäßigung führt.

(vgl. Randnrn. 178-180)

9.      Eine Vereinbarung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) liegt schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Die tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung brauchen nicht berücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, dass sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt. Das Bestehen einer gegenseitigen Verpflichtung bedeutet zwangsläufig das Vorliegen eines gemeinsamen Willens, selbst wenn für die genaue Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem dieser Wille zum Ausdruck gebracht wurde, oder für eine Formalisierung dieses Ausdrucks keine Anhaltspunkte vorliegen.

(vgl. Randnrn. 268-269)

10.    Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ergeben sich notwendigerweise aus einem Zusammenwirken mehrerer Unternehmen, die zwar alle Mittäter der Zuwiderhandlung sind, deren Beteiligung aber insbesondere in Abhängigkeit von den Merkmalen des betroffenen Marktes und der Stellung des einzelnen Unternehmens auf diesem Markt, den verfolgten Zielen und der gewählten oder vorgesehenen Art und Weise der Durchführung verschiedene Formen aufweisen kann. Jedoch kann die Verantwortung des einzelnen Unternehmens für die gesamte Zuwiderhandlung einschließlich des Verhaltens, das zwar von anderen beteiligten Unternehmen an den Tag gelegt wurde, aber dieselbe wettbewerbswidrige Zielsetzung oder Wirkung hat, nicht allein deshalb ausgeschlossen sein, weil jedes Unternehmen sich auf eine ihm eigene Art und Weise an der Zuwiderhandlung beteiligt.

So ist ein Unternehmen, das sich durch eigene Handlungen, die unter den Begriff der auf ein wettbewerbswidriges Ziel gerichteten Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG oder Art. 53 Abs. 1 EWR-Abkommen fallen und die einen Beitrag zur Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit leisten sollten, an einer solchen Zuwiderhandlung beteiligt hatte, für die gesamte Zeit seiner Beteiligung an der genannten Zuwiderhandlung auch für das Verhalten verantwortlich, das andere Unternehmen im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag legten, wenn das betreffende Unternehmen nachweislich von dem rechtswidrigen Verhalten der anderen Beteiligten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und wenn es bereit war, das daraus erwachsende Risiko einzugehen.

Das ist der Fall, wenn ein Unternehmen eines Drittstaats, das nur eine passive Rolle im Rahmen einer „Übereinkunft“, durch die die Zuteilung konkreter Projekte im EWR europäischen Herstellern vorbehalten wurde, spielt, da es darüber Bescheid wusste und seine passive Rolle nicht auf seine Entscheidung, sondern auf die Form seiner Beteiligung am Abkommen über den Markt im EWR zurückzuführen war, und diese Beteiligung eine Vorbedingung dafür war, dass die Projekte im EWR unter den europäischen Herstellern aufgeteilt werden konnten.

(vgl. Randnrn. 287-290)

11.    Wenn eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG durch mehrere Unternehmen begangen wurde, ist nach der Rechtsprechung die relative Schwere des Tatbeitrags jedes einzelnen von ihnen zu prüfen. Dass sich ein Unternehmen nicht an allen Tatbestandsmerkmalen eines Kartells beteiligt oder aber bei seiner Beteiligung eine weniger bedeutende Rolle gespielt hat, ist somit bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung und bei der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen.

Was insbesondere eine Vereinbarung betrifft, in der sich Unternehmen eines Drittstaats verpflichteten, nicht in den Markt des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) einzudringen, und die europäischen Unternehmen sich die verschiedenen Projekte auf diesem Markt durch aktives kollusives Handeln untereinander aufteilten, ist die Schwere des Verhaltens der Unternehmen der Drittstaaten mit der des Verhaltens der europäischen Unternehmen vergleichbar, da ihre mangelnde Teilnahme an der Zuteilung der Projekte im EWR nicht das Ergebnis ihrer Entscheidung, sondern bloß die Folge der Art ihrer Beteiligung an der betreffenden Vereinbarung war.

(vgl. Randnrn. 312, 314-316)

12.    Was die Wiederholungstäterschaft anbelangt, ist die Abschreckung ein Ziel der Geldbuße. Außerdem ist die Notwendigkeit, eine solche Abschreckung zu gewährleisten, ein allgemeines Erfordernis, von dem sich die Kommission bei der gesamten Berechnung der Geldbuße leiten lassen muss; sie bedeutet nicht zwingend, dass die Berechnung einen speziellen Abschnitt umfasst, in dem alle für die Verwirklichung dieses Zwecks relevanten Umstände einer Gesamtbeurteilung unterzogen werden.

Die Kommission kann diesen Umstand daher, ohne einen Fehler zu begehen, im Rahmen der Beurteilung der erschwerenden Umstände und nicht bei der Festlegung der Abschreckungsfaktoren berücksichtigen.

(vgl. Randnr. 353)