Language of document : ECLI:EU:C:2022:263

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

7. April 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – EGB-UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge – Paragrafen 2 und 4 – EGB-UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit – Paragraf 4 – Diskriminierungsverbot – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Friedensrichter und Berufsrichter – Paragraf 5 – Maßnahmen zur Ahndung des missbräuchlichen Einsatzes befristeter Arbeitsverträge – Richtlinie 2003/88/EG – Art. 7 – Bezahlter Jahresurlaub“

In der Rechtssache C‑236/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per l’Emilia Romagna (Regionales Verwaltungsgericht Emilia Romagna, Italien) mit Entscheidung vom 27. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juni 2020, in dem Verfahren

PG

gegen

Ministero della Giustizia,

CSM – Consiglio Superiore della Magistratura,

Presidenza del Consiglio dei Ministri,

Beteiligte:

Unione Nazionale Giudici di Pace (Unagipa),

TR,

PV,

Associazione Nazionale Giudici di Pace – ANGDP,

RF,

GA,

GOT Non Possiamo Più Tacere,

Unione Nazionale Italiana Magistrati Onorari – UNIMO,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), der Richterin I. Ziemele sowie der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von PG, vertreten durch L. Serino, E. Lizza und G. Romano, Avvocati,

–        von PV und Associazione Nazionale Giudici di Pace  ANGDP, vertreten durch G. Guida und V. De Michele, Avvocati,

–        von Unione Nazionale Giudici di Pace (Unagipa) und TR, vertreten durch G. Guida, V. De Michele und F. Visco, Avvocati,

–        von RF, vertreten durch B. Nascimbene und F. Rossi Dal Pozzo, Avvocati,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Sclafani und A. Vitale, Avvocati dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch B.‑R. Killmann und D. Recchia als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 20, 21, 31, 33, 34 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), von Paragraf 4 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (im Folgenden: Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit), die im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9, berichtigt in ABl. 1998, L 128, S. 71) in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 (ABl. 1998, L 131, S. 10) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 97/81) enthalten ist, der Paragrafen 2, 4 und 5 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (im Folgenden: Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge) im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43), der Art. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) sowie von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen PG, Friedensrichterin  (Giudice di pace), und dem Ministero della Giustizia (Justizministerium, Italien), dem Consiglio Superiore della Magistratura (Oberster Justizrat, Italien) sowie der Presidenza del Consiglio dei Ministri (Präsidium des Ministerrats, Italien) wegen der Weigerung, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im öffentlichen Dienst in Voll- oder Teilzeit zwischen PG und dem Justizministerium festzustellen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit

3        In Paragraf 2 („Anwendungsbereich“) der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit heißt es:

„1.      Die vorliegende Vereinbarung gilt für Teilzeitbeschäftigte, die nach den Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen.

…“

4        Paragraf 4 Nrn. 1 und 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit bestimmt:

„1.      Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

2.      Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz.

…“

 Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge

5        Paragraf 2 („Anwendungsbereich“) der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge bestimmt:

„1.      Diese Vereinbarung gilt für befristet beschäftigte Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis gemäß der gesetzlich, tarifvertraglich oder nach den Gepflogenheiten in jedem Mitgliedstaat geltenden Definition.

…“

6        Paragraf 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung“) der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„1.      Befristet beschäftige Arbeitnehmer dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil für sie ein befristeter Arbeitsvertrag oder ein befristetes Arbeitsverhältnis gilt, gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

2.      Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz.

…“

7        Paragraf 5 („Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch“) der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge lautet:

„1.      Um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse zu vermeiden, ergreifen die Mitgliedstaaten nach der gesetzlich oder tarifvertraglich vorgeschriebenen oder in dem Mitgliedstaat üblichen Anhörung der Sozialpartner und/oder die Sozialpartner, wenn keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Missbrauchsverhinderung bestehen, unter Berücksichtigung der Anforderungen bestimmter Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen:

a)      sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Verträge oder Verhältnisse rechtfertigen;

b)      die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinander folgender Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse;

c)      die zulässige Zahl der Verlängerungen solcher Verträge oder Verhältnisse.

2.      Die Mitgliedstaaten, nach Anhörung der Sozialpartner, und/oder die Sozialpartner legen gegebenenfalls fest, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse:

a)      als ‚aufeinanderfolgend‘ zu betrachten sind;

b)      als unbefristete Verträge oder Verhältnisse zu gelten haben.“

 Richtlinie 2003/88

8        Art. 7 („Jahresurlaub“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

(2)      Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.“

 Italienisches Recht

9        Art. 106 der italienischen Verfassung enthält grundlegende Bestimmungen über den Zugang zum Richteramt:

„Die Bestellung der Richter findet durch Auswahlverfahren statt.

Das Gesetz über die Gerichtsverfassung kann die Bestellung von ehrenamtlichen Richtern, auch mittels Wahl, für alle Einzelrichtern zugewiesenen Aufgaben gestatten.

…“

10      Die Legge n. 374 – Istituzione del giudice di pace (Gesetz Nr. 374 über die Errichtung des Friedensgerichts) vom 21. November 1991 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 278 vom 27. November 1991, S. 5) in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 374/1991) bestimmt:

„Artikel 1

Errichtung und Aufgaben des Friedensgerichts

(1)      Es werden Friedensgerichte errichtet, welche die Gerichtsbarkeit in Zivilsachen und in Strafsachen sowie die Schlichtungstätigkeit in Zivilsachen gemäß den Vorschriften dieses Gesetzes ausüben.

(2)      Das Amt des Friedensrichters wird von einem ‚ehrenamtlichen‘ Richter bekleidet, der dem Richterstand angehört.

Artikel 4

Bestellung zum Amt

(1)      Die ‚ehrenamtlichen‘ Richter, die berufen werden, das Amt eines Friedensrichters zu bekleiden, werden durch Dekret des Präsidenten der Republik bestellt, nach einem Beschluss des Obersten Rates für das Gerichtswesen und auf Vorschlag des örtlich zuständigen Gerichtsrats, der durch fünf von den Ausschüssen der Rechtsanwaltskammer des Oberlandesgerichtssprengels einvernehmlich bezeichnete Vertreter ergänzt wird.

Artikel 10

Pflichten und Disziplinaraufsicht

(1)      Ein ehrenamtlicher Richter, der das Amt des Friedensrichters ausübt, ist verpflichtet, die für Berufsrichter vorgesehenen Pflichten zu beachten. …

Artikel 11

Dem Friedensrichter zustehende Entschädigungen

(1)      Das Amt des Friedensrichters wird ehrenamtlich ausgeübt.

(2)      Ehrenamtliche Richter, die das Amt des Friedensrichters ausüben, erhalten eine Entschädigung von 70 000 [italienischen Lire (ITL) (etwa 35 Euro)] für jede Verhandlung in Zivil- oder Strafsachen, auch wenn es sich nicht um eine Hauptverhandlung handelt, sowie für die Anbringung von Siegeln und eine Entschädigung von 110 000 [ITL (etwa 55 Euro)] für jedes andere zugewiesene Verfahren, das erledigt oder aus dem Register gestrichen wird.

(3)      Außerdem steht ihnen eine Entschädigung von 500 000 [ITL (etwa 250 Euro)] für jeden Monat tatsächlicher Dienstzeit als Aufwendungserstattung für Ausbildung, Fortbildung und allgemeine amtsbezogene Aufwendungen zu.

(4bis)      Die in diesem Artikel vorgesehenen Entschädigungen sind mit Renten- und Ruhestandsbezügen unabhängig von deren Bezeichnung kumulierbar.

(4ter)      Die in diesem Artikel vorgesehenen Entschädigungen dürfen in keinem Fall 72 000 Euro brutto pro Jahr übersteigen.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      PG war vom 3. Juli 2002 bis 31. Mai 2016 durchgehend als Friedensrichterin (Giudice di pace) tätig.

12      Im Rahmen des Ausgangsverfahrens beantragte PG die Feststellung ihres Rechts auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses im öffentlichen Dienst in Voll- oder Teilzeit als Richterin und verwies darauf, dass Friedensrichter identische Aufgaben wie Berufsrichter ausübten. Weiter beantragte PG, sie auch wirtschaftlich und sozial sowie in Bezug auf die Altersversorgung mit diesen gleichzustellen.

13      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach der nationalen Regelung das Arbeitsverhältnis von Friedensrichtern, anders als das von Berufsrichtern, nicht die typischen Merkmale eines Arbeitsverhältnisses im öffentlichen Dienst aufweise. Folglich erhalte der Friedensrichter weder Leistungen betreffend den Sozialschutz oder die Altersversorgung noch Leistungen betreffend Gesundheitsschutz, Mutterschaft und Familie, noch Urlaubsansprüche.

14      Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts üben die Friedensrichter jedoch Rechtsprechungsaufgaben aus, die denen der Berufsrichter und jedenfalls denen anderer Beschäftigter in der öffentlichen Verwaltung vergleichbar sind. Der Umstand, dass die den Friedensrichtern gezahlte Vergütung formal als „Entschädigung“ eingestuft werde, sei irrelevant. Die grundlose und ungerechtfertigte Aneinanderreihung von befristeten Arbeitsverhältnissen und die systematische Verlängerung der Amtszeit von Friedensrichtern führten zu einer „Verfestigung“ des Beschäftigungsverhältnisses, das vom italienischen Recht als ehrenamtlich eingestuft werde, und es gebe keine wirksamen und abschreckenden Sanktionen.

15      Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per l’Emilia Romagna (Regionales Verwaltungsgericht Emilia Romagna, Italien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stehen die Art. 20, 21, 31, 33 und 34 der Charta, die Paragrafen 2 und 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70, Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81, Art. 7 der Richtlinie 2003/88 sowie die Art. 1 und 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 der Anwendung einer nationalen Regelung wie der italienischen entgegen, die sich aus dem Gesetz Nr. 374/1991 und dem gesetzesvertretenden Dekret Nr. 92/2016 ergibt, wie sie in ständiger Rechtsprechung ausgelegt werden, nach der Friedensrichter als ehrenamtliche Richter nicht nur im Hinblick auf die Regelung der Bezüge, der Sozialversicherung und des sozialen Schutzes Berufsrichtern nicht gleichgestellt sind, sondern auch von jeder Form der Sozialversicherung und des sozialen Schutzes, die Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst gewährt wird, völlig ausgeschlossen sind?

2.      Stehen die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Autonomie und Unabhängigkeit der Rechtsprechungstätigkeit und insbesondere Art. 47 der Charta der Anwendung einer nationalen Regelung wie der italienischen entgegen, nach der Friedensrichter als ehrenamtliche Richter nicht nur im Hinblick auf die Regelung der Bezüge, der Sozialversicherung und des sozialen Schutzes Berufsrichtern nicht gleichgestellt sind, sondern auch von jeder Form der Sozialversicherung und des sozialen Schutzes, die Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst gewährt wird, völlig ausgeschlossen sind?

3.      Steht Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge der Anwendung einer nationalen Regelung wie der italienischen entgegen, nach der die befristete Tätigkeit von Friedensrichtern als ehrenamtliche Richter, die ursprünglich auf acht Jahre (zweimal vier Jahre) festgelegt ist, systematisch um weitere vier Jahre verlängert werden kann, ohne dass als Alternative zur Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wirksame und abschreckende Sanktionen vorgesehen sind?

16      Nach Verkündung des Urteils vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana (Status der italienischen Friedensrichter) (C‑658/18, EU:C:2020:572), hat der Gerichtshof das Tribunale amministrativo regionale per l’Emilia Romagna (Regionales Verwaltungsgericht Emilia Romagna) um Stellungnahme gebeten, ob es sein Vorabentscheidungsersuchen in Anbetracht dieses Urteils aufrechterhalte.

17      Am 28. Oktober 2020 hat das vorlegende Gericht mitgeteilt, dass es dieses Ersuchen aufrechterhalten wolle, weil der Gerichtshof sich nicht zu sämtlichen Unvereinbarkeiten des in Rede stehenden innerstaatlichen Rechts mit dem Unionsrecht geäußert habe. Es sei wichtig, dass der Gerichtshof die in der italienischen Rechtsordnung vom Friedensrichter wahrgenommenen Aufgaben eingehend prüfe, da das Fehlen einer solchen Prüfung zu einem zu großen Ermessensspielraum der nationalen Gerichte führen könne.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit der Fragen

18      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über die ihm vorgelegten Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 17. September 2020, Burgo Group, C‑92/19, EU:C:2020:733, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Folglich spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann es nur dann ablehnen, über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts zu befinden, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, das Problem hypothetischer Natur ist oder der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 17. September 2020, Burgo Group, C‑92/19, EU:C:2020:733, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, müssen nach Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsersuchen u. a. eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, sowie der Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt, enthalten sein.

21      In Bezug auf die erste Frage erfüllt die Vorlageentscheidung diese Anforderungen nicht.

22      Die Vorlageentscheidung lässt nämlich nicht die Gründe erkennen, aus denen die Art. 33 und 34 der Charta sowie die Bestimmungen der Richtlinie 2000/78 einer nationalen Regelung entgegenstehen sollten, wonach – in ihrer Auslegung durch die nationale Rechtsprechung – für die Friedensrichter als ehrenamtliche Richter nicht dasselbe Besoldungs‑, Sozial- und Altersversorgungssystem wie für Berufsrichter gilt, so dass sie von jeder Form des Sozialschutzes und der Altersversorgung, wie sie für Bedienstete des öffentlichen Dienstes gelten, ausgeschlossen sind.

23      In Bezug auf die zweite Frage erläutert das vorlegende Gericht nicht die Gründe, die es dazu veranlasst haben, sich Fragen zur Vereinbarkeit der in Rede stehenden Regelung mit den Grundsätzen der Autonomie und Unabhängigkeit der von den Friedensrichtern wahrgenommenen Rechtsprechungsaufgaben zu stellen. Das vorlegende Gericht beschränkt sich auf den Hinweis, die richterliche Unparteilichkeit und Unabhängigkeit verlange, dass allen Richtern die Grundrechte der Kontinuität des Dienstes, einer angemessenen Entlohnung und der Wahrung der Verteidigungsrechte in Disziplinarverfahren zugestanden würden.

24      Folglich verfügt der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben, die für die zweckdienliche Beantwortung eines Teils der ersten Frage und der zweiten Frage erforderlich sind.

25      Nach alledem ist die erste Vorlagefrage, soweit sie die Auslegung der Art. 33 und 34 der Charta sowie der Richtlinie 2000/78 betrifft, und die zweite Frage insgesamt unzulässig.

 Zur ersten Frage

26      Zunächst ist davon auszugehen, dass es dem vorlegenden Gericht mit seiner ersten Frage nicht um eine autonome Auslegung der Art. 20, 21 und 31 der Charta geht, da diese nur zur Unterstützung der Frage nach der Auslegung der Richtlinie 2003/88, der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit und der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge erwähnt werden.

27      Das vorlegende Gericht möchte also im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88, Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit und Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der Friedensrichter anders als Berufsrichter weder Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von 30 Tagen noch auf ein vom Arbeitsverhältnis abhängiges Sozial- und Altersversorgungssystem haben.

28      Wie bereits in Rn. 13 des vorliegenden Urteils ausgeführt, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass das Arbeitsverhältnis der Berufsrichter, anders als das durch die in Rede stehende Regelung als „ehrenamtlich“ eingestufte Amt der Friedensrichter, ein Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst ist. Unter diesen Umständen werde einer Friedensrichterin wie PG jeglicher Urlaubsanspruch sowie jede Form von Sozialschutz oder Altersversorgung einschließlich Gesundheits‑, Mutterschafts- und Familienleistungen abgesprochen.

29      Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass das Arbeitsverhältnis der Friedensrichter sich von dem der Berufsrichter in mehreren wesentlichen Aspekten unterscheidet, nämlich in Bezug auf das Einstellungsverfahren, die Stellung im Organisationgefüge der öffentlichen Verwaltung, die Unvereinbarkeits- und Ausschließlichkeitsregelung der Leistung, die Vergütung, die Dauer sowie den uneingeschränkten und ausschließlichen Charakter der Aufgaben.

30      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana (Status der italienischen Friedensrichter) (C‑658/18, EU:C:2020:572), entschieden hat, dass der Begriff „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ im Sinne von Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge dahin auszulegen ist, dass er einen für einen begrenzten Zeitraum ernannten Friedensrichter umfassen kann, der im Rahmen seiner Aufgaben tatsächliche und echte Leistungen erbringt, die weder völlig untergeordnet noch unwesentlich sind und für die er Entschädigungen mit Vergütungscharakter erhält, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

31      Folglich ist es im vorliegenden Fall letztlich Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob PG unter den Begriff „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ im Sinne der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge und/oder „Teilzeitbeschäftigte“ im Sinne der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit fällt.

32      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge es verbietet, befristet beschäftigte Arbeitnehmer in ihren Beschäftigungsbedingungen gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nur deswegen schlechter zu behandeln, weil sie aufgrund eines befristeten Vertrags tätig sind, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt (Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 136).

33      Ebenso verbietet Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Einklang mit dem Ziel, die Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten zu beseitigen, dass Teilzeitbeschäftigte in ihren Beschäftigungsbedingungen gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nur deswegen schlechter behandelt werden, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

34      Da Paragraf 4 Nrn. 1 und 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit und Paragraf 4 Nrn. 1 und 2 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Wesentlichen den gleichen Wortlaut haben, gelten die Erwägungen zu einer dieser Bestimmungen entsprechend auch für die andere.

35      Der Gerichtshof hat entschieden, dass Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge bezweckt, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung auf befristet beschäftigte Arbeitnehmer anzuwenden, um zu verhindern, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis von einem Arbeitgeber benutzt wird, um diesen Arbeitnehmern Rechte vorzuenthalten, die Dauerbeschäftigten zuerkannt werden (Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 137).

36      Zu den „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Paragraf 4 dieser Rahmenvereinbarung hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass dazu auch die Bedingungen betreffend die Vergütung und diejenigen Versorgungsbezüge gehören, die von dem Beschäftigungsverhältnis abhängen, nicht dagegen die Bedingungen betreffend die Versorgungsbezüge aus einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit (Urteil vom 15. April 2008, Impact, C‑268/06, EU:C:2008:223, Rn. 134).

37      Die Prüfung, ob das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sozial- und Altersversorgungssystem unter Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung fällt, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

38      Da im Übrigen diese Bedingungen im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge Entgeltbestandteile einschließlich deren Höhe, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub sowie die Voraussetzungen der vom Arbeitsverhältnis abhängigen Ruhestandsbezüge betreffen, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Rechtsprechungstätigkeit von PG bei der Ausübung ihrer Aufgaben als Friedensrichterin unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen als mit der eines Berufsrichters vergleichbar angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 143 bis 147).

39      Falls festgestellt wird, dass eine Friedensrichterin wie PG sich im Hinblick auf Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge in einer vergleichbaren Situation befindet wie Berufsrichter, so ist noch zu prüfen, ob es einen sachlichen Grund gibt, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigt.

40      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „sachliche Gründe“ im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 dieser Rahmenvereinbarung nach ständiger Rechtsprechung so zu verstehen ist, dass eine unterschiedliche Behandlung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern und Dauerbeschäftigten nicht damit gerechtfertigt werden kann, dass sie in einer allgemeinen oder abstrakten Norm wie einem Gesetz oder einem Tarifvertrag vorgesehen ist (Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 150 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Der besagte Begriff verlangt nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung, dass die festgestellte Ungleichbehandlung durch das Vorhandensein genau bezeichneter, konkreter Umstände gerechtfertigt ist, die die betreffende Beschäftigungsbedingung in ihrem speziellen Zusammenhang und auf der Grundlage objektiver und transparenter Kriterien für die Prüfung der Frage kennzeichnen, ob die Ungleichbehandlung einem echten Bedarf entspricht und ob sie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Diese Umstände können sich etwa aus der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung befristete Verträge geschlossen wurden, und ihren Wesensmerkmalen ergeben oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Ziels durch einen Mitgliedstaat (Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 151).

42      In Rn. 156 des Urteils vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana (Status der italienischen Friedensrichter) (C‑658/18, EU:C:2020:572), hat der Gerichtshof in Bezug auf die Rechtfertigung betreffend das Bestehen eines Auswahlverfahrens, das speziell für die ordentlichen Richter im Hinblick auf den Zugang zum Richteramt konzipiert wurde und das es im Zusammenhang mit der Bestellung der Friedensrichter nicht gibt, festgestellt, dass die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung ihres Ermessens bei der Organisation ihrer öffentlichen Verwaltungen grundsätzlich, ohne gegen die Richtlinie 1999/70 oder die Rahmenvereinbarung zu verstoßen, Voraussetzungen für den Zugang zum Richteramt sowie Beschäftigungsbedingungen vorsehen können, die sowohl für ordentliche Richter als auch für Friedensrichter gelten.

43      Gleichwohl müssen ungeachtet dieses Ermessens die von den Mitgliedstaaten aufgestellten Kriterien in transparenter und nachprüfbarer Weise angewandt werden, um zu verhindern, dass befristet beschäftigte Arbeitnehmer allein wegen der Befristung der Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse, mit denen sie ihre Dienstzeit und ihre Berufserfahrung nachweisen, benachteiligt werden (Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 157).

44      Ergibt sich eine solche unterschiedliche Behandlung aus der Notwendigkeit, objektive Erfordernisse zu berücksichtigen, die sich auf die mit dem Einstellungsverfahren ausgeschriebene Beschäftigung beziehen und nichts mit der Befristung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber zu tun haben, so könnte sie im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 und/oder Nr. 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge gerechtfertigt sein. Insoweit ist davon auszugehen, dass manche Unterschiede in der Behandlung der auf ein Auswahlverfahren hin eingestellten Dauerbeschäftigten und der befristet beschäftigten Arbeitnehmer, die nach einem anderen als dem für die Dauerbeschäftigten vorgesehenen Verfahren eingestellt werden, grundsätzlich durch die Unterschiede in den verlangten Qualifikationen und die Art der in den jeweiligen Verantwortungsbereich fallenden Aufgaben gerechtfertigt werden können (Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 158 und 159).

45      Der Gerichtshof hat insoweit ausgeführt, dass die von der italienischen Regierung angegebene Zielsetzung, die Unterschiede in der Berufsausübung zwischen einem Friedensrichter und einem ordentlichen Richter widerzuspiegeln, als „sachlicher Grund“ im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 und/oder Nr. 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge angesehen werden kann, sofern sie einem echten Bedarf entspricht und eine Geeignetheit und Erforderlichkeit zur Erreichung des verfolgten Ziels gegeben ist (Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 160).

46      Der Gerichtshof hat hierzu festgestellt, dass die Unterschiede zwischen den Einstellungsverfahren für Friedensrichter und für ordentliche Richter sowie insbesondere die besondere Bedeutung, die die nationale Rechtsordnung und genauer Art. 106 Abs. 1 der italienischen Verfassung den speziell für die Einstellung der ordentlichen Richter konzipierten Auswahlverfahren beimessen, auf eine besondere Art der in den Verantwortungsbereich der ordentlichen Richter fallenden Aufgaben und auf ein anderes Niveau der für die Erledigung dieser Aufgaben erforderlichen Qualifikationen hindeuten. Jedenfalls ist es Sache des vorlegenden Gerichts, insoweit die verfügbaren qualitativen und quantitativen Anhaltspunkte in Bezug auf die Aufgaben der Friedensrichter und der Berufsrichter, die für sie geltenden zeitlichen Zwänge und Verpflichtungen sowie allgemein sämtliche relevanten Umstände und Tatsachen zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana [Status der italienischen Friedensrichter], C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 161).

47      Gemäß dieser Rechtsprechung erlaubt also ein speziell für die Einstellung von Berufsrichtern konzipiertes Auswahlverfahren für den Zugang zum Richteramt, das nicht Bestandteil der Bestellung von Friedensrichtern ist, diese vom vollständigen Genuss der den Berufsrichtern zustehenden Rechte auszuschließen.

48      Allerdings hat das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung und insbesondere der Überprüfungen, auf die in Rn. 46 des vorliegenden Urteils verwiesen wird und für die es gemäß dem Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana (Status der italienischen Friedensrichter) (C‑658/18, EU:C:2020:572, Rn. 161), allein zuständig ist, im Wesentlichen festgestellt, dass der Unterschied zwischen den auf die beiden Gruppen von Arbeitnehmern anwendbaren Zugangsmodalitäten zum Richteramt den Ausschluss der ehrenamtlichen Richter von der Gewährung jeglichen den Berufsrichtern in vergleichbarer Lage zustehenden bezahlten Jahresurlaubs sowie Sozial- und Altersversorgungssystems nicht rechtfertigen könne.

49      Insbesondere in Bezug auf den Urlaubsanspruch ist daran zu erinnern, dass nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 „[d]ie Mitgliedstaaten … die erforderlichen Maßnahmen [treffen], damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen … erhält“.

50      Zudem ergibt sich aus dem Wortlaut der Richtlinie 2003/88 und aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es zwar Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub festzulegen, sie dabei aber nicht bereits die Entstehung dieses sich unmittelbar aus der Richtlinie ergebenden Anspruchs von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen dürfen (Urteil vom 25. Juni 2020, Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria und Iccrea Banca, C‑762/18 und C‑37/19, EU:C:2020:504, Rn. 56 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

51      Im Übrigen gilt nach Paragraf 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz.

52      So hat der Gerichtshof entschieden, dass das Unionsrecht im Fall der Teilzeitbeschäftigung weder für das Ruhegehalt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Oktober 2003, Schönheit und Becker, C‑4/02 und C‑5/02, EU:C:2003:583, Rn. 90 und 91) noch für den bezahlten Jahresurlaub (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. April 2010, Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, C‑486/08, EU:C:2010:215, Rn. 33, sowie vom 8. November 2012, Heimann und Toltschin, C‑229/11 und C‑230/11, EU:C:2012:693, Rn. 36) einer Berechnung nach dem Pro-rata-temporis-Grundsatz entgegensteht. In den Rechtssachen, in denen die genannten Urteile ergangen sind, stellte nämlich die Berücksichtigung einer im Verhältnis zum vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer reduzierten Arbeitszeit ein objektives Kriterium dar, das eine proportionale Kürzung der Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer erlaubte (Urteil vom 5. November 2014, Österreichischer Gewerkschaftsbund, C‑476/12, EU:C:2014:2332, Rn. 23 und 24).

53      Somit können unter dem Vorbehalt der Überprüfungen, für die allein das nationale Gericht zuständig ist, zwar gewisse Ungleichbehandlungen durch die Unterschiede in den verlangten Qualifikationen und die Art der Aufgaben der Berufsrichter gerechtfertigt sein, aber der Ausschluss jeglichen Urlaubsanspruchs sowie jeder Form von Sozialschutz und Altersversorgung für Friedensrichter ist im Hinblick auf Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge oder Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit nicht zulässig.

54      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88, Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit sowie Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für Friedensrichter anders als für Berufsrichter weder einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von 30 Tagen noch ein vom Arbeitsverhältnis abhängiges Sozial- und Altersversorgungssystem vorsieht, wenn der Friedensrichter unter den Begriff „Teilzeitbeschäftigter“ im Sinne der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit und/oder „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ im Sinne der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge fällt und sich in einer dem Berufsrichter vergleichbaren Lage befindet.

 Zur dritten Frage

55      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein befristetes Arbeitsverhältnis höchstens drei Mal nacheinander um jeweils vier Jahre für eine Dauer von nicht mehr als 16 Jahren verlängert werden darf und die keine Möglichkeit für eine wirksame und abschreckende Ahndung missbräuchlicher Verlängerungen von Arbeitsverhältnissen vorsieht.

56      Erstens ist daran zu erinnern, dass nach Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge die Mitgliedstaaten Maßnahmen betreffend die Zahl der Verlängerungen von befristeten Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen oder die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse ergreifen.

57      Die auf das Ausgangsverfahren anzuwendende italienische Regelung sah tatsächlich eine Beschränkung der Zahl der aufeinanderfolgenden Verlängerungen sowie der maximalen Dauer dieser befristeten Verträge vor.

58      Insoweit verfügen die Mitgliedstaaten zwar nach ständiger Rechtsprechung über ein Ermessen in Bezug auf die Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch, doch dürfen sie das Ziel und die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge nicht in Frage stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Februar 2021, M.V. u. a. [Aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge im öffentlichen Sektor], C‑760/18, EU:C:2021:113, Rn. 56).

59      Zweitens ist zu prüfen, ob die Ahndung eines etwaigen Missbrauchs den Anforderungen von Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge genügt, falls die italienische Regelung die Umwandlung des Arbeitsverhältnisses in einen unbefristeten Vertrag nicht erlauben sollte.

60      Nach ständiger Rechtsprechung enthält Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge weder eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Umwandlung befristeter Arbeitsverträge in unbefristete Verträge vorzusehen (Beschluss vom 12. Dezember 2013, Papalia, C‑50/13, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:873, Rn. 16), noch nennt er spezifische Sanktionen für den Fall, dass Missbräuche festgestellt worden sind (Urteil vom 11. Februar 2021, M.V. u. a. [Aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge im öffentlichen Sektor], C‑760/18, EU:C:2021:113, Rn. 57).

61      Somit ist es Sache der nationalen Stellen, angemessene, wirksame und abschreckende Maßnahmen zu ergreifen, um die volle Wirksamkeit der zur Durchführung der Rahmenvereinbarung erlassenen Normen sicherzustellen, die insoweit die Umwandlung befristeter Verträge in unbefristete Verträge vorsehen können. Wenn es jedoch zu einem missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverhältnisse gekommen ist, muss die Möglichkeit bestehen, eine Maßnahme anzuwenden, um diesen Missbrauch angemessen zu ahnden und die Folgen des Verstoßes zu beseitigen (Urteil vom 11. Februar 2021, M.V. u. a. [Aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge im öffentlichen Sektor], C‑760/18, EU:C:2021:113, Rn. 57 bis 59).

62      Eine nationale Regelung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art, die nur im öffentlichen Sektor die Umwandlung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge in einen unbefristeten Vertrag untersagt, kann nur dann als mit der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vereinbar angesehen werden, wenn das innerstaatliche Recht des betreffenden Mitgliedstaats in diesem Sektor eine andere wirksame Maßnahme enthält, um den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden (Urteil vom 7. März 2018, Santoro, C‑494/16, EU:C:2018:166, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Da es nicht Sache des Gerichtshofs ist, sich zur Auslegung der Bestimmungen des nationalen Rechts zu äußern, obliegt es dem vorlegenden Gericht, zu beurteilen, inwieweit die Anwendungsvoraussetzungen und die tatsächliche Anwendung der einschlägigen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts angemessen sind, um den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden (Urteil vom 11. Februar 2021, M.V. u. a. [Aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge im öffentlichen Sektor], C‑760/18, EU:C:2021:113, Rn. 61).

64      Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts geht hervor, dass keine Vorschrift der italienischen Rechtsordnung es ermöglicht, die missbräuchliche Verlängerung befristeter Arbeitsverträge im Sinne von Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge wirksam und abschreckend zu ahnden.

65      Das vollständige Fehlen von Sanktionen erscheint nicht geeignet, den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden.

66      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein befristetes Arbeitsverhältnis höchstens drei Mal hintereinander um jeweils vier Jahre für eine Dauer von nicht mehr als 16 Jahren verlängert werden darf und die keine Möglichkeit für eine wirksame und abschreckende Ahndung missbräuchlicher Verlängerungen von Arbeitsverhältnissen vorsieht.

 Kosten

67      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, Paragraf 4 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, die im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung enthalten ist, sowie Paragraf 4 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICECEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der Friedensrichter anders als Berufsrichter weder Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von 30 Tagen noch auf ein vom Arbeitsverhältnis abhängiges Sozial- und Altersversorgungssystem haben, wenn der Friedensrichter unter den Begriff „Teilzeitbeschäftigter“ im Sinne der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit und/oder „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ im Sinne der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge fällt und sich in einer dem Berufsrichter vergleichbaren Lage befindet.

2.      Paragraf 5 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein befristetes Arbeitsverhältnis höchstens drei Mal nacheinander um jeweils vier Jahre für eine Dauer von nicht mehr als 16 Jahren verlängert werden darf und die keine Möglichkeit für eine wirksame und abschreckende Ahndung missbräuchlicher Verlängerungen von Arbeitsverhältnissen vorsieht.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.