Language of document : ECLI:EU:C:2018:465

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

19. Juni 2018(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger – Richtlinie 2008/115/EG – Art. 3 Nr. 2 – Begriff ‚illegaler Aufenthalt‘ – Art. 6 – Erlass einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 – Grundsatz der Nichtzurückweisung – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Gestattung des Verbleibs in einem Mitgliedstaat“

In der Rechtssache C‑181/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 8. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 31. März 2016, in dem Verfahren

Sadikou Gnandi

gegen

État belge

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter), J. L. da Cruz Vilaça, C. G. Fernlund und C. Vajda, des Richters E. Juhász, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan und D. Šváby, der Richterin M. Berger, des Richters E. Jarašiūnas, der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters C. Lycourgos,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Gnandi, vertreten durch D. Andrien, avocat,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von C. Piront, S. Matray und D. Matray, avocats,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und M. Heller als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juni 2017,

aufgrund des Beschlusses vom 25. Oktober 2017, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Gnandi, vertreten durch D. Andrien, avocat,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, M. Jacobs und C. Van Lul als Bevollmächtigte im Beistand von C. Piront, S. Matray und D. Matray, avocats,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch R. Kanitz als Bevollmächtigten,

–        der französischen Regierung, vertreten durch E. de Moustier, E. Armoët und D. Colas als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, P. Huurnink und J. Langer als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga, M. Heller und M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der ergänzenden Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Februar 2018

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98), der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13) sowie des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, die in Art. 18, in Art. 19 Abs. 2 und in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankert sind.

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Sadikou Gnandi und dem belgischen Staat über die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses, mit dem Herr Gnandi angewiesen wurde, das belgische Staatsgebiet zu verlassen.

 Rechtlicher Rahmen

 Genfer Konvention

3        Art. 33 („Verbot der Ausweisung und Zurückweisung“) des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]) in der durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene und am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzten Fassung (im Folgenden: Genfer Konvention) sieht in Abs. 1 vor:

„Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“

 Unionsrecht

 Richtlinien 2003/9/EG und 2013/33/EU

4        Nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. 2003, L 31, S. 18) bezeichnet der Ausdruck „Asylbewerber“ im Sinne dieser Richtlinie „einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde“.

5        Art. 3 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2003/9 bestimmt in Abs. 1:

„Diese Richtlinie gilt für alle Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats Asyl beantragen, solange sie als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen …“

6        Art. 2 Buchst. c und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2003/9 wurden durch die im Wesentlichen gleichlautenden Art. 2 Buchst. b und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013, L 180, S. 96), ersetzt.

 Richtlinien 2005/85 und 2013/32/EU

7        Die Erwägungsgründe 2 und 8 der Richtlinie 2005/85 lauten:

„(2)      Der Europäische Rat ist … übereingekommen, auf ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem hinzuwirken, das sich auf die uneingeschränkte und allumfassende Anwendung [der Genfer Konvention] stützt, wodurch der Grundsatz der Nichtzurückweisung gewahrt bleibt und sichergestellt wird, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er der Verfolgung ausgesetzt ist.

(8)      Diese Richtlinie steht in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta … anerkannt wurden.“

8        Art. 7 („Berechtigung zum Verbleib im Mitgliedstaat während der Prüfung des Antrags“) der Richtlinie 2005/85 bestimmt:

„(1)      Antragsteller dürfen ausschließlich zum Zwecke des Verfahrens so lange im Mitgliedstaat verbleiben, bis die Asylbehörde nach den in Kapitel III genannten erstinstanzlichen Verfahren über den Asylantrag entschieden hat. Aus dieser Bleibeberechtigung ergibt sich kein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel.

(2)      Die Mitgliedstaaten können nur eine Ausnahme machen, wenn gemäß den Artikeln 32 und 34 ein Folgeantrag nicht weiter geprüft wird oder wenn sie eine Person aufgrund von Verpflichtungen aus einem europäischen Haftbefehl … oder aus anderen Gründen entweder an einen anderen Mitgliedstaat oder aber an einen Drittstaat oder an internationale Strafgerichte oder Tribunale überstellen bzw. ausliefern.“

9        Art. 39 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“) der Richtlinie 2005/85 verpflichtet die Mitgliedstaaten in Abs. 1, sicherzustellen, dass Asylbewerber das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf haben. In Art. 39 Abs. 3 der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten legen im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen gegebenenfalls Vorschriften fest im Zusammenhang mit

a)      der Frage, ob der Rechtsbehelf nach Absatz 1 zur Folge hat, dass Antragsteller sich bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen,

b)      der Möglichkeit eines Rechtsmittels oder von Sicherungsmaßnahmen, wenn der Rechtsbehelf nach Absatz 1 nicht zur Folge hat, dass sich Antragsteller bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen. …

…“

10      Die Art. 7 und 39 der Richtlinie 2005/85 wurden durch die Art. 9 und 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60) ersetzt.

11      In Art. 9 („Berechtigung zum Verbleib im Mitgliedstaat während der Prüfung des Antrags“) der Richtlinie 2013/32 heißt es:

„(1)      Antragsteller dürfen ausschließlich zum Zwecke des Verfahrens so lange im Mitgliedstaat verbleiben, bis die Asylbehörde auf der Grundlage der in Kapitel III genannten erstinstanzlichen Verfahren über den Antrag entschieden hat. Aus dieser Berechtigung zum Verbleib ergibt sich kein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel.

(2)      Die Mitgliedstaaten dürfen nur eine Ausnahme machen, wenn eine Person einen Folgeantrag im Sinne von Artikel 41 stellt oder wenn sie eine Person aufgrund von Verpflichtungen aus einem Europäischen Haftbefehl … oder aus anderen Gründen entweder an einen anderen Mitgliedstaat oder aber an einen Drittstaat oder an internationale Strafgerichte überstellen beziehungsweise ausliefern.

…“

12      Art. 46 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt in Abs. 5:

„Unbeschadet des Absatzes 6 gestatten die Mitgliedstaaten den Antragstellern den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zum Ablauf der Frist für die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf und, wenn ein solches Recht fristgemäß ausgeübt wurde, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf.“

 Richtlinie 2008/115

13      In den Erwägungsgründen 2, 4, 6, 8, 9, 12 und 24 der Richtlinie 2008/115 heißt es:

„(2)      [Der] Europäische Rat [forderte] zur Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik auf, die auf gemeinsamen Normen beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden.

(4)      Eine wirksame Rückkehrpolitik als notwendiger Bestandteil einer gut geregelten Migrationspolitik muss mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften unterlegt werden.

(6)      Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Wege eines fairen und transparenten Verfahrens beendet wird. …

(8)      Anerkanntermaßen haben die Mitgliedstaaten das Recht, die Rückkehr illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger sicherzustellen, unter der Voraussetzung, dass faire und effiziente Asylsysteme vorhanden sind, die den Grundsatz der Nichtzurückweisung in vollem Umfang achten.

(9)      Gemäß der Richtlinie [2005/85] sollten Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat Asyl beantragt haben, so lange nicht als illegal im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhältige Personen gelten, bis eine abschlägige Entscheidung über den Antrag oder eine Entscheidung, mit der [ihr] Aufenthaltsrecht als Asylbewerber beendet wird, bestandskräftig geworden ist.

(12)      Die Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich unrechtmäßig im Land aufhalten, aber noch nicht abgeschoben werden können, sollte geregelt werden. …

(24)      Die Richtlinie wahrt die Grundrechte und Grundsätze, die vor allem in der Charta … verankert sind.“

14      Gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 findet die Richtlinie 2008/115 Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

15      In Art. 3 der Richtlinie 2008/115 heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

2.      ‚illegaler Aufenthalt‘: die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 [der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2006, L 105, S. 1)] oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats;

4.      ‚Rückkehrentscheidung‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird;

5.      ‚Abschiebung‘: die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, d. h. die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedstaat;

…“

16      Art. 5 („Grundsatz der Nichtzurückweisung, Wohl des Kindes, familiäre Bindungen und Gesundheitszustand“) der Richtlinie 2008/115 lautet:

„Bei der Umsetzung dieser Richtlinie berücksichtigen die Mitgliedstaaten in gebührender Weise:

a)      das Wohl des Kindes,

b)      die familiären Bindungen,

c)      den Gesundheitszustand der betreffenden Drittstaatsangehörigen,

und halten den Grundsatz der Nichtzurückweisung ein.“

17      Art. 6 („Rückkehrentscheidung“) der Richtlinie 2008/115 bestimmt:

„(1)      Unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung.

(4)      Die Mitgliedstaaten können jederzeit beschließen, illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen Vorliegen eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen einen eigenen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. In diesem Fall wird keine Rückkehrentscheidung erlassen. Ist bereits eine Rückkehrentscheidung ergangen, so ist diese zurückzunehmen oder für die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels oder der sonstigen Aufenthaltsberechtigung auszusetzen.

(6)      Durch diese Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden, entsprechend ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unbeschadet der nach Kapitel III und nach anderen einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und des einzelstaatlichen Rechts verfügbaren Verfahrensgarantien mit einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts sowie eine Rückkehrentscheidung und/oder eine Entscheidung über eine Abschiebung und/oder ein Einreiseverbot zu erlassen.“

18      In Art. 7 („Freiwillige Ausreise“) der Richtlinie 2008/115 heißt es:

„(1)      Eine Rückkehrentscheidung sieht unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 und 4 eine angemessene Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise vor. Die Mitgliedstaaten können in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorsehen, dass diese Frist nur auf Antrag der betreffenden Drittstaatsangehörigen eingeräumt wird. In einem solchen Fall unterrichtet der Mitgliedstaat die betreffenden Drittstaatsangehörigen davon, dass die Möglichkeit besteht, einen solchen Antrag zu stellen.

(2)      Die Mitgliedstaaten verlängern – soweit erforderlich – die Frist für die freiwillige Ausreise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls – wie etwa Aufenthaltsdauer, Vorhandensein schulpflichtiger Kinder und das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen – um einen angemessenen Zeitraum.

…“

19      Art. 8 („Abschiebung“) der Richtlinie 2008/115 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung, wenn nach Artikel 7 Absatz 4 keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder wenn die betreffende Person ihrer Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der nach Artikel 7 eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen ist.

(3)      Die Mitgliedstaaten können eine getrennte behördliche oder gerichtliche Entscheidung oder Maßnahme erlassen, mit der die Abschiebung angeordnet wird.

…“

20      Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 lautet:

„Die Mitgliedstaaten schieben die Abschiebung auf,

a)      wenn diese gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen würde oder

b)      solange nach Artikel 13 Absatz 2 aufschiebende Wirkung besteht.“

21      Art. 13 („Rechtsbehelfe“) der Richtlinie 2008/115, der zu deren Kapitel III („Verfahrensgarantien“) gehört, bestimmt in Abs. 1:

„Die betreffenden Drittstaatsangehörigen haben das Recht, bei einer zuständigen Justiz- oder Verwaltungsbehörde oder einem zuständigen Gremium, dessen Mitglieder unparteiisch sind und deren Unabhängigkeit garantiert wird, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr nach Artikel 12 Absatz 1 einzulegen oder die Überprüfung solcher Entscheidungen zu beantragen.“

22      Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 lautet:

„Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, und zwar insbesondere dann, wenn

a)      Fluchtgefahr besteht oder

b)      die betreffenden Drittstaatsangehörigen die Vorbereitung der Rückkehr oder das Abschiebungsverfahren umgehen oder behindern.

Die Haftdauer hat so kurz wie möglich zu sein und sich nur auf die Dauer der laufenden Abschiebungsvorkehrungen [zu] erstrecken, solange diese mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden.“

 Belgisches Recht

23      Art. 39/70 Abs. 1 der Loi du 15 décembre 1980 sur l’accès au territoire, l’établissement, le séjour et l’éloignement des étrangers (Gesetz vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern, Moniteur belge vom 31. Dezember 1980, S. 14584) in ihrer im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz vom 15. Dezember 1980) sieht vor:

„Vorbehaltlich der Zustimmung des Betreffenden kann während der Frist für die Einreichung einer Beschwerde und während der Prüfung dieser Beschwerde gegenüber dem Ausländer keine Maßnahme zur Entfernung oder Abweisung aus dem Staatsgebiet unter Zwang ausgeführt werden.“

24      Art. 52/3 § 1 Abs. 1 und 2 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 lautet:

„Wenn der Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose den Asylantrag nicht berücksichtigt oder es ablehnt, dem Ausländer die Rechtsstellung als Flüchtling oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, und der Ausländer sich unrechtmäßig im Königreich aufhält, muss der Minister oder sein Beauftragter unverzüglich eine Anweisung, das Staatsgebiet zu verlassen, ausstellen, die mit einem der in Artikel 7 Absatz 1 Nr. 1 bis 12 vorgesehenen Gründe versehen wird. Dieser Beschluss wird dem Betreffenden gemäß Artikel 51/2 notifiziert.

Wenn der Rat für Ausländerstreitsachen die Beschwerde des Ausländers gegen einen vom Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose gefassten Beschluss in Anwendung von Artikel 39/2 § 1 Nr. 1 abweist und der Ausländer sich unrechtmäßig im Königreich aufhält, beschließt der Minister oder sein Beauftragter unverzüglich, die in Absatz 1 vorgesehene Anweisung, das Staatsgebiet zu verlassen, zu verlängern. Dieser Beschluss wird dem Betreffenden unverzüglich gemäß Artikel 51/2 notifiziert.“

25      Art. 75 § 2 des Arrêté royal du 8 octobre 1981 sur l’accès au territoire, le séjour, l’établissement et l’éloignement des étrangers (Königlicher Erlass vom 8. Oktober 1981 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern, Moniteur belge vom 27. Oktober 1981, S. 13740) in der im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt:

„Wenn der Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose es ablehnt, Ausländern die Rechtsstellung als Flüchtling anzuerkennen oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder wenn er den Asylantrag nicht berücksichtigt, weist der Minister oder sein Beauftragter die Betreffenden gemäß Artikel 52/3 § 1 des Gesetzes [vom 15. Dezember 1980] an, das Staatsgebiet zu verlassen.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

26      Am 14. April 2011 stellte Herr Gnandi, ein togolesischer Staatsangehöriger, bei den belgischen Behörden einen Antrag auf internationalen Schutz. Sein Antrag wurde am 23. Mai 2014 vom Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides (Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose, im Folgenden: CGRA) abgelehnt. Am 3. Juni 2014 wies der belgische Staat Herrn Gnandi über das Office des étrangers (Ausländeramt, Belgien) an, das Staatsgebiet zu verlassen.

27      Am 23. Juni 2014 legte Herr Gnandi beim Conseil du contentieux des étrangers (Rat für Ausländerstreitsachen, Belgien) Beschwerde gegen den Beschluss des CGRA vom 23. Mai 2014 ein. Am gleichen Tag beantragte er bei diesem Gericht die Aufhebung und die Aussetzung des Vollzugs der Anweisung vom 3. Juni 2014, das Staatsgebiet zu verlassen.

28      Der Rat für Ausländerstreitsachen wies mit Urteil vom 31. Oktober 2014 die Beschwerde gegen den Beschluss des CGRA vom 23. Mai 2014 und mit Urteil vom 19. Mai 2015 die Beschwerde gegen die Anweisung vom 3. Juni 2014, das Staatsgebiet zu verlassen, zurück. Der mit einem Rechtsmittel von Herrn Gnandi gegen beide Urteile befasste Staatsrat (Belgien) hob am 10. November 2015 das Urteil des Rates für Ausländerstreitsachen vom 31. Oktober 2014 auf und verwies die Rechtssache an ihn zurück. Das Ausgangsverfahren betrifft ausschließlich die Kassationsbeschwerde von Herrn Gnandi gegen das Urteil des Rates für Ausländerstreitsachen vom 19. Mai 2015.

29      Im Rahmen dieses Verfahrens hat der Staatsrat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind Art. 5 der Richtlinie 2008/115, der die Mitgliedstaaten bei der Durchführung dieser Richtlinie zur Wahrung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung verpflichtet, sowie das in Art. 13 Abs. 1 dieser Richtlinie und in Art. 47 der Charta vorgesehene Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf in dem Sinne auszulegen, dass sie dem Erlass einer Rückkehrentscheidung nach Art. 6 der Richtlinie 2008/115 sowie Art. 52/3 § 1 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 und Art. 75 § 2 des Königlichen Erlasses vom 8. Oktober 1981 entgegenstehen, der gleich nach der Ablehnung des Asylantrags durch den CGRA erfolgt und somit bevor die Rechtsbehelfe gegen diese ablehnende Entscheidung ausgeschöpft worden sein können und bevor das Asylverfahren endgültig abgeschlossen worden sein kann?

 Zum Fortbestand des Ausgangsrechtsstreits

30      Die belgische Regierung hat vor dem Gerichtshof geltend gemacht, über die Vorlagefrage brauche nicht mehr entschieden zu werden, weil die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Anweisung, das Staatsgebiet zu verlassen, hinfällig geworden sei, nachdem Herrn Gnandi eine zeitweilige Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei und der Rat für Ausländerstreitsachen mit Urteil vom 11. März 2016 den Beschluss des CGRA vom 23. Mai 2014 für nichtig erklärt habe.

31      Insoweit ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Aufbau von Art. 267 AEUV, dass das Vorabentscheidungsverfahren voraussetzt, dass bei den nationalen Gerichten tatsächlich ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sie eine Entscheidung erlassen müssen, bei der das im Vorabentscheidungsverfahren ergangene Urteil des Gerichtshofs berücksichtigt werden kann. Folglich hat der Gerichtshof – auch von Amts wegen – zu prüfen, ob der Ausgangsrechtsstreit fortbesteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín, C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass Herrn Gnandi nach der Stellung des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens mit Beschluss des Ausländeramts vom 8. Februar 2016 gestattet worden ist, sich bis zum 1. März 2017 im belgischen Staatsgebiet aufzuhalten, und dass im Anschluss an das Urteil des Rates für Ausländerstreitsachen vom 11. März 2016 sein Antrag auf internationalen Schutz vom CGRA am 30. Juni 2016 erneut abgelehnt worden ist.

33      Das vorlegende Gericht ist vom Gerichtshof ersucht worden, ihm mitzuteilen, ob es für seine Entscheidung eine Antwort des Gerichtshofs noch für notwendig erachtet, und hat darauf geantwortet, dass es sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten wolle. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, die Nichtigerklärung des Beschlusses des CGRA vom 23. Mai 2014 durch das Urteil des Rates für Ausländerstreitsachen vom 11. März 2016 habe als solche keine rechtlichen Auswirkungen auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Anweisung, das Staatsgebiet zu verlassen, und die Erteilung einer zeitweiligen Aufenthaltserlaubnis für Herrn Gnandi habe nicht zur stillschweigenden Rücknahme der Anweisung geführt. Überdies entfalte diese Anweisung seit dem 30. Juni 2016, an dem der CGRA den Antrag von Herrn Gnandi auf internationalen Schutz erneut abgelehnt habe, wieder Wirkungen.

34      Es ist nicht Sache des Gerichtshofs, sich im Rahmen eines Ersuchens um Vorabentscheidung zur Auslegung nationaler Vorschriften zu äußern (Urteil vom 17. Dezember 2015, Tall, C‑239/14, EU:C:2015:824, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher ist in Anbetracht der Angaben des vorlegenden Gerichts davon auszugehen, dass der Ausgangsrechtsstreit bei ihm nach wie vor anhängig ist und dass für die Entscheidung dieses Rechtsstreits eine Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefrage nach wie vor von Nutzen ist. Folglich ist über das Vorabentscheidungsersuchen zu entscheiden.

 Zur Vorlagefrage

35      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit der Richtlinie 2005/85 und im Licht des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, die in Art. 18, in Art. 19 Abs. 2 und in Art. 47 der Charta verankert sind, dahin auszulegen ist, dass sie dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 entgegensteht, die sich gegen einen Drittstaatsangehörigen richtet, der internationalen Schutz beantragt hat, und die ergeht, nachdem dieser Antrag von der zuständigen Behörde abgelehnt wurde und somit vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen seine Ablehnung.

36      Zunächst ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Anweisung, das Staatsgebiet zu verlassen, zutreffend als Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115 eingestuft hat. In dieser Bestimmung wird der Begriff „Rückkehrentscheidung“ nämlich als behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme definiert, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.

37      Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 findet die Richtlinie 2008/115 Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Speziell in Bezug auf Rückkehrentscheidungen sieht Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten eine solche Entscheidung grundsätzlich gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen erlassen.

38      Um zu klären, ob gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen werden kann, sobald die zuständige Behörde seinen Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt hat, ist daher als Erstes zu prüfen, ob ein solcher Drittstaatsangehöriger ab dieser Ablehnung illegal aufhältig im Sinne der Richtlinie 2008/115 ist.

39      Insoweit geht aus der Definition des Begriffs „illegaler Aufenthalt“ in Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2008/115 hervor, dass jeder Drittstaatsangehörige, der sich, ohne die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt zu erfüllen, in dessen Hoheitsgebiet befindet, schon allein deswegen dort illegal aufhältig ist (Urteil vom 7. Juni 2016, Affum, C‑47/15, EU:C:2016:408, Rn. 48).

40      Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 darf eine Person, die internationalen Schutz beantragt, ausschließlich zum Zwecke des Verfahrens bis zum Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung, mit der der Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wird, im Mitgliedstaat verbleiben. Zwar ergibt sich, wie es in dieser Bestimmung ausdrücklich heißt, aus der Bleibeberechtigung kein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel, doch geht u. a. aus dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 hervor, dass die Bleibeberechtigung verhindert, dass der Aufenthalt einer Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in der Zeit zwischen der Stellung ihres Antrags auf internationalen Schutz und dem Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung über ihn als „illegal“ im Sinne der Richtlinie 2008/115 eingestuft wird.

41      Wie aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 klar hervorgeht, endet die darin vorgesehene Bleibeberechtigung, wenn die zuständige Behörde die erstinstanzliche Entscheidung erlässt, mit der sie den Antrag auf internationalen Schutz ablehnt. Mangels einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Aufenthaltstitels auf einer anderen Rechtsgrundlage – insbesondere nach Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 –, die es dem erfolglosen Antragsteller ermöglicht, die Voraussetzungen für die Einreise in den betreffenden Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt zu erfüllen, hat die Ablehnung des Antrags zur Folge, dass der Antragsteller danach diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, so dass sein Aufenthalt illegal wird.

42      Nach Art. 39 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2005/85 können die Mitgliedstaaten zwar Vorschriften festlegen, wonach sich Personen, die internationalen Schutz beantragen, bis zur Entscheidung über ihren Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten dürfen. Im vorliegenden Fall scheint Art. 39/70 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 eine derartige Vorschrift zu enthalten, da er Personen, die internationalen Schutz beantragen, das Recht gibt, während der Frist für die Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs und während dessen Prüfung im belgischen Hoheitsgebiet zu bleiben; dies hat das vorlegende Gericht zu prüfen.

43      Ferner trifft es zu, dass der Gerichtshof in den Rn. 47 und 49 des Urteils vom 30. Mai 2013, Arslan (C‑534/11, EU:C:2013:343), entschieden hat, dass eine zur wirksamen Ausübung eines Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz erteilte Bleibeberechtigung verhindert, dass auf den Drittstaatsangehörigen, der den Antrag gestellt hat, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen seine Ablehnung die Richtlinie 2008/115 Anwendung findet.

44      Aus diesem Urteil lässt sich jedoch nicht ableiten, dass eine solche Bleibeberechtigung die Annahme ausschlösse, dass ab der Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz und vorbehaltlich des Vorliegens einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Aufenthaltstitels der in Rn. 41 des vorliegenden Urteils genannten Art der Aufenthalt des Betroffenen illegal im Sinne der Richtlinie 2008/115 wird.

45      Erstens sollte nämlich angesichts der Tragweite der Vorlagefragen in der Rechtssache, in der das genannte Urteil ergangen ist, und des Kontexts dieser Rechtssache die dort vorgenommene Auslegung nur sicherstellen, dass das Rückführungsverfahren nicht fortgesetzt wird, solange der erfolglose Antragsteller bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf im Land bleiben darf, und dass er insbesondere in diesem Zeitraum nicht nach Art. 15 der Richtlinie 2008/115 für die Zwecke der Abschiebung inhaftiert werden kann.

46      Zweitens macht weder Art. 3 Nr. 2 noch eine andere Bestimmung der Richtlinie 2008/115 die Illegalität des Aufenthalts davon abhängig, wie über einen Rechtsbehelf gegen eine den legalen Aufenthalt beendende behördliche Entscheidung entschieden wird, oder davon, dass eine Bleibeberechtigung bis zur Entscheidung über einen solchen Rechtsbehelf fehlt. Vielmehr geht zwar – wie in Rn. 40 des vorliegenden Urteils hervorgehoben worden ist – aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 in Verbindung mit dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 hervor, dass die Bleibeberechtigung der Person, die internationalen Schutz beantragt, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats für die Zeit von der Stellung des Antrags bis zum Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung über ihn verhindert, dass der Aufenthalt des Antragstellers während dieser Zeit als „illegal“ im Sinne der Richtlinie 2008/115 eingestuft wird, doch lässt sich keiner Bestimmung und keinem Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/85 oder der Richtlinie 2008/115 entnehmen, dass die Bleibeberechtigung in diesem Hoheitsgebiet bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags einer solchen Einstufung entgegenstünde.

47      Drittens beruht die Richtlinie 2008/115 nicht auf dem Gedanken, dass die Illegalität des Aufenthalts und damit die Anwendbarkeit der Richtlinie voraussetzen, dass ein Drittstaatsangehöriger keine rechtliche Möglichkeit hat, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats zu bleiben, insbesondere bis zur Entscheidung über den gerichtlichen Rechtsbehelf gegen die den legalen Aufenthalt beendende Entscheidung. Vielmehr findet die Richtlinie – wie aus ihrem zwölften Erwägungsgrund hervorgeht – auf Drittstaatsangehörige Anwendung, die, obwohl sie sich unrechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, dort bleiben dürfen, da sie noch nicht abgeschoben werden können. Insbesondere sieht Art. 7 der Richtlinie vor, dass den Betreffenden eine angemessene Frist für die freiwillige Ausreise zu setzen ist und dass sie während dieser Frist, obwohl sie illegal aufhältig sind, noch bleiben dürfen. Ferner sind die Mitgliedstaaten nach den Art. 5 und 9 Abs. 1 der Richtlinie verpflichtet, in Bezug auf illegal aufhältige Drittstaatsangehörige den Grundsatz der Nichtzurückweisung einzuhalten und ihre Abschiebung aufzuschieben, wenn sie gegen diesen Grundsatz verstoßen würde.

48      Viertens besteht das Hauptziel der Richtlinie 2008/115 – wie aus ihren Erwägungsgründen 2 und 4 hervorgeht – in der Einführung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik unter vollständiger Achtung der Grundrechte und der Würde der Betroffenen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Juli 2014, Pham, C‑474/13, EU:C:2014:2096, Rn. 20, und vom 15. Februar 2016, N., C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Dieses Ziel findet besonderen Ausdruck in Art. 6 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115, der es den Mitgliedstaaten ausdrücklich gestattet, mit einer einzigen behördlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung des legalen Aufenthalts sowie eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Denn diese Möglichkeit, beide Entscheidungen in einer einzigen behördlichen Entscheidung zusammenzufassen, erlaubt es den Mitgliedstaaten, den Gleichlauf oder die Verbindung der zu den genannten Entscheidungen führenden Verwaltungsverfahren sowie der gegen sie eingelegten Rechtsbehelfe sicherzustellen. Wie insbesondere die tschechische, die deutsche und die niederländische Regierung vorgetragen haben, lassen sich durch eine solche Möglichkeit zur Zusammenfassung auch praktische Schwierigkeiten bei der Zustellung der Rückkehrentscheidungen überwinden.

50      Eine Auslegung der Richtlinie 2008/115, wonach die Illegalität des Aufenthalts allein wegen des Vorliegens einer Erlaubnis, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz zu bleiben, ausgeschlossen wäre, würde der Möglichkeit einer solchen Zusammenfassung ihre praktische Wirksamkeit nehmen und liefe damit dem Ziel der Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik zuwider. Bei einer solchen Auslegung könnte eine Rückkehrentscheidung nämlich erst nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf ergehen, was zu erheblichen Verzögerungen bei der Einleitung des Rückkehrverfahrens führen und dieses Verfahren komplexer machen könnte.

51      Fünftens ist hinsichtlich des vom vorlegenden Gericht in seiner Frage angeführten Erfordernisses der Beachtung der Anforderungen, die sich aus dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung ergeben, hervorzuheben, dass die Richtlinie 2008/115 ebenso wie die Richtlinie 2005/85 unter Beachtung der insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte und Grundsätze ausgelegt werden muss, wie sich aus dem 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 und dem achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/85 ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2015, Tall, C‑239/14, EU:C:2015:824, Rn. 50).

52      Was speziell die in Art. 13 der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Rückkehr und die in Art. 39 der Richtlinie 2005/85 vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen abschlägige Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz anbelangt, sind ihre Merkmale im Einklang mit Art. 47 der Charta zu bestimmen, wonach jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Dezember 2014, Abdida, C‑562/13, EU:C:2014:2453, Rn. 45, und vom 17. Dezember 2015, Tall, C‑239/14, EU:C:2015:824, Rn. 51).

53      Ferner ist festzustellen, dass der Grundsatz der Nichtzurückweisung in Art. 18 und in Art. 19 Abs. 2 der Charta als Grundrecht gewährleistet ist (Urteil vom 24. Juni 2015, H. T., C‑373/13, EU:C:2015:413, Rn. 65) und u. a. im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/85 sowie im achten Erwägungsgrund und in Art. 5 der Richtlinie 2008/115 bekräftigt wird. Im Übrigen sind nach Art. 18 der Charta sowie nach Art. 78 Abs. 1 AEUV die Vorschriften der Genfer Konvention zu beachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a., C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 75).

54      Wenn ein Staat entscheidet, eine Person, die internationalen Schutz beantragt, in ein Land abzuschieben, bei dem ernsthafte Gründe befürchten lassen, dass tatsächlich die Gefahr einer Art. 18 der Charta in Verbindung mit Art. 33 der Genfer Konvention oder Art. 19 Abs. 2 der Charta widersprechenden Behandlung dieser Person besteht, erfordert nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das in Art. 47 der Charta vorgesehene Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, dass der Antragsteller über einen Rechtsbehelf mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung gegen den Vollzug der Maßnahme verfügt, die seine Abschiebung ermöglicht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Dezember 2014, Abdida, C‑562/13, EU:C:2014:2453, Rn. 52, und vom 17. Dezember 2015, Tall, C‑239/14, EU:C:2015:824, Rn. 54).

55      Der Gerichtshof hat zwar bereits entschieden, dass es mit dem Grundsatz der Nichtzurückweisung und mit Art. 47 der Charta grundsätzlich zu vereinbaren ist, wenn ein Rechtsbehelf, der nur gegen die abschlägige Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz eingelegt wird, keine aufschiebende Wirkung hat, da der Vollzug einer solchen Entscheidung für sich genommen nicht zur Abschiebung des betreffenden Drittstaatsangehörigen führen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2015, Tall, C‑239/14, EU:C:2015:824, Rn. 56).

56      Dagegen muss der Rechtsbehelf gegen eine Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 6 der Richtlinie 2008/115 kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung haben, damit gegenüber dem betreffenden Drittstaatsangehörigen die Einhaltung der sich aus dem Grundsatz der Nichtzurückweisung und aus Art. 47 der Charta ergebenden Anforderungen gewährleistet ist, da der Drittstaatsangehörige durch diese Entscheidung tatsächlich der Gefahr einer Art. 18 der Charta in Verbindung mit Art. 33 der Genfer Konvention oder Art. 19 Abs. 2 der Charta widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein könnte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Dezember 2014, Abdida, C‑562/13, EU:C:2014:2453, Rn. 52 und 53, sowie vom 17. Dezember 2015, Tall, C‑239/14, EU:C:2015:824, Rn. 57 und 58). Dies gilt erst recht bei einer etwaigen Abschiebungsentscheidung im Sinne von Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie.

57      Allerdings schreiben weder Art. 39 der Richtlinie 2005/85 und Art. 13 der Richtlinie 2008/115 noch Art. 47 der Charta im Licht der in Art. 18 und in Art. 19 Abs. 2 der Charta enthaltenen Garantien vor, dass es zwei Gerichtsinstanzen geben muss. Denn allein entscheidend ist, dass es einen Rechtsbehelf vor einem Gericht gibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2011, Samba Diouf, C‑69/10, EU:C:2011:524, Rn. 69).

58      Folglich ist bei einer Rückkehrentscheidung und einer etwaigen Abschiebungsentscheidung der dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung innewohnende Schutz dadurch zu gewährleisten, dass der Person, die internationalen Schutz beantragt hat, das Recht zuzuerkennen ist, vor mindestens einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Wird dieses Erfordernis strikt eingehalten, verstößt der bloße Umstand, dass der Aufenthalt des Betroffenen als im Sinne der Richtlinie 2008/115 illegal eingestuft wird, sobald sein Antrag auf internationalen Schutz in erster Instanz von der zuständigen Behörde abgelehnt wurde, so dass eine Rückkehrentscheidung gleich nach der Ablehnung des Antrags oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung ergehen kann, weder gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung noch gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf.

59      Aus alledem ist zu schließen, dass ein Drittstaatsangehöriger – es sei denn, ihm wurde eine Aufenthaltsberechtigung oder ein Aufenthaltstitel im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 erteilt – ab der erstinstanzlichen Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde illegal aufhältig im Sinne dieser Richtlinie ist, unabhängig vom Vorliegen einer Bleibeberechtigung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung. Daher kann gegen ihn grundsätzlich ab der Ablehnung seines Antrags oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung eine Rückkehrentscheidung erlassen werden.

60      Gleichwohl ist als Zweites hervorzuheben, dass die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen haben, dass bei jeder Rückkehrentscheidung die in Kapitel III der Richtlinie 2008/115 genannten Verfahrensgarantien und die übrigen einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts und des einzelstaatlichen Rechts beachtet werden. Eine solche Pflicht ist in Art. 6 Abs. 6 der Richtlinie ausdrücklich für den Fall vorgesehen, dass die Rückkehrentscheidung zusammen mit der erstinstanzlichen Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde ergeht. Sie muss auch in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zur Anwendung kommen, in der die Rückkehrentscheidung unmittelbar nach der Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz in einer gesonderten behördlichen Entscheidung von einer anderen Behörde getroffen wurde.

61      In diesem Zusammenhang haben die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet, wobei der Grundsatz der Waffengleichheit zu wahren ist, so dass während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u. a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen sind.

62      Insoweit genügt es nicht, dass der betreffende Mitgliedstaat davon absieht, die Rückkehrentscheidung zwangsweise umzusetzen. Vielmehr müssen alle Rechtswirkungen dieser Entscheidung ausgesetzt werden, und daher darf insbesondere die in Art. 7 der Richtlinie 2008/115 vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat. Zudem kann er während dieses Zeitraums nicht gemäß Art. 15 der Richtlinie für die Zwecke der Abschiebung inhaftiert werden.

63      Im Übrigen muss der Betroffene bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die erstinstanzliche Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde grundsätzlich in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9 kommen können. Ihr Art. 3 Abs. 1 macht ihre Anwendung nämlich nur davon abhängig, dass der Antragsteller im Hoheitsgebiet verbleiben darf, und schließt folglich ihre Anwendung nicht aus, wenn sich der Betroffene, der ein solches Bleiberecht hat, im Sinne der Richtlinie 2008/115 illegal aufhält. Insoweit geht aus Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2003/9 hervor, dass der Betroffene seine Eigenschaft als Person, die internationalen Schutz beantragt hat, im Sinne dieser Richtlinie behält, solange noch nicht endgültig über seinen Antrag entschieden wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 2012, Cimade und GISTI, C‑179/11, EU:C:2012:594, Rn. 53).

64      Überdies müssen die Mitgliedstaaten, da eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat – ungeachtet dessen, ob eine Rückkehrentscheidung gleich nach der erstinstanzlichen Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung ergangen ist –, ein Bleiberecht bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung haben muss, es den Betroffenen ermöglichen, sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretenen Änderung der Umstände zu berufen, die in Anbetracht der Richtlinie 2008/115 und insbesondere ihres Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung ihrer Situation haben kann.

65      Schließlich sollen die Mitgliedstaaten nach dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 ein faires und transparentes Rückkehrverfahren gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juni 2014, Mahdi, C‑146/14 PPU, EU:C:2014:1320, Rn. 40, und vom 5. November 2014, Mukarubega, C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 61). Hierbei haben sie, wenn die Rückkehrentscheidung gleich nach der erstinstanzlichen Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung ergeht, dafür Sorge zu tragen, dass die Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in transparenter Weise über die Einhaltung der in den Rn. 61 bis 64 des vorliegenden Urteils genannten Garantien informiert wird.

66      Im vorliegenden Fall weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Rückkehrentscheidung Herrn Gnandi, auch wenn sie vor der Entscheidung über den von ihm gegen die Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz eingelegten Rechtsbehelf nicht zwangsweise vollstreckt werden kann, gleichwohl belastet, da sie ihn zum Verlassen des belgischen Hoheitsgebiets verpflichtet. Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht scheint daher die in den Rn. 61 und 62 des vorliegenden Urteils genannte Garantie, dass das Rückkehrverfahren bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf auszusetzen ist, nicht gewahrt zu sein.

67      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit der Richtlinie 2005/85 und im Licht des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, die in den Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta verankert sind, dahin auszulegen ist, dass sie dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115, die sich gegen einen Drittstaatsangehörigen richtet, der internationalen Schutz beantragt hat, und die gleich nach der Ablehnung dieses Antrags durch die zuständige Behörde oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung und somit vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ergeht, nicht entgegensteht, sofern der betreffende Mitgliedstaat u. a. gewährleistet, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, dass der Antragsteller während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9 kommen kann und dass er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115 und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.

 Kosten

68      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist in Verbindung mit der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und im Licht des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, die in den Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, dahin auszulegen, dass sie dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115, die sich gegen einen Drittstaatsangehörigen richtet, der internationalen Schutz beantragt hat, und die gleich nach der Ablehnung dieses Antrags durch die zuständige Behörde oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung und somit vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ergeht, nicht entgegensteht, sofern der betreffende Mitgliedstaat u. a. gewährleistet, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, dass der Antragsteller während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten kommen kann und dass er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115 und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Französisch.