URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)
15. September 1998 (1)
„Beamte - Allgemeines Auswahlverfahren - Prüfungsausschuß - Beisitzer -
Korrektur der Prüfungsarbeiten“
In der Rechtssache T-94/96
Martin Hagleitner, wohnhaft in Wien, Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt
Harald Svoboda, Wien, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Alex
Schmitt, 62, avenue Guillaume, Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Julian Currall,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, Beistand: Rechtsanwalt Bertrand
Wägenbaur, Hamburg, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz,
Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Aufhebung der von der Kommission im Rahmen des Auswahlverfahrens
KOM/A/904 getroffenen Maßnahmen oder zumindest der Entscheidung des
Prüfungsausschusses für dieses Auswahlverfahren, den Kläger nicht zu den
mündlichen Prüfungen zuzulassen,
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kalogeropoulos sowie der Richter
C. W. Bellamy und J. Pirrung,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12.
und 19. März 1998,
folgendes
Urteil
Sachverhalt und Verfahren
- 1.
- Am 13. Januar 1995 veröffentlichte die Kommission die Ausschreibung des
allgemeinen Auswahlverfahrens KOM/A/904 zur Einstellung von Verwaltungsräten
österreichischer Staatsangehörigkeit, Besoldungsgruppe A7/A6 (ABl. C 10 A, S. 8).
In dem Auswahlverfahren standen drei Sachgebiete zur Wahl (allgemeine
Verwaltung, Recht, Wirtschaft und Statistik); es waren folgende vier schriftliche
Prüfungsarbeiten vorgesehen: a) ein Multiple-Choice-Fragebogen über die Organe
und die Politik der Europäischen Union, b) ein Multiple-Choice-Fragebogen zur
Beurteilung der Kenntnis einer zweiten Amtssprache, c) ein Aufsatz und d) eine
Fallstudie. Nach Abschnitt V Teil C der Ausschreibung sollten die 150 Bewerber
zu der mündlichen Prüfung zugelassen werden, die bei der schriftlichen Prüfung die
besten Gesamtergebnisse erzielt hatten, sofern sie dabei mindestens die Hälfte der
Punkte erreicht hatten.
- 2.
- Nachdem der Kläger zu diesem Auswahlverfahren zugelassen worden war, legte er
die schriftlich Prüfung im April 1995 ab. Er wählte das Sachgebiet „Recht“.
- 3.
- Mit Schreiben vom 1. Juni 1995 teilten die Dienststellen der Kommission dem
Kläger die Entscheidung des Prüfungsausschusses mit, ihn nicht zur mündlichen
Prüfung zuzulassen. Diesem Schreiben zufolge hatte der Kläger folgende Punkte
erzielt:
- Prüfung a
|
9,00/15
|
- Prüfung b
|
20,56/25
|
- Prüfung c
|
21,25/30
|
- Prüfung d
|
17,25/30
|
Gesamtpunktzahl
|
68,06/100
|
Er gehörte nicht zu den 150 Bewerbern mit den besten Gesamtergebnissen.
- 4.
- Mit Schreiben vom 7. Juni 1995 beantragte der Kläger eine Überprüfung der vom
Prüfungsausschuß vorgenommenen Bewertung der Prüfungsarbeiten c und d. Die
Dienststellen der Kommission teilten ihm durch ein Schreiben des Vorsitzenden des
Prüfungsausschusses vom 21. Juni 1995 mit, daß sich nach einer nochmaligen
Überprüfung das frühere Ergebnis bestätigt habe.
- 5.
- Mit Schreiben vom 7. August 1995 wandte sich der Kläger an das für Personal und
Verwaltung zuständige Mitglied der Kommission, Herrn Liikanen, und gab
insbesondere an, er habe erfahren, daß die Prüfungsarbeiten des
Auswahlverfahrens KOM/A/904 teilweise von Beamten der österreichischen
Regierung korrigiert worden seien. Diese Korrektoren seien unqualifiziert und nicht
objektiv gewesen, und ein erheblicher Teil ihrer Korrekturen sei nicht überprüft
worden. Zur Begründung seiner Vorwürfe legte er einen in der österreichischen
Wochenzeitschrift „News“ (28/95) veröffentlichten Artikel bei, wonach Herr
Rothacher, der damalige Leiter des Informationsbüros der Kommission in Wien,
erklärt habe, die Qualifikation der Korrektoren erscheine ihm zweifelhaft.
- 6.
- Mit demselben Schreiben ersuchte der Kläger um Überprüfung und Untersuchung
des rechtmäßigen Ablaufs des Bewertungsverfahrens und der Ergebnisse der
Prüfungsarbeiten c und d des Auswahlverfahrens KOM/A/904. Er nehme an, daß
es im Interesse der Kommission liege, „auf österreichischer Seite“ aufgetretene
Unregelmäßigkeiten und Unzulänglichkeiten zu klären, die letztlich das betreffende
Prüfungsverfahren verfälschen würden.
- 7.
- Herr Liikanen wies den Kläger in seinem Anwortschreiben vom 18. September
1995 darauf hin, daß seine Prüfungsarbeiten c und d bereits einer erneuten
Durchsicht unterzogen worden seien; ferner erläuterte er die Gründe für seine
Auffassung, daß das Auswahlverfahren ordnungsgemäß abgelaufen sei.
Insbesondere habe die Kommission in parallelen Auswahlverfahren für finnische
und schwedische Staatsangehörige aus linguistischen Gründen nationale
Korrektoren hinzuziehen müssen, und sie habe diesen Grundsatz bei den
Auswahlverfahren für österreichische Staatsangehörige beibehalten wollen. Die
Korrektoren, die im vorliegenden Fall hinzugezogen worden seien, hätten über
ausreichende Kenntnisse verfügt, um die Prüfungsarbeiten der Bewerber zu
bewerten. Die letzte Entscheidung über die Bewertung der Arbeiten habe in jedem
Fall allein im Verantwortungsbereich des Prüfungsausschusses gelegen.
- 8.
- Mit Schreiben vom 2. November 1995, das er als Beschwerde bezeichnete,
beantragte der Kläger u. a., die schriftlichen Arbeiten des Auswahlverfahrens
KOM/A/904 erneut gemäß den einschlägigen Bestimmungen in Brüssel zu
überprüfen und allenfalls das angefochtene Verfahren ganz aufzuheben, die
diesbezüglichen Entscheidungen für nichtig zu erklären sowie das Verfahren neu
durchzuführen.
- 9.
- Mit Entscheidung vom 8. März 1996, dem Kläger zugestellt mit Schreiben vom 11.
März 1996, wies die Kommission seine Beschwerde vom 2. November 1995 zurück.
Sie vertrat die Auffassung, daß der Prüfungsausschuß nationale Beisitzer mit
beratender Funktion hinzuziehen könne. Jede der Prüfungsarbeiten c und d sei von
Korrektoren bewertet worden, deren Bewertungen gleich gewesen seien, so daß
eine Bestätigung durch einen dritten Korrektor nicht notwendig gewesen sei. Im
übrigen seien die Prüfungsarbeiten anonym korrigiert worden.
- 10.
- Mit Klageschrift, die am 17. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen
ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.
Anträge
- 11.
- Der Kläger beantragt,
- die Klage für zulässig und begründet zu erklären sowie Deutsch als
Verfahrenssprache zuzulassen;
- der Kommission aufzutragen, die Qualifikation der Korrektoren, die
Anonymität des Verfahrens und die objektive Bewertung nachzuweisen;
- die Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeiten c und d des Klägers durch
sachkundige Personen (GD IV, Juristischer Dienst, GD I) zu überprüfen;
- die Maßnahmen im Rahmen des Auswahlverfahrens KOM/A/904 oder
zumindest die Entscheidung des Prüfungsausschusses für dieses
Auswahlverfahren, den Kläger nicht zu der mündlichen Prüfung zuzulassen,
aufzuheben;
- der Beklagten sämtliche Kosten aufzuerlegen.
- 12.
- Die Kommission beantragt,
- die Klage als unzulässig, jedenfalls als unbegründet abzuweisen;
- die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen.
- 13.
- Als prozeßleitende Maßnahme hat das Gericht der Kommission mit Schreiben der
Kanzlei vom 22. Januar 1998 verschiedene Fragen gestellt. Die Kommission hatdarauf mit Schreiben vom 19. Februar 1998 geantwortet und dabei insbesondere
die den Korrektoren gegebenen Korrekturkriterien, Musterlösungen für die
Prüfungsarbeiten c und d und ein Muster eines Deckblatts für jede korrigierte
Prüfungsarbeit vorgelegt, auf dem jeder Korrektor seine Bewertungen entsprechend
den obenerwähnten Korrekturkriterien einzutragen hatte. Außerdem hat die
Kommission die Protokolle über die Sitzungen des Prüfungsausschusses vorgelegt.
- 14.
- Die Parteien haben in der Sitzung, die am 12. und 19. März 1998 stattfand,
mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet. Auf Ersuchen des
Gerichts haben Herr Rothacher an der Sitzung vom 12. März 1998 und Herr Klein,
der Vorsitzende des Prüfungsausschusses, an der Sitzung vom 19. März 1998
teilgenommen. Auf Ersuchen des Gerichts in der Sitzung hat die Kommission am
24. März 1998 bei der Kanzlei die Deckblätter für die Prüfungsarbeiten c und d des
Klägers eingereicht.
Zur Zulässigkeit
Vorbringen der Parteien
- 15.
- Die Kommission macht zunächst geltend, der Antrag auf Aufhebung der
Entscheidung des Prüfungsausschusses, „den Kläger nicht zu den mündlichen
Prüfungen zuzulassen“, sei unzulässig. Der Kläger habe diese im Schreiben vom 1.
Juni 1995 enthaltene Entscheidung spätestens am 7. Juni 1995 erhalten; er habe
also seine Beschwerde vom 2. November 1995 nach Ablauf der Dreimonatsfrist des
Artikels 90 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften
(nachstehend: Statut) eingelegt.
- 16.
- Zudem seien die Schreiben des Klägers vom 7. Juni und vom 7. August 1995 keine
Beschwerden im Sinne des Statuts. Sollte es sich bei einem dieser Schreiben
dennoch um eine Beschwerde handeln, so sei die Klage bei dem Gericht erst nach
Ablauf der in Artikel 91 Absatz 3 des Statuts vorgesehenen Dreimonatsfrist ab
Zurückweisung der Beschwerde eingelegt worden.
- 17.
- Der Antrag auf Aufhebung der „Maßnahmen im Rahmen des Auswahlverfahrens
KOM/A/904“ ist nach Ansicht der Kommission nicht hinreichend bestimmt, denn
er lasse nicht erkennen, um welche Maßnahmen es sich im einzelnen handele.
- 18.
- Abgesehen von der Entscheidung vom 1. Juni 1995, zähle zu den im Rahmen des
Auswahlverfahrens ergangenen Maßnahmen streng genommen nur das Schreiben
der Kommission vom 21. Juni 1995. Dieses Schreiben sei aber keine den Kläger
beschwerende Entscheidung, denn es bestätige lediglich die Entscheidung des
Prüfungsausschusses vom 1. Juni 1995, den Kläger nicht zu der mündlichen Prüfung
zuzulassen.
- 19.
- Im übrigen habe der Kläger das Schreiben vom 21. Juni 1995 spätestens etwa am
28. Juni 1995 erhalten. Seine am 7. November 1995 eingegangene Beschwerde sei
daher nicht innerhalb der Dreimonatsfrist des Artikels 90 Absatz 2 des Statuts
eingelegt worden.
- 20.
- Das Schreiben von Kommissionsmitglied Liikanen vom 18. September 1995 sei
ebenfalls keine anfechtbare Entscheidung, da es den Inhalt des Schreibens vom 21.
Juni 1995 lediglich bestätige, das seinerseits nur eine Bestätigung der Entscheidung
vom 1. Juni 1995 darstelle. Im übrigen habe das Schreiben von Herrn Liikanen
keine neue Frist beginnen lassen, weil es keine neuen Tatsachen enthalte, die eine
neue Beschwerdefrist in Gang setzen könnten. Jedenfalls seien die fraglichen
Fristen zwingendes Recht und damit der Verfügung der Parteien entzogen
(Beschluß des Gerichts vom 7. Dezember 1994 in der Rechtssache T-242/94, Del
Plato/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-961, Randnrn. 18 und 20).
- 21.
- Die Anträge, der Kommission aufzutragen, die Qualifikation der Korrektoren, die
Anonymität des Verfahrens und die objektive Bewertung nachzuweisen sowie die
Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeiten c und d des Klägers durch
sachkundige Personen überprüfen zu lassen, seien unzulässig, da mit solchen
Anordnungen in die Befugnisse der Verwaltung eingegriffen würde (vgl. z. B. den
Beschluß des Gerichts vom 20. Mai 1994 in der Rechtssache T-510/93,
Obst/Kommission, Slg. 1994, II-461, Randnr. 27).
- 22.
- Nach Ansicht des Klägers ist die Klage zulässig, da die Frist für die Einlegung einer
Beschwerde nach Artikel 90 Absatz 2 des Statuts im vorliegenden Fall erst mit
Erhalt des Schreibens von Herrn Liikanen vom 18. September 1995 zu laufenbegonnen habe. Dieses Schreiben sei kein bestätigender Akt, aus ihm seien
vielmehr hinsichtlich des Auswahlverfahrens die der Beschwerde zugrunde gelegten
Rechts- und Tatsachenelemente hervorgegangen, die nicht früher hätten angeführt
werden können.
- 23.
- Selbst wenn man davon ausgehen würde, daß vorangegangene Schreiben des
Prüfungsausschusses an ihn bereits die Frist für die Einlegung einer Beschwerde in
Gang gesetzt hätten, habe das Schreiben von Herrn Liikanen vom 18. September
1995 eine neue rechtliche und tatsächliche Lage herbeigeführt und also die Frist
neu in Gang gesetzt (Beschluß des Gerichts vom 7. Juni 1991 in der Rechtssache
T-14/91, Weyrich/Kommission, Slg. 1991, II-235, Randnr. 42).
Würdigung durch das Gericht
- 24.
- Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gemeinschaftsrichter nicht befugt, der
Verwaltung im Rahmen einer Rechtmäßigkeitskontrolle nach Artikel 91 des Statuts
Anweisungen zu erteilen (vgl. zum Beispiel Urteil des Gerichts vom 2. April 1998
in der Rechtssache T-86/97, Apostolidis/Kommission, Slg. ÖD 1998, II-521, Randnr.
92). Folglich sind die Anträge, der Kommission aufzutragen, die Qualifikation der
Korrektoren, die Anonymität des Verfahrens und die objektive Bewertungnachzuweisen sowie die Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeiten c und d des
Klägers durch sachkundige Personen überprüfen zu lassen, als unzulässig
zurückzuweisen.
- 25.
- Zu der Frage, ob die Klage verspätet ist, ist festzustellen, daß die in dem Schreiben
vom 1. Juni 1995 enthaltene Entscheidung des Prüfungsausschusses, den Kläger
nicht zu der mündlichen Prüfung zuzulassen, weder durch Einlegung einer
Beschwerde innerhalb der Dreimonatsfrist des Artikels 90 Absatz 2 des Statuts
noch durch Anrufung des Gerichts innerhalb der Dreimonatsfrist des Artikels 91
Absatz 3 des Statuts angefochten wurde (vgl. Urteil des Gerichts vom 6. November
1997 in der Rechtssache T-101/96, Wolf/Kommission, Slg. ÖD 1997, II-949,
Randnr. 92).
- 26.
- Das Schreiben des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses vom 21. Juni 1995 stellt
eine bloße Bestätigung der Richtigkeit der im Schreiben vom 1. Juni 1995
enthaltenen Mitteilungen dar. Da dieses Schreiben nur bestätigender Natur ist,
stellt es keine anfechtbare Handlung dar (vgl. zuletzt Urteil
Apostolidis/Kommission, a. a. O., Randnr. 21).
- 27.
- Aus dem Wortlaut der Klageschrift geht jedoch hervor, daß mit der Klage auch die
Aufhebung des Schreibens von Herrn Liikanen vom 18. September 1995 begehrt
wird, mit dem der Antrag des Klägers vom 7. August 1995 auf Überprüfung und
Untersuchung des rechtmäßigen Ablaufs des Bewertungsverfahrens und der
Ergebnisse der Prüfungsarbeiten c und d des streitigen Auswahlverfahrens
abgelehnt wurde.
- 28.
- Nach ständiger Rechtsprechung kann das Vorliegen neuer wesentlicher Tatsachen
einen Antrag auf Überprüfung einer nicht fristgerecht angefochtenen Entscheidung
rechtfertigen (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Mai 1985 in der Rechtssache
127/84, Esly/Kommission, Slg. 1985, 1437, Randnr. 12, und vom 4. Februar 1987 in
der Rechtssache 302/85, Pressler-Hoeft/Rechnungshof, Slg. 1987, 513, Randnr. 6,
Beschluß des Gerichts vom 11. Juli 1997 in der Rechtssache T-16/97,
Chauvin/Kommission, Slg. ÖD 1997, II-681, Randnr. 37), sofern ein solcher Antrag
in angemessener Frist gestellt wird (Beschluß des Gerichts vom 25. März 1998 in
der Rechtssache T-202/97, Koopman/Kommission, Slg ÖD 1998, II-511,
Randnr. 24).
- 29.
- Der Kläger berief sich in seinem Schreiben vom 7. August 1995 zur Begründung
seines Antrags auf Überprüfung des Ablaufs des Bewertungsverfahrens und der
Ergebnisse der Prüfungsarbeiten c und d des streitigen Auswahlverfahrens
insbesondere auf die zwei Tatsachen, daß die fraglichen Prüfungsarbeiten von
Beamten der österreichischen Regierung korrigiert worden seien, obwohl viele
Bewerber ebenfalls Beamte dieser Regierung gewesen seien, und daß die
genannten Korrektoren unqualifiziert und nicht objektiv gewesen seien. Zur
Begründung seiner Auffassung legte er insbesondere einen in der Wochenzeitschrift„News“ veröffentlichten Artikel vor, wonach Herr Rothacher, der Leiter des
Informationsbüros der Kommission in Wien, u. a. erklärt habe, die Qualifikation
der Korrektoren erscheine ihm „zweifelhaft“. Da es sich um die Ausgabe 28/95
handelt, ist davon auszugehen, daß dieser Artikel in der zweiten Woche des Monats
Juli 1995 erschienen ist.
- 30.
- Wie sich aus der Prüfung der Begründetheit der Klage durch das Gericht (siehe
unten) ergibt, waren die in dem Schreiben des Klägers vom 7. August 1995
enthaltenen Behauptungen insofern nicht ohne Grundlage, als in der vorliegenden
Rechtssache feststeht, daß ein großer Teil der Prüfungsarbeiten c und d nicht durch
den Prüfungsausschuß selbst, sondern durch von der österreichischen Verwaltung
abgestellte Korrektoren korrigiert worden war.
- 31.
- Im übrigen hat Herr Rothacher vor dem Gericht zwar erläutert, daß seine
Bemerkungen, wie sie in der Wochenzeitschrift „News“ zitiert worden seien, nur
Vermutungen gewesen seien, die er als Antwort auf bestimmte ihm gestellte
hypothetische Fragen geäußert habe, doch ist festzustellen, daß seine Antworten
dem Kläger den Eindruck vermitteln konnten, es gebe Anlaß, gewisse Zweifel in
bezug auf die Qualifikation der Korrektoren zu hegen.
- 32.
- Diese beiden Umstände sind als neue wesentliche Tatsachen anzusehen, die den
Antrag des Klägers vom 7. August 1995 auf Überprüfung und Untersuchung des
rechtmäßigen Ablaufs des Bewertungsverfahrens und der Ergebnisse der
Prüfungsarbeiten c und d rechtfertigen konnten. Da nichts darauf hindeutet, daß
sie dem Kläger schon vor Juli 1995 bekannt waren, sind die in seinem Schreiben
vom 7. August 1995 enthaltenen Anträge als in angemessener Frist gestellt
anzusehen.
- 33.
- Da das Schreiben von Herrn Liikanen vom 18. September 1995, mit dem der
Antrag des Klägers vom 7. August 1995 abgelehnt wurde, gerade auf die neuen
vom Kläger vorgetragenen Umstände eingeht, kann dieses Schreiben nach alledem
nicht als bloß bestätigender Akt angesehen werden (Urteil des Gerichts vom 6.
Dezember 1990 in der Rechtssache T-6/90, Petrilli/Kommission, abgekürzte
Veröffentlichung, Slg. 1990, II-765, Randnr. 28), sondern ist als beschwerende
Maßnahme einzustufen. Es hat daher nach Artikel 90 Absatz 2 des Statuts die Frist
von drei Monaten für die Einlegung einer Beschwerde in Gang gesetzt.
- 34.
- Anders als die Kommission hilfsweise vorgetragen hat, ergibt sich bereits aus dem
Wortlaut des Schreibens des Klägers vom 7. August 1995, daß dieses einen Antrag
auf Überprüfung und Untersuchung des rechtmäßigen Ablaufs des
Bewertungsverfahrens und der Ergebnisse der Prüfungsarbeiten c und d darstellte.
Ein solcher Antrag kann nicht als „Beschwerde“ angesehen werden, so daß der
Kläger nach Artikel 91 Absatz 3 des Statuts innerhalb von drei Monaten nach
Erhalt des Schreibens von Herrn Liikanen hätte Klage erheben müssen.
- 35.
- Im übrigen hat sich der Kläger dadurch, daß er mit seinem Schreiben vom 7.
August 1995 einen solchen Antrag auf Überprüfung stellte und nicht Beschwerde
einlegte, entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofes verhalten, wonach
der Betroffene bei Bekanntwerden einer neuen wesentlichen Tatsache nach Artikel
90 Absatz 1 des Statuts einen Antrag auf Überprüfung der ursprünglichen
Entscheidung stellen muß, um dann gegebenenfalls gemäß Artikel 90 Absatz 2 des
Statuts Beschwerde einzulegen (vgl. zum Beispiel die Urteile des Gerichtshofes vom
1. Dezember 1983 in der Rechtssache C-190/82, Blomefield/Kommission, Slg. 1983,
3981, Randnrn. 6 bis 12, Esly/Kommission, a. a. O., Randnrn. 4 bis 6 und 10 bis 12,
vom 26. September 1985 in der Rechtssache 231/84, Valentini/Kommission,
Slg. 1985, 3027, Randnr. 14, und Pressler-Hoeft/Rechnungshof, a. a. O., Randnr.
6). Diese Rechtsprechung gilt um so mehr, wenn wie im vorliegenden Fall nur die
Kommission genaue Kenntnis von der Richtigkeit der geltend gemachten neuen
Tatsachen hat. Erst nach der Antwort von Herrn Liikanen vom 18. September
1995, die sowohl die Hinzuziehung österreichischer Korrektoren als auch die
Gründe dafür bestätigte, verfügte der Kläger über konkrete Anhaltspunkte, anhand
deren er beurteilen konnte, ob er Beschwerde einlegen sollte.
- 36.
- Aus denselben Gründen kann dem Kläger auch nicht vorgeworfen werden, er habe
seinen Antrag vom 7. August 1995 und nicht eine Beschwerde eingereicht, obwohl
damals die Frist für die Einlegung einer Beschwerde gegen die ursprüngliche
Entscheidung des Prüfungsausschusses vom 1. Juni 1995 noch nicht abgelaufen
gewesen sei. Daß im vorliegenden Fall eine neue wesentliche Tatsache - nämlich
die Vornahme der streitigen Korrekturen durch österreichische Regierungsbeamte
- vor Verstreichen der ursprünglichen Beschwerdefrist bekannt wurde, nimmt dem
Kläger nämlich nicht das Recht, in angemessener Frist eine Überprüfung des
Ablaufs des Bewertungsverfahrens und der Ergebnisse des streitigen
Auswahlverfahrens zu beantragen.
- 37.
- Die am 7. November 1995 eingegangene Beschwerde des Klägers wurde innerhalb
von drei Monaten nach dem Schreiben von Herrn Liikanen vom 18. September
1985 eingelegt. Auch ist die Klage am 17. Juni 1996 innerhalb der Dreimonatsfrist
des Artikels 91 Absatz 3 des Statuts erhoben worden, wobei diese vom Schreiben
der Kommission vom 11. März 1996 über die Zurückweisung der Beschwerde an
zu rechnen ist.
- 38.
- Folglich ist die Klage zulässig, soweit sie auf Aufhebung der in dem Schreiben von
Herrn Liikanen vom 18. September 1995 enthaltenen Entscheidung gerichtet ist,
mit der der Antrag auf Überprüfung des Ablaufs des Bewertungsverfahrens und
der Ergebnisse des Auswahlverfahrens KOM/A/904 abgelehnt wurde.
Zur Begründetheit
Vorbringen der Parteien
- 39.
- Der Kläger stützt seine Klage hauptsächlich auf vier Rügen, mit denen er eine
Verletzung von Artikel 3 Absatz 3 des Anhangs III des Statuts und der allgemeinen
Grundsätze des Gemeinschaftsrechts für Auswahlverfahren geltend macht.
- 40.
- Erstens habe die Kommission gegen Artikel 3 Absatz 3 des Anhangs III des Statuts
verstoßen, da es im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt gewesen sei,
Korrekturarbeiten österreichischen Beisitzern zu übertragen. Die Kommission sei
nämlich in der Lage gewesen, auf genügend eigene Beamte deutscher
Muttersprache zurückzugreifen. Gleichheitserwägungen gegenüber den
Auswahlverfahren für schwedische und für finnische Staatsangehörige rechtfertigten
den Rückgriff auf österreichische Korrektoren im Rahmen des Auswahlverfahrens
KOM/A/904 nicht, da dieses nur Bewerber mit österreichischer Staatsangehörigkeit
betroffen habe. Der Umstand, daß im Rahmen der finnischen und der
schwedischen Auswahlverfahren nicht genügend Beamte der Kommission mit
finnischer und mit schwedischer Muttersprache zur Verfügung gestanden hätten,
habe zurückgegriffen werden können, sei in einem Auswahlverfahren nur für
österreichische Bewerber unerheblich.
- 41.
- Zweitens hätten die Beisitzer entgegen Artikel 3 Absatz 3 des Anhangs III des
Statuts faktisch entscheidende Stimme gehabt. Anstatt sich der Korrektoren nur
hilfsweise zu bedienen, habe der Prüfungsausschuß ihnen die Korrektur der mit der
Höchstpunktezahl bewerteten Prüfungsarbeiten ganz übertragen. Es genüge nicht,
daß die Kommission sich das Recht der endgültigen Bewertung vorbehalte: In
Wirklichkeit habe im vorliegenden Fall der Prüfungsausschuß den Beisitzern die
endgültige Beurteilung übertragen (Urteil des Gerichts vom 16. Oktober 1990 in
der Rechtssache T-132/89, Gallone/Rat, Slg. 1990, II-549).
- 42.
- Im übrigen habe die Kommission in der Entscheidung vom 8. März 1996 über die
Zurückweisung der Beschwerde des Klägers erklärt, daß die Einholung einer
Bestätigung durch einen dritten Korrektor weder notwendig noch gerechtfertigt
gewesen sei, da die ersten beiden Korrektoren die schriftlichen Prüfungsarbeiten
c und d des Klägers gleich bewertet hätten. Diese Erklärung belege, daß eine
objektive Überprüfung der Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeiten c und d
des Klägers nie stattgefunden habe und daß die Kommission die Bewertungen der
österreichischen Korrektoren einfach übernommen habe. Diese Erklärung
widerspreche also der Behauptung der Kommission, der Prüfungsausschuß habe die
Bewertungen der Korrektoren geprüft. Sie widerspreche auch dem Schreiben vom
21. Juni 1995, in dem die Kommission ihm mitgeteilt habe, daß eine nochmalige
Überprüfung der Prüfungsunterlagen das erste Ergebnis bestätigt habe.
- 43.
- Drittens trägt der Kläger vor, die Kommission habe gegen Artikel 3 Absatz 3 des
Anhangs III des Statuts und die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts
verstoßen, weil die Korrektoren nicht über die zu einer Bewertung der schriftlichen
Prüfungsarbeiten im Rahmen des Auswahlverfahrens KOM/A/904 insbesondere auf
dem vom Kläger gewählten Gebiet „Recht“ erforderlichen Qualifikationen und
Erfahrungen verfügt hätten. Österreich sei damals erst seit wenigen MonatenMitglied der Europäischen Union gewesen. Dementsprechend habe es nicht über
die personellen Ressourcen zur Korrektur durch qualifizierte Personen verfügt. Die
erforderliche Befähigung hätte auch nicht durch das Seminar erworben werden
können, das die Kommission durchgeführt habe, um ihre Bewertungskriterien zuerläutern. Der Kläger verweist insbesondere auf die Ausführungen von Herrn
Rothacher in der Wochenzeitschrift „News“.
- 44.
- Viertens sei zweifelhaft, ob der Grundsatz der Anonymität beachtet worden sei,
denn, soweit bekannt, hätten die bei der schriftlichen Prüfung erfolgreichen
Bewerber überwiegend denselben österreichischen Institutionen wie die
Korrektoren angehört.
- 45.
- Die Kommission weist zunächst darauf hin, daß ein Prüfungsausschuß eines
allgemeinen Auswahlverfahrens über einen weiten Ermessensspielraum verfüge und
daß seine Bewertungen vom Gemeinschaftsrichter nur überprüft werden könnten,
wenn ein Verstoß gegen die Vorschriften vorliege, die das Auswahlverfahren
regelten (Urteile des Gerichts vom 15. Juli 1993 in den Rechtssachen T-17/90,
T-28/91 und T-17/92, Camara Alloisio u. a./Kommission, Slg. 1993, II-841,
Randnr. 90, und vom 1. Dezember 1994 in der Rechtssache T-46/93, Michaël-Chiou/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-929, Randnr. 48).
- 46.
- Zur ersten Rüge des Klägers macht die Kommission geltend, daß der
Prüfungsausschuß im vorliegenden Fall aus sprachlichen Gründen von seiner
Möglichkeit nach Artikel 3 Absatz 3 des Anhangs III des Statuts Gebrauch gemacht
habe, zu bestimmten Prüfungen einen oder mehrere Beisitzer mit beratender
Stimme hinzuzuziehen. Diese Vorschrift untersage es dem Prüfungsausschuß nicht,
Korrektoren hinzuzuziehen, die dieselbe Staatsangehörigkeit wie die Bewerber
hätten. Durch Hinzuziehen österreichischer Korrektoren habe der
Prüfungsausschuß aus Gründen der Gleichbehandlung diejenige Verwaltungspraxis
fortgesetzt, die bereits im Rahmen der für finnische und schwedische
Staatsangehörige durchgeführten allgemeinen Auswahlverfahren angewandt worden
sei.
- 47.
- Der zweiten Rüge des Klägers hält die Kommission entgegen, daß zwischen dem
Schreiben vom 21. Juni 1995 und der Entscheidung über die Zurückweisung der
Beschwerde kein Widerspruch bestehe. Die beiden für das Korrigieren der
Prüfungsarbeiten des Klägers benannten Korrektoren seien nämlich unabhängig
voneinander zum selben Ergebnis gekommen, so daß die Hinzuziehung eines
dritten Korrektors entbehrlich gewesen sei. Im Anschluß an das Schreiben des
Klägers vom 7. Juni 1995 habe der Prüfungsausschuß die durch die beiden
Korrektoren bewerteten Prüfungsunterlagen nochmals überprüft und dem Kläger
mitgeteilt, daß diese nochmalige Überprüfung das bereits mitgeteilte Ergebnis
bestätigt habe.
- 48.
- Die Prüfungsarbeiten c und d seien jeweils von zwei verschiedenen Korrektoren
bewertet worden. Die Arbeiten jedes Bewerbers seien also von insgesamt vier
Korrektoren bewertet worden. Anschließend habe der Prüfungsausschuß diese
Bewertung geprüft und in Ausübung der ausschließlich ihm zustehenden
Entscheidungsbefugnis die jedem Bewerber zukommende endgültige Bewertung
festgelegt. Bei erheblichen Unterschieden in der Bewertung zwischen den einzelnen
Korrektoren habe der Prüfungsausschuß die betreffenden Arbeiten durch einen
weiteren Korrektor bewerten lassen. Im Fall des Klägers seien die Korrektoren zu
derselben Bewertung gelangt, so daß es weder erforderlich noch gerechtfertigt
gewesen wäre, einen dritten Korrektor einzuschalten.
- 49.
- Zur dritten Rüge des Klägers vertritt die Kommission die Auffassung, daß die
Behauptung, die österreichischen Korrektoren hätten nicht über die erforderlichen
Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, völlig pauschal und bereits aus diesem Grund
unbeachtlich sei. Überdies bringe der Kläger keinen Beweis für seine Behauptung
bei. Die vorgelegten österreichischen Presseartikel erschöpften sich in
Spekulationen und hätten keinerlei Beweiskraft (vgl. Schlußanträge des
Generalanwalts Reischl zum Urteil des Gerichtshofes vom 30. Juni 1983 in der
Rechtssache 85/82, Schloh/Rat, Slg. 1983, 2105, 2143 f.). Ebenso seien die in der
Wochenzeitschrift „News“ erschienenen Äußerungen von Herrn Rothacher auf
jeden Fall unerheblich.
- 50.
- Zur vierten Rüge des Klägers trägt die Kommission vor, daß die Anonymität der
Bewerber gewahrt worden sei. Jeder Korrektor habe eine
Geheimhaltungsverpflichtung unterschrieben und die Identität der Bewerber, deren
Arbeiten er geprüft habe, nicht gekannt. Die den Korrektoren ausgehändigten
Prüfungsunterlagen hätten weder Namen noch Initialen, noch Unterschrift des
jeweiligen Bewerbers, sondern lediglich eine Geheimnummer getragen, deren
Zuordnung allein den Mitgliedern des Prüfungsausschusses in Brüssel bekannt
gewesen sei. Im übrigen habe die Korrektur der schriftlichen Prüfungsarbeiten nicht
zuletzt aus eben diesem Grund in Wien und nicht in Brüssel stattgefunden.
- 51.
- Ferner habe das österreichische Außenministerium keineswegs die Mehrzahl der
Korrektoren gestellt. Daß die erfolgreichen Bewerber teilweise Beamte des
österreichischen Außenministeriums gewesen seien, stelle keinen
außergewöhnlichen Umstand dar und lasse nicht den Schluß zu, daß die
Anonymität der Bewerber nicht gewahrt worden sei. Im übrigen gehe aus dem
Schreiben des Klägers vom 7. Juni 1995 hervor, daß er selbst vorübergehend für
das österreichische Außenministerium gearbeitet habe.
- 52.
- Schließlich sei die Behauptung des Klägers, eine überproportionale Anzahl
erfolgreicher Bewerber gehöre denjenigen nationalen Institutionen an, die die
Korrektoren gestellt hätten, unbewiesen.
Würdigung durch das Gericht
- Zur ersten Rüge
- 53.
- Zur ersten Rüge des Klägers, der Prüfungsausschuß sei nicht berechtigt gewesen,
Korrektoren hinzuziehen, ist daran zu erinnern, daß Artikel 3 Absatz 3 des
Anhangs III des Statuts bestimmt: „Der Prüfungsausschuß kann zu bestimmten
Prüfungen einen oder mehrere Beisitzer mit beratender Stimme hinzuziehen.“
- 54.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist diese Bestimmung insbesondere
dann anwendbar, wenn der Prüfungsausschuß wegen der großen Anzahl von
Bewerbern in einem Auswahlverfahren seine Arbeiten nicht in angemessener Frist
durchführen könnte (Urteile des Gerichtshofes vom 26. Oktober 1978 in der
Rechtssache 122/77, Agneessens/Kommission, Slg. 1978, 2085, Randnr. 8, und vom
30. November 1978 in den verbundenen Rechtssachen 4/78, 19/78 und 28/78,
Salerno/Kommission, Slg. 1978, 2403, Randnr. 14).
- 55.
- Aus der Akte geht hervor, daß zu den schriftlichen Prüfungen des streitigen
Auswahlverfahrens 748 Bewerber zugelassen wurden. Angesichts dieser Anzahl von
Bewerbern war der Prüfungsausschuß berechtigt, für die Prüfungsarbeiten c und d
gemäß Artikel 3 Absatz 3 des Anhangs III des Statuts Beisitzer mit beratender
Stimme hinzuziehen.
- 56.
- Im übrigen geht aus der Akte hervor, daß das streitige Auswahlverfahren
KOM/A/904 zu einer Reihe paralleler Auswahlverfahren (KOM/A/901, 903, 904,
905, 907 et 909) gehörte, die damals für Bewerber aus den neuen Mitgliedstaaten
durchgeführt wurden und deshalb schwedischen, finnischen und österreichischen
Staatsangehörigen vorbehalten waren. Da es aus sprachlichen Gründen für
erforderlich gehalten wurde, in den Auswahlverfahren für schwedische und für
finnische Staatsangehörige Korrektoren aus diesen Ländern hinzuziehen, hat der
Prüfungsausschuß sein Ermessen nicht schon dadurch überschritten, daß er, um für
alle fraglichen Auswahlverfahren die gleiche Arbeitsmethode anzuwenden, für das
streitige Auswahlverfahren österreichische Korrektoren als Beisitzer mit beratender
Stimme hinzuzog, auch wenn die Kommission über genügend eigene
deutschsprachige Beamte verfügte, die zur Erledigung der Korrekturen in der Lage
gewesen wären.
- 57.
- Die erste Rüge des Klägers ist daher zurückzuweisen.
- Zur dritten Rüge
- 58.
- Bezüglich der dritten Rüge des Klägers, die Korrektoren hätten, insbesondere auf
dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts, nicht über die zur Korrektur erforderlichen
Kenntnisse verfügt, ergibt sich aus den Antworten der Kommission auf die Fragen
des Gerichts, daß die Generaldirektion IX der Kommission das österreichische
Bundeskanzleramt ersucht hat, für sie gemäß den hinsichtlich Qualifikation und
Berufserfahrung gemachten Vorgaben der Generaldirektion IX eine Listeösterreichischer Korrektoren zusammenzustellen, die dem Prüfungsausschuß bei der
Korrektur der Prüfungsarbeiten des streitigen Auswahlverfahrens sowie des
allgemeinen Auswahlverfahrens KOM/A/909 behilflich sein sollten.
- 59.
- Daraufhin haben die österreichischen Behörden der Kommission eine Liste von 110
Korrektoren übermittelt, die nach ihrem Dienstrang und ihrer Erfahrung auf den
von den beiden Auswahlverfahren betroffenen Gebieten als geeignet angesehen
worden seien.
- 60.
- Für das streitige Auswahlverfahren hat der Prüfungsausschuß zur Korrektur der
schriftlichen Prüfungsarbeiten c und d aus dieser Liste 48 Korrektoren ausgewählt.
Alle ausgewählten Korrektoren gehörten österreichischen Behörden oder
öffentlichen Einrichtungen an, insbesondere dem Bundeskanzleramt (11
Korrektoren), dem Rechnungshof (7 Korrektoren), dem Bundesministerium für
Landesverteidigung (7 Korrektoren) und dem Bundesministerium für auswärtige
Angelegenheiten (6 Korrektoren). Für das Sachgebiet „Recht“, das die Bewerber
im Rahmen der schriftlichen Prüfungsarbeit c hätten wählen können, standen dem
Prüfungsausschuß insgesamt sechs Korrektoren zur Verfügung; davon gehörten fünf
dem Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten und einer dem
Rechnungshof an.
- 61.
- Diese Korrektoren kommen zwar aus einem Mitgliedstaat, der der Gemeinschaft
erst beigetreten ist, doch ist daran zu erinnern, daß die Republik Österreich bereits
Partei des EWR-Abkommens vom 13. Dezember 1993 (ABl. 1994, L 1, S. 1) und
des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der
Republik Österreich vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 300, S. 2) war, die die
Grundsätze, auf denen die Europäische Gemeinschaft beruht, weitgehend
übernehmen. Im übrigen enthalten die dem Gericht vorgelegten Unterlagen nichts
Spezifisches, was die Behauptung zuließe, daß die fraglichen Korrektoren nicht
über eine ausreichende Sachkenntnis in Gemeinschaftsangelegenheiten,
insbesondere des Gemeinschaftsrechts, verfügten, wie sie erforderlich war, um die
Funktion eines Beisitzers mit beratender Stimme gemäß Artikel 3 Absatz 3 des
Anhangs III des Statuts auszuüben.
- 62.
- Was die Bemerkungen von Herrn Rothacher anbelangt, so geht aus seinen
Erläuterungen vor Gericht hervor, daß er keinerlei persönliche Kenntnis von der
Qualifikation der betreffenden Korrektoren hatte.
- 63.
- Folglich ist die dritte Rüge des Klägers mangels Nachweises zurückzuweisen.
- Zur vierten Rüge
- 64.
- Zur vierten Rüge des Klägers, die Anonymität sei nicht gewahrt worden, hat die
Kommission dem Gericht die von ihr insoweit getroffenen Vorkehrungen
ordnungsgemäß erläutert (vgl. oben, Randnr. 50). Außerdem ließ der
Prüfungsausschuß alle österreichischen Korrektoren eine Erklärung unterschreiben,durch die sie sich verpflichteten, „die übernommenen Arbeiten nach den im
Rahmen der Einschulung bekanntgegebenen Richtlinien innerhalb der vereinbarten
Frist zu korrigieren und alle im Rahmen der Korrekturtätigkeit bekannt
gewordenen Informationen über Textstruktur und Fragestellungen
geheimzuhalten“.
- 65.
- Der Kläger hat demgegenüber keine konkreten Anhaltspunkte dafür geliefert, daß
die Anonymität nicht gewahrt worden ist.
- 66.
- Mangels jedes Nachweises ist die vierte Rüge des Klägers zurückzuweisen.
- Zur zweiten Rüge
- 67.
- Zur zweiten Rüge des Klägers, die Korrektoren hätten entgegen Artikel 3 Absatz
3 des Anhangs III des Statuts faktisch entscheidende Stimme gehabt, ist daran zu
erinnern, daß dem Prüfungsausschuß, wenn er Beisitzer hinzuzieht, nach ständiger
Rechtsprechung die Kontrolle über die Vorgänge erhalten bleiben und er sich die
Befugnis zur endgültigen Beurteilung vorbehalten muß (vgl. zum Beispiel die
Urteile des Gerichtshofes Salerno/Kommission, a. a. O., Randnr. 15, und vom 16.
Oktober 1975 in der Rechtssache 90/74, Deboeck/Kommission, Slg. 1975, 1123,
Randnr. 38, sowie die Urteile des Gerichts Gallone/Rat, a. a. O., Randnr. 28, und
vom 21. Mai 1996 in der Rechtssache T-153/95, Kaps/Gerichtshof, Slg. ÖD 1996,
II-663, Randnr. 26).
- 68.
- Folglich ist zunächst auf tatsächlicher Ebene zu prüfen, inwieweit dem
Prüfungsausschuß die Kontrolle der Vorgänge erhalten geblieben ist und er sich die
Befugnis zur endgültigen Beurteilung in bezug auf den Ablauf der Prüfungen c und
d des streitigen Auswahlverfahrens vorbehalten hat.
Würdigung des Sachverhalts
- 69.
- Das Gericht stellt auf der Grundlage des Akteninhalts und der von ihm
durchgeführten Beweisaufnahme folgenden Sachverhalt fest.
- 70.
- Um sich zu vergewissern, daß die Korrektoren ihre Aufgabe erfüllen konnten, ging
der Prüfungsausschuß wie folgt vor:
i) Er händigte den Korrektoren für die Korrektur der schriftlichen
Prüfungsarbeiten c und d Korrekturkriterien und detaillierte Musterlösungen aus;
ii) für die Korrektur der Prüfungsarbeit c schrieb er den Korrektoren die vier
jeweils näher definierten Bewertungskriterien sprachliche Fähigkeit, Argumentation
und Verständnis, Aufbau und Inhalt sowie für jedes dieser Kriterien die zuteilbare
Höchstpunktzahl vor. Zusätzlich händigte er den Korrektoren für jedes einzelneSachgebiet der Prüfung zu c, d. h. „Recht“, „Verwaltung und Management“,
„Wirtschaft und Statistik“, eine detaillierte und fachbezogene Musterlösung aus;
iii) hinsichtlich der Prüfungsarbeit d gab er den Korrektoren die drei
Korrekturkriterien Qualität der Zusammenfassung, Inhalt und sprachlicher
Ausdruck vor. Auch hier legte er die Höchstpunktzahl fest, die in jedem dieser
Bereiche vergeben werden konnte;
iv) außerdem übergab der Prüfungsausschuß sämtlichen Korrektoren für jede
zu korrigierende Arbeit ein Korrekturdeckblatt. Auf diesem Deckblatt waren die
von jedem Korrektor zu beachtenden Korrekturkriterien zusammengefaßt, wobei
jeder Korrektor darauf seine einzelnen Bewertungen, seine allgemeine Beurteilung,
die jeweils vergebenen Punktzahlen und die Gesamtpunktzahl anzugeben hatte;
v) schließlich nahmen die Korrektoren an einer Schulung in Wien teil, in der
ihnen die Mitglieder des Prüfungsausschusses die oben genannten Musterlösungen
und die Korrekturkriterien erläuterten.
- 71.
- In der Sitzung der Prüfungsausschüsse der Auswahlverfahren KOM/A/901, 903, 904,
905, 907 et 909 vom 16. März 1995 wurde beschlossen, daß eine dritte Korrektur
durch den Prüfungsausschuß nur dann stattfinden sollte, wenn ein Bewerber von
einem Korrektor über und vom anderen Korrektor unter dem Durchschnitt benotet
wird und die beiden Noten um mindestens 30 % voneinander abweichen (Protokoll
über die Sitzung der Prüfungsausschüsse vom 16. März 1995).
- 72.
- Anschließend wurden die Prüfungsarbeiten c und d unabhängig voneinander von
jeweils zwei verschiedenen Korrektoren bewertet. War die von den Korrektoren
gegebene Gesamtpunktzahl unterschiedlich, wurden die Punkte des Bewerbers nach
dem arithmetischen Mittel festgesetzt.
- 73.
- Nach Vorlage der Benotungsvorschläge der Korrektoren beschloß der
Prüfungsausschuß, bei den Prüfungsarbeiten c und d eine dritte Korrektur nur dann
vorzunehmen, wenn die Abweichung zwischen den beiden Korrektoren über 50 %
betrug (Protokoll über die Sitzungen des Prüfungsausschusses des streitigen
Auswahlverfahrens in Brüssel am 27. Juli 1995).
- 74.
- Nach den von der Kommission vor dem Gericht gegebenen Erläuterungen wurde
der Beschluß des Prüfungsausschusses, die Schwelle für die Einschaltung des dritten
Korrektors von über 30 % auf über 50 % Abweichung zwischen den beiden
Korrektoren anzuheben, durch eine Erfahrung in einem Parallelauswahlverfahren
für schwedische Staatsangehörige veranlaßt, in dem die Anwendung der 30 %-Regelung für eine Vielzahl von Prüfungsarbeiten zu einer dritten Korrektur geführt
hatte.
- 75.
- Aus den Erläuterungen von Herrn Klein, dem Vorsitzenden des
Prüfungsausschusses, vor dem Gericht ergibt sich, daß der Prüfungsausschuß, wenndie von den beiden Korrektoren gegebenen Gesamtpunktzahlen weniger als 50 %
voneinander abwichen, weder die Prüfungsarbeiten der betroffenen Bewerber
prüfte noch die von den Korrektoren ausgefüllten Deckblätter überprüfte, sondern
nur das arithmetische Mittel der von den Korrektoren gegebenen Punkte zugrunde
legte.
- 76.
- Weiter geht aus den Erläuterungen von Herrn Klein hervor, daß bei einer
Abweichung zwischen den von den beiden Korrektoren gegebenen Punkten von
über 50 % mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses eine dritte Korrektur
vornahm. In einigen Fällen, in denen eine dritte Korrektur stattfand, war die
endgültig zuzuteilende Punktzahl Gegenstand einer Erörterung innerhalb des
Prüfungsausschusses. So hat z. B. Herr Klein selbst 40 bis 50 Prüfungsarbeiten des
Sachgebiets „Allgemeine Verwaltung“ der Prüfung c korrigiert. Andere Mitglieder
des Prüfungsausschusses übernahmen diese Aufgabe für die Bewerber, die andere
Sachgebiete gewählt hatten.
- 77.
- Die Korrektoren gaben dem Kläger folgende Punkte:
Prüfung c
|
Korrektor I
|
Korrektor II
|
Sprache
|
12/15
|
10/15
|
Argumentation und
Verständnis
|
13/15
|
10/15
|
Aufbau
|
10/15
|
9/15
|
Inhalt
|
13/15
|
8/15
|
Gesamtpunktzahl
|
48/60
|
37/60
|
Prüfung d
|
Korrektor I
|
Korrektor II
|
Zusammenfassung
|
22/30
|
7/30
|
Rede
Inhalt
Sprache
|
7/20
9/10
|
14/20
10/10
|
Gesamtpunktzahl
|
38/60
|
31/60
|
- 78.
- Da das arithmetische Mittel der Punkte des Klägers für die Prüfungsarbeiten c und
d 42,5/60 und 34,5/60 betrug, erhielt er für diese Prüfungsarbeiten jeweils 21,25/30
und 17,25/30 Punkte (vgl. oben, Randnr. 3).
- 79.
- Wie die Kommission in der Sitzung vom 12. März 1998 ausdrücklich bestätigt hat,
prüfte der Prüfungsausschuß im Anschluß an das Schreiben des Klägers vom 7. Juni
1995 nur nach, ob die ihm gegenüber angegebenen Punktzahlen wirklich diejenigen
waren, die ihm die Korrektoren zugeteilt hatten, nahm aber keine neue Bewertung
vor. Dies wird im übrigen durch die Antwort der Kommission vom 11. März 1996
auf die Beschwerde des Klägers bestätigt.
- 80.
- Schließlich stellte der Prüfungsausschuß nach Festsetzung der endgültigen
Ergebnisse der schriftlichen Prüfung eine Liste mit 200 Bewerbern auf, die
entsprechend der Aufforderung zur Einreichung von Bewerbungen die 150 besten
Bewerber und eine Reserve von 50 Bewerbern umfaßte. Der 150. Bewerber hatte
in den vier schriftlichen Prüfungsarbeiten eine Gesamtpunktzahl von 71,92 und der
200. Bewerber eine Gesamtpunktzahl von 69,02 erzielt. Der Kläger erhielt
insgesamt 68,06 Punkte.
- Rechtliche Würdigung
- 81.
- Aus alldem ergibt sich, daß der Prüfungsausschuß im vorliegenden Fall den
Korrektoren die Korrekturkriterien für die Prüfungsarbeiten c und d vorgegeben
und im übrigen insbesondere durch Aushändigung von Musterlösungen und
Veranstaltung einer Schulung in Wien beträchtliche Anstrengungen für die
Ausbildung der Korrektoren unternommen hat.
- 82.
- Nachdem die Korrektoren die Prüfungsarbeiten c und d korrigiert hatten, begnügte
sich der Prüfungsausschuß jedoch damit, die arithmetischen Mittelwerte der von
den Korrektoren gegebenen Punkte zu übernehmen; er nahm keine Kontrolle der
Bewertung durch die Korrektoren, der Einhaltung der Korrekturkriterien oder der
einheitlichen Anwendung dieser Kriterien vor, es sei denn, die Abweichung
zwischen den Ergebnissen, zu denen die beiden betreffenden Korrektoren gelangt
waren, lag über 50 %.
- 83.
- Da im Fall des Klägers die Abweichung zwischen den Noten der beiden
Korrektoren unter 50 % lag (nämlich bei der Prüfungsarbeit c bei ungefähr 29,7 %
und bei der Prüfungsarbeit d bei 22,6 %, ausgehend von der niedrigeren Zahl), hat
folglich kein Mitglied des Prüfungsausschusses seine Prüfungsarbeiten noch auch
nur deren Deckblätter durchgelesen.
- 84.
- Daraus ergibt sich, daß der Prüfungsausschuß im Fall des Klägers nicht
kontrollieren konnte, inwieweit die verschiedenen Korrektoren die ihnen
vorgegebenen Kriterien eingehalten und einheitlich angewandt haben; noch weniger
konnte er die fraglichen Prüfungsarbeiten selbst endgültig beurteilen.
- 85.
- Im Unterschied zu den Prüfungsarbeiten a und b des Auswahlverfahrens, bei denen
es sich um Multiple-Choice-Fragebogen handelte, deren Korrektur kein subjektives
Element mit sich brachte, kam bei der Bewertung der Prüfungsarbeiten c und d
zwangsläufig ein erhebliches Element subjektiver Beurteilung seitens derKorrektoren ins Spiel. Daß der Vorsitzende des Prüfungsausschusses selbst 40 bis
50 Prüfungsarbeiten korrigierte, bei denen die von den beiden Korrektoren
vergebenen Punkte um über 50 % voneinander abwichen, unterstreicht den
subjektiven Charakter der fraglichen Korrektur.
- 86.
- Unter diesen Umständen ist das Gericht der Auffassung, daß das vom
Prüfungsausschuß gewählte Verfahren gegen Artikel 3 Absatz 3 des Anhangs III
des Statuts verstößt. Die betreffenden Korrektoren hatten nämlich bei Bewerbern,
bei denen die Noten beider Korrektoren wie im Fall des Klägers weniger als 50 %
voneinander abwichen, nicht nur „beratende“, sondern maßgebliche Stimme. In
bezug auf solche Bewerber blieb also dem Prüfungsausschuß weder die Kontrolle
der Vorgänge noch die Befugnis zur endgültigen Beurteilung im Sinne der
Rechtsprechung des Gerichtshofes wirklich erhalten.
- 87.
- Der Grundsatz, daß dem Prüfungsausschuß die Kontrolle der Vorgänge und die
Befugnis zur endgültigen Beurteilung erhalten bleiben muß, gilt in einem Fall wie
dem vorliegenden um so mehr, als die ausgewählten Korrektoren noch keine
Erfahrung beim Korrigieren in einem Auswahlverfahren der Gemeinschaft hatten
und selbst zu den nationalen Einrichtungen gehörten, von denen eine erhebliche
Anzahl von Bewerbern kam.
- 88.
- Der Sachverhalt, der dem von der Kommission angeführten Urteil des
Gerichtshofes vom 16. Juni 1987 in der Rechtssache 40/86 (Kolivas/Kommission,
Slg. 1987, 2643) zugrunde lag, ist vom Sachverhalt des vorliegenden Falles sehr weit
entfernt. In jener Rechtssache hat der Gerichtshof nämlich darauf abgestellt, daß
der Prüfungsausschuß für die Einhaltung der Kriterien zu sorgen hat, die die
Einheitlichkeit der Bewertung der fraglichen Prüfungsleistungen im Rahmen des
Möglichen gewährleisten (Randnr. 13), gleichzeitig aber befunden, daß der
Prüfungsausschuß in jener Rechtssache die Befugnis zur endgültigen Beurteilung
behalten hatte (Randnr. 16; vgl. auch Schlußanträge des Generalanwalts Da Cruz
Vilaça zu diesem Urteil, Randnrn. 51 f.).
- 89.
- Was das Vorbringen der Kommission angeht, der Prüfungsausschuß habe die
gleichen Korrekturmodalitäten anwenden müssen, wie sie aus sprachlichen
Gründen für die schwedischen und die finnischen Auswahlverfahren gewählt
worden seien, so ist sich das Gericht der Schwierigkeiten bewußt, die bei der
Korrektur von Prüfungsarbeiten in Auswahlverfahren mit vielen Bewerbern und
insbesondere bei sprachlichen Problemen im Zusammenhang mit dem Beitritt
neuer Mitgliedstaaten auftreten können. Diese Erwägungen können es aber nicht
rechtfertigen, daß die „beratende“ Stimme der Beisitzer im Sinne des Artikels 3
Absatz 3 des Anhangs III des Statuts in eine maßgebliche oder gar entscheidende
Stimme umgewandelt wird. Jedoch ist es bei externen Auswahlverfahren, bei denen
sich sprachliche Probleme stellen, keinesfalls erforderlich, daß der
Prüfungsausschuß nur aus Beamten der Gemeinschaft zusammengesetzt ist (Urteile
des Gerichtshofes Deboeck/Kommission, a. a. O., Randnr. 35, und vom 8. März1988 in den verbundenen Rechtssachen 64/86, 71/86 bis 73/86 und 78/86,
Sergio/Kommission, Slg. 1988, 1399, Randnr. 17).
- 90.
- Nach alldem ist die im Schreiben von Herrn Liikanen vom 18. September 1995
enthaltene Entscheidung der Kommission, mit der der Antrag des Klägers auf
Überprüfung und Untersuchung des rechtmäßigen Ablaufs und der Ergebnisse der
Prüfungsarbeiten c und d des Auswahlverfahrens KOM/A/904 abgelehnt wurde,
aufzuheben.
Kosten
- 91.
- Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag
zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen
im wesentlichen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag des Klägers
sämtliche Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Zweite Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die im Schreiben von Herrn Liikanen vom 18. September 1995 enthaltene
Entscheidung der Kommission, mit der der Antrag des Klägers vom 7.
August 1995 auf Überprüfung und Untersuchung des rechtmäßigen Ablaufs
des Bewertungsverfahrens und der Ergebnisse des Auswahlverfahrens
KOM/A/904 abgelehnt wurde, wird aufgehoben.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.
KalogeropoulosBellamy
Pirrung
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. September 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
A. Kalogeropoulos