Language of document : ECLI:EU:T:2020:13

URTEIL DES GERICHTS (Sechste erweiterte Kammer)

29. Januar 2020(*)

„Öffentlicher Dienst – Dolmetscherstreik – Vom Europäischen Parlament erlassene Maßnahmen zur Dienstverpflichtung von Dolmetschern – Fehlende Rechtsgrundlage – Haftung – Immaterieller Schaden“

In der Rechtssache T‑402/18,

Roberto Aquino, wohnhaft in Brüssel (Belgien), und die anderen im Anhang aufgeführten Kläger(1), vertreten durch L. Levi, Rechtsanwältin,

Kläger,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch OCaisou-Rousseau, E. Taneva und T. Lazian, als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Bauer und R. Meyer, als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

wegen einer Klage gemäß Art. 270 AEUV auf zum einen Aufhebung des Beschlusses des Generaldirektors für Personal des Parlaments vom 2. Juli 2018 über die Dienstverpflichtung von Dolmetschern und Konferenzdolmetschern für den 3. Juli 2018 und der späteren Beschlüsse des Generaldirektors für Personal des Parlaments über die Dienstverpflichtung von Dolmetschern und Konferenzdolmetschern für den 4., 5., 10. und 11. Juli 2018 und zum anderen auf Ersatz des immateriellen Schadens, der den Klägern durch diese Beschlüsse entstanden sein soll und den sie nach billigem Ermessen mit 1 000 Euro pro Person beziffern,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. van der Woude, der Richter S. Papasavvas (Berichterstatter), D. Spielmann und Z. Csehi sowie der Richterin O. Spineanu-Matei,

Kanzler: L. Ramette, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Oktober 2019

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Kläger, Herr Roberto Aquino und die weiteren im Anhang namentlich aufgeführten Kläger, sind Dolmetscher und Konferenzdolmetscher im Europäischen Parlament.

2        Am 14. Juli 2017 wurde vom Generalsekretär des Parlaments ein Beschluss zur Änderung der Arbeitsbedingungen der Dolmetscher und Konferenzdolmetscher erlassen.

3        Dieser Beschluss wurde in die Arbeitsprogramme der Dolmetscher eingefügt und führte im Oktober 2017 zu einer vorläufigen Streikankündigung durch das Comité intersyndicale (gewerkschaftsübergreifender Ausschuss, im Folgenden: COMI), dem u. a. das Syndicat des fonctionnaires internationaux et européens – Section du Parlement européen (SFIE‑PE) angehört. Nach der Wiederaufnahme der Gespräche mit dem Generalsekretär des Parlaments wurde die Streikankündigung jedoch wieder zurückgenommen.

4        Am 28. Mai 2018 reichte das COMI eine neue vorläufige Streikankündigung für den Zeitraum vom 5. Juni bis 20. Juli 2018 ein.

5        Am 5. und 7. Juni 2018 teilte das COMI dem gesamten Personal des Parlaments einerseits und dem Präsidenten des Parlaments andererseits die bis zum 14. Juni 2018 in Betracht gezogenen Handlungsmodalitäten mit.

6        Am 8. Juni 2018 übermittelte der Generaldirektor für Personal des Parlaments dem COMI zum einen eine Tabelle mit der Zahl der für den Zeitraum vom 12. bis 14. Juni 2018 zum Dienst zu verpflichtenden Dolmetscher und forderte es zum anderen auf, ihn über etwaige Kommentare der Gewerkschaften oder Berufsverbände (im Folgenden: GBV) des Personals des Organs zu dieser Liste bis zum 11. Juni 2018, 14 Uhr in Kenntnis zu setzen.

7        Am 9. und 11. Juni 2018 übermittelte das COMI seine Stellungnahme an den Generaldirektor für Personal des Parlaments.

8        Mit Beschluss vom 11. Juni 2018 verpflichtete der Generaldirektor für Personal des Parlaments Dolmetscher und Konferenzdolmetscher für den Zeitraum vom 12. bis 14. Juni 2018 zum Dienst.

9        Entsprechende Verfahren führten für die Zeiträume vom 18. bis 22. Juni 2018 und vom 25. bis 27. Juni 2018 zu Beschlüssen über die Dienstverpflichtung von Dolmetschern und Konferenzdolmetschern für diese Zeiträume.

10      Am 25. Juni 2018 teilte das COMI dem Präsidenten des Parlaments mit, dass die Streikankündigung bis zum 14. September 2018 verlängert worden sei.

11      Am 27. Juni 2018 forderte der Generaldirektor für Personal des Parlaments das COMI auf, ihm bis spätestens 29. Juni 2018 mittags seine Stellungnahme zu dem Dienstverpflichtungsplan für den Zeitraum vom 3. bis 5. Juli 2018 zu übermitteln.

12      Am 29. Juni 2018 übermittelte das COMI dem Präsidenten des Parlaments und dem Generaldirektor für Personal des Parlaments seine Kommentare.

13      Am 2. Juli 2018 teilte der Generaldirektor für Personal des Parlaments dem COMI mit, dass die für den ordnungsgemäßen Ablauf der parlamentarischen Arbeit erforderlichen Dienstverpflichtungen durchgeführt würden und dass ihm eine Ablichtung der Beschlüsse über die Dienstverpflichtungen von Dolmetschern und Konferenzdolmetschern für die Zeit vom 3. bis 5. Juli 2018 übermittelt werde.

14      Mit Beschluss vom 2. Juli 2018 verpflichtete der Generaldirektor für Personal des Parlaments Dolmetscher und Konferenzdolmetscher, darunter einige der Kläger, für den 3. Juli 2018 zum Dienst (im Folgenden: Beschluss vom 2. Juli 2018).

 Verfahren

15      Mit Schriftsatz, der am 3. Juli 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben.

16      Mit gesondertem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Kläger einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Mit Beschluss vom 4. Juli 2018, Aquino u. a./Parlament (T‑402/18 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:404), ist dieser Antrag zurückgewiesen und die Entscheidung über die Kosten vorbehalten worden.

17      Mit gesondertem Schriftsatz, der am 17. Juli 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Kläger gemäß Art. 86 der Verfahrensordnung des Gerichts einen Schriftsatz zur Anpassung der Klageschrift eingereicht, um den Erlass von drei Beschlüssen vom 3., 4. und 7. Juli 2018 zu berücksichtigen, mit denen der Generaldirektor für Personal des Parlaments für den 4., 5., 10. und 11. Juli 2018 Dolmetscher und Konferenzdolmetscher zum Dienst verpflichtet hat (im Folgenden: nach der Klageerhebung ergangene Beschlüsse).

18      Mit Schreiben des Kanzlers vom 30. Juli 2018 ist den Klägern mitgeteilt worden, dass das Verfahren zur Hauptsache bis zum Erlass einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Entscheidung über die Zurückweisung ihrer am 3. Juli 2018 eingelegten Beschwerde gemäß Art. 91 Abs. 4 des Statuts der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) ausgesetzt worden sei.

19      Mit Schriftsatz, der am 18. Oktober 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Rat der Europäischen Union beantragt, im vorliegenden Verfahren zur Unterstützung der Anträge des Parlaments als Streithelfer zugelassen zu werden.

20      Mit Schreiben vom 7. November 2018 haben die Kläger dem Gericht mitgeteilt, dass das Parlament ihre Beschwerde mit Entscheidung vom 5. November 2018 zurückgewiesen habe.

21      Mit Schreiben des Kanzlers vom 15. November 2018 sind die Kläger von der Wiederaufnahme des Verfahrens unterrichtet worden.

22      Das Parlament hat am 22. Januar 2019 eine Klagebeantwortung eingereicht.

23      Mit Beschluss vom 24. Januar 2019 hat der Präsident der Sechsten Kammer des Gerichts den Streitbeitritt des Rates zugelassen.

24      Der Rat hat seinen Streithilfeschriftsatz am 18. März 2019 eingereicht, und die Hauptparteien haben hierzu fristgerecht ihre Stellungnahmen eingereicht.

25      Am 25. März 2019 hat das Gericht (Sechste Kammer) auf Vorschlag des Berichterstatters im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 der Verfahrensordnung die Kläger aufgefordert, die Liste der für den 3. Juli 2018 dienstverpflichteten Dolmetscher und Konferenzdolmetscher vorzulegen. Die Kläger sind dieser Aufforderung fristgemäß nachgekommen.

26      Die Kläger haben am 1. April 2019 eine Erwiderung eingereicht.

27      Mit Schreiben, das am 3. April 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben Cécile Dupont, Françoise Joostens, Agnieszka Matuszek, Joanna Trzcielinska Inan und Frank van den Boogaard ihre Klage zurückgenommen (im Folgenden: teilweise Klagerücknahme). Mit Schriftsätzen, die am 5. April 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben das Parlament und der Rat zur teilweisen Klagerücknahme Stellung genommen. Mit Beschluss vom 30. April 2019 hat der Präsident der Sechsten Kammer des Gerichts die Namen dieser Personen von der Liste der Kläger gestrichen und über die mit der teilweisen Klagerücknahme zusammenhängenden Kosten entschieden.

28      Das Parlament hat am 10. Mai 2019, dem Tag, an dem das schriftliche Verfahren abgeschlossen worden ist, eine Gegenerwiderung eingereicht.

29      Da ein Mitglied der Sechsten Kammer an der weiteren Mitwirkung am Verfahren gehindert war, hat der Präsident dieser Kammer zur Ergänzung der Kammer einen anderen Richter bestimmt.

30      Auf Vorschlag der Sechsten Kammer hat das Gericht gemäß Art. 28 der Verfahrensordnung beschlossen, die Rechtssache an einen erweiterten Spruchkörper zu verweisen.

31      Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht (Sechste erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat im Rahmen prozessleitender Maßnahmen gemäß Art. 89 der Verfahrensordnung den Parteien Fragen gestellt sowie zum einen das Parlament aufgefordert, ihm den Beschluss zu übermitteln, mit dem es die Behörden bestimmt hatte, die im Parlament die nach dem Statut der Anstellungsbehörde übertragenen Befugnisse ausübten, und zum anderen die Kläger ersucht, die „Ad hoc-Vereinbarung vom Januar 2014“ vorzulegen, auf die sie in der Klageschrift hingewiesen haben. Diese Aufforderungen sind fristgemäß befolgt worden.

32      Die Parteien haben in der Sitzung vom 9. Oktober 2019 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

 Anträge der Parteien

33      Die Kläger beantragen,

–        den Beschluss vom 2. Juli 2018 sowie die nach der Klageerhebung erlassenen Beschlüsse aufzuheben;

–        das Parlament zum Ersatz des immateriellen Schadens zu verurteilen, der nach billigem Ermessen mit 1 000 Euro pro Person veranschlagt wird;

–        dem Parlament sämtliche Kosten aufzuerlegen.

34      Das Parlament beantragt,

–        die Klage als teilweise unzulässig und teilweise unbegründet abzuweisen;

–        den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

35      Der Rat beantragt,

–        die Klage als teilweise unzulässig und teilweise unbegründet abzuweisen;

–        über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

 Rechtliche Würdigung

 Zu den Aufhebungsanträgen

 Zur Zulässigkeit

–       Zur Zulässigkeit der Klage, soweit sie gegen die nach der Klageerhebung erlassenen Beschlüsse gerichtet ist

36      Das Parlament macht geltend, die Kläger könnten sich nicht auf Art. 86 der Verfahrensordnung stützen, um die Aufhebung der nach der Klageerhebung ergangenen Beschlüsse zu beantragen, da diese nicht den Beschluss vom 2. Juli 2018 ersetzen oder ändern sollten. Die nach der Klageerhebung ergangenen Beschlüsse könnten ungeachtet dessen, dass ihr Erlass sehr wahrscheinlich gewesen sei, nicht Gegenstand der vorliegenden Klage sein, da sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung keine Rechtswirkungen erzeugt hätten. Überdies hätten die Kläger das Vorverfahren nach Art. 90 Abs. 2 des Statuts einhalten müssen, bevor sie die Aufhebung der nach der Klageerhebung ergangenen Beschlüsse beantragt hätten.

37      Die Kläger berufen sich auf außergewöhnliche Umstände und machen sinngemäß geltend, dass sie in Anbetracht der äußerst späten Anordnung der Dienstverpflichtungsmaßnahmen die Aufhebung der nach der Klageerhebung ergangenen Beschlüsse beantragen könnten. Auch wenn es zutreffe, dass diese Beschlüsse zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht erlassen gewesen seien, sei mit ihrem Erlass sicher zu rechnen gewesen. Von ihnen zu verlangen, so viele Klagen zu erheben, wie Beschlüsse ergangen seien, wäre offensichtlich unverhältnismäßig, unangemessen und würde einer geordneten Rechtspflege zuwiderlaufen sowie gegen das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) vorgesehene Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verstoßen. Die Kläger stellen klar, das Vorverfahren nach Art. 90 Abs. 2 des Statuts eingehalten zu haben.

38      Insoweit ist auf die Rechtsprechung hinzuweisen, wonach das Gericht nur mit einem Antrag auf Anfechtung eines bestehenden beschwerenden Rechtsakts befasst werden kann (Urteil vom 16. September 2013, Bank Kargoshaei u. a./Rat, T‑8/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:470, Rn. 47).

39      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Kläger in der Klageschrift angegeben haben, die Aufhebung der „künftigen Beschlüsse über die Dienstverpflichtung von Personal für den 4., 5., 10. und 11. Juli 2018“ zu beantragen. Nach der in der vorstehenden Rn. 38 angeführten Rechtsprechung sind solche Anträge, die darauf gerichtet sind, dass das Gericht über die Rechtmäßigkeit hypothetischer, noch nicht erlassener Rechtsakte entscheidet, unzulässig und zurückzuweisen (Beschluss vom 27. Februar 2019, SFIE‑PE/Parlament, T‑401/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:132, Rn. 30). Auch wenn die Kläger geltend machen, dass mit diesen Beschlüssen am 27. Juni 2018 sowohl hinsichtlich ihres tatsächlichen Erlasses als auch ihres Inhalts sicher zu rechnen gewesen sei, räumen sie ein, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass einzelne Dolmetscher, die ursprünglich hätten dienstverpflichtet werden sollen, im letzten Augenblick, insbesondere krankheitsbedingt, hätten ersetzt werden müssen.

40      Das weitere, oben in Rn. 37 wiedergegebene Vorbringen der Kläger kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen.

41      Was erstens den angeblichen Verstoß gegen Art. 47 der Charta anbelangt, ist zu beachten, dass diese Vorschrift nicht darauf abzielt, das in den Verträgen vorgesehene System der gerichtlichen Kontrolle und insbesondere die Bestimmungen über die Zulässigkeit von Klagen bei den Gerichten der Europäischen Union zu ändern, wie dies auch aus den Erläuterungen zu diesem Art. 47 hervorgeht, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta bei deren Auslegung zu berücksichtigen sind (vgl. Urteil vom 4. Juni 2015, Andechser Molkerei Scheitz/Kommission, C‑682/13 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:356, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der angeblich verspätete Erlass der nach der Klageerhebung ergangenen Beschlüsse den Klägern nicht die Möglichkeit genommen hat, nach deren Erlass unter den in Art. 270 AEUV vorgesehenen Voraussetzungen eine Anfechtungsklage gegen diese Beschlüsse zu erheben. Das Recht der Kläger auf einen wirksamen Rechtsbehelf ist daher jedenfalls nicht verletzt worden.

43      Zweitens haben die Kläger in ihrem am 17. Juli 2018 eingereichten Anpassungsschriftsatz ausgeführt, dass die Beschlüsse, deren Erlass zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Klage zu erwarten gewesen sei, tatsächlich ergangen seien. Aufgrund dieses Anpassungsschriftsatzes sei der vorliegende Unzulässigkeitsgrund gegenstandslos.

44      Nach Art. 86 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann, wenn „ein Rechtsakt, dessen Nichtigerklärung beantragt wird, durch einen anderen Rechtsakt mit demselben Gegenstand ersetzt oder geändert [wird], … der Kläger vor Abschluss des mündlichen Verfahrens oder vor der Entscheidung des Gerichts, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden, die Klageschrift anpassen, um diesem neuen Umstand Rechnung zu tragen“.

45      Es ist jedoch festzustellen, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die nach der Klageerhebung ergangenen Beschlüsse den Beschluss vom 2. Juli 2018 oder die künftigen Beschlüsse, deren Aufhebung in der Klageschrift beantragt wurde, in diesem Sinne ersetzen oder ändern. Zum einen steht fest, dass die nach der Klageerhebung ergangenen Beschlüsse nicht dazu bestimmt sind, den Beschluss vom 2. Juli 2018, der sich nicht auf dieselben Tage bezieht und sich an andere Adressaten richtet, zu ersetzen oder zu ändern. Was zum anderen die künftigen Beschlüsse, deren Aufhebung in der Klageschrift beantragt wurde, anbelangt, ist Art. 86 Abs. 1 der Verfahrensordnung entgegen dem Vorbringen der Kläger nicht dazu geschaffen, die Zulässigkeit einer Klage herbeizuführen, die gegen zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht erlassene Beschlüsse gerichtet ist. Nach alledem fällt der von den Klägern eingereichte Schriftsatz zur Anpassung der Klageschrift nicht unter Art. 86 Abs. 1 der Verfahrensordnung.

46      Die Klage ist daher unzulässig, soweit sie sich gegen die nach der Klageerhebung ergangenen Beschlüsse richtet.

–       Zur Klagebefugnis bestimmter Kläger

47      In Beantwortung einer prozessleitenden Maßnahme des Gerichts macht das Parlament geltend, dass nur acht der 31 Kläger, die die vorliegende Klage erhoben haben, Adressaten der Entscheidung vom 2. Juli 2018 gewesen seien. Infolgedessen seien die anderen Kläger, die mit den nach der Klageerhebung ergangenen Beschlüssen dienstverpflichtet worden seien, nicht befugt, die Aufhebung des nicht an sie gerichteten Beschlusses vom 2. Juli 2018 zu beantragen.

48      Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass diejenigen, die nicht Adressaten der Entscheidung vom 2. Juli 2018 gewesen seien, im Zusammenhang mit der vorliegenden Klage dennoch individuell betroffen seien, da sie eine unter den Bediensteten des Parlaments hinreichend identifizierte Gruppe im Sinne des Urteils vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17, S. 238), darstellten. Sie seien von der Ende Mai 2018 eingereichten Streikankündigung und von allen intergewerkschaftlichen Mitteilungen erfasst und über ihre Personalvertreter im COMI an dem Prozess, der zur Vorbereitung der Entscheidung vom 2. Juli 2018 geführt habe, beteiligt gewesen.

49      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass andere Personen als die Adressaten einer Entscheidung nur dann geltend machen können, individuell betroffen zu sein, wenn diese Entscheidung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise wie einen Adressaten individualisiert (Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, S. 238; vgl. Urteil vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C‑298/00 P, EU:C:2004:240, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Vorliegend genügt der Hinweis, dass es sich bei dem Beschluss vom 2. Juli 2018 um eine Einzelfallentscheidung handelt, deren Adressaten im Sinne von Art. 263 AEUV die dienstverpflichteten Dolmetscher sind (Beschluss vom 27. Februar 2019, SFIE‑PE/Parlament, T‑401/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:132, Rn. 42). Dieser Beschluss hat diejenigen Kläger, die nicht mit ihm dienstverpflichtet wurden, nicht beeinträchtigt, da ihnen gegenüber keine Maßnahme getroffen wurde und sie in ihrer persönlichen Situation nicht berührt wurden. Folglich sind die Kläger, die nicht Adressaten des Beschlusses vom 2. Juli 2018 waren, nicht entsprechender Weise wie die Adressaten im Sinne der oben in Rn. 49 angeführten Rechtsprechung individualisiert, weshalb sie nicht befugt sind, die Aufhebung dieses Beschlusses zu beantragen.

 Zur Begründetheit

51      Die Kläger stützen ihre Klage auf drei Gründe. Mit dem ersten Klagegrund rügen sie einen Verstoß gegen das Recht auf kollektive Maßnahmen und das Recht auf Unterrichtung und Anhörung, wie sie in den Art. 27 und 28 der Charta und in der Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft – Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zur Vertretung der Arbeitnehmer (ABl. 2002, L 80, S. 29) verankert und durch die am 12. Juli 1990 zwischen dem Parlament und den GBV geschlossene Rahmenvereinbarung (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) umgesetzt worden sind, sowie eine Verletzung des in Art. 41 der Charta verbürgten Rechts auf eine gute Verwaltung. Mit dem zweiten Klagegrund machen sie die Unzuständigkeit des Urhebers der Maßnahme und einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und mit dem dritten Klagegrund einen Verstoß gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 der Charta geltend.

52      Der erste Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil wird die Verletzung des Rechts der Dolmetscher und der Konferenzdolmetscher auf Durchführung kollektiver Maßnahmen und mit dem zweiten Teil ein Verstoß gegen das Konzertierungs- und Konsultationsverfahren gerügt.

53      Im Rahmen des ersten Teils machen die Kläger geltend, das Streikrecht sei ein Grundrecht, das insbesondere in der Charta und in der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten Europäischen Sozialcharta in ihrer revidierten Fassung verankert sei. Sie räumen jedoch ein, dass ein solches Recht nicht absolut sei, sondern dass es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren müsse und seine Ausübung Beschränkungen unterworfen werden könne. Weder Art. 55 des Statuts, der nicht den Mindestdienst im Fall eines Streiks regle, noch die Rahmenvereinbarung oder der Beschluss vom 2. Juli 2018 könnten als Gesetz im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta, der Beschränkungen des Streikrechts zulasse, gelten. Es sei allgemein anerkannt, dass das Recht, im öffentlichen Dienst zu streiken, mit dem Bedürfnis, die wesentlichen Dienste zu gewährleisten, in Einklang gebracht werden müsse. Sie verweisen auf den Ausschuss zur Koalitionsfreiheit der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), der zwischen wesentlichen und anderen Diensten unterscheide. Das Parlament habe zu keiner Zeit klare und eindeutige Regeln aufgestellt, um festzulegen, welche Dienste sich als wesentlich für die Gewährleistung der Kontinuität des Dienstes erweisen könnten. Eine solche vorherige Definition hätte es ermöglicht, erst die Rechtmäßigkeit des verfolgten Ziels und dann die Erforderlichkeit der Beschränkung herauszustellen. Im vorliegenden Fall verfolge die Entscheidung vom 2. Juli 2018 kein legitimes Ziel und sei unverhältnismäßig.

54      Das Parlament entgegnet, es stelle nicht in Abrede, dass das Streikrecht ein in Art. 28 der Charta verankertes Grundrecht sei. Es weist darauf hin, dass das Streikrecht im Statut nicht geregelt sei und dass die Union grundsätzlich durch keine der Rechtsvorschriften der IAO gebunden sei, da die Union nicht Mitglied dieser Organisation sei. Entgegen dem Vorbringen der Kläger sei Art. 55 Abs. 1 des Statuts als eine gesetzlich vorgesehene Beschränkung des Streikrechts im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta anzusehen und stelle daher eine Bestimmung des Statuts dar, die Grundlage für Dienstverpflichtungen sein könne. Solche Dienstverpflichtungen seien dann gerechtfertigt, wenn Streikmaßnahmen eine Störung der Arbeit des Parlaments als Gesetzgeber, Haushaltsbehörde und Kontrollbehörde bewirkten oder gar bezweckten. Diese Maßnahmen seien daher im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta erforderlich. Was die Verhältnismäßigkeit der im Beschluss vom 2. Juli 2018 vorgesehenen Dienstverpflichtungen anbelange, habe das Parlament während der Durchführung der Streikmaßnahme den Mindestdolmetscherdienst aufs Beste angepasst. Der Beschluss vom 2. Juli 2018 sei daher unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht ernsthaft zu beanstanden.

55      Nach Ansicht des Rates enthält das Statut mehrere Bestimmungen, auf die die im Beschluss vom 2. Juli 2018 enthaltenen Dienstverpflichtungen gestützt werden könnten. Dies gelte für die Loyalitätspflicht des Beamten im Sinne von Art. 11 Abs. 1 des Statuts, wonach der Beamte die ihm übertragenen Aufgaben objektiv und unparteiisch unter Beachtung seiner Loyalitätspflicht gegenüber der Union erfülle. Ebenso hätte Art. 21 Abs. 1 des Statuts, wonach der Beamte ungeachtet seines hierarchischen Ranges seine Vorgesetzten zu unterstützen und zu beraten habe und für die Durchführung der ihm übertragenen Aufgaben verantwortlich sei, als Grundlage für den Beschluss vom 2. Juli 2018 dienen können. Auch stünden Beamten im aktiven Dienst nach Art. 55 Abs. 1 des Statuts ihrem Organ jederzeit zur Verfügung. Abschließend beruft sich der Rat auf die Fürsorgepflicht, wie sie in der Rechtsprechung entwickelt worden sei.

56      Aus Art. 28 der Charta folgt insoweit, dass die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber bzw. ihre jeweiligen Organisationen nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht haben, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen.

57      Diese Bestimmungen können in den Beziehungen zwischen den Unionsorganen und ihrem Personal Anwendung finden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, U4U u. a./Parlament und Rat, T‑17/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:489, Rn. 77; vgl. Urteil vom 13. Dezember 2018, Haeberlen/ENISA, T‑632/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:957, Rn. 189 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Außerdem sieht Art. 52 Abs. 1 der Charta vor, dass jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten muss. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

59      Aus diesem Artikel ergibt sich, dass die Einschränkung eines von der Charta geschützten Rechts nur dann mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Mai 2013, Trabelsi u. a./Rat, T‑187/11, EU:T:2013:273, Rn. 78).

60      Erstens muss die Einschränkung „gesetzlich vorgesehen“ sein. Die betreffende Maßnahme muss mit anderen Worten eine Rechtsgrundlage haben (vgl. Urteil vom 28. Mai 2013, Trabelsi u. a./Rat, T‑187/11, EU:T:2013:273, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61      Zweitens muss die Einschränkung auf ein dem Gemeinwohl dienendes Ziel ausgerichtet sein, das als solches von der Union anerkannt wird (Urteil vom 28. Mai 2013, Trabelsi u. a./Rat, T‑187/11, EU:T:2013:273, Rn. 80).

62      Drittens darf die Einschränkung nicht unverhältnismäßig sein. Zum einen muss sie erforderlich sein und in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen. Zum anderen darf der „Wesensgehalt“, also der Kern des fraglichen Rechts oder der fraglichen Freiheit nicht angetastet werden (Urteil vom 28. Mai 2013, Trabelsi u. a./Rat, T‑187/11, EU:T:2013:273, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob der Beschluss vom 2. Juli 2018 eine Einschränkung des durch Art. 28 der Charta geschützten Streikrechts darstellt und, wenn ja, ob die drei Voraussetzungen für eine solche unionsrechtskonforme Beschränkung im vorliegenden Fall erfüllt sind.

64      Das Gericht ist der Auffassung, dass der Beschluss vom 2. Juli 2018, soweit er die von der Dienstverpflichtungsmaßnahme betroffenen Dolmetscher in ihrer Möglichkeit beschränkt, sich an der kollektiven und abgestimmten Aussetzung der Arbeit zur Verteidigung ihrer Interessen zu beteiligen, eine Einschränkung der Ausübung des durch Art. 28 der Charta gewährleisteten Streikrechts darstellt. Das Parlament, das sich im Übrigen nicht gegen diese Schlussfolgerung wendet, macht jedoch geltend, dass diese Beschränkung mit dem Unionsrecht vereinbar sei.

65      Es ist daher zu prüfen, ob die im Beschluss vom 2. Juli 2018 zu sehende Einschränkung den oben in den Rn. 60 bis 62 genannten Voraussetzungen entspricht.

66      Zur Voraussetzung, dass die Einschränkung „gesetzlich vorgesehen“ sein muss, ist darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis, wonach jede Einschränkung der Ausübung des durch die Charta garantierten Rechts gesetzlich vorgesehen sein muss, bedeutet, dass die Rechtsgrundlage hinreichend klar und bestimmt sein muss und dass sie, indem sie selbst den Umfang festlegt, in dem die Ausübung dieses Rechts eingeschränkt wird, einen gewissen Schutz gegen etwaige willkürliche Beeinträchtigungen dieser Verwaltung bietet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses, C‑419/14, EU:C:2015:832, Rn. 81).

67      Im Übrigen verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit, der einen der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts darstellt, nach ständiger Rechtsprechung, dass Rechtsvorschriften, vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können, klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sein müssen (vgl. Urteil vom 18. November 2008, Förster, C‑158/07, EU:C:2008:630, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68      Zunächst ist erstens klarzustellen, dass der Beschluss vom 2. Juli 2018 Art. 55 des Statuts, die Art. 16 und 90 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union (im Folgenden: BSB) sowie die Rahmenvereinbarung betrifft.

69      Art. 16 der BSB sieht die entsprechende Anwendung von Art. 55 des Statuts auf die sonstigen Bediensteten der Union vor. Er wird daher nicht gesondert von diesem Art. 55 geprüft werden. Art. 90 der BSB bestimmt, dass abweichend von den Bestimmungen des Titels über die Vertragsbediensteten Konferenzdolmetscher, die vom Parlament oder von der Europäischen Kommission für Rechnung der Organe und Einrichtungen der Union eingestellt werden, den Bedingungen unterliegen, die in der zwischen dem Parlament, der Kommission und dem Gerichtshof der Europäischen Union, handelnd im Namen der Organe, auf der einen Seite und den Berufsverbänden auf der anderen Seite geschlossenen Übereinkunft vom 28. Juli 1999 vorgesehen sind. Dieser Artikel enthält keine Bestimmung, die als Rechtsgrundlage für die in Rede stehenden Maßnahmen der Dienstverpflichtung dienen könnte. Er wird im Übrigen von keiner der Parteien des Verfahrens geltend gemacht.

70      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass, obwohl sich der Beschluss vom 2. Juli 2018 auf Art. 55 des Statuts in seiner Gesamtheit bezieht, das Parlament klarstellt, dass es nie darum gegangen sei, ihn auf die Abs. 2, 3 oder 4 dieses Artikels zu stützen, sondern nur auf dessen Abs. 1, der eigenständige Bedeutung habe, die unabhängig von den jeweiligen Anwendungsbereichen der anderen Absätze des Artikels sei. Jedenfalls sehen die Abs. 2, 3 oder 4 von Art. 55 des Statuts keinen Rückgriff auf Dienstverpflichtungen vor, so dass sie nicht als Gesetz im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta dienen können.

71      Daher ist zu prüfen, ob Art. 55 Abs. 1 des Statuts einerseits bzw. die Rahmenvereinbarung andererseits im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta eine Rechtsgrundlage für den Beschluss vom 2. Juli 2018 darstellen konnten.

72      Als Erstes ist zu Art. 55 Abs. 1 des Statuts vorab festzustellen, dass das Statut, wie bereits in der Rechtsprechung festgestellt, zur Frage des Streikrechts schweigt (Urteil vom 18. März 1975, Acton u. a./Kommission, 44/74, 46/74 und 49/74, EU:C:1975:42, Rn. 15). Wie im Übrigen das Parlament einräumt, haben daran auch spätere Weiterentwicklungen des Statuts nichts geändert.

73      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 55 Abs. 1 des Statuts „[d]ie Beamten im aktiven Dienst … ihrem Organ jederzeit zur Verfügung [stehen]“. Es ist festzustellen, dass diese Bestimmung, die sich in Kapitel 1 („Arbeitszeit“) des Titels IV („Arbeitsbedingungen des Beamten“) befindet, keine genaue und klare Einschränkung der Ausübung des Streikrechts und erst recht nicht den Rückgriff auf Dienstverpflichtungen vorsieht. Sie enthält somit keine näheren Angaben zum Umfang der Einschränkung des Streikrechts im Sinne der oben in den Rn. 66 und 67 angeführten Rechtsprechung und kann daher nicht als Rechtsgrundlage für die in Rede stehenden Dienstverpflichtungsmaßnahmen dienen.

74      Das Vorbringen des Parlaments, Art. 55 Abs. 1 des Statuts erlaube es dem Organ, Beamte außerhalb ihrer Dienstzeiten anzufordern und dem dienstlichen Interesse Vorrang vor den normalen Dienstzeit- oder Urlaubsplänen einzuräumen, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen. Ein solches Argument kann nämlich keinen Vorrang gegenüber der durch die Charta gebotenen Notwendigkeit haben, die Ausübung eines von ihr garantierten Rechts nur durch Rückgriff auf ein hinreichend klares und genaues Gesetz zu beschränken, das selbst die Tragweite der Einschränkung der Ausübung des in Rede stehenden Rechts festlegt.

75      Aus dem Vorstehenden folgt, dass die von dem Beschluss vom 2. Juli 2018 betroffenen Artikel des Statuts, insbesondere Art. 55 Abs. 1, nicht als Rechtsgrundlage für die im Beschluss vom 2. Juli 2018 vorgesehenen Dienstverpflichtungen dienen konnten.

76      Als Zweites ist zur Rahmenvereinbarung klarzustellen, dass sich die Vertragsparteien nach Art. 8 dieser Vereinbarung verpflichten, in einem der Vereinbarung beizufügenden Protokoll ein bei einer Arbeitseinstellung durchzuführendes Schlichtungsverfahren festzulegen.

77      Es steht jedoch fest, dass das in der vorstehenden Randnummer genannte Protokoll niemals angenommen wurde. Kein anderer Artikel der Rahmenvereinbarung kann jedoch als Rechtsgrundlage für die in Rede stehenden Dienstverpflichtungsmaßnahmen dienen.

78      Infolgedessen konnte Art. 8 der Rahmenvereinbarung, selbst wenn die Beamten Rechte aus der Verletzung der Bestimmungen über die Beziehungen der Organe zu den GBV herleiten könnten, mangels Annahme des Protokolls, auf das er verweist, jedenfalls nicht als Gesetz im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta gelten.

79      Als Drittes ist zu den übrigen vom Rat angeführten Bestimmungen, Art. 11 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 des Statuts, festzustellen, dass sich der Beschluss vom 2. Juli 2018 nicht auf sie bezieht, so dass sie nicht als Rechtsgrundlage hätten dienen können. Jedenfalls haben auch sie nicht den Zweck, den Umfang der Einschränkung der Ausübung des Streikrechts im Sinne der oben in Rn. 66 angeführten Rechtsprechung festzulegen.

80      Das Gleiche gilt für die ebenfalls vom Rat geltend gemachte Fürsorgepflicht, die nach der Rechtsprechung das Gleichgewicht zwischen den wechselseitigen Rechten und Pflichten in den Beziehungen zwischen der Behörde und den öffentlichen Bediensteten widerspiegelt und insbesondere bedeutet, dass die Behörde bei der Entscheidung über die Stellung eines Beamten alle Gesichtspunkte berücksichtigt, die geeignet sind, sie in ihrer Entscheidung zu leiten, und dass sie dabei nicht nur dem dienstlichen Interesse, sondern insbesondere auch dem Interesse des betroffenen Beamten Rechnung trägt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2017, Arango Jaramillo u. a./EIB, T‑482/16 RENV, EU:T:2017:901, Rn. 131, nicht veröffentlicht, und die dort angeführte Rechtsprechung). Insoweit ist die Behörde nach diesem Grundsatz zwar verpflichtet, nicht nur das Interesse des Beamten, sondern auch das dienstliche Interesse zu berücksichtigen, doch kann sie dabei keine Entscheidungen außerhalb jedes rechtlichen Kontexts erlassen. Dieses Vorbringen ist daher zurückzuweisen.

81      Nach alledem stellen die betreffenden Dienstverpflichtungsmaßnahmen eine nicht gesetzlich vorgesehene Einschränkung des Streikrechts dar. Der Beschluss vom 2. Juli 2018 ist daher wegen Verletzung dieses Grundrechts aufzuheben, ohne dass es erforderlich wäre, die beiden anderen, oben in den Rn. 61 und 62 genannten Voraussetzungen des Art. 52 Abs. 1 der Charta und die weiteren von den Klägern geltend gemachten Klagegründe zu prüfen.

 Zum Schadensersatzanspruch

82      Die Kläger machen im Wesentlichen geltend, dass die zur Stützung ihrer Aufhebungsanträge geltend gemachten Rechtsverstöße ebenso viele Pflichtverletzungen darstellten, die, für sich genommen oder in ihrer Gesamtheit, geeignet seien, die Haftung des Parlaments auszulösen. Ihnen sei aufgrund dieser Pflichtverletzungen ein immaterieller Schaden entstanden.

83      Das Parlament ist der Ansicht, es habe im Zuge der Dienstverpflichtung der Dolmetscher und Konferenzdolmetscher keinen Rechtsverstoß begangen. Darüber hinaus stellten die Kläger, obwohl es ihre Sache sei, das tatsächliche Vorliegen des erlittenen Schadens zu beweisen, nicht klar, welcher immaterielle Schaden ihnen entstanden sein solle.

84      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Anfechtungs- und die Schadensersatzklage eigenständige Klagearten sind. Da die Art. 90 und 91 des Statuts hinsichtlich der Verwaltungs- und der gerichtlichen Verfahren zwischen diesen zwei Klagen nicht unterscheiden, kann sich der Beamte aufgrund der Eigenständigkeit dieser Rechtsbehelfe für den einen, den anderen oder für beide gemeinsam entscheiden, vorausgesetzt, der Unionsrichter wird innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der Zurückweisung seiner Beschwerde angerufen (vgl. Urteil vom 18. September 2018, Barroso Truta u. a./Gerichtshof der Europäischen Union, T‑702/16 P, EU:T:2018:557, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85      Die Rechtsprechung hat jedoch eine Ausnahme von diesem Grundsatz für den Fall vorgesehen, dass die Schadensersatzklage einen engen Zusammenhang mit der Anfechtungsklage aufweist, die im Übrigen für unzulässig erklärt würde oder werden müsste. Daher sind Schadensersatzanträge unzulässig, wenn die Schadensersatzklage ausschließlich auf die Wiedergutmachung der Folgen einer Handlung abzielt, auf die die Anfechtungsklage, die hätte für unzulässig erklärt werden können oder die für unzulässig erklärt wurde, gerichtet war (vgl. Urteil vom 18. September 2018, Barroso Truta u. a./Gerichtshof der Europäischen Union, T‑702/16 P, EU:T:2018:557, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

86      Im vorliegenden Fall beantragen die Kläger den Ersatz des Schadens, den sie aufgrund der Rechtsverstöße, die das Parlament durch den Erlass sowohl des Beschlusses vom 2. Juli 2018 als auch der nach der Klageerhebung ergangenen Beschlüsse begangen hat, erlitten haben. Aus den Rn. 38 bis 46 des vorliegenden Urteils ergibt sich aber, dass die vorliegende Klage unzulässig ist, soweit sie gegen die nach der Klageerhebung erlassenen Beschlüsse gerichtet ist. Folglich ist der vorliegende Schadensersatzantrag, soweit er darauf gerichtet ist, das Parlament zu verurteilen, den Klägern wegen der nach der Klageerhebung erlassenen Beschlüsse Schadensersatz zu leisten, als unzulässig zurückzuweisen.

87      Was den Schadensersatzantrag betrifft, der auf Ersatz des durch den Beschluss vom 2. Juli 2018 entstanden Schadens gerichtet ist, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die außervertragliche Haftung der Union im Sinne von Art. 340 Abs. 2 AEUV vom Vorliegen einer Reihe von Voraussetzungen abhängt, nämlich der Rechtswidrigkeit des dem Unionsorgan vorgeworfenen Verhaltens, dem tatsächlichen Bestehen des Schadens und dem Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten des Organs und dem geltend gemachten Schaden (vgl. Urteil vom 20. September 2016, Ledra Advertising u. a./Kommission und EZB, C‑8/15 P bis C‑10/15 P, EU:C:2016:701, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      Die Rechtsstreitigkeiten im Bereich des öffentlichen Dienstes gemäß Art. 270 AEUV und den Art. 90 und 91 des Statuts einschließlich der Rechtsstreitigkeiten, in denen es um den Ersatz des einem Beamten oder sonstigen Bediensteten entstandenen Schadens geht, unterliegen besonderen und speziellen Regeln, die sich von denen unterscheiden, die sich aus den für die außervertragliche Haftung der Union im Rahmen der Art. 268 AEUV und Art. 340 Abs. 2 AEUV geltenden allgemeinen Grundsätze ergeben. Insbesondere aus dem Statut ergibt sich nämlich, dass der Beamte oder sonstige Bedienstete der Union im Unterschied zu jeder anderen Privatperson an seine Einrichtung oder sein Organ durch ein Dienstverhältnis gebunden ist, das auf einem sich in der Fürsorgepflicht des Organs gegenüber dem Betroffenen widerspiegelnden Gleichgewicht zwischen den wechselseitigen besonderen Rechten und Pflichten beruht (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2010, Kommission/Petrilli, T‑143/09 P, EU:T:2010:531, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daraus folgt, dass die bloße Feststellung eines Rechtsverstoßes ausreicht, um die erste der drei notwendigen Voraussetzungen für die Haftung der Union für Schäden, die ihren Beamten und sonstigen Bediensteten durch einen Verstoß gegen das Recht des öffentlichen Dienstes der Union entstanden sind, als erfüllt anzusehen (Urteil vom 12. Juli 2011, Kommission/Q, T‑80/09 P, EU:T:2011:347, Rn. 45).

89      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Rn. 72 bis 81 des vorliegenden Urteils, dass die Entscheidung vom 2. Juli 2018 rechtswidrig und aufzuheben ist.

90      Zwar stellt nach ständiger Rechtsprechung in dem Fall, dass der Schadensersatzantrag auf die Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Handlung gestützt ist, die durch das Gericht erklärte Aufhebung für sich allein eine angemessene und grundsätzlich hinreichende Wiedergutmachung jeden immateriellen Schadens dar, den der Kläger erlitten haben mag (vgl. Urteil vom 18. September 2015, Wahlström/Frontex, T‑653/13 P, EU:T:2015:652, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91      Es ist jedoch entschieden worden, dass die Aufhebung einer Maßnahme, wenn ihr keine praktische Wirksamkeit zukommt, als solche keinen angemessenen und hinreichenden Ersatz des gesamten immateriellen Schadens darstellen kann, der durch die aufgehobene Maßnahme entstanden ist (Urteil vom 18. September 2015, Wahlström/Frontex, T‑653/13 P, EU:T:2015:652, Rn. 83).

92      Im vorliegenden Fall steht fest, dass alle Wirkungen des Beschlusses vom 2. Juli 2018 entfallen sind. Unter diesen Umständen stellt die Aufhebung dieses Beschlusses keine angemessene und hinreichende Wiedergutmachung des den Klägern entstandenen immateriellen Schadens dar.

93      Es ist daher festzustellen, ob die Kläger zusätzlich zu der oben in Rn. 89 genannten Rechtswidrigkeit, die eine die Haftung des Parlaments begründende Pflichtverletzung darstellt, das Vorliegen eines Schadens im Zusammenhang mit dieser Pflichtverletzung dargetan haben.

94      Aus den Rn. 72 bis 81 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass die Kläger aufgrund des Beschlusses vom 2. Juli 2018 für den 3. Juli 2018 ohne Rechtsgrundlage, die das Parlament zur Vornahme solcher Maßnahmen ermächtigt hätte, dienstverpflichtet wurden und sie daher ihr Streikrecht während der Dauer der Dienstverpflichtungen nicht wahrnehmen konnten. Außerdem erfolgten diese Dienstverpflichtungen verspätet, da sie den Klägern erst am Vorabend des Tages ihrer Durchführung mitgeteilt worden waren. Diese – zumindest bedauerlichen – Umstände haben einen immateriellen Schaden verursacht, der in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 2. Juli 2018 steht.

95      Unter diesen Umständen ist bei angemessener Würdigung des Schadens das Parlament zu verurteilen, an jede der mit dem Beschluss vom 2. Juli 2018 dienstverpflichteten Klägerinnen – Barbara Carli-Ganotis, Claudine de Seze, Maria Corina Diaconu Olszewski, Maria Provata, Irène Sevastikoglou und Benedetta Tissi – 500 Euro zu zahlen.

 Kosten

96      Nach Art. 134 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet das Gericht über die Verteilung der Kosten, wenn mehrere Parteien unterliegen.

97      Zum einen sind dem Parlament, da es unterlegen ist, seine eigenen Kosten sowie die Kosten der mit dem Beschluss vom 2. Juli 2018 dienstverpflichteten Klägerinnen einschließlich der mit dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und dem Streitbeitritt des Rates verbundenen Kosten aufzuerlegen. Zum anderen ist zu entscheiden, dass die mit den nach der Klageerhebung erlassenen Beschlüssen dienstverpflichteten Kläger, die ebenfalls unterlegen sind, ihre eigenen Kosten tragen.

98      Im Übrigen tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, gemäß Art. 138 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten. Somit trägt der Rat seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss des Generaldirektors für Personal des Europäischen Parlaments vom 2. Juli 2018 über die Dienstverpflichtung von Dolmetschern und Konferenzdolmetschern für den 3. Juli 2018 wird aufgehoben.

2.      Das Parlament wird verurteilt, einen Betrag von jeweils 500 Euro an Barbara Carli-Ganotis, Claudine de Seze, Maria Corina Diaconu Olszewski, Maria Provata, Irène Sevastikoglou und Benedetta Tissi zu zahlen.

3.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.      Das Parlament trägt seine eigenen Kosten sowie die den mit dem Beschluss vom 2. Juli 2018 dienstverpflichteten Klägerinnen entstandenen Kosten einschließlich der mit dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und dem Streitbeitritt des Rates der Europäischen Union verbundenen Kosten.

5.      Die Kläger, die mit den nach Erhebung der Klage ergangenen Beschlüssen dienstverpflichtet wurden, tragen ihre eigenen Kosten.

6.      Der Rat trägt seine eigenen Kosten.

Van der Woude

Papasavvas

Spielmann

Csehi

 

      Spineanu-Matei

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 29. Januar 2020.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.


1      Die Liste der weiteren Kläger ist nur der Fassung beigefügt, die den Parteien übermittelt wird.