Language of document : ECLI:EU:T:2011:619

Rechtssache T‑192/08

Transnational Company „Kazchrome“ AO und

ENRC Marketing AG

gegen

Rat der Europäischen Union

„Dumping – Einfuhren von Ferrosilicium mit Ursprung in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, China, Ägypten, Kasachstan und Russland – Kausalzusammenhang – Interesse der Gemeinschaft – Mangelnde Bereitschaft zur Mitarbeit – Verfügbare Daten – Status eines unter marktwirtschaftlichen Bedingungen tätigen Unternehmens – Verteidigungsrechte – Begründungspflicht“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Schädigung – Feststellung des Kausalzusammenhangs – Kriterien

(Verordnungen Nr. 384/96 des Rates, Art. 3 Abs. 6 und Art. 7, und Nr. 1225/2009 des Rates, Art. 3 Abs. 6 und 7)

2.      Völkerrechtliche Verträge – Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation – GATT 1994 – Unmittelbare Wirkung – Fehlen – Keine Möglichkeit der Berufung auf die WTO-Übereinkünfte, um die Rechtswidrigkeit einer Gemeinschaftshandlung geltend zu machen – Ausnahmen – Gemeinschaftshandlung, die die Durchführung der WTO-Übereinkünfte bezweckt oder sich ausdrücklich und speziell auf sie bezieht

(Art. 230 EG; Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen 1994)

3.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Schädigung – Ermessen der Organe – Gerichtliche Nachprüfung – Grenzen

(Verordnungen Nr. 384/96 des Rates, Art. 3, und Nr. 1225/2009 des Rates, Art. 3)

4.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Schädigung – Feststellung des Kausalzusammenhangs – Verpflichtungen der Organe

(Verordnungen Nr. 384/96 des Rates, Art. 3 Abs. 7, und Nr. 1225/2009 des Rates, Art. 3 Abs. 7)

5.      Unionsrecht – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Wahrung im Rahmen von Verwaltungsverfahren – Antidumpingverfahren

6.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Schädigung – Feststellung des Kausalzusammenhangs – Verpflichtungen der Organe

(Verordnungen Nr. 384/96 des Rates, Art. 3 Abs. 7, Nr. 172/2008 und Nr. 1225/2009 des Rates, Art. 3 Abs. 7)

7.      Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Ermittlung des Streitgegenstands – Kurze Darstellung der Klagegründe – Pauschale Bezugnahme auf andere Schriftstücke, auch wenn sie der Klageschrift beigefügt sind – Unzulässigkeit

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 21 Abs. 1 und 53 Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 44 § 1 Buchst. c)

8.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Beurteilung des Gemeinschaftsinteresses – Berücksichtigung von Daten aus einer späteren Zeit als dem Untersuchungszeitraum – Zulässigkeit

(Verordnungen Nr. 384/96 des Rates, Art. 6 Abs. 1 und 21 Abs. 1, und Nr. 1225/2009 des Rates, Art. 6 Abs. 1 und 21 Abs. 1)

9.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Beurteilung des Gemeinschaftsinteresses – Ermessen der Organe – Zu berücksichtigende Gesichtspunkte

(Verordnungen Nr. 384/96 des Rates, Art. 21 Abs. 1, und Nr. 1225/2009 des Rates, Art. 21 Abs. 1)

10.    Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Verordnung zur Einführung von Antidumpingzöllen

(Art. 253 EG)

11.    Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Durchführung der Untersuchung – Verfügbare Daten – Möglichkeit der Verwendung bei Absage eines Kontrollbesuchs

(Verordnungen Nr. 384/96 des Rates, Art. 18 Abs. 1 und 3, und Nr. 1225/2009 des Rates, Art. 18 Abs. 1 und 3)

12.    Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Umfang der Verpflichtung der Kommission, die von interessierten Parteien beigebrachten Informationen auf ihre Richtigkeit zu prüfen – Informationen, die im Rahmen der Zuerkennung des Status eines in einer Marktwirtschaft tätigen Unternehmens erteilt werden – Einbeziehung

(Verordnungen Nr. 384/96 des Rates, Art. 2 Abs. 7 Buchst. b, Art. 6 Abs. 8 und Art. 16 Abs. 1, und Nr. 1225/2009 des Rates, Art. 2 Abs. 7 Buchst. b, Art. 6 Abs. 8 und Art. 16 Abs. 1)

13.    Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Beurteilung des Gemeinschaftsinteresses – Verletzung der Verteidigungsrechte – Kein Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Verordnung zur Einführung eines endgültigen Zolls – Voraussetzungen

(Verordnungen Nr. 384/96 des Rates, Art. 3 Abs. 7, und Nr. 1225/2009 des Rates, Art. 3 Abs. 7)

1.      Die Organe müssen nach Art. 3 Abs. 6 der Antidumping-Grundverordnung Nr. 384/96 (jetzt Art. 3 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1225/2009) dartun, dass die gedumpten Einfuhren aufgrund ihres Volumens und ihres Preises den Wirtschaftszweig der Gemeinschaft erheblich schädigen (Prüfung der Zurechnung). Aus Art. 3 Abs. 7 der Grundverordnung (jetzt Art. 3 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1225/2009) ergibt sich weiter, dass die Organe zum einen alle anderen bekannten Faktoren untersuchen müssen, die den Wirtschaftszweig der Gemeinschaft zeitgleich mit den gedumpten Einfuhren schädigen, und zum anderen dafür sorgen müssen, dass die von den anderen Faktoren verursachte Schädigung nicht diesen Einfuhren zugerechnet wird (Prüfung der Nichtzurechnung).

Ziel dieser Bestimmungen ist es, dass die Organe die schädigenden Auswirkungen der gedumpten Einfuhren von denen der anderen Faktoren trennen und unterscheiden.

Zu diesem Zweck ist unter bestimmten Umständen eine gemeinsame Prüfung dieser Faktoren erforderlich. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Organe nach einer individuellen Prüfung zu dem Schluss kommen, dass sich jeder dieser anderen Faktoren nachteilig auf die Lage des Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft ausgewirkt hat, ohne dass dieser Einfluss als signifikant anzusehen wäre.

Die Prüfung des Vorhandenseins eines Kausalzusammenhangs muss nicht notwendig auf der Ebene des Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft insgesamt erfolgen, so dass jede Schädigung eines einzelnen Gemeinschaftsherstellers durch einen anderen Faktor als die gedumpten Einfuhren nicht zu berücksichtigen wäre. Denn die Organe müssen einerseits alle anderen bekannten, für den Wirtschaftszweig der Gemeinschaft zum gleichen Zeitpunkt wie die gedumpten Einfuhren schädigenden Faktoren prüfen und andererseits dafür sorgen, dass die durch diese anderen Faktoren verursachte Schädigung nicht diesen Einfuhren zugerechnet wird. Art. 3 Abs. 7 der Grundverordnung schreibt nicht vor, dass bei dieser Prüfung eine durch andere Faktoren verursachte Schädigung nur berücksichtigt werden dürfte, wenn sie dem Wirtschaftszweig der Gemeinschaft insgesamt zugefügt wurde. Daher kann es vorkommen, dass unter Umständen ein einem Gemeinschaftshersteller durch einen anderen Faktor als die gedumpten Einfuhren individuell entstandener Schaden zu berücksichtigen ist, wenn er zu der Schädigung beigetragen hat, die beim Wirtschaftszweig der Gemeinschaft insgesamt ermittelt worden ist. Eine solche Möglichkeit bedeutet jedoch nicht, dass die Organe systematisch die individuelle Lage jedes Herstellers der Gemeinschaft prüfen müssten.

(vgl. Randnrn. 30-31, 37, 41-45, 88, 180, 194-195, 209)

2.      Die Übereinkünfte der Welthandelsorganisation (WTO) gehören wegen ihrer Natur und ihrer Struktur grundsätzlich nicht zu den Vorschriften, an denen der Unionsrichter nach Art. 230 Abs. 1 EG die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Unionsorgane misst Wenn die Gemeinschaft dagegen eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung umsetzen wollte oder wenn die Unionshandlung ausdrücklich auf genaue Vorschriften der WTO-Übereinkommen verweist, ist es Sache des Unionsrichters, die Rechtmäßigkeit der fraglichen Unionshandlung anhand der Vorschriften der WTO zu prüfen. Dies gilt für die Antidumping-Grundverordnung Nr. 384/96, deren Zweck ist, die Regeln des Antidumping-Übereinkommens von 1994 soweit wie möglich in das Unionsrecht zu übertragen. Auch wenn zudem die Auslegungen des Antidumping-Übereinkommens durch das Streitbeilegungsgremium der WTO für das Gericht bei seiner Bewertung der Gültigkeit einer Verordnung nicht bindend sind, darf das Gericht dennoch darauf Bezug nehmen, wenn es um die Auslegung einer Bestimmung der Grundverordnung geht.

(vgl. Randnrn. 32-33, 36)

3.      Die Beantwortung der Frage, ob dem Wirtschaftszweig der Gemeinschaft eine Schädigung zugefügt wurde und ob diese auf die gedumpten Einfuhren zurückzuführen ist, sowie der Frage, ob andere bekannte Faktoren die Schädigung des Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft mitverursacht haben, setzt die Beurteilung komplexer wirtschaftlicher Fragen voraus, bei denen die Organe über ein weites Ermessen verfügen. Die Kontrolle der Wertungen der Organe durch den Unionsrichter ist daher auf die Prüfung zu beschränken, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt wurde, zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Beurteilung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen.

(vgl. Randnrn. 51, 90, 164)

4.      Es kann nicht behauptet werden, dass die Prüfung des Kausalzusammenhangs zwischen den gedumpten Einfuhren und der Schädigung des Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft auf der Grundlage der theoretischen, nominalen Nutzungskapazität und nicht auf der Grundlage der tatsächlichen Nutzungskapazität zwangsläufig den Grundsatz der Nichtzurechnung verletze. Denn auch wenn eine Umwidmung der Produktionsmittel für einen anderen Markt zu einer Anpassung der Daten zur Produktionskapazität führen muss, müssen diese Daten nicht sämtliche vorübergehenden Abschaltungen der Produktionsanlagen wiedergeben. Dagegen müssen die Organe unter diesen Umständen die Einhaltung der Pflichten aus Art. 3 Abs. 7 der Antidumping-Grundverordnung Nr. 384/96 (jetzt Art. 3 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1225/2009) sicherstellen und eine ordnungsgemäße Prüfung der Nichtzurechenbarkeit durchführen, die die gegebenenfalls durch die zeitweiligen Produktionsunterbrechungen verursachte Schädigung von der durch die gedumpten Einfuhren verursachten Schädigung trennt und unterscheidet.

(vgl. Randnrn. 105, 109)

5.      Die Erfordernisse, die sich aus der Wahrung der Verteidigungsrechte ergeben, sind nicht nur im Rahmen von Verfahren, die zu Sanktionen führen können, zu berücksichtigen, sondern auch in den Untersuchungsverfahren, die dem Erlass von Antidumpingverordnungen vorausgehen, die die betroffenen Unternehmen unmittelbar und individuell berühren und nachteilige Auswirkungen auf diese haben können. Insbesondere müssen die betroffenen Unternehmen im Laufe des Verwaltungsverfahrens in die Lage versetzt worden sein, ihren Standpunkt zur Richtigkeit und Erheblichkeit der behaupteten Tatsachen und Umstände sowie zu den Beweisen, auf die die Kommission ihren Vorwurf des Vorliegens eines Dumpings und eines daraus resultierenden Schadens stützt, sachgerecht zu vertreten.

Was die Inkohärenzen und Ungereimtheiten der wesentlichen Tatsachen und Erwägungen angeht, auf deren Grundlage die Einführung vorläufiger Antidumpingzölle beabsichtigt ist, darf eine interessierte Partei die Missachtung ihrer Verteidigungsrechte nicht mit dem Vorliegen von materiellen Fehlern verwechseln, die die Rechtmäßigkeit der Verordnung zur Einführung endgültiger Antidumpingzölle berühren können. Dieser Umstand beweist nämlich insoweit nicht, dass die Kommission diese Rechte verletzt hat. Auf jeden Fall erfordert die Wahrung der Verteidigungsrechte nicht, dass die Organe auf jedes von einem ausführenden Hersteller im Laufe des Verfahrens vorgetragene Argument antworten, sondern nur, dass sie die interessierten Parteien in die Lage versetzen, ihre Interessen verteidigen zu können.

(vgl. Randnrn. 110, 319, 321, 326-327, 332)

6.      Die Organe verletzen Art. 3 Abs. 7 der Antidumping-Grundverordnung Nr. 384/96 (jetzt Art. 3 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1225/2009), wenn sie es unterlassen, die Auswirkungen der vom Wirtschaftszweig der Gemeinschaft während des Untersuchungszeitraums getätigten erheblichen Investitionen von denen der gedumpten Einfuhren zu trennen und zu unterscheiden. Das gleiche gilt für die Unterlassung der Organe, den Einfluss der fehlenden Rentabilität bestimmter Erzeuger in der Gemeinschaft auf den Wirtschaftszweig der Gemeinschaft insgesamt zu bewerten.

Eine solche Verletzung rechtfertigt die Nichtigerklärung einer Durchführungsverordnung wie der Verordnung Nr. 172/2008 jedoch nur dann, wenn dadurch ihre Rechtmäßigkeit in Frage gestellt werden kann, indem die gesamte Prüfung des Kausalzusammenhangs durch die Organe entwertet wird. Dies ist dann nicht der Fall, wenn diese Investitionen nicht wesentlich während des Untersuchungszeitraums zu dem vom Wirtschaftszweig der Gemeinschaft erlittenen Schaden beigetragen haben.

(vgl. Randnrn. 116, 119-120, 180-182, 211)

7.      Jede Klageschrift muss nach Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs, der gemäß Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, und nach Art. 44 § 1 Buchst. c und d der Verfahrensordnung des Gerichts den Streitgegenstand, die Klageanträge und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Diese Angaben müssen so klar und genau sein, dass dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung über die Klage ermöglicht wird. Um die Rechtssicherheit und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit einer Klage erforderlich, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sich die Klage stützt, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben. Wenngleich der Text der Klageschrift zu bestimmten Punkten durch Bezugnahmen auf als Anlagen beigefügte Unterlagen untermauert und ergänzt werden darf, so kann eine pauschale Bezugnahme auf andere Schriftstücke, auch wenn sie der Klageschrift als Anlage beigefügt sind, doch nicht das Fehlen der wesentlichen Bestandteile der rechtlichen Ausführungen ausgleichen, die in der Klageschrift enthalten sein müssen.

(vgl. Randnr. 212)

8.      Art. 6 Abs. 1 der Antidumping-Grundverordnung Nr. 384/96 (jetzt Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1225/2009) ist nicht auf die Feststellung des Vorliegens eines Gemeinschaftsinteresses im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Grundverordnung (jetzt Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1225/2009) anwendbar, was bedeutet, dass die Daten aus einer späteren Zeit als dem Untersuchungszeitraum im Rahmen dieser Feststellung berücksichtigt werden können. Die Festlegung eines Untersuchungszeitraums und das Verbot der Berücksichtigung späterer Gegebenheiten sollen nämlich gewährleisten, dass die Untersuchungsergebnisse repräsentativ und verlässlich sind. Mit dem in Art. 6 Abs. 1 der Grundverordnung vorgesehenen Untersuchungszeitraum soll insbesondere sichergestellt werden, dass die Umstände, die der Feststellung des Dumpings und der Schädigung zugrunde liegen, nicht durch das Verhalten der betroffenen Hersteller nach der Einleitung des Antidumpingverfahrens beeinflusst werden und dass der am Ende des Verfahrens eingeführte endgültige Zoll somit geeignet ist, der sich aus dem Dumping ergebenden Schädigung tatsächlich abzuhelfen.

Ferner enthält Art. 21 der Grundverordnung keinerlei zeitliche Beschränkung bezüglich der Informationen, die die Organe zur Feststellung des Vorliegens eines Gemeinschaftsinteresses berücksichtigen können. Andererseits erfordert die Prüfung des Gemeinschaftsinteresses eine Einschätzung der möglichen Folgen sowohl der Anwendung als auch der Nichtanwendung der im Interesse des Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft anvisierten Maßnahmen für das Gemeinschaftsinteresse und für die übrigen in Frage stehenden Interessen. Diese Einschätzung erfordert eine Prognose, die auf der Grundlage möglicher künftiger Ereignisse eine Beurteilung komplexer wirtschaftlicher Sachverhalte umfasst. Für diese verfügt die Kommission über ein weites Ermessen, und die Kontrolle des Unionsrichters ist deshalb darauf beschränkt, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, ob der Sachverhalt, der der beanstandeten Entscheidung zugrunde gelegt wurde, zutreffend festgestellt wurde und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen.

(vgl. Randnrn. 221-224, 227)

9.      Die Einschätzung des Gemeinschaftsinteresses im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Antidumping-Grundverordnung Nr. 384/96 (jetzt Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1225/2009) erfordert die Abwägung der Interessen der verschiedenen betroffenen Parteien und des allgemeinen Interesses. Die Kommission hat ein weites Ermessen bei der Bewertung des Gemeinschaftsinteresses, das von Fall zu Fall nach Maßgabe aller relevanten Tatsachen auszuüben ist. Dennoch kann eine frühere Entscheidung, die den in der Vergangenheit verhängten Antidumping-Maßnahmen die Korrektivwirkung auf die Einfuhren eines identischen Produkts aus denselben Staaten wie jenen, die von dem Untersuchungsverfahren betroffen sind, abgesprochen hat, im Rahmen der Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Grundverordnung bedeutsam sein, wenn sie dazu beitragen kann aufzuzeigen, dass die Einführung von Antidumping-Maßnahmen nicht im allgemeinen Interesse liegt.

(vgl. Randnrn. 240-241)

10.    Die nach Art. 253 EG vorgeschriebene Begründung muss die Überlegungen der Unionsbehörde, die den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die getroffene Maßnahme entnehmen können, damit sie ihre Rechte vertreten können und der Unionsrichter seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Dagegen brauchen die Organe in der Begründung einer vorläufigen oder endgültigen Verordnung nicht auf alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte einzugehen, die von den Beteiligten während des Verwaltungsverfahrens vorgetragen worden sind. Da die Kommission eine klare und unzweideutige Prüfung der Folgen der Antidumping-Maßnahmen für die betroffenen Verwender und der Rat eine zwar knappere, aber nicht weniger klare Prüfung des Einflusses der Einführung von Antidumping-Zöllen auf diese Verwender vorgenommen hat, kann den Organen keine Verletzung der Begründungspflicht vorgeworfen werden.

(vgl. Randnrn. 256-257)

11.    Im Bereich der im Lauf eines Antidumpingverfahrens durchgeführten Ermittlungen ist die Absage eines Kontrollbesuchs durch eine interessierte Partei nicht anhand von Art. 18 Abs. 3 der Antidumping-Grundverordnung Nr. 384/96 (jetzt Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1225/2009), sondern von Abs. 1 (jetzt Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1225/2009) zu würdigen. Denn einerseits fällt die Absage eines Kontrollbesuchs nicht unter die drei letzten von Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung erfassten Fallgruppen, doch muss sie, abgesehen von Fällen höherer Gewalt, als Verweigerung des Zugangs zu den von der Kommission für erforderlich gehaltenen Informationen im Sinne der ersten Fallgruppe dieser Vorschrift eingestuft werden. Andererseits kann Art. 18 Abs. 3 der Grundverordnung nicht dazu dienen, eine Pflicht zur Duldung eines Kontrollbesuchs zu umgehen, wenn ein solcher Besuch von den Kommissionsdienststellen als erforderlich erachtet wird. Zwar ist die Verwendung der verfügbaren Daten nach dieser Bestimmung bei einer schlechten Datenqualität nur ausgeschlossen, wenn die betroffene Partei sich nach besten Kräften bemüht hat. Im Fall der Verweigerung eines Kontrollbesuchs kann eine Partei jedoch nicht geltend machen, sich so verhalten zu haben.

Was den Zweck von Art. 18 Abs. 1 der Grundverordnung angeht, hängen der Rat und die Kommission von der freiwilligen Mitwirkung der betroffenen Parteien ab, damit diese ihnen innerhalb der gesetzten Fristen die erforderlichen Informationen übermitteln, da diese Verordnung der Kommission keine Untersuchungsgewalt überträgt, durch die sie die von einer Beschwerde betroffenen Hersteller oder Ausführer dazu zwingen könnte, an der Untersuchung teilzunehmen oder Auskünfte zu erteilen. Die Weigerung, einen Kontrollbesuch zu empfangen, verstößt gegen den Grundsatz der loyalen und gewissenhaften Zusammenarbeit, dessen Beachtung Art. 18 Abs. 1 der Grundverordnung sicherstellen soll.

Schließlich ergibt sich aus einer Untersuchung der Systematik der Grundverordnung, dass die Organe zu entscheiden haben, ob sie es zur Überprüfung der von einer interessierten Partei gelieferten Informationen für erforderlich halten, diese Informationen durch einen Kontrollbesuch in den Räumen dieser Partei zu erhärten, und andererseits, dass in dem Fall, in dem eine betroffene Partei die Überprüfung der von ihr gelieferten Daten behindert, Art. 18 der Grundverordnung anwendbar ist und die verfügbaren Daten verwendet werden können.

(vgl. Randnrn. 270-276)

12.    Da Art. 6 Abs. 8 der Antidumping-Grundverordnung Nr. 384/96 (jetzt Art. 6 Abs. 8 der Verordnung Nr. 1255/2009) den Umfang der Pflicht zur Überprüfung der für die Feststellungen der Organe verwendeten Daten nicht beschränkt, erstreckt sich diese Pflicht auf die von einer interessierten Partei im Rahmen des Antrags auf Zuerkennung des Status eines in einer Marktwirtschaft tätigen Unternehmens vorgelegten Informationen. Zudem enthält Art. 16 Abs. 1 der Grundverordnung (jetzt Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1225/2009) keine Beschränkung der Möglichkeit, Kontrollbesuche in den Räumen der interessierten Parteien durchzuführen, wenn die Kommission dies zur Erhärtung bestimmter Informationen für angemessen erachtet. Daraus folgt, dass diese Bestimmung es der Kommission erlaubt, einen Besuch in den Räumen eines ausführenden Herstellers durchzuführen, um seinen Antrag auf Zuerkennung des Status eines in einer Marktwirtschaft tätigen Unternehmens zu bearbeiten und sich von der Richtigkeit der in diesem Zusammenhang vorgelegten Informationen zu überzeugen, wenn sie dies für erforderlich hält.

Daher bedeutet die Tatsache, dass Art. 2 Abs. 7 Buchst. b der Antidumping-Grundverordnung Nr. 384/96 (jetzt Art. 2 Abs. 7 Buchst. b der Verordnung Nr. 1225/2009) keinen Kontrollbesuch in den Räumen des ausführenden Herstellers, der die Zuerkennung des Status eines in einer Marktwirtschaft tätigen Unternehmens beantragt hat, vorschreibt, nicht, dass ein solcher Besuch nicht stattfinden darf. Ebenso kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Durchführung eines Kontrollbesuchs im Rahmen der Behandlung eines Antrags auf Zuerkennung dieses Status eine zusätzliche Bedingung zu Art. 2 Abs. 7 Buchst. b der Grundverordnung hinzufügt.

(vgl. Randnrn. 294-296)

13.    In einem Antidumpingverfahren sind die Organe nicht gehalten, von den Gemeinschaftsherstellern Erläuterungen zur Entwicklung ihrer wirtschaftlichen Situation zu verlangen, da diese Hersteller keine Prüfung der Nichtzurechnung nach Art. 3 Abs. 7 der Antidumping-Grundverordnung Nr. 384/96 (jetzt Art. 3 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1225/2009) durchführen müssen. Dagegen muss eine solche Prüfung von den Organen zur vorläufigen und endgültigen Feststellung erfolgen. Außerdem kann, selbst wenn man unterstellt, dass der Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte verlangt, dass die ausführenden Hersteller über die wesentlichen Tatsachen und Überlegungen, aufgrund deren die Einführung vorläufiger Zölle beabsichtigt wird, informiert werden, die Nichtbeachtung dieser Rechte als solche nicht zur Ungültigkeit der Verordnung zur Einführung endgültiger Zölle führen, sofern im Lauf des Verfahrens zum Erlass dieser Verordnung der Mangel des Verfahrens zum Erlass der entsprechenden Verordnung, mit der vorläufige Zölle eingeführt wurden, geheilt wird.

(vgl. Randnrn. 314, 319)