Language of document : ECLI:EU:T:2021:484

BESCHLUSS DER PRÄSIDENTIN
DER SECHSTEN KAMMER DES GERICHTS

7. Juli 2021(*)

„Streithilfe – Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits“

In der Rechtssache T‑8/21,

IFIC Holding AG mit Sitz in Düsseldorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Franz und N. Bornemann,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und J. Roberti di Sarsina als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses C(2020) 2813 final der Kommission vom 28. April 2020 über die Erteilung einer Genehmigung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen an die Clearstream Banking AG,

erlässt

DIE PRÄSIDENTIN DER SECHSTEN KAMMER DES GERICHTS

folgenden

Beschluss

 Sachverhalt und Verfahren

1        Mit Klageschrift, die am 10. Januar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin, die IFIC Holding AG, Klage erhoben auf Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses C(2020) 2813 final der Kommission vom 28. April 2020 über die Erteilung einer Genehmigung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen (ABl. 1996, L 309, S. 1) (im Folgenden: Blocking-Verordnung) an die Clearstream Banking AG (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

2        Mit Schriftsatz, der am 12. April 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Clearstream Banking AG beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

3        Der Antrag auf Zulassung zur Streithilfe ist den Parteien nach Art. 144 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts zugestellt worden.

4        Mit ihrer am 6. Mai 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Stellungnahme hat die Klägerin gegen den Antrag auf Zulassung zur Streithilfe Einwände erhoben. Die Kommission hat sich ihrerseits hierzu nicht geäußert.

 Rechtliche Würdigung

5        Nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach deren Art. 53 Abs. 1 auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, können alle Personen, die ein berechtigtes Interesse am Ausgang eines beim Gericht anhängigen Rechtsstreits glaubhaft machen, diesem beitreten, es sei denn, es handelt sich um einen Rechtsstreit zwischen Mitgliedstaaten, zwischen Organen der Union oder zwischen Mitgliedstaaten und Organen der Union.

6        Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff des berechtigten Interesses am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs nach dem Gegenstand des Rechtsstreits selbst zu bestimmen und als ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran zu verstehen, wie die Klageanträge selbst beschieden werden, und nicht als ein Interesse an den geltend gemachten Angriffs- und Verteidigungsmitteln. Denn unter dem „Ausgang eines … Rechtsstreits“ ist die beantragte Endentscheidung zu verstehen, wie sie sich im Tenor der Entscheidung niederschlagen würde (vgl. Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016, Kommission/Spanien u. a., C‑128/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:1007, Rn. 9 und die dort angeführte Rechtsprechung).

7        Insoweit ist insbesondere zu prüfen, ob derjenige, der einen Antrag auf Zulassung zur Streithilfe stellt, von der angefochtenen Handlung unmittelbar betroffen ist und ob sein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits erwiesen ist. Grundsätzlich kann nur dann angenommen werden, dass ein berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hinreichend unmittelbar ist, wenn der Ausgang des Rechtsstreits eine Änderung der Rechtsstellung des Antragstellers bewirken könnte (Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 17. Mai 2018, Vereinigte Staaten von Amerika/Apple Sales International u. a., C‑12/18 P(I), nicht veröffentlicht, EU:C:2018:330, Rn. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung).

8        Derjenige, der die Zulassung zur Streithilfe beantragt, hat zu beweisen, dass er die oben genannten Voraussetzungen erfüllt (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. Oktober 2011, Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie u. a./Rat u. a., C‑3/11 P(I), nicht veröffentlicht, EU:C:2011:665, Rn. 31, sowie Beschluss vom 13. Juni 2019, Naturgy Energy Group/Kommission, T‑328/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:440, Rn. 8).

9        Im vorliegenden Fall bringt die Antragstellerin des Streithilfeantrags (im Folgenden: Antragstellerin) zur Glaubhaftmachung ihres berechtigten Interesses am Ausgang des Rechtsstreits vor, dass sie die Adressatin des angefochtenen Beschlusses sei und durch diesen unmittelbar begünstigt werde. Insbesondere werde sie durch die in dem Beschluss erteilte Genehmigung bei Vornahme gewisser Handlungen vom Anwendungsbereich der Blocking-Verordnung befreit, soweit sie sich dabei im Einklang mit bestimmten Gesetzen und Rechtsvorschriften der Vereinigten Staaten von Amerika, die im Anhang zur Blocking-Verordnung aufgeführt seien, verhalte. Die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses würde bedeuten, dass sie sich nicht länger auf diese Genehmigung berufen könne und bei Fortführung ihres Handelns im Einklang mit den von der Genehmigung erfassten Rechtsvorschriften der Vereinigten Staaten von Amerika Gefahr liefe, dass gegen sie ein Bußgeld verhängt werde, so dass es zu einer nachteiligen Änderung ihrer gegenwärtigen Rechtsstellung käme.

10      Wie sich aus dem angefochtenen Beschluss ergibt, ist dieser auf Antrag der Antragstellerin erlassen worden und an sie gerichtet. Insbesondere hat der angefochtene Beschluss der Antragstellerin in Abweichung von der Blocking-Verordnung erlaubt, bestimmten Rechtsvorschriften der Vereinigten Staaten von Amerika nachzukommen.

11      Der angefochtene Beschluss hat somit die Rechtsstellung der Antragstellerin geändert, indem er ihr ein bestimmtes Verhalten gestattete. Folglich hat sie ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran, dass dieser Beschluss nicht für nichtig erklärt wird.

12      Zwar geht, wie die Klägerin ausführt, aus dem angefochtenen Beschluss auch hervor, dass seine Gültigkeit auf zwölf Monate ab seiner Zustellung beschränkt war. Darüber hinaus sah der Beschluss auch vor, dass der Adressat des Beschlusses drei Monate vor Ablauf dieses Gültigkeitszeitraums eine erneute Genehmigung bei der Kommission beantragen oder sie über seine Absicht, dies nicht zu tun, informieren musste.

13      Die Klägerin beruft sich auf diese beschränkte Gültigkeit, die im vorliegenden Fall am 28. April 2021 geendet habe, um zu argumentieren, dass die Antragstellerin kein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Ausgang des vorliegenden Verfahrens habe.

14      Selbst wenn man allerdings davon ausgehen wollte, dass der Gültigkeitszeitraum des angefochtenen Beschlusses abgelaufen sei, hätte er gleichwohl während dieses Zeitraums gegenüber der Antragstellerin rechtliche Wirkungen entfaltet, und die Antragstellerin hätte somit ein erwiesenes Interesse am Schicksal dieses Beschlusses, insbesondere daran, dass diese Wirkungen fortbestehen, soweit sie bestimmte Handlungen auf der Grundlage der durch diesen Beschluss erteilten Genehmigung vorgenommen hat. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin kann die Antragstellerin nämlich ein Interesse daran haben, dass der angefochtene Beschluss nicht für nichtig erklärt wird, um sich hinsichtlich ihres Verhaltens auf der Grundlage dieses Beschlusses auf ihn zu berufen.

15      Daraus folgt, dass die Antragstellerin ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat, unabhängig davon, ob ihr bei Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses Bußgelder drohen könnten; diese Frage hat das Gericht im Rahmen des vorliegenden Beschlusses nicht zu entscheiden.

16      Die übrigen Argumente der Klägerin, nämlich, dass die Antragstellerin bereits im Rahmen des Verfahrens, das zum Erlass des angefochtenen Beschlusses führte, Stellung genommen habe, dass die Antragstellerin einer Genehmigung wie der im angefochtenen Beschluss vorgesehenen in der Vergangenheit kein Interesse beigemessen habe, dass die Antragstellerin die Blocking-Verordnung missachtet habe oder aber, dass die Antragstellerin lediglich daran interessiert sei, die Ausführungen der Kommission in Erfahrung zu bringen, sind für die Prüfung im Rahmen des vorliegenden Beschlusses nicht von Belang.

17      Da der Antrag auf Zulassung zur Streithilfe gemäß Art. 143 der Verfahrensordnung gestellt worden ist und die Antragstellerin ihr berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits glaubhaft gemacht hat, ist sie nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der gemäß deren Art. 53 Abs. 1 auf Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, zur Streithilfe zuzulassen.

Aus diesen Gründen hat

DIE PRÄSIDENTIN DER SECHSTEN KAMMER DES GERICHTS

beschlossen:

1.      Die Clearstream Banking AG wird in der Rechtssache T8/21 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Europäischen Kommission zugelassen.

2.      Clearstream Banking wird eine Kopie sämtlicher Verfahrensschriftstücke durch den Kanzler zugestellt.

3.      Clearstream Banking wird eine Frist zur Einreichung eines Streithilfeschriftsatzes gesetzt.

4.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 7. Juli 2021

Der Kanzler

 

      Die Präsidentin

E. Coulon

 

      A. Marcoulli


*      Verfahrenssprache: Deutsch.