Language of document : ECLI:EU:C:2017:2

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MELCHIOR WATHELET

vom 10. Januar 2017(1)

Rechtssache C‑682/15

Berlioz Investment Fund SA

gegen

Directeur de l’administration des Contributions directes

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour administrative [Verwaltungsgerichtshof, Luxemburg])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2011/16/EU – Art. 1 Abs. 1 – Art. 5 – Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung – Informationsaustausch zwischen Steuerverwaltungen – Begriff der ‚voraussichtlichen Erheblichkeit‘ der erbetenen Informationen – Weigerung eines im ersuchten Staat ansässigen Dritten, bestimmte Informationen zu übermitteln – Sanktionen – Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 – Art. 51 Abs. 1 – Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf – Rechtsbehelf gegen ein Informationsersuchen an einen Dritten“






I –    Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Wesentlichen die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 der Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG(2) sowie von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2.        Dieses Ersuchen ergeht im besonderen Klima der jüngsten Enthüllungen von „Finanzskandalen“(3) und anderer etwaiger Steuervorteile, die bestimmte Länder multinationalen Gesellschaften gewähren und von denen die Presse in den letzten Monaten berichtet hat(4). Die besagten Ereignisse haben bei einer großen Zahl von Bürgern den Wunsch nach einer größeren Transparenz und einer größeren Gerechtigkeit auf diesem Gebiet hervorgerufen, bei einigen sogar Unverständnis über das Fehlen einer steuerlichen Harmonisierung innerhalb der Europäischen Union.

3.        In diesem Kontext werden die Rechtsinstrumente, die eine verbesserte Bekämpfung des Steuerbetrugs ermöglichen – wie die Richtlinie 2011/16 –, von den Mitgliedstaaten zunehmend genutzt. Aufgrund des verstärkten Rückgriffs auf diese Mittel stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Ausgleich zwischen einer effizienten Verwaltung einerseits und der Wahrung der Rechte der Bürger, darunter des Anspruchs auf einen wirksamen Rechtsbehelf, andererseits.

4.        Diese schwierige Austarierung bildet letztlich den Kern der Vorlagefragen der Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof, Luxemburg).

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      Charta

5.        Art. 47 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“) der Charta lautet:

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.“

2.      Richtlinie 2011/16

6.        Der neunte Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/16 lautet:

„Mitgliedstaaten sollten Informationen über einzelne Fälle austauschen, wenn sie von einem anderen Mitgliedstaat darum ersucht werden, und sollten die notwendigen Ermittlungen durchführen, um die betreffenden Informationen zu beschaffen. Mit dem Standard der ‚voraussichtlichen Erheblichkeit‘ soll gewährleistet werden, dass ein Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten im größtmöglichen Umfang stattfindet, und zugleich klargestellt werden, dass es den Mitgliedstaaten nicht gestattet ist, sich an Beweisausforschungen (‚fishing expeditions‘) zu beteiligen oder um Informationen zu ersuchen, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie für die Steuerangelegenheiten eines bestimmten Steuerpflichtigen erheblich sind. Zwar enthält Artikel 20 dieser Richtlinie Verfahrensvorschriften, aber diese müssen großzügig ausgelegt werden, damit der effiziente Informationsaustausch nicht vereitelt wird.“

7.        In Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2011/16 heißt es:

„Diese Richtlinie legt die Regeln und Verfahren fest, nach denen die Mitgliedstaaten untereinander im Hinblick auf den Austausch von Informationen zusammenarbeiten, die für die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten über die in Artikel 2 genannten Steuern voraussichtlich erheblich sind.“

8.        Art. 5 der Richtlinie 2011/16 lautet:

„Auf Ersuchen der ersuchenden Behörde übermittelt die ersuchte Behörde der ersuchenden Behörde alle in Artikel 1 Absatz 1 genannten Informationen, die sie besitzt oder die sie im Anschluss an behördliche Ermittlungen erhalten hat.“

9.        In Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2011/16 heißt es:

„Die ersuchte Behörde unterrichtet die ersuchende Behörde innerhalb eines Monats nach Erhalt des Ersuchens über eventuell bestehende Mängel in dem Ersuchen und gegebenenfalls erforderliche zusätzliche Hintergrundinformationen. In diesem Fall beginnt die Frist gemäß Absatz 1 am Tag nach dem Eingang der von der ersuchten Behörde angeforderten zusätzlichen Informationen.“

10.      Art. 17 („Beschränkungen“) der Richtlinie 2011/16 lautet:

„(1)      Eine ersuchte Behörde eines Mitgliedstaats erteilt einer ersuchenden Behörde eines anderen Mitgliedstaats die Informationen gemäß Artikel 5 unter der Voraussetzung, dass die ersuchende Behörde die üblichen Informationsquellen ausgeschöpft hat, die sie unter den gegebenen Umständen zur Erlangung der erbetenen Informationen genutzt haben könnte, ohne die Erreichung ihres Ziels zu gefährden.

(2)      Die vorliegende Richtlinie verpflichtet einen ersuchten Mitgliedstaat nicht zu Ermittlungen oder zur Übermittlung von Informationen, wenn die Durchführung solcher Ermittlungen bzw. die Beschaffung der betreffenden Informationen durch diesen Mitgliedstaat für seine eigenen Zwecke mit seinen Rechtsvorschriften unvereinbar wäre.

(3)      Die zuständige Behörde eines ersuchten Mitgliedstaats kann die Übermittlung von Informationen ablehnen, wenn der ersuchende Mitgliedstaat seinerseits aus rechtlichen Gründen nicht zur Übermittlung entsprechender Informationen in der Lage ist.

(4)      Die Übermittlung von Informationen kann abgelehnt werden, wenn sie zur Preisgabe eines Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnisses oder eines Geschäftsverfahrens führen würde oder wenn die Preisgabe der betreffenden Information die öffentliche Ordnung verletzen würde.

(5)      Die ersuchte Behörde teilt der ersuchenden Behörde die Gründe mit, aus denen ein Auskunftsersuchen abgelehnt wurde.“

11.      In Art. 18 („Pflichten“) der Richtlinie 2011/16 heißt es:

„(1)      Ersucht ein Mitgliedstaat im Einklang mit dieser Richtlinie um Informationen, so trifft der ersuchte Mitgliedstaat die ihm zur Beschaffung von Informationen zur Verfügung stehenden Maßnahmen, um sich die erbetenen Informationen zu verschaffen, auch wenn dieser Mitgliedstaat solche Informationen möglicherweise nicht für eigene Steuerzwecke benötigt. Diese Verpflichtung gilt unbeschadet des Artikels 17 Absätze 2, 3 und 4, der jedoch nicht so ausgelegt werden kann, dass sich ein ersuchter Mitgliedstaat darauf berufen kann, um die Bereitstellung der Informationen allein deshalb abzulehnen, weil er kein eigenes Interesse daran hat.

(2) Artikel 17 Absätze 2 und 4 ist in keinem Fall so auszulegen, dass die ersuchte Behörde eines Mitgliedstaats die Erteilung von Informationen nur deshalb ablehnen kann, weil die Informationen sich bei einer Bank, einem sonstigen Finanzinstitut, einem Bevollmächtigten, Vertreter oder Treuhänder befinden oder sich auf Eigentumsanteile an einer Person beziehen.

…“

12.      Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2011/16 schließlich bezeichnet die Mindestinformationen, die in den im Rahmen des Informationsaustauschs verwendeten Standardformblättern enthalten sein müssen. Diese Vorschrift lautet:

„Das Standardformblatt nach Absatz 1 beinhaltet zumindest die folgenden Informationen, die von der ersuchenden Behörde zu übermitteln sind:

a)      die Bezeichnung der Person, der die Untersuchung oder Ermittlung gilt;

b)      der steuerliche Zweck, zu dem die Informationen beantragt werden.

Die ersuchende Behörde kann – soweit bekannt und im Einklang mit den Entwicklungen auf internationaler Ebene – Name und Anschrift jeder Person, von der angenommen wird, dass sie über die gewünschten Informationen verfügt, wie auch jede Angabe übermitteln, welche die Beschaffung von Informationen durch die ersuchte Behörde erleichtern könnte.“

B –    Luxemburgisches Recht

1.      Gesetz vom 29. März 2013

13.      Die Richtlinie 2011/16 ist mit dem Gesetz vom 29. März 2013 „zur Umsetzung der Richtlinie 2011/16 …“ (im Folgenden: Gesetz vom 29. März 2013) in luxemburgisches Recht umgesetzt worden.

14.      Art. 6 des Gesetzes vom 29. März 2013 sieht vor:

„Auf Ersuchen der ersuchenden Behörde übermittelt die ersuchte luxemburgische Behörde ihr alle für die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts des ersuchenden Mitgliedstaats über die in Artikel 1 genannten Steuern voraussichtlich erheblichen Informationen, die sie besitzt oder die sie im Anschluss an behördliche Ermittlungen erhalten hat.“

15.      Art. 8 Abs. 1 des Gesetzes vom 29. März 2013 bestimmt:

„Die ersuchte luxemburgische Behörde stellt die in Artikel 6 genannten Informationen möglichst rasch, spätestens jedoch sechs Monate nach dem Datum des Eingangs des Ersuchens zur Verfügung. Ist die ersuchte luxemburgische Behörde jedoch bereits im Besitz dieser Informationen, so werden sie innerhalb von zwei Monaten ab jenem Datum zur Verfügung gestellt.“

2.      Gesetz vom 25. November 2014

16.      Das Gesetz vom 25. November 2014 „über das auf den Informationsaustausch auf Ersuchen in Steuerangelegenheiten anzuwendende Verfahren sowie zur Änderung des Gesetzes vom 31. März 2010 über die Genehmigung der Besteuerungsübereinkünfte und über das darauf anzuwendende Verfahren für den Informationsaustausch auf Ersuchen“ (im Folgenden: Gesetz vom 25. November 2014) enthält folgende Bestimmungen.

17.      Art. 1 des Gesetzes vom 25. November 2014 bestimmt:

„(1)      Dieses Gesetz findet ab seinem Inkrafttreten auf Ersuchen um Austausch von Informationen in Steuerangelegenheiten Anwendung, die von der zuständigen Behörde des ersuchenden Staates auf folgender Grundlage gestellt werden:

4.      nach dem Gesetz vom 29. März 2013 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung in der geänderten Fassung;

…“

18.      In Art. 2 des Gesetzes vom 25. November 2014 heißt es:

„(1)      Die Steuerbehörden sind befugt, die zur Durchführung des in den Übereinkünften und Gesetzen vorgesehenen Informationsaustauschs erbetenen Informationen aller Art von demjenigen zu verlangen, der über sie verfügt.

(2)      Der Informationsinhaber ist verpflichtet, die verlangten Auskünfte vollständig, genau und unverändert innerhalb eines Monats nach Zustellung der die verlangten Auskünfte anordnenden Entscheidung zu erteilen. Diese Verpflichtung schließt die Übermittlung der unveränderten Schriftstücke ein, auf denen diese Auskünfte beruhen.

…“

19.      In Art. 3 des Gesetzes vom 25. November 2014 heißt es:

„(1)      Die zuständige Steuerverwaltung prüft die formale Ordnungsmäßigkeit des Ersuchens um Informationsaustausch. Das Ersuchen um Informationsaustausch ist formal ordnungsgemäß, wenn es die Angabe der rechtlichen Grundlage und der ersuchenden zuständigen Behörde sowie die weiteren in den Übereinkünften und Gesetzen vorgesehenen Angaben enthält.

(3)      Verfügt die zuständige Steuerverwaltung nicht über die erbetenen Informationen, stellt der Leiter der zuständigen Steuerbehörde oder dessen Vertreter dem Informationsinhaber seine die Erteilung der erbetenen Auskünfte anordnende Entscheidung durch eingeschriebenen Brief zu. Die Zustellung an den Inhaber der erbetenen Informationen gilt als Zustellung an jede andere darin genannte Person.

(4)      Das Ersuchen um Informationsaustausch darf nicht bekannt gegeben werden. Die Anordnung enthält nur die Angaben, auf die der Informationsinhaber angewiesen ist, um zu erkennen, welche Auskünfte verlangt werden.

…“

20.      Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 25. November 2014 bestimmt:

„Werden die verlangten Auskünfte nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der die Erteilung der erbetenen Auskünfte anordnenden Entscheidung erteilt, kann gegen den Informationsinhaber eine steuerliche Geldbuße von bis zu 250 000 [Euro] verhängt werden. Ihr Betrag wird vom Leiter der zuständigen Finanzbehörde oder dessen Vertreter festgesetzt.“

21.      In Art. 6 des Gesetzes vom 25. November 2014 heißt es:

„(1)      Gegen die in Art. 3 Abs. 1 und 3 genannten Ersuchen um Informationsaustausch und Anordnungen findet kein Rechtsbehelf statt.

(2)      Gegen die in Art. 5 genannten Entscheidungen kann der Informationsinhaber Abänderungsklage vor dem Verwaltungsgericht erheben. Diese Klage ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung an den Inhaber der verlangten Informationen zu erheben. Die Klage hat aufschiebende Wirkung. …

Gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts kann Berufung zur Cour administrative eingelegt werden. Die Berufung muss innerhalb von 15 Tagen nach Zustellung des Urteils durch die Geschäftsstelle eingelegt werden … Die Cour administrative entscheidet innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klagebeantwortung, ansonsten innerhalb eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einreichung dieses Schriftsatzes.“

III – Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits

22.      Am 3. Dezember 2014 richtete die zuständige Behörde der französischen Steuerverwaltung im Rahmen der Prüfung der Steuerangelegenheiten der vereinfachten Aktiengesellschaft französischen Rechts Cofima an die luxemburgische Steuerverwaltung ein auf die Richtlinie 2011/16 gestütztes Auskunftsersuchen. Dieses Ersuchen betraf eine Reihe von Auskünften über die Gesellschaft, in deren Besitz sich Cofima befand, und zwar die Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts Berlioz Investment SA (im Folgenden: Berlioz).

23.      Berlioz erhielt nämlich Dividenden, die ihr ihre Tochtergesellschaft Cofima unter Befreiung von der Quellensteuer gezahlt hatte, und die französische Steuerverwaltung fragte sich, ob die im französischen Recht vorgesehenen einschlägigen Voraussetzungen erfüllt waren. Dazu wollte sie von ihrem luxemburgischen Gegenstück eine Reihe von Auskünften erhalten.

24.      Infolge dieses Amtshilfeersuchens erließ der Direktor der luxemburgischen Administration des Contributions directes (Verwaltung für direkte Abgaben) (im Folgenden: Behördenleiter) am 16. März 2015 eine Entscheidung, mit der Berlioz aufgefordert wurde, ihm eine Reihe von Auskünften zu erteilen (im Folgenden: Anordnung), und bat sie insbesondere um

–        Mitteilung, ob die Gesellschaft über einen tatsächlichen Verwaltungssitz in Luxemburg verfüge und welches die Hauptmerkmale der aufeinander folgenden Geschäftssitze (Beschreibung des Sitzes, Fläche der eigenen Büroräume von Berlioz, die Berlioz gehörende Einrichtung und IT‑Ausstattung, Kopie des Mietvertrags über die Büroräume und Geschäftsanschrift) seien, unter Vorlage entsprechender Belege;

–        Einreichung einer Liste der Arbeitnehmer von Berlioz mit Angabe ihrer Funktion im Unternehmen und Kennzeichnung der dem Sitz der Gesellschaft zugewiesenen Arbeitnehmer;

–        Mitteilung, ob Berlioz Arbeitnehmer in Luxemburg überlasse;

–        Mitteilung, ob zwischen Berlioz und Cofima ein Vertrag bestehe, und gegebenenfalls um Einreichung einer Kopie dieses Vertrags;

–        Mitteilung der Beteiligungen von Berlioz an anderen Unternehmen und Angabe, wie diese Beteiligungen finanziert worden seien, unter Vorlage entsprechender Belege;

–        Mitteilung der Namen und Anschriften der Anteilsinhaber von Berlioz sowie der Höhe und der Beteiligungsquote der von ihnen jeweils gehaltenen Kapitalanteile;

–        Mitteilung der Beträge, mit denen die Beteiligungen an Cofima vor deren Hauptversammlung vom 7. März 2012 bei den Aktiva von Berlioz verbucht worden seien, und Angabe des Eingangswerts der als Aktiva verbuchten Beteiligungen anlässlich der Einbringungen vom 5. Dezember 2002 und 31. Oktober 2003 sowie des Erwerbs vom 2. Oktober 2007.

25.      Am 21. April 2015 leistete Berlioz der Anordnung Folge, außer in Bezug auf die Namen und Anschriften ihrer Gesellschafter sowie auf die Höhe und die Beteiligungsquote der von den einzelnen Gesellschaftern jeweils gehaltenen Kapitalanteile, und begründete das damit, dass diese Auskünfte für die Kontrolle durch die französische Steuerverwaltung voraussichtlich nicht im Sinne der Richtlinie 2011/16 erheblich seien.

26.      Am 22. April 2015 forderte der Behördenleiter Berlioz auf, ihm die erbetenen Informationen bis zum 29. April 2015 zu erteilen; bei Nichtbefolgung der Aufforderung könne auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 25. November 2014 eine steuerliche Geldbuße auferlegt werden. Da sich Berlioz weiterhin weigerte, verhängte der Behördenleiter am 18. Mai 2015 gegen sie eine Geldbuße von 250 000 Euro.

27.      Gegen die Entscheidung des Behördenleiters, mit der ihr gegenüber eine Sanktion verhängt worden war, erhob Berlioz anschließend Klage vor dem Verwaltungsgericht (Luxemburg) und beantragte die Nachprüfung der Anordnung in der Sache.

28.      Mit Urteil vom 13. August 2015 gab das Verwaltungsgericht dem Hauptantrag auf Abänderung teilweise statt und setzte die Geldbuße auf 150 000 Euro herab. Es wies die weiter gehende Klage ab und befand, über den hilfsweise gestellten Nichtigkeitsantrag sei nicht zu entscheiden.

29.      Hiergegen legte Berlioz mit Berufungsschrift vom 31. August 2015 Berufung zur Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof) ein und trug vor, die Weigerung des Verwaltungsgerichts, die Anordnung gemäß Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes vom 25. November 2014 in der Sache nachzuprüfen, verletze sie in ihrem durch Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(5) garantierten Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz.

30.      Die Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof) vertrat die Auffassung, es könne erforderlich sein, die Charta, insbesondere deren Art. 47, zu berücksichtigen. Nachdem sie die Parteien des Ausgangsverfahrens aufgefordert hatte, hierzu Stellung zu nehmen, hat die Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.

IV – Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

31.      Mit Entscheidung vom 17. Dezember 2015, die am 18. Dezember 2015 beim Gerichtshof eingegangen ist, hat die Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof) beschlossen, dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Führt ein Mitgliedstaat das Unionsrecht durch und eröffnet daher den Anwendungsbereich der Charta gemäß deren Art. 51 Abs. 1, wenn er in einer Situation wie der hier vorliegenden gegen einen Adressaten eine finanzielle Verwaltungssanktion wegen des Vorwurfs der Verletzung seiner Mitwirkungspflichten festsetzt, die sich aus einer Anordnung ergeben, die die zuständige nationale Behörde auf der Grundlage der zu diesem Zweck eingeführten Verfahrensvorschriften des innerstaatlichen Rechts im Rahmen der diesem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als ersuchtem Staat obliegenden Erledigung eines Ersuchens um Austausch von Informationen erlassen hat, das von einem anderen Mitgliedstaat ausgeht und von diesem u. a. auf die Bestimmungen der Richtlinie 2011/16 über den Informationsaustausch auf Ersuchen gestützt wird?

2.      Falls die Anwendbarkeit der Charta auf den vorliegenden Fall bejaht wird: Kann der Adressat sich auf Art. 47 der Charta berufen, wenn er der Ansicht ist, dass die vorstehend genannte, gegen ihn festgesetzte finanzielle Verwaltungssanktion darauf gerichtet sei, ihn zur Lieferung von Informationen im Rahmen der von der zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats, in dem er ansässig ist, besorgten Erledigung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgehenden Informationsersuchens zu verpflichten, das hinsichtlich des tatsächlichen steuerlichen Ziels in keiner Weise gerechtfertigt sei, so dass es im vorliegenden Fall an einem legitimen Ziel fehle, und das darauf abziele, Informationen zu erhalten, denen es an der voraussichtlichen Erheblichkeit für den betreffenden Besteuerungsfall fehle?

3.      Falls die Anwendbarkeit der Charta auf den vorliegenden Fall bejaht wird: Erfordert das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf Zugang zu einem unparteiischen Gericht, wie es in Art. 47 der Charta verankert ist und ohne dass nach Art. 52 Abs. 1 der Charta Einschränkungen zulässig wären, dass das zuständige nationale Gericht zu unbeschränkter Nachprüfung befugt sein und somit die Befugnis haben muss, zumindest auf eine entsprechende Einrede hin die Gültigkeit einer Anordnung, die die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats im Rahmen der Erledigung eines von der zuständigen Behörde eines anderen Staates u. a. auf der Grundlage der Richtlinie 2011/16 vorgelegten Auskunftsersuchens erlassen hat, im Rahmen der Klage zu überprüfen, die der Dritte, der die Informationen besitzt und Adressat der Anordnung ist, erhoben hat und die gegen die Festsetzung einer finanziellen Verwaltungssanktion wegen der ihm vorgeworfenen Verletzung seiner Pflicht zur Mitwirkung im Rahmen des genannten Ersuchens gerichtet ist?

4.      Falls die Anwendbarkeit der Charta auf den vorliegenden Fall bejaht wird: Sind Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 der Richtlinie 2011/16 im Licht der Parallelität zum Erfordernis der voraussichtlichen Erheblichkeit, das sich aus dem Musterabkommen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen ergibt, einerseits und des in Art. 4 EUV verankerten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit andererseits, die zusammen den Regelungszweck der Richtlinie 2011/16 bilden, dahin auszulegen, dass die voraussichtliche Erheblichkeit der Informationen, um die ein Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat ersucht, für den betreffenden Besteuerungsfall und den angegebenen steuerlichen Zweck eine Voraussetzung darstellt, die das Informationsersuchen erfüllen muss, um die Verpflichtung der zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats, ihm zu entsprechen, auszulösen und eine von ihr gegen einen die Informationen besitzenden Dritten erlassene Anordnung zu rechtfertigen?

5.      Falls die Anwendbarkeit der Charta auf den vorliegenden Fall bejaht wird: Sind Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 der Richtlinie 2011/16 sowie Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass sie einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedsstaats entgegenstehen, die die Prüfung der Gültigkeit eines Informationsersuchens durch die zuständige nationale Behörde in ihrer Eigenschaft als ersuchte Behörde allgemein auf eine Kontrolle der formalen Rechtmäßigkeit beschränkt, und dass sie das zuständige nationale Gericht im Rahmen einer bei ihm anhängigen Klage, wie sie oben in der dritten Vorlagefrage beschrieben ist, verpflichten, die Einhaltung der Voraussetzung der voraussichtlichen Erheblichkeit der erbetenen Informationen unter allen Gesichtspunkten, die mit dem jeweiligen konkreten Besteuerungsfall, dem geltend gemachten steuerlichen Zweck und der Beachtung von Art. 17 der Richtlinie 2011/16 in Zusammenhang stehen, zu prüfen?

6.      Falls die Anwendbarkeit der Charta auf den vorliegenden Fall bejaht wird: Steht Art. 47 Abs. 2 der Charta einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedsstaats entgegen, die es untersagt, dem zuständigen nationalen Gericht des ersuchten Staates im Rahmen einer bei ihm anhängigen Klage, wie sie oben in der dritten Vorlagefrage beschrieben ist, das von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats gestellte Auskunftsersuchen vorzulegen, und gebietet er es, dem zuständigen nationalen Gericht dieses Dokument vorzulegen und dem die Informationen besitzenden Dritten Zugang zu ihm zu gewähren oder zumindest dem nationalen Gericht dieses Dokument vorzulegen, ohne dass dieser Dritte – wegen der Vertraulichkeit dieses Dokuments – Zugang zu ihm erhält, sofern sämtliche Schwierigkeiten, die dem Dritten aufgrund einer Beschränkung seiner Rechte entstehen, durch das Verfahren vor dem zuständigen nationalen Gericht hinreichend aufgewogen werden?

32.      Berlioz, die luxemburgische, die belgische, die italienische, die polnische und die finnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

33.      Der Vertreter der luxemburgischen Regierung und die Kommission haben in der mündlichen Verhandlung, die am 8. November 2016 stattgefunden hat, Stellung genommen. Dort haben auch der Vertreter der deutschen Regierung und der Vertreter der französischen Regierung, die keine schriftlichen Erklärungen eingereicht hatten, ihre Argumente vortragen können.

V –    Würdigung

A –    Vorbemerkung zu Art. 47 der Charta und dem darin verankerten Anspruch

34.      Art. 47 der Charta ist mit „Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“ überschrieben. Mit dieser Vorschrift erkennt die Charta das in Art. 13 EMRK verankerte Recht auf wirksame Beschwerde und das in Art. 6 Abs. 1 EMRK anerkannte Recht auf ein faires Verfahren an.

35.      Die Verwandtschaft zwischen den genannten Artikeln der EMRK und Art. 47 der Charta wird in den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte ausdrücklich erwähnt: Art. 47 Abs. 1 der Charta „stützt sich auf Artikel 13 EMRK“, Abs. 2 „entspricht Artikel 6 Absatz 1 EMRK“(6).

36.      Gemäß Art. 52 Abs. 3 der Charta hat das in deren Art. 47 verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf daher die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird. In der erstgenannten Bestimmung heißt es jedoch, dass sie dem nicht entgegensteht, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.

37.      In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Anforderungen von Art. 47 der Charta höher sind als die von Art. 13 EMRK, da Ersterer die Bereitstellung eines wirksamen Rechtsbehelfs bei einem „Gericht“ verlangt, während sich Art. 13 EMRK mit einer „innerstaatlichen Instanz“ begnügt. Außerdem hat Art. 47 der Charta einen weiteren sachlichen Anwendungsbereich. Zum einen ist er anwendbar, wenn „durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind“ (unabhängig davon, ob sie in der Charta enthalten sind oder nicht), während Art. 13 EMRK eine Verletzung der „in [der EMRK] anerkannten Rechte oder Freiheiten“(7) verlangt. Zum anderen beschränkt Art. 6 Abs. 1 EMRK das Recht auf ein faires Verfahren auf Streitigkeiten in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine strafrechtliche Anklage. Eine solche Beschränkung findet sich in Art. 47 Abs. 2 der Charta nicht wieder(8).

38.      Schließlich kann Art. 47 der Charta nicht unabhängig von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV betrachtet werden, da die letztgenannte Vorschrift die Mitgliedstaaten verpflichtet, „die erforderlichen Rechtsbehelfe [zu schaffen], damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“(9).

39.      Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen sind die Vorabentscheidungsfragen des vorlegenden Gerichts zu prüfen.

B –    Erste Vorlagefrage

40.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht in Erfahrung bringen, ob ein Mitgliedstaat das Unionsrecht durchführt und damit den Anwendungsbereich der Charta eröffnet, wenn er in seinen Rechtsvorschriften eine finanzielle Sanktion gegen einen Adressaten vorsieht, der sich weigert, im Rahmen eines auf eine Richtlinie gestützten Informationsaustauschs zwischen Steuerbehörden Informationen zu erteilen.

41.      Nach Art. 51 Abs. 1 der Charta ist die Durchführung des Rechts der Union tatsächlich die absolute Vorbedingung für die Anwendbarkeit der Charta auf die Mitgliedstaaten. Nach Auffassung der luxemburgischen und der finnischen Regierung ist dies bei dem in der Ausgangsrechtssache in Rede stehenden nationalen Gesetz jedoch nicht der Fall, da die damit eingeführte finanzielle Sanktion in der Richtlinie 2011/16 nicht vorgesehen sei.

42.      Mit diesem Argument unterschieden die genannten Mitgliedstaaten zwischen der vorliegenden Rechtssache und der Rechtssache, die zum Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105), geführt hat. In jenem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 2, Art. 250 Abs. 1 und Art. 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(10) sowie Art. 4 Abs. 3 EUV die Anwendung von Maßnahmen vorsehen, die für die Erhebung der Steuer erforderlich sind. Auf der Grundlage dieser Feststellung hat er die Auffassung vertreten, dass mit steuerlichen Sanktionen und Strafverfahren wie den in den betreffenden nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen das Recht der Union durchgeführt wird, womit der Anwendungsbereich der Charta eröffnet ist.

43.      Erstens teile ich die Auffassung der luxemburgischen und der finnischen Regierung deshalb nicht, weil es für die von ihnen getroffene Unterscheidung meines Erachtens keinen Anlass gibt.

44.      Zunächst ist klarzustellen, dass es, wie der Gerichtshof in Rn. 28 seines Urteils vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105), auch entschieden hat, nicht erforderlich ist, dass die betreffenden nationalen Gesetze selbst die Umsetzung einer Richtlinie der Union bezwecken, da durch ihre Anwendung ein Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie geahndet werden soll. Mit anderen Worten muss es sich um die Durchführung einer spezifischen, aber nicht notwendigerweise ausdrücklichen Verpflichtung handeln.

45.      Sodann verpflichtet Art. 22 der Richtlinie 2011/16 die Mitgliedstaaten auf eine ebenso allgemeine Art und Weise wie die im Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105), angeführten Bestimmungen(11) dazu, „alle notwendigen Maßnahmen [zu treffen], um … das reibungslose Funktionieren der in dieser Richtlinie festgelegten Regelungen über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden sicherzustellen …“. Zweifellos ist ein Sanktionsmechanismus eine Maßnahme, die notwendig ist, um die Wirksamkeit des mit der Richtlinie 2011/16 eingeführten Systems für den Informationsaustausch sicherzustellen(12). Ohne Sanktionsandrohung ist eine Norm, die ein Verhalten vorschreibt, wirkungslos.

46.      Zweitens ist es besonders merkwürdig, dass die luxemburgische Regierung vorträgt, mit dem Gesetz vom 25. November 2014 werde kein Unionsrecht durchgeführt. Nach Art. 1 dieses Gesetzes (das ausweislich seines Titels das auf den Informationsaustausch auf Ersuchen in Steuerangelegenheiten anzuwendende Verfahren vorsieht) findet das Gesetz nämlich auf Ersuchen Anwendung, die von der zuständigen Behörde des ersuchenden Staats auf der Grundlage „de[s] Gesetz[es] vom 29. März 2013 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung in der geänderten Fassung“ gestellt werden. Mit dem letztgenannten Gesetz wird jedoch die Richtlinie 2011/16 umgesetzt.

47.      Demzufolge lässt sich meines Erachtens nur schwerlich die Auffassung vertreten, mit dem besagten Gesetz, in dem das Verfahren festgelegt wird, das bei Einholung der von einem Mitgliedstaat auf der Grundlage der Richtlinie 2011/16 angeforderten Informationen zu befolgen ist, werde diese Richtlinie nicht durchgeführt. Jede Maßnahme, die „in dem Rahmen“ getroffen wird, der durch eine sich aus dem Unionsrecht ergebende Verpflichtung vorgegeben wird, fällt nämlich unter dieses Recht und dient seiner Durchführung(13).

48.      Drittens hat der Gerichtshof bereits bestätigt, dass die Vorschriften über Informationsersuchen und deren Nutzung in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen. In seinem Urteil vom 22. Oktober 2013, Sabou (C‑276/12, EU:C:2013:678), das die Auslegung der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern(14) – der Vorgängerin der Richtlinie 2011/16 – betraf, hat er nämlich die Ansicht vertreten, dass „die Fragen … die Umsetzung des Unionsrechts [betreffen] und der Gerichtshof … dafür zuständig [ist], die Anwendung der Grundrechte … in diesem Zusammenhang zu prüfen“(15). In jener Rechtssache hat der Gerichtshof zwar die Anwendung der Charta ausgeschlossen; dies ist jedoch nur deshalb geschehen, weil sie nach dem streitigen Amtshilfeverfahren in Kraft getreten war.

49.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen führt ein Mitgliedstaat, wenn er in seinen Rechtsvorschriften eine finanzielle Sanktion gegen einen Adressaten vorsieht, der sich weigert, im Rahmen eines u. a. auf die Bestimmungen der Richtlinie 2011/16 gestützten Informationsaustauschs zwischen Steuerbehörden Informationen zu erteilen, nach meinem Dafürhalten das Unionsrecht durch, was die Anwendung der Charta zur Folge hat.

C –    Zweite Vorlagefrage

50.      Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob sich ein Adressat auf Art. 47 der Charta berufen kann, wenn er der Ansicht ist, dass sich die (aufgrund seiner Weigerung, im Rahmen eines Informationsaustauschs zwischen Steuerbehörden Auskünfte zu erteilen) gegen ihn verhängte finanzielle Verwaltungssanktion auf ein Informationsersuchen stützt, an dessen Gültigkeit er zweifelt.

51.      Nach Art. 47 Abs. 1 der Charta hat „[j]ede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, … das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen“. Die zweite Vorabentscheidungsfrage des vorlegenden Gerichts ist daher grundlegend, da sie den Gerichtshof zur Präzisierung des Anwendungsbereichs von Art. 47 der Charta veranlasst. Es geht nämlich um nicht mehr und nicht weniger als um die Beantwortung der Frage, ob die Anwendung der Charta automatisch zur Anwendbarkeit ihres Art. 47 führt oder ob die Anwendbarkeit dieses Artikels die angebliche Verletzung eines Rechts oder einer Freiheit voraussetzt, das oder die durch das Recht der Union garantiert wird.

52.      Der Wortlaut von Art. 47 Abs. 1 der Charta begünstigt zwar tendenziell die zweite Alternative. Meines Erachtens kann dieser Auslegung jedoch nicht gefolgt werden.

53.      Zum einen liefe eine solche wörtliche Auslegung von Art. 47 der Charta dem Prozess der Anerkennung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Unionsrecht zuwider. Dieses Recht ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs nämlich ursprünglich als allgemeiner Rechtsgrundsatz verankert worden. Die systematische Einstufung eines bestimmten Rechts oder einer bestimmten Freiheit als Voraussetzung für die Anwendung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gehört jedoch nicht zu dieser Anwendung (vgl. unten, Abschnitt 1).

54.      Zum anderen liefe die genannte Auslegung den redaktionellen Unterschieden zuwider, die Art. 47 der Charta im Verhältnis zu den Art. 6 und 13 EMRK aufweist (vgl. unten, Abschnitt 2).

1.      Kurzer Abriss der geschichtlichen Entwicklung der Anerkennung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz im Unionsrecht

55.      Zunächst weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof in der Existenz eines gerichtlichen Rechtsbehelfs bereits vor seiner formellen Aufnahme in die Charta einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts gesehen hatte.

56.      Bei einem Grundrecht wie dem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit hat er nämlich die Ansicht vertreten, dass „die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes … wesentlich davon ab[hängt], dass Entscheidungen einer innerstaatlichen Behörde, durch die die Gewährung dieses Rechts verweigert wird, vor Gericht angefochten werden können. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84 (Johnston, EU:C:1986:206) anerkannt hat, stellt dieses Erfordernis einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergibt und in den Artikeln 6 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist.“(16)

57.      In jener Rechtssache wurde zwar die Verletzung eines Rechts – des Rechts auf Freizügigkeit – gerügt. Der Gerichtshof ist anschließend jedoch einen Schritt weiter gegangen und hat den allgemeinen Grundsatz des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf mit der Anerkennung der Union als „Rechtsunion“ verknüpft.

58.      Nach Auffassung des Gerichtshofs bedeutet dieser Begriff nämlich, dass „weder die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaftsorgane der Kontrolle darüber entzogen sind, ob ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem Vertrag, stehen“(17) sowie mit „den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und den Grundrechten“(18).

59.      In diesem Zusammenhang erscheint es logisch, dass es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht erforderlich ist, ein bestimmtes Recht oder eine bestimmte Freiheit, das bzw. die durch das Recht der Union garantiert wird, systematisch als Voraussetzung für die Anwendung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf einzustufen.

60.      Das Urteil vom 26. September 2013, Texdata Software (C‑418/11, EU:C:2013:588), veranschaulicht den Ansatz des Gerichtshofs. In jenem Urteil hat er zunächst die Auffassung vertreten, dass eine nationale Rechtsvorschrift, mit der Sanktionen für die Nichterfüllung der Verpflichtung zur Offenlegung von Rechnungslegungsunterlagen(19) eingeführt werden, eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellt(20). Daraus hat der Gerichtshof sodann abgeleitet, dass die Bestimmungen der Charta anwendbar sind(21). Schließlich ist er, ohne zu versuchen, die Verletzung eines bestimmten Rechts oder einer bestimmten Freiheit festzustellen, mit der Prüfung der Frage fortgefahren, ob Art. 47 der Charta eingehalten worden ist(22).

2.      Auslegung von Art. 47 Abs. 1 der Charta

61.      Wie ich in meiner Vorbemerkung ausgeführt habe, hat Art. 47 der Charta außerdem einen weiteren sachlichen Anwendungsbereich als die EMRK.

62.      Während die Anwendung von Art. 13 EMRK eine Verletzung der „in [der EMRK] anerkannten Rechte oder Freiheiten“ voraussetzt, ist Art. 47 der Charta anwendbar, wenn „durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind“, unabhängig davon, ob sie in der Charta enthalten sind oder nicht.

63.      Gemäß Art. 51 Abs. 1 der Charta kann diese den Mitgliedstaaten jedoch nur bei einer Durchführung des Rechts der Union entgegengehalten werden. Daher setzt die Anerkennung der Anwendbarkeit der Charta zwangsläufig bereits die Existenz eines durch das Unionsrecht garantierten Rechts voraus(23). Würde verlangt, dass die genannte unionsrechtliche Vorschrift, die zur Anwendbarkeit der Charta führt, außerdem ein bestimmtes subjektives Recht verleiht, das möglicherweise zulasten des Rechtsunterworfenen verletzt worden ist, widerspräche dies nach meinem Dafürhalten dem liberalen Ansatz, der Art. 47 der Charta zugrunde liegt.

64.      Darüber hinaus spricht die Verwendung des Begriffs „Sache“ in Abs. 2 des besagten Artikels meines Erachtens für eine Anerkennung des Ansatzes, wonach die Anwendung von Art. 47 der Charta automatisch zulässig ist, wenn diese selbst Anwendung findet.

65.      Außer der Öffnung des Rechtsschutzes für das gesamte Unionsrecht verleiht Art. 47 Abs. 2 der Charta nämlich jeder Person das Recht darauf, dass ihre „Sache“ von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verhandelt wird, wohingegen Art. 6 Abs. 1 EMRK den Begriff „Streitigkeit“ auf Streitigkeiten in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine strafrechtliche Anklage beschränkt.

66.      Geht es, wie im vorliegenden Fall, darum, eine beschwerende Entscheidung in Frage zu stellen, scheint die Anwendbarkeit von Art. 47 der Charta schließlich die absolute Vorbedingung für eine Rechtsunion zu sein. Wie ich zuvor ausgeführt habe, setzt eine Rechtsunion nämlich voraus, dass weder die Mitgliedstaaten noch die Unionsorgane der Kontrolle über die Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen entzogen sind.

67.      Abschließend bin ich der Meinung, dass mit dem in Art. 47 der Charta verankerten Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht zwangsläufig das Recht auf Zugang zu den Gerichten einhergeht, d. h. die Möglichkeit für eine Einzelperson, jede Handlung, durch die ihre Interessen beeinträchtigt werden können, einer eingehenden gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen(24). Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verpflichtet jedoch die Mitgliedstaaten, „die erforderlichen Rechtsbehelfe [zu schaffen], damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“.

68.      Meines Erachtens kann sich ein Adressat daher auf Art. 47 der Charta berufen, wenn er der Ansicht ist, dass sich die gegen ihn verhängte finanzielle Verwaltungssanktion auf ein Informationsersuchen stützt, an dessen Gültigkeit er zweifelt, sofern dieses Ersuchen im Rahmen eines Verfahrens ergeht, mit dem das Recht der Union durchgeführt wird.

D –    Dritte und fünfte Vorlagefrage

69.      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf Zugang zu einem unparteiischen Gericht, wie es in Art. 47 der Charta verankert ist, erfordert, dass das nationale Gericht im Rahmen einer Klage gegen eine finanzielle Verwaltungssanktion, die gegen den Kläger verhängt wurde, weil er sich geweigert hatte, im Rahmen eines Austauschs steuerlicher Informationen zwischen Mitgliedstaaten Auskünfte zu erteilen, zu unbeschränkter Nachprüfung befugt ist.

70.      In diesem Zusammenhang betrifft das Erfordernis einer unbeschränkten Nachprüfung somit die Möglichkeit des nationalen Gerichts, die Verhältnismäßigkeit der Sanktion zu prüfen, aber auch die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Anordnung zu untersuchen, auf die sich diese Sanktion stützt.

71.      Die fünfte Frage des vorlegenden Gerichts wiederum betrifft den Umfang der vorzunehmenden Kontrolle. Mit dieser Frage möchte die Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof) nämlich erfahren, ob sich die Kontrolle durch die Steuerbehörde und die Gerichte des ersuchten Staates – für den Fall, dass ihnen eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung zuerkannt werden sollte – auf die formale Rechtmäßigkeit des Informationsersuchens beschränkt.

72.      Da Art. 47 der Charta meiner Meinung nach eine Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Anordnung gebietet, auf die sich die finanzielle Sanktion stützt, die wegen der Weigerung, der genannten Anordnung Folge zu leisten, verhängt worden war, werde ich die beiden Fragen zusammen prüfen.

1.      Erfordernis einer Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung

73.      Wie ich bereits ausgeführt habe, heißt es in Art. 52 Abs. 3 der Charta, dass die in der Charta anerkannten Rechte, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite erhalten müssen, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Vorbehaltlich der Vorbemerkungen ist dies bei Art. 47 der Charta im Verhältnis zu Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 EMRK der Fall.

74.      Nach der Erläuterung zu Art. 52 Abs. 3 der Charta werden die Bedeutung und Tragweite der garantierten Rechte nicht nur durch den Wortlaut der EMRK, sondern auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) bestimmt(25). Es ist jedoch festzustellen, dass die Rechtsprechung des EGMR zum Erfordernis eines wirksamen Rechtsbehelfs konstant ist: In einem System von Verwaltungsstrafen – etwa Steuerstrafen – setzt das (durch Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 der Charta garantierte) Recht auf ein faires Verfahren voraus, dass die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde, die nicht selbst die Voraussetzungen dieser Artikel erfüllt, einer nachträglichen Kontrolle durch ein Rechtsprechungsorgan mit Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung unterliegt(26).

75.      Nach Auffassung des EGMR gehört „zu den Merkmalen eines solchen Rechtsprechungsorgans die Befugnis …, die angefochtene Entscheidung des niedrigeren Organs vollständig abzuändern. Es muss insbesondere befugt sein, sich mit allen für den bei ihm anhängigen Rechtsstreit relevanten Sach- und Rechtsfragen zu befassen.“(27)

76.      Aus einer ständigen Rechtsprechung des EGMR geht ferner hervor, dass ein Gericht durch eine für den Rechtsstreit wesentliche Verwaltungsentscheidung nur gebunden sein kann, wenn die betreffende Entscheidung im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das selbst den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK genügt(28).

77.      Im vorliegenden Fall drängen sich zwei Feststellungen auf. Zum einen stuft Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 25. November 2014 die Maßnahme, mit der die Weigerung geahndet wird, die angeforderten Auskünfte zu erteilen, als „steuerliche Geldbuße“ ein. Zum anderen geht aus Art. 6 dieses Gesetzes hervor, dass den Rechtsunterworfenen lediglich ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über die Verhängung der Geldbuße offensteht, da das zuständige Gericht implizit an die Anordnung gebunden ist.

78.      Unbestreitbar ist jedoch, dass das Verfahren der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung, das durch die Richtlinie 2011/16 eingeführt und mit dem Gesetz vom 29. März 2013 in luxemburgisches Recht umgesetzt worden ist, sowie die anschließenden Anordnungs- und Sanktionsentscheidungen, die zur Durchführung der genannten Vorschriften erlassen werden, nicht die Garantien von Art. 47 der Charta bieten. In Anbetracht des Ziels einer wirksamen Zusammenarbeit zwischen Behörden, das die genannten Entscheidungen leitet(29), ergehen diese nämlich logischerweise nicht durch ein unabhängiges und unparteiisches Organ, nachdem die Sache der betreffenden Partei in einem fairen Verfahren öffentlich verhandelt worden ist.

79.      Auch wenn die Richtlinie 2011/16 den Einzelnen selbst kein subjektives Recht verleiht(30), gebietet die Verhängung einer finanziellen Verwaltungssanktion, die dem Ziel dient, die Beachtung der Richtlinie sicherzustellen, jedoch den Zugang zu den Gerichten.

80.      Damit Art. 47 der Charta beachtet wird, muss das mit der Klage gegen die finanzielle Verwaltungssanktion befasste Gericht meines Erachtens daher die Rechtmäßigkeit der Anordnung, auf die sich die Sanktion stützt, prüfen können. Zum einen kann das nationale Gericht nicht durch eine von der Verwaltung einseitig erlassene Anordnung gebunden sein. Zum anderen ist die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung zweifellos eine für den Rechtsstreit und seine Entscheidung wesentliche Rechtsfrage.

2.      Umfang der unbeschränkten Nachprüfung

81.      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des EGMR geht hervor, dass das Recht auf Zugang zu den Gerichten kein absolutes Recht ist(31). Somit kann die Ausübung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf geregelt werden.

a)      Möglichkeit zur Einschränkung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf

82.      Nach Auffassung des Gerichtshofs „sind nach ständiger Rechtsprechung die Grundrechte nicht schrankenlos gewährleistet, sondern können Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2006, Dokter u. a., C‑28/05, EU:C:2006:408, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung, und [EGMR], Urteil Fogarty/Vereinigtes Königreich vom 21. November 2001, Recueil des arrêts et décisions 2001-XI, § 33)“(32).

83.      Dieser Ansatz ist dem Ansatz weitgehend ähnlich, den der EGMR verfolgt, wenn er Beschränkungen der durch die Art. 6 und 13 EMRK garantierten Rechte prüft(33).

84.      In Wirklichkeit geht es um nicht mehr und nicht weniger als darum, die Vorgaben von Art. 52 Abs. 1 der Charta zu beachten, wonach „eine Einschränkung des Rechts im Sinne von Art. 47 der Charta …, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen[,] … nur dann gerechtfertigt sein [kann], wenn sie gesetzlich vorgesehen ist, den Wesensgehalt dieses Rechts achtet und unter Wahrung des [allgemeinen] Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und den von der Europäischen Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entspricht“(34).

85.      Die Ausübung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf kann somit unter der Voraussetzung eingeschränkt werden, dass der Wesensgehalt des Rechts nicht beeinträchtigt wird. In diesem Zusammenhang hat der EGMR darüber hinaus klargestellt, dass die Rolle von Art. 6 EMRK nicht darin bestehe, den Zugang zu einem Gericht zu garantieren, das seine eigene Meinung an die Stelle der Meinung der Verwaltungsbehörden setzen könnte(35).

86.      Bei der Beurteilung der Frage, ob der Umfang der Kontrolle, die das zuständige nationale Gericht ausüben kann, ausreicht, ist dem Gegenstand der angefochtenen Entscheidung Rechnung zu tragen. Dieser Gesichtspunkt ist umso wichtiger, wenn sich die Entscheidung „auf einen spezifischen Bereich, der Fachkenntnisse erfordert, oder auf die Frage bezieht, ob und inwieweit sie die Ausübung des Ermessens der Verwaltung voraussetzt“(36).

87.      Daher könnte die Kontrolle der Gültigkeit der Anordnung, auf die sich die finanzielle Verwaltungssanktion stützt, meines Erachtens unter der Voraussetzung eingeschränkt werden, dass diese Einschränkung den Wesensgehalt des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf nicht beeinträchtigt und einen legitimen Zweck verfolgt sowie die angewandten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen(37).

b)      Umfang der Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit (durch die Verwaltung des ersuchten Staates) und der Rechtmäßigkeit (durch ein Gericht desselben Staates) im Rahmen eines auf die Richtlinie 2011/16 gestützten Informationsersuchens

88.      Erstens sei daran erinnert, dass mit der Richtlinie 77/799 die internationale Steuerhinterziehung und Steuerflucht bekämpft werden sollte(38). Die ersten beiden Erwägungsgründe der Richtlinie 2011/16 bekräftigen dieses Ziel. Es lässt sich auch aus Art. 23 Abs. 2 der letztgenannten Richtlinie ableiten, in dem es heißt: „Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission alle sachdienlichen Informationen, die für die Bewertung der Wirksamkeit der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Einklang mit dieser Richtlinie bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung notwendig sind.“(39)

89.      Aus einer nunmehr ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs geht jedoch hervor, dass das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung als legitim anzusehen ist und einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt(40).

90.      Zweitens hat der Gerichtshof entschieden, dass der ersuchte Staat grundsätzlich verpflichtet ist, auf das von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats gestellte Ersuchen zu antworten(41).

91.      Die Verwendung des Indikativs in Art. 5 der Richtlinie 2011/16 bestätigt insoweit den obligatorischen Charakter der Informationsübermittlung. In diesem Artikel heißt es nämlich: „Auf Ersuchen der ersuchenden Behörde übermittelt die ersuchte Behörde der ersuchenden Behörde alle in Artikel 1 Absatz 1 genannten Informationen …“(42) Der Vorbehalt, der früher in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 77/799 enthalten war, findet sich nunmehr in einem speziellen Artikel der Richtlinie 2011/16, der mit „Beschränkungen“ überschrieben ist, nämlich Art. 17. In Art. 18 dieser Richtlinie heißt es gleichwohl, dass Art. 17 Abs. 2, 3 und 4 nicht „so ausgelegt werden kann, dass sich ein ersuchter Mitgliedstaat darauf berufen kann, um die Bereitstellung der Informationen allein deshalb abzulehnen, weil er kein eigenes Interesse daran hat“.

92.      Drittens ist ebenso unbestritten, dass der ersuchende Staat nicht um jede beliebige steuerliche Information nachsuchen kann. Der Verweis in Art. 5 der Richtlinie 2011/16 auf Art. 1 dieser Richtlinie setzt klare Grenzen: Die genannte Richtlinie legt die Regeln und Verfahren fest, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, untereinander im Hinblick auf den Austausch von Informationen zusammenarbeiten, die für die Anwendung und Durchsetzung der nationalen Rechtsvorschriften über die Steuern voraussichtlich erheblich sind(43).

93.      Diese Grenze wird im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/16 klar zum Ausdruck gebracht, in dem es heißt: „Mit dem Standard der ‚voraussichtlichen Erheblichkeit‘ soll gewährleistet werden, dass ein Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten im größtmöglichen Umfang stattfindet, und zugleich klargestellt werden, dass es den Mitgliedstaaten nicht gestattet ist, sich an Beweisausforschungen (‚fishing expeditions‘) zu beteiligen oder um Informationen zu ersuchen, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie für die Steuerangelegenheiten eines bestimmten Steuerpflichtigen erheblich sind.“

94.      Aus dieser Vorschrift und ihrer Erläuterung ergibt sich, dass die Einhaltung des Standards der „voraussichtlichen Erheblichkeit“ Voraussetzung für die Ordnungsmäßigkeit des Informationsersuchens ist. Dieses ist von der ersuchten Behörde daher im Hinblick darauf zu überprüfen. Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2011/16 ermächtigt die ersuchte Behörde im Übrigen zur Unterrichtung der ersuchenden Behörde über eventuell bestehende Mängel in dem Ersuchen.

95.      Diese Vorschrift stellt folglich auch das Kriterium dar, anhand dessen die Rechtmäßigkeit der Anordnung geprüft werden muss, und zwar durch ein Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta.

96.      Viertens sind Schnelligkeit und Diskretion bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung offensichtlich wesentlich, was die Erwägungsgründe 4 und 8 der Richtlinie 2011/16 bestätigen. Deshalb sind in Art. 7 dieser Richtlinie Fristen für die Informationsübermittlung festgelegt worden(44).

97.      Aus den vier vorstehenden Bemerkungen geht hervor, dass der Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit des Informationsersuchens durch die Steuerbehörde des ersuchten Staates und der anschließenden Rechtmäßigkeitskontrolle durch die nationalen Gerichte Grenzen gesetzt werden müssen, will man dem durch die Richtlinie 2011/16 geschaffenen Mechanismus der Zusammenarbeit nicht einen großen Teil seiner Wirksamkeit nehmen. Eine solche Begrenzung ist im Hinblick auf das verfolgte, im Allgemeininteresse liegende Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung gerechtfertigt.

98.      In diesem Zusammenhang legt Art. 20 der Richtlinie 2011/16 die für die Bestimmung der durchzuführenden Kontrolle relevanten Parameter fest, indem er Mindestinformationen vorschreibt, die in den Standardformblättern enthalten sein müssen, deren Verwendung der Gesetzgeber für die in Art. 5 der Richtlinie 2011/16 genannten Informationsersuchen und die entsprechenden Antworten vorschlägt. Im neunten Erwägungsgrund dieser Richtlinie, in dem vom Standard der „voraussichtlichen Erheblichkeit“ die Rede ist, wird im Übrigen ausdrücklich auf den genannten Art. 20 verwiesen.

99.      Die in Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2011/16 erwähnten Angaben sind die Bezeichnung der Person, der die Untersuchung oder Ermittlung gilt, und der steuerliche Zweck, zu dem die Informationen beantragt werden. Unterabs. 2 dieses Absatzes fügt hinzu, dass die ersuchende Behörde auch den Namen und die Anschrift jeder Person übermitteln kann, von der angenommen wird, dass sie über die gewünschten Informationen verfügt.

100. Aufgrund der erwähnten Angaben muss die ersuchte Behörde in der Lage sein, festzustellen, ob die angeforderten Informationen voraussichtlich erheblich sind, um das von der ersuchenden Behörde beschriebene Ziel zu erreichen, d. h., ob sie sich auf die Steuerangelegenheiten des betreffenden Steuerpflichtigen beziehen und der ersuchenden Behörde bei der korrekten Festsetzung der Höhe der Steuerschuld helfen können.

101. Mit anderen Worten muss die Behörde des ersuchten Staates die Frage beantworten können, ob die angeforderten Informationen möglicherweise mit der von der ersuchenden Behörde beabsichtigten Steuerfestsetzung in Verbindung stehen(45).

102. Diese Auslegung wird durch die Erläuterungen zu Art. 26 des OECD-Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen bestätigt, an dem sich der Unionsgesetzgeber selbst orientiert hat(46). Nach den Erläuterungen zum vorerwähnten Artikel des Abkommens muss nämlich „eine vernünftige Möglichkeit [bestehen], dass sich die angeforderten Auskünfte als erheblich erweisen werden“(47). Mit dem Begriff „voraussichtliche Erheblichkeit“ soll verhindert werden, dass ein Mitgliedstaat um Auskünfte nachsucht, „von denen nicht sehr wahrscheinlich ist, dass sie mit einer laufenden Ermittlung oder Kontrolle in Verbindung stehen“(48).

103. Das mit der Richtlinie 2011/16 verfolgte legitime Ziel gebietet es, dass für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Anordnung, die im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs vorgenommen wird, der gegen die gegenüber einer Person verhängte finanzielle Sanktion wegen deren angeblicher Weigerung eingelegt worden ist, die angeforderten Informationen zu übermitteln, die gleichen Grenzen gelten.

104. Konkret muss das nationale Gericht überprüfen können, ob sich die Anordnung auf ein Informationsersuchen stützt, das einen Zusammenhang zwischen den angeforderten Informationen, dem betreffenden Steuerpflichtigen und dem Dritten, dem gegebenenfalls Auskunft erteilt wird, einerseits und dem verfolgten steuerlichen Zweck andererseits aufweist.

105. Um sanktioniert zu werden, muss das Missverhältnis zwischen Informationsersuchen und verfolgtem steuerlichem Zweck offensichtlich sein. Würden die Gerichte des ersuchten Staates zu einer detaillierten rechtlichen Analyse verpflichtet, setzte dies eine gründliche Kenntnis der im ersuchenden Staat bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse voraus, die von ihnen nicht verlangt werden kann und im Übrigen nicht realistisch wäre(49). Ich teile die Ansicht der Kommission, dass der Begriff „voraussichtliche Erheblichkeit“ lediglich „eine summarische und förmliche Prüfung tatsächlicher Natur“ verlangt(50).

106. Auch die in Art. 17 der Richtlinie 2011/16 aufgeführten Beschränkungen der Übermittlungsverpflichtung brauchen meines Erachtens nicht berücksichtigt zu werden. Die ersuchte Behörde ist nämlich grundsätzlich verpflichtet, auf das Informationsersuchen zu antworten(51), und bei den in diesem Artikel aufgeführten Beschränkungen handelt es sich lediglich um Möglichkeiten, wobei es im Ermessen der ersuchten Behörde steht, Informationen nicht zu übermitteln(52). Wie der Gerichtshof in Bezug auf den ersuchenden Staat bereits mehrfach festgestellt hat, hat der Unionsgesetzgeber durch die Verwendung des Wortes „kann“ zu erkennen gegeben, dass die nationalen Steuerverwaltungen über eine Möglichkeit verfügen(53). Dieses Verb wird in Art. 17 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2011/16 verwendet(54).

107. Daher dürfen die Gerichte nicht nachträglich prüfen, ob es zweckmäßig war, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, wenn die ersuchte Behörde eine solche Prüfung bei Eingang des Informationsersuchens nicht für sachdienlich erachtet hat.

c)      Zwischenergebnisse zum Umfang der Ordnungsmäßigkeits- und der Rechtmäßigkeitskontrolle im Rahmen eines auf die Richtlinie 2011/16 gestützten Informationsersuchens

108. Die Richtlinie 2011/16 verleiht den Einzelnen als solche keinerlei Recht.

109. Vor Erlass einer Anordnung muss die ersuchte Behörde allerdings in der Lage sein, festzustellen, ob die angeforderten Informationen voraussichtlich erheblich sind, um das von der ersuchenden Behörde beschriebene Ziel zu erreichen, d. h. zu überprüfen, ob sie sich auf die Steuerangelegenheiten des betreffenden Steuerpflichtigen beziehen und der ersuchenden Behörde bei der korrekten Festsetzung der Höhe der Steuerschuld helfen können.

110. Die Verhängung einer finanziellen Verwaltungssanktion, die zum Ziel hat, die Beachtung der Richtlinie sicherzustellen, gebietet darüber hinaus den Zugang zu einem Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta. Dies setzt voraus, dass das mit der Klage gegen die finanzielle Sanktion befasste Gericht die Rechtmäßigkeit der Anordnung prüfen kann, auf die sie sich stützt.

111. Das mit der Richtlinie 2011/16 verfolgte legitime Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung gebietet es jedoch, die Rechtmäßigkeitskontrolle wie folgt zu begrenzen: Das Gericht muss auf der Grundlage einer summarischen Prüfung lediglich überprüfen können, ob sich die Anordnung auf ein Informationsersuchen stützt, das einen Zusammenhang zwischen den angeforderten Informationen, dem betreffenden Steuerpflichtigen und dem Dritten, dem gegebenenfalls Auskunft erteilt wird, einerseits und dem verfolgten steuerlichen Zweck andererseits aufweist. Eine Rechtswidrigkeitsfeststellung setzt voraus, dass das Missverhältnis zwischen Informationsersuchen und steuerlichem Zweck offensichtlich ist.

112. So ausgelegt, entleert diese Art von Kontrolle das in Art. 47 der Charta garantierte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf meines Erachtens nicht seines Inhalts. Außerdem wahrt sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die auferlegten Beschränkungen notwendig sind, um die Wirksamkeit des durch die Richtlinie 2011/16 eingeführten Verfahrens der Verwaltungszusammenarbeit im Bereich der Besteuerung zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung erforderlich ist.

d)      Schlussbemerkung zum Nichtvorhandensein einer Inkohärenz mit der Situation des Steuerpflichtigen

113. In seinem Urteil vom 22. Oktober 2013, Sabou (C‑276/12, EU:C:2013:678), hat der Gerichtshof entschieden, dass im Rahmen der Verfahren der Steuerprüfung zwischen der Ermittlungsphase – zu der das Auskunftsersuchen einer Steuerverwaltung an eine andere gehört – und der kontradiktorischen Phase zu unterscheiden ist. Nach Auffassung des Gerichtshofs verlangt „die Beachtung der Verteidigungsrechte des Steuerpflichtigen nicht …, dass dieser an dem vom ersuchenden Staat an den ersuchten Staat gestellten Auskunftsersuchen mitwirkt“(55).

114. Nach Ansicht der Kommission müsste das Gleiche für einen Dritten gelten, bei dem Informationen angefordert werden, wenn ersuchten Dritten nicht mehr Verfahrensrechte eingeräumt werden sollen als dem von der Steuerermittlung betroffenen Steuerpflichtigen, obwohl die Steuerangelegenheiten des Ersteren nicht berührt sind(56). Daher sollte der ersuche Dritte nicht über das Recht verfügen, die voraussichtliche Erheblichkeit des Informationsersuchens zu bestreiten.

115. Diesem Argument kann nicht gefolgt werden, da sich der von der Ermittlung betroffene Steuerpflichtige und der ersuchte Dritte nicht in vergleichbaren Situationen befinden.

116. Die Tatsache, dass dem Steuerpflichtigen im Urteil vom 22. Oktober 2013, Sabou (C‑276/12, EU:C:2013:678), nicht zwingend Verfahrensrechte eingeräumt worden sind, ist nämlich durch die vom Gerichtshof im Steuerprüfungsverfahren getroffene Unterscheidung zwischen der Ermittlungsphase und der kontradiktorischen Phase gerechtfertigt(57). Letztere beginnt mit der Übersendung eines Vorschlags für eine Berichtigung an den Steuerpflichtigen. Diese zweite Phase hat jedoch zwangsläufig die Wahrung bestimmter Rechte des Steuerpflichtigen, darunter des Rechts, eine mögliche endgültige Entscheidung vor einem Gericht anzufechten, zur Folge.

117. Ein ersuchter Dritter ist an der zweiten Phase des Steuerprüfungsverfahrens nicht beteiligt. Er wird seine Rechte dort also nicht geltend machen können. Kann – im Unterschied zur Situation des Steuerpflichtigen – in Bezug auf den ersuchten Dritten außerdem wirklich von einer Ermittlung gesprochen werden, vor allem dann, wenn gegen ihn eine finanzielle Sanktion verhängt wird? Unter diesen Umständen ist es nicht inkohärent, wenn die Antwort auf die Frage nach dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf unterschiedlich ausfällt, je nachdem, ob es sich um einen Steuerpflichtigen, dessen Steuern der ersuchende Staat berechnen will, oder um einen Dritten handelt, an den die Anordnung gerichtet ist, die auf das Informationsersuchen folgt.

E –    Vierte Vorlagefrage

118. Die vierte Frage des vorlegenden Gerichts bezieht sich auf die Tragweite des Begriffs „voraussichtliche Erheblichkeit“ in Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 der Richtlinie 2011/16. Die Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof) fragt sich im Wesentlichen, ob es sich dabei um eine Voraussetzung für die Gültigkeit des Informationsersuchens der ersuchenden Behörde an die ersuchte Behörde und der anschließenden Anordnung handelt.

119. Bei der Prüfung der dritten und der fünften Frage habe ich die Ansicht vertreten, dass die der ersuchten Behörde auferlegte Verpflichtung durch den Verweis in Art. 5 der Richtlinie 2011/16 auf Art. 1 dieser Richtlinie eindeutig begrenzt wird.

120. Nach diesen beiden Artikeln legt die Richtlinie 2011/16 nämlich die Regeln und Verfahren fest, aufgrund deren die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, untereinander im Hinblick auf den Austausch von Informationen zusammenarbeiten, die für die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten über die Steuern voraussichtlich erheblich sind(58).

121. Daraus habe ich abgeleitet, dass die Einhaltung des Standards der „voraussichtlichen Erheblichkeit“ Voraussetzung für die Ordnungsmäßigkeit des Informationsersuchens und der anschließenden Anordnung ist und er auch das Kriterium darstellt, anhand dessen die Rechtmäßigkeit der Anordnung durch ein Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta zu prüfen ist(59).

122. Mit anderen Worten stellt die voraussichtliche Erheblichkeit der von einem Mitgliedstaat bei einem anderen Mitgliedstaat angeforderten Auskünfte eine Voraussetzung dar, die das Auskunftsersuchen erfüllen muss, um die Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaats, ihm Folge zu leisten, auszulösen.

F –    Sechste Vorlagefrage

123. Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es Art. 47 Abs. 2 der Charta gebietet, das Informationsersuchen der ersuchenden Behörde an die ersuchte Behörde dem Adressaten der Anordnung und dem Gericht im Rahmen der Klage zu übermitteln, die gegen eine finanzielle Sanktion infolge der Weigerung, dieser Anordnung Folge zu leisten, erhoben worden ist.

124. Die Frage ist nicht nebensächlich. Sie bezieht sich auf den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens, der als ein fundamentaler Grundsatz betrachtet wird, da er die Ausübung der Verteidigungsrechte und die Feststellung der rechtlichen Wahrheit ermöglicht(60).

125. Im Rahmen der Richtlinie 2011/16 werden die Angaben, die geeignet sind, den Zusammenhang zwischen den angeforderten Informationen und dem von der ersuchenden Behörde verfolgten steuerlichen Zweck – d. h. die voraussichtliche Erheblichkeit der angeforderten Informationen – zu belegen, zwangsläufig im Informationsersuchen aufgeführt. Ob diese Angaben im Antrag auf Erlass der dem ersuchten Dritten zugestellten Anordnung wiederholt werden, ist jedoch nicht sicher. In Art. 3 Abs. 4 des Gesetzes vom 25. November 2014 heißt es vielmehr ausdrücklich, dass die Anordnung nur die Angaben enthält, auf die der Informationsinhaber angewiesen ist, um zu erkennen, welche Auskünfte verlangt werden(61).

126. Eine derart knappe Anordnung erlaubt es sicherlich nicht, zu überprüfen, ob sie sich auf ein Informationsersuchen stützt, das einen Zusammenhang zwischen den angeforderten Informationen, dem betreffenden Steuerpflichtigen und dem Dritten, dem gegebenenfalls Auskunft erteilt wird, einerseits und dem verfolgten steuerlichen Zweck andererseits aufweist(62).

127. Daher muss das ursprüngliche Informationsersuchen des ersuchenden Staates dem mit der Klage gegen die finanzielle Sanktion befassten Gericht notwendigerweise zur Kenntnis gebracht werden. Geschieht das nicht, wäre dieses Gericht nicht in der Lage, die in Art. 47 der Charta vorgeschriebene Rechtmäßigkeitskontrolle auszuüben.

128. Generalanwalt Bot hat in Nr. 92 seiner Schlussanträge in der Rechtssache ZZ (C‑300/11, EU:C:2012:563) nämlich unlängst darauf hingewiesen, dass, „auch wenn eine Beeinträchtigung der nationalen Sicherheit geltend gemacht wird, die Gewährleistung einer effektiven Klagemöglichkeit zumindest verlangt, dass die unabhängige Instanz, die über die Klage zu entscheiden hat, über die Gründe der streitigen Entscheidung unterrichtet wird, selbst wenn diese der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind“(63).

129. Wie verhält es sich aber mit dem ersuchten Dritten? Die Tatsache, dass dieser nicht über das Informationsersuchen verfügt, würde ein Ungleichgewicht zwischen den Prozessparteien schaffen.

130. Von Beginn des europäischen Aufbauprozesses an hat der Gerichtshof entschieden, dass es gegen das Grundrecht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf verstoßen würde, wenn eine gerichtliche Entscheidung auf Tatsachen und Schriftstücke gegründet würde, von denen die Parteien – oder eine von ihnen – keine Kenntnis nehmen und zu denen sie daher auch nicht Stellung nehmen konnten(64).

131. Zwar ist auch der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens nicht absolut. Insoweit darf der Rahmen, in den sich der vorliegende Rechtsstreit einfügt, nicht außer Acht gelassen werden: die Zusammenarbeit zwischen Steuerverwaltungen mit dem Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung. In diesem Zusammenhang ist es nicht ausgeschlossen, dass die Übermittlung des Informationsersuchens an den ersuchten Dritten der Wirksamkeit des Informationsersuchens schaden oder die Erfolgschancen der von der ersuchenden Behörde durchgeführten Ermittlung schmälern kann. Könnte die Weitergabe des Informationsersuchens an den ersuchten Dritten überdies nicht das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten des Steuerpflichtigen verletzen, dem die Steuerermittlung gilt?

132. Nach meinem Dafürhalten rechtfertigen diese Gründe die Beeinträchtigung der Garantien, die Bestandteil des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf sind, das der beschränkte Zugang zu den für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der verhängten Sanktion unerlässlichen Angaben darstellt, jedoch nicht generell und absolut.

133. Auch wenn der EGMR anerkannt hat, dass der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens eingeschränkt werden könne, darf dies nämlich nur im Hinblick auf die Wahrung des Grundrechts einer anderen Person oder eines wichtigen öffentlichen Interesses geschehen(65). Nach Auffassung des EGMR sind nur Maßnahmen, die „absolut erforderlich“ sind, im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK rechtmäßig(66).

134. Im Rahmen der Richtlinie 2011/16 rechtfertigen die Rechte einer anderen Person meines Erachtens insoweit nicht von vornherein die Vertraulichkeit des Informationsersuchens gegenüber dem ersuchten Dritten. Die Informationen über den von der Steuerermittlung betroffenen Steuerpflichtigen dürften nämlich bereits im Antrag auf Erlass einer Anordnung enthüllt worden sein(67). Dagegen handelt es sich bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung zweifellos um ein wichtiges öffentliches Interesse.

135. Selbst unter außergewöhnlichen Umständen im Zusammenhang mit der öffentlichen Sicherheit bei vermeintlichen terroristischen Bedrohungen hat der Gerichtshof jedoch entschieden, dass es der zuständigen nationalen Behörde obliegt, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die Sicherheit des Staates tatsächlich beeinträchtigt würde, wenn dem Betroffenen die genauen und umfassenden Gründe, die der streitigen Entscheidung zugrunde liegen, mitgeteilt würden(68).

136. Dieses Erfordernis ist auch Teil der Rechtsprechung des EGMR, der verlangt, dass eine Beschränkung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens durch angemessene Verfahrensmechanismen ausgeglichen wird, die geeignet sind, ein billiges Ergebnis des Verfahrens zu gewährleisten(69). Die Prüfung der Erforderlichkeit einer Weitergabe durch die Gerichte ist nämlich als eine wichtige Garantie angesehen worden, die eine Übermittlungsverweigerung durch die zuständige Behörde ausgleichen kann(70).

137. In Anbetracht dieser Erwägungen ist das Informationsersuchen dem mit der Klage gegen die finanzielle Sanktion befassten Gericht und dem ersuchten Dritten nach meinem Dafürhalten somit notwendigerweise zu übermitteln. Vertritt die Verwaltung des ersuchten Staates die Ansicht, dass diese Übermittlung geeignet sei, die Wirksamkeit der Verwaltungszusammenarbeit im Hinblick auf die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung zu beeinträchtigen (oder ein anderes öffentliches Interesse bzw. das Grundrecht einer anderen Person zu verletzen), obliegt es ihr, im Rahmen des vorerwähnten Klageverfahrens den Nachweis dafür zu erbringen, und dem Gericht, über die Frage zu entscheiden.

VI – Ergebnis

138. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen der Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof, Luxemburg) wie folgt zu beantworten:

1.      Sieht ein Mitgliedstaat in seinen Rechtsvorschriften eine finanzielle Sanktion gegen einen Adressaten vor, der sich weigert, im Rahmen eines Informationsaustauschs zwischen Steuerbehörden, der sich u. a. auf die Bestimmungen der Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung stützt, Informationen zu erteilen, führt er Unionsrecht durch, was die Anwendung der Charta zur Folge hat.

2.      Ein Adressat kann sich auf Art. 47 der Charta berufen, wenn er der Ansicht ist, dass sich die gegen ihn verhängte finanzielle Verwaltungssanktion auf ein Informationsersuchen stützt, an dessen Gültigkeit er zweifelt, sofern dieses Ersuchen im Rahmen eines Verfahrens ergeht, mit dem das Recht der Union durchgeführt wird.

3.      Art. 47 der Charta ist dahin auszulegen, dass das Gericht, das mit der Klage gegen die finanzielle Verwaltungssanktion, die infolge der Weigerung verhängt worden war, der Anordnung Folge zu leisten, befasst ist, die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung prüfen können muss. In Anbetracht des mit der Richtlinie 2011/16 verfolgten legitimen Ziels der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung muss das Gericht auf der Grundlage einer summarischen Prüfung jedoch lediglich überprüfen können, ob sich die Anordnung auf ein Informationsersuchen stützt, das einen Zusammenhang zwischen den angeforderten Informationen, dem betreffenden Steuerpflichtigen und dem Dritten, dem gegebenenfalls Auskunft erteilt wird, einerseits und dem verfolgten steuerlichen Zweck andererseits aufweist. Eine Rechtswidrigkeitsfeststellung setzt voraus, dass das Missverhältnis zwischen Informationsersuchen und steuerlichem Zweck offensichtlich ist.

4.      Die voraussichtliche Erheblichkeit der von einem Mitgliedstaat bei einem anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage der Richtlinie 2011/16 angeforderten Auskünfte stellt eine Voraussetzung dar, die das Auskunftsersuchen erfüllen muss, um die Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaats, ihm Folge zu leisten, auszulösen.

5.      Das Informationsersuchen, auf das sich die Anordnung stützt, ist dem mit der Klage gegen die finanzielle Sanktion befassten Gericht und dem ersuchten Dritten notwendigerweise zu übermitteln. Vertritt die Verwaltung des ersuchten Staates die Ansicht, dass diese Übermittlung geeignet sei, die Wirksamkeit der Verwaltungszusammenarbeit im Hinblick auf die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung zu beeinträchtigen (oder ein anderes öffentliches Interesse bzw. das Grundrecht einer anderen Person zu verletzen), obliegt es ihr, im Rahmen des vorerwähnten Klageverfahrens den Nachweis dafür zu erbringen, und dem Gericht, über die Frage zu entscheiden.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – ABl. 2011, L 64, S. 1.


3 – Ich denke dabei an die Untersuchungen der im Internationalen Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ) zusammengeschlossenen Journalisten aus verschiedenen Ländern, die zu den sogenannten LuxLeaks-, SwissLeaks- oder auch Panama-Papers-Enthüllungen geführt haben.


4 – Die Europäische Kommission hat mehrere Untersuchungen gegen verschiedene Mitgliedstaaten eingeleitet, die bestimmten Unternehmen vorteilhafte Steuersätze gewährt haben, etwa das Königreich der Niederlande für Starbucks, Irland für Apple, das Großherzogtum Luxemburg für McDonald’s und Amazon oder auch das Königreich Belgien für sein sogenanntes „Excess-profits-rulings“-System.


5 – Im Folgenden: EMRK.


6 – ABl. 2007, C 303, S. 17 bis 35, insbesondere S. 29 und 30. Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 30. Juni 2016, Toma und Biroul Executorului Judecătoresc Horațiu-Vasile Cruduleci (C‑205/15, EU:C:2016:499, Rn. 40). Zur Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dieser Frage vgl. Lebrun, G., „De l’utilité de l’article 47 de la Charte des droits fondamentaux de l’Union européenne“, Rev. trim. dr. h., 2016/106, S. 433 bis 459, insbesondere S. 440.


7 – Hervorhebung nur hier. Vgl. in diesem Sinne Braibant, G., La Charte des droits fondamentaux de l’Union européenne, Éditions du Seuil, Paris, 2001, S. 235 und 236.


8 – Vgl. in diesem Sinne Shelton, D., „Article 47 – Right to an Effective Remedy and to a Fair Trial“, in: Peers, S., Hervey, T., Kenner, J., und Ward, A. (Hrsg.), The EU Charter of Fundamental Rights – A commentary, Hart Publishing, Oxford, 2014, S. 1197 bis 1275, insbesondere Nr. 47.44.


9 – Vgl. in diesem Sinne Hofmann, H. C., „Article 47 – Right to an Effective Remedy and to a Fair Trial“, in: Peers, S., Hervey, T., Kenner, J., und Ward, A. (Hrsg.), The EU Charter of Fundamental Rights – A commentary, Hart Publishing, Oxford, 2014, S. 1197 bis 1275, insbesondere Nr. 47.50.


10 – ABl. 2006, L 347, S. 1.


11 – In Art. 273 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 heißt es: „Die Mitgliedstaaten können … weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden …“ Art. 2 der Richtlinie 2006/112 legt die Umsätze fest, die der Umsatzsteuer unterliegen, und Art. 250 Abs. 1 der genannten Richtlinie betrifft die Mehrwertsteuererklärung, die ein Steuerpflichtiger abzugeben hat.


12 – Die Tatsache, dass die Richtlinie (EU) 2016/881 des Rates vom 25. Mai 2016 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (ABl. 2016, L 148, S. 8) einen neuen Artikel 25a in die Richtlinie 2011/16 einfügt, der ausdrücklich vorsieht, dass die Mitgliedstaaten für Verstöße gegen die gemäß dieser Richtlinie insbesondere im Hinblick auf einen Artikel (den neuen Art. 8aa) erlassenen nationalen Vorschriften Sanktionen festlegen, ist nicht geeignet, die Tragweite der in Art. 22 der Richtlinie 2011/16 genannten Regel zu ändern.


13 – Vgl. in diesem Sinne Safjan, M., Düsterhaus, D., und Guérin, A., „La Charte des droits fondamentaux de l’Union européenne et les ordres juridiques nationaux, de la mise en œuvre à la mise en balance“, RTD Eur., 2016, S. 219 bis 247, insbesondere S. 229.


14 – ABl. 1977, L 336, S. 15.


15 – Rn. 27 dieses Urteils. Hervorhebung nur hier.


16 – Urteil vom 15. Oktober 1987, Heylens u. a. (222/86, EU:C:1987:442, Rn. 14). Hervorhebung nur hier.


17 – Urteil vom 23. April 1986, Les Verts/Parlament (294/83, EU:C:1986:166, Rn. 23). Hervorhebung nur hier.


18 – Urteile vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 91), sowie vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission (C‑274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 56).


19 – Diese Verpflichtung ergibt sich aus der Elften Richtlinie 89/666/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (ABl. 1989, L 395, S. 36).


20 – Vgl. Rn. 75 dieses Urteils.


21 – Vgl. Rn. 76 dieses Urteils.


22 – Vgl. Rn. 77 ff. dieses Urteils.


23 – Vgl. in diesem Sinne Shelton, D., „Article 47 – Right to an Effective Remedy and to a Fair Trial“, in: Peers, S., Hervey, T., Kenner, J., und Ward, A. (Hrsg.), The EU Charter of Fundamental Rights – A commentary, Hart Publishing, Oxford, 2014, S. 1197 bis 1275, insbesondere die Nrn. 47.01 und 47.46.


24 – Vgl. in diesem Sinne Pliakos, A., Le principe général de la protection juridictionnelle efficace en droit communautaire, Sakkoulas/Bruylant, Athen/Brüssel, 1997, S. 102, sowie Prechal, S., „The Court of justice and effective judicial protection: what has the Charte changed?“ in: Paulussen, C., Takács, T., Lazic, V., und Van Rompuy, B. (Hrsg.), Fundamental Rights in International and European Law. Public and Private Law Perspective, Springer, Berlin, 2016, S. 143 bis 157, insbesondere S. 148.


25 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB (C‑279/09, EU:C:2010:811, Rn. 35).


26 – Vgl. in diesem Sinne EGMR, 7. Juni 2012, Segame SA/Frankreich, CE:ECHR:2012:0607JUD000483706, §§ 54 und 55.


27 – EGMR, 7. Juni 2012, Segame SA/Frankreich, CE:ECHR:2012:0607JUD000483706, § 55. Vgl. auch – zu einer Streitigkeit in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen – EGMR, 15. September 2015, Tsanova-Gecheva/Bulgarien, CE:ECHR:2015:0915JUD0004380012, § 92, sowie EGMR, 13. Februar 2003, Chevrol/Frankreich, CE:ECHR:2003:0213JUD004963699, § 77.


28 – Vgl. in diesem Sinne EGMR, 16. April 2013, Fazliyski/Bulgarien, CE:ECHR:2013:0416JUD004090805, §§ 59 und 60, EGMR, 24. November 2005, Capital Bank AD/Bulgarien, CE:ECHR:2005:1124JUD004942999, §§ 99 bis 108, sowie EGMR, 28. April 2005, I. D./Bulgarien, CE:ECHR:2005:0428JUD004357898, §§ 50 bis 55.


29 – Vgl. u. a. Erwägungsgründe 3 und 12 der Richtlinie 2011/16. Der Gerichtshof vertritt die Auffassung, dass mit der Richtlinie 77/799 „die internationale Steuerhinterziehung und Steuerflucht bekämpft werden soll und dass sie somit zur Regelung der Zusammenarbeit der Finanzbehörden der Mitgliedstaaten erlassen wurde“ (Urteil vom 22. Oktober 2013, Sabou, C‑276/12, EU:C:2013:678, Rn. 32). Diese Ziele haben sich mit Erlass der Richtlinie 2011/16 nicht geändert.


30 – Vgl. in diesem Sinne – zur Richtlinie 77/799 – Urteil vom 27. September 2007, Twoh International (C‑184/05, EU:C:2007:550, Rn. 31). Vgl. auch – ebenfalls zur Richtlinie 77/799, genauer zu einem Steuerpflichtigen, der Gegenstand des Informationsersuchens ist – Urteil vom 22. Oktober 2013, Sabou (C‑276/12, EU:C:2013:678, Rn. 36).


31 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Juni 2016, Toma und Biroul Executorului Judecătoresc Horațiu-Vasile Cruduleci (C‑205/15, EU:C:2016:499, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).


32 – Urteil vom 18. März 2010, Alassini u. a. (C‑317/08 bis C‑320/08, EU:C:2010:146, Rn. 63).


33 – Vgl. in diesem Sinne Shelton, D., „Article 47 – Right to an Effective Remedy and to a Fair Trial“, in: Peers, S., Hervey, T., Kenner, J., und Ward, A. (Hrsg.), The EU Charter of Fundamental Rights – A commentary, Hart Publishing, Oxford, 2014, S. 1197 bis 1275, insbesondere Nr. 47.84.


34 – Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a. (C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 49).


35 – Vgl. in diesem Sinne EGMR, 15. September 2015, Tsanova-Gecheva/Bulgarien, CE:ECHR:2015:0915JUD0004380012, § 97.


36 – EGMR, 15. September 2015, Tsanova-Gecheva/Bulgarien, CE:ECHR:2015:0915JUD0004380012, § 98.


37 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB (C‑279/09, EU:C:2010:811, Rn. 60).


38 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. September 2007, Twoh International (C‑184/05, EU:C:2007:550, Rn. 30), und vom 22. Oktober 2013, Sabou (C‑276/12, EU:C:2013:678, Rn. 32).


39 – Hervorhebung nur hier.


40 – Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 18. Juli 2007, Oy AA (C‑231/05, EU:C:2007:439, Rn. 60), und vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 40, 45 und 46).


41 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2013, Sabou (C‑276/12, EU:C:2013:678, Rn. 34).


42 – Hervorhebung nur hier.


43 – Mit Ausnahme der Mehrwertsteuer und von Zöllen oder Verbrauchsteuern, die in anderen Rechtsvorschriften der Union über die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten erfasst sind, sowie von Sozialversicherungsbeiträgen (Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2011/16).


44 – Vgl. zwölfter Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/16. So verpflichtet Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2011/16 die ersuchte Behörde, wenn sie die ersuchende Behörde über bestehende Mängel im Informationsersuchen unterrichten möchte, beispielsweise dazu, dies innerhalb eines Monats nach Erhalt des Informationsersuchens zu tun.


45 – Art. 5 Abs. 1 des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung vom 2. Februar 2009 (KOM[2009] 29 endgültig) bezog sich auf „Informationen, die für die korrekte Festsetzung der Steuern … von Bedeutung sein können“. Hervorhebung nur hier.


46 – Vgl. Rn. 570 der Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung vom 2. Februar 2009 (KOM[2009] 29 endgültig). Der Gerichtshof hat die Tatsache, dass sich die Mitgliedstaaten an einem OECD-Musterabkommen orientieren, bereits legitimiert. Vgl. beispielsweise – zum Muster-Doppelbesteuerungsabkommen – Urteil vom 14. Februar 1995, Schumacker (C‑279/93, EU:C:1995:31, Rn. 32)


47 – Erläuterungen zu Art. 26 des OECD-Musterabkommens 2014 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen, Nr. 5. Hervorhebung nur hier.


48 – Erläuterungen zu Art. 26 des OECD-Musterabkommens 2014 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen. Hervorhebung nur hier.


49 – Vgl. in diesem Sinne – zur Richtlinie 77/799 – Urteil vom 13. April 2000, W. N. (C‑420/98, EU:C:2000:209, Rn. 18).


50 – Vgl. Rn. 50 der schriftlichen Erklärungen der Kommission.


51 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2013, Sabou (C‑276/12, EU:C:2013:678, Rn. 34).


52 – Lediglich Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2011/16 setzt eine Antwort der ersuchten Behörde voraus. Dieser ist es jedoch unmöglich, zu überprüfen, ob die Voraussetzung erfüllt ist. Nach der genannten Vorschrift erteilt eine ersuchte Behörde einer ersuchenden Behörde die Informationen gemäß Art. 5 nämlich „unter der Voraussetzung, dass die ersuchende Behörde die üblichen Informationsquellen ausgeschöpft hat, die sie unter den gegebenen Umständen zur Erlangung der erbetenen Informationen genutzt haben könnte, ohne die Erreichung ihres Ziels zu gefährden“. Die besagte Voraussetzung ist somit von der ersuchenden Behörde zu erfüllen. Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, auf den sich die Richtlinie stützt, hat die ersuchte Behörde zwingend von der Erfüllung dieser Voraussetzung auszugehen. Normalerweise greift eine ersuchende Behörde nur dann auf die Richtlinie zurück, wenn sie nicht selbst über die erforderlichen Informationen verfügt.


53 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Oktober 2013, Sabou (C‑276/12, EU:C:2013:678, Rn. 33), und vom 27. September 2007, Twoh International (C‑184/05, EU:C:2007:550, Rn. 32).


54 – In Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2011/16 heißt es wiederum, dass die Richtlinie „einen ersuchten Mitgliedstaat nicht zu Ermittlungen oder zur Übermittlung von Informationen [verpflichtet], wenn die Durchführung solcher Ermittlungen bzw. die Beschaffung der betreffenden Informationen durch diesen Mitgliedstaat für seine eigenen Zwecke mit seinen Rechtsvorschriften unvereinbar wäre“ (Hervorhebung nur hier).


55 – Rn. 44 dieses Urteils.


56 – Vgl. Rn. 70 der schriftlichen Erklärungen der Kommission.


57 – Vgl. hierzu die Nrn. 56 bis 59 der Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Sabou (C‑276/12, EU:C:2013:370). Vgl. auch – für das Schrifttum – Aubert, M., Broussy, E., und Cassagnabère, H., „Chronique de jurisprudence de la CJUE“, L’actualité juridique; droit administratif, 2013, S. 2309; Van Eijsden, A., „Sabou. Exchange of information on request. No obligation to inform taxpayer of the request“, Highlights & Insights on European Taxation, 2014, Nr. 3, S. 131 bis 134, insbesondere S. 132 und 133.


58 – Mit Ausnahme der Mehrwertsteuer und von Zöllen oder Verbrauchsteuern, die in anderen Rechtsvorschriften der Union über die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten erfasst sind, sowie von Sozialversicherungsbeiträgen (Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2011/16).


59 – Vgl. Nrn. 94 und 95 der vorliegenden Schlussanträge.


60 – Vgl. in diesem Sinne Miniato, L., Le principe du contradictoire en droit processuel, L. G. D. J., Paris, 2008, Nr. 121.


61 – Im vorliegenden Fall sind die gesetzlichen Vorgaben offenbar nicht notwendigerweise beachtet worden. Der Berlioz in der Ausgangsrechtssache zugestellte Antrag auf Erlass einer Anordnung enthält neben den verlangten Auskünften nämlich auch andere Informationen (vgl. Fn. 67).


62 – Vgl. Nr. 111 der vorliegenden Schlussanträge.


63 – Hervorhebung nur hier.


64 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 1961, SNUPAT/Hohe Behörde (42/59 und 49/59, EU:C:1961:5), und – für eine jüngere Bestätigung des Grundsatzes – Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ (C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 56).


65 – Vgl. in diesem Sinne EGMR, 16. Februar 2000, Jasper/Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:2000:0216JUD002705295, § 52, sowie EGMR, 19. Februar 2009, A. u. a./Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:2009:0219JUD000345505, § 205.


66 – EGMR, 16. Februar 2000, Jasper/Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:2000:0216JUD002705295, § 52.


67 – Dies ist vorliegend im Übrigen der Fall, da in der Anordnung die betroffene juristische Person bezeichnet und der Zweck der von den Behörden des ersuchenden Staates veranlassten Ermittlung angegeben werden. In der Anordnung wird ausgeführt, dass es sich „[b]ei der vom Ersuchen betroffenen juristischen Person … um die Gesellschaft Cofima SAS [handelt]“, die Adresse ihres Gesellschaftssitzes in Frankreich angegeben und anschließend ausdrücklich hinzugefügt, dass „[d]ie französischen Steuerbehörden … die Steuerangelegenheiten der von der Gesellschaft Berlioz Investment SA gehaltenen Gesellschaft SAS Cofima [überprüfen] und … Auskünfte [benötigen], um sich zur Anwendung der Quellensteuer auf die von der SAS Cofima vorgenommenen Ausschüttungen an die Berlioz Investment SA äußern zu können“ (vgl. Schriftstück A 1 des von der luxemburgischen Regierung vorgelegten Dossiers).


68 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ (C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 61).


69 – Vgl. in diesem Sinne Nr. 83 der Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache ZZ (C‑300/11, EU:C:2012:563) und insbesondere EGMR, 16. Februar 2000, Jasper/Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:2000:0216JUD002705295, § 52.


70 – Vgl. in diesem Sinne EGMR, 16. Februar 2000, Jasper/Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:2000:0216JUD002705295, § 56.