Language of document : ECLI:EU:C:2006:41

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

DÁMASO RUIZ-JARABO COLOMER

vom 17. Januar 20061(1)

Rechtssache C-145/05

Levi Strauss & Co.

gegen

Casucci SpA

(Vorabentscheidungsersuchen der belgischen Cour de cassation)

„Marke – Für identische oder ähnliche Waren benutztes Zeichen – Verwechslungsgefahr – Beurteilung“





I –    Einleitung

1.        Der wichtigste Unterschied zwischen dem Schutz, den das Markenrecht gewährt, und dem, der durch die übrigen Rechte des geistigen und gewerblichen Eigentums verliehen wird, liegt höchstwahrscheinlich in seiner Dauer, da er für unbestimmte Zeit gewährt wird und nur von der tatsächlichen Benutzung der Marke und der Entrichtung der Gebühren für die Verlängerung der Eintragung abhängt. Diese Besonderheit schützt gleichwohl nicht gegen das Auf und Ab des Marktes, denn harter Wettbewerb und andere Umstände können der Marke ihren Daseinszweck, nämlich ihre Fähigkeit zur Kennzeichnung der Waren oder Dienstleistungen des die Marke innehabenden Unternehmens nehmen, z. B. aufgrund der Entwicklung ihrer Wahrnehmung durch die angesprochenen Verkehrskreise.

2.        Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens stellt ein Beispiel für diesen Wandel und die damit verbundenen Probleme dar. Die belgische Cour de cassation möchte wissen, zu welchem Zeitpunkt zu beurteilen ist, ob Verwechslungsgefahr zwischen einer eingetragenen Marke und einem Zeichen besteht, das von einem anderen Unternehmen in denselben Markt eingeführt wurde, und das Zeichen dadurch die Marke verletzt. Die Frage ist nicht unwichtig, denn im Fall einer Verwässerung des Rechts an diesem immateriellen Gut ist die Antwort je nach dem Zeitpunkt, den man für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr durch das Gericht für angemessen hält, ganz unterschiedlich.

3.        Man braucht nur auf der Straße die vielen Leute zu sehen, die täglich Jeans tragen, um sich eine Vorstellung von der wirtschaftlichen Bedeutung dieser Kleidungsstücke im Handel(2) und folglich vom Hintergrund des bei den belgischen Gerichten verhandelten Rechtsstreits zu machen. Auch wenn ihr Ursprung umstritten ist(3), bezweifle ich, dass es ein für den amerikanischen Lebensstil so repräsentatives Kleidungsstück gibt, das eine vergleichbare weltweite Verbreitung erlangt hat(4).

II – Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

4.        1980 wurde für die Klägerin, die Levi Strauss & Co., ein Unternehmen mit Sitz im Staat Delaware (Vereinigte Staaten), beim Benelux‑Markenamt die Bildmarke mit der Bezeichnung „mouette“(5) eingetragen, bestehend aus der nachfolgend wiedergegebenen Zeichnung einer doppelten, in der Mitte nach unten geschwungenen Steppnaht, die sich in der Mitte einer fünfeckigen Tasche befindet, für Kleidung der Klasse 25 des Abkommens von Nizza:

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5.        Die Beklagte, die Casucci SpA mit Sitz in Sant’ Egidio alla Vibrata (Teramo, Italien), begann 1997 mit der Vermarktung von Jeans, die ebenfalls mit einer doppelten, leicht nach oben geschwungenen Steppnaht in der Mitte der wie folgt aussehenden Gesäßtaschen versehen waren:

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6.        Da die Klägerin der Auffassung war, dass diese Zeichnung die aus ihrem Zeichen abgeleiteten Rechte verletze, erhob sie vor dem Tribunal de commerce Brüssel Klage mit dem Antrag, die Beklagte zur Unterlassung der Benutzung des auf ihren Hosen angebrachten Kennzeichens und zur Zahlung von Schadensersatz zu verurteilen.

7.        Das Gericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin hin bestätigte die Cour d’appel Brüssel mit Urteil vom 7. Juni 2002 die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung und verneinte eine Verletzung der Marke „mouette“ durch die Beklagte. Sie stellte zudem fest, dass die widerstreitenden Zeichen nur geringe Ähnlichkeit aufwiesen und dass die Marke der Klägerin aufgrund der ständigen und verbreiteten Benutzung ihrer eigentümlichsten Bestandteile die Eigenschaft einer „starken“ Marke verloren habe. Nach Auffassung des Gerichts zeigt die Doppelnaht heutzutage die Zugehörigkeit der Kleidungsstücke zur Gruppe der Hosen an, die aus Denim(6) hergestellt und auf Englisch „jeans“(7) genannt werden.

8.        Das Berufungsgericht führte weiter aus, dass die Zeichnungen der beiden Taschen unterschiedliche Bedeutung hätten, da Randnummer 23 des Urteils Sabèl(8) zufolge bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf den Gesamteindruck abzustellen sei, den die Marken hervorriefen, und die Naht der Klägerin den Eindruck einer Möwe hervorrufe, die ihre Flügel ausbreite, während die Naht der Beklagten eher an die Form eines Vulkans erinnere. Gestützt auf diese Entscheidung(9) sowie auf Randnummer 29 des Urteils Canon(10) führte die Cour d’appel Brüssel aus, dass es mangels übereinstimmender Bedeutung ausgeschlossen sei, dass das Publikum annehme, die Hosen, die von den Prozessparteien hergestellt würden, stammten aus demselben Unternehmen.

9.        Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung Kassationsbeschwerde bei der Cour de cassation ein, bei der die Sache bis zur Entscheidung über die Vorlagefrage anhängig bleibt.

10.      Im Wesentlichen trägt die Klägerin vor, das Berufungsgericht habe dadurch gegen Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/104/EWG(11) verstoßen, dass es erklärt habe, ihre Marke „mouette“ habe nicht mehr dieselbe Stärke wie früher. Ihr Recht des gewerblichen Eigentums habe diese Stärke 1997 noch gehabt, als die Beklagte die Hosen in den Beneluxstaaten zum Verkauf angeboten habe, und damit zu dem Zeitpunkt, auf den das Berufungsgericht nach der Quick‑Rechtsprechung des Benelux‑Gerechtshof(12) hätte abstellen müssen, als es die Verwechslungsgefahr beurteilt habe.

11.      Schließlich führt die Klägerin aus, für die Feststellung der Schwäche der Marke „mouette“ wegen Verlusts der Unterscheidungskraft dadurch, dass ihre repräsentativsten Bestandteile zu Gattungsmerkmalen geworden seien, habe dem Berufungsgericht die gesetzliche Grundlage gefehlt, denn es habe nicht geprüft, ob dieser Umstand der Klägerin zumindest teilweise anzulasten sei, weil sie sich gegenüber dem zunehmenden Wettbewerb passiv verhalten habe.

12.      Vor diesem Hintergrund hat die Cour de cassation das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Muss das Gericht, um den Schutzumfang einer Marke zu bestimmen, die gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 89/104 ordnungsgemäß aufgrund ihrer Unterscheidungskraft erworben wurde, die Auffassung der betroffenen Verkehrskreise zu dem Zeitpunkt berücksichtigen, zu dem die als Verletzung der Marke beanstandete Benutzung einer ähnlichen Marke oder eines ähnlichen Zeichens begann?

2.      Wenn nicht, kann das Gericht die Auffassung der betroffenen Verkehrskreise zu jedem beliebigen Zeitpunkt nach dem Zeitpunkt berücksichtigen, zu dem die beanstandete Benutzung begann? Kann es insbesondere die Auffassung der betroffenen Verkehrskreise zum Zeitpunkt seiner Entscheidung berücksichtigen?

3.      Ist es, wenn das Gericht in Anwendung des in der ersten Frage genannten Kriteriums eine Verletzung der Marke feststellt, in der Regel gerechtfertigt, dass es die Unterlassung der verletzenden Benutzung des Zeichens anordnet?

4.      Kann etwas anderes gelten, wenn die Marke der Klägerin ihre Unterscheidungskraft nach dem Zeitpunkt, zu dem die verletzende Benutzung begann, ganz oder teilweise verloren hat und dieser Verlust ganz oder teilweise auf ein Tun oder Unterlassen des Inhabers der Marke zurückzuführen ist?

III – Das Verfahren vor dem Gerichtshof

13.      Die Vorlageentscheidung ist am 31. März 2005 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen worden.

14.      Die Klägerin und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben innerhalb der Frist gemäß Artikel 20 der EG‑Satzung des Gerichtshofes schriftliche Erklärungen abgegeben. Die Beklagte dagegen hat in einem Schreiben ihres Rechtsbeistands vom 1. Juni 2005 ausdrücklich auf dieses Recht verzichtet.

15.      In der Sitzung vom 17. November 2005 haben die Klägerin und die Kommission mündlich verhandelt.

IV – Rechtlicher Rahmen

16.      Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt im Wesentlichen von der Auslegung der Richtlinie 89/104 ab, die zum Ziel hat, „die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken anzugleichen, um Unterschiede zu beseitigen, die geeignet sind, den freien Warenverkehr und den freien Dienstleistungsverkehr zu behindern und die Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen Markt zu verfälschen. Sie zielt jedoch nicht auf eine vollständige Angleichung dieser Rechtsvorschriften ab, so dass das Eingreifen des Gemeinschaftsgesetzgebers auf bestimmte Aspekte bezüglich durch Eintragung erworbene Marken beschränkt bleibt.“(13) Insbesondere enthält sie keine Verfahrensvorschriften.

17.      Artikel 5 Absätze 1 und 3 der Richtlinie bestimmt:

„(1) Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr

a)      ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist;

b)      ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch [das Recht des gewerblichen Eigentums und das Logo] erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

(3)   Sind die Voraussetzungen der Absätze l und 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden:

a)      das Zeichen auf Waren oder deren Aufmachung anzubringen;

b)      unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;

c)      Waren unter dem Zeichen einzuführen oder auszuführen;

d)      das Zeichen in den Geschäftspapieren und in der Werbung zu benutzen.“

18.      In Artikel 12 Absatz 2 der Richtlinie heißt es:

„(2)      Eine Marke wird ferner für verfallen erklärt, wenn sie nach dem Zeitpunkt ihrer Eintragung:

a)      infolge des Verhaltens oder der Untätigkeit ihres Inhabers im geschäftlichen Verkehr zur gebräuchlichen Bezeichnung einer Ware oder Dienstleistung, für die sie eingetragen ist, geworden ist;

...“

V –    Erörterung der Vorlagefragen

19.      Bevor ich zur Prüfung der Fragen komme, die dem Gerichtshof von der Cour de cassation vorgelegt worden sind, ist auf die grundlegende Bedeutung des Ausgangsrechtsstreits hinzuweisen. Die Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem das nationale Gericht die Verwechslungsgefahr feststellen muss, ist für den vorliegenden Fall von Belang, da offenbar unstreitig ist, dass die Marke „mouette“ ihre Unterscheidungskraft in dem Zeitraum vor Vorlage des Ersuchens in Belgien verloren hat. Deshalb kann es je nachdem, ob die Verwechslungsgefahr vorher oder nachher geprüft wird, zu einem ganz anderen Ergebnis kommen, das sich auf die Berechnung der Zeit auswirkt, die für die Bemessung des gegebenenfalls zu zahlenden Schadensersatzes zu berücksichtigen ist.

A –    Die erste und die zweite Vorlagefrage

20.      Mit diesen Fragen möchte das vorlegende Gericht im Hinblick auf die Bestimmung des Schutzes einer Marke, die gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 89/104 ordnungsgemäß aufgrund ihrer Unterscheidungskraft erworben wurde, wissen, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Auffassung der betroffenen Verkehrskreise abzustellen ist, wobei es die drei folgenden Möglichkeiten erwägt: den Zeitpunkt, zu dem mit der Benutzung des die Marke verletzenden Zeichens begonnen wird, einen beliebigen anderen Zeitpunkt oder den Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsstreits.

21.      Es ist darauf hinzuweisen, dass die Hauptfunktion der Marke nach ständiger Rechtsprechung darin besteht, dem Verbraucher oder Endabnehmer den Ursprung der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu garantieren, indem sie es ihm ermöglicht, diese eindeutig zu identifizieren(14). Nur eine Marke mit Unterscheidungskraft ist geeignet, diese Funktion zu erfüllen. Andernfalls wird ihr die Eintragung im Register versagt, wie sich aus Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie ergibt(15).

22.      Mit ihrer Eintragung beim zuständigen Amt und der Veröffentlichung im entsprechenden Markenblatt verleiht die Marke ihrem Inhaber die in Artikel 5 der Richtlinie 89/104 aufgeführten Rechte. Auch wenn es hierzu keine Bestimmung gibt, ist es in rechtslogischer Hinsicht zwingend, dass die Wahrnehmung dieser Rechte so lange andauert, wie die Markeninhaberschaft fortbesteht.

23.      Wie die Kommission zu Recht ausführt, hat dem Urteil Sabèl(16) zufolge die Wirkung der Marken auf den Durchschnittsverbraucher der Ware oder der Dienstleistung entscheidende Bedeutung für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr, so dass sie zu einem besonders wichtigen Kriterium für die Prüfung der Unterscheidungskraft wird. Allerdings ändert sich die Art der Wahrnehmung dieser Zeichen durch die Verkehrskreise mit der Zeit, wobei insbesondere das Verhalten der übrigen Anbieter von Waren und Dienstleistungen auf demselben Markt, das sich auf die Unterscheidungskraft der Zeichen auswirkt, eine Rolle spielt.

24.      Folglich erfordert die volle praktische Wirksamkeit der Rechte aus Artikel 5, dass sie ihren Inhaber ohne weiteres schützen, d. h., dass sie geltend gemacht werden können, sobald sie verletzt werden. Bei Waren, die mit einem Symbol versehen sind, das durch die bei den angesprochenen Verkehrskreisen ausgelöste Verwirrung ein Markenrecht verletzt, tritt die Verletzung des Rechts des gewerblichen Eigentums ab dem Zeitpunkt ein, zu dem die Gegenstände vermarktet werden, und sie dauert fort, bis diese Situation beseitigt wird.

25.      Das nationale Gericht darf daher als zeitlichen Bezugspunkt für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr keinen Zeitpunkt wählen, der nach dem Beginn dieses rechtswidrigen Aktes liegt, da es sonst den Schutz, der dem rechtmäßigen Inhaber der Marke gewährt wird, schmälern würde. Es wird den Schutz jedoch auch nicht über den Zeitpunkt hinaus erstrecken können, an dem diese Rechte dem Inhaber nicht mehr zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund wird man im vorliegenden Fall nicht auf den Tag abzustellen haben, an dem über die Klage entschieden wird, denn dies wäre weder für die Beurteilung der Auswirkung der Verwechslungsgefahr auf die Unterscheidungskraft der Marke noch für den Erlass der erforderlichen Maßnahmen oder Sanktionen hilfreich.

26.      Steht wie im Ausgangsverfahren, in dem Schadensersatz gefordert wird, fest, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem das Gericht über die Klage entscheidet, kein Recht mehr verletzt wird, weil die Unterscheidungskraft der im Prinzip verletzten Marke aus welchem Grund auch immer entfallen ist, dann muss auch ermittelt werden, wann die Rechtswirkungen des geschützten Zeichens geendet haben, um berechnen zu können, für welchen Zeitraum Schadensersatz verlangt werden kann.

27.      Verletzt ein Zeichen, das einer Marke ähnlich ist, diese dadurch, dass es die Gefahr von Verwechslungen zwischen beiden hervorruft, hat das nationale Gericht deshalb zur Bestimmung des Umfangs des Schutzes, den diese gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 89/104 ordnungsgemäß aufgrund ihrer Unterscheidungskraft erworbene Marke genießt, zu prüfen, wie die angesprochenen Verkehrskreise sie zu dem Zeitpunkt wahrgenommen haben, zu dem mit der Benutzung des Zeichens begonnen wurde.

B –    Die dritte Vorlagefrage

28.      Diese Frage betrifft im Kern eine genau bestimmte Maßnahme, und zwar die Anordnung, die Benutzung des Verletzungszeichens zu unterlassen, als angemessene Vorkehrung unter den in den beiden vorausgehenden Fragen genannten Umständen, nämlich, wenn das Gericht festgestellt hat, dass die Benutzung dieses Zeichens eine Verletzung darstellt.

29.      Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Richtlinie 89/104 keine Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften im Verfahrensbereich vornimmt, in dem das Autonomieprinzip herrscht, wonach die Mitgliedstaaten bei der Wahl der geeigneten Mittel zur Erfüllung der materiell‑rechtlichen Vorgaben des Gemeinschaftsgesetzgebers frei sind.

30.      Allerdings unterliegt die staatliche Tätigkeit bei der Umsetzung der Richtlinien in die nationale Rechtsordnung dem in Artikel 10 EG aufgestellten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit. Wie die Kommission bemerkt, ist neben diesem Postulat auch die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes(17) zu beachten, die die nationalen Gerichte verpflichtet, ein Gesetz zur Umsetzung einer Richtlinie gemeinschaftsrechtskonform auszulegen, weshalb ihre Entscheidungen den gerichtlichen Schutz der Rechte gewährleisten müssen, die aus diesen Rechtsakten abgeleitet werden.

31.      Was die Harmonisierung der Regelungen über die Marken angeht, so hat die Richtlinie zwar nicht ausdrücklich die Verfahrensgrundzüge angeschnitten(18), wirkt sich aber mittelbar auf einige Aspekte aus.

32.      Indem Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie 89/104 den Unterlassungsanspruch des Inhabers eines Markenrechts definiert, deutet er an, welche Optionen zur Erreichung des beschriebenen Zieles am geeignetsten sind. Im Licht der Buchstaben a bis d dieses Absatzes wäre die Anordnung, ein Verletzungszeichen nicht mehr zu benutzen, ein geeignetes Mittel; zudem sehen die nationalen Regelungen wahrscheinlich vergleichbare Instrumente vor.

33.      Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob eine derartige Maßnahme im Licht aller Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung geeignet ist, den Schutz der durch die Richtlinie 89/104 gewährten Rechte sicherzustellen.

C –    Die vierte Vorlagefrage

34.      Mit dieser Frage möchte die belgische Cour de cassation wissen, ob die Unterlassung der Benutzung des markenverletzenden Zeichens angeordnet werden darf, wenn die betreffende Marke ihre Unterscheidungskraft aufgrund eines Tuns oder Unterlassens, das ihrem Inhaber anzulasten ist, ganz oder teilweise verloren hat.

35.      Die Klägerin schlägt vor, die Frage zu bejahen, weil dieser Ansatz sowohl den Interessen des Inhabers des Rechts des geistigen Eigentums als auch denen seiner Wettbewerber gerecht werde.

36.      Die Kommission ist der Auffassung, da die Feststellung der Unterscheidungskraft auf objektiven Kriterien beruhe, könne deren Verlust nicht die Folge des Verhaltens dessen sein, der den Schutz nach Artikel 5 genieße, denn sein Verhalten habe Auswirkungen nach den Artikeln, die dies ausdrücklich vorsähen, Artikel 9 (Verwirkung durch Duldung) und 12 (Verfall). Zudem würde der Sinn der Regelung verfälscht, wenn ein Unternehmen, das Waren oder Dienstleistungen unter Verletzung der Rechte vertrieben habe, die durch ein rechtlich geschütztes immaterielles und zum Vermögen eines anderen Wirtschaftsteilnehmers gehörendes Gut verliehen würden, bestimmte Vorteile aus der von ihm begangenen rechtswidrigen Handlung zöge.

37.      Nicht zu vergessen ist, dass aus der Natur des Eigentumsrechts, das durch die Registrierung der Marke, deren rechtliche Wirksamkeit auf ihrer Eintragung auf unbestimmte Zeit beruht und von ihrer Benutzung im geschäftlichen Verkehr und der Entrichtung der Gebühren abhängt, förmlich erteilt wird, folgt, dass die Eintragung der Marke nur aufgrund der Erklärung einer rechtlich zuständigen Stelle gelöscht werden darf. Zu diesem Zweck ermöglicht es die Richtlinie 89/104 Wettbewerbern, die ähnliche Zeichen verwenden, unter bestimmten Voraussetzungen eine entsprechende Nichtigkeits‑ oder Verfallserklärung zu beantragen. Änderungen in der Wahrnehmung der Gegenstände des Rechts auf gewerbliches Eigentum sind die Vorbedingung für die Stellung eines solchen Antrags. Für sich allein genügen sie jedoch nicht, um den Schutz aufgrund der Eintragung zu beseitigen.

38.      Die Kommission macht zu Recht auf die Rechte der Wettbewerber aufmerksam, die als Grenze und Gegenstück der Rechte des Markeninhabers dienen. Sie müsste ihre Erklärungen jedoch nuancieren, wobei zwei Fälle des Verlustes der Unterscheidungskraft hervorstechen, die sowohl infolge von Faktoren auftreten können, die mit der Benutzung der Marke durch den Inhaber zusammenhängen, als auch aufgrund ihrer massiven Nachahmung durch dritte Unternehmen und damit verbunden dem Verhalten der Verbraucher.

39.      Das geläufigste Beispiel für den ersten Fall besteht in der verstärkten Verbreitung der Marke unter den Benutzern, die sie für andere Waren und Dienstleistungen verwenden(19) und dadurch ihre Popularisierung bewirken. Aber auch bestimmte Unterlassungen ihres Inhabers sind mit nachteiligen Folgen verbunden, etwa wenn keine Nichtigkeitsklagen gegen die Verletzer erhoben werden(20). Schließlich verwandelt der Verkehr, wenn er unterschiedslos alle ähnlichen Gegenstände mit derselben Marke bezeichnet, diese Marke in eine Gattungsbezeichnung und nimmt ihr damit ihre Unterscheidungskraft.

40.      Liegt der Grund für das Verschwinden der Unterscheidungskraft in den Handlungen der Wettbewerber auf dem Markt und könnte gleichzeitig das nationale Gericht nicht die Unterlassung der Benutzung von Zeichen anordnen, die das Zeichen eines Markeninhabers stören können, so käme dies daher einer Aufforderung an die verletzenden Unternehmen gleich, in einer konzertierten Aktion den Markt mit vergleichbaren Zeichen zu überschwemmen und anschließend die Verwässerung der nachgeahmten Logos zu vermelden. Für diesen Fall stimme ich mit der Kommission darin überein, dass damit im Ergebnis unlauterem ein Vorteil gegenüber lauterem Verhalten eingeräumt würde.

41.      Entfällt die Funktion der Marke als Ursprungsgarantie und damit ihre Unterscheidungskraft hingegen wegen Missbrauchs eines eigenen Symbols des Markeninhabers oder aufgrund des unanfechtbaren Urteils des Verbrauchers, dann steht Wettbewerbern der Weg über Artikel 12 zur Beantragung des Verfalls oder über Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b zur Beantragung der Nichtigkeit offen. Die förmliche Erklärung führt in diesen Fällen zum Untergang des Rechts, so dass die Benutzung ähnlicher Zeichen nicht untersagt werden darf.

42.      Nach alledem kann das nationale Gericht nur dann davon absehen, die Unterlassung dieser markenverletzenden Benutzung anzuordnen, wenn die übrigen Unternehmen sich darauf berufen könnten, dass die Marke aus Gründen, die nichts mit der Benutzung ihrer eigenen Marken zu tun haben, zu einer Gattungsbezeichnung geworden ist, sofern die Streichung der betreffenden Marke auf geeignetem Wege beantragt wird. Andernfalls wäre es mit dem Gedanken des Schutzes des Rechts des Inhabers nach den Artikeln 4 und 5 der Richtlinie 89/104 nicht vereinbar, wenn das Gericht keine Unterlassung anordnen würde.

VI – Ergebnis

43.      Aufgrund dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die von der belgischen Cour de cassation vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Verletzt ein Zeichen, das einer Marke ähnlich ist, diese dadurch, dass es die Gefahr von Verwechslungen hervorruft, hat das nationale Gericht zur Bestimmung des Umfangs des Schutzes, den diese gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ordnungsgemäß aufgrund ihrer Unterscheidungskraft erworbene Marke genießt, zu prüfen, wie die angesprochenen Verkehrskreise sie zu dem Zeitpunkt wahrgenommen haben, zu dem mit der Benutzung des Zeichens begonnen wurde.

2.      Wird die Verletzung einer eingetragenen Marke festgestellt, dann hat das nationale Gericht auch zu entscheiden, ob die gerichtliche Anordnung, die Benutzung des Verletzungszeichens zu unterlassen, eine Maßnahme darstellt, die im Licht aller Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung geeignet ist, den Schutz der Rechte sicherzustellen, die dem Inhaber einer Marke durch die Richtlinie 89/104 gewährt werden.

3.      Das nationale Gericht kann jedoch vom Erlass dieser Anordnung absehen, wenn die Marke aufgrund des Verhaltens oder der Untätigkeit ihres Inhabers ihre Unterscheidungskraft verloren hat, sofern dieser in einer Entscheidung einer zuständigen Stelle hierfür ausdrücklich verantwortlich gemacht worden ist.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – In den mehr als 150 Jahren seines Bestehens hat Levi Strauss rund 3,5 Milliarden Paare Hosen verkauft. Adrián, J., Levi’s abandona sus raíces, http://winred.com.


3 – Im Allgemeinen trug man sie zum Arbeiten, und ab den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts begannen sie, sich bei der Jugend durchzusetzen. Weniger bekannt erscheint dagegen ihre Geschichte. Sie beginnt in Genua, als diese italienische Stadt noch eine unabhängige Republik und eine Seemacht war. Ihre Flotte, die widerstandsfähige Kleidung für die Seeleute benötigte, griff zu diesem Stoff, der auch im nassen Zustand getragen werden konnte (http://es.wikipedia.org).


4 – Unter den zahlreichen Bezugnahmen auf dieses Kleidungsstück in der neueren Literatur möchte ich K. Hosseini hervorheben, einen in Afghanistan geborenen und in Kalifornien wohnenden Schriftsteller, der in seinem Buch Cometas en el cielo, 2. Aufl., Übersetzung von Isabel Murillo Fort, ed. Salamandra, Madrid 2003 [engl. Originaltitel: The Kite Runner, deutscher Titel: Drachenläufer, die Hauptfigur mit „schwarzem Ledermantel, rotem Halstuch und gebleichten Jeans“ (S. 78) an dem Wintertag im Jahr 1975 bekleidete, der sein Leben veränderte, als er den Wettbewerb im Drachensteigen von Kabul zu Zeiten des Präsidenten Daoud Khan gewann, der 1973 mit einem Staatsstreich seinen Cousin Zahir Shah stürzte und dadurch die Monarchie in Afghanistan abschaffte. Kurz darauf fügt Hosseini hinzu: „Sein Blick fiel mit Bewunderung auf meinen Ledermantel und meine Jeans … Cowboyhosen nannten wir sie. In Afghanistan etwas Amerikanisches zu besitzen, noch dazu nicht aus zweiter Hand, war ein Zeichen von Reichtum“ (S. 81).


5 – Das französische Wort „mouette“ bedeutet „Möwe“, auch bekannt als „arcuate“, wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist.


6 – Dieses Wort soll auf den Herkunftsort des Stoffes zurückgehen, als der die französische Stadt Nîmes (serge de Nîmes, denim) gilt. Er besteht aus Baumwolle, wenngleich ihm auch Nylon beigemischt wird, und seine typische Farbe ist Blau. Er wurde traditionell für Arbeitskleidung auf Viehfarmen und Bauernhöfen verwendet. Encyclopedia Britannica, 15. Aufl., herausgegeben von Helen Hemingway Benton, Chicago, 1974, Band III, S. 466.


7 – Die Herkunft dieses Wortes geht auf die ehemalige Republik Genua zurück und erklärt sich wahrscheinlich aus der englischen Aussprache des französischen Namens der Stadt, Gênes (http//es.wikipedia.org).


8 – Urteil vom 11. November 1997 in der Rechtssache C‑251/95 (Slg. 1997, I‑6191).


9 – Konkret in Randnrn. 16 bis 18.


10 – Urteil vom 29. September 1998 in der Rechtssache C‑39/97 (Slg. 1998, I‑5507).


11 – Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1).


12 – Urteil des Benelux‑Gerechtshof vom 13. Dezember 1994 (A 93/3).


13 – Nr. 3 meiner Schlussanträge vom 6. November 2001 in der Rechtssache C‑273/00 (Urteil des Gerichtshofes vom 12. Dezember 2002, Sieckmann, Slg. 2002, I‑11737). Vgl. auch die dritte und die neunte Begründungserwägung der Richtlinie 89/104.


14 – Urteile vom 23. Mai 1978 in der Rechtssache 102/77 (Hoffmann‑La Roche, Slg. 1978, 1139, Randnr. 7), vom 18. Juni 2002 in der Rechtssache C‑299/99 (Philips, Slg. 2002, I‑5475, Randnr. 30) und vom 15. September 2005 in der Rechtssache C‑37/03 P (BioID/HABM, Slg. 2005, I‑0000, Randnr. 27). Vgl. auch die zehnte Begründungserwägung der Richtlinie 89/104.


15 – Vgl. zu Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1), dem Gegenstück zur Vorschrift in der Richtlinie 89/104, Urteil vom 16. September 2004 in der Rechtssache C‑329/02 P (SAT.1/HABM, Slg. 2004, I‑8317, Randnr. 23), und Urteil BioID/HABM, Randnr. 27.


16 – Randnr. 23.


17 – Urteile vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83 (Von Colson und Kamann, Slg. 1984, 1891, Randnrn. 23, 26 und 28) und vom 20. März 1997 in der Rechtssache C‑352/95 (Phyteron International, Slg. 1997, I‑1729, Randnr. 18).


18 – Inzwischen hat es Schritte zu einer Vereinheitlichung des Verfahrens im Bereich des Rechts des geistigen und gewerblichen Eigentums gegeben, insbesondere die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. L 157, S. 45), die nach ihrem Artikel 1 auf Marken anwendbar ist.


19 – C. Fernández‑Nóvoa, Tratado sobre Derecho de marcas, Marcial Pons, Madrid, 2004, S. 662, weist zugleich darauf hin, dass renommierte Marken dieser Gefahr stärker ausgesetzt sind.


20 – Ebenda.