Language of document : ECLI:EU:T:2009:356

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

23. September 2009(*)

„Gemeinschaftsmarke – Gemeinschaftswortmarke DANELECTRO und Gemeinschaftsbildmarke QWIK TUNE – Nichteinhaltung der Frist für die Einreichung des Antrags auf Markenverlängerung – Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – Reformatio in peius – Verteidigungsrechte – Anspruch auf rechtliches Gehör – Art. 61 Abs. 2, Art. 73 Satz 2 und Art. 78 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 (jetzt Art. 63 Abs. 2, Art. 75 Satz 2 und Art. 81 der Verordnung [EG] Nr. 207/2009)“

In den verbundenen Rechtssachen T‑20/08 und T‑21/08

Evets Corp. mit Sitz in Irvine, Kalifornien (Vereinigte Staaten von Amerika), Prozessbevollmächtigter: S. Ryan, Solicitor,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch A. Folliard‑Monguiral als Bevollmächtigten,

Beklagter,

betreffend eine Klage gegen zwei Entscheidungen der Vierten Beschwerdekammer des HABM vom 5. November 2007 (Sachen R 603/2007‑4 und R 604/2007‑4) zu einem von der Klägerin gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili (Berichterstatterin), des Richters F. Dehousse und der Richterin I. Wiszniewska-Białecka,

Kanzler: N. Rosner, Verwaltungsrat,

aufgrund der am 8. Januar 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 22. Mai 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

aufgrund des Beschlusses vom 5. Mai 2009, die Rechtssachen T‑20/08 und T‑21/08 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung zu verbinden,

auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2009

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 1. April 1996 meldete die Klägerin, die Evets Corp., nach der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EG] Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke [ABl. L 78, S. 1]) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) zwei Gemeinschaftsmarken an.

2        Bei den angemeldeten Marken handelt es sich um die Wortmarke DANELECTRO und die Bildmarke QWIK TUNE, deren Waren zu den Klassen 9 und 15 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung gehören.

3        Die Marke QWIK TUNE wurde am 30. April 1998 und die Marke DANELECTRO am 25. Mai 1998 eingetragen.

4        Am 7. und 14. September 2005 unterrichtete das HABM gemäß Art. 47 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 47 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009) und Regel 29 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung Nr. 40/94 (ABl. L 303, S. 1) den Vertreter der Klägerin vom Ablauf der Eintragung der Marken QWIK TUNE und DANELECTRO. Gemäß diesen Mitteilungen waren die Anträge auf Verlängerung und die Gebühren vor dem 30. April 2006 einzureichen und zu entrichten. Die Antragstellung und die Gebührenzahlung konnten noch innerhalb einer Nachfrist von sechs Monaten vorgenommen werden, die am 1. November 2006 endete.

5        Am 21. und 23. November 2006 teilte das HABM dem Vertreter der Klägerin gemäß Art. 47 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 47 der Verordnung Nr. 207/2009), Regel 30 Abs. 5, Regel 84 Abs. 3 Buchst. l und Regel 84 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2868/95 mit, dass die Eintragungen der Marken QWIK TUNE und DANELECTRO am 1. Oktober 2006 mit Wirkung vom 1. April 2006 aus dem Gemeinschaftsmarkenregister gestrichen worden seien. Beide Mitteilungen enthielten den Hinweis, dass der Vertreter der Klägerin, falls er damit nicht einverstanden sei, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Mitteilung schriftlich eine Entscheidung beantragen könne.

6        Am 26. Januar 2007 reichte der Vertreter der Klägerin nach Art. 78 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 81 der Verordnung Nr. 207/2009) für die in Rede stehenden Marken einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, mit dem er begehrte, wieder in seine Rechte eingesetzt zu werden, um die Verlängerungen der in Rede stehenden Marken vornehmen zu können. Zur Begründung führte er aus, dass die Marken aufgrund eines Irrtums nicht verlängert worden seien, der auf Umständen beruht habe, die sich seiner Kontrolle und der Kontrolle der Klägerin entzogen hätten. Die Verantwortung für die Verlängerung sei nämlich einer dritten Partei übertragen worden, die nicht die richtige Adresse der Klägerin in ihrer Datenbank abgespeichert habe. Der Vertreter der Klägerin ersuchte das HABM, die Wiedereinsetzungs- und Verlängerungsgebühren von seinem laufenden Konto beim Amt abzubuchen. Er gab an, dass die Klägerin erst am 26. November 2006, als er ihr die Mitteilungen des HABM übermittelt habe, Kenntnis vom Verlust ihrer Rechte erhalten habe.

7        Am 22. Februar 2007 wies die Abteilung „Marken und Register“ des HABM den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück. Der Antrag sei fristgemäß eingereicht worden und zulässig, die Klägerin habe aber nicht alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet. Der Vertreter der Klägerin habe nämlich gewusst, dass die in Rede stehenden Marken hätten verlängert werden müssen, aber nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um sich bei der Klägerin, der dritten Partei, der die Verantwortung für die Verlängerung übertragen worden sei, und dem HABM zu vergewissern, dass die Verlängerung vorgenommen worden sei oder gegebenenfalls noch werde. Demgemäß wurden die Markeneintragungen DANELECTRO und QWIK TUNES als gemäß Regel 30 Abs. 6 der Verordnung Nr. 2868/95 gelöscht angesehen.

8        Am 21. Juni 2007 legte die Klägerin beim HABM gegen die Entscheidungen der Abteilung „Marken und Register“ gemäß den Art. 57 bis 62 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009) Beschwerde ein.

9        Mit Entscheidungen vom 5. November 2007 (im Folgenden: angefochtene Entscheidungen) wies die Vierte Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde zurück. Sie entschied, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelte gemäß Art. 78 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 81 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009) als nicht gestellt, weil er erst nach Ablauf der in Art. 78 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 81 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009) vorgesehenen Zweimonatsfrist gestellt und die Wiedereinsetzungsgebühr nicht innerhalb dieser Frist entrichtet worden sei. Da das Datum des Wegfalls des Hindernisses, also das Datum, an dem das HABM den Vertreter der Klägerin davon unterrichtet habe, dass die Marken gestrichen worden seien, für die Marke QWIK der 21. November 2006 und für die Marke DANELECTRO der 23. November 2006 gewesen sei, sei der am 26. Januar 2007 eingegangene Antrag außerhalb dieser Frist eingereicht worden.

 Anträge der Parteien

10      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben;

–        festzustellen, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb der in Art. 78 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 vorgesehenen Frist gestellt wurde;

–        die Sachen zur Entscheidung über die Frage, ob bei der Verlängerung der betroffenen Marken die gebotene Sorgfalt beachtet wurde, an die Beschwerdekammer zurückzuverweisen;

–        dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

11      Das HABM beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Entscheidungsgründe

12      Die Klägerin stützt ihre Klagen im Wesentlichen auf drei Gründe, nämlich erstens einen Verstoß gegen den Grundsatz des Verbots der reformatio in peius, zweitens eine Verletzung der Verteidigungsrechte und des Anspruchs auf rechtliches Gehör und drittens einen Verstoß gegen Art. 78 der Verordnung Nr. 40/94.

13      Der Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 78 der Verordnung Nr. 40/94 geltend gemacht wird, ist zuerst zu prüfen.

 Zum Klagegrund des Verstoßes gegen Art. 78 der Verordnung Nr. 40/94

14      Die Klägerin ist der Auffassung, die Beschwerdekammer habe die Frist von zwei Monaten ab dem Wegfall des Hindernisses am 21. und 23. November 2006, den Daten, an denen das HABM den Vertreter der Klägerin vom Verfall der in Rede stehenden Marken unterrichtet habe, falsch berechnet, da auf das Datum abzustellen sei, an dem die Klägerin selbst Kenntnis vom Verlust ihrer Rechte erlangt habe.

15      Das HABM tritt den Argumenten der Klägerin entgegen.

16      Nach Art. 78 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses, das der Versäumung einer Frist mit der unmittelbaren Folge des Verlusts eines Rechts oder eines Rechtsmittels zugrunde liegt, schriftlich einzureichen. Der Antrag ist nur innerhalb eines Jahres nach Ablauf der versäumten Frist zulässig. Der Antrag ist zu begründen, wobei die zur Begründung dienenden Tatsachen glaubhaft zu machen sind. Er gilt erst als gestellt, wenn die Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet worden ist.

17      Im vorliegenden Fall stimmen die Parteien im Grundsatz darin überein, dass das Datum, an dem die Klägerin über den Verlust der in Rede stehenden Rechte informiert wurde, den „Wegfall des Hindernisses“ darstellt.

18      Es ist unstreitig, dass der Vertreter der Klägerin am 21. und 23. November 2006 die Mitteilungen des HABM erhielt, dass die Eintragungen der Marken QWIK TUNE und DANELECTRO am 1. Oktober 2006 mit Wirkung vom 1. April 2006 aus dem Markenregister gestrichen worden seien.

19      Die Beschwerdekammer war der Auffassung, dass der am 26. Januar 2007 eingereichte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Art. 78 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 als nicht gestellt gelte, weil die Antragstellung und die Entrichtung der Wiedereinsetzungsgebühr erst nach Ablauf der in Art. 78 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 vorgesehenen Zweimonatsfrist erfolgt seien, die am Montag, dem 22. Januar 2007, für die Marke QWIK TUNE und am Dienstag, dem 23. Januar 2007, für die Marke DANELECTRO geendet habe.

20      Die Klägerin bringt jedoch vor, dass die Zweimonatsfrist erst ab dem Datum zu laufen beginnen könne, an dem sie selbst, und nicht ihr Vertreter, vom Verlust der in Rede stehenden Rechte erfahren habe, denn sie habe, indem sie bei der Verlängerung der in Rede stehenden Rechte über die dritte Partei als ihr eigener Vertreter gehandelt habe, die Verantwortung übernommen, und der Fehler, der zur Versäumnis der Frist geführt habe, sei in ihren Geschäftsräumen unterlaufen. Dieses Datum sei der 26. November 2006 gewesen, und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei damit fristgerecht eingereicht worden.

21      Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Wie das HABM zu Recht geltend macht, hat nämlich das Datum, an dem der Verlust eines Rechts dem Vertreter zur Kenntnis gegeben wurde, als das Datum zu gelten, an dem die vertretene Person, also die Klägerin, Kenntnis davon erhalten hat.

22      Insoweit ist daran zu erinnern, dass gemäß Regel 77 der Verordnung Nr. 2868/95 alle Zustellungen oder anderen Mitteilungen des HABM an den ordnungsgemäß bevollmächtigten Vertreter dieselbe Wirkung haben, als wären sie an die vertretene Person gerichtet. Ebenso gilt für alle Mitteilungen des ordnungsgemäß bevollmächtigten Vertreters an das HABM, dass sie dieselbe Wirkung haben, als wären sie von der vertretenen Person an das HABM gerichtet.

23      Somit kommt es für das HABM auf die Mitteilungen zwischen ihm und dem Vertreter der Klägerin an und nicht auf die Mitteilungen zwischen dem Vertreter der Klägerin und der Klägerin selbst.

24      Außerdem ist gemäß Art. 78 Abs. 5 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 81 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009) Art. 78 nicht auf die in Abs. 2 dieses Artikels genannten Fristen anzuwenden. Wenn die Zweimonatsfrist, die eine der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist, versäumt worden ist, besteht somit selbst bei einer Rechtfertigung dieser Versäumnis nicht die Möglichkeit, einen neuen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen.

25      Folglich hat die Beschwerdekammer zu Recht festgestellt, dass der am 26. Januar 2007 eingereichte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als nicht gestellt zu gelten hatte.

26      Darüber hinaus macht die Klägerin geltend, dass es in Anbetracht der für die Einleitung eines Verfahrens zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgesehenen Gesamtfrist von zwölf Monaten der Wille des Gesetzgebers gewesen sei, dass die Zweimonatsfrist nicht ab dem Datum der Mitteilung des Ablaufs an den Vertreter des Markeninhabers berechnet werde. In diesem Fall wäre die Frist von zwölf Monaten überflüssig, und es hätte genügt, eine Frist von zwei Monaten für die Einleitung des Verfahrens zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand festzusetzen. Diesen Lösungsansatz hätten die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA) gewählt, und da Art. 78 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 im Wesentlichen mit Art. 122 Abs. 2 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente vom 5. Oktober 1973 in der geänderten Fassung identisch sei, müsse dieser Lösungsansatz auch im vorliegenden Fall Anwendung finden.

27      Vorab ist festzustellen, dass Art. 122 Abs. 2 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente keine Fristbestimmung mehr enthält, sondern auf Regel 136 der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen in der Fassung des Beschlusses des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation vom 7. Dezember 2006 Bezug nimmt. Die einschlägige Vorschrift ist somit Regel 136 Abs. 1 dieser Ausführungsordnung.

28      Was die Frist von einem Jahr betrifft, genügt der Hinweis, dass Art. 78 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 nicht nur den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Fall nicht eingereichter Verlängerungsanträge betrifft, sondern außerdem die Fristversäumnis in den Fällen erfasst, in denen die Verhinderung nach dieser Verordnung den Verlust eines Rechts oder eines Rechtsmittels zur unmittelbaren Folge hat. Das Hindernis und vor allem sein Wegfall können viele Formen annehmen, und die Einjahresfrist ist daher als eine absolute Frist vorgesehen. Somit kann die Klägerin nicht behaupten, dass diese Frist überflüssig würde, wenn die Zweimonatsfrist ab dem in Rede stehenden „chronologischen Datum“ (im vorliegenden Fall der 21. und der 23. November 2006) berechnet wird. Wenn das Hindernis erst ein Jahr nach dem Ablauf der versäumten Frist wegfällt, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mehr zulässig. Die Zweimonatsfrist liegt somit innerhalb der Frist von einem Jahr.

29      In Bezug auf die von der Klägerin angeführte Praxis der Beschwerdekammern des EPA genügt die Feststellung, dass die Gemeinschaftsregelung für Marken ein aus einer Gesamtheit von Vorschriften bestehendes autonomes System ist, mit dem ihm eigene Zielsetzungen verfolgt werden und dessen Anwendung von jedem nationalen System unabhängig ist (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts vom 5. Dezember 2000, Messe München/HABM [electronica], T‑32/00, Slg. 2000, II‑3829, Randnr. 47).

30      Europäische Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums, die den gleichen oder einen ähnlichen Wortlaut haben, sollten nämlich zwar, wenn möglich, übereinstimmend ausgelegt werden, doch ist das Europäische Patentübereinkommen kein Gemeinschaftsakt, und das EPA ist kein Gemeinschaftsorgan. Die Entscheidungen der Beschwerdekammern dieses Amtes sind gemeinschaftsrechtlich nicht bindend (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache HABM/Kaul, C‑29/05 P, Urteil des Gerichtshofs vom 13. März 2007, Slg. 2007, I‑2213, Nr. 40).

31      Selbst wenn Art. 78 der Verordnung Nr. 40/94 anhand eines Musters aus dem Patentrecht erstellt worden wäre, spricht im Übrigen nichts dafür, dass die Auslegung der beiden Vorschriften übereinstimmen muss, da die betroffenen Interessen in den beiden Bereichen unterschiedlich sein können. Der rechtliche Zusammenhang des Patentrechts ist nämlich anders, und die Patentrechtsvorschriften dienen zur Regelung anderer Verfahren als derjenigen, die für Marken gelten (Urteil des Gerichts vom 13. Mai 2009, Aurelia Finance/HABM [AURELIA], T‑136/08, Slg. 2009, II‑0000, Randnr. 21).

32      Jedenfalls belegt die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des EPA vom 16. April 1985 (T 191/82, ABl. EPA 7/1985, S. 189), auf die sich die Klägerin bezieht, nicht, inwieweit das EPA die relevante Vorschrift anders auslegt. In dieser Sache wurde nämlich festgestellt, dass, wenn ein Fristversäumnis, das einen Rechtsverlust nach sich zieht, von einem Angestellten eines Vertreters festgestellt wird, das Hindernis, d. h. die Unkenntnis darüber, dass die Frist nicht eingehalten wurde, erst dann als weggefallen gelten kann, wenn der betreffende Vertreter selbst von der Sachlage Kenntnis erhalten hat, da ihm die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben muss, ob ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt werden soll und welche Begründung und Beweismittel dem EPA dabei vorzulegen sind.

33      Im vorliegenden Fall hat aber der Vertreter der Klägerin nicht geltend gemacht, dass er an den Daten der Mitteilungen nicht selbst von der Sachlage Kenntnis erhalten habe. Somit stützt diese Entscheidung das Vorbringen der Klägerin nicht. Außerdem kann das Verhältnis zwischen dem Vertreter und seinem Angestellten nicht mit dem Verhältnis zwischen einem Vertretenen und seinem Vertreter gleichgesetzt werden.

34      Unter diesen Umständen ist der Klagegrund des Verstoßes gegen Art. 78 der Verordnung Nr. 40/94 zurückzuweisen.

 Zum Klagegrund des Verstoßes gegen das Verbot der reformatio in peius

35      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Beschwerdekammer habe sie unter Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius nach ihrer Beschwerde schlechter gestellt, als sie ohne die Beschwerde gestellt gewesen wäre, da sie erstmals entschieden habe, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht innerhalb der Zweimonatsfrist bei der Abteilung „Marken und Register“ eingereicht worden sei.

36      Das HABM tritt den Argumenten der Klägerin entgegen.

37      Auch unter der Annahme, dass der Grundsatz, auf den sich die Klägerin beruft, in einem Verfahren geltend gemacht werden kann, in dem die Beschwerdekammer entweder im Rahmen der Zuständigkeit der Dienststelle tätig wird, die die Entscheidung erlassen hat, die Gegenstand der bei ihr eingelegten Beschwerde ist, oder die Sache zur weiteren Entscheidung an diese Dienststelle zurückverweist, genügt insoweit der Hinweis, dass die Beschwerdekammer, die die von der Beschwerdeführerin erhobene Beschwerde zurückgewiesen hat, die Entscheidung der Abteilung „Marken und Register“ aufrechterhalten hat. Da in der Entscheidung der Abteilung „Marken und Register“ den Anträgen der Beschwerdeführerin nicht stattgegeben wurde, befindet sich diese daher nach Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht in einer ungünstigeren rechtlichen Lage als vor der Beschwerdeerhebung.

38      Ferner ist Art. 62 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 64 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009) zu entnehmen, dass die Beschwerdekammer nach ihrer Prüfung, ob die Beschwerde begründet ist, über diese entscheidet und dass sie dabei „im Rahmen der Zuständigkeit der Dienststelle tätig“ werden kann, „die die angefochtene Entscheidung erlassen hat“, d. h. im vorliegenden Fall, dass sie über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch seine Zurückweisung oder eine Stattgabe selbst entscheiden und damit die Entscheidung der ersten Instanz entweder bestätigen oder unwirksam werden lassen kann. Folglich wird die Beschwerdekammer durch die Wirkung der bei ihr anhängig gemachten Beschwerde damit betraut, eine vollständige neue Prüfung der Begründetheit des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht vorzunehmen (Urteil HABM/Kaul, Randnrn. 56 und 57).

39      Wie das HABM ausgeführt hat, dürfen Fragen der Zulässigkeit von dieser vollständigen neuen Prüfung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ausgenommen werden. Die Vorschriften über die Fristen dienen nämlich nach ständiger Rechtsprechung dem Zweck, Rechtssicherheit zu gewährleisten und jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung zu verhindern (vgl. Beschluss des Gerichts vom 21. November 2005, Tramarin/Kommission, T‑426/04, Slg. 2005, II‑4765, Randnr. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese allgemeine Feststellung gilt auch für die in den Verordnungen über die Gemeinschaftsmarke vorgesehenen Fristen (Urteil des Gerichts vom 17. September 2008, Neurim Pharmaceuticals [1991]/HABM – Eurim-Pharm Arzneimittel [Neurim PHARMACEUTICALS], T‑218/06, Slg. 2008, II‑0000, Randnr. 44).

40      Insoweit kann sich die Klägerin nicht auf das Urteil des Gerichts vom 16. Februar 2000, Procter & Gamble/HABM (Form einer Seife) (T‑122/99, Slg. 2000, II‑265), berufen, soweit das Gericht der Auffassung war, dass die Beschwerdekammer nicht befugt war, die Voraussetzungen der Anmeldung neu zu prüfen und die Anmeldung für unzulässig zu erklären (Randnrn. 29 bis 34). Indem die Beschwerdekammer nachträglich von Amts wegen einen vom Prüfer nicht festgestellten formellen Mangel berücksichtigte, nahm sie nämlich der Klägerin die Wahl, eine neue Anmeldung beim HABM einzureichen, durch die ihr ein früherer Anmeldetag hätte zugute kommen können, als ihr ab Erlass der in Rede stehenden angefochtenen Entscheidung hätte zuerkannt werden können (Urteil Form einer Seife, Randnrn. 29 und 30).

41      Im vorliegenden Fall konnte die Überschreitung der in Rede stehenden Frist aber auf keine Weise korrigiert werden, so dass die Beschwerdekammer der Klägerin keine Wahlmöglichkeit genommen hat.

42      In Bezug auf die von der Klägerin angeführte Praxis der Beschwerdekammern des EPA ist lediglich daran zu erinnern, dass die Entscheidungen dieses Amts gemeinschaftsrechtlich nicht bindend sind.

43      Jedenfalls ist die von der Klägerin angeführte Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des EPA vom 14. Juli 1994 (G 9/92, ABl. EPA 12/1994, S. 875) nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, da sie nicht die Versäumnis einer Frist betraf, sondern die Frage, ob die in der Zwischenentscheidung gebilligten Fassung eines Patents in Frage gestellt werden kann.

44      Unter diesen Umständen ist der Klagegrund des Verstoßes gegen das Verbot der reformatio in peius zurückzuweisen.

 Zum Klagegrund der Verletzung der Verteidigungsrechte und des Anspruchs auf rechtliches Gehör

45      Die Klägerin bringt im Wesentlichen vor, dass die Beschwerdekammer, soweit sie erstmals entschieden habe, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht fristgemäß bei der Abteilung „Marken und Register“ eingereicht worden sei, es unter Verstoß gegen Art. 61 Abs. 2 und Art. 73 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 63 Abs. 2 und Art. 75 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009) unterlassen habe, ihr die Möglichkeit zu geben, vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidungen zu den Gründen Stellung zu nehmen, aus denen die Beschwerdekammer ihre Beschwerde zurückgewiesen habe.

46      Das HABM tritt den Argumenten der Klägerin entgegen.

47      Nach Art. 73 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 dürfen die Entscheidungen des HABM nur auf Gründe gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Diese Vorschrift gewährleistet im Rahmen des Gemeinschaftsmarkenrechts den allgemeinen Grundsatz des Schutzes der Rechte der Verteidigung. Nach diesem allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts muss der Adressat einer amtlichen Entscheidung, die seine Interessen spürbar berührt, Gelegenheit erhalten, seinen Standpunkt gebührend darzulegen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör erstreckt sich auf alle tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte, die die Grundlage der Entscheidungsfindung bilden, nicht aber auf den endgültigen Standpunkt, den die Verwaltung einnehmen will (vgl. Urteil des Gerichts vom 7. Februar 2007, Kustom Musical Amplification/HABM [Form einer Gitarre], T‑317/05, Slg. 2007, II‑427, Randnrn. 24, 26 und 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Ferner geht aus der Rechtsprechung hervor, dass die Verteidigungsrechte durch eine Verfahrensunregelmäßigkeit nur dann verletzt werden, wenn diese sich konkret auf die Verteidigungsmöglichkeit der betroffenen Unternehmen ausgewirkt hat. Somit kann bei einer Nichtbeachtung der geltenden Regeln für den Schutz der Verteidigungsrechte das Verwaltungsverfahren nur dann mit einem Fehler behaftet sein, wenn nachgewiesen ist, dass dieses Verfahren andernfalls möglicherweise zu einem anderen Ergebnis geführt hätte (vgl. Urteil des Gerichts vom 12. Mai 2009, Jurado Hermanos/HABM [JURADO], T‑410/07, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Wie jedoch im Rahmen der Prüfung des Klagegrundes des Verstoßes gegen Art. 78 der Verordnung Nr. 40/94 festgestellt worden ist, war die Beschwerdekammer zu Recht der Auffassung, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand außerhalb der Zweimonatsfrist eingereicht worden sei und damit als nicht gestellt zu gelten habe.

50      Selbst wenn man also unterstellt, dass die Beschwerdekammer den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt hätte, so hätte sich dieser Verstoß nicht auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidungen auswirken können (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 20. April 2005, Krüger/HABM – Calpis [CALPICO], T‑273/02, Slg. 2005, II‑1271, Randnr. 68).

51      Darüber hinaus hat die Klägerin im vorliegenden Fall in Beantwortung der Frage des Gerichts, was sie ausgeführt hätte, wenn sie insoweit Gelegenheit zu einer Stellungnahme gehabt hätte, lediglich geltend gemacht, dass es unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf die Identität des Vertreters gegeben habe und dass die Praxis des HABM von der des EPA verschieden sei. Ihr Vertreter vor dem HABM war aber derjenige, der die Mitteilungen erhalten und der darüber hinaus den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingereicht hat. Nähme man an, dass dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte dieser Vertreter diesen Antrag nicht einreichen können, der dann erst recht als nicht gestellt zu gelten hätte. Im Übrigen ist, wie bereits oben festgestellt worden ist, die Praxis des EPA für das HABM nicht bindend. Folglich stützt die Antwort der Klägerin die Feststellung, dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden ist.

52      Unter diesen Umständen kann sich die Klägerin nicht auf das Urteil Form einer Seife berufen, wonach die Beschwerdekammer die Verteidigungsrechte der Klägerin dadurch verletzt hatte, dass sie ihr keine Gelegenheit gegeben hatte, sich zu zwei neuen absoluten Eintragungshindernissen zu äußern, die sie von Amts wegen berücksichtigte (Urteil Form einer Seife, Randnr. 47).

53      Folglich ist der Klagegrund der Verletzung der Verteidigungsrechte und des Anspruchs auf rechtliches Gehör zurückzuweisen.

54      Nach alledem sind die Klagen abzuweisen.

55      Unter diesen Umständen braucht über die Zulässigkeit des zweiten und des dritten Antrags der Klägerin nicht entschieden zu werden.

 Kosten

56      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des HABM die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klagen werden abgewiesen.

2.      Die Evets Corp. trägt die Kosten.

Tiili

Dehousse

Wiszniewska-Białecka

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. September 2009.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.