Language of document : ECLI:EU:T:2020:494

Verbundene Rechtssachen T389/19 bis T394/19, T397/19, T398/19, T403/19, T404/19, T406/19, T407/19, T409/19 bis T414/19, T416/19 bis T418/19, T420/19 bis T422/19, T425/19 bis T427/19, T429/19 bis T432/19, T435/19, T436/19, T438/19 bis T442/19, T444/19 bis T446/19, T448/19, T450/19 bis T454/19, T463/19 und T465/19

Maria Teresa Coppo Gavazzi u. a.

gegen

Europäisches Parlament

 Urteil des Gerichts (Achte erweiterte Kammer) vom 15. Oktober 2020

„Institutionelles Recht – Einheitliches Statut des Europaabgeordneten – In italienischen Wahlkreisen gewählte Europaabgeordnete – Erlass des Ruhegehälter betreffenden Beschlusses Nr. 14/2018 durch das Ufficio di Presidenza della Camera dei deputati (Präsidium der Abgeordnetenkammer, Italien) – Änderung der Höhe der Ruhegehälter der nationalen italienischen Abgeordneten – Entsprechende Änderung der Höhe der Ruhegehälter bestimmter ehemaliger, in Italien gewählter Europaabgeordneter durch das Europäische Parlament – Zuständigkeit des Urhebers der Handlung – Begründungspflicht – Erworbene Rechte – Rechtssicherheit – Vertrauensschutz – Eigentumsrecht – Verhältnismäßigkeit – Gleichbehandlung“

1.      Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Begriff – Nationaler Beschluss einer Abgeordnetenkammer zur Änderung der Höhe der Ruhegehälter ehemaliger nationaler Abgeordneter – Ausschluss – Mitteilungen und Entscheidung der Generaldirektion Finanzen des Europäischen Parlaments zur Änderung der Höhe der Ruhegehälter ehemaliger Europaabgeordneter in Anwendung dieses nationalen Beschlusses – Einbeziehung

(Art. 263 AEUV; Beschluss des Europäischen Parlaments mit Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut, Art. 75; Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments, Anlage III, Art. 2 Abs. 1)

(Rn. 62, 63, 65)

2.      Europäisches Parlament – Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments – Einheitliches Statut der Europaabgeordneten – Allgemeine Zuständigkeit des Präsidiums des Parlaments im Bereich finanzieller Fragen, die die Abgeordneten betreffen – Zuständigkeit der Verwaltung des Parlaments für den Erlass individueller Entscheidungen, mit denen die Ruhegehälter der Abgeordneten festgelegt werden – Entscheidung der Generaldirektion Finanzen des Europäischen Parlaments über die Änderung der Höhe der Ruhegehälter ehemaliger Europaabgeordneter – Einbeziehung

(Verordnung 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 73 Abs. 3; Beschluss 2005/684 des Europäischen Parlaments; Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, Art. 25 Abs. 3)

(Rn. 83-88, 90-92)

3.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Entscheidung der Generaldirektion Finanzen des Europäischen Parlaments über die Änderung der Höhe der Ruhegehälter ehemaliger Europaabgeordneter

(Art. 296 Abs. 2 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. c)

(Rn. 101, 109-112, 117, 118)

4.      Europäisches Parlament – Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments – Einheitliches Statut der Europaabgeordneten – Entscheidung der Generaldirektion Finanzen des Europäischen Parlaments über die Änderung der Höhe der Ruhegehälter ehemaliger Europaabgeordneter – Änderung gemäß der Regelung über ein identisches Ruhegehalt – Kein Ermessen hinsichtlich der Methode zur Berechnung dieser Ruhegehälter – Vor dem Inkrafttreten dieses Statuts erworbene Ruhegehaltsansprüche – Keine Garantie hinsichtlich der Unveränderlichkeit der Höhe der Ruhegehälter

(Beschluss 2005/684 des Europäischen Parlaments; Beschluss des Europäischen Parlaments mit Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut; Art. 74 und 75; Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments, Anlage III, Art. 2 Abs. 1)

(Rn. 126, 129-133, 138-145, 150-158, 160-163)

5.      Europäisches Parlament – Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments – Einheitliches Statut der Europaabgeordneten – Änderung gemäß der Regelung über ein identisches Ruhegehalt – Pflicht, die Grundrechte und allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts zu achten

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51 Abs. 1; Beschluss 2005/684 des Europäischen Parlaments; Beschluss des Europäischen Parlaments mit Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut; Art. 75; Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments, Anlage III, Art. 2 Abs. 1)

(Rn. 180-182)

6.      Europäisches Parlament – Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments – Einheitliches Statut der Europaabgeordneten – Änderung gemäß der Regelung über ein identisches Ruhegehalt – Regelung über ein identisches Ruhegehalt – Rückwirkungsverbot – Grundsatz der Rechtssicherheit – Verstoß – Fehlen

(Beschluss 2005/684 des Europäischen Parlaments; Beschluss des Europäischen Parlaments mit Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut; Art. 75; Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments, Anlage III, Art. 2 Abs. 1)

(Rn. 194-204)

7.      Europäisches Parlament – Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments – Einheitliches Statut der Europaabgeordneten – Änderung gemäß der Regelung über ein identisches Ruhegehalt – Grundsatz des Vertrauensschutzes – Verstoß – Fehlen

(Beschluss 2005/684 des Europäischen Parlaments; Beschluss des Europäischen Parlaments mit Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut; Art. 75; Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments, Anlage III, Art. 2 Abs. 1)

(Rn. 205, 208-211)

8.      Europäisches Parlament – Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments – Einheitliches Statut der Europaabgeordneten – Änderung gemäß der Regelung über ein identisches Ruhegehalt – Einschränkung des Eigentumsrechts – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Fehlen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 17 Abs. 1; Beschluss 2005/684 des Europäischen Parlaments; Beschluss des Europäischen Parlaments mit Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut; Art. 75; Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments, Anlage III, Art. 2 Abs. 1)

(Rn. 212-216, 219, 222-224, 227-235)

9.      Europäisches Parlament – Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments – Einheitliches Statut der Europaabgeordneten – Änderung gemäß der Regelung über ein identisches Ruhegehalt – Grundsatz der Gleichbehandlung – Verstoß – Fehlen

(Beschluss 2005/684 des Europäischen Parlaments; Beschluss des Europäischen Parlaments mit Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut; Art. 75; Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments, Anlage III, Art. 2 Abs. 1)

(Rn. 244, 251-254, 257, 258)

Zusammenfassung

Frau Maria Teresa Coppo Gavazzi sowie mehrere weitere natürliche Personen, die ehemalige in Italien gewählte Mitglieder des Europäischen Parlaments oder ihre Hinterbliebenen sind (im Folgenden: Kläger), beziehen ein Altersruhegehalt bzw. eine Hinterbliebenenrente. In Anwendung des nationalen Beschlusses Nr. 14/2018(1) hat das Europäische Parlament entschieden, die Ruhegehälter bestimmter ehemaliger, in Italien gewählter Abgeordneter (oder ihrer Hinterbliebenen) mit Wirkung zum 1. Januar 2019 zu kürzen.

Im Januar 2019 informierte das Parlament die Kläger nämlich darüber, dass es verpflichtet sei, den Beschluss Nr. 14/2008 anzuwenden und infolgedessen u. a. in Anwendung der Bestimmungen der Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Europäischen Parlaments (im Folgenden: KVR), mit der die Regelung über ein „identisches Ruhegehalt(2) eingeführt werde, ihre Ruhegehälter neu zu berechnen. Nach dieser Regelung müssen die Höhe und Bedingungen des vorläufigen Altersruhegehalts identisch mit Höhe und Bedingungen des Altersruhegehalts für Mitglieder der Abgeordnetenkammer des Mitgliedstaates sein, in dem das Mitglied des Parlaments gewählt wurde. Mit mehreren Mitteilungen vom 11. April 2019 und der endgültigen Entscheidung vom 11. Juni 2019(3) (im Folgenden zusammen: angefochtene Entscheidungen) der Generaldirektion Finanzen des Parlaments (im Folgenden: Urheber der angefochtenen Entscheidungen) wurden die Kläger darüber informiert, dass ihre Ruhegehälter in Anwendung der von der KVR und dem Beschluss Nr. 14/2018 vorgesehenen Regelung über ein „identisches Ruhegehalt“ in Höhe der Kürzung der entsprechenden Ruhegehälter, die ehemaligen nationalen Abgeordneten in Italien von der Abgeordnetenkammer gezahlt würden, geändert würden. In den angefochtenen Entscheidungen wurde auch darauf hingewiesen, dass die Ruhegehälter der Kläger ab April 2019 (rückwirkend zum 1. Januar 2019) angepasst würden.

Die Kläger erhoben Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidungen und machten vier Klagegründe geltend: u. a. die Unzuständigkeit ihrer Urheber, eine fehlende Rechtsgrundlage, einen Rechtsfehler bei der Einordnung des Beschlusses Nr. 14/2018 sowie einen Verstoß gegen mehrere allgemeine Grundsätze des Unionsrechts.

In seinem Urteil vom 15. Oktober 2020 hat das Gericht als erweiterte Kammer diese Klagen abgewiesen.

Das Gericht hat sich als Erstes zu den Grenzen seiner Zuständigkeit im Rahmen einer Nichtigkeitsklage(4) geäußert und klargestellt, dass es nicht dafür zuständig ist, über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses Nr. 14/2018 zu entscheiden, da es sich um eine von einer nationalen Behörde erlassene Handlung handelt. Gleichwohl hat es festgestellt, dass es dafür zuständig ist, zu prüfen, ob Art. 75 der Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut, der sich u. a. auf die Ruhegehälter bezieht(5) (im Folgenden: Durchführungsbestimmungen), sowie die Bestimmungen der KVR, mit denen die Regelung über ein „identisches Ruhegehalt“ eingeführt wurde(6), nicht gegen höherrangige Normen des Unionsrechts verstoßen. Ebenfalls kann es prüfen, ob sowohl die angefochtenen Entscheidungen als auch die Anwendung der Bestimmungen des Beschlusses Nr. 14/2018 im Rahmen der Regelung über ein identisches Ruhegehalt durch das Europäische Parlament mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

Als Zweites hat das Gericht den Klagegrund der Unzuständigkeit des Urhebers der angefochtenen Entscheidungen geprüft und darauf hingewiesen, dass das Präsidium des Parlaments eine allgemeine Zuständigkeit im Bereich finanzieller Fragen, die die Abgeordneten betreffen, hat(7). So kann der Verwaltung des Parlaments die Zuständigkeit verliehen werden, individuelle Entscheidungen im Bereich finanzieller Fragen, die die Abgeordneten betreffen, zu erlassen, sobald das Präsidium dieses Organs die Grenzen und Modalitäten ihrer Ausübung festgelegt hat. In Anbetracht dieser Verteilung der Zuständigkeiten hat das Gericht hervorgehoben, dass das Parlament seiner Verwaltung die Zuständigkeit verleihen kann, individuelle Entscheidungen auf dem Gebiet der Ruhegehaltsansprüche und der Festlegung ihrer Höhe zu erlassen. Folglich ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Urheber der angefochtenen Entscheidungen in seiner Eigenschaft als nachgeordnet bevollmächtigter Anweisungsbefugter für Haushaltsfragen im Zusammenhang mit Ruhegehältern für den Erlass der angefochtenen Entscheidungen zuständig war.

Als Drittes hat das Gericht den Klagegrund einer fehlerhaften Anwendung von Art. 75 der Durchführungsbestimmungen zurückgewiesen und entschieden, dass sich das Parlament für den Erlass der angefochtenen Entscheidungen auf diese Bestimmung sowie auf die Regelung über ein „identisches Ruhegehalt“ stützen durfte. So hat es zunächst ausgeführt, dass die Regelung über ein „identisches Ruhegehalt“ in Abweichung von den Vorschriften der Durchführungsbestimmungen, wonach die KVR am Tag des Inkrafttretens des Abgeordnetenstatuts, d. h. am 14. Juli 2009, ungültig wird(8), auf die Kläger anwendbar bleibt. Des Weiteren hat das Gericht ausgeführt, dass die beiden Absätze, die Art. 75 der Durchführungsbestimmungen bilden, zwar die Ruhegehaltsansprüche ehemaliger Europaabgeordneter betreffen, ihre jeweiligen Anwendungsbereiche jedoch verschieden sind.

Zum einen gilt nämlich Art. 75 Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsbestimmungen für ehemalige Abgeordnete, die ihr Ruhegehalt bereits vor Inkrafttreten des Abgeordnetenstatuts, d. h. vor dem 14. Juli 2009, erhalten haben und nach diesem Zeitpunkt weiterhin unter die durch Anlage III der KVR geschaffene Ruhegehaltsregelung (im Folgenden: Anlage III) fallen. Zur Situation dieser Abgeordneten hat das Gericht ausgeführt, dass das Parlament nach der Regelung über ein „identisches Ruhegehalt“ verpflichtet ist, Höhe und Bedingungen des Altersruhegehalts eines ehemaligen Europaabgeordneten auf der Grundlage der Höhe und Bedingungen zu bestimmen, die im anwendbaren nationalen Recht definiert worden sind, nämlich im vorliegenden Fall auf der Grundlage der im Beschluss Nr. 14/2018 festgelegten Vorschriften. Diese Pflicht obliegt dem Parlament, das über keinen Spielraum für eine eigenständige Berechnungsmethode verfügt, während des gesamten Zeitraums der Zahlung der Ruhegehälter vorbehaltlich der Einhaltung höherrangiger Normen des Unionsrechts einschließlich der allgemeinen Rechtsgrundsätze und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta). Ferner ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kürzung der Ruhegehälter in Anwendung dieser Vorschriften die von den Empfängern erworbenen Ruhegehaltsansprüche nicht beeinträchtigt, da weder Art. 75 Abs. 1 Unterabs. 1 noch Anlage III die Unveränderlichkeit der Höhe dieser Ruhegehälter garantieren. Nach Ansicht des Gerichts dürfen die erworbenen Ruhegehaltsansprüche, von denen im erwähnten Art. 75 die Rede ist, nämlich nicht mit einem vermeintlichen Anspruch auf einen festen Ruhegehaltsbetrag verwechselt werden.

Zum anderen gilt Art. 75 Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen für die ehemaligen Abgeordneten, die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abgeordnetenstatuts begonnen haben, ihr Ruhegehalt zu beziehen, und gewährleistet, dass die bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Ruhegehaltsansprüche bestehen bleiben(9). Allerdings hat das Gericht ausgeführt, dass diese Bestimmung(10), die klar zwischen „erworbenen Ruhegehaltsansprüchen“ und „Ruhegehältern“ unterscheidet, nicht die Unveränderlichkeit der Höhe dieses Ruhegehalts in dem Sinn garantiert, dass dieser Betrag nicht geändert werden kann. Zudem bezwecken die beiden Anforderungen, die ehemalige Abgeordnete erfüllen müssen, um ihr Ruhegehalt zu erhalten(11), nur, den tatsächlichen Bezug dieser Ruhegehälter an die Einhaltung bestimmter Voraussetzungen knüpfen, ohne dabei jedoch die Unveränderlichkeit ihrer Höhe zu garantieren. Überdies trifft die Einhaltung dieser beiden Anforderungen allein die Kläger und nicht das Parlament.

Als Viertes und Letztes hat das Gericht den Klagegrund des Verstoßes gegen mehrere allgemeine Grundsätze des Unionsrechts und der Charta zurückgewiesen. So hat das Gericht zunächst hervorgehoben, dass das Parlament verpflichtet ist, die Ruhegehälter der ehemaligen italienischen Europaabgebordneten zu berechnen und gegebenenfalls zu aktualisieren, wobei die Folgerungen aus dem Beschluss Nr. 14/2018 zu ziehen sind, außer wenn die Anwendung dieses Beschlusses zu einem Verstoß gegen die Charta(12) oder diese allgemeinen Grundsätze führen würde. Des Weiteren hat das Gericht bei seiner Entscheidung über den Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit zwar erklärt, dass die angefochtenen Entscheidungen Rückwirkung entfalten, insbesondere vor den Zeitpunkt ihres Erlasses, d. h. am 1. Januar 2019. Allerdings erklärt sich dies durch die Pflicht des Parlaments, die Regelung über ein „identisches Ruhegehalt“ anzuwenden(13). In Anwendung dieser Regel und damit der Bestimmungen des Beschlusses Nr. 14/2018 hatten die Kläger nämlich ab diesem Zeitpunkt nicht länger Anspruch auf Bezug ihres Ruhegehalts, wie es vor diesem Zeitpunkt berechnet worden war. In Bezug auf die Rüge des Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit hat das Gericht ausgeführt, dass das Parlament nicht von der konkreten und nicht an Bedingungen geknüpften Zusicherung, die den Klägern bei ihrem Beitritt zu der durch Anlage III eingerichteten Ruhestandsregelung gegeben wurde, die darin bestand, ihnen den Bezug eines Altersruhegehalts zu garantieren, das mit dem der nationalen Abgeordneten „identisch“ ist, abgerückt ist.

In Bezug auf die Rüge eines Verstoßes gegen das Eigentumsrecht(14)hat das Gericht zudem ausgeführt, dass das Parlament durch die Kürzung der Ruhegehälter der Kläger diesen weder einen Teil ihrer Ruhegehaltsansprüche vorenthalten hat noch den Inhalt dieser Ansprüche verändert hat. Sodann ist das Gericht zu dem Schluss gekommen, dass diese Beschränkung des Eigentumsrechts der Kläger u. a. in Anbetracht der von der Charta vorgesehenen Anforderungen gerechtfertigt ist. In diesem Sinne hat es zum einen ausgeführt, dass das Eigentumsrecht nicht dahin ausgelegt werden kann, dass es einen Anspruch auf ein Ruhegehalt in bestimmter Höhe gewährt. Zum anderen kann diese gesetzlich vorgesehene Beschränkung erstens mit dem vom Beschluss Nr. 14/2018 verfolgten Ziel gerechtfertigt werden, die öffentlichen Ausgaben in einem durch sparsame Haushaltsführung gekennzeichneten Kontext zu rationalisieren – was von der Rechtsprechung bereits als Rechtfertigung für einen Eingriff in ein Grundrecht anerkannt worden ist –, und zweitens mit dem ausdrücklich von Anlage III bekräftigten legitimen Ziel, den Klägern Ruhegehälter zu gewähren, deren Höhe und Bedingungen mit denjenigen des Ruhegehalts für Mitglieder der Abgeordnetenkammer identisch sind.

Was einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz betrifft, hat das Gericht schließlich das Vorbringen zurückgewiesen, das Gericht habe unter Verstoß gegen diesen Grundsatz die Kläger mit den ehemaligen Mitgliedern der Abgeordnetenkammer gleichgestellt. In diesem Sinne hat es entschieden, dass die Kläger nicht nachgewiesen haben, dass sich ihre Situation grundlegend von der Situation ehemaliger Mitglieder der Abgeordnetenkammer unterscheidet. Außerdem hat das Gericht das Vorbringen zurückgewiesen, das Parlament habe die Kläger anders behandelt als andere ehemalige, in Frankreich oder Luxemburg gewählte Europaabgeordnete, die ebenfalls unter die von Anlage III eingerichtete Versorgungsregelung fielen(15). Daher hat es entschieden, dass sich die Kläger nicht in derselben Situation wie andere ehemalige, in Frankreich oder Luxemburg gewählte Abgeordnete befinden, da u. a. die Ruhegehälter dieser letztgenannten Abgeordneten nicht von den im italienischen Recht festgelegten Vorschriften, sondern von anderen nationalen Vorschriften, die speziell auf sie anwendbar sind, geregelt werden.


1      Beschluss vom 12. Juli 2018 des Ufficio di Presidenza della Camera dei deputati (Präsidium der Abgeordnetenkammer, Italien) (im Folgenden: Beschluss Nr. 14/2018). Die Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses wird derzeit vom Consiglio di giurisdizione della Camera dei deputati (Schlichtungsrat der Abgeordnetenkammer, Italien) geprüft.


2      Art. 2 Abs. 1 der Anlage III dieser Regelung.


3      Der endgültige Beschluss betrifft nur Herrn Florio, den Kläger in der Rechtssache T‑465/19.


4      Art. 263 AEUV.


5      Mit Beschlüssen vom 19. Mai und 9. Juli 2008 hat das Präsidium des Parlaments die Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut erlassen (ABl. 2009, C 159, S. 1).


6      Art. 2 Abs. 1 der Anlage III der KVR.


7      Nach Art. 25 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Parlaments.


8      Art. 74 in Verbindung mit Art. 75 der Durchführungsbestimmungen.


9      Art. 75 Abs. 2 Satz 1 der Durchführungsbestimmungen.


10      Art. 75 Abs. 2 Satz 2 der Durchführungsbestimmungen.


11      Und zwar, dass die einschlägigen Bestimmungen des auf dem Gebiet der Gewährung eines Ruhegehalts anwendbaren nationalen Rechts eingehalten werden und der Antrag auf Auszahlung dieses Ruhegehalts gestellt worden ist.


12      Art. 51 Abs. 1.


13      s. 1 der Anlage III der KVR.


14      Art. 17 Abs. 1 der Charta.


15      Gemäß Anlage III der KVR.