Language of document : ECLI:EU:T:2023:650

URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)

18. Oktober 2023(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Ethylenmarkt – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festgestellt wird – Koordinierung über ein Element des Einkaufspreises – Vergleichsverfahren – Geldbuße – Anpassung des Grundbetrags der Geldbuße – Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Rückfälligkeit – Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung – Widerklage auf Erhöhung des Betrags der Geldbuße“

In der Rechtssache T‑590/20,

Clariant AG mit Sitz in Muttenz (Schweiz),

Clariant International AG mit Sitz in Muttenz,

vertreten durch Rechtsanwalt F. Montag und Rechtsanwältin M. Dreher,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A. Boitos, I. Rogalski und J. Szczodrowski als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten M. van der Woude, des Richters G. De Baere (Berichterstatter), der Richterin G. Steinfatt, des Richters K. Kecsmár und der Richterin S. Kingston,

Kanzler: I. Kurme, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 24. November 2022

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragen die Klägerinnen, die Clariant AG und die Clariant International AG, die teilweise Nichtigerklärung des Beschlusses C(2020) 4817 final der Kommission vom 14. Juli 2020 in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV (AT.40410 – Ethylen) (im Folgenden: angefochtener Beschluss), hilfsweise die Herabsetzung des Betrags der ihnen in diesem Beschluss gesamtschuldnerisch auferlegten Geldbuße. Die Europäische Kommission beantragt widerklagend die Erhöhung des Betrags dieser Geldbuße.

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

A.      Verwaltungsverfahren

2        Am 29. Juni 2016 beantragte eines von vier Unternehmen, die an kollusiven Kontakten im Zusammenhang mit Ethyleneinkäufen beteiligt waren, einen Geldbußenerlass gemäß der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2006, C 298, S. 17, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit).

3        Zwischen dem 23. Mai und dem 3. Juli 2017 beantragten auch die drei übrigen Unternehmen, die an diesen kollusiven Kontakten beteiligt waren, einen Geldbußenerlass bzw. hilfsweise eine Geldbußenermäßigung nach der Mitteilung über Zusammenarbeit.

4        Am 10. Juli 2018 leitete die Kommission gegen die vier Unternehmen, gegen die sich das Verfahren richtete (im Folgenden zusammen: Kartellmitglieder), das Verfahren gemäß Art. 11 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) ein, damit im Einklang mit der Mitteilung der Kommission über die Durchführung von Vergleichsverfahren bei dem Erlass von Entscheidungen nach Artikel 7 und Artikel 23 der Verordnung Nr. 1/2003 in Kartellfällen (ABl. 2008, C 167, S. 1, im Folgenden: Mitteilung über Vergleichsverfahren) Vergleichsgespräche aufgenommen werden konnten.

5        Mit Schreiben vom 23. Juli 2018 bestätigten die Klägerinnen der Kommission ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Vergleichsgesprächen.

6        In diesen Gesprächen informierte die Kommission die Klägerinnen über die Beschwerdepunkte, die sie gegen sie zu erheben gedachte, und legte ihnen die wichtigsten Beweismittel in der Akte offen, auf die sie sich bei der Feststellung dieser Beschwerdepunkte gestützt hatte. Darüber hinaus teilte sie ihnen die ungefähre Höhe der Geldbuße mit, die sie gegen sie zu verhängen beabsichtigte.

7        Am 20. November 2019 legten die Klägerinnen im Einklang mit Art. 10a Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101 und 102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) ihre Vergleichsausführungen vor, mit denen sie ihre gesamtschuldnerische Haftbarkeit für ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung anerkannten. Sie gaben auch den Höchstbetrag der Geldbuße an, der sie im Rahmen des Vergleichsverfahrens zustimmen würden, nämlich 159 663 000 Euro.

8        Am 7. Februar 2020 nahm die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an. Am 24. Februar 2020 bestätigten die Klägerinnen, dass diese ihre Vergleichsausführungen ordnungsgemäß wiedergebe und sie der Fortsetzung des Vergleichsverfahrens voll und ganz verpflichtet blieben.

B.      Angefochtener Beschluss

9        Am 14. Juli 2020 erließ die Kommission den angefochtenen Beschluss.

1.      Beschreibung der Zuwiderhandlung

10      Die Kommission stellte fest, dass die Klägerinnen im Zeitraum vom 26. Dezember 2011 bis zum 29. März 2017 an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, die im Austausch sensibler Geschäfts- und Preisinformationen sowie in der Festlegung eines Preiselements im Zusammenhang mit Ethyleneinkäufen auf belgischem, deutschem, französischem und niederländischem Hoheitsgebiet bestanden habe (Art. 1 Buchst. c des angefochtenen Beschlusses).

11      Das beanstandete Verhalten betraf den Kauf von Ethylen auf dem Handelsmarkt, ausgenommen für den Eigenbedarf produziertes Ethylen, d. h. Ethylen, das von den Herstellern selbst erzeugt und verwendet wird.

12      Das Ethylen wurde in der Regel auf der Grundlage langfristiger Liefervereinbarungen gekauft. Um das Risiko der Volatilität der Ethyleneinkaufspreise widerzuspiegeln, bezogen sich diese Liefervereinbarungen häufig auf den Monatskontraktpreis (Monthly Contract Price, im Folgenden: MCP). Damit ein MCP für den Folgemonat zustande kam, mussten zwei separate, aber identische bilaterale Vereinbarungen, die gemeinhin als „Settlements“ bezeichnet werden, zwischen jeweils unterschiedlichen Verkäufern und Käufern geschlossen werden. Nach Abschluss der ersten Vereinbarung („Initial Settlement“) konnten die Parteien diese einer privaten und unabhängigen Meldestelle mitteilen, die sie veröffentlichte, um den Markt zu informieren. Sobald sich ein anderer Verkäufer und ein anderer Käufer auf den gleichen Preis einigten, wurde dieser Preis von den Meldestellen als neuer MCP öffentlich bekannt gegeben.

13      Die Kommission wies darauf hin, dass der MCP kein Nettopreis, sondern ein variables Element der in einigen Lieferverträgen verwendeten Preisformeln sei. Der MCP wirke sich daher unmittelbar auf den tatsächlichen Einkaufspreis bei Ethylengeschäften im Rahmen dieser Lieferverträge und bei bestimmten Transaktionen auf dem Spotmarkt aus.

14      Die Kommission stellte fest, dass die Kartellmitglieder ihr Marktverhalten im Rahmen bilateraler Kontakte betreffend den MCP koordiniert hätten, indem sie sich zum einen über die Zielpreise, die sie in den MCP-Verhandlungsverfahren mit den Ethylenverkäufern zu verwenden beabsichtigten, und zum anderen über die angestrebten endgültigen MCP, die auf einer gemeinsamen Bewertung der Preisfaktoren und der öffentlichen Analysen beruhten, verständigt hätten. Die Kartellmitglieder hätten sich auch über ihre künftigen Positionen in den Preisverhandlungsverfahren mit den Ethylenverkäufern abgestimmt. Schließlich hätten sie Informationen über Marktentwicklungen ausgetauscht.

15      Das Ziel des fraglichen Verhaltens habe darin bestanden, die MCP-Verhandlungen zu beeinflussen, um in den Vergleichsverfahren mit den Ethylenverkäufern einen möglichst niedrigen Kaufpreis zu erzielen.

16      Die Kommission kam zu dem Schluss, dass das fragliche Verhalten die Merkmale einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Art. 101 AEUV aufweise, die eine Einschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Ethyleneinkäufe bezwecke. Daher sei es nicht erforderlich, die Auswirkungen des Verhaltens auf diesen Markt zu untersuchen oder zu prüfen, ob die Kartellmitglieder den gewünschten MCP letztendlich erzielt hätten.

17      In Bezug auf die Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung stellte die Kommission zum einen fest, dass die Klägerin zu 2) – Clariant International – ihre Haftbarkeit für ihre unmittelbare Beteiligung an der im Zeitraum vom 26. Dezember 2011 bis zum 29. März 2017 begangenen Zuwiderhandlung vorbehaltlos anerkannt habe, und zum anderen, dass die Klägerin zu 1) – Clariant – ihre gesamtschuldnerische Haftbarkeit für die Beteiligung ihrer 100%igen Tochtergesellschaft an der im Zeitraum vom 26. Dezember 2011 bis zum 29. März 2017 begangenen Zuwiderhandlung vorbehaltlos eingestanden habe. Sie nahm daher für den betreffenden Zeitraum die gesamtschuldnerische Haftbarkeit der Klägerin zu 2) für deren unmittelbare Beteiligung an der Zuwiderhandlung und der Klägerin zu 1) als Muttergesellschaft der Klägerin zu 2) an.

2.      Berechnung des Betrags der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße

18      Gegen die Klägerinnen wurde gesamtschuldnerisch eine Geldbuße in Höhe von 155 769 000 Euro verhängt (Art. 2 Buchst. c des angefochtenen Beschlusses).

19      In diesem Zusammenhang berücksichtigte die Kommission erstens bei der Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße den Wert der Ethyleneinkäufe während des Zeitraums, der das letzte volle Jahr der Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung, d. h. 2016, umfasste.

20      Nach Ansicht der Kommission war es nicht angemessen, den Wert der Verkäufe nachgelagerter Produkte als Ausgangspunkt für die Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße zu verwenden, da die Zuwiderhandlung ein Einkaufskartell betreffe und nicht alle Parteien auf dem- bzw. denselben nachgelagerten Markt bzw. Märkten präsent seien.

21      Außerdem seien nur der Wert der Einkäufe, die im Rahmen von Ethylen-Liefervereinbarungen getätigt worden seien, in denen eine auf dem MCP basierende Preisformel verwendet werde, einerseits und der Wert der auf dem MCP basierenden Einkäufe am Ethylen-Spotmarkt andererseits heranzuziehen.

22      Zweitens berücksichtigte die Kommission bei der Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung sowie die Notwendigkeit einer Abschreckung.

23      Da es sich bei der Zuwiderhandlung um eine horizontale Preisgestaltung handelte, die ihrem Wesen nach zu den schwerwiegendsten Wettbewerbsbeschränkungen zählt, setzte die Kommission zunächst den Schwerekoeffizienten auf 15 % fest.

24      Sodann trug sie der Tatsache Rechnung, dass die Klägerinnen vom 26. Dezember 2011 bis zum 29. März 2017, d. h. während 1 921 Tagen, an der Zuwiderhandlung teilgenommen hatten, was einem Multiplikator von 5,25 für die Dauer entsprach.

25      Schließlich setzte die Kommission einen Zusatzbetrag von 15 % fest, der angesichts der Schwere der Zuwiderhandlung zu Abschreckungszwecken angewandt wurde.

26      Drittens nahm die Kommission Anpassungen des Grundbetrags der Geldbuße vor.

27      Zum einen erhöhte sie den Grundbetrag der Geldbuße in Anwendung von Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen) um 50 % und begründete dies damit, dass die Klägerinnen bereits eine ähnliche Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV begangen hätten. Die Kommission verwies insoweit auf ihre Entscheidung C(2004) 4876 final vom 19. Januar 2005 in einem Verfahren nach Artikel [101 AEUV] und Artikel 53 EWR-Abkommen (COMP/E‑1/37.773 – MCAA) (im Folgenden: MCAA-Entscheidung), mit der die Klägerin zu 1) und ihre Tochtergesellschaft Clariant GmbH für ein Kartell auf dem Markt für Monochloressigsäure (im Folgenden: MCAA-Kartell) haftbar gemacht worden waren.

28      Sie war ferner der Ansicht, dass keine mildernden Umstände vorlägen, die eine Herabsetzung des Grundbetrags der Geldbuße rechtfertigten.

29      Zum anderen erhöhte die Kommission den Grundbetrag der Geldbuße gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen um 10 %, um den besonderen Umständen des Falles und der Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung Rechnung zu tragen.

30      Viertens stellte sie sicher, dass die Geldbuße im Einklang mit Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 10 % des Gesamtumsatzes der Klägerinnen im Jahr 2019 nicht überstieg.

31      Fünftens nahm die Kommission noch eine Geldbußenermäßigung nach der Kronzeugenregelung vor. So wurde den Klägerinnen gemäß der Mitteilung über Zusammenarbeit eine Ermäßigung um 30 % gewährt.

32      Sechstens wurde der Betrag der Geldbuße um 10% herabgesetzt, um die Klägerinnen für ihre Zusammenarbeit im Rahmen des Vergleichsverfahrens zu belohnen.

II.    Anträge der Parteien

33      Die Klägerinnen beantragen,

–        Art. 2 Buchst. c des angefochtenen Beschlusses insoweit für nichtig zu erklären, als die verhängte Geldbuße den Betrag von 94 405 800 Euro übersteigt;

–        hilfsweise, die ihnen gemäß Art. 2 Buchst. c dieses Beschlusses auferlegte Geldbuße auf einen verhältnismäßigen Betrag herabzusetzen;

–        den Antrag der Kommission, den Betrag der gegen sie verhängten Geldbuße auf 181 731 000 Euro zu erhöhen, zurückzuweisen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

34      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Betrag der den Klägerinnen in Art. 2 Buchst. c des angefochtenen Beschlusses auferlegten Geldbuße auf 181 731 000 Euro festzusetzen;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

A.      Zum Nichtigkeitsantrag und zum Antrag auf Herabsetzung des Betrags der Geldbuße

35      Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf drei Gründe, von denen die beiden ersten zur Stützung des Nichtigkeitsantrags und der dritte zur Stützung des Antrags auf Herabsetzung des Betrags der Geldbuße geltend gemacht werden. Mit dem ersten Klagegrund führen sie aus, die Kommission habe den Grundbetrag der Geldbuße fälschlicherweise gemäß Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen erhöht. Mit dem zweiten Klagegrund tragen sie vor, die Kommission habe den Grundbetrag der Geldbuße fälschlicherweise gemäß Ziff. 37 dieser Leitlinien erhöht. Der dritte Klagegrund bezieht sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Höhe der Geldbuße im Hinblick auf die Schwere der begangenen Zuwiderhandlung.

1.      Zum ersten Klagegrund: Die Kommission habe den Grundbetrag der Geldbuße fälschlicherweise gemäß Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen erhöht

36      Einleitend ist daran zu erinnern, dass die Geldbuße, wie aus den Erwägungsgründen 107 bis 113 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, den Klägerinnen im Einklang mit Art. 10a Abs. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 gemäß Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 auferlegt worden ist.

37      Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 bestimmt, dass bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen ist.

38      Ein etwaiger Wiederholungsfall gehört zu den Gesichtspunkten, die bei der Untersuchung der Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sind (Urteile vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission, C‑413/08 P, EU:C:2010:346, Rn. 63, und vom 12. Dezember 2014, Eni/Kommission, T‑558/08, EU:T:2014:1080, Rn. 276; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 91).

39      Der erschwerende Umstand der Rückfälligkeit ist in Ziff. 28 erster Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen definiert als Fortsetzung einer Zuwiderhandlung oder erneutes Begehen einer gleichartigen oder ähnlichen Zuwiderhandlung, nachdem die Kommission oder eine einzelstaatliche Wettbewerbsbehörde festgestellt hat, dass das fragliche Unternehmen gegen Art. 101 oder Art. 102 AEUV verstoßen hatte. In einem solchen Fall kann der Grundbetrag der Geldbuße für jeden festgestellten Verstoß um bis zu 100 % erhöht werden.

40      Der erste Klagegrund besteht aus drei Teilen, mit denen erstens ein Verstoß gegen Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der ordnungsgemäßen Verwaltung, soweit die Kommission ihre Pflicht zur Ermessensausübung verletzt habe, zweitens ein Verstoß gegen Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Kommission die Klägerinnen zu Unrecht als Wiederholungstäterinnen eingestuft habe, und drittens eine Verletzung der Begründungspflicht geltend gemacht werden.

a)      Zum ersten Teil des ersten Klagegrundes: Die Kommission habe ihr Ermessen nicht ausgeübt

41      Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, die besonderen Umstände, die zur Feststellung einer Zuwiderhandlung im Rahmen des MCAA-Kartells geführt hätten, nicht hinreichend berücksichtigt zu haben. Die Kommission habe im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses lediglich festgestellt, dass die Umstände, die die Nichtfestsetzung einer Geldbuße im Rahmen dieses Kartells gerechtfertigt hätten, im vorliegenden Fall nicht relevant seien.

42      Die Klägerinnen heben mehrere Umstände hervor, die die Kommission hätte prüfen müssen. Sie machen geltend, die Entscheidung über das MCAA-Kartell sei aufgrund der Haftung der Klägerin zu 1) als Muttergesellschaft an diese gerichtet worden. Jenes Kartell sei u. a. von einer Gesellschaft gegründet worden, die die Klägerin zu 1) anschließend aufgekauft habe. Zum Zeitpunkt der Übernahme habe das Kartell bereits seit mindestens 14 Jahren bestanden. Außerdem hätten die beiden Angestellten der vorerwähnten von der Klägerin zu 1) aufgekauften Gesellschaft, die für die von besagtem Kartell betroffenen Tätigkeiten verantwortlich gewesen seien, weiterhin im Geheimen am Kartell teilgenommen, und es seien keine weiteren Personen innerhalb der Klägerin zu 1) beteiligt gewesen. Diese habe das fragliche Kartell durch interne Compliance-Maßnahmen aufgedeckt und angezeigt, weshalb ihr von der Kommission ein vollständiger Geldbußenerlass gewährt worden sei. An der hier in Rede stehenden Zuwiderhandlung wiederum sei nur ein einzelner Angestellter ohne Wissen aller anderen Angestellten oder Führungskräfte der Klägerinnen beteiligt gewesen. Diese Person sei zum Zeitpunkt der streitigen Praktiken auf dem Markt für Monochloressigsäure aber nicht bei der Klägerin zu 1) beschäftigt gewesen und trotz der von dieser ergriffenen Compliance-Maßnahmen tätig geworden.

43      Außerdem habe die Kommission bei der Festlegung des Satzes für die Erhöhung der Geldbuße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Da Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen insoweit eine Erhöhungsbandbreite zwischen 0 und 100 % vorsehe, habe die Kommission nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, wo innerhalb dieser Bandbreite die Schwere einer wiederholten Zuwiderhandlung anzusiedeln sei. Im angefochtenen Beschluss werde jedoch nicht erläutert, weshalb die Schwere der wiederholten Zuwiderhandlung eine Erhöhung um 50 % rechtfertige.

44      Die Klägerinnen sind der Ansicht, die Kommission habe dieselben Kriterien verwendet, um sowohl die Feststellung einer wiederholten Zuwiderhandlung als auch die Wahl des Erhöhungssatzes zu rechtfertigen, obwohl es sich dabei um unterschiedliche Aspekte handle, die eine gesonderte Beurteilung erforderten. Zudem seien die von der Kommission angewandten Kriterien allen Wiederholungsfällen gemein und könnten nicht zur Rechtfertigung einer spezifischen Erhöhung in einem bestimmten Wiederholungsfall herangezogen werden.

45      Im Übrigen gehe aus der Entscheidungspraxis der Kommission hervor, dass bei der Festsetzung des Aufschlags auf die Geldbuße wegen Rückfälligkeit zum einen als einziger Faktor die Anzahl der früheren Zuwiderhandlungen berücksichtigt werde und zum anderen die untere Hälfte der Erhöhungsbandbreite unberücksichtigt bleibe. Damit verstoße die Kommission gegen ihre Verpflichtung zur Verhängung einer angemessenen Sanktion, die die Schwere einer bestimmten Zuwiderhandlung widerspiegle.

46      Durch die Nichtberücksichtigung der ersten Hälfte der Bandbreite für die Erhöhung von Geldbußen in Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen und die Anwendung desselben allgemeinen Aufschlags von 50 % auf alle Fälle eines Erstrückfalls habe die Kommission gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit verstoßen.

47      Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

48      Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission über ein Ermessen in Bezug auf die Wahl der bei der Bemessung der Geldbußen zu berücksichtigenden Gesichtspunkte verfügt, zu denen u. a. die besonderen Umstände des Falles, sein Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten. Dieses Ermessen der Kommission erstreckt sich auch auf die Feststellung und die Beurteilung der besonderen Merkmale eines Wiederholungsfalls (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Februar 2007, Groupe Danone/Kommission, C‑3/06 P, EU:C:2007:88, Rn. 37 und 38, und vom 29. September 2021, Nec/Kommission, T‑341/18, EU:T:2021:634, Rn. 103 und 104).

49      Die Berücksichtigung des Wiederholungsfalls verfolgt den Zweck, Unternehmen, die tendenziell zur Verletzung von Unionsvorschriften neigen, zur Änderung ihres Verhaltens zu veranlassen. Die Kommission kann daher in jedem Einzelfall die Anhaltspunkte berücksichtigen, die eine solche Neigung bestätigen, einschließlich z. B. der Zeitspanne zwischen den betreffenden Verstößen (Urteile vom 7. Juni 2011, Arkema France u. a./Kommission, T‑217/06, EU:T:2011:251, Rn. 294, und vom 29. September 2021, Nec/Kommission, T‑341/18, EU:T:2021:634, Rn. 77 und 104).

50      Bezüglich der Verhältnismäßigkeit einer Erhöhung der Geldbuße wegen Rückfälligkeit ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht gehalten sein kann, zu überprüfen, ob die Kommission den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Erhöhung der verhängten Geldbuße wegen wiederholter Zuwiderhandlung beachtet hat, und insbesondere, ob diese Erhöhung u. a. im Hinblick auf die Zeit, die zwischen der fraglichen Zuwiderhandlung und dem früheren Verstoß gegen Wettbewerbsregeln vergangen ist, angezeigt war (Urteile vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission, C‑413/08 P, EU:C:2010:346, Rn. 70, und vom 29. September 2021, Nec/Kommission, T‑341/18, EU:T:2021:634, Rn. 117).

51      Im vorliegenden Fall hat die Kommission den Betrag der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße wegen Rückfälligkeit um 50 % erhöht. Sie hat festgestellt, dass die Klägerin zu 1) zum Zeitpunkt der Begehung der fraglichen Zuwiderhandlung in der Entscheidung über das MCAA-Kartell bereits für ein wettbewerbswidriges Verhalten haftbar gemacht worden sei.

52      Im Einzelnen hat die Kommission im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses die Gesichtspunkte aufgeführt, die sie bei ihrer Beurteilung des Vorliegens eines Wiederholungsfalls berücksichtigt hat. Sie hat auf Folgendes hingewiesen:

–        Das im vorliegenden Fall beanstandete Verhalten habe in Bezug auf die Klägerinnen am 26. Dezember 2011 begonnen, d. h. nach Erlass der Entscheidung über das MCAA-Kartell am 19. Januar 2005;

–        zwischen dem Erlass dieser Entscheidung und dem Beginn des im vorliegenden Fall beanstandeten Verhaltens sei nur wenig Zeit vergangen;

–        die beiden Zuwiderhandlungen seien als „ähnlich“ im Sinne von Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen anzusehen, da sie beide Verstöße gegen Art. 101 AEUV darstellten;

–        bei der Klägerin zu 1) handle es sich um die Muttergesellschaft der Clariant GmbH, die unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei und während des Zeitraums der Zuwiderhandlung mit dieser ein einziges Unternehmen gebildet habe; das frühere Verhalten des Unternehmens sei zu berücksichtigen, nicht nur das der Clariant GmbH;

–        die besonderen Umstände der in der Entscheidung über das MCAA-Kartell festgestellten Zuwiderhandlung, die es gerechtfertigt hätten, dass den Klägerinnen keine Geldbuße auferlegt worden sei, seien für die Prüfung der Frage irrelevant, ob die Klägerinnen nach Erlass dieser Entscheidung gegen Wettbewerbsregeln verstoßen hätten.

53      Aus dem vorstehend angeführten Erwägungsgrund geht hervor, dass die Kommission in Ausübung ihres Ermessens ermittelt hat, anhand welcher Anhaltspunkte sie die Rückfälligkeit der Klägerinnen beurteilen konnte.

54      Insbesondere hat die Kommission berücksichtigt, dass die Klägerin zu 1) zwei Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 AEUV begangen hatte, zwischen denen eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne lag, was als Zeugnis für eine Neigung zur Verletzung von Unionsvorschriften ausreicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Februar 2007, Groupe Danone/Kommission, C‑3/06 P, EU:C:2007:88, Rn. 40).

55      In Bezug auf die Wahl des Erhöhungssatzes machen die Klägerinnen zu Unrecht geltend, die Kommission dürfe diese Wahl nicht mit einem Verweis auf dieselben Gesichtspunkte begründen, die sie für die Beurteilung des Vorliegens eines Wiederholungsfalls angeführt habe. Bei der Wahl des Erhöhungssatzes wegen Rückfälligkeit muss die Kommission im Einklang mit der oben in Rn. 50 angeführten Rechtsprechung nämlich die Anhaltspunkte prüfen, mit denen sich ein solcher Wiederholungsfall feststellen lässt, insbesondere, wie viel Zeit zwischen der fraglichen Zuwiderhandlung und dem früheren Verstoß gegen Wettbewerbsregeln vergangen ist.

56      Auch wenn es der Kommission freisteht, bei der Prüfung der Rückfälligkeit und der Wahl des Erhöhungssatzes weitere Anhaltspunkte zu berücksichtigen, liegt eine solche Berücksichtigung nach der oben in den Rn. 48 bis 50 angeführten Rechtsprechung in ihrem Ermessen. Daher hat die Kommission ihr Ermessen ausgeübt, als sie die von den Klägerinnen hervorgehobenen besonderen Umstände der Zuwiderhandlung, die Gegenstand der Entscheidung über das MCAA-Kartell war, im vorliegenden Fall als irrelevant betrachtet hat.

57      Darüber hinaus können die Klägerinnen nicht mit Erfolg geltend machen, die Kommission habe den Erhöhungssatz von 50 % nicht nach Maßgabe der besonderen Schwere der Zuwiderhandlung bestimmt. Die Kommission hat nämlich gerade berücksichtigt, dass zwischen dem Erlass der Entscheidung über das MCAA-Kartell und dem Beginn des im vorliegenden Fall beanstandeten Verhaltens nur wenig Zeit vergangen war. Die Prüfung der Zeitspanne zwischen der Feststellung einer früheren Zuwiderhandlung und der neuen Zuwiderhandlung hängt aber vom konkreten Fall ab, so dass die Kommission die besondere Schwere des Rückfalls in jedem Einzelfall anhand dieses Anhaltspunkts prüfen kann.

58      Soweit die Klägerinnen ausführen, der 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses enthalte keine ausdrückliche Begründung dafür, weshalb die Kommission bestimmte Umstände im Zusammenhang mit der im Rahmen des MCAA-Kartells begangenen Zuwiderhandlung als irrelevant angesehen habe, ist der Kommission folgend festzustellen, dass mit diesem Argument ein Mangel hinsichtlich der Begründung des angefochtenen Beschlusses gerügt werden soll. Es wird daher im Rahmen des dritten Teils des ersten Klagegrundes geprüft.

59      Die Klägerinnen tragen weiterhin im Wesentlichen vor, die Kommission verstoße gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit, da aus ihrer Entscheidungspraxis in Bezug auf Wiederholungsfälle hervorgehe, dass sie nur die Anzahl früherer Zuwiderhandlungen berücksichtige und für alle Fälle eines Erstrückfalls einen Erhöhungssatz von 50 % anwende, ohne die erste Hälfte der in Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen vorgesehenen Erhöhungsbandbreite zu berücksichtigen. Die Leitlinien der Kommission ließen eine Einzelfallbewertung der besonderen Schwere einer Zuwiderhandlung nicht zu.

60      Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Argumentation auf eine Analyse der Entscheidungspraxis der Kommission stützt. Der Gerichtshof hat aber mehrfach entschieden, dass die frühere Entscheidungspraxis der Kommission nicht den rechtlichen Rahmen für Geldbußen in Wettbewerbssachen bildet und dass Entscheidungen in anderen Fällen lediglich Hinweischarakter in Bezug auf das Vorliegen von Diskriminierungen haben (Urteil vom 26. Januar 2017, Zucchetti Rubinetteria/Kommission, C‑618/13 P, EU:C:2017:48, Rn. 38).

61      Jedenfalls ist erstens festgestellt worden, dass die Kommission, obwohl die Berücksichtigung weiterer Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen ist, die Rückfälligkeit eines Unternehmens in einem Einzelfall anhand der zwischen zwei gleichartigen oder ähnlichen Zuwiderhandlungen vergangenen Zeit prüfen und damit nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit den angemessenen Erhöhungssatz bestimmen kann.

62      Zweitens ist bezüglich eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung darauf hinzuweisen, dass nach diesem Grundsatz vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil vom 24. September 2020, Prysmian und Prysmian Cavi e Sistemi/Kommission, C‑601/18 P, EU:C:2020:751, Rn. 101 und die dort angeführte Rechtsprechung). Da die Klägerinnen einen Verstoß gegen besagten Grundsatz geltend machen, haben sie klarzustellen und nachzuweisen, welcher Sachverhalt mit einem anderen, unterschiedlich behandelten Sachverhalt vergleichbar ist bzw. welcher Sachverhalt sich von einem anderen unterscheidet, der gleichbehandelt worden ist (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [Frankreich] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 311; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 28. Mai 2020, Agrochem-Maks/Kommission, T‑574/18, EU:T:2020:226, Rn. 105 [nicht veröffentlicht]). Die Klägerinnen beziehen sich aber auf Entscheidungen der Kommission, ohne zu erläutern, ob die Umstände dieser Rechtssachen denen der vorliegenden Rechtssache ähnlich oder unterschiedlich waren.

63      Was drittens einen Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit betrifft, so genügt die Feststellung, dass dieses Vorbringen nicht untermauert wird.

64      In Anbetracht des Vorstehenden ist festzuhalten, dass die Kommission ihr Ermessen ausgeübt hat, als sie den Wiederholungsfall festgestellt und beschlossen hat, den Grundbetrag der Geldbuße um 50 % zu erhöhen. Außerdem hat sie bei der Ermessensausübung nicht gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit verstoßen.

65      Der erste Teil des ersten Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

b)      Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes: Die Klägerinnen seien fälschlicherweise als Wiederholungstäterinnen eingestuft worden

66      Die Klägerinnen tragen vor, die Beurteilung der Kommission hinsichtlich des Vorliegens eines Wiederholungsfalls sei mit Rechtsfehlern behaftet, und führen hierzu im Wesentlichen vier Rügen an, denen die Kommission entgegentritt.

1)      Zur ersten Rüge, die sich auf die fehlende Ähnlichkeit zwischen der im Rahmen des MCAA-Kartells begangenen Zuwiderhandlung und der hier in Rede stehenden Zuwiderhandlung bezieht

67      Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe einen Rechtsfehler begangen, als sie festgestellt habe, dass die im Rahmen des MCAA-Kartells begangene Zuwiderhandlung und die hier in Rede stehende Zuwiderhandlung gleichartige oder ähnliche Zuwiderhandlungen im Sinne von Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen darstellten.

68      Die Kommission, so die Klägerinnen, hätte einen detaillierten Vergleich der beiden betreffenden Zuwiderhandlungen vornehmen müssen, die sich in ihrer Art und ihren Merkmalen erheblich voneinander unterschieden. Beim MCAA-Kartell habe es sich um ein Verkaufskartell gehandelt, das auf die Durchsetzung von Preiserhöhungen bei den nachgelagerten Verkäufen durch abgestimmte Ankündigungen des Endverkaufspreises abgezielt habe. Hauptziel dieses Kartells sei es gewesen, die Marktanteile seiner Mitglieder mittels eines Systems der Mengen- und Kundenzuteilung aufrechtzuerhalten, ergänzt durch einen Ausgleichsmechanismus, um die Einhaltung der vereinbarten Mengenquoten in der Praxis zu gewährleisten. Der Austausch von Informationen über Verkaufspreise sei im Hinblick auf das Hauptziel des Kartells nebensächlich gewesen.

69      Dagegen beziehe sich das hier in Rede stehende Kartell auf den vorgelagerten Einkauf eines Rohstoffs. Anders als beim MCAA-Kartell sei der Ethylenkauf einem Verhandlungsverfahren auf dem Handelsmarkt unterworfen gewesen, in dessen Verlauf die Verkäufer aus einer großen Anzahl von Käufern auswählen könnten. Das beanstandete Verhalten habe kein Element der Markt- oder Kundenaufteilung beinhaltet, und die Kartellmitglieder hätten keinerlei Kontakt betreffend ihre jeweiligen nachgelagerten Verkaufsaktivitäten unterhalten. Außerdem sei das im vorliegenden Fall in Rede stehende rechtswidrige Verhalten auf einzigartige Umstände zurückzuführen, die sich von denen des MCAA-Kartells unterschieden. Beispielsweise habe sich dieses Verhalten aus einer zulässigen Zusammenarbeit beim Einkauf ergeben, die zwischen drei der genannten Mitglieder aufgrund struktureller und vertraglicher Verbindungen bestehe.

70      Im angefochtenen Beschluss hat die Kommission festgestellt, dass die beiden in Rede stehenden Zuwiderhandlungen, für die die Klägerin zu 1) und ihre Tochtergesellschaften haftbar gemacht worden sind, Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 AEUV darstellten, so dass sie als ähnlich im Sinne von Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen anzusehen seien.

71      Diese Beurteilung ist frei von Fehlern. Denn nach der Rechtsprechung sind Zuwiderhandlungen für die Zwecke der Feststellung eines Rückfalls ähnlich oder gleichartig, wenn sie in einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV bestehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 2007, BASF und UCB/Kommission, T‑101/05 und T‑111/05, EU:T:2007:380, Rn. 64, sowie vom 30. September 2009, Hoechst/Kommission, T‑161/05, EU:T:2009:366, Rn. 147).

72      Zwar wurde die Zuwiderhandlung im Rahmen des MCAA-Kartells in Form eines Verkaufskartells begangen, das auf die Durchsetzung von Preiserhöhungen bei den nachgelagerten Verkäufen abzielte, während die im vorliegenden Fall in Rede stehende Zuwiderhandlung in einem Einkaufskartell bestand, mit dem niedrige Einkaufspreise für einen Rohstoff, nämlich Ethylen, erzielt werden sollten. Es genügt jedoch die Feststellung, dass sich die Klägerin zu 1) und ihre Tochtergesellschaften in beiden Fällen an einem nach Art. 101 AEUV verbotenen Kartell beteiligt haben.

73      Zudem wiesen die beiden fraglichen Zuwiderhandlungen, wie die Kommission geltend macht, zahlreiche gemeinsame Merkmale auf. Im verfügenden Teil der Entscheidung über das MCAA-Kartell heißt es nämlich, dass die Klägerin zu 1) für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV haftbar gemacht werde, die sie u. a. durch eine abgestimmte Erhöhung der Preise sowie den Austausch von Informationen über Verkaufsmengen und Preise begangen habe. Der verfügende Teil des angefochtenen Beschlusses besagt, dass die Klägerinnen gegen Art. 101 AEUV verstoßen hätten, weil sie an einer Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, die u. a. in der Festlegung eines Preiselements sowie dem Austausch sensibler Geschäfts- und Preisinformationen bestanden habe. Wie aus dem letztgenannten Beschluss ferner hervorgeht, zielte die Zuwiderhandlung darauf ab, die MCP-Verhandlungen zu beeinflussen, um den niedrigstmöglichen Kaufpreis für Ethylen zu erzielen. Folglich finden sich die Praktiken einer abgestimmten Festsetzung von Preisen bzw. der Festlegung eines Preiselements und des Austauschs von Preisinformationen in den beiden Kartellen wieder, an denen sich die Klägerin zu 1) und ihre Tochtergesellschaften beteiligt haben.

74      Im Übrigen ist die Tatsache, dass das im vorliegenden Fall beanstandete Verhalten auf einzigartige Umstände und insbesondere auf eine zulässige Zusammenarbeit zwischen bestimmten Kartellmitgliedern zurückzuführen sein soll, in Anbetracht der oben in Rn. 71 angeführten Rechtsprechung für die Prüfung des erneuten Begehens ähnlicher Zuwiderhandlungen irrelevant.

75      Daher hat die Kommission keinen Fehler begangen, als sie das erneute Begehen einer ähnlichen Zuwiderhandlung im Sinne von Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen festgestellt hat.

2)      Zur zweiten Rüge, die sich auf die zwischen den beiden Zuwiderhandlungen liegende Zeitspanne bezieht

76      Die Klägerinnen sind der Ansicht, der Ausgangspunkt für die Bestimmung der Zeitspanne zwischen der im vorliegenden Fall in Rede stehenden Zuwiderhandlung und der früheren Zuwiderhandlung sei der Zeitpunkt, zu dem die Clariant GmbH die im Rahmen des MCAA-Kartells begangene Zuwiderhandlung aktiv und aus eigener Initiative beendet und die Anwendung der Kronzeugenregelung beantragt habe. Nach dieser Logik wären zwischen den beiden Zuwiderhandlungen mehr als zwölf Jahre vergangen, so dass die Klägerinnen keine besondere Neigung zur Verletzung der Wettbewerbsregeln gezeigt hätten.

77      Insbesondere aus dem Urteil vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission (C‑413/08 P, EU:C:2010:346), gehe hervor, dass die Kommission den Zeitpunkt der tatsächlichen Zuwiderhandlung als Ausgangspunkt für die Bestimmung der Zeitspanne zwischen den beiden Zuwiderhandlungen berücksichtigen müsse und nicht den Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung der Zuwiderhandlung. Aus Gründen der Fairness und Verhältnismäßigkeit dürfe die Dauer des Verwaltungsverfahrens betreffend die frühere Zuwiderhandlung nicht berücksichtigt werden.

78      Im angefochtenen Beschluss hat die Kommission festgestellt, dass das rechtswidrige Verhalten der Klägerinnen am 26. Dezember 2011, d. h. nach Erlass der MCAA-Entscheidung am 19. Januar 2005, begonnen habe, weshalb zwischen diesen beiden Daten nur wenig Zeit vergangen sei.

79      Diese Beurteilung ist frei von Fehlern. Denn nach der oben in Rn. 49 angeführten Rechtsprechung kann die Kommission beispielsweise die Zeitspanne zwischen den Verstößen als Anhaltspunkt für einen Wiederholungsfall berücksichtigen.

80      Insbesondere ist entschieden worden, dass eine Zeitspanne von weniger als zehn Jahren zwischen den Zuwiderhandlungen von der Neigung eines Unternehmens zeugt, aus der Feststellung einer von ihm begangenen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln nicht die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Februar 2007, Groupe Danone/Kommission, C‑3/06 P, EU:C:2007:88, Rn. 40, und vom 29. September 2021, Nec/Kommission, T‑341/18, EU:T:2021:634, Rn. 105).

81      Da das Verhalten der Klägerinnen in Bezug auf das im vorliegenden Fall in Rede stehende Kartell fast sieben Jahre nach Erlass der MCAA-Entscheidung begann, hat die Kommission zu Recht festgestellt, dass diese eher kurze Zeitspanne von einer Neigung der Klägerinnen zeuge, aus der in der Entscheidung enthaltenen Feststellung der Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln nicht die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen.

82      Die Klägerinnen machen geltend, der Ausgangspunkt für die Bestimmung der Zeitspanne zwischen den beiden in Rede stehenden Zuwiderhandlungen müsse der Zeitpunkt sein, zu dem die Clariant GmbH die im Rahmen des MCAA-Kartells begangene Zuwiderhandlung aktiv und aus eigener Initiative beendet und die Anwendung der Kronzeugenregelung beantragt habe, und nicht der Zeitpunkt der Feststellung der Zuwiderhandlung in der Entscheidung über dieses Kartell.

83      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich die Berücksichtigung des Wiederholungsfalls durch das zusätzliche Abschreckungsbedürfnis rechtfertigt, von dem die Tatsache zeugt, dass die Feststellung einer früheren Zuwiderhandlung nicht genügt hat, um eine Tatwiederholung zu verhindern. Der Wiederholungsfall erfolgt somit notwendigerweise nach der Feststellung und Ahndung der ersten Zuwiderhandlung, da er seine Ursache darin hat, dass die Sanktion nicht abschreckend genug war (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Juli 2008, BPB/Kommission, T‑53/03, EU:T:2008:254, Rn. 392, sowie vom 7. Juni 2011, Arkema France u. a./Kommission, T‑217/06, EU:T:2011:251, Rn. 299).

84      Außerdem geht aus dem Wortlaut von Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen hervor, dass ein Rückfall aus der Fortsetzung einer Zuwiderhandlung oder dem erneuten Begehen einer gleichartigen oder ähnlichen Zuwiderhandlung besteht, nachdem die Kommission oder eine einzelstaatliche Wettbewerbsbehörde „festgestellt“ hat, dass das betreffende Unternehmen gegen Art. 101 oder 102 AEUV verstoßen hatte. Die Leitlinien stellen zwar nicht die Rechtsgrundlage für eine Entscheidung dar, mit der Geldbußen verhängt werden – diese Entscheidung beruht auf der Verordnung Nr. 1/2003 –, sie enthalten jedoch eine allgemeine und abstrakte Regelung der Vorgehensweise, die sich die Kommission zur Festsetzung der in dieser Entscheidung verhängten Geldbußen auferlegt hat, und schaffen damit Rechtssicherheit für die Unternehmen (vgl. Urteil vom 5. Oktober 2011, Romana Tabacchi/Kommission, T‑11/06, EU:T:2011:560, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85      Die Kommission hat daher fehlerfrei das Datum der MCAA-Entscheidung, mit der sie festgestellt hatte, dass die Klägerin zu 1) und die Clariant GmbH eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln begangen hätten, als Ausgangspunkt für die Prüfung der Frage herangezogen, wie viel Zeit seit der Feststellung der ersten Zuwiderhandlung vergangen war.

86      Weiter ist zu bemerken, dass sich die Klägerinnen zur Untermauerung ihrer Rüge auf eine fehlerhafte Auslegung von Rn. 70 des Urteils vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission (C‑413/08 P, EU:C:2010:346), stützen. In dieser Randnummer hat der Gerichtshof entschieden, dass die Unionsgerichte aufgefordert sein können, „zu überprüfen, ob die Kommission [den] Grundsatz [der Verhältnismäßigkeit] bei der Erhöhung der verhängten Geldbuße wegen wiederholter Zuwiderhandlung beachtet hat[te], und insbesondere, ob diese Erhöhung u. a. im Hinblick auf die Zeit, die zwischen der fraglichen Zuwiderhandlung und dem früheren Verstoß gegen Wettbewerbsregeln vergangen ist, angezeigt war“. Die Klägerinnen leiten aus der Wendung „früherer Verstoß gegen Wettbewerbsregeln“ zu Unrecht die Lehre ab, dass der Ausgangspunkt für die Bestimmung der Zeitspanne zwischen zwei Zuwiderhandlungen der Zeitpunkt der Umsetzung des früheren rechtswidrigen Verhaltens ist. In Rn. 86 des vorerwähnten Urteils hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass „[d]ie Schlussfolgerung des Gerichts, dass die Kommission den Wiederholungsfall schon dann berücksichtigen dürfe, wenn das Unternehmen zuvor wegen einer gleichartigen Zuwiderhandlung belangt worden sei, selbst wenn die Entscheidung noch gerichtlicher Kontrolle unterliege, … rechtlich zutreffend [ist]“. Aus der letztgenannten Randnummer geht hervor, dass die Feststellung der Haftbarkeit eines Unternehmens für eine frühere Zuwiderhandlung für die Analyse der Rückfälligkeit ausschlaggebend ist.

87      Im Übrigen kann der Zeitpunkt, zu dem die Clariant GmbH die im Rahmen des MCAA-Kartells begangene Zuwiderhandlung beendet und die Anwendung der Kronzeugenregelung beantragt hat, nicht als einer Feststellung einer früheren Zuwiderhandlung gleichwertig angesehen werden, da sich die Kommission zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum wettbewerbswidrigen Charakter des fraglichen Verhaltens oder zur Haftbarkeit der Klägerin zu 1) und der Clariant GmbH geäußert hatte. Ein Antrag auf Geldbußenerlass ermöglicht der Kommission nämlich nur die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV in ihrem endgültigen Beschluss (vgl. Rn. 8 und 11 der Mitteilung über Zusammenarbeit) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2016, DHL Express [Italien] und DHL Global Forwarding [Italien], C‑428/14, EU:C:2016:27, Rn. 54).

88      Schließlich ist der Umstand, dass das Verwaltungsverfahren betreffend die frühere Zuwiderhandlung mehrere Jahre gedauert hat, für die Feststellung der Rückfälligkeit im vorliegenden Fall irrelevant, da der für diese Feststellung maßgebliche Ausgangspunkt der Zeitpunkt der Entscheidung über das MCAA-Kartell ist.

89      Die Kommission ist daher zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass zwischen dem Erlass der Entscheidung über das MCAA-Kartell und dem Beginn des im vorliegenden Fall beanstandeten Verhaltens nur wenig Zeit vergangen war.

3)      Zur dritten Rüge, die sich auf die Tatsache bezieht, dass bisher keine finanzielle Sanktion verhängt worden ist

90      Die Klägerinnen machen geltend, der Grund für eine Erhöhung der Geldbuße wegen Rückfälligkeit sei untrennbar mit dem Versagen der Abschreckungswirkung einer früheren finanziellen Sanktion verknüpft. Folglich müsse die Tatsache, dass bisher keine Geldbuße verhängt worden sei, bei der Prüfung der besonderen Umstände eines Falles und der Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung berücksichtigt werden. Die Klägerinnen seien keine mit einer finanziellen Sanktion belegte Unternehmen. Der Grundbetrag der verhängten Geldbuße sei als solcher schon abschreckend genug, ohne dass eine Erhöhung gerechtfertigt sei.

91      Insoweit genügt die Feststellung, dass sich der Begriff „Wiederholungsfall“ nach der Rechtsprechung nicht notwendig auf die Feststellung einer früheren Verhängung einer Geldbuße, sondern nur auf die Feststellung einer früheren Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union bezieht (Urteile vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, T‑38/02, EU:T:2005:367, Rn. 363, und vom 8. Juli 2008, BPB/Kommission, T‑53/03, EU:T:2008:254, Rn. 387).

92      Mit der Berücksichtigung eines Wiederholungsfalls wird nämlich der Zweck verfolgt, Unternehmen, die bereits eine Neigung zur Verletzung der Wettbewerbsregeln gezeigt haben, zur Änderung ihres Verhaltens zu veranlassen, wenn sich herausstellt, dass eine frühere Feststellung eines von ihnen begangenen Verstoßes nicht genügt hat, um die Wiederholung eines rechtswidrigen Verhaltens zu verhindern. Entscheidend für den Wiederholungsfall ist somit nicht die frühere Verhängung einer Geldbuße und erst recht nicht deren Höhe, sondern die frühere Feststellung einer Zuwiderhandlung (Urteil vom 8. Juli 2008, BPB/Kommission, T‑53/03, EU:T:2008:254, Rn. 388).

93      Daher kann die Tatsache, dass den Klägerinnen in der Entscheidung über das MCAA-Kartell keine Geldbuße auferlegt worden ist, die Anwendung von Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen ihnen gegenüber nicht in Frage stellen.

4)      Zur vierten Rüge, die sich auf die Nichtberücksichtigung anderer Umstände bezieht

94      Die Klägerinnen tragen vor, die Kommission und die Unionsgerichte hätten im Rahmen einer Gesamtbewertung der Neigung eines Unternehmens zur Verletzung der Wettbewerbsregeln bereits anderen Umständen Rechnung getragen. Wären solche Umstände von der Kommission berücksichtigt worden, hätte diese sie nicht als Wiederholungstäterinnen eingestuft.

95      Wie sich aus der Prüfung des ersten Teils des ersten Klagegrundes ergibt, fallen die Feststellung und die Beurteilung der besonderen Merkmale einer Wiederholungstat jedoch in das Ermessen der Kommission. Diese konnte sich zu Recht auf die Feststellung beschränken, dass die Klägerinnen zwei Zuwiderhandlungen begangen hatten, die einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV darstellten und durch einen vergleichsweise kurzen Zeitraum voneinander getrennt waren, und die von den Klägerinnen hervorgehobenen Umstände als irrelevant betrachten.

96      Da die von den Klägerinnen erhobenen Rügen zurückzuweisen sind, kann dem zweiten Teil des ersten Klagegrundes nicht stattgegeben werden.

c)      Zum dritten Teil des ersten Klagegrundes: Begründungsmangel

97      Die Klägerinnen tragen vor, die Kommission habe eine standardmäßige Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße um 50 % vorgenommen, ohne eine Begründung für die Wahl dieses Satzes zu liefern, und ihr detailliertes Vorbringen, das sie während des Verwaltungsverfahrens angeführt hätten, ignoriert.

98      Die Klägerinnen beziehen sich dabei auf die Urteile vom 13. Dezember 2016, Printeos u. a./Kommission (T‑95/15, EU:T:2016:722, Rn. 55), sowie vom 24. September 2019, HSBC Holdings u. a./Kommission (T‑105/17, EU:T:2019:675, Rn. 351), in denen das Gericht der Kommission aufgegeben haben soll, die genaue Höhe der von ihr vorgenommenen Anpassungen zu begründen.

99      Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

100    Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den beanstandeten Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen und die Unionsgerichte ihre Kontrollaufgabe wahrnehmen können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen von Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteile vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 63, vom 10. Juli 2019, Kommission/Icap u. a., C‑39/18 P, EU:C:2019:584, Rn. 23, sowie vom 16. Juni 2022, Sony Optiarc und Sony Optiarc America/Kommission, C‑698/19 P, EU:C:2022:480, Rn. 79).

101    Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Kommission die Gründe, die sie veranlasst haben, in Bezug auf die Klägerinnen einen Rückfall anzunehmen, im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausführlich dargelegt hat (siehe oben, Rn. 52).

102    Im Übrigen haben diese Überlegungen es den Klägerinnen ermöglicht, die Erwägungen der Kommission zu erfahren und sie vor dem Gericht anzufechten, sowie dem Gericht, ihre Begründetheit zu überprüfen.

103    Außerdem war die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen aufgrund ihrer Begründungspflicht nicht verpflichtet, im angefochtenen Beschluss zu erläutern, warum sie bei den Klägerinnen innerhalb der entsprechenden Bandbreite einen Prozentsatz der Erhöhung wegen Wiederholungstäterschaft von 50 % gewählt hatte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Januar 2014, Evonik Degussa und AlzChem/Kommission, T‑391/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:22, Rn. 164 und die dort angeführte Rechtsprechung).

104    Darüber hinaus sind die Urteile vom 13. Dezember 2016, Printeos u. a./Kommission (T‑95/15, EU:T:2016:722), sowie vom 24. September 2019, HSBC Holdings u. a./Kommission (T‑105/17, EU:T:2019:675), wie die Kommission zu Recht feststellt, nicht einschlägig. Im ersten Urteil hat das Gericht nämlich einen Begründungsmangel im Zusammenhang mit der Anwendung von Ermäßigungssätzen auf den Grundbetrag der Geldbußen festgestellt, die je nach betroffenem Unternehmen unterschiedlich waren, und betont, dass die Kommission von ihrer in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen dargelegten allgemeinen Methode abgewichen war, weshalb die Begründungspflicht umso strenger zu beachten war. Im zweiten Urteil hat es einen Begründungsmangel bei der Bestimmung eines Abzinsungsfaktors festgestellt und betont, dass die Kommission zwar nicht von der allgemeinen Methode abgewichen war, gleichwohl aber einen spezifischen Ersatzwert für die Ermittlung des Umsatzes gewählt hatte, da die Unternehmen keinen Umsatz im herkömmlichen Sinne generierten.

105    Im vorliegenden Fall hat die Kommission Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen angewandt, ohne von den dort vorgesehenen Kriterien abzuweichen, und einen Erhöhungssatz innerhalb der in dieser Ziffer ausdrücklich genannten Bandbreite zugrunde gelegt. Somit kann sinnvollerweise keine Analogie zu den oben in Rn. 104 angeführten Urteilen gezogen werden.

106    Daher ist der dritte Teil des ersten Klagegrundes und damit dieser Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

2.      Zum zweiten Klagegrund: Die Kommission habe den Grundbetrag der Geldbuße fälschlicherweise gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen erhöht

107    Einleitend ist zu bemerken, dass die Kommission die Geldbuße gegen Unternehmen nach den Ziff. 9 bis 12 und 19 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen „[u]nbeschadet Ziffer 37 [dieser Leitlinien] … nach folgender Methode in zwei Stufen berechnen [wird]“. „Zuerst wird für jedes einzelne Unternehmen … ein Grundbetrag festgesetzt“, und „[a]nschließend wird dieser Betrag nach oben oder unten angepasst“, wobei zur Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße „ein bestimmter Anteil am Umsatz [zugrunde zu legen ist], der sich nach der Schwere des Verstoßes richtet“.

108    Ziff. 13 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen sieht vor: „Zur Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße verwendet die Kommission den Wert der von dem betreffenden Unternehmen im relevanten räumlichen Markt innerhalb des [Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)] verkauften Waren oder Dienstleistungen, die mit dem Verstoß in einem unmittelbaren oder mittelbaren … Zusammenhang stehen.“

109    Ziff. 13 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen zielt darauf ab, bei der Berechnung der gegen ein Unternehmen verhängten Geldbuße grundsätzlich einen Betrag als Ausgangspunkt festzulegen, der die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung und das jeweilige Gewicht dieses Unternehmens an dieser wiedergibt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Oktober 2015, AC‑Treuhand/Kommission, C‑194/14 P, EU:C:2015:717, Rn. 64, und vom 26. Januar 2017, Zucchetti Rubinetteria/Kommission, C‑618/13 P, EU:C:2017:48, Rn. 57).

110    Nach Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen wird „[i]n diesen Leitlinien … die allgemeine Methode für die Berechnung der Geldbußen dargelegt; jedoch können die besonderen Umstände eines Falles oder die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung ein Abweichen von dieser Methode … rechtfertigen“.

111    Der zweite Klagegrund besteht aus drei Teilen, mit denen erstens ein Verstoß gegen Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der ordnungsgemäßen Verwaltung, weil die Kommission bei der Anwendung von Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen ihr Ermessen nicht ausgeübt habe, zweitens ein Verstoß gegen Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit durch die fehlerhafte Anwendung einer Erhöhung nach dieser Ziffer und drittens eine Verletzung der Begründungspflicht geltend gemacht werden.

a)      Zum ersten Teil des zweiten Klagegrundes: Die Kommission habe ihr Ermessen nicht ausgeübt

112    Die Klägerinnen werfen der Kommission im Wesentlichen vor, Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen mechanisch angewandt zu haben, ohne ihr Ermessen auszuüben.

113    Die Klägerinnen tragen vor, die Kommission habe sich im angefochtenen Beschluss auf eine allgemeine und unbewiesene Annahme gestützt, wonach es unwahrscheinlich sei, dass der Wert der Einkäufe die wirtschaftlichen Auswirkungen der Einkaufskartelle wiedergebe. Dabei hätten sie im Lauf des Verwaltungsverfahrens zahlreiche Beweise dafür vorgelegt, dass es aufgrund der besonderen Umstände des Falles und des relevanten Marktes nie eine plausible Aussicht darauf gegeben habe, dass das beanstandete Verhalten irgendeine signifikante Auswirkung auf diesen Markt haben würde. Die Kommission habe diese Beweise jedoch nicht berücksichtigt.

114    Außerdem werfen die Klägerinnen der Kommission vor, lediglich auf ihre frühere Praxis verwiesen zu haben, obwohl Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen nur in einem einzigen Fall betreffend einen Verstoß auf einem Einkaufsmarkt angewandt worden sei, dessen Sachverhalt sich erheblich von dem der vorliegenden Rechtssache unterscheide. Die Kommission habe daher weder sorgfältig und unparteiisch gemäß dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung gehandelt noch ihr Ermessen ausgeübt.

115    Der Beurteilungsmangel der Kommission erstrecke sich auch auf die Wahl des Satzes für die Erhöhung der Geldbuße, da sie diese Wahl nicht erläutert und sich im angefochtenen Beschluss mit dem Hinweis begnügt habe, dass eine Erhöhung um 10 % ihrer bisherigen Praxis entspreche, ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

116    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

117    Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in Bezug auf die Methode zur Berechnung der Geldbußen bei Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union über ein weites Ermessen verfügt. Diese Methode enthält verschiedene Spielräume, die es der Kommission ermöglichen, ihr Ermessen im Einklang mit den Bestimmungen des Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 auszuüben (vgl. Urteil vom 1. August 2022, Daimler [Kartelle – Müllfahrzeuge], C‑588/20, EU:C:2022:607, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

118    Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 belässt der Kommission zwar ein Ermessen, beschränkt dessen Ausübung jedoch durch die Einführung objektiver Kriterien, an die sie sich halten muss. So ist u. a. die Ausübung des Ermessens der Kommission durch die Verhaltensregeln begrenzt, die sie sich selbst auferlegt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. August 2022, Daimler [Kartelle – Müllfahrzeuge], C‑588/20, EU:C:2022:607, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

119    In diesem Zusammenhang ergibt sich oben aus den Rn. 107 bis 110, dass die Kommission im Rahmen der in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen festgelegten allgemeinen Methode den Wert der Verkäufe als Ausgangspunkt für die Berechnung der gegen ein Unternehmen verhängten Geldbuße verwendet, um grundsätzlich einen Betrag festzulegen, der die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung und das jeweilige Gewicht dieses Unternehmens an dieser wiedergibt. Allerdings gestattet es Ziff. 37 der Leitlinien der Kommission, von der allgemeinen Methode abzuweichen, wenn dies durch die besonderen Umstände eines Falles oder die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung gerechtfertigt ist.

120    Im vorliegenden Fall hat die Kommission in den Erwägungsgründen 116 bis 118 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass die Ethylen betreffende Zuwiderhandlung ein Einkaufskartell darstelle und nicht alle Mitglieder auf dem- bzw. denselben nachgelagerten Markt bzw. Märkten präsent seien, weshalb sie es für angemessen hielt, den Grundbetrag der Geldbuße anhand des Wertes der Einkäufe und nicht anhand des Wertes der auf den nachgelagerten Märkten verkauften Waren zu berechnen.

121    In den Erwägungsgründen 141 bis 148 des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission die Ansicht vertreten, dass eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gerechtfertigt sei. Sie hat auf Folgendes hingewiesen:

–        Nach Ziff. 5 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen sollten die Geldbußen zur Verwirklichung der Ziele einer Spezialprävention und einer Generalprävention anhand des Wertes der verkauften Waren oder Dienstleistungen berechnet werden, mit denen der Verstoß in Zusammenhang stehe (141. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses);

–        der in der allgemeinen Methode zur Festsetzung der Höhe der Geldbußen vorgesehene Mechanismus sei dergestalt, dass je erfolgreicher ein Verkaufskartell umgesetzt werde, desto höher der Umsatz und damit auch die Höhe der Geldbuße sei. Nach Ziff. 6 der Leitlinien stelle die Verbindung des Umsatzes auf den vom Verstoß betroffenen Märkten mit der Dauer dieses Verstoßes eine Formel dar, die die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung und das jeweilige Gewicht des einzelnen an dieser Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmens angemessen wiedergebe (142. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses);

–        die im vorliegenden Fall in Rede stehende Zuwiderhandlung betreffe aber kein Kartell der Verkaufspreise, sondern der Einkaufspreise. Ziel eines solchen Kartells sei es nicht, eine Erhöhung des (Einkaufs‑)Preises zu erreichen, sondern vielmehr, eine Senkung dieses Preises zu erreichen oder seine Erhöhung zu verhindern; die Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße unter Berücksichtigung des Wertes der Einkäufe führe zu einer Situation, in der die Höhe der Geldbuße in umgekehrtem Verhältnis zum Ziel des Kartells stehe: Je erfolgreicher ein solches Kartell umgesetzt werde, desto niedriger sei der Wert der Einkäufe und damit auch die Höhe der Geldbuße (143. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Die Tatsache, dass es sich beim fraglichen Kartell um ein Einkaufskartell handle, bringe es somit mit sich, dass der Wert der Einkäufe als solcher keine Formel darstellen könne, die die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung angemessen wiedergebe. Dies sei auch darauf zurückzuführen, dass der Wert der Einkäufe eines Unternehmens in der Regel geringer sei als der seiner Verkäufe, was einen systematisch niedrigeren Ausgangspunkt für die Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße zur Folge habe (144. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses);

–        würde die in diesen Leitlinien vorgesehene allgemeine Methode ohne jegliche Anpassung angewandt, könne daher keine ausreichend hohe Abschreckungswirkung gewährleistet werden, die nicht nur erforderlich sei, um die vom angefochtenen Beschluss betroffenen Unternehmen zu sanktionieren (Spezialprävention), sondern auch, um zu verhindern, dass andere Unternehmen die gleiche Art von Verhalten an den Tag legten (Generalprävention) (145. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses);

–        um diesem besonderen Umstand Rechnung zu tragen und eine ausreichend hohe Abschreckungswirkung zu gewährleisten, sei es angemessen, die gegen alle betroffenen Unternehmen verhängte Geldbuße entsprechend der bisherigen Praxis um 10 % zu erhöhen (146. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses);

–        nach der Rechtsprechung sei eine Erhöhung der Geldbuße gemäß Ziff. 37 derselben Leitlinien nicht vom vorherigen Nachweis etwaiger tatsächlicher Auswirkungen des beanstandeten Verhaltens auf den Markt abhängig (147. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses);

–        die besondere Lage der einzelnen Parteien sei sowohl bei der Bestimmung des Grundbetrags (der Wert der Einkäufe sei für jede Partei unterschiedlich) als auch bei der Berechnung der Dauer ihrer Beteiligung berücksichtigt worden (148. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

122    Somit hat die Kommission ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Aus den oben in den Rn. 120 und 121 dargelegten Erwägungen ergibt sich nämlich, dass sie es im Rahmen dieses Ermessens für erforderlich gehalten hat, Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen im vorliegenden Fall anzuwenden und den Grundbetrag der Geldbuße um 10 % zu erhöhen.

123    Die Kommission hat insoweit den besonderen Umständen des Falles Rechnung getragen, nämlich der Tatsache, dass es sich beim fraglichen Kartell um ein Einkaufskartell handelte und der anstelle des Wertes der Verkäufe berücksichtigte Wert der Einkäufe als solcher keine Formel darstellen konnte, die die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung angemessen wiedergab. Sie hat auch die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung berücksichtigt, als sie festgestellt hat, dass diese Wirkung nicht gewährleistet wäre, wenn die allgemeine Methode ohne die geringste Anpassung angewandt würde.

124    Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe von ihrem Ermessen keinen Gebrauch gemacht, da sie nicht berücksichtigt habe, dass das beanstandete Verhalten keine Auswirkungen auf den Markt gehabt habe.

125    Es genügt jedoch die Feststellung, dass die Erhöhung der Geldbuße gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, worauf die Kommission zu Recht hingewiesen hat, nicht vom vorherigen Nachweis etwaiger tatsächlicher Auswirkungen des beanstandeten Verhaltens auf den Markt abhängig ist (Urteil vom 7. November 2019, Campine und Campine Recycling/Kommission, T‑240/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:778, Rn. 345).

126    Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen soll der Kommission nämlich ermöglichen, von der allgemeinen Methode abzuweichen, die sich manchmal als für die besonderen Umstände einer Rechtssache ungeeignet erweisen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Oktober 2015, AC‑Treuhand/Kommission, C‑194/14 P, EU:C:2015:717, Rn. 65 bis 67, und vom 10. Juli 2019, Kommission/Icap u. a., C‑39/18 P, EU:C:2019:584, Rn. 27). Für ihre Anwendung sieht die besagte Ziffer vor, dass die besonderen Umstände eines Falles oder die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung eine Abkehr von der allgemeinen Methode rechtfertigen. Diese Kriterien beruhen nicht notwendigerweise auf einer Analyse der Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt.

127    Die Klägerinnen können der Kommission daher nicht mit Erfolg vorwerfen, sie habe von ihrem Ermessen keinen Gebrauch gemacht, als sie die Auswirkungen des rechtswidrigen Verhaltens der Mitglieder des Ethylenpreiskartells nicht analysiert hat.

128    Im Übrigen stellt die Tatsache, dass die Kommission den gleichen Ansatz verfolgt hat wie im Beschluss C(2017) 900 final der Kommission vom 8. Februar 2017 in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV (Sache AT.40018 – Autobatterie-Recycling) (im Folgenden: Beschluss über Autobatterie-Recycling), der vom Gericht in den Urteilen vom 23. Mai 2019, Recylex u. a./Kommission (T‑222/17, EU:T:2019:356), sowie vom 7. November 2019, Campine und Campine Recycling/Kommission (T‑240/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:778), geprüft worden ist, weder eine Nichtausübung ihres Ermessens noch einen Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung dar. Die Kommission hat nämlich nicht lediglich auf diesen Beschluss bzw. diese Urteile verwiesen, sondern dargelegt, welche besonderen Umstände der Fall aufwies und inwiefern diese besonderen Umstände keine ausreichend hohe Abschreckungswirkung gewährleisten konnten.

129    Gleiches gilt für die Wahl des angewandten Erhöhungssatzes. Die Kommission hat nämlich nicht nur festgestellt, dass die Erhöhung von 10 % ihrer bisherigen Praxis entspreche, sondern auch die besonderen Umstände des Falles und die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung erläutert, die sie dazu veranlasst haben, den Grundbetrag der Geldbuße in Anwendung von Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen anzupassen und um 10 % zu erhöhen. Damit hat sie von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht.

130    Soweit die Klägerinnen der Auffassung sind, die Kommission habe die Wahl des Erhöhungssatzes nicht hinreichend erläutert, ist festzustellen, dass dieses Argument darauf abzielt, einen Mangel hinsichtlich der Begründung des angefochtenen Beschlusses geltend zu machen, und aus den im Rahmen des dritten Teils des zweiten Klagegrundes dargelegten Gründen zurückzuweisen ist.

131    Aufgrund des Vorstehenden ist der erste Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

b)      Zum zweiten Teil des zweiten Klagegrundes: Fehlerhafte Anwendung der Erhöhung gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen

132    In den Bereichen, in denen die Kommission über einen Ermessensspielraum verfügt, z. B. in Bezug auf den Erhöhungssatz nach Maßgabe der Dauer oder den Satz der Erhöhung zum Zweck der Abschreckung, ist die Rechtmäßigkeitskontrolle dieser Beurteilungen auf die Prüfung beschränkt, dass kein offensichtlicher Beurteilungsfehler vorliegt (Urteile vom 18. Juli 2005, Scandinavian Airlines System/Kommission, T‑241/01, EU:T:2005:296, Rn. 64 und 79, sowie vom 19. Mai 2010, IMI u. a./Kommission, T‑18/05, EU:T:2010:202, Rn. 120).

133    Die Klägerinnen tragen vor, die in den Erwägungsgründen 141 bis 148 des angefochtenen Beschlusses dargelegte Beurteilung in Bezug auf die Anpassung des Grundbetrags der Geldbuße gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen sei fehlerhaft, und machen insoweit fünf Rügen geltend, denen die Kommission entgegentritt.

1)      Zur ersten Rüge: Der Wert der Einkäufe beinhalte keine Unterschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung der Zuwiderhandlung in der vorliegenden Rechtssache

134    Die Klägerinnen tragen vor, es habe nie eine plausible Aussicht darauf gegeben, dass das fragliche rechtswidrige Verhalten irgendeine signifikante Auswirkung auf den Einkaufswert von Ethylen haben könne, was durch eine wirtschaftliche Analyse, die der Kommission im Lauf des Verwaltungsverfahrens vorgelegt worden sei, belegt werde.

135    Aus der fraglichen wirtschaftlichen Analyse gehe u. a. zunächst hervor, dass es auf dem Ethylenmarkt mehr Käufer als Anbieter gebe und eine kleine Gruppe von Käufern deshalb nicht in der Lage sei, das Ergebnis der MCP-Settlements zu kontrollieren. Sodann sei der Ethylenpreis nicht einfach dem Naphthapreis gefolgt, der den Hauptkostenfaktor für Ethylen darstelle, sondern im Lauf der Jahre, auch im Zeitraum der Zuwiderhandlung, ständig gestiegen. Schließlich folgten die MCP-Settlements in der Regel den von einer der privaten und unabhängigen Meldestellen veröffentlichten Prognosen. Die Tatsache, dass die endgültigen MCP-Settlements fast immer innerhalb der von dieser Stelle prognostizierten Bandbreite lägen, zeige, dass sie zu objektiv angemessenen und den Marktdaten entsprechenden Beträgen geschlossen worden seien.

136    Vor diesem Hintergrund stellen die Klägerinnen die Grundlage der Argumentation der Kommission in Frage, soweit sie festgestellt hat, dass der Wert der Einkäufe eine Unterschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung der hier in Rede stehenden Zuwiderhandlung beinhalte.

137    Die vorliegende Rüge beruht jedoch auf einer fehlerhaften Auslegung des angefochtenen Beschlusses.

138    Wie oben aus Rn. 120 hervorgeht, hat die Kommission nämlich die Auffassung vertreten, dass die hier in Rede stehende Zuwiderhandlung ein Einkaufskartell darstelle und der Grundbetrag der Geldbuße anhand des Wertes der Einkäufe zu berechnen sei, was die Klägerinnen nicht bestreiten.

139    Wie sich im Wesentlichen oben aus Rn. 121 ergibt, hat die Kommission sodann festgestellt, dass es unwahrscheinlich sei, dass der Wert der Einkäufe als solcher eine Formel darstelle, die die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung angemessen wiedergebe. In diesem Zusammenhang hat sie zum einen erläutert, dass das Ziel eines Einkaufskartells darin bestehe, eine Senkung des Einkaufspreises zu erreichen oder dessen Erhöhung zu verhindern, so dass die Berücksichtigung des Wertes der Einkäufe zu einer Situation geführt habe, in der die Höhe der Geldbuße in umgekehrtem Verhältnis zum Ziel des Kartells stehe. Zum anderen hat sie festgestellt, dass der Wert der Einkäufe eines Unternehmens in der Regel geringer sei als der seiner Verkäufe, was einen systematisch niedrigeren Ausgangspunkt für die Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße zur Folge habe.

140    Daher stützt sich die Argumentation der Kommission nicht auf die Tatsache, dass das fragliche Kartell erfolgreich gewesen ist und zu einer Senkung des Einkaufspreises für Ethylen geführt hat, so dass die Berücksichtigung des Wertes der Einkäufe kein geeigneter Parameter für die Berechnung der Geldbuße war. Sie stützt sich auf den Umstand, dass die Berücksichtigung des Wertes der Einkäufe bei Einkaufskartellen unabhängig von den Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt für sich genommen keinen Wert darstellen kann, mit dem sich die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung wiedergeben lässt. Die Schlussfolgerung, wonach der Wert der Einkäufe die wirtschaftliche Bedeutung der hier in Rede stehenden Zuwiderhandlung unterschätze, beruht daher nicht auf den Auswirkungen des rechtswidrigen Verhaltens auf den Markt, sondern auf der Unvollkommenheit des bei der Berechnung der Geldbuße berücksichtigten Wertes der Einkäufe.

141    Diese Beurteilung steht im Einklang mit der Rechtsprechung, wonach die Kommission bei der Anwendung von Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen nicht verpflichtet ist, etwaige tatsächliche Auswirkungen des beanstandeten Verhaltens auf den Markt zu berücksichtigen (siehe oben, Rn. 125). Die von den Klägerinnen vorgelegte wirtschaftliche Analyse, mit der festgestellt werden soll, dass das fragliche Kartell nicht wirksam gewesen und es den Kartellmitgliedern nicht gelungen ist, die MCP-Settlements zu beeinflussen, kann daher die Schlussfolgerung der Kommission, wonach der Wert der Einkäufe zu einer Unterschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung der Zuwiderhandlung führe, nicht in Frage stellen. Das Vorbringen der Klägerinnen ist somit als ins Leere gehend anzusehen.

2)      Zur zweiten Rüge: Eine Erhöhung des Betrags der Geldbuße sei für eine wirksame Abschreckung nicht erforderlich

142    Die Klägerinnen tragen vor, mit den fraglichen Praktiken hätten keine Gewinne erzielt werden können, weshalb die gegen sie verhängte Geldbuße ohne die gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen angewandte Erhöhung von 10 % bereits einen Betrag erreiche, der höher sei als die hypothetischen Gewinne, die sie vernünftigerweise von der Zuwiderhandlung hätten erwarten können. Da die Kommission die Geldbuße nach Ziff. 25 dieser Leitlinien bereits um 15 % erhöht habe, könne sie außerdem nicht mechanisch eine zusätzliche Erhöhung von 10 % gemäß Ziff. 37 der Leitlinien vornehmen.

143    Wie oben aus Rn. 121 hervorgeht, hat die Kommission festgestellt, dass, wenn die in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen vorgesehene allgemeine Methode, die auf dem Wert der Verkäufe beruhe, ohne jegliche Anpassung angewandt würde, keine ausreichend hohe Abschreckungswirkung der Geldbuße gewährleistet werden könne. Eine solche Abschreckungswirkung sei jedoch erforderlich, um im Einklang mit Ziff. 4 der Leitlinien die vom angefochtenen Beschluss betroffenen Unternehmen zu sanktionieren (Spezialprävention), und auch, um zu verhindern, dass andere Unternehmen die gleiche Art von Verhalten an den Tag legten (Generalprävention). Diese Schlussfolgerung ergebe sich im Wesentlichen aus der Tatsache, dass der Wert der Einkäufe die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung nur unvollständig wiedergebe.

144    Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen beruht die Argumentation der Kommission daher nicht auf der Annahme, dass das fragliche Kartell erfolgreich gewesen ist und den Klägerinnen Gewinne eingebracht hat, sondern auf der Feststellung, dass der Wert der Einkäufe als solcher keine ausreichend hohe Abschreckungswirkung gewährleisten konnte.

145    Folglich kommt es nicht darauf an, ob die Klägerinnen möglicherweise Gewinne aus dem Kartell ziehen konnten. Insoweit ist ferner darauf hinzuweisen, dass es der Kommission freisteht, die Wirkungslosigkeit des Kartells und damit das Fehlen von Gewinnen seiner Mitglieder in einer anderen Phase der Berechnung der Geldbuße zu berücksichtigen, insbesondere bei der Festlegung der Schwerekoeffizienten. Zu den Faktoren, die bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlungen berücksichtigt werden können, gehören nach der Rechtsprechung nämlich das Verhalten jedes einzelnen Unternehmens, die Rolle, die jedes Unternehmen bei der Errichtung des Kartells gespielt hat, der Gewinn, den die Unternehmen aus ihm ziehen konnten, ihre Größe und der Wert der betroffenen Waren sowie die Gefahr, die derartige Zuwiderhandlungen für die Ziele der Union bedeuten (vgl. Urteil vom 26. Januar 2017, Roca Sanitario/Kommission, C‑636/13 P, EU:C:2017:56, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

146    Zu dem Argument, wonach die Kommission bereits nach Ziff. 25 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen einen Prozentsatz zu Abschreckungszwecken angewandt habe, so dass nicht gerechtfertigt werden könne, dass sie gemäß Ziff. 37 dieser Leitlinien eine zusätzliche Erhöhung vornehme, ist zu sagen, dass diese beiden Ziffern unterschiedliche Zwecke verfolgen und gleichzeitig angewandt werden können.

147    Ziff. 25 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen sieht nämlich vor, dass die Kommission die Möglichkeit hat, einen Zusatzbetrag anzuwenden, um die Unternehmen von der Beteiligung an horizontalen Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen, Aufteilung von Märkten oder Mengeneinschränkungen oder auch an anderen Zuwiderhandlungen abzuschrecken, und zwar unabhängig von der Dauer ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung. Dieser Mechanismus soll Unternehmen davon abhalten, gegen das Wettbewerbsrecht zu verstoßen, und sei es auch nur für einen kurzen Zeitraum. Ziff. 37 der Leitlinien wiederum soll der Kommission eine gewisse Flexibilität verleihen, um sicherzustellen, dass der Gesamtbetrag der Geldbuße im Licht der besonderen Umstände des Falles hoch genug ist, um abschreckend zu wirken (Urteil vom 7. November 2019, Campine und Campine Recycling/Kommission, T‑240/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:778, Rn. 346).

3)      Zur dritten Rüge: Eine auf alle Einkaufskartelle angewandte Erhöhung führe zu einer systematischen übermäßigen Abschreckung

148    Die Klägerinnen machen geltend, die von der Kommission angewandte Methode führe im Rahmen von Verkaufskartellen zu einer Situation, in der die Geldbuße für wirkungslose Kartelle automatisch niedriger sei als die Geldbuße für wirksame Kartelle. Dieser Mechanismus stelle sicher, dass wirkungslose Kartelle nicht mit unverhältnismäßig hohen Geldbußen belegt würden. Derselbe Mechanismus sei auch auf wirkungslose Einkaufskartelle anzuwenden. Der Ansatz der Kommission, auf Einkaufskartelle eine Erhöhung von 10 % anzuwenden, führe zu einer Situation, in der wirkungslose Einkaufskartelle systematisch schlechter behandelt würden als wirkungslose Verkaufskartelle.

149    Der Vergleich mit wirkungslosen Verkaufskartellen ist nicht aussagekräftig. Zwar führen Verkaufskartelle grundsätzlich zur Bestimmung eines Grundbetrags der Geldbuße, der an die Erreichung des Ziels der Zuwiderhandlung geknüpft ist.

150    Allerdings ist festzustellen, dass die Verwirklichung des Ziels eines Einkaufskartells anders als bei einem Verkaufskartell dazu führen würde, dass der Wert der Einkäufe geringer wäre als ohne die Zuwiderhandlung, so dass die Geldbuße keine abschreckende Wirkung hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2019, Campine und Campine Recycling/Kommission, T‑240/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:778, Rn. 345). Wie die Kommission im angefochtenen Beschluss bemerkt hat, ist der Wert der Einkäufe und damit die Höhe der Geldbuße nämlich umso geringer, je erfolgreicher ein solches Kartell umgesetzt wird. Daher ist der Wert der Einkäufe kein Ausgangspunkt, der die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung im Sinne der oben in Rn. 109 angeführten Rechtsprechung wiedergeben könnte.

151    Zum anderen gibt der Wert der Einkäufe im Allgemeinen selbst dann nicht die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung wieder, wenn das Kartell wirkungslos gewesen ist. Wie die Kommission insoweit im angefochtenen Beschluss festgestellt hat, ist der Wert der Einkäufe eines Unternehmens in der Regel geringer als der seiner Verkäufe. In Beantwortung einer verfahrensleitenden Maßnahme hat die Kommission zu Recht klargestellt, dass ein rationaler Wirtschaftsakteur den Verkaufspreis für ein Produkt im Allgemeinen höher ansetzt als den Einkaufspreis für dieses Produkt oder den Einkaufspreis für den verwendeten Rohstoff im Fall des Verkaufs eines integrierten Produkts. Daher ist der Wert der Einkäufe in der Regel mechanisch geringer als der Wert der Verkäufe, was gegebenenfalls eine Anpassung gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen rechtfertigt.

4)      Zur vierten Rüge: Der Beschluss über Autobatterie-Recycling sei irrelevant, weil sich das fragliche Kartell nur auf ein untergeordnetes Preiselement bezogen habe

152    Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, dass sie sich auf den Beschluss über Autobatterie-Recycling bezogen hat, um die Vornahme einer 10%igen Erhöhung des Betrags der Geldbuße gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen zu rechtfertigen, obwohl sich die Umstände jener Rechtssache erheblich von denen des vorliegenden Falls unterschieden. Das fragliche Verhalten betreffe nur einen äußerst geringen Teil des Gesamtwerts der Ethyleneinkäufe, während die beteiligten Unternehmen die tatsächlich an die Lieferanten gezahlten Einkaufspreise in der Rechtssache, die Gegenstand des Beschlusses über Autobatterie-Recycling gewesen sei, gemeinsam festgelegt hätten. Außerdem habe die Kommission in der letztgenannten Rechtssache festgestellt, dass die Käufer aus einer begrenzten Anzahl von Unternehmen mit erheblicher Marktmacht bestünden, während Marktmacht und Einfluss auf die Preisgestaltung im vorliegenden Fall nur auf der Verkäuferseite vorgelegen hätten. Die Tatsache, dass in beiden doch so unterschiedlichen Rechtssachen die gleiche Erhöhung von 10 % vorgenommen worden sei, zeige, dass die gegen sie verhängte Geldbuße in keinem angemessenen Verhältnis zur Zuwiderhandlung stehe.

153    Festzustellen ist, dass die Kommission im Beschluss über Autobatterie-Recycling, der Gegenstand der Urteile vom 23. Mai 2019, Recylex u. a./Kommission (T‑222/17, EU:T:2019:356), sowie vom 7. November 2019, Campine und Campine Recycling/Kommission (T‑240/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:778), gewesen ist, für die Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße den Wert der Einkäufe anstelle des Wertes der Verkäufe berücksichtigt und eine 10%ige Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen vorgenommen hatte. Zur Begründung dieser Erhöhung hatte sie zum einen Erwägungen, die sich auf die besonderen Umstände des Falles bezogen, nämlich auf die Tatsache, dass es sich um ein Einkaufskartell handelte, in dessen Rahmen die Mitglieder das Ziel verfolgten, die Einkaufspreise so niedrig wie möglich zu halten, und bei dem der Wert der Einkäufe für die Berechnung der Geldbuße herangezogen werden musste, und zum anderen Erwägungen zur Notwendigkeit einer Abschreckungswirkung angeführt.

154    Folglich weisen die Rechtssache, die Gegenstand des Beschlusses über Autobatterie-Recycling gewesen ist, und die vorliegende Rechtssache gemeinsame Merkmale auf. Die Kommission hat im angefochtenen Beschluss daher sinnvollerweise auf sie Bezug genommen.

155    Außerdem können die Klägerinnen nicht mit einem Vergleich des tatsächlichen Anteils des Preises argumentieren, den die Kartellmitglieder in der Rechtssache, die Gegenstand des Beschlusses über Autobatterie-Recycling gewesen ist, und in der vorliegenden Rechtssache beeinflussen konnten. Ein solcher Vergleich ist nämlich nicht aussagekräftig, da es für die Anwendung von Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen nicht erforderlich ist, die tatsächlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt zu untersuchen (siehe oben, Rn. 125).

5)      Zur fünften Rüge: Die potenziellen Gewinne aus Einkaufskartellen seien geringer als die aus Verkaufskartellen

156    Die Klägerinnen machen geltend, die Notwendigkeit einer Abschreckung sei untrennbar mit den potenziellen Vorteilen verknüpft, die ein Unternehmen aus seiner Beteiligung an einer Zuwiderhandlung erwarten könne. Die potenziellen Gewinne, die ein Unternehmen hypothetisch aus seiner Beteiligung an einem Einkaufskartell ziehen könne, seien per Definition geringer als bei Verkaufskartellen und könnten keine zusätzliche Erhöhung zu Abschreckungszwecken rechtfertigen. Die Klägerinnen stellen die Logik der Kommission in Frage, wonach alle verhängten Geldbußen, auch die für Verkaufskartelle, gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen angepasst werden müssten, um eine übermäßige oder unzureichende Abschreckung nach Maßgabe des berücksichtigten Wertes der Produkte zu vermeiden.

157    Wie sich oben aus Rn. 144 ergibt, beruht die Argumentation der Kommission jedoch nicht auf der Tatsache, dass das fragliche Kartell erfolgreich gewesen ist und den Klägerinnen Gewinne eingebracht hat, sondern auf der Feststellung, dass der Wert der Einkäufe als solcher keine ausreichend hohe Abschreckungswirkung gewährleisten konnte. Ein Vergleich der potenziellen Gewinne, die Mitglieder eines Einkaufskartells einerseits und Mitglieder eines Verkaufskartells andererseits aus diesen Kartellen möglicherweise ziehen könnten, ist somit nicht aussagekräftig.

158    Zudem kann das Argument der Klägerinnen, wonach nach der Logik der Kommission jede Geldbuße, einschließlich einer im Rahmen von Verkaufskartellen verhängten Geldbuße, gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen systematisch angepasst werden müsse, keinen Erfolg haben. Es ist nämlich festzustellen, dass diese Ziffer nicht anwendbar ist, wenn es keinen Grund gibt, von der in den Leitlinien vorgesehenen allgemeinen Methode abzuweichen, insbesondere wenn im Einklang mit Ziff. 13 dieser Leitlinien im Rahmen eines Verkaufskartells der Umsatz berücksichtigt wird. Ziff. 37 der Leitlinien wird nur angewandt, wenn festgestellt wird, dass die allgemeine Methode ungeeignet ist und von ihr abgewichen werden sollte, da dies aufgrund der besonderen Umstände eines Falles oder der Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung erforderlich ist. Es lässt sich daher nicht feststellen, dass die Kommission die Höhe der Geldbuße danach systematisch anpassen müsste.

159    Nach alledem sind die Rügen, mit denen offensichtliche Beurteilungsfehler bei der Anwendung von Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen geltend gemacht werden sollen, zurückzuweisen. Dieses Vorbringen kann auch nicht belegen, dass die 10%ige Erhöhung der Geldbuße im Hinblick auf die angestrebte Abschreckungswirkung unverhältnismäßig war.

160    Die Klägerinnen tragen unterschwellig weiter vor, die Vornahme einer Standarderhöhung für Einkaufskartelle gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen laufe dem Ziel und dem Wortlaut dieser Ziffer zuwider und verstoße daher gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es ist jedoch festzustellen, dass dieses Vorbringen nicht untermauert wird.

161    Der zweite Teil des zweiten Klagegrundes ist somit zurückzuweisen.

c)      Zum dritten Teil des zweiten Klagegrundes: Verletzung der Begründungspflicht

162    Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe ihre Begründungspflicht verletzt, als sie im angefochtenen Beschluss weder erläutert habe, weshalb die besonderen Umstände der vorliegenden Rechtssache eine Erhöhung der Geldbuße gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen rechtfertigten, noch, weshalb der Satz dieser Erhöhung auf 10 % festzusetzen sei.

163    Hierzu tragen die Klägerinnen erstens vor, der 146. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses beziehe sich lediglich auf die angebliche allgemeine Notwendigkeit einer Erhöhung gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, um eine abschreckende Höhe der Geldbuße zu erreichen, ohne eine Erklärung für den spezifischen Erhöhungssatz zu geben, der dafür erforderlich sein soll.

164    Zweitens sei die von der Kommission im 146. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses vorgenommene Bezugnahme auf ihre bisherige Praxis irrelevant, da zum einen die Kommission nicht an ihre bisherige Praxis gebunden sei und zum anderen eine andere Rechtssache, deren Sachverhalt von dem der vorliegenden Rechtssache abweiche, keine gültige Grundlage für die Rechtfertigung einer Erhöhung der Geldbuße darstellen könne, die in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der im konkreten Fall in Rede stehenden Zuwiderhandlung stehen müsse.

165    Drittens verletze die Argumentation im 146. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses die Begründungspflicht, da die Kommission genau hätte erläutern müssen, wie sie ihr Ermessen ausgeübt habe, zumal sie beschlossen habe, von ihrer allgemeinen Methode abzuweichen und die Geldbuße gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen anzupassen. Eine solche genaue Argumentation sei zwingend erforderlich, da diese Ziffer keine bestimmte Anpassungsspanne vorsehe, die das Ermessen der Kommission einschränke. Die Kommission hätte eine klare und genaue Begründung dafür liefern müssen, weshalb der gewählte Erhöhungssatz angesichts der besonderen Umstände des Falles für eine ausreichend hohe Abschreckungswirkung notwendig sei und weshalb ein niedrigerer Satz nicht ausgereicht hätte.

166    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

167    Neben den oben in Rn. 100 in Erinnerung gerufenen Grundsätzen ist zu beachten, dass die Kommission, wenn sie auf Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen verweist, verpflichtet ist, die Gründe darzulegen, weshalb sie der Ansicht ist, dass die besonderen Umstände des Falles, mit dem sie befasst ist, oder die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung ein Abweichen von der in diesen Leitlinien enthaltenen Methodik rechtfertigen (Urteil vom 10. Juli 2019, Kommission/Icap u. a., C‑39/18 P, EU:C:2019:584, Rn. 30). Insoweit sind die Begründungserfordernisse umso strenger zu beachten (Urteile vom 13. Dezember 2016, Printeos u. a./Kommission, T‑95/15, EU:T:2016:722, Rn. 48, sowie vom 12. Juli 2019, Hitachi-LG Data Storage und Hitachi-LG Data Storage Korea/Kommission, T‑1/16, EU:T:2019:514, Rn. 80).

168    Im vorliegenden Fall hat die Kommission in den Erwägungsgründen 141 bis 148 des angefochtenen Beschlusses ausführlich dargelegt, weshalb sie zu der Auffassung gelangt ist, dass die besonderen Umstände des Falles und die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung es rechtfertigten, von der allgemeinen Methode abzuweichen und den Grundbetrag gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen um 10 % zu erhöhen. Wie oben aus Rn. 121 hervorgeht, hat sie darauf hingewiesen, dass die Rechtssache ein Einkaufskartell betreffe, das bei der Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße die Berücksichtigung des Wertes der Einkäufe erfordere, wobei dieser Wert jedoch für die Berechnung eines Grundbetrags, der die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung wiedergebe, unvollkommen sei.

169    Im Übrigen ist festzustellen, dass diese Erwägungen es den Klägerinnen ermöglicht haben, die Argumentation der Kommission zu verstehen und sie vor dem Gericht anzufechten, sowie dem Gericht, ihre Begründetheit zu überprüfen.

170    Außerdem stellen solche Erwägungen entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen keine „allgemeinen Bedenken“ dar, sondern vielmehr spezifische Erwägungen zum konkreten Fall, die mit der Art des fraglichen Kartells, nämlich eines Einkaufskartells, zusammenhängen.

171    Wie die Kommission in ihrer Antwort auf eine verfahrensleitende Maßnahme und in der mündlichen Verhandlung zu Recht klargestellt hat, können die besonderen Umstände eines Falles im Sinne von Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen besondere Umstände im Zusammenhang mit der Art des betreffenden Kartells und müssen nicht notwendigerweise Umstände sein, die nur im konkreten Fall vorliegen.

172    Da diese Erwägungen hinreichend spezifisch und ausführlich sind, stehen sie im Einklang mit dem verstärkten Begründungserfordernis, das der Kommission bei der Anwendung von Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen obliegt.

173    Was die Begründung für die Wahl des gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen angewandten Erhöhungssatzes von 10 % betrifft, so geht aus dem 146. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses im Wesentlichen hervor, dass die Kommission es unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles und zur Gewährleistung einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung als angemessen ansah, die Geldbuße im Einklang mit ihrer bisherigen Entscheidungspraxis und insbesondere dem Beschluss über Autobatterie-Recycling nach dieser Ziffer um 10 % zu erhöhen.

174    In diesem Zusammenhang hat die Kommission in Beantwortung einer verfahrensleitenden Maßnahme und in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Fall wie im Beschluss über Autobatterie-Recycling eine Erhöhung von 10 % für angemessen halte, wobei die Anwendung von Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen auf ein Einkaufskartell eine recht neue Praxis sei und der vorliegende Fall erst die zweite Anwendung nach Erlass des genannten Beschlusses darstelle.

175    Diese Klarstellungen können vom Gericht im Rahmen seiner Kontrolle der Einhaltung der Begründungspflicht allerdings nicht berücksichtigt werden, da sie im angefochtenen Beschluss nicht enthalten sind. Die Einhaltung der Begründungspflicht ist nämlich anhand der Informationen zu beurteilen, die der Kläger bei Klageerhebung besitzt; die Begründung kann nicht zum ersten Mal und nachträglich vor den Unionsgerichten erfolgen, sofern nicht außergewöhnliche Umstände gegeben sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Mai 2021, Ryanair/Kommission [KLM; Covid‑19], T‑643/20, EU:T:2021:286, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

176    Das Fehlen solcher Klarstellungen kann jedoch nicht zu einem Mangel bei der Begründung für die Wahl des Erhöhungssatzes führen.

177    Hierzu ist festzustellen, dass die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen im 146. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses nicht lediglich summarisch auf den Beschluss über Autobatterie-Recycling verwiesen hat, um die Wahl des Erhöhungssatzes zu rechtfertigen, sondern auch und vor allem auf die besonderen Umstände des Falles und die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung.

178    In diesem Zusammenhang genügt die Kommission nach der Rechtsprechung ihrer Begründungspflicht, wenn sie in ihrer Entscheidung die Beurteilungsgesichtspunkte angibt, die es ihr ermöglichten, Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu ermitteln. Obwohl sie nicht verpflichtet ist, alle Zahlenangaben zu jedem Zwischenschritt der Methode für die Berechnung des Betrags der Geldbuße zu machen, muss sie doch darlegen, wie sie die berücksichtigten Faktoren gewichtet und bewertet hat (vgl. Urteil vom 10. Juli 2019, Kommission/Icap u. a., C‑39/18 P, EU:C:2019:584, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wie oben aus Rn. 168 hervorgeht, hat die Kommission ordnungsgemäß erläutert, welche Faktoren sie bei der Feststellung berücksichtigt hat, dass eine 10%ige Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen angemessen sei. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen ist die Kommission nicht verpflichtet, Zahlenangaben zu jedem Schritt der Berechnungsmethode zu machen, und war deshalb auch nicht verpflichtet, zusätzliche Erläuterungen zum gewählten spezifischen Erhöhungssatz zu liefern.

179    Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission den Klägerinnen im Verwaltungsverfahren ihre Absicht mitgeteilt hatte, den Grundbetrag gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen zu erhöhen. Wie u. a. aus dem letzten Vergleichsgespräch vom 29. Oktober 2019 hervorgeht, hat sie den Klägerinnen deutlich gemacht, dass die Anwendung der allgemeinen Methode auf ein Einkaufskartell zu einer Unterschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung der Zuwiderhandlung und zu einer wenig abschreckenden Geldbuße führe, so dass sie zu diesem Zweck eine 10%ige Erhöhung nach Ziff. 37 vorzunehmen beabsichtige. Im Einklang mit der oben in Rn. 100 angeführten Rechtsprechung gehören diese Gesichtspunkte zum Kontext des angefochtenen Beschlusses, anhand dessen beurteilt werden muss, ob er hinreichend begründet ist.

180    Nach alledem ist der dritte Teil des zweiten Klagegrundes und damit dieser Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

181    Da der erste und der zweite Klagegrund keinen Erfolg haben können, ist der Nichtigkeitsantrag zurückzuweisen. Es ist nunmehr der hilfsweise gestellte Antrag auf Herabsetzung des Betrags der Geldbuße zu prüfen, zu dessen Stützung der dritte Klagegrund geltend gemacht wird.

3.      Zum dritten Klagegrund: Unverhältnismäßigkeit der Höhe der Geldbuße

182    Die Klägerinnen machen geltend, es sei selbst dann davon auszugehen, dass die gegen sie verhängte Geldbuße nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der begangenen Zuwiderhandlung stehe, wenn das Gericht die beiden ersten Klagegründe als unbegründet zurückweise. Falls die Umstände des Einzelfalls irgendeine Erhöhung rechtfertigten, müsse diese in Bezug auf das erneute Begehen der Zuwiderhandlung gemäß Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen deutlich unter 50 % liegen und in Bezug auf Ziff. 37 derselben Leitlinien einen erheblich niedrigeren Satz aufweisen.

183    Die Klägerinnen führen insoweit eine Reihe von Gesichtspunkten an, die das Gericht im Rahmen seiner eigenen Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung berücksichtigen müsse, und beantragen vor diesem Hintergrund die Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße.

184    Die Kommission tritt den angeführten Gesichtspunkten entgegen und macht geltend, der Antrag der Klägerinnen sei unbegründet.

185    Es ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtmäßigkeitskontrolle durch die den Unionsgerichten durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 gemäß Art. 261 AEUV eingeräumte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ergänzt wird. Diese Befugnis ermächtigt die Gerichte über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus dazu, die Beurteilung der Kommission durch ihre eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen (Urteile vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 63, sowie vom 16. Juli 2020, Nexans France und Nexans/Kommission, C‑606/18 P, EU:C:2020:571, Rn. 96).

186    Um die Höhe der zu verhängenden Geldbuße festzusetzen, haben die Unionsgerichte selbst die Umstände des Einzelfalls und die Art der fraglichen Zuwiderhandlung zu beurteilen. Dies setzt nach Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 für jedes sanktionierte Unternehmen die Berücksichtigung der Schwere und der Dauer der betreffenden Zuwiderhandlung unter Wahrung der Grundsätze u. a. der Begründungspflicht, der Verhältnismäßigkeit, der individuellen Sanktionsfestsetzung und der Gleichbehandlung voraus, ohne dass das Gericht durch die von der Kommission in ihren Leitlinien definierten Richtlinien gebunden wäre (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Januar 2016, Galp Energía España u. a./Kommission, C‑603/13 P, EU:C:2016:38, Rn. 89 und 90, sowie vom 16. Juni 2022, Sony Optiarc und Sony Optiarc America/Kommission, C‑698/19 P, EU:C:2022:480, Rn. 173 und 174).

a)      Zum Antrag auf Senkung des Erhöhungssatzes gemäß Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen

187    Die Klägerinnen machen erstens geltend, dass sie das MCAA-Kartell mehr als zwölf Jahre vor Beginn der hier in Rede stehenden Zuwiderhandlung beendet und angezeigt hätten, zweitens, dass die Zuwiderhandlung im Rahmen dieses Kartells und die hier in Rede stehende Zuwiderhandlung unterschiedlicher Art seien, unterschiedliche Produkte beträfen und unter Beteiligung unterschiedlicher Stellen begangen worden seien, drittens, dass das Kartell durch ihre internen Compliance-Maßnahmen aufgedeckt worden sei, viertens, dass die Clariant GmbH nicht selbst an Errichtung und Betrieb des Kartells beteiligt gewesen sei, fünftens, dass das in Rede stehende rechtswidrige Verhalten aus einer zuvor rechtmäßigen Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern des fraglichen Kartells hervorgegangen sei, sechstens, dass Zuwiderhandlungen in Bezug auf die Einkaufspreise im Allgemeinen mit weniger schädlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb und insbesondere die Verbraucher verbunden sein dürften als Verkaufskartelle, und siebtens, dass eine 50%ige Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Rückfälligkeit in Anbetracht anderer Rechtssachen unverhältnismäßig sei, in denen eine Erhöhung um denselben Satz vorgenommen worden sei, obwohl der Wiederholungsfall viel schwerer wiege als der vorliegende.

188    Zunächst ist festzustellen, dass sich die Klägerinnen für ihren Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße darauf beschränken, die bereits im Rahmen des ersten Klagegrundes hervorgehobenen Umstände zu wiederholen. Im Einklang mit der oben in Rn. 50 angeführten Rechtsprechung ist das Gericht aber der Auffassung, dass die Anwendung eines Erhöhungssatzes von 50 % unabhängig von diesen Umständen im Hinblick auf den vergleichsweise kurzen Zeitraum zwischen der Feststellung der ersten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV in der Entscheidung über das MCAA-Kartell und dem Beginn der Zuwiderhandlung gegen denselben Artikel, um den es im angefochtenen Beschluss geht, nicht unverhältnismäßig erscheint.

189    Sodann kann das Argument der Klägerinnen, wonach der Erhöhungssatz von 50 % in Anbetracht anderer Rechtssachen unverhältnismäßig sei, in denen für schwerwiegendere Wiederholungsfälle derselbe Erhöhungssatz angewandt worden sei, nicht zu einer Herabsetzung der Geldbuße führen. Insoweit genügt der Hinweis, dass die Klägerinnen in Rn. 60 der Erwiderung auf 28 Entscheidungen verwiesen haben, in denen die Kommission in Fällen einer ersten Wiederholung wie im vorliegenden Fall eine Erhöhung um 50 % vorgenommen hatte.

190    Schließlich ist das Argument der Klägerinnen, wonach ein Einkaufskartell dem normalen Wettbewerb weniger schade als ein Verkaufskartell, kein Umstand, der für die Beurteilung relevant ist, ob die 50%ige Erhöhung für erneutes Begehen der Zuwiderhandlung gemäß Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der begangenen Zuwiderhandlung steht. Jedenfalls sollte in diesem Zusammenhang festgehalten werden, dass das erste in Art. 101 Abs. 1 Buchst. a AEUV gegebene Beispiel für ein Kartell, das ausdrücklich für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird, gerade die „unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen“ ist. Die Praxis, die Gegenstand des Kartells war, nämlich eine Koordinierung über ein Element des Ethylenpreises, ist daher nach Art. 101 Abs. 1 AEUV ausdrücklich verboten, da sie immanente Beschränkungen des Wettbewerbs im Binnenmarkt beinhaltet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2019, Campine und Campine Recycling/Kommission, T‑240/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:778, Rn. 297 und die dort angeführte Rechtsprechung).

b)      Zum Antrag auf Senkung des Erhöhungssatzes gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen

191    Die Klägerinnen machen zum einen geltend, dass das fragliche Verhalten, wie die wirtschaftliche Analyse zeige, die sie der Kommission im Lauf des Verwaltungsverfahrens vorgelegt hätten, nicht die geringste signifikante Auswirkung auf den Einkaufspreis für Ethylen haben könne, und zum anderen, dass die von der Kommission im Rahmen der Rechtssache betreffend Autobatterie-Recycling entwickelte These, wonach der Wert der Einkäufe keine geeignete Grundlage für den Grundbetrag der Geldbuße darstelle, im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.

192    Es genügt jedoch, zum einen festzustellen, dass die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen im Einklang mit der oben in Rn. 125 angeführten Rechtsprechung nicht vom vorherigen Nachweis etwaiger tatsächlicher Auswirkungen des beanstandeten Verhaltens auf den Markt abhängig ist, so dass die wirtschaftliche Analyse, mit der nachgewiesen werden soll, dass sich das beanstandete Verhalten nicht auf den Einkaufspreis für Ethylen ausgewirkt hat, irrelevant ist und nicht zu einer Herabsetzung der Geldbuße führen kann. Zum anderen erscheint die Anwendung eines Satzes von 10 % zur Behebung der Unvollkommenheit des Wertes der Einkäufe, der für die Zwecke der Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße berücksichtigt wird, nicht unverhältnismäßig. Die Klägerinnen führen keinen weiteren relevanten Gesichtspunkt an, der eine Senkung dieses Satzes rechtfertigen könnte.

193    Demnach ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

194    Nach alledem ist der Antrag auf Herabsetzung des Betrags der Geldbuße zurückzuweisen und damit die Klage insgesamt abzuweisen.

B.      Zur Widerklage der Kommission

195    Die Kommission beantragt, die Geldbuße im Rahmen der Ausübung der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Nachprüfung zu erhöhen und keinen Vorteil in Höhe von 10 % für die Zusammenarbeit der Klägerinnen im Verwaltungsverfahren gemäß Rn. 32 der Mitteilung über Vergleichsverfahren zu gewähren.

196    Die Klägerinnen beanstandeten mit der vorliegenden Klage die Höhe der Geldbuße, die doch ein wesentliches Element ihrer Vergleichsausführungen darstelle und einvernehmlich festgesetzt worden sei.

197    Die Kommission weist insoweit darauf hin, dass sich die Klägerinnen nicht aus dem Vergleichsverfahren zurückgezogen hätten, obwohl sie mit der Anwendung der Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen nicht einverstanden gewesen seien. Vielmehr hätten sich die Klägerinnen verpflichtet, das Vergleichsverfahren fortzusetzen, ihre Vergleichsausführungen vorzulegen und anzuerkennen, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte den Inhalt dieser Ausführungen ordnungsgemäß wiedergebe.

198    Die Kommission fügt hinzu, dass das Bestehen eines „Einvernehmens“ über die möglichen Beschwerdepunkte und über die ungefähre Höhe der in Betracht kommenden Geldbußen sie dazu veranlasse, ein Unternehmen zur Vorlage von Vergleichsausführungen aufzufordern. Diese Bandbreite müsse in den Vergleichsausführungen angegeben werden. Solange der im endgültigen Beschluss angegebene Betrag der Geldbuße den Höchstbetrag der Bandbreite, die Gegenstand der in die Vergleichsausführungen mündenden Gespräche gewesen seien, nicht überschreite, sei davon auszugehen, dass der endgültige Beschluss die Vergleichsausführungen insoweit wiedergebe.

199    Die Tatsache, dass die Klägerinnen einem wesentlichen Gesichtspunkt der Vergleichsausführungen entgegenträten, beeinträchtige den Zweck des Vergleichsverfahrens.

200    Die Kommission macht in diesem Zusammenhang erstens geltend, das Vergleichsverfahren sei seinem Wesen nach synallagmatisch. Die Parteien hätten die Möglichkeit und sogar die Pflicht, auf Hindernisse hinzuweisen, die der Erzielung eines Einvernehmens im Wege stünden. Der von den Klägerinnen im Verwaltungsverfahren gewählte Ansatz sei rein strategisch und nur ein Mittel, um eine Herabsetzung des Betrags der Geldbuße zu erreichen und den Beschluss anschließend auf der Grundlage derselben Gesichtspunkte anzufechten, die Gegenstand des Einvernehmens seien, mit dem Ziel, weitere Herabsetzungen durch die Unionsgerichte zu erlangen.

201    Zweitens würden die mit dem Vergleichsverfahren angestrebten Effizienzgewinne im vorliegenden Fall insgesamt nicht mehr erzielt. Das Ziel des Vergleichsverfahrens bestehe darin, ihr eine schnellere Bearbeitung von Kartellfällen einerseits und die Bearbeitung von mehr Kartellfällen bei gleichbleibenden Ressourcen andererseits zu ermöglichen. Da sowohl für die administrative als auch für die streitige Phase des vorliegenden Falles Ressourcen der Kommission mobilisiert worden seien, was zu einer zusätzlichen Arbeitsbelastung führe, sei sie aber nicht in der Lage, eine größere Anzahl von Fällen zu bearbeiten.

202    Die Kommission räumt zwar ein, davon profitiert zu haben, dass die Klägerinnen bestimmte Gesichtspunkte im Zusammenhang mit ihrer Haftbarkeit und der Zuwiderhandlung nicht bestritten und keinen Antrag auf Zugang zu Dokumenten in der Akte gestellt hätten, weist jedoch darauf hin, dass sie zusätzliche Ressourcen in die Organisation mehrerer Treffen mit den Parteien zu den beiden streitigen Erhöhungen investiert habe. Im Übrigen habe sie keine Ressourcen eingespart, was die Begründung und Rechtfertigung für die Berechnung der Höhe der Geldbuße in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und im endgültigen Beschluss betreffe.

203    Die Kommission betont, dass sich der Grad der Zusammenarbeit einer Partei des Vergleichsverfahrens nicht nachträglich quantifizieren lasse. Für sie sei es daher schwierig, festzustellen, ob sie sich auf ein Vergleichsverfahren eingelassen hätte, wenn die Unternehmen nur begrenzt oder gar nicht kooperiert hätten, aber dennoch gewisse Effizienzgewinne hätten erzielt werden können.

204    Drittens habe das Gericht im Urteil vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission (T‑236/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, EU:T:2004:118), anerkannt, dass Ermäßigungen einer Geldbuße im Rahmen der Kronzeugenregelung widerrufen werden könnten und die Geldbuße entsprechend erhöht werden könne, wenn sich die Haltung des Antragstellers ändere und er erstmals vor dem Gericht Gesichtspunkten entgegentrete, die im Verwaltungsverfahren unstreitig gewesen oder anerkannt worden seien. Abgesehen von jenem Urteil habe das Gericht in anderen Rechtssachen – im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung – untersucht, ob eine Ermäßigung, die die Parteien des Rechtsstreits als Gegenleistung für ihre Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren erhalten hätten, selbst dann zurückgenommen werden solle, wenn die Voraussetzungen für eine solche Rücknahme nicht erfüllt seien.

205    Viertens werde das Recht der Klägerinnen auf eine gerichtliche Überprüfung vollständig gewahrt. Die Ausübung dieses Rechts bedeute nicht, dass die Klage keine Folgen für die Geldbuße habe. Die Rücknahme der 10%igen Ermäßigung im Rahmen des Vergleichsverfahrens stelle keine Sanktionierung der Klägerinnen für die Ausübung ihres Rechts auf eine gerichtliche Überprüfung dar, sondern sei eine bloße Folge der Tatsache, dass die Klägerinnen Gesichtspunkte in Frage stellten, die sie im Verwaltungsverfahren anerkannt und bestätigt hätten.

206    Dementsprechend müsse der Vorteil der Geldbußenermäßigung, der den Klägerinnen als Belohnung für ihre Zusammenarbeit gewährt worden sei, entzogen werden. Die Kommission beantragt mithin, die gegen die Klägerinnen verhängte Geldbuße zu erhöhen und auf 181 731 000 Euro festzusetzen.

207    Die Klägerinnen treten dem Vorbringen der Kommission entgegen.

1.      Einleitende Überlegungen zum Vergleichsverfahren

208    Das Vergleichsverfahren wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 622/2008 der Kommission vom 30. Juni 2008 zur Änderung der Verordnung Nr. 773/2004 hinsichtlich der Durchführung von Vergleichsverfahren in Kartellfällen (ABl. 2008, L 171, S. 3) eingeführt. Das Verfahren wurde durch die Mitteilung über Vergleichsverfahren genauer geregelt.

209    Nach dem vierten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 622/2008 ermöglicht das Vergleichsverfahren der Kommission die schnellere und effizientere Bearbeitung von Kartellfällen. Ziel dieses Verfahrens ist somit die Vereinfachung und Beschleunigung der Verwaltungsverfahren, damit die Kommission bei gleichbleibenden Ressourcen mehr Fälle bearbeiten kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2015, Timab Industries und CFPR/Kommission, T‑456/10, EU:T:2015:296, Rn. 60).

210    Das Vergleichsverfahren sieht im Wesentlichen vor, dass Unternehmen, die Gegenstand einer Untersuchung sind und sich angesichts der Belastungsbeweise für das Vergleichsverfahren entschieden haben, ihre Teilnahme an der Zuwiderhandlung anerkennen, unter bestimmten Voraussetzungen auf ihr Recht auf Einsicht in die Verwaltungsakte und ihr Recht auf Anhörung verzichten und sich damit einverstanden erklären, die Mitteilung der Beschwerdepunkte und die endgültige Entscheidung in der vereinbarten Amtssprache der Union entgegenzunehmen (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 20). Gibt die Mitteilung der Beschwerdepunkte ihre Vergleichsausführungen wieder, müssen die Unternehmen innerhalb der vorgegebenen Frist bestätigen, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte dem Inhalt ihrer Vergleichsausführungen entspricht und dass sie sich verpflichten, das Vergleichsverfahren weiterhin zu befolgen (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 26). Im Gegenzug kann die Kommission den Betrag der Geldbuße, die nach Durchführung eines ordentlichen Verfahrens unter Anwendung der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen sowie der Mitteilung über Zusammenarbeit gegen die Unternehmen verhängt worden wäre, um 10 % herabsetzen (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 30 bis 33) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2015, Timab Industries und CFPR/Kommission, T‑456/10, EU:T:2015:296, Rn. 61 und 62).

211    Aus dem vierten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 622/2008 und aus Rn. 5 der Mitteilung über Vergleichsverfahren geht hervor, dass die Kommission berücksichtigen muss, wie wahrscheinlich es ist, dass mit den Parteien innerhalb einer vertretbaren Frist Einvernehmen über die möglichen Beschwerdepunkte im Hinblick auf Faktoren wie z. B. die Anzahl der Parteien, vorhersehbare Konflikte bei der Haftungszurechnung und den Umfang der Anfechtung des Sachverhalts erzielt werden kann. Des Weiteren geht aus diesem Erwägungsgrund hervor, dass die Kommission neben Effizienzerwägungen auch andere Überlegungen berücksichtigen kann, z. B. die Möglichkeit der Entstehung eines Präzedenzfalls. Die Kommission hat somit einen weiten Ermessensspielraum bei der Auslotung der Fälle, die für einen Vergleich geeignet erscheinen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2015, Timab Industries und CFPR/Kommission, T‑456/10, EU:T:2015:296, Rn. 64).

212    Das Vergleichsverfahren läuft im Wesentlichen folgendermaßen ab: Dieses Verfahren wird von der Kommission mit Zustimmung der betroffenen Unternehmen eingeleitet (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 5, 6 und 11). Nach Einleitung des Verfahrens werden die Unternehmen, die Gegenstand einer Untersuchung sind und am Vergleichsverfahren teilnehmen, von der Kommission im Rahmen bilateraler Gespräche über die wesentlichen Elemente „wie die behaupteten Tatsachen, die Einstufung dieser Tatsachen, die Schwere und Dauer des behaupteten Kartells, die Zurechnung der Haftbarkeit, die ungefähre Höhe der in Betracht kommenden Geldbußen sowie die für die Erstellung der potenziellen Beschwerdepunkte herangezogenen Beweise“ in Kenntnis gesetzt (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 16). Dadurch können die Parteien zu den Beschwerdepunkten, die die Kommission gegen sie erheben könnte, Stellung nehmen und ihren Beschluss zur Inanspruchnahme des Vergleichsverfahrens in Kenntnis des Sachverhalts fassen (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 16) (Urteil vom 20. Mai 2015, Timab Industries und CFPR/Kommission, T‑456/10, EU:T:2015:296, Rn. 66 und 67).

213    Nach der Übermittlung dieser Informationen steht es den betroffenen Unternehmen frei, sich für das Vergleichsverfahren zu entscheiden und Vergleichsausführungen zu unterbreiten. Diese Vergleichsausführungen müssen u. a. Folgendes enthalten: ein klares und unmissverständliches Eingeständnis der Parteien, dass sie für die Zuwiderhandlung haftbar sind, eine Angabe des Höchstbetrags der Geldbußen, mit deren Verhängung durch die Kommission die Parteien rechnen und die sie im Rahmen eines Vergleichsverfahrens akzeptieren würden, sowie eine Bestätigung, dass sie nicht beabsichtigen, Akteneinsicht oder eine erneute mündliche Anhörung zu beantragen, es sei denn, die Kommission gibt ihre Vergleichsausführungen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Entscheidung nicht wieder (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 20) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2015, Timab Industries und CFPR/Kommission, T‑456/10, EU:T:2015:296, Rn. 68).

214    Nachdem die betroffenen Unternehmen ihre Haftbarkeit anerkannt und ihre Erklärungen übermittelt haben, sendet die Kommission ihnen die Mitteilung der Beschwerdepunkte. Anschließend erlässt sie eine endgültige Entscheidung. Diese beruht im Wesentlichen darauf, dass die Parteien ihre Haftbarkeit eindeutig anerkannt haben, der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht widersprochen haben und ihre Vergleichszusage aufrechterhalten haben (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 23 bis 28) (Urteil vom 20. Mai 2015, Timab Industries und CFPR/Kommission, T‑456/10, EU:T:2015:296, Rn. 69).

215    Entscheidet sich das betroffene Unternehmen gegen einen Vergleich, findet das zu der endgültigen Entscheidung führende Verfahren gemäß den allgemeinen Vorschriften der Verordnung Nr. 773/2004 anstelle der Bestimmungen betreffend das Vergleichsverfahren Anwendung. Dies gilt auch für den Fall, dass die Kommission beschließt, das Vergleichsverfahren zu beenden (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 19, 27 und 29) (Urteil vom 20. Mai 2015, Timab Industries und CFPR/Kommission, T‑456/10, EU:T:2015:296, Rn. 70).

216    Nach Durchführung eines Vergleichsverfahrens gemäß den Art. 7 und 23 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassene endgültige Entscheidungen unterliegen der richterlichen Überprüfung nach Art. 263 AEUV (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 41).

2.      Zum Ablauf des Vergleichsverfahrens

217    In Gesprächen zwischen der Kommission und den Klägerinnen zwischen dem 18. September 2018 und dem 29. Oktober 2019 erläuterte die Kommission die Beschwerdepunkte, die sie gegen die Klägerinnen zu erheben gedachte, sowie ihre Absicht, die Geldbuße gemäß den Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen um 50 % bzw. 10 % zu erhöhen. Die Klägerinnen erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme.

218    Am 20. November 2019 unterbreiteten die Klägerinnen Vergleichsausführungen, in denen sie u. a. ihre Haftbarkeit für ihre Beteiligung an dem hier in Rede stehenden Kartell anerkannten und erklärten, dass sie mit der Verhängung einer Geldbuße von nicht mehr als 159 663 000 Euro einverstanden seien.

219    Die Kommission nahm die Mitteilung der Beschwerdepunkte an, in der sie u. a. die Erhöhungen des Grundbetrags der Geldbuße gemäß den Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen anführte, ohne jedoch die genauen Sätze der vorgesehenen Erhöhungen anzugeben. In ihrer Antwort auf diese Mitteilung bestätigten die Klägerinnen, dass die Mitteilung den Inhalt ihrer Vergleichsausführungen ordnungsgemäß wiedergebe und sie der Fortsetzung des Vergleichsverfahrens voll und ganz verpflichtet blieben.

3.      Zur Begründetheit der Widerklage der Kommission

220    Wie oben in Rn. 185 in Erinnerung gerufen worden ist, sind die Unionsgerichte über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus dazu ermächtigt, die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld im Rahmen ihrer Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen.

221    Auch wenn die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung meist von den Klägern beantragt wird, um eine Herabsetzung der Geldbuße zu erreichen, ist nichts ersichtlich, was die Kommission daran hindern würde, die Unionsgerichte ebenfalls mit der Frage der Höhe der Geldbuße zu befassen und deren Erhöhung zu beantragen (Urteil vom 8. Oktober 2008, Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, T‑69/04, EU:T:2008:415, Rn. 244).

222    Auch wenn es somit nicht ausgeschlossen ist, dass das Gericht die Geldbuße auf eine Widerklage der Kommission hin erhöht, obliegt der Kommission der Nachweis, dass die beantragte Erhöhung der Geldbuße insbesondere im Hinblick auf Tatsachen und Umstände, die im Lauf des Verfahrens zutage getreten sind und von denen sie zum Zeitpunkt des Erlasses ihres Beschlusses keine Kenntnis hatte, angemessen ist. Der Nachweis, dass eine solche Erhöhung im vorliegenden Fall angemessen war, ist ihr aber nicht gelungen.

223    Die Argumentation der Kommission in Bezug auf den Vorteil von 10 % für die Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren beruht nämlich auf der falschen Annahme, dass die Klägerinnen mit der vorliegenden Klage Gesichtspunkten entgegentreten, die sie in ihren Vergleichsausführungen anerkannt bzw. denen sie im Verwaltungsverfahren zugestimmt haben sollen.

224    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Parteien gemäß Rn. 16 der Mitteilung über Vergleichsverfahren in den Vergleichsgesprächen u. a. über die „ungefähre Höhe der in Betracht kommenden Geldbußen“ in Kenntnis gesetzt werden. Aus Rn. 17 der Mitteilung über Vergleichsverfahren geht hervor, dass über diesen Gesichtspunkt nach bilateralen Gesprächen „Einvernehmen“ erzielt werden muss, bevor die Kommission den Unternehmen eine Frist für die Vorlage von Vergleichsausführungen gewährt. Rn. 20 der Mitteilung sieht in Bezug auf die Höhe der Geldbuße vor, dass die Vergleichsausführungen eine „Angabe zum Höchstbetrag der Geldbuße [enthalten müssen], die nach Auffassung der Parteien von der Kommission verhängt werden wird und der die Parteien im Rahmen des Vergleichsverfahrens zustimmen würden“.

225    Von den Parteien des Vergleichsverfahrens wird daher nicht verlangt, dass sie der endgültigen Höhe der Geldbuße und all ihren Parametern, wie z. B. den Anpassungen gemäß den Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, zustimmen, um sich vergleichen zu können, sondern lediglich, dass sie einer wahrscheinlichen Bandbreite bzw. einem Höchstbetrag der Geldbuße zustimmen.

226    Im vorliegenden Fall haben die Klägerinnen, wie oben aus Rn. 218 hervorgeht, in ihren Vergleichsausführungen nur einem Höchstbetrag der Geldbuße zugestimmt, die die Kommission gegen sie zu verhängen gedachte. Die Erhöhungen gemäß den Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen waren somit kein wesentlicher Bestandteil der Ausführungen. Folglich kann die Bestätigung der Klägerinnen, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte ihre Vergleichsausführungen ordnungsgemäß wiedergebe, nicht als Zustimmung zu diesen Erhöhungen ausgelegt werden, zumal die Mitteilung der Beschwerdepunkte keine Angaben zu den von der Kommission vorgesehenen Erhöhungssätzen enthielt.

227    Das Argument der Kommission, wonach der Höchstbetrag der Geldbuße die nach den Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen in Betracht gezogenen Erhöhungen beinhalte, kann nicht überzeugen. Denn wie die Klägerinnen in Beantwortung einer verfahrensleitenden Maßnahme zu Recht geltend machen, kann die Tatsache, dass sie in ihren Vergleichsausführungen einem Höchstbetrag der Geldbuße zugestimmt haben, nicht mit einer Zustimmung zu deren genauem Endbetrag, den Modalitäten seiner Berechnung und der Argumentation gleichgesetzt werden, auf die sich die Kommission bei der Bestimmung dieses Endbetrags gestützt hat.

228    Hierzu ist anzumerken, dass sich die Kommission im angefochtenen Beschluss dafür hätte entscheiden können, die Geldbuße nicht nach den Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen zu erhöhen, oder auch, niedrigere Erhöhungssätze als die letztlich herangezogenen anzuwenden. Daher konnten die Klägerinnen die Parameter für die Berechnung des endgültigen Betrags der Geldbuße, wie sie in Beantwortung einer verfahrensleitenden Maßnahme geltend machen, erst sinnvoll in Frage stellen, nachdem sie den angefochtenen Beschluss, in dem die Kommission im Einklang mit Rn. 30 der Mitteilung über Vergleichsverfahren über diesen Betrag entschieden hat, zur Kenntnis genommen hatten.

229    Zudem ist, wie die Kommission selbst einräumt, in Erinnerung zu rufen, dass die bilateralen Vergleichsgespräche nicht zu einem Konsens zwischen der Kommission und den Klägerinnen über die gemäß den Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen vorgenommenen Erhöhungen geführt hatten. Wie nämlich aus den Schlussbemerkungen des Protokolls des letzten Vergleichsgesprächs vom 29. Oktober 2019 hervorgeht, hatte der Vertreter der Klägerinnen erneut bekräftigt, dass er mit der Anwendung der beiden oben genannten Ziffern nicht einverstanden sei. Somit lässt sich nicht feststellen, dass zwischen der Kommission und den Klägerinnen Einvernehmen über diese Erhöhungen erzielt worden war.

230    Daher sind die gemäß den Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen vorgenommenen Erhöhungen der Geldbuße entgegen dem Vorbringen der Kommission weder von den Klägerinnen in ihren Vergleichsausführungen ausdrücklich anerkannt worden noch Gegenstand eines Einvernehmens gewesen. Da die Klägerinnen mit der vorliegenden Klage die Höhe der gegen sie verhängten Geldbuße beanstanden und das damit begründen, dass die Anwendung dieser Ziffern fehlerhaft sei, ist der Kommission nicht der Nachweis gelungen, dass es gerechtfertigt wäre, ihnen den Vorteil von 10 % für ihre Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren nicht zu gewähren.

231    Die übrigen von der Kommission vorgebrachten Argumente können die vorstehende Schlussfolgerung nicht entkräften.

232    Erstens hätten sich die Klägerinnen, so die Kommission, weder aus dem Vergleichsverfahren zurückgezogen noch ihr mitgeteilt, dass sie es für unmöglich hielten, Einvernehmen zu erzielen, obwohl sie verpflichtet gewesen wären, jedes einem solchen Einvernehmen entgegenstehende Hindernis zu melden. Der von den Klägerinnen im Verwaltungsverfahren gewählte Ansatz sei rein strategisch und nur ein Mittel, um durch Kooperation eine Herabsetzung des Betrags der Geldbuße zu erreichen und anschließend zu versuchen, bei den Unionsgerichten weitere Ermäßigungen zu erwirken.

233    Wie oben aus Rn. 225 hervorgeht, wird von den Parteien des Vergleichsverfahrens jedoch nicht verlangt, dass sie dem endgültigen Betrag der Geldbuße und all seinen Parametern, wie z. B. den Anpassungen gemäß den Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, zustimmen, um sich vergleichen zu können. Im Übrigen genügt die Feststellung, dass die Klägerinnen, wie oben in Rn. 229 bemerkt worden ist, in den bilateralen Gesprächen zum Ausdruck gebracht haben, dass sie mit der Anwendung der Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen nicht einverstanden seien, so dass die Kommission entgegen ihrem Vorbringen von den Klägerinnen nicht in die Irre geführt worden ist.

234    Außerdem sei daran erinnert, dass die Kommission, worauf oben in Rn. 211 hingewiesen worden ist, nach Rn. 5 der Mitteilung über Vergleichsverfahren einen weiten Ermessensspielraum bei der Auslotung der Fälle hat, in denen die Parteien an Vergleichsgesprächen interessiert sein könnten, und auch bei dem Entschluss, diese Gespräche zu führen, sie zu beenden oder sich zu vergleichen. Die Kommission kann daher in jeder Phase des Verfahrens beschließen, die Vergleichsgespräche zu beenden. Im vorliegenden Fall hat sie es nicht für angebracht gehalten, die Gespräche zu beenden, obwohl ihr das fehlende Einverständnis der Klägerinnen mit der Anwendung der Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen bekannt war.

235    Zweitens macht die Kommission geltend, die mit dem Vergleichsverfahren angestrebten Effizienzgewinne würden insgesamt nicht mehr erzielt.

236    Insoweit ist in Erinnerung zu rufen, dass das Vergleichsverfahren der Kommission die schnellere und effizientere Bearbeitung von Kartellfällen und damit die Bearbeitung von mehr Fällen bei gleichbleibenden Ressourcen ermöglichen soll (siehe oben, Rn. 209).

237    Wie die Kommission einräumt, hat sie durch die Fortsetzung des Vergleichsverfahrens mit den Klägerinnen verfahrensrechtliche Vorteile erzielt. Zum einen konnte sie eine vereinfachte Version der Mitteilung der Beschwerdepunkte und des angefochtenen Beschlusses in einer einzigen Sprache erstellen. Zum anderen war sie nicht verpflichtet, eine nicht vertrauliche Fassung dieser Mitteilung zu erstellen, eine Anhörung zu organisieren oder den Klägerinnen Akteneinsicht zu gewähren. Sie hat somit von verfahrensrechtlichen Effizienzgewinnen profitiert, die, wie die Klägerinnen richtig feststellen, unabhängig von der Erhebung der vorliegenden Klage erhalten bleiben.

238    Die Mobilisierung zusätzlicher Ressourcen für die Organisation von Treffen mit den Parteien betreffend die beiden streitigen Erhöhungen wiederum ist als eine dem Vergleichsverfahren inhärente Mobilisierung von Ressourcen anzusehen.

239    Im Übrigen ist die Tatsache, dass sich Gewinne, die gegebenenfalls im Verwaltungsverfahren erhalten bleiben, nicht nachträglich quantifizieren lassen, irrelevant. Aus Rn. 17 der Mitteilung über Vergleichsverfahren geht hervor, dass die Kommission das Unternehmen nur dann zur Vorlage von Vergleichsausführungen auffordert, wenn „nach vorläufiger Auffassung … angesichts der insgesamt erzielten Fortschritte mit einer Rationalisierung des Verfahrens zu rechnen [ist]“. Sie muss also eine Ex-ante-Bewertung der Effizienz des Verfahrens im Hinblick auf die mit den Parteien eingeleiteten Gespräche vornehmen und auf dieser Grundlage entscheiden, ob sie das Vergleichsverfahren im Rahmen ihres Ermessens fortsetzt oder nicht.

240    Drittens trägt die Kommission vor, dass sie das Recht der Klägerinnen anerkenne, gegen den angefochtenen Beschluss zu klagen, die Ausübung dieses Rechts aber nicht bedeute, dass die Klage keine Folgen für die Geldbuße habe. Sie verweist insbesondere auf das im Zusammenhang mit Geldbußenermäßigungen nach der Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 1996, C 207, S. 4) ergangene Urteil vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission (T‑236/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, EU:T:2004:118), in dem das Gericht die Auffassung vertreten haben soll, dass der Klägerin eine solche Ermäßigung entzogen werden kann.

241    Zwar hat das Gericht in dem oben in Rn. 240 angeführten Urteil einem Antrag der Kommission auf Erhöhung der Geldbuße mit der Begründung stattgegeben, dass die Kommission entgegen den Erwartungen, die sie vernünftigerweise aufgrund der objektiven Zusammenarbeit der Klägerin im Verwaltungsverfahren hegen durfte, gezwungen gewesen war, vor Gericht eine Verteidigung gegen das Bestreiten von Zuwiderhandlungen auszuarbeiten und vorzubringen, von denen sie mit gutem Grund angenommen hatte, dass die Klägerin sie nicht mehr in Frage stellen werde.

242    Es genügt jedoch der Hinweis, dass sich die Klägerinnen im vorliegenden Fall gegen die gemäß den Ziff. 28 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen vorgenommenen Erhöhungen wenden, die in ihren Vergleichsausführungen nicht enthalten waren und denen sie im Verwaltungsverfahren nicht zugestimmt hatten. Die Kommission konnte somit nicht von der Annahme ausgehen, dass die Klägerinnen diese Erhöhungen im Rahmen einer Klage nicht mehr in Frage stellen würden.

243    Nach alledem ist die Widerklage der Kommission abzuweisen.

 Kosten

244    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 134 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt jede Partei ihre eigenen Kosten, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Das Gericht kann jedoch entscheiden, dass eine Partei neben ihren eigenen Kosten einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt, wenn dies in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint.

245    Im vorliegenden Fall sind die Klägerinnen mit ihrer Klage und die Kommission mit ihrer Widerklage unterlegen. Da Letztere nur auf eine geringfügige Erhöhung des Betrags der Geldbußen abzielte, ist festzustellen, dass im Wesentlichen die Klägerinnen mit ihren Klageanträgen unterlegen sind. Unter diesen Umständen ist zu entscheiden, dass die Klägerinnen ihre eigenen Kosten und 90 % der Kosten der Kommission tragen, während die Kommission 10 % ihrer eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Widerklage der Europäischen Kommission wird abgewiesen.

3.      Die Clariant AG und die Clariant International AG tragen ihre eigenen Kosten und 90 % der Kosten der Kommission.

4.      Die Kommission trägt 10 % ihrer eigenen Kosten.

van der Woude

De Baere

Steinfatt

Kecsmár

 

      Kingston

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. Oktober 2023.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis


I. Vorgeschichte des Rechtsstreits

A. Verwaltungsverfahren

B. Angefochtener Beschluss

1. Beschreibung der Zuwiderhandlung

2. Berechnung des Betrags der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße

II. Anträge der Parteien

III. Rechtliche Würdigung

A. Zum Nichtigkeitsantrag und zum Antrag auf Herabsetzung des Betrags der Geldbuße

1. Zum ersten Klagegrund: Die Kommission habe den Grundbetrag der Geldbuße fälschlicherweise gemäß Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen erhöht

a) Zum ersten Teil des ersten Klagegrundes: Die Kommission habe ihr Ermessen nicht ausgeübt

b) Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes: Die Klägerinnen seien fälschlicherweise als Wiederholungstäterinnen eingestuft worden

1) Zur ersten Rüge, die sich auf die fehlende Ähnlichkeit zwischen der im Rahmen des MCAA-Kartells begangenen Zuwiderhandlung und der hier in Rede stehenden Zuwiderhandlung bezieht

2) Zur zweiten Rüge, die sich auf die zwischen den beiden Zuwiderhandlungen liegende Zeitspanne bezieht

3) Zur dritten Rüge, die sich auf die Tatsache bezieht, dass bisher keine finanzielle Sanktion verhängt worden ist

4) Zur vierten Rüge, die sich auf die Nichtberücksichtigung anderer Umstände bezieht

c) Zum dritten Teil des ersten Klagegrundes: Begründungsmangel

2. Zum zweiten Klagegrund: Die Kommission habe den Grundbetrag der Geldbuße fälschlicherweise gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen erhöht

a) Zum ersten Teil des zweiten Klagegrundes: Die Kommission habe ihr Ermessen nicht ausgeübt

b) Zum zweiten Teil des zweiten Klagegrundes: Fehlerhafte Anwendung der Erhöhung gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen

1) Zur ersten Rüge: Der Wert der Einkäufe beinhalte keine Unterschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung der Zuwiderhandlung in der vorliegenden Rechtssache

2) Zur zweiten Rüge: Eine Erhöhung des Betrags der Geldbuße sei für eine wirksame Abschreckung nicht erforderlich

3) Zur dritten Rüge: Eine auf alle Einkaufskartelle angewandte Erhöhung führe zu einer systematischen übermäßigen Abschreckung

4) Zur vierten Rüge: Der Beschluss über Autobatterie-Recycling sei irrelevant, weil sich das fragliche Kartell nur auf ein untergeordnetes Preiselement bezogen habe

5) Zur fünften Rüge: Die potenziellen Gewinne aus Einkaufskartellen seien geringer als die aus Verkaufskartellen

c) Zum dritten Teil des zweiten Klagegrundes: Verletzung der Begründungspflicht

3. Zum dritten Klagegrund: Unverhältnismäßigkeit der Höhe der Geldbuße

a) Zum Antrag auf Senkung des Erhöhungssatzes gemäß Ziff. 28 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen

b) Zum Antrag auf Senkung des Erhöhungssatzes gemäß Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen

B. Zur Widerklage der Kommission

1. Einleitende Überlegungen zum Vergleichsverfahren

2. Zum Ablauf des Vergleichsverfahrens

3. Zur Begründetheit der Widerklage der Kommission

IV. Kosten


*      Verfahrenssprache: Englisch.