Language of document : ECLI:EU:T:2015:208

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

16. April 2015(*)

„Gemeinschaftsmarke – Anmeldung der Gemeinschaftswortmarke Rauschbrille – Absolute Eintragungshindernisse – Beschreibender Charakter – Fehlende Unterscheidungskraft – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung (EG) Nr. 207/2009“

In der Rechtssache T‑319/14

Drogenhilfe Köln Projekt gGmbH mit Sitz in Köln (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt V. Schoene,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch G. Schneider als Bevollmächtigten,

Beklagter,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des HABM vom 29. Januar 2014 (Sache R 1356/2013‑1) über die Anmeldung des Wortzeichens Rauschbrille als Gemeinschaftsmarke

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Prek, der Richterin I. Labucka und des Richters V. Kreuschitz (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 30. April 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 25. Juli 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien binnen der Frist von einem Monat nach der Mitteilung, dass das schriftliche Verfahren abgeschlossen ist, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des daher auf Bericht des Berichterstatters gemäß Art. 135a der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 28. Januar 2013 meldete die Klägerin, die Drogenhilfe Köln Projekt gGmbH, nach der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 78, S. 1) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) eine Gemeinschaftsmarke an.

2        Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das Wortzeichen Rauschbrille.

3        Es wurden folgende Waren der Klassen 9, 41 und 44 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung beansprucht:

–        Klasse 9: „Brillen“;

–        Klasse 41: „Erziehung; Ausbildung; Unterhaltung; sportliche und kulturelle Aktivitäten“;

–        Klasse 44: „Medizinische Dienstleistungen; Dienstleistungen eines Psychologen; Dienstleistungen von Kliniken; Dienstleistungen von Kliniken (Ambulanzen); Dienstleistungen von Sanatorien; Entziehungskuren für Suchtkranke; Gesundheitsberatung; Therapiedienste“.

4        Mit Entscheidung vom 17. Juni 2013 wies der Prüfer die Anmeldung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung Nr. 207/2009 für die Gesamtheit der Waren und Dienstleistungen zurück, weil die angemeldete Marke im Hinblick auf diese Waren und Dienstleistungen beschreibend und nicht unterscheidungskräftig sei.

5        Am 18. Juli 2013 legte die Klägerin gegen die Entscheidung des Prüfers nach den Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009 Beschwerde ein.

6        Mit Entscheidung vom 29. Januar 2014 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Erste Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde zurück.

7        Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die Beschwerdekammer in Bezug auf das absolute Eintragungshindernis nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 im Wesentlichen zum einen aus, dass die maßgeblichen Verkehrskreise aus deutschsprachigen Durchschnittsverbrauchern mit einem durchschnittlich hohen Aufmerksamkeitsgrad bestünden, da Brillen Gegenstände des täglichen Lebens seien und sich das angemeldete Zeichen aus zwei Begriffen der deutschen Sprache zusammensetze, nämlich „Rausch“, was für Alkoholisierung, Betrunkenheit oder Delirium stehe, und „Brille“, was ein Gestell mit Bügeln und zwei geschliffenen oder gefärbten Gläsern wie beispielsweise eine Schnee-, Taucher- oder Nachtsichtbrille bezeichne (Rn. 13 bis 16 der angefochtenen Entscheidung). Daher könne in Bezug auf „Brillen“ der Klasse 9 der deutsche Begriff „Rauschbrille“ als „Brille, die eine Alkoholisierung vermittelt“ oder als „Brille, die vor Alkoholisierung schützt“ verstanden werden. Aus der Website der Klägerin gehe jedoch hervor, dass dieser Begriff tatsächlich Brillen bezeichne, die annähernd eine bestimmte Promille-Zahl simulierten (Rn. 17 und 18 der angefochtenen Entscheidung). Zum anderen sei der deutsche Neologismus „Rauschbrille“ kein Phantasiebegriff, sondern setze sich aus genau den die zwei Bestandteile bildenden Begriffen zusammen. Der Gesamtbegriff enthalte keinen Aussagegehalt, der über das hinausgehe, was die Summe der genannten Begriffe vermittele, so dass er die fraglichen Waren und Dienstleistungen lediglich beschreibe (Rn. 19 bis 21 der angefochtenen Entscheidung). Daher sei die angemeldete Marke für „Brillen“ der Klasse 9 beschreibend im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 und nicht eintragungsfähig (Rn. 23 der angefochtenen Entscheidung).

8        Zu dem absoluten Eintragungshindernis nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 führte die Beschwerdekammer im Wesentlichen aus, dass „Brillen“ der Klasse 9 Brillen seien, die den Zustand einer Berauschung nachstellten bzw. den Träger dieser Brillen in einen künstlichen Rauschzustand versetzten. Hinsichtlich der Dienstleistungen der Klasse 41 könne der Begriff „Rauschbrille“ ohne Weiteres kulturelle Veranstaltungen, die einen Drogenhintergrund aufwiesen, bezeichnen oder auf sie hinweisen. Hinsichtlich der Dienstleistungen der Klasse 44 vermittele dieser Begriff im Rahmen einer medizinischen und psychologischen Behandlung, dass er zur Simulation von Trunkenheit und daher im Zuge einer „Aversionstherapie“ verwendet werde. Somit mangele es dem angemeldeten Zeichen auch an der erforderlichen Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 (Rn. 24 bis 32 der angefochtenen Entscheidung).

 Vorbringen der Parteien

9        Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        die Sache an das HABM zurückzuverweisen.

10      Das HABM beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        die Klägerin zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

 Rechtliche Würdigung

11      Die Klägerin stützt die Klage auf zwei Gründe, mit denen sie einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 und gegen Buchst. c dieser Bestimmung rügt.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009

12      Im Rahmen ihres ersten Klagegrundes eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Beschwerdekammer sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der deutsche Begriff „Rauschbrille“ für „Brillen“ der Klasse 9 beschreibend sei. Anders als die deutschen Begriffe „Promillebrillen“ oder „Alkoholbrillen“ sei der deutsche Begriff „Rauschbrille“ für sich genommen sinnlos und beschreibe entgegen den Ausführungen der Beschwerdekammer nicht eine „Brille, die ihrem Träger suggeriert, er befinde sich in einem Zustand nach ausgiebigem Alkoholgenuss“, da eine solche Bedeutung eher den deutschen Begriffen „Betrunkenheits-Simulationsbrille“ oder „Rauschsimulationsbrille“ zuzuschreiben sei. Die Tatsache, dass die Klägerin den – von ihr geschaffenen und dem deutschsprachigen Durchschnittsverbraucher zunächst unverständlichen – deutschen Begriff „Rauschbrille“ tatsächlich zur Beschreibung von „Rauschsimulationsbrillen“ benutze, begründe kein Indiz für seinen beschreibenden Charakter. Zwar habe der Begriff einen beschreibenden Anklang, doch genüge dieser beschreibende Anklang nicht, um das absolute Eintragungshindernis nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 zu stützen.

13      Das HABM beantragt, den ersten Klagegrund zurückzuweisen.

14      Das Gericht weist darauf hin, dass das Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 zugrunde liegende Allgemeininteresse darin besteht, sicherzustellen, dass die Zeichen, die eines oder mehrere Merkmale der Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung als Marke beantragt wird, beschreiben, von allen Wirtschaftsteilnehmern, die solche Waren oder Dienstleistungen anbieten, frei verwendet werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. Oktober 2003, HABM/Wrigley, C‑191/01 P, Slg, EU:C:2003:579, Rn. 31, und vom 10. März 2011, Agencja Wydawnicza Technopol/HABM, C‑51/10 P, Slg, EU:C:2011:139, Rn. 37).

15      Durch die Verwendung der Begriffe „Art, … Beschaffenheit, … Menge, … Bestimmung, … Wer[t], … geografisch[e] Herkunft oder … Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder … sonstig[e] Merkmale der Ware oder Dienstleistung“ in dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber der Europäischen Union zum einen vorgegeben, dass diese Begriffe allesamt als Merkmale der Waren oder Dienstleistungen anzusehen sind, und zum anderen klargestellt, dass diese Liste nicht abschließend ist und jedes andere Merkmal von Waren oder Dienstleistungen ebenfalls berücksichtigt werden kann (Urteil Agencja Wydawnicza Technopol/HABM, oben in Rn. 14 angeführt, EU:C:2011:139, Rn. 49).

16      Die Wahl des Begriffs „Merkmal“ durch den Unionsgesetzgeber hebt den Umstand hervor, dass die von dieser Bestimmung erfassten Zeichen nur solche sind, die dazu dienen, eine leicht von den beteiligten Verkehrskreisen zu erkennende Eigenschaft der Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wird, zu bezeichnen. Somit kann auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 die Eintragung eines Zeichens nur dann verweigert werden, wenn vernünftigerweise davon auszugehen ist, dass es von den beteiligten Verkehrskreisen tatsächlich als eine Beschreibung eines dieser Merkmale erkannt werden wird (Urteil Agencja Wydawnicza Technopol/HABM, oben in Rn. 14 angeführt, EU:C:2011:139, Rn. 50; vgl. entsprechend zu dem identischen Art. 3 der Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken [ABl. 1989, L 40, S. 1] Urteile vom 4. Mai 1999, Windsurfing Chiemsee, C‑108/97 und C‑109/97, Slg, EU:C:1999:230, Rn. 31, und vom 12. Februar 2004, Koninklijke KPN Nederland, C‑363/99, Slg, EU:C:2004:86, Rn. 56).

17      Die Rechtsprechung hat ferner klargestellt, dass für die Zwecke der Anwendung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 auf der Grundlage der relevanten Bedeutung des fraglichen Wortzeichens zu prüfen ist, ob aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise ein hinreichend direkter und konkreter Zusammenhang zwischen dem Zeichen und den Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wurde, besteht, der es diesen Verkehrskreisen ermöglicht, unmittelbar und ohne weitere Überlegung eine Beschreibung der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen oder eines ihrer Merkmale zu erkennen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Juni 2012, XXXLutz Marken/HABM, C‑306/11 P, EU:C:2012:401, Rn. 79, vom 20. Juli 2004, Lissotschenko und Hentze/HABM [LIMO], T‑311/02, Slg, EU:T:2004:245, Rn. 30, und vom 14. Mai 2013, Unister/HABM [fluege.de], T‑244/12, Slg, EU:T:2013:243, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass es, um eine Marke, die aus einer sprachlichen Neuschöpfung oder einem Wort mit mehreren Bestandteilen besteht, als beschreibend im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 ansehen zu können, nicht genügt, dass für jeden dieser Bestandteile gegebenenfalls ein beschreibender Charakter festgestellt wird. Ein solcher Charakter muss auch für die Neuschöpfung oder das Wort selbst festgestellt werden. Eine Marke, die aus einer sprachlichen Neuschöpfung oder einem Wort mit mehreren Bestandteilen besteht, von denen jeder Merkmale der in der Anmeldung beanspruchten Waren oder Dienstleistungen beschreibt, ist jedoch selbst für die Merkmale dieser Waren oder Dienstleistungen im Sinne dieser Bestimmung beschreibend, es sei denn, dass ein merklicher Unterschied zwischen der Neuschöpfung und der bloßen Summe ihrer Bestandteile besteht. Dies setzt voraus, dass die Neuschöpfung aufgrund der Ungewöhnlichkeit der Kombination in Bezug auf die genannten Waren oder Dienstleistungen einen Eindruck erweckt, der hinreichend stark von demjenigen abweicht, der bei bloßer Zusammenfügung der ihren Bestandteilen zu entnehmenden Angaben entsteht, und somit über die Summe dieser Bestandteile hinausgeht. Insoweit ist auch die Analyse des fraglichen Ausdrucks anhand der maßgeblichen lexikalischen und grammatikalischen Regeln von Bedeutung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Februar 2012, skytron energy/HABM [arraybox], T‑321/09, EU:T:2012:49, Rn. 27 und 28 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Damit ein Zeichen unter das absolute Eintragungshindernis im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 fällt, genügt es schließlich, dass es beschreibend verwendet werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile Agencja Wydawnicza Technopol/HABM, oben in Rn. 14 angeführt, EU:C:2011:139, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 23. Januar 2014, NCL/HABM [NORWEGIAN GETAWAY], T‑513/12, EU:T:2014:24, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Im vorliegenden Fall genügt es daher, dass das Zeichen zumindest in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal der in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen bezeichnet.

21      Daher ist zu prüfen, ob das Wortzeichen Rauschbrille, das aus den beiden deutschen Begriffen „Rausch“ und „Brille“ besteht, aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise die Ware „Brillen“ der Klasse 9 beschreibt. Die Klägerin beanstandet insoweit nicht die Feststellung der Beschwerdekammer, dass die maßgeblichen Verkehrskreise aus deutschsprachigen Durchschnittsverbrauchern bestehen (vgl. Rn. 13 und 14 der angefochtenen Entscheidung). In Anbetracht der deutschen Begriffe, aus denen das Zeichen gebildet ist, und der Tatsache, dass Brillen Gegenstände des täglichen Lebens sind, ist diese Feststellung fehlerfrei und zu bestätigen.

22      Wie die Beschwerdekammer ausgeführt hat und das HABM vorträgt, kann die deutsche sprachliche Neuschöpfung „Rauschbrille“, deren Einzelelemente „Rausch“ und „Brille“ der deutschsprachige Durchschnittsverbraucher leicht erkennt, von diesem nur als eine Kombination dieser beiden Elemente mit einer Bedeutung verstanden werden, die über die der beiden getrennten Elemente nicht hinausgeht. Da der deutsche Begriff „Brille“ das Hauptsubstantiv ist, werden die maßgeblichen Verkehrskreise nämlich unmittelbar und ohne weitere Überlegung erkennen, dass es sich um eine Brille mit besonderen Eigenschaften handelt, welche durch den deutschen Begriff „Rausch“ als attributives Substantiv näher bezeichnet werden. Aufgrund der eindeutigen Bedeutung des deutschen Begriffs „Rausch“, nämlich Alkoholisierung, Betrunkenheit oder Delirium (vgl. Rn. 15 der angefochtenen Entscheidung), zeigt diese Eigenschaft den Verkehrskreisen klar an, dass eine Ware „Brille“, die in die Klasse 9 fällt und als Rauschbrille bezeichnet wird, als eine „Brille, die eine Alkoholisierung vermittelt“ oder als eine „Brille, die vor Alkoholisierung schützt“ verstanden werden muss (Rn. 17 der angefochtenen Entscheidung). Die Beschwerdekammer ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass die deutsche sprachliche Neuschöpfung „Rauschbrille“ kein Phantasiebegriff ist und keinen Aussagegehalt enthält, der über das hinausgeht, was die Summe der beiden Begriffe vermittelt, aus denen sie sich zusammensetzt (Rn. 21 der angefochtenen Entscheidung).

23      Folglich kann aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise das Wortzeichen Rauschbrille die Merkmale „Brille, die eine Alkoholisierung vermittelt“ beschreiben, was im Übrigen den Eigenschaften der von der Klägerin vermarkteten Waren entspricht. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin einräumt, dass dieses Zeichen einen „gewissen beschreibenden Anklang“ an die „Rauschsimulationsbrille“ hat. Jedoch reicht allein der Umstand, dass es andere Wortzeichen geben könnte, die die Eigenschaften solcher Brillen noch genauer beschreiben, nicht aus, um die Anwendung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 auf das angemeldete Wortzeichen auszuschließen, da das mit dieser Vorschrift verfolgte Allgemeininteresse darauf gerichtet ist, sicherzustellen, dass das angemeldete Wortzeichen von allen Wirtschaftsteilnehmern verwendet werden kann und nicht einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer vorbehalten wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Januar 2006, Deutsche SiSi-Werke/HABM, C‑173/04 P, EU:C:2006:20, Rn. 62, und vom 30. April 2013, ABC‑One/HABM [SLIM BELLY], T‑61/12, EU:T:2013:226, Rn. 18).

24      Daher durfte die Beschwerdekammer davon ausgehen, dass das angemeldete Wortzeichen für „Brillen“ der Klasse 9 beschreibend ist (Rn. 23 der angefochtenen Entscheidung).

25      Folglich ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009

26      Im Rahmen ihres zweiten Klagegrundes eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 bestreitet die Klägerin mit den gleichen Argumenten, dass es dem deutschen Begriff „Rauschbrille“ in Bezug auf „Brillen“ der Klasse 9 an Unterscheidungskraft fehle. Ebenso habe dieser Begriff Unterscheidungskraft in Bezug auf die Dienstleistungen der Klasse 41. Selbst wenn diese Dienstleistungen unter Verwendung einer Rauschsimulationsbrille erbracht werden könnten, führe dies nicht dazu, dass das deutsche Wort „Rauschbrille“ ungeeignet wäre, diese Dienstleistungen nach ihrer betrieblichen Herkunft zu kennzeichnen. In diesem Zusammenhang verkenne die Beschwerdekammer, dass es nicht sinnvoll sei, eine Unterhaltungs- oder Erziehungsveranstaltung oder ein Sportereignis mit dem deutschen Wort „Rauschbrille“ zu benennen. Denn dieses Wort enthaltende Benennungen, so die Klägerin, „bleiben – auch wenn die angemeldete Marke für Produkte der Klasse 9 eingetragen wird – möglich, soweit in der fraglichen Veranstaltung wirklich Rauschsimulationsbrillen der Marke ‚Rauschbrille‘ zum Einsatz kommen, also Rauschsimulationsbrillen, welche von der Klägerin herrühren, und wenn die gewählte Bezeichnung von Art. 12 [der Verordnung Nr. 207/2009] gerechtfertigt ist“. Die Klägerin zieht daraus im Wesentlichen den Schluss, dass sie einen Veranstaltungstitel wie „Fahrsicherheitstraining unter Verwendung der Rauschbrille“ nicht verbieten könne, auch wenn die angemeldete Marke für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 41 und 44 eingetragen würde. Art. 12 der Verordnung Nr. 207/2009 stelle sicher, dass dieses Wort zur Bezeichnung von Dienstleistungen der Klasse 41 auch dann benutzt werden könne, wenn es als Wortmarke eingetragen würde. Die markenrechtlich erforderliche Freiheit zur beschreibenden Verwendung des deutschen Wortes „Rauschbrille“ im Zusammenhang mit kulturellen Aktivitäten usw. ergebe sich also nicht aus Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009, sondern aus dem Zusammenspiel von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c und Art. 12 dieser Verordnung. Zu den Dienstleistungen der Klasse 44 führt die Klägerin aus, es sei nicht sinnvoll, eine psychologische Behandlung unter einer Marke Rauschbrille anzubieten. Aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise verwende ein Psychologe, der seine Leistung unter dieser Bezeichnung anbiete, Letztere als einen Herkunftshinweis. Auch die Verwendung dieses Wortes im Rahmen einer Dienstleistungsbezeichnung wie „Aversionstherapie mit Rauschbrillen“ würde von der Eintragung einer solchen Marke für Dienstleistungen der Klasse 44 nicht tangiert, da sich die Freiheit einer solchen Verwendung ebenfalls aus Art. 12 der Verordnung Nr. 207/2009 ergebe.

27      Das HABM beantragt, den zweiten Klagegrund zurückzuweisen.

28      Zu den „Brillen“ der Klasse 9 ist im Hinblick auf die obigen Ausführungen in den Rn. 21 bis 24 festzustellen, dass der zweite Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 jedenfalls als ins Leere gehend zurückzuweisen ist, da ein Zeichen bereits dann von der Eintragung als Gemeinschaftsmarke ausgeschlossen ist, wenn nur eines der absoluten Eintragungshindernisse vorliegt (Urteile vom 19. September 2002, DKV/HABM, C‑104/00 P, Slg, EU:C:2002:506, Rn. 29, und vom 9. Juli 2008, Coffee Store/HABM [THE COFFEE STORE], T‑323/05, EU:T:2008:265, Rn. 49).

29      Daher ist im vorliegenden Fall ausschließlich zu prüfen, ob die Beschwerdekammer davon ausgehen durfte, dass dem angemeldeten Wortzeichen in Bezug auf die Dienstleistungen der Klassen 41 und 44 die Unterscheidungskraft fehlt.

30      Gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 sind Marken, die keine Unterscheidungskraft haben, von der Eintragung ausgeschlossen. Nach Art. 7 Abs. 2 dieser Verordnung finden außerdem die Vorschriften des Abs. 1 auch dann Anwendung, wenn die Eintragungshindernisse nur in einem Teil der Union vorliegen.

31      Jedes der in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 genannten Eintragungshindernisse ist unabhängig von den anderen und muss getrennt geprüft werden. Diese Eintragungshindernisse sind im Licht des Allgemeininteresses auszulegen, das jedem von ihnen zugrunde liegt. Der dem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 zugrunde liegende Begriff des Allgemeininteresses und die Hauptfunktion der Marke, dem Verbraucher die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung dadurch zu garantieren, dass sie ihm die Unterscheidung dieser Ware oder Dienstleistung ohne Verwechslungsgefahr von Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft ermöglicht, gehen ineinander über (vgl. Urteil vom 8. Mai 2008, Eurohypo/HABM, C‑304/06 P, Slg, EU:C:2008:261, Rn. 54 bis 56 und die dort angeführte Rechtsprechung). Folglich bedeutet die Unterscheidungskraft einer Marke im Sinne dieser Bestimmung, dass die Marke geeignet ist, die Ware oder Dienstleistung, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware oder Dienstleistung somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. Urteile vom 4. Oktober 2007, Henkel/HABM, C‑144/06 P, Slg, EU:C:2007:577, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 21. Januar 2010, Audi/HABM, C‑398/08 P, Slg, EU:C:2010:29, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Diese Unterscheidungskraft eines Zeichens ist zum einen im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die es angemeldet worden ist, und zum anderen im Hinblick auf seine Wahrnehmung durch die maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen (vgl. Urteile vom 12. Juli 2012, medi/HABM [medi], T‑470/09, EU:T:2012:369, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 24. Juni 2014, Unister/HABM [Ab in den Urlaub], T‑273/12, EU:T:2014:568, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Schon bei einem Mindestmaß an Unterscheidungskraft greift jedoch das absolute Eintragungshindernis nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 nicht ein (Urteil vom 29. September 2009, The Smiley Company/HABM [Darstellung eines halben Smileys], T‑139/08, Slg, EU:T:2009:364, Rn. 16).

34      Im vorliegenden Fall wird der deutschsprachige Durchschnittsverbraucher, der die Bedeutung des deutschen Wortes „Rauschbrille“ leicht erkennt (siehe oben, Rn. 22 und 23), bei einer Konfrontation mit den Dienstleistungen der Klasse 41, nämlich Dienstleistungen der Erziehung, der Ausbildung und der Unterhaltung und Dienstleistungen, die sportliche und kulturelle Aktivitäten anbieten, unmittelbar verstehen, dass es sich um Dienstleistungen handelt, die mit Hilfe oder in Verbindung mit Rauschbrillen angeboten werden. Daher ist die Beschwerdekammer in den Rn. 28 und 30 der angefochtenen Entscheidung fehlerfrei zum einen davon ausgegangen, dass das angemeldete Zeichen darauf hinweist, dass Rauschbrillen als empirisches Utensil im Rahmen von Lehrveranstaltungen an Schulen oder Fahrschulen zum Thema Alkohol- bzw. Suchtprävention oder im Rahmen von Sport- und Geschicklichkeitsspielen als Erschwerungselement eingesetzt werden, und zum anderen, dass das Zeichen ohne Weiteres kulturelle Veranstaltungen, die einen Drogenhintergrund aufweisen, bezeichnen kann oder als ein Hinweis darauf verstanden werden kann.

35      Das Gleiche gilt für die Dienstleistungen der Klasse 44, nämlich insbesondere medizinische Dienstleistungen, Dienstleistungen eines Psychologen sowie Dienstleistungen von Kliniken und Therapiedienste. Insoweit hat die Beschwerdekammer in Rn. 31 der angefochtenen Entscheidung auch annehmen dürfen, dass aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise die Benutzung des angemeldeten Wortzeichens im Rahmen einer medizinischen und psychologischen Behandlung die Vorstellung vermittelt, dass Rauschbrillen zur Simulation von Trunkenheit und daher im Zuge einer „Aversionstherapie“ verwendet werden.

36      Daher ist das angemeldete Zeichen nicht geeignet, dem deutschsprachigen Durchschnittsverbraucher die Ursprungsidentität der mit der angemeldeten Marke gekennzeichneten Dienstleistungen dadurch zu garantieren, dass es ihm die Unterscheidung dieser Dienstleistungen ohne Verwechslungsgefahr von Dienstleistungen anderer Herkunft ermöglicht, da Rauschbrillen zu diesem Zweck von jedem Erbringer von Dienstleistungen im Sinne der Klassen 41 und 44 verwendet werden können.

37      In diesem Zusammenhang kann das auf Art. 12 der Verordnung Nr. 207/2009 gestützte Vorbringen der Klägerin nicht durchgreifen. Wie das HABM zu Recht vorträgt, kann diese Bestimmung, die die Beschränkung der Drittwirkung einer bereits eingetragenen Gemeinschaftsmarke betrifft, nicht die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung vorgesehenen unerlässlichen Voraussetzungen für die Eintragung des angemeldeten Zeichens in Bezug auf die Dienstleistungen der Klassen 41 und 44 relativieren. Wenn – wie im vorliegenden Fall – die Voraussetzungen des in dieser Bestimmung enthaltenen absoluten Eintragungshindernisses erfüllt sind und die Eintragung des Zeichens verbieten, kann Art. 12 folglich nichts an diesem Ergebnis ändern.

38      Daraus ergibt sich, dass auch dem zweiten Klagegrund nicht gefolgt werden kann und die Klage daher insgesamt abzuweisen ist.

 Kosten

39      Gemäß Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des HABM die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Drogenhilfe Köln Projekt gGmbH trägt die Kosten.

Prek

Labucka

Kreuschitz

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. April 2015.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.