Language of document : ECLI:EU:T:2022:727

Verbundene Rechtssachen T316/14 RENV und T148/19

Kurdistan Workers’ Party (PKK)

gegen

Rat der Europäischen Union

 Urteil des Gerichts (Vierte erweiterte Kammer) vom 30. November 2022

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen die PKK im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus – Einfrieren von Geldern – Gemeinsamer Standpunkt 2001/931/GASP – Anwendbarkeit auf bewaffnete Konflikte – Terroristische Vereinigung – Tatsachengrundlage der Beschlüsse über das Einfrieren von Geldern – Von einer zuständigen Behörde gefasster Beschluss – Behörde eines Drittstaats – Überprüfung – Verhältnismäßigkeit – Begründungspflicht – Verteidigungsrechte – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Anpassung der Klageschrift“

1.      Gerichtliches Verfahren – Beschluss oder Verordnung, der bzw. die den angefochtenen Rechtsakt während des Verfahrens ersetzt – Neue Tatsache – Erweiterung der ursprünglichen Anträge und des ursprünglichen Vorbringens – Voraussetzung – Rechtsakt, der Gegenstand des ursprünglichen Antrags auf Nichtigerklärung ist – Begriff

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 86 Abs. 1; Beschlüsse [GASP] 2015/521, [GASP] 2015/1334, [GASP] 2017/1426 und [GASP] 2020/1132 des Rates; Verordnungen 2019/1337, 2020/19 und 2020/1128 des Rates)

(vgl. Rn. 21, 22, 24, 25)

2.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Erlass oder Aufrechterhaltung aufgrund eines nationalen Beschlusses über die Aufnahme von Ermittlungen, Strafverfolgung oder eine Verurteilung – Für den Erlass dieses nationalen Beschlusses zuständige Behörde – Begriff – Verwaltungsbehörde – Einbeziehung – Voraussetzungen

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 4)

(vgl. Rn. 32, 33, 50-55, 58, 63)

3.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Erlass oder Aufrechterhaltung aufgrund eines nationalen Beschlusses über die Aufnahme von Ermittlungen, Strafverfolgung oder eine Verurteilung – Überprüfung zur Rechtfertigung der Belassung auf der Liste betreffend das Einfrieren von Geldern – Zusammenarbeit zwischen dem Rat und den zuständigen Behörden – Umfang – Unterscheidung zwischen dem ursprünglichen Erlass und der Überprüfung der Rechtsakte

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 4 und 6)

(vgl. Rn. 35, 40)

4.      Europäische Union – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen der Union – Erstmaliger Beschluss betreffend das Einfrieren von Geldern – Rechtfertigung – Dem Rat obliegende Beweislast – Umfang

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 4)

(vgl. Rn. 36, 37, 137)

5.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Erlass oder Aufrechterhaltung aufgrund eines nationalen Beschlusses – Erfordernis, dass neue Umstände, die die Belassung auf der Liste rechtfertigen, Gegenstand eines nationalen Beschlusses sind, der nach dem der erstmaligen Aufnahme in die Liste zugrunde gelegten Beschluss erlassen wurde – Fehlen

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 4 und 6)

(vgl. Rn. 38, 43, 151, 152, 192)

6.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Erlass oder Aufrechterhaltung aufgrund eines nationalen Beschlusses über die Aufnahme von Ermittlungen, Strafverfolgung oder eine Verurteilung – Begründungspflicht des Rates – Umfang

(Art. 296 und 263 Abs. 4 AEUV; Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 4 und 6; Verordnung Nr. 2580/2001 des Rates; Beschlüsse [GASP] 2019/25 und [GASP] 2019/1341 des Rates; Verordnungen Nr. 125/2014, Nr. 790/2014, 2015/513, 2015/1325, 2015/2425, 2016/1127, 2017/150 und 2017/1420 des Rates)

(vgl. Rn. 39, 138, 153, 216-219, 222-224, 227-231, 238)

7.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Erlass oder Aufrechterhaltung aufgrund eines nationalen Beschlusses über die Aufnahme von Ermittlungen, Strafverfolgung oder eine Verurteilung – Kein Erfordernis eines nationalen Beschlusses, der im Rahmen eines Strafverfahrens im engeren Sinne ergeht – Voraussetzungen

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 4)

(vgl. Rn. 56, 57)

8.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen der Union – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Erlass oder Aufrechterhaltung aufgrund eines nationalen Beschlusses über die Aufnahme von Ermittlungen, Strafverfolgung oder eine Verurteilung – Nationaler Beschluss über eine Verurteilung – Keine Pflicht zur Angabe der ernsthaften und schlüssigen Beweise oder Indizien, auf die sich der nationale Beschluss stützt

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 4; Verordnungen Nr. 125/2014, Nr. 790/2014, 2015/513, 2015/1325, 2015/2425, 2016/1127, 2017/150 und 2017/1420 des Rates)

(vgl. Rn. 73-76, 80)

9.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Erlass oder Aufrechterhaltung aufgrund eines nationalen Beschlusses – Für den Erlass dieses nationalen Beschlusses zuständige Behörde – Begriff – Behörde eines Drittstaats – Einbeziehung

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 4; Verordnungen Nr. 125/2014, Nr. 790/2014, 2015/513, 2015/1325, 2015/2425, 2016/1127, 2017/150 und 2017/1420 des Rates)

(vgl. Rn. 85, 86)

10.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Erlass oder Aufrechterhaltung auf der Grundlage eines nationalen Beschlusses einer drittstaatlichen Behörde über das Einfrieren von Geldern – Zulässigkeit – Voraussetzung – Nationaler Beschluss, der unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde – Überprüfungspflicht des Rates – Begründungspflicht – Umfang

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 4 und 6; Beschlüsse [GASP] 2019/25 und [GASP] 2019/134 des Rates; Verordnungen Nr. 125/2014, Nr. 790/2014, 2015/513, 2015/1325, 2015/2425, 2016/1127, 2017/150 und 2017/1420 des Rates)

(vgl. Rn. 87, 88, 91, 93-98)

11.    Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Bestimmung des Streitgegenstands – Klare und genaue Darstellung der geltend gemachten Klagegründe – Erfordernis von Beweisen zur Stützung des geltend gemachten Klagegrundes – Fehlen – Zulässigkeit

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 21 Abs. 1 und Art. 53 Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 76 Buchst. d)

(vgl. Rn. 104-106)

12.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Einfrieren von Geldern – Anwendungsbereich – An terroristischen Handlungen beteiligte Personen, Vereinigungen und Körperschaften – Erstmalige Aufnahme – Terroristische Handlungen – Begriff – Einstufung durch die nationalen Behörden – Überprüfungspflicht des Rates

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 3, 4 und 6)

(vgl. Rn. 109-118, 139-146)

13.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Einfrieren von Geldern – Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 – Anwendungsbereich – Bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts – Einbeziehung

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 3 Unterabs. 1; Rahmenbeschluss 2002/475/JI des Rates; Verordnung Nr. 2580/2001 des Rates)

(vgl. Rn. 122-124, 127-131, 134)

14.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Einfrieren von Geldern – Anwendungsbereich – Grundsatz der Selbstbestimmung – Unterscheidung zwischen den der Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung innewohnenden Zielen und den Handlungen zu ihrer Erreichung – Ermessen des Rates

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 3 Unterabs. 1 Ziff. i bis iii)

(vgl. Rn. 125, 126, 131, 133)

15.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Vorsorglicher Charakter der getroffenen Maßnahmen – Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen – Anwendbarkeit – Fehlen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 49 Abs. 1; Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates)

(vgl. Rn. 136)

16.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Aufrechterhaltung aufgrund eines nationalen Beschlusses – Nationaler Beschluss, der für sich allein nicht mehr die Schlussfolgerung erlaubt, dass die Gefahr einer Beteiligung an terroristischen Aktivitäten fortbesteht – Pflicht des Rates, neuere Tatsachen zu berücksichtigen, die das Fortbestehen dieser Gefahr belegen

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 4 und 6; Beschlüsse [GASP] 2019/25 des Rates und [GASP] 2019/1341 des Rates; Verordnungen Nr. 125/2014, Nr. 790/2014, 2015/513, 2015/1325, 2015/2425, 2016/1127, 2017/150 und 2017/1420 des Rates)

(vgl. Rn. 147-150, 158, 164, 166-168, 172, 175, 181, 184-186, 188, 196-198, 200, 202, 203, 253, 254, Tenor 1)

17.    Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Aufrechterhaltung aufgrund eines von einer zuständigen Behörde erlassenen nationalen Beschlusses – Umfang der Kontrolle – Kontrolle sämtlicher Angaben zum Beleg des Fortbestehens der Gefahr einer Beteiligung an terroristischen Aktivitäten – Angaben, von denen nicht alle einem innerstaatlichen Beschluss einer zuständigen Behörde entstammen – Keine Auswirkung

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 6)

(vgl. Rn. 154)

18.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Beschluss über das Einfrieren von Geldern – Recht auf Zugang zu Dokumenten – Recht, das einen entsprechenden Antrag an den Rat voraussetzt – Kein Verstoß

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates; Verordnung Nr. 2580/2001 des Rates)

(vgl. Rn. 165, 240)

19.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Einfrieren von Geldern einer an terroristischen Aktivitäten beteiligten Organisation – Beschränkungen des Eigentumsrechts, des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Versammlungsrechts – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Fehlen

(Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates; Beschlüsse [GASP] 2019/25 und [GASP] 2019/1341 des Rates; Verordnungen Nr. 2580/2001, 2015/513, 2015/1325, 2015/2425, 2016/1127, 2017/150 und 2017/1420 des Rates)

(vgl. Rn. 206-211, 214, 215)

20.    Nichtigkeitsklage – Nichtigkeitsurteil – Wirkungen – Verpflichtung, Durchführungsmaßnahmen zu erlassen – Umfang – Verpflichtung, die für nichtig erklärte Handlung nicht durch eine mit demselben Fehler behaftete Handlung zu ersetzen – Erstreckung dieser Verpflichtung auf spätere Handlungen

(Art. 266 AEUV; Satzung des Gerichtshofs, Art. 60 Abs. 2)

(vgl. Rn. 246-248)

21.    Gerichtliches Verfahren – Kosten – Ohne angemessenen Grund oder böswillig verursachte Kosten – Folgen der Missachtung der Pflicht, die Konsequenzen aus den in einem Nichtigkeitsurteil festgestellten Rechtsfehlern zu ziehen, durch den Rat – Verurteilung jeder Partei zur Tragung ihrer eigenen Kosten

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 133, Art. 134 Abs. 1 und 3, Art. 135 Abs. 2 und Art. 219)

(vgl. Rn. 251, 255-259)

Zusammenfassung

Die Kurdistan Workers’ Party (PKK) wurde im Jahr 2002 als an terroristischen Handlungen beteiligte Organisation in die Listen der Personen und Körperschaften, deren Gelder eingefroren werden, im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP und der Verordnung Nr. 2580/2001(1) aufgenommen. In Rechtsakten, die der Rat im Jahr 2014 in Bezug auf diese Organisation erließ, stützte er sich auf nationale Entscheidungen einer britischen Behörde und von amerikanischen Behörden, zu denen ab 2015 Entscheidungen französischer Gerichte hinzukamen.

Mit Urteil vom 22. April 2021, Rat/PKK (C‑46/19 P)(2), hat der Gerichtshof das Urteil des Gerichts vom 15. November 2018 in der Rechtssache PKK/Rat (T‑316/14)(3) aufgehoben, mit dem mehrere vom Rat der Europäischen Union zwischen 2014 und 2017 erlassene Rechtsakte(4), in denen die PKK auf den streitigen Listen belassen worden war, für nichtig erklärt worden waren. Die Rechtssache wurde an das Gericht zurückverwiesen (T‑316/14 RENV) und mit der Rechtssache PKK/Rat (T‑148/19) verbunden, in der die PKK die Nichtigerklärung weiterer vom Rat in den Jahren 2019 und 2020 gegen sie erlassenen Rechtsakte(5) begehrt.

Mit seinem Urteil in beiden Rechtssachen erklärt das Gericht die vom Rat im Jahr 2014 erlassenen Verordnungen in Bezug auf die Belassung der PKK auf den streitigen Listen mit der Begründung für nichtig, dass der Rat seine Pflicht verletzt hat, die Beurteilung des Fortbestehens der Gefahr einer Beteiligung der PKK an terroristischen Aktivitäten zu aktualisieren. Hinsichtlich der späteren Rechtsakte des Rates gelangt das Gericht hingegen zu dem Ergebnis, dass die von der Klägerin in Bezug auf die nationalen Entscheidungen amerikanischer und britischer Behörden geltend gemachten Klagegründe es nicht erlauben, die u. a. auf die Berücksichtigung späterer Vorfälle und Tatsachen gestützte Beurteilung des Rates in Bezug auf das Fortbestehen dieser Gefahr in Frage zu stellen. Dabei präzisiert das Gericht auch seine Rechtsprechung zur Tragweite von Art. 266 AEUV im Bereich restriktiver Maßnahmen.

Würdigung durch das Gericht

Das Gericht weist zunächst auf die Grundsätze hin, die nach dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP für den erstmaligen Erlass restriktiver Maßnahmen und ihre Überprüfung durch den Rat gelten(6). Da die Union nicht über Mittel verfügt, um selbst Nachforschungen anzustellen, findet das Verfahren, das zum erstmaligen Einfrieren von Geldern führen kann, auf zwei Ebenen statt: auf nationaler Ebene, indem eine zuständige nationale Behörde einen Beschluss gegenüber dem Betroffenen fasst, und auf europäischer Ebene, indem der Rat auf der Grundlage genauer Informationen bzw. der einschlägigen Akten, aus denen sich ergibt, dass ein solcher Beschluss auf nationaler Ebene gefasst wurde, beschließt, den Betroffenen in die fragliche Liste aufzunehmen. Mit dem Erfordernis eines solchen vorherigen Beschlusses soll festgestellt werden, ob es für die Beteiligung der betreffenden Person an terroristischen Aktivitäten ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien gibt, die von den nationalen Behörden als zuverlässig angesehen werden. Infolgedessen ist es nicht Sache des Rates, zu prüfen, ob sich der in den nationalen Verurteilungsbeschlüssen, auf denen die erstmalige Aufnahme beruhte, festgestellte Sachverhalt tatsächlich so ereignet hat und wem die Handlungen zuzuschreiben sind; die ihn insoweit treffende Beweislast hat daher einen relativ beschränkten Geltungsbereich.

Sodann führt das Gericht aus, dass bei jedem angefochtenen Rechtsakt danach zu unterscheiden ist, ob er auf Beschlüssen der zuständigen nationalen Behörden beruht, mit denen die erstmalige Aufnahme der Klägerin gerechtfertigt wurde, oder ob er sich auf spätere Beschlüsse dieser nationalen Behörden oder auf autonom vom Rat herangezogene Angaben stützt(7). Hinsichtlich der Angaben, auf die sich der Rat stützt, um bei der regelmäßigen Überprüfung der zuvor getroffenen Maßnahmen zu belegen, dass die Gefahr einer Beteiligung an terroristischen Aktivitäten fortbesteht(8), ist es somit im Bestreitensfall Sache des Rates, die Stichhaltigkeit der in den Rechtsakten über den Verbleib der betreffenden Körperschaft auf den Listen genannten Tatsachenfeststellungen nachzuweisen, und es obliegt dem Unionsrichter, deren inhaltliche Richtigkeit zu prüfen.

Zudem besteht für den Rat eine Begründungspflicht, sowohl was Vorfälle betrifft, die in den beim erstmaligen Erlass der fraglichen Rechtsakte berücksichtigten nationalen Beschlüssen festgestellt werden, als auch was Vorfälle betrifft, die in späteren nationalen Beschlüssen festgestellt werden, oder was Vorfälle betrifft, die vom Rat autonom berücksichtigt werden.

In Bezug auf die das Verbot der PKK betreffende Verfügung des Innenministers des Vereinigten Königreichs vom 29. März 2001 weist das Gericht darauf hin, dass eine solche Verfügung in seiner Rechtsprechung bereits als Beschluss einer „zuständigen Behörde“ im Sinne des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP eingestuft wurde, da der Gemeinsame Standpunkt die Berücksichtigung der Beschlüsse von Verwaltungsbehörden nicht ausschließt, wenn diese als den Justizbehörden „entsprechend“ angesehen werden können, weil gegen ihre Entscheidungen ein gerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, der sowohl tatsächliche als auch rechtliche Aspekte betrifft. Gegen Verfügungen des Innenministers des Vereinigten Königreichs kann nämlich ein Rechtsbehelf bei der Proscribed Organisations Appeal Commission (Beschwerdeausschuss für verbotene Organisationen) eingelegt werden, und ihre Entscheidungen sind bei einem Rechtsmittelgericht anfechtbar.

Im vorliegenden Fall stellt das Gericht im Anschluss an die Klarstellung, dass der Gemeinsame Standpunkt nicht verlangt, dass der fragliche Beschluss der zuständigen Behörde im Rahmen eines Strafverfahrens im engeren Sinne ergeht, fest, dass die Verfügung von 2001 im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus ergangen ist und zu einem nationalen Verfahren gehört, das auf die Verhängung präventiver oder repressiver Maßnahmen gegen die PKK abzielt. Die angefochtenen Rechtsakte erfüllen daher die insoweit im Gemeinsamen Standpunkt aufgestellten Voraussetzungen(9).

Dagegen war es Sache des Rates, die von der zuständigen nationalen Behörde vorgenommene Einstufung der Tatsachen daraufhin zu überprüfen, ob die von ihr herangezogenen Handlungen der Definition der terroristischen Handlung im Gemeinsamen Standpunkt entsprechen. Insoweit genügt der Hinweis in den vom Rat zur Stützung der angefochtenen Rechtsakte angenommenen Begründungen, dass er geprüft habe, ob die Gründe für die Beschlüsse der zuständigen nationalen Behörden unter die Definition des Terrorismus im Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP fielen. Diese Prüfungspflicht betrifft aber nur Vorfälle, die in Beschlüssen der nationalen Behörden herangezogen werden, auf denen die erstmalige Aufnahme der betreffenden Körperschaft in die Liste beruht. Der Rat muss nämlich, wenn er den Namen einer Körperschaft im Rahmen einer regelmäßigen Überprüfung(10) auf den Listen betreffend das Einfrieren von Geldern belässt, nur nachweisen, dass weiterhin die Gefahr einer Beteiligung der Körperschaft an solchen Handlungen besteht.

Im Rahmen dieser Überprüfung hat der Rat zu klären, ob sich seit der erstmaligen Aufnahme des Namens der betreffenden Person oder Körperschaft die Sachlage hinsichtlich ihrer Beteiligung an terroristischen Aktivitäten geändert hat und ob insbesondere der nationale Beschluss wegen neuer Tatsachen oder einer geänderten Bewertung durch die zuständige nationale Behörde aufgehoben oder zurückgenommen wurde. Dabei kann es sein, dass die bloße Tatsache, dass der nationale Beschluss, der als Grundlage für die erstmalige Aufnahme in die Liste diente, weiter in Kraft ist, in Anbetracht der verstrichenen Zeit und aufgrund der veränderten Umstände des konkreten Falles nicht ausreicht, um auf das Fortbestehen der Gefahr zu schließen. In einer solchen Situation ist der Rat verpflichtet, die Aufrechterhaltung der restriktiven Maßnahmen auf eine aktualisierte Beurteilung der Situation zu stützen, die das Fortbestehen der Gefahr belegt. Dabei kann sich der Rat auf Informationen aus jüngerer Zeit stützen, die nicht nur den nationalen Beschlüssen zuständiger Behörden, sondern auch anderen Quellen, etwa seinen eigenen Beurteilungen, entstammen können.

In solchen Fällen muss der Unionsrichter prüfen, ob die Begründungspflicht eingehalten wurde, d. h., ob die für die Belassung auf den Listen betreffend das Einfrieren von Geldern angeführten Gründe hinreichend präzise und konkret sind und, im Rahmen der Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit, ob sie belegt werden und auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruhen. Unabhängig davon, ob diese Angaben einem innerstaatlichen Beschluss einer zuständigen Behörde oder anderen Quellen entstammen, obliegt es somit im Bestreitensfall dem Rat, die Stichhaltigkeit der festgestellten Tatsachen nachzuweisen, und dem Unionsrichter, ihre inhaltliche Richtigkeit zu prüfen.

Schließlich weist das Gericht in Bezug auf Art. 266 AEUV, auf den sich die PKK nur in der Rechtssache T‑148/19 berufen hat und der vorschreibt, dass das Organ, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, die sich aus dem Nichtigkeitsurteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen hat(11), darauf hin, dass diese Verpflichtung ab der Verkündung des Urteils, mit dem ein Beschluss für nichtig erklärt wird, besteht, anders als bei einem Urteil, mit dem eine Verordnung für nichtig erklärt wird(12). Als der Rat die die PKK betreffenden Beschlüsse von 2019 erließ, musste er somit entweder die PKK von der Liste streichen oder sie durch einen mit den Gründen des Urteils vom 15. November 2018 (T‑316/14) im Einklang stehenden Rechtsakt wieder in die Listen aufnehmen. Ohne eine solche Pflicht würde die Nichtigerklärung durch den Unionsrichter nämlich ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt.

Hierzu führt das Gericht aus, dass der Rat in den Beschlüssen von 2019 die in den Rechtsakten von 2015 bis 2017 enthaltenen Gründe, die im Urteil vom 15. November 2018 beanstandet worden waren, reproduziert hat. Der Rat hat gegen dieses Urteil zwar ein Rechtsmittel ohne aufschiebende Wirkung eingelegt, doch ist eine solche Weigerung des Rates, die Konsequenzen aus der Rechtskraft zu ziehen, geeignet, das Vertrauen der Rechtsunterworfenen in die Beachtung gerichtlicher Entscheidungen zu untergraben. Da das Urteil vom 15. November 2018 (T‑316/14) durch das Urteil des Gerichtshofs vom 22. April 2021 (C‑46/19 P) u. a. insoweit aufgehoben wurde, als darin die Rechtsakte von 2015 bis 2017 für nichtig erklärt worden waren, kann angesichts der Rückwirkung dieser Aufhebung durch den Gerichtshof der Verstoß des Rates gegen seine Verpflichtungen jedoch nicht zur Nichtigerklärung der Beschlüsse von 2019 führen. Den Umstand, dass die Klägerin gleichwohl davon ausgehen durfte, zur Erhebung der Klage in der Rechtssache T‑148/19 berechtigt zu sein, berücksichtigt das Gericht im Rahmen seiner Kostenentscheidung.

Nach alledem kommt das Gericht in Bezug auf die regelmäßige Überprüfung durch den Rat(13) zu dem Ergebnis, dass er bei den Rechtsakten von 2014 seine Pflicht verletzt hat, die Beurteilung des Fortbestehens der Gefahr einer Beteiligung der PKK an terroristischen Aktivitäten zu aktualisieren. Das Gericht erklärt daher die Durchführungsverordnungen Nr. 125/2014 und Nr. 790/2014 des Rates in der Rechtssache T‑316/14 RENV für nichtig. Was die späteren Rechtsakte von 2015 bis 2017 und die Beschlüsse von 2019 angeht, kommt das Gericht hingegen zu dem Ergebnis, dass die von der Klägerin geltend gemachten Klagegründe es nicht erlauben, die Beurteilung des Rates hinsichtlich des Fortbestehens der Gefahr einer Beteiligung der PKK an terroristischen Aktivitäten in Frage zu stellen, die weiterhin wirksam auf die Fortgeltung der Verfügung des Innenministers des Vereinigten Königreichs sowie auf weitere spätere Vorfälle gestützt ist. Daher weist das Gericht die Klage in der Rechtssache T‑316/14 RENV im Übrigen sowie die Klage in der Rechtssache T‑148/19 in vollem Umfang ab.


1      Gemeinsamer Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. 2001, L 344, S. 93) und Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. 2001, L 344, S. 70). Diese Rechtsakte sind fortlaufend aktualisiert worden.


2      Urteil vom 22. April 2021, Rat/PKK (C‑46/19 P, EU:T:2021:316).


3      Urteil vom 15. November 2018, PKK/Rat (T‑316/14, EU:T:2018:788).


4      Durchführungsverordnung (EU) Nr. 125/2014 des Rates vom 10. Februar 2014 (ABl. 2014, L 40, S. 9); Durchführungsverordnung (EU) Nr. 790/2014 des Rates vom 22. Juli 2014 (ABl. 2014, L 217, S. 1); Beschluss (GASP) 2015/521 des Rates vom 26. März 2015 (ABl. 2015, L 82, S. 107); Durchführungsverordnung (EU) 2015/513 des Rates vom 26. März 2015 (ABl. 2015, L 82, S. 1); Beschluss (GASP) 2015/1334 des Rates vom 31. Juli 2015 (ABl. 2015, L 206, S. 61); Durchführungsverordnung (EU) 2015/1325 des Rates vom 31. Juli 2015 (ABl. 2015, L 206, S. 12); Durchführungsverordnung (EU) 2015/2425 des Rates vom 21. Dezember 2015 (ABl. 2015, L 334, S. 1); Durchführungsverordnung (EU) 2016/1127 des Rates vom 12. Juli 2016 (ABl. 2016, L 188, S. 1); Durchführungsverordnung (EU) 2017/150 des Rates vom 27. Januar 2017 (ABl. 2017, L 23, S. 3); Beschluss (GASP) 2017/1426 des Rates vom 4. August 2017 (ABl. 2017, L 204, S. 95); Durchführungsverordnung (EU) 2017/1420 des Rates vom 4. August 2017 (ABl. 2017, L 204, S. 3).


5      Beschluss (GASP) 2019/25 des Rates vom 8. Januar 2019 (ABl. 2019, L 6, S. 6); Beschluss (GASP) 2019/1341 des Rates vom 8. August 2019 (ABl. 2019, L 209, S. 15); Durchführungsverordnung (EU) 2019/1337 des Rates vom 8. August 2019 (ABl. 2019, L 209, S. 1); Durchführungsverordnung (EU) 2020/19 des Rates vom 13. Januar 2020 (ABl. 2020, L 81, S. 1); Beschluss (GASP) 2020/1132 des Rates vom 30. Juli 2020 (ABl. 2020, L 247, S. 18); Durchführungsverordnung (EU) 2020/1128 des Rates vom 30. Juli 2020 (ABl. 2020, L 247, S. 1).


6      Vgl. Art. 1 Abs. 4 und 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP.


7      Für diese beiden Fallgruppen gelten unterschiedliche Bestimmungen des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP: Erstere fallen unter dessen Art. 1 Abs. 4, Letztere unter Art. 1 Abs. 6.


8      Vgl. Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP.


9      Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP.


10      Gemäß Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP.


11      Art. 266 AEUV lautet: „Die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen, denen das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt oder deren Untätigkeit als vertragswidrig erklärt worden ist, haben die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Diese Verpflichtung besteht unbeschadet der Verpflichtungen, die sich aus der Anwendung des Artikels 340 Absatz 2 ergeben.“


12      Nach Art. 60 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union werden Urteile, mit denen Verordnungen für nichtig erklärt werden, erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist oder nach Zurückweisung des Rechtsmittels wirksam.


13      Gemäß Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP.