Language of document : ECLI:EU:C:2023:798

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 19. Oktober 2023(1)

Verbundene Rechtssachen C395/22 und C428/22

„Trade Express-L“ OOD (C395/22),

„DEVNIA TSIMENT“ AD (C428/22)

gegen

Zamestnik-predsedatel na Darzhavna agentsia „Darzhaven rezerv i voennovremenni zapasi“

(Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad – Varna [Verwaltungsgericht Varna, Bulgarien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Energie – Richtlinie 2009/119/EG – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an Erdöl oder Erdölerzeugnissen zu halten – Bevorratung – Verordnung (EG) Nr. 1099/2008 – Nationale Rechtsvorschriften, die die Unternehmen zur Schaffung von Sicherheitsvorräten verpflichten – Verpflichtung, einen Vorrat an einem Erdölerzeugnis anzulegen und zu halten, das weder verwendet wird noch mit der wirtschaftlichen Tätigkeit dieses Unternehmens in Zusammenhang steht“






I.      Einleitung

1.        Kann ein Unternehmen, das eine bestimmte Art von Erdölerzeugnis einführt, gemäß Art. 3 der Richtlinie 2009/119/EG(2)verpflichtet werden, einen Vorrat an einer anderen Art von Erdölerzeugnis zu schaffen, und, wenn ja, wie weit reicht diese Verpflichtung?

2.        Dies sind im Wesentlichen die Fragen, die uns vom Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna, Bulgarien) vorgelegt worden sind und mit denen der Gerichtshof aufgefordert wird, erstmals(3) die Richtlinie 2009/119 auszulegen, um den Spielraum zu bestimmen, den die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Umsetzung ihrer Verpflichtung zur Haltung von Sicherheitsvorräten haben. Im Einzelnen betreffen die beiden Vorabentscheidungsersuchen zum einen die Auslegung des 33. Erwägungsgrundes, von Art. 1, Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j sowie von Art. 3 und Art. 8 der Richtlinie 2009/119 (im Folgenden: einschlägige Bestimmungen der Richtlinie 2009/119) und zum anderen die Auslegung von Art. 17 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) andererseits.

3.        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen „Trade Express-L“ OOD (im Folgenden: Trade Express) (Rechtssache C‑395/22) und „DEVNIA TSIMENT“ AD (im Folgenden: Devnia Tsiment) (Rechtssache C‑428/22) einerseits und dem Zamestnik-predsedatel na Darzhavna agentsia „Darzhaven rezerv i voennovremenni zapasi“ (Vizepräsident der Staatlichen Agentur „Staatsreserven und Kriegsvorräte“, Bulgarien, im Folgenden: Vizepräsident der Staatlichen Agentur) andererseits über die Rechtmäßigkeit seiner Anordnungen zur Schaffung und Haltung von Sicherheitsvorräten an schwerem Heizöl durch diese beiden Unternehmen.

4.        Nach bulgarischem Recht ist jedes Unternehmen, das in einem bestimmten Jahr Energieprodukte eingeführt hat, verpflichtet, Sicherheitsvorräte zu schaffen. Diese Vorschriften beschränken die Arten von Produkten für Sicherheitsvorräte auf Erdöl und vier Arten von Erdölerzeugnissen. Im vorliegenden Fall führten die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens jeweils zwei Arten von Erzeugnissen nach Bulgarien ein, die unter „Öl (Rohöl und Mineralölprodukte)“ gemäß der Definition in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008(4) fallen, nämlich Petrolkoks und Schmieröle. Aufgrund dieser Einfuhren wurden die Klägerinnen verpflichtet, auf eigene Kosten und in eigenem Namen für die Dauer eines Jahres bestimmte Sicherheitsvorräte an einem anderen Erdölprodukt, nämlich schwerem Heizöl, zu schaffen. Vor dem vorlegenden Gericht widersprechen sie im Wesentlichen dieser Verpflichtung und machen geltend, dass sie keine wirtschaftliche Tätigkeit mit schwerem Heizöl ausübten und dass die Verpflichtung, einen Sicherheitsvorrat dieses Erzeugnisses zu schaffen, für sie eine unangemessene finanzielle Belastung bedeute, die sowohl den Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 als auch der Charta zuwiderlaufe.

5.        In diesem für die Republik Bulgarien eigenen Regelungskontext(5) muss der Gerichtshof beurteilen, welche Befugnisse die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Arten von Produkten für die Sicherheitsvorräte haben und unter welchen Bedingungen sie den Unternehmen die Pflicht zur Schaffung solcher Vorräte auferlegen können.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinien 68/414, 2006/67 und 2009/119

6.        Die ersten Vorschriften zur Regelung der Sicherheitsvorräte an Erdöl oder Erdölerzeugnissen wurden mit der Richtlinie 68/414(6) eingeführt, die zuletzt durch die Richtlinie 98/93/EG des Rates vom 14. Dezember 1998(7) geändert und später durch die Richtlinie 2006/67(8) aufgehoben wurde. Die Richtlinie 2006/67 wurde ihrerseits durch die Richtlinie 2009/119 aufgehoben. Die letztgenannte Richtlinie ist derzeit in Kraft und in zeitlicher Hinsicht auf die Ausgangsverfahren anwendbar.

7.        In den Erwägungsgründen 2, 5, 8, 10, 11 und 33 der Richtlinie 2009/119 heißt es:

„(2)      Durch die zunehmende Konzentration der Förderung, den Rückgang der Erdölreserven und den wachsenden Verbrauch an Erdölerzeugnissen weltweit erhöht sich das Risiko von Versorgungsproblemen.

(5)      Gemäß der [Richtlinie von 2006] werden die Vorräte auf der Grundlage des Tagesdurchschnitts des Inlandsverbrauchs des vorhergehenden Kalenderjahres bestimmt. Die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen über ein Internationales Energieprogramm vom 18. November 1974 (im Folgenden als ‚IEA-Übereinkommen‘ bezeichnet) werden jedoch anhand der Nettoeinfuhren von Erdöl und Erdölerzeugnissen berechnet. Aus diesem Grund und aufgrund anderer methodischer Abweichungen sollten die Methoden zur Berechnung der Bevorratungsverpflichtungen und der Sicherheitsvorräte der Gemeinschaft an die Berechnungsmethoden nach dem IEA-Übereinkommen angeglichen werden …

(8)      Die Verfügbarkeit der Erdölvorräte und die Gewährleistung der Energieversorgung sind für die öffentliche Sicherheit der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft von größter Bedeutung. Zentrale Bevorratungsstellen (im Folgenden als ‚ZBS‘ bezeichnet) in der Gemeinschaft erleichtern es, diese Ziele zu erreichen. …

(10)      Erdölvorräte sollten überall in der Gemeinschaft gehalten werden können, sofern gebührend darauf geachtet wird, dass sie physisch zugänglich sind. Daher sollten Unternehmen mit Bevorratungsverpflichtungen diesen durch Übertragung auf andere Unternehmen oder eine der zentralen Bevorratungsstellen nachkommen können. Ferner wird das Risiko diskriminierender Praktiken auf nationaler Ebene geringer, wenn diese Verpflichtungen für eine Vergütung, die nicht über die Kosten der erbrachten Dienstleistungen hinausgehen, auf eine frei wählbare ZBS auf dem Gebiet der Gemeinschaft übertragen werden können.

(11)      Die Mitgliedstaaten sollten die unbedingte Verfügbarkeit aller Vorräte sicherstellen, die nach Gemeinschaftsrecht gehalten werden müssen. Damit diese Verfügbarkeit gesichert ist, dürfen die Eigentumsrechte an den Vorräten nicht in einer Weise eingeschränkt oder begrenzt werden, die ihre Nutzung im Falle einer Unterbrechung der Erdölversorgung behindern könnte. Erdölerzeugnisse von Unternehmen, die einem beträchtlichen Risiko der Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen ausgesetzt sind, sollten nicht berücksichtigt werden. Werden Unternehmen Bevorratungsverpflichtungen auferlegt, so könnte die Einleitung eines Insolvenz- oder Vergleichsverfahrens auf die Existenz eines solchen Risikos hinweisen.

(33)      Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich unter Berücksichtigung der Regeln des Binnenmarktes und des Wettbewerbs eine hohe Sicherheit bei der Erdölversorgung in der Gemeinschaft durch sichere und transparente Systeme, die auf der Solidarität der Mitgliedstaaten beruhen, zu gewährleisten, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und damit wegen des Umfangs und der Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. …“

8.        In Art. 1 („Zweck“) der Richtlinie heißt es:

„Mit dieser Richtlinie werden Regeln festgelegt, mit denen durch zuverlässige und transparente Mechanismen, die auf der Solidarität der Mitgliedstaaten beruhen, ein hohes Maß an Sicherheit bei der Erdölversorgung in der Gemeinschaft gewährleistet werden soll, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen sichergestellt werden sollen und Verfahren vorgesehen werden sollen, um gegebenenfalls einer starken Verknappung zu begegnen.“

9.        Art. 2 Abs. 1 Buchst. f, i, j und l der genannten Richtlinie enthalten die folgenden Begriffsbestimmungen:

„f)      ‚zentrale Bevorratungsstelle‘(ZBS): Stelle oder Dienst, auf die/den Befugnisse übertragen werden können, so dass sie/er agieren kann, um Ölvorräte, einschließlich Sicherheitsvorräten und spezifischer Vorräte, zu erwerben, zu halten oder zu verkaufen;

i)      ‚Erdölvorräte‘: Vorräte an Energieprodukten gemäß der Liste in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008;

j)      ‚Sicherheitsvorräte‘: Erdölvorräte, die gemäß Artikel 3 in jedem Mitgliedstaat zu halten sind;

l)      ‚spezifische Vorräte‘: Erdölvorräte, die die Bedingungen des Artikels 9 erfüllen“.

10.      Art. 3 („Sicherheitsvorräte – Berechnung der Bevorratungsverpflichtungen“) der Richtlinie sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten erlassen geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um spätestens bis zum 31. Dezember 2012 zu gewährleisten, dass zu ihren Gunsten im Gebiet der Gemeinschaft ständig Erdölvorräte gehalten werden, die insgesamt mindestens den täglichen Durchschnittsnettoeinfuhren für 90 Tage oder dem täglichen durchschnittlichen Inlandsverbrauch für 61 Tage entsprechen, je nachdem, welche Menge größer ist.

(2)      Die zu berücksichtigenden täglichen Durchschnittsnettoeinfuhren werden anhand des Rohöläquivalents der Einfuhren im vorhergehenden Kalenderjahr berechnet, das nach der Methode und den Verfahren in Anhang I bestimmt wird.

Der zu berücksichtigende tägliche durchschnittliche Inlandsverbrauch wird anhand des Rohöläquivalents des Inlandsverbrauchs im vorhergehenden Kalenderjahr berechnet, das nach der Methode und den Verfahren in Anhang II ermittelt und berechnet wird.

(3)      Ungeachtet des Absatzes 2 werden die in Absatz 2 genannten täglichen Durchschnittsnettoeinfuhren und der tägliche durchschnittliche Inlandsverbrauch für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni jedes Kalenderjahres jedoch auf der Grundlage der Einfuhr- und Verbrauchsmengen des vorletzten Jahres vor dem betreffenden Kalenderjahr bestimmt.

(4)      Die in diesem Artikel genannten Methoden und Verfahren zur Berechnung der Bevorratungsverpflichtungen können nach dem in Artikel 23 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren geändert werden.“

11.      In Art. 4 („Berechnung der gehaltenen Vorratsmengen“) Abs. 1 der Richtlinie 2009/119 heißt es: „Die gehaltenen Vorratsmengen werden entsprechend den Methoden in Anhang III berechnet. …“

12.      Art. 7 („Zentrale Bevorratungsstellen“) der Richtlinie legt in den Abs. 1 und 2 fest:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können zentrale Bevorratungsstellen einrichten. …

(2)      Hauptaufgabe der ZBS ist der Erwerb, die Haltung und der Verkauf von Erdölvorräten für die Zwecke dieser Richtlinie oder zur Erfüllung internationaler Vereinbarungen über das Halten von Erdölvorräten. Die ZBS ist die einzige Einrichtung bzw. der einzige Dienst, auf die/den Befugnisse übertragen werden können, so dass sie/er spezifische Vorräte erwerben und verkaufen kann.“

13.      Art. 8 („Unternehmen“) der genannten Richtlinie sieht vor:

« (1)      Jeder Mitgliedstaat gewährleistet, dass das Unternehmen, dem er Bevorratungsverpflichtungen auferlegt, um seinen Verpflichtungen aus Artikel 3 nachzukommen, das Recht erhält, diese Verpflichtungen zumindest teilweise und nach seinem Ermessen zu übertragen, jedoch nur

a)      der ZBS des Mitgliedstaats, in dessen Namen die betreffenden Vorräte gehalten werden,

b)      einer oder mehreren anderen ZBS, die sich im Voraus bereit erklärt haben, diese Vorräte zu halten, sofern diese Übertragungen im Voraus sowohl von dem Mitgliedstaat, in dessen Namen die betreffenden Vorräte gehalten werden, als auch von allen Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet die Vorräte gehalten werden, genehmigt wurden,

c)      anderen Unternehmen mit überschüssigen Vorräten oder verfügbaren Bevorratungskapazitäten außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats, in dessen Namen die betreffenden Vorräte innerhalb der Gemeinschaft gehalten werden, sofern diese Übertragung im Voraus sowohl von dem Mitgliedstaat, in dessen Namen die betreffenden Vorräte gehalten werden, als auch von allen Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet die Vorräte gehalten werden, genehmigt wurde, und/oder

d)      anderen Unternehmen mit überschüssigen Vorräten oder verfügbaren Bevorratungskapazitäten innerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats, in dessen Namen die betreffenden Vorräte gehalten werden, sofern diese Übertragung im Voraus dem betreffenden Mitgliedstaat gemeldet wurde. Die Mitgliedstaaten können Begrenzungen oder Auflagen für diese Übertragungen festlegen.

Die gemäß den Buchstaben c und d übertragenen Verpflichtungen können nicht weiterübertragen werden. Eine Änderung oder Ausweitung einer Übertragung nach den Buchstaben b und c wird nur wirksam, wenn sie im Voraus von allen Mitgliedstaaten, die die Übertragung genehmigt haben, genehmigt wird. Jede Änderung oder Erweiterung einer der in Buchstabe d aufgeführten Übertragungen wird als neue Übertragung behandelt.

(2)      Jeder Mitgliedstaat kann das Übertragungsrecht der Unternehmen, denen er Bevorratungsverpflichtungen auferlegt oder auferlegt hat, beschränken. …

(3)      Unbeschadet der Absätze 1 und 2 kann ein Mitgliedstaat ein Unternehmen verpflichten, zumindest einen Teil seiner Bevorratungsverpflichtung der ZBS dieses Mitgliedstaats zu übertragen.

(4)      Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um die Unternehmen spätestens 200 Tage vor Beginn des Zeitraums, für den die Bevorratungsverpflichtungen gelten, über die Methoden für die Berechnung der ihnen auferlegten Bevorratungsverpflichtungen zu unterrichten. Die Unternehmen üben ihr Recht, Bevorratungsverpflichtungen an ZBS zu übertragen, spätestens 170 Tage vor Beginn des Zeitraums, für den die betreffende Verpflichtung gilt, aus. …“

14.      Art. 9 („Spezifische Vorräte“) der Richtlinie bestimmt in den Abs. 1 und 5:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat kann sich verpflichten, als Anzahl von Verbrauchstagen festgelegte Mindestvorräte an Erdöl zu halten, die die Bedingungen dieses Artikels erfüllen. …

(5)      Jeder Mitgliedstaat, der sich nicht für den vollen Zeitraum eines gegebenen Kalenderjahres verpflichtet hat, spezifische Vorräte für mindestens 30 Tage zu halten, stellt sicher, dass mindestens ein Drittel seiner Bevorratungsverpflichtungen in Form von Erzeugnissen gehalten wird, die sich nach den Absätzen 2 und 3 zusammensetzen. …“

15.      Anhang III der Richtlinie 2009/119 legt die „Methoden zur Berechnung der gehaltenen Vorratsmengen“ fest. In den Abs. 3, 5, 6 und 7 heißt es:

„Rohölvorräte werden um einen mittleren Naphtha-Ertrag von 4 % verringert.

Die übrigen Erdölerzeugnisse werden nach einer der beiden folgenden Methoden in die Berechnung einbezogen. Die Mitgliedstaaten müssen die gewählte Methode während des gesamten Kalenderjahres beibehalten.

Die Mitgliedstaaten können

a)      sämtliche sonstigen Vorräte an Erdölerzeugnissen gemäß Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008 berücksichtigen und deren Rohöläquivalent durch Multiplikation der Mengen mit dem Faktor 1,065 ermitteln oder

b)      bei der Berechnung nur die Vorräte an Motorenbenzin, Flugbenzin, Flugturbinenkraftstoff (auf Naphthabasis oder JP4), Flugturbinenkraftstoff auf Petroleumbasis, sonstigem Kerosin, Dieselöl/Gasöl (destilliertes Heizöl) und Heizöl (mit hohem oder niedrigem Schwefelgehalt) berücksichtigen und deren Rohöläquivalent durch Multiplikation der Mengen mit dem Faktor 1,2 ermitteln.

Bei der Berechnung der Vorräte können Bestände berücksichtigt werden, die

–        in Vorratsbehältern von Raffinerien,

–        in Umschlaglagern für nicht abgefülltes Öl,

–        in Tanklagern an Rohrleitungen,

–        auf Leichtern,

–        auf Küstentankschiffen,

–        auf Tankschiffen in Häfen,

–        in Bunkern von Binnenschiffen,

–        in Form von Tankbodenbeständen,

–        als Betriebsvorräte oder

–        von Großverbrauchern aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen oder sonstiger behördlicher Anordnungen gehalten werden.

…“

2.      Verordnung Nr. 1099/2008

16.      Art. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 1099/2008 definiert den Begriff „Energieprodukte“ für die Zwecke dieser Verordnung als „Brennstoffe, Wärme, Energie aus erneuerbaren Quellen, Elektrizität oder Energie in jeder anderen Form“.

17.      Anhang A der Verordnung enthält „Erläuterungen zur Terminologie“. Kapitel 3.4 dieses Anhangs bestimmt den Begriff „Öl (Rohöl und Mineralölprodukte)“.

18.      In Nr. 3.4.20 des genannten Anhangs wird der Begriff „Schmierstoffe“ wie folgt definiert:

„Aus Destillationsnebenprodukten gewonnene Kohlenwasserstoffe. Sie werden vor allem zur Verringerung der Reibung zwischen aufeinander gleitenden Flächen eingesetzt. Einschließlich fertiger Schmieröle vom Spindelöl bis zum Zylinderöl, der in Schmierfetten enthaltenen Öle, auch Motoröle, und aller Arten von Rohstoffen für Schmieröle.“

19.      Nr. 3.4.23 des Anhangs enthält die folgende Definition des Begriffs „Petrolkoks“:

„Petrolkoks ist ein schwarzes festes Nebenprodukt, das vor allem beim Cracken und Verkoken von Mineralöl-Halbfertigerzeugnissen, Rückständen aus der Vakuumdestillation und bei der Herstellung von Teer und Teerpechen mit verzögerter Verkokung oder nach dem Fließkoksverfahren anfällt. Er besteht hauptsächlich (zu 90 % bis 95 %) aus Kohlenstoff und hat einen geringen Aschegehalt. Er wird in der Stahlindustrie als Ausgangsstoff in Koksöfen verwendet, aber auch zu Heizzwecken, für die Elektrodenherstellung und zur Herstellung von Chemikalien. Die wichtigsten Formen sind Grünkoks und kalzinierter Koks. Umfasst auch „Katalysatorkoks“, der sich während der Raffinierprozesse auf dem Katalysator ablagert; dieser Koks kann nicht zurückgewonnen werden und wird in der Regel als Raffineriebrennstoff verwendet.“

B.      Bulgarisches Recht

20.      Das zakon za zapasite ot neft i neftoprodukti (Gesetz über die Vorräte an Erdöl und Erdölerzeugnissen) vom 15. Februar 2013(9) (im Folgenden: ZZNN), mit dem die Richtlinie 2009/119 in bulgarisches Recht umgesetzt wurde, legt in Art. 1 Abs. 1 fest, dass „das [ZZNN] die Schaffung, Haltung, Erneuerung, Verwendung und Auffüllung von Sicherheitsvorräten an Erdöl und spezifischen Vorräten an Erdölerzeugnissen regelt und die erforderlichen Verfahren vorsieht, um einer starken Verknappung zu begegnen“.

21.      In Art. 2 Abs. 1 und 4 ZZNN heißt es:

„(1)      Nach diesem Gesetz werden Sicherheitsvorräte an Erdöl und den nachstehend aufgeführten Kategorien von Erdölerzeugnissen geschaffen, gehalten, erneuert, verwendet, aufgefüllt und kontrolliert: 1. Motorenbenzin; 2. Gasöle, kerosinartige Flugturbinenkraftstoffe und Dieselkraftstoff; 3. schweres Heizöl; 4. Flüssiggas.

(4)      Dieses Gesetz gilt für Energieprodukte nach Anhang A Kapitel 3.4 der [Verordnung Nr. 1099/2008] sowie für schwere Brennstoffe, es sei denn, sie werden im Inland in Industrieverpackungen mit einem Nettogewicht von bis zu 1 kg geliefert.“

22.      Art. 3 Abs. 4 ZZNN sieht vor:

„Die verpflichteten Personen veranlassen und finanzieren auf eigene Rechnung und aus eigenen Mitteln die Schaffung, Haltung, Erneuerung und Auffüllung der ihnen vorgeschriebenen Sicherheitsvorräte.“

23.      In Art. 21 Abs. 1 und 11 ZZNN heißt es:

„(1)      Sicherheitsvorräte können in Form von Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen gemäß Artikel 2 Absatz 1 gehalten werden.

(11)      Die auf der Grundlage der Nettoeinfuhren und der innergemeinschaftlichen Eingänge oder des durchschnittlichen täglichen Verbrauchs ermittelten Sicherheitsvorräte an schwerem Heizöl können bis zu 100 % in Form von Gasöl, Autobenzin und/oder Kraftstoff für Dieselmotoren geschaffen und gehalten werden, wobei die Menge der Vorratsmenge an schwerem Heizöl entsprechen muss, für die die Ersetzung gefordert ist.“

III. Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

24.      Trade Express, die Klägerin des Ausgangsverfahrens in dem Rechtsstreit, der der Rechtssache C‑395/22 zugrunde liegt, meldete in Bulgarien innergemeinschaftliche Erwerbe von 89,6 Tonnen Schmierölen im Jahr 2020 an. Diese Schmieröle, die unter Nr. 3.4.20 in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 fallen, waren für den Verkauf bestimmt. Im selben Jahr übte Trade Express keine anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten aus, die andere Arten von Produkten gemäß demselben Anhang betrafen.

25.      Devnia Tsiment, die Klägerin des Ausgangsverfahrens in dem Rechtsstreit, der der Rechtssache C‑428/22 zugrunde liegt, erklärte, dass sie im Jahr 2020 34 657,39 Tonnen Petrolkoks nach Bulgarien importiert habe. Dieser Petrolkoks, der unter Nr. 3.4.23 von Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 fällt, wurde in einem mineralogischen Verfahren zur Herstellung von Zementklinker verwendet. Im selben Jahr übte Devnia Tsiment keine wirtschaftlichen Tätigkeiten aus, die andere Arten von Produkten gemäß diesem Anhang betrafen.

26.      Aufgrund dieser Geschäftstätigkeiten erließ der Vizepräsident der Staatlichen Agentur zwei Anordnungen vom 28. und 29. April 2021 (im Folgenden zusammen: die streitigen Anordnungen), mit denen Devnia Tsiment und Trade Express verpflichtet wurden, auf eigene Rechnung und mit eigenen Mitteln für den Zeitraum vom 1. Juli 2021 bis zum 30. Juni 2022 Sicherheitsvorräte an schwerem Heizöl zu schaffen und zu halten. Devnia Tsiment wurde angewiesen, einen Vorrat von 7 806,058 Tonnen zu schaffen und zu halten, und an Trade Express erging eine entsprechende Anordnung für 15,947 Tonnen.

27.      Beide Gesellschaften fochten beim Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna), dem vorlegenden Gericht in den vorliegenden Rechtssachen, die gegen sie ergangenen Anordnungen an. Sie bestreiten die Rechtmäßigkeit der streitigen Anordnungen und machen im Wesentlichen geltend, dass die nationale Rechtsvorschrift mit der Richtlinie 2009/119 insofern unvereinbar sei, als sie Unternehmen eine Verpflichtung auferlege, Sicherheitsvorräte an anderen Erdölerzeugnissen als denjenigen zu schaffen, die Gegenstand ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten seien(10).

28.      Das genannte Gericht stellt fest, dass Devnia Tsiment und Trade Express im Jahr 2020 keine wirtschaftliche Tätigkeit unter Verwendung der in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufgeführten Arten von Produkten außer Petrolkoks bzw. Schmierölen ausgeübt hätten und auch heute noch nicht ausübten. Es weist darauf hin, dass diese Unternehmen weder über die vom Vizepräsidenten der Staatlichen Agentur geforderten Sicherheitsvorräte an schwerem Heizöl noch über ein Lager zur Aufbewahrung solcher Vorräte verfügten, so dass sie nicht als „Lagerhalter“ von Erdölerzeugnissen im Sinne des ZZNN anzusehen seien. Die Schaffung und Lagerung der Sicherheitsvorräte bedeute daher einerseits eine erhebliche finanzielle Belastung für diese Unternehmen, da sie gezwungen seien, entweder die geforderten Mengen an Sicherheitsvorräten schweren Heizöls zu erwerben oder für ihre Verpflichtungen gegen Bezahlung andere Unternehmen einstehen zu lassen, und erfordere andererseits eine Verfahrensfrist, um das Verfahren zur Registrierung eines Lagers für Erdölerzeugnisse durchzuführen.

29.      Das genannte Gericht verweist auf ähnliche Fälle wie die der Ausgangsverfahren, in denen der Varhoven administrativen sad (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Bulgarien) Klagen von Gesellschaften, die Petrolkoks oder Schmieröle eingeführt oder innergemeinschaftlich erworben hätten, gegen Anordnungen, mit denen sie zur Schaffung von Reservevorräten an schwerem Heizöl verpflichtet worden seien, abgewiesen habe(11).

30.      Das vorlegende Gericht hegt jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 in Verbindung mit der Charta.

31.      Nach Ansicht dieses Gerichts ergibt sich nämlich im Wesentlichen aus dem 33. Erwägungsgrund, aus Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j sowie aus den Art. 3 und 8 der Richtlinie 2009/119, dass diese das Ziel verfolge, Sicherheitsvorräte für alle in Anhang A Kapitel 3.4 („Öl [Rohöl und Mineralölprodukte]“) der Verordnung Nr. 1099/2008 genannten Erzeugnisse, d. h. alle 24 Untergruppen dieser Erzeugnisse und nicht nur einiger von ihnen, zu schaffen.

32.      Die bulgarischen Vorschriften sähen jedoch die Schaffung solcher Vorräte nur für Erdöl und vier andere Erdölerzeugnisse, darunter schweres Heizöl, vor(12). Sie verpflichteten alle Unternehmen, die unter dieses Kapitel fallende Produkte eingeführt hätten, Sicherheitsvorräte für eines der letztgenannten Produkte zu schaffen und zu halten. Konkret könne also nach dieser Regelung ein Unternehmen, das im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit nur Schmieröle oder Petrolkoks verwende, verpflichtet werden, einen Reservevorrat an schwerem Heizöl zu schaffen, obwohl es damit keine Geschäfte tätige. Das genannte Gericht neigt zu der Ansicht, dass eine solche Verpflichtung gegen die Ziele und den Geist der Richtlinie 2009/119 sowie gegen den in der Charta verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße.

33.      Denn die Verpflichtung eines Unternehmens, ein Erdölerzeugnis zu bevorraten, das es nicht im Rahmen seiner Wirtschaftstätigkeit verwende, zwinge dieses Unternehmen dazu, die geforderte Menge dieses Erzeugnisses zu kaufen oder durch Übertragung eines Teils seiner Verpflichtung zu entleihen und es gemäß den gesetzlichen Anforderungen zu lagern. Dies bringe für das Unternehmen eine erhebliche finanzielle Belastung mit sich(13) und könne die Regeln des Binnenmarkts und des Wettbewerbs beeinträchtigen. Die Logik der Richtlinie 2009/119 und das Erfordernis der Kohärenz sprächen eher für eine Auslegung, nach der einem solchen Unternehmen Sachpflichten auferlegt würden, die keine derartigen übermäßigen Belastungen darstellten (wie eine Verpflichtung zur Bevorratung eines Energieprodukts, das Teil seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten sei), um einen angemessenen Ausgleich zwischen den öffentlichen Interessen der Union und den privaten Interessen (hinsichtlich Eingriffen in die private Rechtssphäre) zu gewährleisten. Zudem erlaube es die bulgarische Regelung nicht, die Auswirkungen zu berücksichtigen, die die administrativen Anforderungen und die finanziellen Mittel, die zur Schaffung und Haltung eines Sicherheitsvorrats an einem Produkt erforderlich seien, das unter Umständen nicht Gegenstand der Wirtschaftstätigkeit des betreffenden Unternehmens sei, auf seine finanzielle Lage und Wettbewerbsfähigkeit hätten.

34.      Vor diesem Hintergrund hat der Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen, die im Wesentlichen in beiden Rechtssachen gleichlautend sind, zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind der 33. Erwägungsgrund, Art. 1, Art. 3, Art. 8 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119 unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie und von Art. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 1099/2008 sowie im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 der Charta dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach Personen, die innergemeinschaftliche Eingänge von Schmierölen nach Nr. 3.4.20 des Anhangs A der Verordnung Nr. 1099/2008 (im Rahmen der Rechtssache C‑395/22) bzw. von Petrolkoks nach Nr. 3.4.23 des Anhangs A der Verordnung Nr. 1099/2008 zu Produktionszwecken (im Rahmen der Rechtssache C‑428/22) getätigt haben (oder gegebenenfalls die Einführer der erstgenannten Öle), verpflichtet werden können, Sicherheitsvorräte zu schaffen?

2.      Sind der 33. Erwägungsgrund, Art. 1, Art. 3, Art. 8 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119 unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie 2009/119 und im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 der Charta dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach die Arten von Produkten, an denen Sicherheitsvorräte zu schaffen und zu halten sind, auf einen Teil der Arten von Produkten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. i dieser Richtlinie in Verbindung mit Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 beschränkt sind?

3.      Sind der 33. Erwägungsgrund, Art. 1, Art. 3, Art. 8 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119 unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie 2009/119 und im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 der Charta dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach die Realisierung innergemeinschaftlicher Eingänge bzw. Einfuhren einer Art der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. i dieser Richtlinie in Verbindung mit Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 genannten Produkte durch eine Person deren Verpflichtung nach sich zieht, Sicherheitsvorräte an einer anderen, unterschiedlichen Art von Produkt zu schaffen und zu halten?

4.      Sind der 33. Erwägungsgrund, Art. 1, Art. 3, Art. 8 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119 unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie 2009/119 und im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 der Charta dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach eine Person verpflichtet ist, Vorräte an einem Produkt zu schaffen und zu halten, das sie im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht verwendet und das mit dieser Tätigkeit nicht in Zusammenhang steht, wobei diese Verpflichtung außerdem mit einer erheblichen finanziellen Belastung verbunden ist (die praktisch zur Unmöglichkeit der Erfüllung führt), da die Person weder über das Produkt verfügt noch dessen Einführer und/oder Halter ist?

5.      Bei Verneinung einer der Fragen: Sind der 33. Erwägungsgrund, Art. 1, Art. 3, Art. 8 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119 unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie 2009/119 und im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 der Charta dahin auszulegen, dass eine Person, die innergemeinschaftliche Eingänge bzw. Einfuhren einer bestimmten Art von Produkt getätigt hat, nur dazu verpflichtet werden kann, Sicherheitsvorräte an derselben Art von Produkt zu schaffen und zu halten, die Gegenstand der innergemeinschaftlichen Eingänge/Einfuhren war?

35.      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 9. August 2022 sind die vorliegenden Rechtssachen zu gemeinsamen schriftlichen und mündlichen Verfahren und zur gemeinsamen Entscheidung verbunden worden. Devnia Tsiment, die bulgarische, die niederländische und die slowakische Regierung sowie die Kommission haben beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht. In der mündlichen Verhandlung am 5. Juli 2023 haben diese Parteien mit Ausnahme der slowakischen Regierung mündliche Ausführungen gemacht und auf die vom Gerichtshof zur mündlichen Beantwortung gestellten Fragen geantwortet.

IV.    Würdigung

A.      Vorbemerkungen

36.      Zunächst halte ich es im Interesse der Klarheit für angebracht, die vom vorlegenden Gericht gestellten Vorlagefragen umzuformulieren. Das Gericht möchte nämlich im Wesentlichen wissen, ob die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 im Licht von Art. 17 und Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, nach der

–        ein Unternehmen, das Energieprodukte eingeführt hat, die unter Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 fallen, verpflichtet sein kann, einen Sicherheitsvorrat zu schaffen (erste Frage);

–        Sicherheitsvorräte nur aus einem Teil der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2009/119 genannten Arten von Energieprodukten bestehen dürfen (zweite Frage);

–        die Einfuhr einer in Art. 2 Abs. 1 Buchst. i dieser Richtlinie genannten Art von Produkt durch ein Unternehmen für dieses die Verpflichtung begründet, Sicherheitsvorräte einer anderen in dieser Bestimmung genannten Art von Produkt zu schaffen, und zwar auch dann, wenn das Unternehmen diese letztgenannte Art von Produkt im Rahmen seiner Tätigkeit nicht verwendet und diese Verpflichtung eine erhebliche finanzielle Belastung darstellt (dritte bis fünfte Frage).

B.      Zur ersten Vorlagefrage

37.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Mitgliedstaat im Rahmen der Umsetzung seiner Verpflichtungen aus Art. 3 der Richtlinie 2009/119 von einem „Unternehmen“ im Sinne von Art. 8 dieser Richtlinie, das Einfuhren eines der in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufgeführten Energieprodukte getätigt hat, verlangen kann, einen „Sicherheitsvorrat“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. j der genannten Richtlinie zu schaffen und zu halten.

38.      Diese Frage ist meines Erachtens eindeutig zu bejahen.

39.      Insoweit sind einige Vorbemerkungen angezeigt.

40.      Zunächst scheint mir der Hinweis angebracht, dass die Richtlinie 2009/119, anknüpfend an die Richtlinien von 1968 und 2006(14) und wie aus ihrem Art. 1 in Verbindung mit ihren Erwägungsgründen 3 und 33 hervorgeht, folgende Ziele verfolgt: i) die Stärkung und Gewährleistung eines hohen Maßes an Sicherheit bei der Erdölversorgung in der Union durch transparente Mechanismen, die auf der Solidarität der Mitgliedstaaten beruhen, unter Beachtung der Regeln des Binnenmarkts und des Wettbewerbs, ii) die Aufrechterhaltung von Mindestvorräten an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen sowie iii) die Schaffung der erforderlichen Verfahren, um einer starken Verknappung zu begegnen. Daraus folgt, dass aufgrund dieser Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten die von jedem Mitgliedstaat geschaffenen Erdölvorräte einen Teil der gemeinsamen Vorräte der Union bilden. Dies wird nämlich im achten Erwägungsgrund der Richtlinie bestätigt, in dem es heißt, dass „die Verfügbarkeit der Erdölvorräte und die Gewährleistung der Energieversorgung … für die öffentliche Sicherheit der Mitgliedstaaten und der Union von größter Bedeutung [sind]“(15).

41.      Sodann ist hervorzuheben, dass gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2009/119 „[d]ie Mitgliedstaaten … geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften [erlassen], um … zu gewährleisten, dass zu ihren Gunsten im Gebiet der [Union] ständig Erdölvorräte gehalten werden, die insgesamt mindestens den täglichen Durchschnittsnettoeinfuhren für 90 Tage oder dem täglichen durchschnittlichen Inlandsverbrauch für 61 Tage entsprechen, je nachdem, welche Menge größer ist“. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich zum einen, dass die Mitgliedstaaten selbst bestimmen müssen, wie sie ihre Verpflichtungen aus dieser Richtlinie umsetzen(16), und zum anderen, dass die Richtlinie jedoch die Methoden und Verfahren zur Berechnung der Sicherheitsvorräte vorschreibt, die vom Unionsgesetzgeber als angemessen angesehen werden.

42.      Schließlich haben die Mitgliedstaaten im Rahmen dieser Umsetzung ihrer Verpflichtungen die Möglichkeit, den Unternehmen Bevorratungsverpflichtungen aufzuerlegen. Aus den verschiedenen Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 ergibt sich nämlich, dass die Pflicht zur Schaffung von Vorräten nicht immer der ZBS des Mitgliedstaats obliegt(17), sondern dass diese auch (ausschließlich oder zusätzlich) der Industrie und den Unternehmen auferlegt werden kann(18).

43.      Zur Beantwortung der ersten Vorlagefrage ist daher zu klären, ob die Richtlinie 2009/119 die Kategorie der Unternehmen, denen eine Bevorratungsverpflichtung auferlegt werden kann, näher bestimmt.

44.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, sowie gegebenenfalls ihre Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen(19).

45.      Erstens ist in Bezug auf den Wortlaut der verschiedenen Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 festzustellen, dass sich mehrere von ihnen auf den Begriff des „Unternehmens“ beziehen, ohne dass dieser Begriff jedoch in der Richtlinie ausdrücklich definiert wird(20). Art. 8 der genannten Richtlinie mit der Überschrift „Unternehmen“ regelt zwar die einem Unternehmen eingeräumte Möglichkeit, zumindest einen Teil der ihm auferlegten Bevorratungsverpflichtungen entweder an das ZBS des Mitgliedstaats oder anderer Mitgliedstaaten(21) oder an andere Unternehmen zu übertragen, die über überschüssige Vorräte oder Bevorratungskapazitäten in der übrigen Union oder in dem Mitgliedstaat verfügen(22), ohne jedoch die Unternehmen näher zu bestimmen, die in diese Kategorie fallen.

46.      Zweitens weise ich in Bezug auf den Kontext darauf hin, dass sich die Konturen des Begriffs des „Unternehmens“ aus den übrigen Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 ableiten lässt.

47.      Zunächst bestimmt Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie: „Richtet ein Mitgliedstaat eine ZBS ein, so wählt er dafür die Rechtsform einer Einrichtung oder eines Dienstes ohne Erwerbszweck, die bzw. der im Allgemeininteresse handelt und nicht als Unternehmen im Sinne dieser Richtlinie zu betrachten ist“(23). Im Umkehrschluss hierzu könnte jedes Unternehmen, das mit Gewinnerzielungsabsicht handelt, möglicherweise als „Unternehmen“ im Sinne dieser Richtlinie betrachtet werden.

48.      Sodann sieht Art. 2 Abs. 1 Buchst. k der genannten Richtlinie vor, dass es „Unternehmen“ gibt, die sogenannte „kommerzielle“ Vorräte halten, d. h. Erdölvorräte, deren Halten mit dieser Richtlinie jedoch nicht vorgeschrieben wird. Daraus folgt, dass der Begriff „Unternehmen“ allgemein verwendet wird und sich nicht ausschließlich auf Unternehmen bezieht, denen die Verpflichtung zur Schaffung von Erdölvorräten obliegt.

49.      Schließlich bezieht sich Art. 3 der Richtlinie, der die Methode zur Berechnung des Umfangs der von den Mitgliedstaaten zu haltenden Vorräte beschreibt, insbesondere auf die „täglichen Durchschnittsnettoeinfuhren“, die wiederum gemäß Abs. 2 dieses Artikels auf der Grundlage des Rohöläquivalents der Einfuhren im vorhergehenden Kalenderjahr berechnet werden, das gemäß der in Anhang I beschriebenen Methode und Verfahren ermittelt wird. Nach Methode 2 dieses Anhangs I können die Mitgliedstaaten diese Berechnung auf der Grundlage der „[Summe der] Nettoeinfuhren aller anderen Mineralölprodukte im Sinne des Anhangs A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008“ vornehmen. Da Unternehmen, die solche Produkte einführen, zur Gesamtverpflichtung des Mitgliedstaats beitragen, Sicherheitsvorräte zu schaffen, ist es daher nur folgerichtig, dass dieselben Unternehmen der Verpflichtung zur Schaffung und Haltung solcher Vorräte unterliegen (können).

50.      Drittens spricht auch das mit der Richtlinie 2009/119 verfolgte Ziel, ein hohes Maß an Versorgungssicherheit zu gewährleisten(24), für eine weite Auslegung des Begriffs „Unternehmen“. Es entspräche diesem Ziel, dass Unternehmen, denen eine Bevorratungsverpflichtung auferlegt werden kann, in der Lage sein müssen, die Energieprodukte zu besitzen, aus denen sich die Erdölvorräte im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. i dieser Richtlinie zusammensetzen.

51.      Viertens und letztens scheint mir eine weite Auslegung des Begriffs „Unternehmen“ durch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie 2009/119 untermauert zu werden, die zusätzliche Anhaltspunkte für die Merkmale dieser Unternehmen liefert.

52.      Dieser Begriff geht nämlich auf die Richtlinie von 1968 zurück, in deren viertem Erwägungsgrund es hieß, dass „[d]ie Inlandsproduktion … selbst zur Versorgungssicherheit bei[trägt]“ und dass „die Produktionsbedingungen in der Gemeinschaft und die damit verbundene größere Versorgungssicherheit rechtfertigen, dass den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt wird, die Vorratspflicht zu Lasten der Einfuhren vorzusehen“(25). So sah Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie vor, dass die Sicherheitsvorräte u. a. „die Bestände in den Lagern der Raffinerien, der Import, Lagerungs- oder Großverteilerunternehmen“, „die Bestände, die sich in Lagern von Großverbrauchern befinden und die den einzelstaatlichen Vorschriften über die Pflicht zur ständigen Vorratshaltung entsprechen“, sowie „die in Leichtern und Küstenschiffen auf dem Transport innerhalb der Staatsgrenzen befindlichen Bestände, die von den zuständigen Behörden kontrolliert werden können und unverzüglich verfügbar sind“, umfassen können(26). Die entsprechenden Bestimmungen finden sich gegenwärtig im Wesentlichen in Anhang III Abs. 7 der Richtlinie 2009/119, der festlegt, welche Mengen an Energieprodukten bei der Berechnung der Vorräte berücksichtigt werden können(27).

53.      Ich bin daher der Auffassung, dass unter „Unternehmen“ jeder Marktteilnehmer zu verstehen ist, der entweder in der Herstellung, der Einfuhr oder dem Verkauf der in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufgeführten Energieprodukte tätig ist oder eine Tätigkeit ausübt, die eine Verwendung dieser Produkte beinhaltet. Somit kann der Begriff „Unternehmen“ nicht nur Erzeuger (wie Raffinerien), sondern auch Händler von Erdölerzeugnissen (wie Trade Express) oder Hersteller, die Erdölerzeugnisse zu Produktionszwecken verwenden (wie Devnia Tsiment), umfassen, denen grundsätzlich also auch eine Bevorratungsverpflichtung auferlegt werden kann.

54.      Daraus folgt, dass die Richtlinie 2009/119 zwar weder festlegt, welchen Unternehmen Bevorratungsverpflichtungen auferlegt werden können, noch, wie die Mitgliedstaaten diese festzulegen haben, und den Mitgliedstaaten somit einen Spielraum bei der Entscheidung lässt, welche Unternehmen zur Vorratshaltung verpflichtet sind, dass aber eine kontextbezogene, teleologische und historische Auslegung der Richtlinie es ermöglicht, die Konturen des Begriffs „Unternehmen“ klarzustellen, der nach wie vor sehr weit gefasst ist.

55.      Nach alledem schlage ich vor, auf die erste umformulierte Frage zu antworten, dass die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 im Licht von Art. 17 und Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegenstehen, nach der ein Unternehmen, das Einfuhren von Energieprodukten getätigt hat, die unter Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 fallen, verpflichtet werden kann, einen Sicherheitsvorrat zu schaffen.

C.      Zur zweiten Vorlagefrage

56.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Mitgliedstaat im Rahmen der Umsetzung seiner Verpflichtungen aus Art. 3 der Richtlinie 2009/119 die Arten von Energieprodukten für die Sicherheitsvorräte nur auf einen Teil der Arten der in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufgeführten Produkte beschränken darf.

57.      Meines Erachtens ist auch diese Frage zu bejahen.

58.      Zunächst weise ich, wie unter Nr. 41 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, darauf hin, dass sich die Möglichkeit eines Mitgliedstaats, eine Verpflichtung zur Schaffung von Sicherheitsvorräten aufzuerlegen, aus Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2009/119 ergibt, wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Haltung von bestimmten Gesamtmengen an „Erdölvorräte[n]“ zu gewährleisten. Art. 2 Abs. 1 Buchst. i dieser Richtlinie definiert „Erdölvorräte“ als „Vorräte an Energieprodukten gemäß der Liste in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008“. Dieses Kapitel enthält eine Liste von 24 Produktarten, die unter der Überschrift „Öl (Rohöl und Mineralölprodukte)“ zusammengefasst sind. In diesem Sinne stellt die Verordnung Nr. 1099/2008 ausschließlich ein Referenzdokument zur Richtlinie 2009/119 dar(28).

59.      Soweit sich diese beiden Bestimmungen allgemein auf „Vorräte an Energieprodukten gemäß der Liste in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008“ beziehen, wäre es denkbar, dass die Bevorratungsverpflichtung für alle diese Produkte gilt. Grundsätzlich muss ein Mitgliedstaat daher die Möglichkeit haben, den Unternehmen eine Bevorratungsverpflichtung aufzuerlegen, die sich auf alle in Art. 2 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie aufgeführten Erdölerzeugnisse erstreckt.

60.      Aus diesen beiden Bestimmungen kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Richtlinie 2009/119 die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine konstante Vorhaltung jedes der in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufgeführten Produkte zu gewährleisten, oder dass die Mitgliedstaaten die Arten von Energieprodukten für ihre eigenen Sicherheitsvorräte nicht begrenzen könnten.

61.      Denn erstens ist in Bezug auf den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen festzuhalten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2009/119 „Sicherheitsvorräte“ definiert als „Erdölvorräte, die gemäß Artikel 3 in jedem Mitgliedstaat zu halten sind“. Art. 3 der Richtlinie beschreibt jedoch nur die Methode zur Berechnung der Menge an Vorräten, die die Mitgliedstaaten halten müssen, wobei als Bezugsgrößen die „täglichen Durchschnittsnettoeinfuhren“ oder der „tägliche durchschnittliche Inlandsverbrauch“(29) herangezogen werden, die wiederum auf der Grundlage des Rohöläquivalents berechnet werden. Konkret muss die obligatorische Vorratshaltung unter Anwendung der Methoden und Verfahren zur Berechnung der Bevorratungsverpflichtungen gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 und 2 der Richtlinie (die sich auf ihren Anhang I bzw. II beziehen) sowie gemäß Art. 3 Abs. 3 derselben Richtlinie durchgeführt werden. Art. 3 bestimmt also nicht die konkrete Zusammensetzung der Sicherheitsvorräte, die die Mitgliedstaaten halten müssen, sondern nur deren Umfang.

62.      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich der Ansatz der geltenden Richtlinie von dem der früheren Fassungen unterscheidet, der im Wesentlichen verlangte, dass die Mitgliedstaaten Vorräte für jede der folgenden drei Kategorien von Erdölerzeugnissen halten: a) Motorbenzin und Flugtreibstoffe (Flugbenzin und Flugturbinenkraftstoff auf Benzinbasis), b) Gasöl, Dieselöl, Leuchtöl und Flugturbinenkraftstoff auf Petroleumbasis und c) Heizöle(30). Wie aus dem fünften Erwägungsgrund der geltenden Richtlinie hervorgeht, war Ziel dieser Änderung, die Methode zur Berechnung der Bevorratungsverpflichtungen anzupassen, um sie den im Rahmen des IEA-Übereinkommens verwendeten Methoden anzunähern; sie erfolgte also aus praktischen Gründen und zur Verringerung des Verwaltungsaufwands(31).

63.      Daraus folgt, dass die Richtlinie 2009/119 im Gegensatz zu den vorherigen Richtlinien nun keine Produktkategorien mehr vorschreibt, was die Absicht des Unionsgesetzgebers verdeutlicht, den Mitgliedstaaten die freie Wahl der Produkte zu überlassen, die Teil der Sicherheitsvorräte sein können.

64.      Zweitens wird diese Auslegung meines Erachtens durch den Kontext gestützt.

65.      Zunächst werden gemäß Art. 4 („Berechnung der gehaltenen Vorratsmengen“) der Richtlinie 2009/119 die Vorratsmengen in „Rohöläquivalent“ entsprechend den in Anhang III dieser Richtlinie dargelegten Methoden berechnet(32). Einerseits ist gemäß Anhang III Abs. 3 in Bezug auf „Rohöl“ die Summe der Rohölvorräte zu bilden (die um 4 % zu verringern ist, was einem mittleren Naphtha-Ertrag entspricht). Andererseits können die Mitgliedstaaten in Bezug auf andere Arten von Erdölerzeugnissen gemäß Abs. 6 des genannten Anhangs zur Berechnung des Rohöläquivalents zwischen zwei Methoden wählen, nämlich „a) sämtliche sonstigen Vorräte an Erdölerzeugnissen gemäß Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008 berücksichtigen … durch Multiplikation der Mengen mit dem Faktor 1,065 … oder b) bei der Berechnung nur die Vorräte an … berücksichtigen … durch Multiplikation der Mengen mit dem Faktor 1,2“ (im Folgenden: Produktkategorie unter Buchst. b)(33)“. Der Wortlaut von Anhang III der Richtlinie 2009/119 sieht daher ausdrücklich für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vor, nur einen Teil der Erdölerzeugnisse in ihre Sicherheitsvorräte aufzunehmen, nämlich diejenigen, die unter die Produktkategorie unter Buchst. b fallen. Den Mitgliedstaaten eine solche Wahlmöglichkeit einzuräumen, setzt jedoch voraus, dass sie die Zusammensetzung ihrer Sicherheitsvorräte frei bestimmen können, solange die in Art. 3 der Richtlinie 2009/119 vorgeschriebenen Mengen eingehalten werden. Denn nur die Mitgliedstaaten kennen sämtliche Umstände in Bezug auf den heimischen Verbrauch sowie die heimische Produktion und Einfuhr von Erdölerzeugnissen. Tatsächlich geht aus den offiziellen statistischen Daten hervor, dass sich die große Mehrheit der Mitgliedstaaten – wie die Republik Bulgarien – dafür entschieden hat, neben Rohöl gemäß der zweiten oben genannten Methode auch Produkte der Kategorie nach Buchst. b in ihre Sicherheitsvorräte aufzunehmen(34).

66.      Zudem ist anzumerken, dass sich die einzige Einschränkung der freien Wahl der Mitgliedstaaten aus den Anforderungen von Art. 9 Abs. 5 der Richtlinie 2009/119 ergibt, der die Zusammensetzung der „spezifischen Vorräte“ betrifft, die nur aus einer (oder mehreren) der in Art. 9 Abs. 2 dieser Richtlinie aufgelisteten 14 Arten von Erdölerzeugnissen bestehen dürfen. Denn jeder Mitgliedstaat, der sich nicht für den vollen Zeitraum eines gegebenen Kalenderjahrs verpflichtet hat, spezifische Vorräte für mindestens 30 Tage zu halten, stellt sicher, dass mindestens ein Drittel seiner Bevorratungsverpflichtungen in Form von Erzeugnissen gehalten wird, die sich nach Art. 9 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie zusammensetzen, d. h. aus mindestens einer der Kategorien von Erdölerzeugnissen, die in Abs. 2 aufgeführt sind. Diese Bestimmung verlangt im Wesentlichen, dass mindestens ein Drittel der Bevorratungsverpflichtungen des Mitgliedstaats in Form von spezifischen Produkten gehalten wird, die die Verbrauchsmuster widerspiegeln (und somit den tatsächlichen Bedarf des betreffenden Mitgliedstaats berücksichtigen).

67.      Drittens und letztens bin ich, was den Zweck der einschlägigen Bestimmungen angeht, entgegen den Ausführungen des vorlegenden Gerichts nicht der Ansicht, dass das Ziel, ein hohes Maß an Sicherheit bei der Erdölversorgung zu gewährleisten, nur erreicht werden kann, wenn die Mitgliedstaaten sämtliche in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 genannten Energieprodukte in ihren Sicherheitsvorräten halten. Vielmehr sind die verschiedenen Kategorien von Erdölerzeugnissen, die in diesem Anhang aufgelistet sind, von unterschiedlicher Bedeutung, wenn es darum geht, schwere Versorgungskrisen zu bewältigen. Dies geht eindeutig aus der Tatsache hervor, dass die derzeitige Methode zur Berechnung der Menge an gehaltenen Vorräten, die in Anhang III der Richtlinie 2009/119 näher ausgeführt und unter Nr. 65 der vorliegenden Schlussanträge beschrieben wird, für die Berechnung des Rohöläquivalents von Energieprodukten einen vorteilhafteren Faktor (nämlich 1,2) bei Produktkategorien unter Buchst. b vorsieht(35) als bei den anderen Arten von Erdölerzeugnissen (nämlich 1,065). Mit anderen Worten legt diese Unterscheidung zwischen den Faktoren nahe, dass die geltende Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht nur nicht dazu verpflichtet, Sicherheitsvorräte für alle in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufgeführten Energieprodukte zu halten, sondern dass sie durch die Festlegung eines vorteilhafteren Faktors für die Produktkategorien unter Buchst. b indirekt anerkennt, dass diese Produkte nützlicher sind, um eine mögliche schwere Versorgungskrise zu bewältigen. Ebenso erlaubt die Richtlinie 2009/119 die Einbeziehung von Vorräten an „Rohöl“ in die Sicherheitsvorräte, durch dessen Verarbeitung alle in diesem Anhang aufgeführten Arten von Erdölerzeugnissen hergestellt werden können. Aus praktischer Sicht wäre es daher nicht logisch, die Mitgliedstaaten dazu zu verpflichten, einen Sicherheitsvorrat an sämtlichen in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufgeführten Produktkategorien zu halten.

68.      Nach alledem schlage ich vor, auf die zweite Frage zu antworten, dass die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 im Licht von Art. 17 und Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegenstehen, nach der Sicherheitsvorräte nur für einen Teil der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2009/119 genannten Arten von Energieprodukten geschaffen werden, vorausgesetzt, dass dieser Vorrat i) unter Anwendung der Methoden und Verfahren zur Berechnung der Bevorratungsverpflichtungen gemäß Art. 3 Abs. 1, 2 und 3 dieser Richtlinie geschaffen wird, ii) gemäß den in Anhang III der genannten Richtlinie dargelegten Methoden berechnet wird und iii) im Einklang mit Art. 9 Abs. 5 der genannten Richtlinie steht.

D.      Zur dritten, zur vierten und zur fünften Vorlagefrage

69.      Mit seiner dritten, seiner vierten und seiner fünften Vorlagefrage, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Mitgliedstaat im Rahmen der Umsetzung seiner Verpflichtungen aus Art. 3 der Richtlinie 2009/119 ein Unternehmen verpflichten kann, Vorräte an anderen als den von ihm eingeführten Erzeugnissen oder solchen, die nicht mit seiner wirtschaftlichen Tätigkeit in Zusammenhang stehen, zu halten, auch wenn dies zu einer erheblichen finanziellen Belastung führt.

70.      Im Gegensatz zu den Antwortvorschlägen auf die ersten beiden Vorlagefragen bin ich der Ansicht, dass die Antwort auf die letzten drei Fragen differenzierter ausfallen muss.

71.      Auf der Grundlage der Antworten auf die ersten beiden Fragen ist festzuhalten, dass die Richtlinie 2009/119 zum einen nicht bestimmt, welchen Unternehmen Bevorratungsverpflichtungen auferlegt werden können, so dass es den Mitgliedstaaten, die Adressaten der in dieser Richtlinie genannten Verpflichtungen sind, obliegt, zu entscheiden, welche Unternehmen (oder ZBS) verpflichtet sind, Vorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten, und dass die Richtlinie zum anderen die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, Vorräte an sämtlichen in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufgeführten Energieprodukten zu halten.

72.      Daraus ist folgerichtig zu schließen, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, festzulegen, welche Verpflichtungen zur Schaffung und Haltung von Sicherheitsvorräten den Unternehmen auferlegt werden können, um die Verpflichtungen aus der Richtlinie 2009/119 zu erfüllen. Konkret sollte ein Mitgliedstaat also grundsätzlich jedem Unternehmen die Verpflichtung zur Haltung von Sicherheitsvorräten auferlegen können, und zwar sowohl hinsichtlich der Menge als auch hinsichtlich der Art des Produkts, unabhängig davon, ob das Unternehmen selbst über das zu lagernde Produkt und/oder über Anlagen für dessen Lagerung verfügt.

73.      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass ein Mitgliedstaat, der seine Bevorratungsverpflichtungen umsetzt, zwar in der Regel versuchen wird, dies auf möglichst effiziente Weise zu tun, und sich daher dafür entscheiden wird, diese Verpflichtungen vor allem denjenigen Unternehmen aufzuerlegen, die bereits über Speicheranlagen verfügen oder die reale Möglichkeiten haben, diese Anlagen zu mieten, dass aber die besondere Situation in demselben Mitgliedstaat eine Verteilung der Bevorratungsverpflichtungen über diesen Kreis an Unternehmen hinaus erforderlich machen könnte, indem auch andere Unternehmen einbezogen werden, die entweder selbst nicht über Speicheranlagen oder einen leichten Zugang zu solchen Anlagen verfügen oder die kein Energieprodukt besitzen, das unter den Sicherheitsvorrat fällt(36).

74.      Doch ist, wenn ein Mitgliedstaat im Rahmen des Ermessens, das ihm durch einen Rechtsakt der Union gewährt worden ist, Maßnahmen ergreift, davon auszugehen, dass er das Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführt(37). Daher können solche Verpflichtungen, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Situation eines Unternehmens haben, nur unter Beachtung insbesondere des in Art. 17 der Charta verankerten Eigentumsrechts einerseits und der in Art. 16 der Charta garantierten unternehmerischen Freiheit andererseits auferlegt werden, welche die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb(38), aber auch das Recht jedes Unternehmens umfasst, in den Grenzen seiner Verantwortlichkeit für seine eigenen Handlungen frei über seine wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Ressourcen verfügen zu können(39).

75.      Hinsichtlich der Beschränkungen, denen die Ausübung des Eigentumsrechts durch die Auferlegung dieser Verpflichtungen unterworfen werden kann, ist im Übrigen daran zu erinnern, dass das in Art. 17 der Charta verbürgte Eigentumsrecht nicht uneingeschränkt gilt und seine Ausübung Beschränkungen unterworfen werden kann, die durch dem Gemeinwohl dienende Ziele der Union gerechtfertigt sind. Das Eigentumsrecht kann daher, wie aus Art. 52 Abs. 1 der Charta hervorgeht, Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen insbesondere(40) tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das so gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antasten würde(41). Auch in Bezug auf die unternehmerische Freiheit hat der Gerichtshof bestätigt, dass diese Freiheit nicht schrankenlos gilt, sondern im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen ist(42).

76.      In diesem Zusammenhang erscheint es mir sinnvoll, einige Punkte hervorzuheben.

77.      Erstens lässt sich meines Erachtens kaum bestreiten, dass das mit der Richtlinie 2009/119 verfolgte Ziel, das, wie unter Nr. 40 der vorliegenden Schlussanträge beschrieben, darin besteht, die Sicherheit der Energieversorgung zu gewährleisten, zu den Zielen des Gemeinwohls gehört, die eine Beschränkung der Nutzung des Eigentums rechtfertigen können(43). Denn der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Mindestversorgung mit Erdölerzeugnissen über Erwägungen rein wirtschaftlicher Art hinausgeht und somit ein Ziel darstellen kann, das unter den Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ fällt(44). Daher ist die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung, indem sie die Bevorratung auf die unverzichtbarsten Erdölerzeugnisse konzentriert und den Kreis der Unternehmen, die der Bevorratungsverpflichtung unterliegen, weit definiert, meines Erachtens als geeignet anzusehen, dieses Ziel zu erreichen.

78.      Zweitens muss beurteilt werden, ob derartige Verpflichtungen bei fehlender Ausgleichszahlung zugunsten der betroffenen Eigentümer einen unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff darstellen würden, der den Wesensgehalt des Eigentumsrechts antastet(45). Zwar sieht die Richtlinie 2009/119 kein Entschädigungssystem vor, doch enthält sie andere Regeln, die ich für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit dieser Verpflichtungen für relevant halte.

79.      Einerseits muss ein Mitgliedstaat gemäß Art. 8 der Richtlinie 2009/119 „gewährleiste[n], dass das Unternehmen, dem er Bevorratungsverpflichtungen auferlegt, … das Recht erhält, diese Verpflichtungen zumindest teilweise … zu übertragen“(46). Wie unter Nr. 45 der vorliegenden Schlussanträge beschrieben, hat das Unternehmen daher die Wahl, diese Verpflichtungen an eine ZBS oder andere Unternehmen innerhalb und außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats, für den die Vorräte gehalten werden, zu übertragen, und zwar „für eine Vergütung, die nicht über die Kosten der erbrachten Dienstleistungen hinausgeh[t]“(47). Diese Bestimmung zeigt, dass der Unionsgesetzgeber indirekt anerkennt, dass die Mitgliedstaaten den Unternehmen Verpflichtungen auferlegen können, die schwer zu erfüllen sind, und dass die Unternehmen daher die Wahl haben sollten, diese Verpflichtungen zu angemessenen Kosten an ein besser geeignetes Unternehmen zu übertragen. Eine echte Möglichkeit zur Übertragung sollte daher als Gewährleistung dafür gesehen werden, dass die Bevorratungsverpflichtungen verhältnismäßig sind, und als Sicherstellung fairer Wettbewerbsbedingungen.

80.      Andererseits und im gleichen Sinne ist darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtung, Vorräte zu schaffen und zu halten, einen klar abgegrenzten zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich hat (ein Jahr für eine bestimmte Menge) und dass die Unternehmen, die verpflichtet sind, Sicherheitsvorräte an Erdölerzeugnissen zu schaffen, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeiten nicht verwenden, durch nichts daran gehindert werden sollten, diese Erzeugnisse nach Ablauf des Jahres der obligatorischen Sicherheitsbevorratung zu verkaufen und damit Gewinn zu erzielen.

81.      Nach diesen Ausführungen muss letztlich das vorlegende Gericht im Licht der konkreten Umstände in der Republik Bulgarien beurteilen, ob die durch die streitigen Anordnungen möglicherweise verursachten Beschränkungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

82.      In diesem Zusammenhang ist klar, dass die auferlegten Verpflichtungen in ihrer Gesamtheit keinesfalls die Grenzen der Mindestversorgung, wie sie in Art. 3 der Richtlinie 2009/119 definiert sind, übersteigen dürfen(48). Eine solche Verpflichtung sollte, wenn sie gleichmäßig (und damit per definitionem verhältnismäßig) auf alle Unternehmen verteilt wird, als solche nicht geeignet sein, die wesentlichen Inhalte des Eigentumsrechts und/oder der unternehmerischen Freiheit zu beeinträchtigen.

83.      Hinsichtlich des Umfangs der Beeinträchtigung sind zwei Fälle zu unterscheiden.

84.      Auf der einen Seite bin ich der Ansicht, dass bei Unternehmen, die verpflichtet sind, Sicherheitsvorräte einer Art von Energieprodukten zu schaffen, die Teil ihrer Geschäftstätigkeit ist, die Beeinträchtigung des Eigentumsrechts (und im weiteren Sinne der unternehmerischen Freiheit) von vornherein insofern nicht als unverhältnismäßiger Eingriff angesehen werden kann, als sie grundsätzlich insbesondere über die materielle Infrastruktur oder die Geschäftsbeziehungen verfügen, die für die Herstellung, den Handel, die Verarbeitung, den Transport und die Lagerung von Rohöl und Erdölerzeugnissen erforderlich sind. Dennoch sollte diese Verpflichtung keine unangemessene oder übermäßige finanzielle Belastung im Verhältnis zu dem vom Unternehmen im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit erzielten Umsatz darstellen(49).

85.      Wenn auf der anderen Seite ein Mitgliedstaat, wie im vorliegenden Fall die Republik Bulgarien, in seinen nationalen Rechtsvorschriften eine Verpflichtung für ein Unternehmen zur Schaffung von Sicherheitsvorräten an einem Erdölerzeugnis vorsieht, das dieses Unternehmen nicht im Rahmen seiner üblichen Wirtschaftstätigkeit verwendet, ist folgerichtig dieses Unternehmen womöglich im Vergleich zu den Unternehmen, die unter die erste Kategorie fallen, zusätzlichen Kosten ausgesetzt. Besteht ein tatsächliches oder potenzielles Wettbewerbsverhältnis zwischen solchen Unternehmen, könnte die Auferlegung einer solchen Verpflichtung daher zu offensichtlich unfairen Bedingungen hinsichtlich der Fähigkeit führen, die Bevorratungsverpflichtungen zu erfüllen, was nicht nur mit den Binnenmarkt- und Wettbewerbsregeln unvereinbar wäre, deren Einhaltung im 33. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/119 ausdrücklich gefordert wird, sondern auch mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung. In einem solchen, eher seltenen Fall, in dem die Wettbewerbsposition eines Unternehmens aufgrund einer finanziellen Belastung wesentlich beeinträchtigt wird, könnte es daher denkbar sein, im Rahmen der nationalen Rechtsvorschriften oder auf gerichtlichem Wege anhand einer Einzelfallbeurteilung Abhilfemaßnahmen zu fordern, wie etwa einen Ausgleich der Mehrkosten oder auch eine Befreiung von der Pflicht, die mit dem Kauf des Erdölerzeugnisses verbundene Versicherung oder Verbrauchsteuer oder die mit dem Transport und der Lagerung dieses Erzeugnisses verbundenen Verwaltungskosten zu zahlen, um wieder faire Marktbedingungen herstellen zu können und gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer zu schaffen.

86.      Nach alledem schlage ich vor, auf die dritte, die vierte und die fünfte umformulierte Frage zu antworten, dass die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 im Licht von Art. 17 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegenstehen, die ein Unternehmen verpflichtet, Vorräte an anderen als den von ihm eingeführten Erzeugnissen oder an Erzeugnissen zu halten, die nicht mit seiner wirtschaftlichen Tätigkeit in Zusammenhang stehen, selbst wenn dies für dieses Unternehmen eine erhebliche finanzielle Belastung bedeutet, es sei denn, eine solche Verpflichtung führt zu einem unverhältnismäßigen Nachteil für dieses Unternehmen, insbesondere im Verhältnis zu seinem Umsatz oder im Vergleich zu anderen konkurrierenden Unternehmen.

V.      Ergebnis

87.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna, Bulgarien) zur Vorabentscheidung vorgelegten umformulierten Fragen wie folgt zu beantworten:

Art. 1, Art. 2 Abs. 1 Buchst. i sowie die Art. 3 und 8 der Richtlinie 2009/119/EG vom 14. September 2009 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten, in der durch die Durchführungsrichtlinie (EU) 2018/1581 der Kommission vom 19. Oktober 2018 geänderten Fassung sind in Verbindung mit Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über die Energiestatistik in der durch die Verordnung (EU) 2019/2146 der Kommission vom 26. November 2019 geänderten Fassung und Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegenstehen, nach der

1.      ein Unternehmen, das Energieprodukte eingeführt hat, die unter Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 in der durch die Verordnung 2019/2146 geänderten Fassung fallen, verpflichtet sein kann, einen Sicherheitsvorrat zu schaffen,

2.      Sicherheitsvorräte nur für einen Teil der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2009/119 in der durch die Durchführungsrichtlinie 2018/1581 geänderten Fassung genannten Arten von Energieprodukten geschaffen werden, vorausgesetzt, dass dieser Vorrat i) unter Anwendung der Methoden und Verfahren zur Berechnung der Bevorratungsverpflichtungen gemäß Art. 3 Abs. 1, 2 und 3 dieser Richtlinie geschaffen wird, ii) gemäß den in Anhang III der genannten Richtlinie dargelegten Methoden berechnet wird und iii) im Einklang mit Art. 9 Abs. 5 der genannten Richtlinie steht,

3.      ein Unternehmen verpflichtet ist, Vorräte an anderen als den von ihm eingeführten Erzeugnissen oder an Erzeugnissen zu halten, die nicht mit seiner wirtschaftlichen Tätigkeit in Zusammenhang stehen, selbst wenn dies für dieses Unternehmen eine erhebliche finanzielle Belastung bedeutet, es sei denn, eine solche Verpflichtung führt zu einem unverhältnismäßigen Nachteil für dieses Unternehmen, insbesondere im Verhältnis zu seinem Umsatz oder im Vergleich zu anderen konkurrierenden Unternehmen.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Richtlinie des Rates vom 14. September 2009 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (ABl. 2009, L 265, S. 9), in der durch die Durchführungsrichtlinie (EU) 2018/1581 der Kommission vom 19. Oktober 2018 (ABl. 2018, L 263, S. 57) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2009/119 oder geltende Richtlinie).


3      Die früheren Richtlinien 68/414/EWG des Rates vom 20. Dezember 1968 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EWG, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (ABl. 1968, L 308, S. 14) und 2006/67/EG des Rates vom 24. Juli 2006 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (ABl. 2006, L 217, S. 8) haben zu wenigen und für den vorliegenden Fall nicht relevanten Urteilen geführt (Urteile vom 12. Dezember 1990, Hennen Olie, C‑302/88, EU:C:1990:455, vom 25. Oktober 2001, Kommission/Griechenland, C‑398/98, EU:C:2001:565, und vom 17. Juli 2008, Kommission/Belgien, C‑510/07, EU:C:2008:435). Die anhängige Rechtssache C‑784/22, Solvay Sodi, wirft ähnliche Fragen auf wie die vorliegenden Rechtssachen, was eine Aussetzung bis zu der das Verfahren in diesen Rechtssachen beendenden Entscheidung rechtfertigt.


4      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über die Energiestatistik (ABl. 2008, L 304, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2019/2146 der Kommission vom 26. November 2019 (ABl. 2019, L 325, S. 43) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1099/2008).


5      Nur in der Republik Bulgarien scheint es eine Regelung zu geben, die von einem Unternehmen, das eine bestimmte Art von Erdölerzeugnis einführt, verlangt, einen Vorrat an einer anderen Art von Erdölerzeugnis zu schaffen als dem eingeführten. In der mündlichen Verhandlung hat die Europäische Kommission jedoch auf der Grundlage von Berichten nach Art. 6 der Richtlinie 2009/119 darauf hingewiesen, dass es in Polen eine ähnliche Regelung gebe.


6      Im Folgenden: Richtlinie von 1968.


7      ABl. 1998, L 358, S. 100.


8      Im Folgenden: Richtlinie von 2006.


9      DV [(Darzhaven vestnik [bulgarisches Amtsblatt])] Nr. 15 vom 15. Februar 2013.


10      Im Einzelnen bestreitet Trade Express ihre Einstufung als „verpflichtete Person“ auf der Grundlage von drei Rügen: Ihr sei es finanziell unmöglich, die in der sie betreffenden Anordnung angegebene Menge an schwerem Heizöl zu erwerben, sie besitze keine Anlagen zur Lagerung von schwerem Heizöl und könne die Verpflichtung zur Schaffung und Haltung des angegebenen Sicherheitsvorrats unmöglich fristgerecht erfüllen. Devnia Tsiment macht ihrerseits insbesondere die mangelhafte Umsetzung der Richtlinie 2009/119 in bulgarisches Recht geltend.


11      Das vorlegende Gericht bezieht sich auf die Urteile des Varhoven administrativen sad (Oberster Verwaltungsgerichtshof) vom 11. März und 4. Mai 2022.


12      Siehe Nr. 21 der vorliegenden Schlussanträge.


13      Nämlich die Zahlung des Kaufpreises für das betreffende Produkt, der Kauf oder die Anmietung eines Lagerplatzes für den Vorrat, dessen Versicherung gemäß dem ZZNN, die Zahlung der Verbrauchsteuer gemäß dem bulgarischen Verbrauchsteuergesetz, und zwar auch im Fall einer Übertragung der Verpflichtung, da diese Möglichkeit im Ermessen der verpflichteten Person liege.


14      Insoweit lässt sich der Ursprung der Vorschriften zur Aufrechterhaltung eines hohen Maßes an Ölvorräten auf die Erwägungsgründe 1 und 2 der Richtlinie von 1968 zurückführen.


15      Hervorhebung nur hier.


16      Bei der Ausarbeitung des Richtlinienentwurfs ging die Kommission davon aus, dass die Vielfalt der nationalen Systeme „kein Problem darstell[e]“ (siehe S. 17 des Arbeitsdokuments der Kommission zum Richtlinienvorschlag – Folgenabschätzung, KOM[2008] 775, in englischer Sprache verfügbar auf der Internetseite: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/ALL/?uri=CELEX%3A52008SC2858, im Folgenden: Folgenabschätzung).


17      Vgl. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2009/119.


18      Vgl. Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2009/119.


19      Vgl. Urteil vom 8. Juni 2023, VB (Information der in Abwesenheit verurteilten Person) (C‑430/22 und C‑468/22, EU:C:2023:458, Rn. 24).


20      Zum Beispiel beziehen sich die Erwägungsgründe 10, 11 und 19 der Richtlinie 2009/119 auf Verpflichtungen, die „Unternehmen“ auferlegt sind.


21      Vgl. Art. 8 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/119.


22      Vgl. Art. 8 Abs. 1 Buchst. c und d der Richtlinie 2009/119.


23      Hervorhebung nur hier.


24      Siehe Nr. 40 der vorliegenden Schlussanträge.


25      Hervorhebung nur hier.


26      Hervorhebung nur hier. Diese Bestimmungen wurden in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie von 2006 übernommen.


27      Siehe Nr. 15 der vorliegenden Schlussanträge.


28      Vgl. dritter Erwägungsgrund der Durchführungsrichtlinie 2018/1581.


29      Siehe Nr. 41 der vorliegenden Schlussanträge.


30      Vgl. Art. 3 der Richtlinie von 1968 und Art. 2 der Richtlinie von 2006. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Art. 5 der geänderten Richtlinie von 1968 vorsah, dass „[d]ie gemäß Artikel 1 [(entspricht Art. 3 der geltenden Richtlinie)] zu haltenden Pflichtvorräte … sowohl in Form von Rohöl und Halbfertigerzeugnissen als auch in Form von Fertigerzeugnissen gehalten werden [dürfen]“ (Hervorhebung nur hier).


31      Vgl. S. 15 und 21 (jeweils Punkte 2.2.3.1 und 3.2.4) der Folgenabschätzung.


32      Anhang III gibt im Wesentlichen die Methode zur Berechnung der Vorräte des IEA-Übereinkommens wieder (siehe Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge).


33      Siehe Nr. 15 der vorliegenden Schlussanträge. Hervorhebung nur hier.


34      Siehe statistische Datenblätter von Eurostat „The EU emergency oil stocks“ vom Juli 2022, die belegen, dass nur sieben Mitgliedstaaten Vorräte an „allen anderen Produkten“ („all other products“) besaßen (siehe Daten in englischer Sprache auf der Eurostat-Website: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Emergency_oil_stocks_statistics#Emergency_oil_stocks_statistics).


35      Diese Produkte decken sich im Wesentlichen mit den in Art. 2 der Richtlinie von 2006 aufgeführten Produkten (siehe Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge).


36      Dies wäre beispielsweise gerechtfertigt, wenn ein Staat nicht über eigene Rohölressourcen oder große Raffinerien verfügt, die die erforderlichen Vorräte halten könnten, und vollständig von Einfuhren abhängig ist (vgl. entsprechend Urteil vom 10. Juli 1984, Campus Oil u. a., 72/83, EU:C:1984:256, Rn. 34 und 35).


37      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Januar 2022, Sātiņi-S (C‑234/20, im Folgenden: Urteil Sātiņi-S, EU:C:2022:56, Rn. 56 bis 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).


38      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2023, TP (Videoredakteur beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen) (C‑356/21, EU:C:2023:9, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).


39      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. April 2021, Federazione nazionale delle imprese elettrotecniche ed elettroniche (Anie) u. a. (C‑798/18 und C‑799/18, EU:C:2021:280, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).


40      Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 der Charta muss jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte insbesondere „gesetzlich vorgesehen“ sein, was bedeutet, dass die gesetzliche Grundlage für den Eingriff den Umfang der Einschränkung dieses Rechts selbst klar und genau festlegen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2020, Recorded Artists Actors Performers, C‑265/19, EU:C:2020:677, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall ist es jedoch unbestritten, dass die Einschränkung der Rechte von Unternehmen im ZZNN klar und genau vorgesehen ist.


41      Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 2 der Charta dürfen Einschränkungen unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Vgl. in diesem Sinne Urteil Sātiņi-S (Rn. 62 und 63 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


42      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2023, TP (Videoredakteur beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen) (C‑356/21, EU:C:2023:9, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).


43      Vgl. entsprechend Urteil Sātiņi-S (Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).


44      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 1984, Campus Oil u. a. (72/83, EU:C:1984:256, Rn. 34 und 35), und vom 17. September 2020, Hidroelectrica (C‑648/18, EU:C:2020:723, Rn. 37), sowie 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. 2009, L 211, S. 55).


45      Vgl. entsprechend Urteil Sātiņi-S (Rn.  65 und die dort angeführte Rechtsprechung).


46      Hervorhebung nur hier.


47      Vgl. insoweit zehnter Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/119.


48      Vgl. entsprechend Urteil vom 10. Juli 1984, Campus Oil u. a. (72/83, EU:C:1984:256, Rn. 47).


49      Vgl. entsprechend Urteil vom 30. Juni 2016, Lidl (C‑134/15, EU:C:2016:498, Rn. 27).