SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PEDRO CRUZ VILLALÓN
vom 11. Juni 2015(1)
Rechtssache C‑59/14
Firma Ernst Kollmer Fleischimport und -export
gegen
Hauptzollamt Hamburg-Jonas
(Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Hamburg [Deutschland])
„Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 – Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union – Art. 3 Abs. 1 – Rückforderung einer Ausfuhrerstattung – Vorfinanzierung – Verjährungsfrist – Beginn – Handlung oder Unterlassung des Wirtschaftsteilnehmers – Schadenseintritt – Freigabe der Sicherheit – Andauernder oder wiederholter Verstoß – Punktueller Verstoß“
1. Das Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Hamburg ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Firma Ernst Kollmer Fleischimport und ‑export (im Folgenden: Ernst Kollmer) und dem Hauptzollamt Hamburg-Jonas (im Folgenden: Hauptzollamt) betreffend die Ausfuhren von Rindfleisch-Sendungen nach Jordanien Anfang der 90er Jahre, die unter Verletzung des gegen den Irak verhängten Embargos in den Irak reexportiert wurden.
2. Diese Ausfuhren gaben bereits Anlass zu den Urteilen Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb u. a.(2) und Ze Fu Fleischhandel und Vion Trading(3). In dem zuerst genannten Urteil bestätigte der Gerichtshof, dass die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95(4) festgelegte Verjährungsfrist auch auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen der Rückforderung von Ausfuhrerstattungen, die Ausführer infolge von – selbst vor Inkrafttreten dieser Verordnung begangenen – Unregelmäßigkeiten zu Unrecht erlangt haben, anwendbar ist. Er stellte ferner ohne nähere Ausführungen fest, dass diese Frist ab Begehung der Unregelmäßigkeit zu laufen beginnt(5).
3. Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof mit der konkreten Frage befasst, zu welchem Zeitpunkt die fragliche Verjährungsfrist zu laufen beginnt, wenn die Rückzahlung vorfinanzierter und durch eine entsprechende Kaution abgesicherter Ausfuhrerstattungen gefordert wird(6).
I – Rechtlicher Rahmen
4. Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 sieht vor:
„(1) Zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften wird eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht getroffen.
(2) Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.“
5. Art. 3 Abs. 1 und 3 dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.
Bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten beginnt die Verjährungsfrist an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. Bei den mehrjährigen Programmen läuft die Verjährungsfrist auf jeden Fall bis zum endgültigen Abschluss des Programms.
Die Verfolgungsverjährung wird durch jede der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachte Ermittlungs- oder Verfolgungshandlung der zuständigen Behörde unterbrochen. Nach jeder eine Unterbrechung bewirkenden Handlung beginnt die Verjährungsfrist von neuem.
Die Verjährung tritt jedoch spätestens zu dem Zeitpunkt ein, zu dem eine Frist, die doppelt so lang ist wie die Verjährungsfrist, abläuft, ohne dass die zuständige Behörde eine Sanktion verhängt hat; ausgenommen sind die Fälle, in denen das Verwaltungsverfahren gemäß Artikel 1 Absatz 6 ausgesetzt worden ist.
…
(3) Die Mitgliedstaaten behalten die Möglichkeit, eine längere Frist als die in Absatz 1 … vorgesehene Frist anzuwenden.“
6. Nach Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 565/80(7) wird „[a]uf Antrag … ein der Ausfuhrerstattung entsprechender Betrag gezahlt, sobald die Erzeugnisse oder Waren im Hinblick auf ihre Ausfuhr innerhalb einer bestimmten Frist einem Zolllagerverfahren oder Freizonenverfahren unterworfen worden sind“.
7. Art. 6 der Verordnung Nr. 565/80 bestimmt:
„Für die Anwendung der in dieser Verordnung vorgesehenen Regelung ist die Stellung einer Kaution erforderlich, durch die die Rückzahlung eines Betrages in Höhe des gezahlten Betrags, zuzüglich eines Zusatzbetrags, sichergestellt wird.
Unbeschadet von Fällen höherer Gewalt verfällt diese Kaution ganz oder teilweise,
– wenn die Rückzahlung bei innerhalb der Frist nach Artikel 4 Absatz 1 und Artikel 5 Absatz 1 nicht erfolgter Ausfuhr nicht vorgenommen worden ist oder
– wenn kein Erstattungsanspruch besteht oder Anspruch auf eine niedrigere Erstattung bestand.“
8. Nach Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 3665/87(8) muss das Erzeugnis für die Entstehung des Anspruchs auf die Ausfuhrerstattung in unverändertem Zustand in eines der Drittländer, für welche die Erstattung vorgesehen ist, innerhalb einer Frist von zwölf Monaten nach Annahme der Ausfuhranmeldung eingeführt worden sein. Gemäß Art. 17 Abs. 3 dieser Verordnung „gilt [das Erzeugnis] als eingeführt, wenn die Zollförmlichkeiten für die Überführung in den freien Verkehr in dem betreffenden Drittland erfüllt sind“.
9. Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 3665/87 sieht vor:
„Der Nachweis der Erfüllung der Zollförmlichkeiten für die Überführung in den freien Verkehr erfolgt durch die Vorlage
a) des jeweiligen Zollpapiers, einer Kopie oder Fotokopie dieses Papiers; diese Kopie oder Fotokopie muss entweder von der Stelle, die das Original abgezeichnet hat, einer Behörde des betreffenden Drittlandes oder von einer Behörde eines Mitgliedstaats beglaubigt sein oder
b) der Verzollungsbescheinigung, die nach dem Muster im Anhang II in einer oder mehreren Amtssprachen der Gemeinschaft und in einer im betreffenden Drittland verwendeten Sprache ausgestellt ist, oder
c) eines jeglichen anderen, vom Zoll des betreffenden Drittlandes abgezeichneten Dokuments, in dem die Erzeugnisse identifiziert sind und aus dem hervorgeht, dass die Erzeugnisse in diesem Drittland in den freien Verkehr überführt wurden.“
10. Die Freigabe der Sicherheit ist detailliert in Art. 33 der Verordnung Nr. 3665/87 geregelt.
II – Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
11. Mit mehreren Bescheiden aus den Jahren 1992 und 1993 gewährte das Hauptzollamt Ernst Kollmer gemäß dem Antrag dieses Ausführers gegen Sicherheitsleistung die Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattung(9) für verschiedene Sendungen Rindfleisch. Am 10. August 1993 übersandte Ernst Kollmer dem Hauptzollamt u. a. eine jordanische Zollerklärung vom 9. März 1993, die die Abfertigung der Ausfuhrsendung bescheinigte. Das Hauptzollamt erkannte die Unterlagen im Jahr 1993 als Nachweis für die Überführung der ausgeführten Erzeugnisse in den freien Verkehr in Jordanien an und gab einen Teil der Kaution im selben Jahr frei. Der Rest der Sicherheitsleistung wurde am 30. April 1996 bzw. 4. März 1998 freigegeben(10).
12. Anlässlich einer Missionsreise des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) im Jahr 1998 wurde festgestellt, dass jordanische Zollpapiere in vielen Fällen nicht die Entrichtung der Eingangsabgaben und die Überführung des Fleischs in den freien Verkehr in Jordanien nachwiesen. Stattdessen wurden die Papiere vor Erhebung der Abgaben storniert und die entsprechenden Waren tatsächlich in den Irak (ein Land, gegen das ein Embargo verhängt war) befördert. Dies geschah u. a. mit der von Ernst Kollmer vorgelegten Verzollungsbescheinigung (wenn auch, nach ihren Angaben, ohne ihr Wissen). Mit Bescheid vom 23. September 1999 forderte das Hauptzollamt daraufhin die Ausfuhrerstattung von dem Ausführer zurück, da dieser nicht den für die Inanspruchnahme dieser Erstattung erforderlichen Nachweis erbracht habe. Aufgrund des Urteils Ze Fu Fleischhandel und Vion Trading(11) des Gerichtshofs hob das Hauptzollamt seinen Rückforderungsbescheid teilweise (bezüglich des Teils der im Jahr 1993 freigegebenen Sicherheit) wegen Verjährung auf, forderte von Ernst Kollmer aber weiterhin die Rückzahlung von fast 60 000 Euro, die dem Teil der im April 1996 und im März 1998 freigegebenen Sicherheit entsprechen.
13. Mit ihrer Klage vor dem Finanzgericht Hamburg macht Ernst Kollmer im Wesentlichen geltend, dass der Anspruch auf Rückforderung der ihr gewährten Ausfuhrerstattung verjährt sei(12). Die vierjährige Verjährungsfrist von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 beginne im Zeitpunkt der Begehung der Unregelmäßigkeit zu laufen und nicht mit der Freigabe der Sicherheit. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 knüpfe den Tatbestand der Unregelmäßigkeit ausdrücklich an eine Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, das sei im vorliegenden Fall die Vorlage der jordanischen Verzollungsbescheinigung. Diese Handlung habe –vorausgesetzt, dass der Erstattungsanspruch rechtswidrig geltend gemacht worden sei – für den Unionshaushalt insofern einen Schaden bewirkt, als sie als Ausführer im Wege der Vorfinanzierung einen ihrem Erstattungsanspruch entsprechenden Betrag zulasten dieses Haushalts bereits tatsächlich erhalten habe.
14. Das Hauptzollamt trägt vor dem Finanzgericht Hamburg vor, dass noch keine Verjährung gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 eingetreten sei, weil der für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebende Zeitpunkt der Zeitpunkt der Freigabe der Sicherheit sei (im vorliegenden Fall frühestens 1996), da erst dann endgültig über die Gewährung der Ausfuhrerstattung entschieden worden und ein Schaden im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 entstanden sei. Die Vorfinanzierung sei durch eine Kaution abgesichert, so dass dem Unionshaushalt mit ihrer Zahlung noch kein Schaden entstanden sei. Bis zur Freigabe der Sicherheit behalte das Hauptzollamt die Möglichkeit, die Kaution zurückzugeben oder einzubehalten.
15. Nach Auffassung des Finanzgerichts Hamburg stellt die Vorlage einer unrichtigen Verzollungsbescheinigung durch Ernst Kollmer zum Nachweis der Überführung der Sendung in den freien Verkehr in Jordanien einen Verstoß gegen eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts, konkret gegen Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 3665/87, dar. Wenn für die Zwecke von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 für die Annahme einer Unregelmäßigkeit allein auf die Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers abzustellen sei, mit der gegen eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts verstoßen werde, unabhängig davon, wann der Schaden eintrete, wäre die Verjährungsfrist im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids über die Rückforderung der zu Unrecht gezahlten Ausfuhrerstattung im Jahr 1999 bereits abgelaufen gewesen, da die Verjährungsfrist nach der zitierten Bestimmung vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit betrage. Gehe man umgekehrt davon aus, dass eine Unregelmäßigkeit erst dann vorliege, wenn auch ein Schaden entstanden sei, müsse für die Feststellung, ob die Verjährung im Jahr 1999 bereits eingetreten gewesen sei, entschieden werden, ob der Schaden bereits mit der Zahlung des der Ausfuhrerstattung entsprechenden Vorfinanzierungsbetrags in den Jahren 1992 bzw. 1993 eingetreten sei oder erst im Zeitpunkt der Freigabe der Sicherheiten in den Jahren 1996 bzw. 1998.
16. Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Hamburg entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Setzt die für den Beginn der Verjährungsfrist nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 erforderliche und in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 definierte Unregelmäßigkeit in einem Fall, in dem der Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung erst nach Eintritt eines Schadens aufgedeckt wurde, neben einer Handlung oder Unterlassung des Wirtschaftsteilnehmers kumulativ voraus, dass ein Schaden für den Gesamthaushalt der Union oder die Haushalte, die von der Union verwaltet werden, bewirkt worden ist, so dass die Verjährungsfrist erst ab Schadenseintritt zu laufen beginnt, oder beginnt die Verjährungsfrist unabhängig vom Zeitpunkt des Schadenseintritts bereits mit der Handlung oder Unterlassung des Wirtschaftsteilnehmers, die sich als Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung darstellt?
2. Sofern auf die erste Frage geantwortet wird, dass die Verjährungsfrist erst mit Eintritt des Schadens beginnt:
Liegt – im Zusammenhang mit der Rückforderung endgültig gewährter Ausfuhrerstattung – ein Schaden im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 bereits vor, wenn einem Ausführer ein der Ausfuhrerstattung entsprechender Betrag im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 565/80 gezahlt worden ist, ohne dass die Sicherheit nach Art. 6 der Verordnung (EWG) Nr. 565/80 bereits freigegeben worden wäre, oder liegt ein Schaden erst im Zeitpunkt der Freigabe der Sicherheit bzw. endgültigen Gewährung der Ausfuhrerstattung vor?
17. Im vorliegenden Verfahren haben Ernst Kollmer, die griechische Regierung und die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht.
III – Zusammenfassung der Standpunkte der Beteiligten
18. In Bezug auf die erste Vorlagefrage vertritt Ernst Kollmer die Auffassung, dass für den Beginn der Verjährungsfrist allein die Begehung einer Unregelmäßigkeit entscheidend sei, wie sie in Art. 1 Abs. 2 definiert werde, unabhängig davon, wann der Schaden eintrete (und wann er aufgedeckt werde). Zur Begründung ihrer Auffassung stützt sie sich auf den Grundsatz der Rechtssicherheit (in seiner Ausprägung der Vorhersehbarkeit des Fristbeginns). Maßgebend für den Beginn der Verjährungsfrist sei ein konkretes Verhalten des Wirtschaftsteilnehmers und nicht eine Verwaltungsentscheidung, die zu einem gesetzlich nicht bestimmten Zeitpunkt erlassen werden könne.
19. Die griechische Regierung hat ihre Stellungnahme auf die erste Vorlagefrage beschränkt. Nach ihrer Auffassung ist für den Beginn der Verjährungsfrist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die zuständige Behörde feststellt, dass die Zahlung zu Unrecht erfolgt ist (d. h. in der vorliegenden Rechtssache der Zeitpunkt, in dem die Zollbehörden Kenntnis von den Ergebnissen der von OLAF durchgeführten Kontrolle hatten). Dies sei ein eindeutiges und objektives Kriterium zur Bestimmung des Zeitpunkts des Beginns der Verjährung, da dies der Zeitpunkt sei, zu dem alle Voraussetzungen für eine Rückforderung des zu Unrecht gezahlten Betrags vorlägen. Die griechische Regierung legt Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 dahin aus, dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten ein Ermessen sowohl hinsichtlich der Festsetzung längerer Verjährungsfristen als auch hinsichtlich der Festsetzung des Zeitpunkts, zu dem die Verjährung beginne, einräume. Somit könne im nationalen Recht gemäß der angeführten Verordnung auch die Feststellung der Unregelmäßigkeit und des Schadens als Zeitpunkt für den Beginn der Verjährungsfrist festgelegt werden.
20. Zur zweiten Vorlagefrage – für den Fall, dass der Gerichtshof antworten sollte, dass der Beginn der Verjährung von der Entstehung des Schadens abhängt – trägt Ernst Kollmer vor, dass der Schaden bereits im Zeitpunkt der Zahlung der Vorfinanzierung eintrete, da diese Vorfinanzierung eine „Ausgabe“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 darstelle. Für ihre Auffassung stützt sie sich auch auf den weiten Schadensbegriff, der sich dem Urteil Chambre de commerce et d'industrie de l'Indre entnehmen lässt, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass „[a]uch Unregelmäßigkeiten, die keine konkreten finanziellen Auswirkungen haben, … die finanziellen Belange der Union ernsthaft beeinträchtigen [können]“(13). Außerdem müsse die Verjährungsfrist zu einem gesetzlich bestimmten Zeitpunkt beginnen, und dies sei gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung der der Begehung der Unregelmäßigkeit; dieser Zeitpunkt sei gesetzlich klar festgelegt und für die Wirtschaftsteilnehmer vorhersehbar, selbst wenn sie von einer Unregelmäßigkeit keine Kenntnis gehabt hätten oder hätten haben müssen. Wenn der Beginn der Verjährung von der Entscheidung der Behörde über die Freigabe der Kaution abhängig gemacht werde, dann sei dieser Zeitpunkt nicht vorhersehbar, da nicht gesetzlich bestimmt sei, zu welchem Zeitpunkt die Sicherheit freigegeben werden müsse(14).
21. Ernst Kollmer fügt hinzu, dass in der uns beschäftigenden Rechtssache das Hauptzollamt die Freigabe der Sicherheit unzulässigerweise verzögert und von Tatsachen abhängig gemacht habe, die mit dem Sachverhalt des vorliegenden Rechtsstreits nichts zu tun hätten. Dieser Umstand belege, dass die Zollbehörden, wenn man für den Beginn der Verjährung auf ihre Entscheidung über die Freigabe der Sicherheit abstellte, es in der Hand hätten, über den Beginn der Verjährungsfrist zu entscheiden. Objektiv sei es, als im August 1993 beim Hauptzollamt die vom jordanischen Zoll ausgestellte (unrichtige) Erklärung über die Verzollung der Ausfuhrsendung vorgelegt worden sei (d. h., als die Unregelmäßigkeit begangen worden sei), mit der Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattung bereits zu einer „ungerechtfertigten Ausgabe“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 und dem entsprechenden Schaden – gemäß dem Urteil Chambre de commerce et d'industrie de l'Indre(15) verstanden als ernsthafte Beeinträchtigung der finanziellen Belange der Union – gekommen. Nach Auffassung von Ernst Kollmer müssen der „Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers“ und der Eintritt eines Schadens für den Gesamthaushaltsplan der Union nicht in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang stehen; sie müssten nur auf demselben Sachverhalt beruhen.
22. Nach Auffassung der Kommission – die vorschlägt, die Vorlagefragen umzuformulieren und zusammen zu beantworten – wird in Fällen wie dem vorliegenden die Unregelmäßigkeit mit dem Zeitpunkt der Freigabe der Sicherheit sozusagen „vollendet“. Erst zu diesem Zeitpunkt beginne die Verjährungsfrist von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95, da erst zu diesem Zeitpunkt der Anspruch auf Rückzahlung des rechtswidrig erlangten Vorteils dem Grund und der Höhe nach bestimmt werden könne. Die endgültige Entscheidung über den Betrag der Ausfuhrerstattung werde – mit der daraus folgenden (gleichzeitigen) Freigabe der fraglichen Sicherheit, deren Zweck darin bestehe, den Haushalt der Union bis zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der beantragten Ausfuhrerstattung zu schützen – nach Erhalt und Prüfung der Ausfuhrbescheinigungen erlassen.
23. Wenn der Gerichtshof der Ansicht sein sollte, dass der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht im vorliegenden Fall mit der Einreichung der falschen Verzollungsbescheinigung begangen worden sei, müsse es sich, so die Kommission, um einen andauernden Verstoß handeln, der erst im Zeitpunkt der Freigabe der Sicherheitsleistung nach der endgültigen Entscheidung der Zollbehörde über die tatsächliche Höhe der beantragten Ausfuhrerstattung beendet sei. In der vorliegenden Rechtssache sei es zu dem Zeitpunkt, zu dem Ernst Kollmer ihre Verzollungsbescheinigung eingereicht habe, noch vollkommen offen gewesen, ob es jemals zu einem unrechtmäßigen Vorteil hätte kommen können, da noch nicht abschließend entschieden worden sei, ob überhaupt ein Anspruch auf Ausfuhrerstattung bestanden habe. In diesem besonderen Zusammenhang könne deshalb für den Beginn der Verjährung nicht allein auf die ursprüngliche Handlung des Wirtschaftsteilnehmers abgestellt werden. Der Schaden für den Unionshaushalt entstehe daher erst zu dem Zeitpunkt, zu dem endgültig entschieden werde, dass ein Anspruch auf die Ausfuhrerstattung bestehe, da erst dann die Sicherheit freigegeben werde. Bei sehr langen Verfahren würde ein Beginn der Verjährung zum Zeitpunkt der ursprünglichen Handlung des Wirtschaftsteilnehmers dazu führen, dass die zu Unrecht gewährten Vorteile praktisch nie mehr rechtzeitig zurückgefordert werden könnten.
IV – Prüfung
A – Erste Vorlagefrage
1. Einleitung
24. Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das Finanzgericht Hamburg im Wesentlichen wissen, ob für den Beginn der Verjährungsfrist nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 in Fällen, in denen der Verstoß gegen eine Bestimmung des Unionsrechts erst nach Eintritt eines Schadens aufgedeckt wurde, nicht nur eine Handlung oder Unterlassung des Wirtschaftsteilnehmers vorausgesetzt wird, sondern zusätzlich verlangt wird, dass ein Schaden für den Gesamthaushalt der Union oder die Haushalte, die von der Union verwaltet werden, bewirkt worden ist. Für den Fall, dass diese Vorlagefrage bejaht werden sollte, möchte das vorlegende Gericht zweitens wissen, wann insoweit der Schaden als eingetreten anzusehen ist, nämlich konkret, ob der Schaden durch die Vorfinanzierung eines der Ausfuhrerstattung entsprechenden Betrags oder erst durch die Freigabe der entsprechenden Sicherheit eintritt.
25. Die Beantwortung der ersten Vorlagefrage erfordert im Wesentlichen eine Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95, wonach die Verjährungsfrist für die Verfolgung vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Art. 1 dieser Verordnung beträgt(16). Art. 3 Abs. 3 dieser Verordnung erkennt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu, eine längere Frist als die in Abs. 1 vorgesehene anzuwenden.
26. Nach dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 wird der Beginn der Verjährung somit durch die Begehung der Unregelmäßigkeit bestimmt, die in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung definiert wird als „jede[r] Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers …, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe“. Diese Definition erfasst sowohl vorsätzlich begangene oder durch Fahrlässigkeit verursachte Unregelmäßigkeiten, die zu einer verwaltungsrechtlichen Sanktion führen können, als auch solche, die lediglich den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils bewirken(17).
2. Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95
27. Mit dem Ziel, die finanziellen Interessen der Europäischen Union zu schützen, legt die Verordnung Nr. 2988/95 eine Reihe allgemeiner Vorschriften in Bezug auf die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in allen Bereichen der Unionspolitik fest, die gegen das Unionsrecht verstoßen und die zu einem Schaden für die finanziellen Interessen der Union führen.
28. Mit Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 wollte der Unionsgesetzgeber eine allgemeine Verjährungsregelung schaffen, die anwendbar ist, wenn nicht eine sektorbezogene Unionsregelung eine kürzere Frist – die jedoch nicht weniger als drei Jahre betragen darf – oder eine nationale Rechtsvorschrift eine längere Verjährungsfrist vorsieht(18). Die Vorschrift von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Verordnung gilt für alle Verwaltungsmaßnahmen, die von den nationalen Behörden und den Unionsbehörden zur Ahndung solcher Unregelmäßigkeiten erlassen werden, gleichviel, ob es sich dabei im engen Sinne um verwaltungsrechtliche Sanktionen gemäß Art. 5 der Verordnung oder um Maßnahmen zum Entzug eines unrechtmäßig erlangten Vorteils im Sinne von Art. 4 handelt, wie sie die Rückforderung einer Ausfuhrerstattung darstellt, die der Ausführer wegen von ihm begangener Unregelmäßigkeiten zu Unrecht erhalten hat(19).
29. Vor dem Erlass der Verordnung Nr. 2988/95 gab es im Unionsrecht keine Verjährungsvorschrift für die Wiedereinziehung von Vorteilen, die Wirtschaftsteilnehmer zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union rechtswidrig erlangt haben. Mit dem Erlass von Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung wollte der Unionsgesetzgeber zum einen eine in allen Mitgliedstaaten geltende Mindestfrist festlegen – womit der Unionsgesetzgeber den Zeitraum, in dem die Behörden der Mitgliedstaaten, wenn sie im Namen oder für Rechnung des Unionshaushalts handeln, solche rechtswidrig erlangten Vorteile zurückfordern müssen oder hätten zurückfordern müssen, bewusst auf vier Jahre verkürzt hat(20). Zum anderen sollte damit auf die Rückforderung von zu Unrecht aus dem Unionshaushalt erlangten Beträgen nach Ablauf von vier Jahren seit Begehung der die streitigen Zahlungen betreffenden Unregelmäßigkeit verzichtet werden(21). Die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 vorgesehene Verjährungsfrist gilt auch für vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung begangene Unregelmäßigkeiten(22), wie es bei der in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden der Fall ist(23).
30. Mit der in Rede stehenden Verjährungsfrist soll festgelegt werden, bis wann die nationalen Behörden gegen Unregelmäßigkeiten vorgehen können, die nach dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 einen Schaden für die finanziellen Interessen der Union bewirkt haben bzw. haben würden. Den Mitgliedstaaten obliegt bei der Prüfung, ob die von ihnen geleisteten und den Haushalt der Union belastenden Zahlungen ordnungsgemäß erfolgt sind, eine allgemeine Sorgfaltspflicht, die aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV abgeleitet ist, zu der es gehört, dass sie Maßnahmen zur raschen Behebung von Unregelmäßigkeiten ergreifen müssen(24). Wenn aus der Sicht der nationalen Behörden eine Verjährungsfrist von vier Jahren zu kurz erscheinen sollte, um ihnen die Verfolgung von Unregelmäßigkeiten zu ermöglichen, die eine gewisse Komplexität aufweisen, steht es dem nationalen Gesetzgeber frei, eine dieser Art von Unregelmäßigkeiten angepasste längere Verjährungsvorschrift zu erlassen(25), die den aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit abgeleiteten Anforderungen der Vorhersehbarkeit und der Verhältnismäßigkeit genügen muss(26).
3. Zum Beginn der Verjährungsfrist gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95
31. Im Hinblick auf erstens den Wortlaut der Vorschrift ist Folgendes zu bemerken. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung beträgt die Verjährungsfrist für die Verfolgung vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit. Mit dieser Formulierung stellt diese Vorschrift, was den Beginn der Verjährungsfrist betrifft, auf die Unregelmäßigkeit selbst, wie sie in Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung definiert ist, und auf den Zeitpunkt ihrer „Begehung“ ab.
32. In der vorliegenden Rechtssache bestand die Unregelmäßigkeit nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts darin, dass Ernst Kollmer am 10. August 1993 eine unrichtige Verzollungsbescheinigung vorgelegt hat, um nachzuweisen, dass die Sendung in Jordanien in den freien Verkehr überführt worden sei, was einen Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 3665/87 darstellt.
33. Berücksichtigt man ausschließlich den Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95, macht diese Bestimmung den Beginn der Verjährungsfrist nicht vom Eintreten irgendeines Ergebnisses abhängig, da dort von der „Begehung der Unregelmäßigkeit“ die Rede ist und nicht von deren „Ergebnis“: Nach dem Wortlaut der Bestimmung wird der Beginn der Frist nicht durch den Eintritt eines Schadens bestimmt, sondern durch ein bestimmtes Verhalten des Wirtschaftsteilnehmers(27), durch das gegen eine Bestimmung des Unionsrechts verstoßen wird. Ein Blick auf andere Sprachfassungen dieser Bestimmung bestätigt diese Beurteilung, da in keiner von ihnen auf ein irgendwie geartetes Ergebnis angespielt wird: Während in der englischen Sprachfassung die Wendung „when the irregularity … was commited“ benutzt wird, heißt es in der spanischen Sprachfassung „realización de la irregularidad“, in der französischen Sprachfassung „réalisation de l'irrégularité“, im Italienischen „esecuzione dell'irregolarità“ und im Portugiesischen „data em que foi praticada a irregularidade“(28). Somit stellen alle diese Fassungen auf die Begehung der Unregelmäßigkeit ab und nicht auf deren Auswirkungen oder Ergebnis.
34. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung wiederum definiert die „Unregelmäßigkeit“ dahin, dass „[d]er Tatbestand der Unregelmäßigkeit … bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben [ist], die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde“(29). Die Verwendung des Konjunktivs „bewirkt haben würde“ scheint darauf hinzudeuten, dass eine Unregelmäßigkeit auch dann vorliegt, wenn der Schaden noch nicht eingetreten ist oder sich nicht endgültig konkretisiert hat, sofern das Verhalten des Wirtschaftsteilnehmers potenziell geeignet ist, ihn zu verursachen(30).
35. Es kann durchaus vorkommen, dass es, wie in der vorliegenden Rechtssache, nicht möglich ist, den zu Unrecht erlangten Vorteil zum Zeitpunkt der Begehung der Unregelmäßigkeit zu beziffern(31). Dies sollte jedoch nichts an der Auslegung der Bestimmung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 ändern, vor allem, wenn man berücksichtigt, dass „[a]uch Unregelmäßigkeiten, die keine konkreten finanziellen Auswirkungen haben, … die finanziellen Belange der Union ernsthaft beeinträchtigen [können]“(32).
36. Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 war wiederholt Gegenstand der Prüfung durch den Gerichtshof, der bei seiner Anwendung immer auf den Wortlaut abgestellt und in keinem Fall den Eintritt eines Schadens verlangt hat, um die Verjährungsfrist beginnen zu lassen. In diesem Sinne ist vor allem das Urteil Handlbauer(33) anzuführen, in dem der Gerichtshof erstmals festgestellt hat, dass diese Bestimmung „den Mitgliedstaaten [mit] der Festsetzung einer Verjährungsfrist für die Verfolgung von vier Jahren ab Begehung der Unregelmäßigkeit keinen Beurteilungsspielraum lässt“(34) und dass die in Art. 3 Abs. 1 festgesetzte Verjährungsfrist „ab Begehung der Unregelmäßigkeit läuft“(35).
37. Diese Formel wurde später wörtlich auch im Urteil Josef Vosding Schlacht‑, Kühl- und Zerlegebetrieb u. a.(36) verwendet, das ebenso wie die vorliegende Rechtssache die Vorfinanzierung von Ausfuhrerstattungen für gleichartige streitige Ausfuhrsendungen von Rindfleisch, die ursprünglich für Jordanien bestimmt waren und schließlich in den Irak befördert wurden, zum Gegenstand hatte. In diesem Urteil wiederholte der Gerichtshof, dass die fraglichen Schulden grundsätzlich nach Ablauf einer Frist von vier Jahren „seit dem Zeitpunkt der Begehung der Unregelmäßigkeiten“(37) verjährt sein müssen. Die Verjährung tritt ein, „wenn nicht innerhalb von vier Jahren nach Begehung einer solchen Unregelmäßigkeit eine Handlung vorgenommen wird, die eine Unterbrechung bewirkt“, so dass, wenn „wie in den Ausgangsverfahren eine Unregelmäßigkeit … begangen worden [ist,] ... eine solche Unregelmäßigkeit ... je nach dem genauen Zeitpunkt der Begehung dieser auf das Jahr 1993 zurückgehenden Unregelmäßigkeit im Lauf des Jahres 1997 verjährt [ist]“(38), wobei die Mitgliedstaaten jedoch längere Verjährungsfristen vorsehen können. Der Gerichtshof stellte dann im Tenor des Urteils ausdrücklich fest, dass die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist „ab dem Zeitpunkt der Begehung der fraglichen Unregelmäßigkeit zu laufen [beginnt]“.
38. Ich bin daher, was den vorliegenden Fall betrifft, im Wesentlichen im Hinblick auf den Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmung und unter Berücksichtigung ihrer Auslegung durch den Gerichtshof der Auffassung, dass die Verjährungsfrist durch die einen Verstoß gegen eine unionsrechtliche Bestimmung darstellende Handlung des Wirtschaftsteilnehmers in Gang gesetzt wurde, d. h. durch die am 10. August 1993 erfolgte Vorlage einer Verzollungsbescheinigung, die sich als unrichtig herausgestellt und die an Ernst Kollmer in den Jahren 1992 bzw. 1993 gezahlte Vorfinanzierung rechtswidrig werden ließ.
39. In diesem Zusammenhang kann ich die in Rn. 30 ihrer Erklärungen zum Ausdruck gebrachte Auffassung der Kommission nicht teilen, dass hier ein „andauernder Verstoß“ vorliege, der mit der Einreichung der erwähnten Verzollungsbescheinigung begonnen und im Zeitpunkt der Freigabe der Sicherheit infolge der endgültigen Entscheidung über die tatsächliche Höhe der Ausfuhrerstattung geendet habe.
40. Wenn man von der Definition der „andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeit“ durch den Gerichtshof im Urteil Vonk Dairy Products („eine Unregelmäßigkeit [ist] andauernd oder wiederholt im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95, wenn sie von einem Wirtschaftsteilnehmer der Gemeinschaft begangen wird, der wirtschaftliche Vorteile aus einer Gesamtheit ähnlicher Geschäfte zieht, die gegen dieselbe Vorschrift des Gemeinschaftsrechts verstoßen“)(39) oder der – einen anderen Zusammenhang betreffenden – Definition des Begriffs „fortgesetzte Zuwiderhandlung“ im Urteil Montecatini („der Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung [mag] zwar in den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten einen etwas verschiedenen Inhalt haben …, [umfasst] jedenfalls aber eine Mehrzahl von rechtswidrigen Verhaltensweisen oder von Handlungen zur Durchführung einer einzigen Zuwiderhandlung …, die durch ein gemeinsames subjektives Element zu einer Einheit verbunden sind“)(40) ausgeht, liegt es auf der Hand, dass die Vorlage einer einzigen – sich als falsch herausstellenden – Zollbescheinigung in Bezug auf eine einzige Rindfleisch-Ausfuhrsendung nicht die Feststellung erlaubt, dass eine „andauernde oder wiederholte Unregelmäßigkeit“ vorliegt.
41. Im Rahmen einer systematischen Auslegung, die meines Erachtens die in Nr. 38 der vorliegenden Schlussanträge dargelegte grammatikalische Auslegung bestätigt, ist auf den deutlichen Unterschied hinzuweisen, der zwischen dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 und der Formulierung der Regelung des Beginns der Verjährung in der Verordnung Nr. 800/1999 (die auf Ausfuhren von landwirtschaftlichen Erzeugnissen ab dem 1. Juli 1999 anwendbar ist und daher in der vorliegenden Rechtssache nicht zur Anwendung kommt) besteht. Zu den hier interessierenden Zwecken wird in dieser Verordnung für die Rückforderung zu Unrecht erhaltener Ausfuhrerstattungen (allerdings nur für den Fall, dass der Begünstigte in gutem Glauben gehandelt hat) eine Verjährungsfrist von vier Jahren festgesetzt, die am „Tag der Mitteilung der endgültigen Entscheidung über die Gewährung der Erstattung an den Begünstigten“ zu laufen beginnt (Art. 52 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. b)(41).
42. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Verordnung Nr. 2988/95 entspricht die von mir vertretene Auslegung, dass der Beginn der Verjährungsfrist allein von der Begehung der Unregelmäßigkeit durch den Wirtschaftsteilnehmer abhängt, ohne dass es erforderlich wäre, dass ein Schaden eingetreten ist oder dass dieser bezifferbar wäre, auch den Erfordernissen, die vom Gerichtshof in Bezug auf Verjährungsfristen aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit abgeleitet worden sind, wobei die Rechtssicherheit freilich mit der Wirksamkeit der Verteidigung der finanziellen Interessen der Union, auf die diese Verordnung abzielt, in Einklang zu bringen ist.
43. Wie der Gerichtshof im Urteil Ze Fu Fleischhandel und Vion Trading (ebenfalls in Bezug auf die Vorfinanzierung von Ausfuhrerstattungen an deutsche Unternehmen für Rindfleisch-Sendungen nach Jordanien, die in den Irak gelangten) festgestellt hat, ist es „nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit u. a. erforderlich …, dass die Lage des Wirtschaftsteilnehmers im Hinblick auf seine Rechte und Pflichten gegenüber der nationalen Behörde nicht unbegrenzt offenbleiben kann … [A]uf die Verfolgung einer solchen Unregelmäßigkeit [muss] eine Verjährungsfrist anwendbar sein … und … diese Verjährungsfrist [muss], um ihren Zweck, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, zu erfüllen, im Voraus festgelegt sein“(42). Ferner hat der Gerichtshof festgestellt: „Den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zuzugestehen, der Verwaltung [zum Tätigwerden einen viel längeren Zeitraum als den in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 vorgesehenen] einzuräumen, könnte … in gewisser Weise einer Trägheit der nationalen Behörden bei der Verfolgung von ‚Unregelmäßigkeiten‘ im Sinne von Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 Vorschub leisten und gleichzeitig die Wirtschaftsteilnehmer zum einen einer langen Zeit der Rechtsunsicherheit und zum anderen der Gefahr aussetzen, nach Ablauf eines solchen Zeitraums nicht mehr beweisen zu können, dass die fraglichen Vorgänge rechtmäßig waren.“(43)
44. Es liefe jedoch der dargestellten Logik zuwider, wenn man den Beginn der Verjährungsfrist ganz von einer Handlung wie der der nationalen Verwaltung, durch die es ermöglicht wird, den Umfang des Schadens endgültig zu bestimmen, abhängig machte. Gewiss könnte der Kampf gegen die nachteiligen wirtschaftlichen Folgen für den Haushalt der Union, die sich aus den in diesem Bereich begangenen Unregelmäßigkeiten ergeben, an Wirksamkeit gewinnen, wenn der Beginn der Verjährungsfrist auf den Zeitpunkt verlegt würde, in dem der Schaden im Fall der Vorfinanzierung mit der Freigabe der Sicherheit endgültig eintritt, wie die Kommission vorschlägt. Allerdings bin ich der Auffassung, dass die grammatikalische Auslegung der fraglichen Bestimmung nicht überdehnt werden darf, wenn dadurch die aus der Rechtssicherheit abgeleiteten Erfordernisse (wie oben dargelegt) verletzt würden(44). Zwar behauptet die Kommission, dass die Kaution zu dem Zeitpunkt freizugeben ist, zu dem die Behörden endgültig über die Gewährung der Erstattung entscheiden, doch hat sie nicht dargetan, dass die Behörden rechtlich dazu verpflichtet wären, die Sicherheit gerade zu diesem konkreten Zeitpunkt freizugeben(45). Ich stimme der von Ernst Kollmer in ihren Erklärungen abgegebenen Einschätzung zu, dass, wenn es keine solche rechtliche Verpflichtung zur Freigabe der Sicherheit zu einem gesetzlich klar festgelegten Zeitpunkt gibt, das Erfordernis der Vorhersehbarkeit, dem die Verjährungsfristen genügen müssen, nicht erfüllt ist, so dass der Wirtschaftsteilnehmer einer Situation der Rechtsunsicherheit ausgesetzt ist.
45. Schließlich – und im Zusammenhang mit den vorstehenden Ausführungen – halte ich auch den Vorschlag der griechischen Regierung, die Verjährungsfrist zu dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, zu dem die zuständige Behörde feststellt, dass die Zahlung zu Unrecht erfolgt ist, nicht für richtig. Unabhängig davon, dass der Wortlaut keinerlei Stütze für diese Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 bietet(46), würden, wenn die Verjährungsfrist erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen begänne, die durch den Gesetzgeber festgelegten Fristen unter völliger Missachtung des Gebots der Vorhersehbarkeit praktisch unbegrenzt verlängert. Der Beginn der Verjährungsfrist hinge in derartigen Fällen von dem ungewissen Zeitpunkt ab, in dem durch die Behörden die notwendigen Handlungen eingeleitet werden, um die Rechtmäßigkeit der Tätigkeit des Wirtschaftsteilnehmers zu prüfen. Dies setzte den Wirtschaftsteilnehmer einer unbestimmt langen Zeit der Rechtsunsicherheit aus und erschwerte daneben auch den Nachweis der Rechtmäßigkeit der streitigen Handlungen oder Unterlassungen; dies liefe den Anforderungen der Rechtssicherheit zuwider(47).
46. Folglich schlage ich vor, dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass in Fällen wie dem des Ausgangsverfahrens die Verjährungsfrist von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 an dem Tag zu laufen beginnt, an dem die fragliche Unregelmäßigkeit, wie sie in Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung definiert wird, begangen worden ist, unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts des Schadens für den Gesamthaushalt der Union oder die Haushalte, die von der Union verwaltet werden.
B – Zweite Vorlagefrage
47. Angesichts der für die erste Vorlagefrage des vorlegenden Gerichts vorgeschlagenen Antwort und unter Berücksichtigung aller vorstehenden Erwägungen ist die zweite Vorlagefrage nicht zu beantworten.
V – Ergebnis
48. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Finanzgericht Hamburg wie folgt zu antworten:
1. In Fällen wie dem des Ausgangsverfahrens beginnt die Verjährungsfrist von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften an dem Tag zu laufen, an dem die fragliche Unregelmäßigkeit, wie sie in Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung definiert wird, begangen worden ist, unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts des Schadens für den Gesamthaushalt der Union oder die Haushalte, die von der Union verwaltet werden.
2. Angesichts der Antwort auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts ist die zweite Vorlagefrage nicht zu beantworten.