Language of document : ECLI:EU:T:2018:118

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

7. März 2018(*)

„REACH – Gebühr für die Registrierung eines Stoffes – Ermäßigung für KMU – Überprüfung der Angaben zur Größe des Unternehmens durch die ECHA – Beschluss, mit dem ein Verwaltungsentgelt festgesetzt wird – Empfehlung 2003/361/EG – Überschreitung der finanziellen Schwellenwerte – Begriff des ‚verbundenen Unternehmens‘“

In der Rechtssache T‑855/16

Fertisac, SL mit Sitz in Atarfe (Spanien), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt J. Gomez Rodriguez

Klägerin,

gegen

Europäische Chemikalienagentur (ECHA), vertreten durch E. Maurage, J.‑P. Trnka und M. Heikkilä als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte C. García Molyneux und L. Tosoni,

Beklagte,

betreffend einen Antrag nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses SME(2016) 5150 der ECHA vom 15. November 2016, mit dem festgestellt wurde, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine Ermäßigung der Gebühr für mittlere Unternehmen nicht erfüllt, und ein Verwaltungsentgelt gegen sie festgesetzt wurde, sowie auf Nichtigerklärung der von der ECHA ausgestellten und dem Beschluss SME(2016) 5150 beigefügten Rechnungen Nr. 10060160 und Nr. 10060161

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin I. Pelikánová sowie der Richter P. Nihoul (Berichterstatter) und J. Svenningsen,

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Klägerin, die Fertisac, SL, ist eine Gesellschaft spanischen Rechts, die Stoffe herstellt, die nach der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. 2006, L 396, S. 1) bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zu registrieren sind.

2        Am 30. November 2010 reichte die Klägerin gemäß der Verordnung Nr. 1907/2006 ein Registrierungsdossier für einen chemischen Stoff ein.

3        Im Registrierungsverfahren gab die Klägerin an, ein mittleres Unternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. 2003, L 124, S. 36) zu sein. Aufgrund dieser Angabe erhielt sie eine Ermäßigung der nach Art. 6 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1907/2006 anfallenden Gebühr.

4        Für die Registrierung stellte die ECHA eine Rechnung über 16 275 Euro aus. Dieser Betrag entspricht der Gebühr, die ein mittleres Unternehmen bei einer gemeinsamen Einreichung für eine Menge von mehr als 1 000 Tonnen, wie dies vorliegend der Fall war, zu entrichten hat. Dabei handelt es sich um die Rechnung Nr. 10024865.

5        Mit Schreiben vom 27. August 2013 teilte die ECHA der Klägerin mit, dass der bei der Registrierung angegebene Status eines kleinen oder mittleren Unternehmens (KMU) überprüft werde. Sie forderte die Klägerin auf, Nachweise dafür einzureichen, dass sie ein mittleres Unternehmen sei.

6        Am 15. November 2016 erließ die ECHA nach einem Schriftwechsel und Austausch von Dokumenten den Beschluss SME(2016) 5150. In dieser Entscheidung stellte sie fest, die Klägerin sei ein großes Unternehmen und könne daher die ermäßigte Gebühr für KMU im Sinne der Empfehlung 2003/361 nicht in Anspruch nehmen.

7        In dem Beschluss SME(2016) 5150 wurde die Klägerin verpflichtet, einen Betrag in Höhe der Differenz zwischen der bereits entrichteten Gebühr und der Höhe der Gebühr für große Unternehmen sowie ein Verwaltungsentgelt in zweieinhalbfacher Höhe des aufgrund unrichtiger Angaben zur Unternehmensgröße erlangten finanziellen Vorteils zu zahlen.

8        Diesem Beschluss lagen zwei Rechnungen bei, die Rechnung Nr. 10060160 in Höhe von 6 975 Euro und die Rechnung Nr. 10060161 in Höhe von 17 437 Euro (im Folgenden zusammen: angefochtene Rechnungen).

 Verfahren und Anträge der Parteien

9        Mit am 7. Dezember 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

10      Mit am selben Tag eingegangenem gesondertem Schriftsatz beantragte die Klägerin die Aussetzung des Vollzugs des Beschlusses SME(2016) 5150 und der angefochtenen Rechnungen. Mit Beschluss vom 10. März 2017, Fertisac/ECHA (T‑855/16 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:155), hat der Präsident des Gerichts den Antrag zurückgewiesen und die Kostenentscheidung vorbehalten.

11      Die Klagebeantwortung der ECHA ist am 17. März 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden.

12      Da die Klägerin keine Erwiderung eingereicht hat, ist das schriftliche Verfahren am 16. Mai 2017 abgeschlossen worden.

13      Die Parteien haben innerhalb der Frist des Art. 106 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Das Gericht (Erste Kammer) hat nach Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung beschlossen, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden.

14      Die Klägerin beantragt,

–        den Beschluss SME(2016) 5150 aufzuheben;

–        ihr den Status als KMU zuzuerkennen;

–        die angefochtenen Rechnungen für nichtig zu erklären;

–        der ECHA die Kosten aufzuerlegen.

15      Die ECHA beantragt,

–        den Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Rechnungen für unzulässig zu erklären;

–        die Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses SME(2016) 5150 abzuweisen;

–        die Klägerin zu den Kosten zu verurteilen.

 Rechtliche Würdigung

 Zulässigkeit

 Zum Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Rechnungen

16      Mit ihrem dritten Klageantrag ersucht die Klägerin das Gericht, die angefochtenen Rechnungen für nichtig zu erklären.

17      Gegen diesen Antrag erhebt die ECHA die Einrede der Unzulässigkeit mit der Begründung, die angefochtenen Rechnungen seien keine anfechtbaren Handlungen.

18      Gegenstand einer Nichtigkeitsklage können nur Maßnahmen mit verbindlichen Rechtswirkungen sein, die die Interessen des Klägers beeinträchtigen, indem sie seine Rechtsstellung in qualifizierter Weise verändern (Urteile vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9, vom 12. September 2006, Reynolds Tobacco u. a./Kommission, C‑131/03 P, EU:C:2006:541, Rn. 54, und vom 6. Dezember 2007, Kommission/Ferriere Nord, C‑516/06 P, EU:C:2007:763, Rn. 27).

19      Um festzustellen, ob die Maßnahme, deren Nichtigerklärung begehrt wird, Gegenstand einer Klage sein kann, ist ferner auf ihr Wesen abzustellen; die Form, in der sie ergangen ist, ist grundsätzlich ohne Bedeutung (Urteile vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9, und vom 18. November 2010, NDSHT/Kommission, C‑322/09 P, EU:C:2010:701, Rn. 46 und 47).

20      Im vorliegenden Fall hat die ECHA mit dem Beschluss SME(2016) 5150 die Klägerin zur Zahlung des Restbetrags der Gebühr für große Unternehmen sowie eines Verwaltungsentgelts verpflichtet. In dem Beschluss wies die ECHA darauf hin, dass die Beträge für diese beiden Posten in den beigefügten – vorliegend angefochtenen – Rechnungen angegeben seien. Der Beschluss SME(2016) 5150 und die angefochtenen beigefügten Rechnungen tragen dasselbe Datum. Sie wurden derselben Empfängerin, der Klägerin, in ein und demselben Umschlag zugeschickt.

21      Nach der Rechtsprechung gelten Anhänge allgemein als Teil des Dokuments, dem sie beigefügt sind, so dass ihnen dieselbe normative Wirkung wie den Bestimmungen im Hauptteil des Dokuments beigemessen wird.

22      Diese Rechtsprechung geht u. a. auf die Beurteilung von Richtlinien zurück, deren Anhänge nicht als gesonderte Teile, sondern als integrale Bestandteile der Richtlinien gelten, wie die Richtlinienbestimmungen selbst (vgl. Urteil vom 15. April 2008, Impact, C‑268/06, EU:C:2008:223, Rn. 58, zu einer Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie).

23      Aus der Akte ergibt sich, dass in der von der ECHA geltend gemachten Rechtsprechung zu von ihr auf ein Überprüfungsverfahren erlassenen Maßnahmen zwischen Rechnungen und den Beschlüssen unterschieden wird und unter diesen Maßnahmen diejenige ermittelt wird, mit der die Hauptverpflichtungen der Klägerin festgelegt werden.

24      Diese Rechtsprechung ist jedoch mit den Situationen verknüpft, in denen sie entwickelt wurde. In den drei von der ECHA angeführten Rechtssachen, in denen sich das Gericht zu der Frage geäußert hat, waren die Rechnungen nicht den entsprechenden Beschlüssen beigefügt, sondern von der ECHA gesondert, manchmal nach mehreren Tagen, ausgestellt worden, so dass sie wie verschiedene Maßnahmen erschienen. Da sich dies auf die Zulässigkeit der Klage auswirken konnte, musste das Gericht unter den verschiedenen Maßnahmen diejenige bestimmen, die die Rechtsstellung der Klägerin veränderte, wie dies nach der Rechtsprechung geboten ist (Urteile vom 2. Oktober 2014, Spraylat/ECHA, T‑177/12, EU:T:2014:849, Rn. 21, vom 15. September 2016, La Ferla/Kommission und ECHA, T‑392/13, EU:T:2016:478, Rn. 56, und vom 15. September 2016, K Chimica/ECHA, T‑675/13, EU:T:2016:480, Rn. 27).

25      Die vorliegende Rechtssache stellt sich anders dar, da hier die angefochtenen Rechnungen von dem Beschluss SME(2016) 5150 nicht getrennt waren und so insgesamt eine einzige Maßnahme vorliegt, die aus zwei Teilen – einem administrativen Teil (dem Beschluss SME[2016] 5150 als solchem) und einem rechnerischen Teil (den angefochtenen Rechnungen, die dem Beschluss beigefügt sind) – besteht. Aus dieser einen Maßnahme ergeben sich die Feststellung der ECHA, dass die nach der Regelung erforderlichen Nachweise nicht erbracht wurden, und ihr Wille, daraus die Konsequenzen zu ziehen, indem der Klägerin finanzielle Verpflichtungen auferlegt werden.

26      Diese eine Maßnahme (im Folgenden: angefochtener Beschluss) entfaltet verbindliche Rechtswirkungen, die die Interessen der Klägerin durch eine qualifizierte Änderung ihrer Rechtsstellung beeinträchtigen, da die Klägerin gezwungen ist, auf den von ihr beanspruchten KMU-Status zu verzichten.

27      Der angefochtene Beschluss hat für die Klägerin nämlich zur Folge, dass sie nicht in den Genuss der ermäßigten Gebühr für KMU kommt und den Restbetrag der für große Unternehmen geltenden Gebühr sowie das nach der Regelung für solche Fälle vorgesehene Verwaltungsentgelt zu entrichten hat.

28      Aufgrund dieser Wirkungen kann eine Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses erhoben werden. Daher ist die Unzulässigkeitseinrede der ECHA zurückzuweisen, soweit sie die Nichtigkeitsklage gegen die angefochtenen Rechnungen betrifft.

 Zum Antrag auf Zuerkennung des Status als KMU

29      Mit ihrem zweiten Klageantrag beantragt die Klägerin, ihr den Status als KMU zuzuerkennen.

30      Im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV ist die Zuständigkeit der Unionsrichter auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt. Ist die Klage begründet, erklärt der Unionsrichter gemäß Art. 264 AEUV die angefochtene Handlung für nichtig. Gemäß Art. 266 AEUV ist es dann Sache der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen, denen das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.

31      Daraus ergibt sich, dass das Gericht, wenn es mit einer Klage befasst ist, mit der die Gebühr und das Verwaltungsentgelt beanstandet werden, die von einem Unternehmen aufgrund einer falschen Größenangabe verlangt werden, nicht über die Einstufung dieses Unternehmens als KMU befinden kann, da es sich damit unter Verstoß gegen die genannten Bestimmungen des AEU-Vertrags an die Stelle der ECHA setzen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2005, Infront WM/Kommission, T‑33/01, EU:T:2005:461, Rn. 171, und Beschluss vom 16. Dezember 2016, Groupement pastoral Oust u. a./Kommission, T‑663/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:759, Rn. 13).

32      Der Gegenstand des zweiten Klageantrags geht also über die Grenzen der Zuständigkeit des Gerichts im Rahmen einer Nichtigkeitsklage hinaus und ist daher unzulässig.

 Begründetheit

33      Die Klägerin stützt ihre Klage gegen den angefochtenen Beschluss auf zwei Gründe. Mit dem ersten Klagegrund macht sie geltend, die ECHA habe Art. 2 Abs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361, in dem die Kriterien zur Bestimmung der KMU festgelegt seien, unzutreffend dahin ausgelegt, dass sie ein großes Unternehmen sei. Mit dem zweiten Klagegrund macht sie eine fehlerhafte Auslegung der Empfehlung 2003/361 geltend, soweit die ECHA drei andere Unternehmen als „verbundene Unternehmen“ eingestuft habe.

 Erster Klagegrund: unzutreffende Auslegung der in Art. 2 Abs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 genannten Schwellenwerte

34      Mit dem ersten Klagegrund macht die Klägerin geltend, sie habe nie mehr als 250 Personen beschäftigt und könne daher nicht als großes Unternehmen eingestuft werden. Sie verweist insofern auf Art. 2 Abs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 über die Bedingungen für die Einstufung eines Unternehmens als KMU.

35      Die ECHA tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

36      Nach dem angefochtenen Beschluss gilt die Klägerin als großes Unternehmen, da nach den vorliegenden Angaben die im Anhang der Empfehlung 2003/361 festgelegten Schwellenwerte überschritten seien.

37      Aus dem Dokument „Informe de cálculo de PYME“ (KMU-Berechnungsbericht) im Anhang des angefochtenen Beschlusses ergibt sich, dass die ECHA ihre Entscheidung, die Klägerin als großes Unternehmen einzustufen, damit begründet hat, dass in den Geschäftsjahren 2008 und 2009 die für die Berechnung der Unternehmensgröße maßgebliche Jahresbilanzsumme über 43 Mio. Euro und der Jahresumsatz über 50 Mio. Euro betragen habe.

38      Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses ist zu beachten, dass die einschlägige Regelung für die Definition der KMU auf die Empfehlung 2003/361 verweist. Nach Art. 3 Nr. 36 der Verordnung Nr. 1907/2006 sind KMU nämlich kleine und mittlere Unternehmen „im Sinne der Empfehlung [2003/361]“. Darüber hinaus sieht Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 340/2008 der Kommission vom 16. April 2008 über die an die ECHA zu entrichtenden Gebühren und Entgelte gemäß der Verordnung Nr. 1907/2006 (ABl. 2008, L 107, S. 6) vor, dass ein mittleres Unternehmen „ein mittleres Unternehmen im Sinne der Empfehlung [2003/361]“ ist.

39      Die aufgrund der Verordnungen Nr. 1907/2006 und Nr. 340/2008 anwendbare Empfehlung 2003/361 enthält einen Anhang, dessen Titel I die „[v]on der Kommission angenommene Definition der [KMU]“ betrifft. Nach Art. 2 Abs. 1 dieses Anhangs „[setzt sich d]ie Größenklasse der [KMU] … aus Unternehmen zusammen, die weniger als 250 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. EUR erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Mio. EUR beläuft“.

40      Für die Entscheidung, ob ein Unternehmen als KMU angesehen werden kann, stellt Art. 2 Abs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 zwei Kriterien auf: Eines betrifft die finanziellen Merkmale des Unternehmens, das andere die Mitarbeiterzahl.

41      Nach Ansicht der Klägerin müssen die Schwellenwerte beider Kriterien überschritten werden, damit ein Unternehmen nicht als KMU gelten kann; die Überschreitung des Schwellenwerts nur eines Kriteriums schließe die Einstufung als KMU hingegen nicht aus. Wie aus dem vierten Erwägungsgrund der Empfehlung 2003/361 ersichtlich sei, komme dem Kriterium der Mitarbeiterzahl besondere Bedeutung zu. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin den Schwellenwert dieses Kriteriums zu keiner Zeit überschritten.

42      Nach der Rechtsprechung sind das Kriterium der Mitarbeiterzahl und das der finanziellen Merkmale in der hier betrachteten Regelung kumulativ anzuwenden.

43      Dies hat das Gericht im Beschluss vom 16. September 2015, Calestep/ECHA (T‑89/13, EU:T:2015:711, Rn. 40), entschieden, in dem es konkret um die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 ging, der den Kern der klägerischen Argumentation bildet.

44      Diese Entscheidung des Gerichts schloss sich an eine im Urteil vom 8. Juli 2004, Dalmine/Kommission (T‑50/00, EU:T:2004:220, Rn. 285 und 286), entwickelte Rechtsprechung zur entsprechenden Regelung in der Empfehlung 96/280/EG der Kommission vom 3. April 1996 betreffend die Definition der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. 1996, L 107, S. 4) an, der Vorgängerin der Empfehlung 2003/361 mit demselben Gegenstand, in der die Kriterien der Mitarbeiterzahl und der finanziellen Merkmale des Unternehmens ähnlich umschrieben waren.

45      Der Beschluss vom 16. September 2015, Calestep/ECHA (T‑89/13, EU:T:2015:711), stützt sich auf die in der Empfehlung 2003/361 verwendeten Begriffe, wobei das Bindewort „und“ dahin ausgelegt wird, dass der Urheber des Rechtsakts die dort genannten Kriterien „koordinieren“, also kumulieren wollte und sie nicht als alternativ zu prüfende Möglichkeiten verstanden wissen wollte (Beschluss vom 16. September 2015, Calestep/ECHA, T‑89/13, EU:T:2015:711, Rn. 40).

46      Diese Rechtsprechung stützt sich außerdem auf den vierten Erwägungsgrund der Empfehlung 2003/361, wonach „[d]as Kriterium der Mitarbeiterzahl … mit Sicherheit eines der aussagekräftigsten [bleibt] und … als Hauptkriterium festgeschrieben werden [muss], wobei jedoch ein finanzielles Kriterium eine notwendige Ergänzung darstellt, um die tatsächliche Bedeutung eines Unternehmens, seine Leistungsfähigkeit und seine Wettbewerbssituation beurteilen zu können“ (Beschluss vom 16. September 2015, Calestep/ECHA, T‑89/13, EU:T:2015:711, Rn. 41).

47      Diese kumulative Anwendung steht im Einklang mit dem Bericht (SEC[1992] 351 endg.) der Kommission an den Rat vom 29. April 1992 betreffend KMU-Definitionen für Gemeinschaftsmaßnahmen, der der Annahme der Empfehlung 96/280 vorausging, die im Übrigen in ihrem siebten Erwägungsgrund auf den Bericht verweist.

48      In diesem Bericht hat die Europäische Kommission eine auf einer Kombination von Kriterien basierende Definition – insbesondere Mitarbeiterzahl, Umsatz und Bilanzsumme – angeraten, da ein einzelnes Kriterium für sich genommen keine zufriedenstellende Definition von KMU biete.

49      Schließlich ist zu beachten, dass die ermäßigte Gebühr für KMU die besondere Lage dieser Unternehmen gegenüber der Lage bei den großen Unternehmen berücksichtigen soll. Da sie für eine besondere Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern bestimmt ist und eine Ausnahme darstellt, ist diese Ermäßigung, was die Voraussetzungen für ihre Anwendung betrifft, restriktiv auszulegen.

50      Diese Auslegung kann nicht durch das Vorbringen der Klägerin entkräftet werden, dass das Kriterium der Mitarbeiterzahl für sich allein doch entscheidend sei, und zwar gemäß Art. 4 Abs. 2 des Anhangs der Empfehlung 2003/361, auf den der auf der Website der ECHA veröffentlichte Leitfaden „Bestimmung der Kategorie der Unternehmensgröße“ verweise.

51      Die von der Klägerin angeführte Vorschrift bezieht sich auf eine Situation, in der ein Unternehmen in einem außergewöhnlichen Jahr die in der Vorschrift genannten Schwellenwerte überschreitet. Danach kann das Unternehmen, wenn es in nur einem Geschäftsjahr zu dieser Überschreitung kommt, abweichend von der Regel den KMU-Status behalten.

52      Diese Vorschrift ändert nicht die Regel, wonach nur Unternehmen als KMU eingestuft werden, die die Schwellenwerte in Bezug auf die Mitarbeiterzahl und auf bestimmte finanzielle Merkmale einhalten. Sie führt vielmehr eine Ausnahme ein, die auf Umstände beschränkt ist, deren Vorliegen die Klägerin im vorliegenden Fall nicht dargetan hat.

53      Daraus folgt, dass die ECHA mit der Einstufung der Klägerin als großes Unternehmen keinen Fehler bei der Auslegung der Kriterien des Art. 2 Abs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 begangen hat.

54      Demnach ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

 Zweiter Klagegrund: fehlerhafte Auslegung des Begriffs „verbundenes Unternehmen“ im Sinne der Empfehlung 2003/361

55      Mit ihrem zweiten Klagegrund macht die Klägerin geltend, sie sei nicht Teil einer Gruppe „verbundener Unternehmen“, so dass zur Bestimmung ihrer Größe nur ihre eigenen Daten und die ihrer „Partnerunternehmen“ zu berücksichtigen seien, die sie in ihrem Schriftwechsel mit der ECHA während des Verfahrens der Überprüfung ihrer Angaben als die Unternehmen Ibérica de Gestión Inmobiliaria y Arrendaticia SL und Agroquimes SL angegeben habe.

56      Die ECHA tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

57      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die ECHA für ihre Schlussfolgerung auf eine Reihe von Daten gestützt hat, die zunächst die Klägerin selbst, dann das „Partnerunternehmen“ Agroquimes und schließlich drei weitere als „verbundene Unternehmen“ der Klägerin betrachtete Unternehmen – Ibérica de Gestión Inmobiliaria y Arrendaticia, die Constantino Gutiérrez SA und die Medifer Liquids SL – betreffen.

58      Die Klägerin bestreitet nicht, dass Agroquimes als „Partnerunternehmen“ betrachtet werden könne, lehnt es jedoch ab, dass die drei anderen Unternehmen als mit ihr „verbunden“ im Sinne der Regelung zu werten seien.

59      Zur Entscheidung dieser Frage ist Art. 3 Abs. 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 heranzuziehen, in dem die Kriterien für die Qualifikation als „verbundene Unternehmen“ und „Partnerunternehmen“ festgelegt sind.

60      Bezüglich der erstgenannten Qualifikation sieht Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 vor, dass „‚[v]erbundene Unternehmen‘ … Unternehmen [sind], die zueinander in einer der folgenden Beziehungen stehen: a) Ein Unternehmen hält die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter eines anderen Unternehmens“. Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 sieht außerdem vor, dass „Unternehmen, die durch ein oder mehrere andere Unternehmen … untereinander in einer der in Unterabsatz 1 genannten Beziehungen stehen, … ebenfalls als verbunden [gelten]“.

61      Was die zweitgenannte Qualifikation angeht, sieht Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 vor, dass „Partnerunternehmen“ alle Unternehmen sind, die nicht als „verbundene Unternehmen“ gelten und zwischen denen folgende Beziehung besteht: Ein Unternehmen (das vorgeschaltete Unternehmen) hält – allein oder gemeinsam mit einem oder mehreren „verbundenen Unternehmen“ – 25 % oder mehr des Kapitals oder der Stimmrechte eines anderen Unternehmens (des nachgeschalteten Unternehmens).

62      Gemäß Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 werden für die Bewertung der Kriterien die Daten eines Unternehmens, das „Partnerunternehmen“ oder „verbundene Unternehmen“ hat, auf der Grundlage der Jahresabschlüsse und sonstiger Daten des Unternehmens oder – sofern vorhanden – anhand der konsolidierten Jahresabschlüsse des Unternehmens bzw. der konsolidierten Jahresabschlüsse, in die das Unternehmen durch Konsolidierung eingeht, erstellt.

63      Gemäß Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 werden für diese Bestimmung die Daten der „Partnerunternehmen“, die dem betreffenden Unternehmen unmittelbar vor- oder nachgeschaltet sind, proportional zu dem Anteil der Beteiligung am Kapital oder an den Stimmrechten berücksichtigt, wobei der höhere dieser Anteile zugrunde gelegt wird.

64      Nach Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 hat die ECHA diesen Daten 100 % der Daten der direkt oder indirekt „verbundenen“ Unternehmen hinzuzuaddieren, wenn diese in den konsolidierten Jahresabschlüssen nicht berücksichtigt wurden.

65      Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen ist die Situation der betroffenen Unternehmen zu bewerten, um ihren Status zu bestimmen und zu überprüfen, inwieweit ihre Daten in dem Verfahren zur Überprüfung der Angaben der Klägerin zu berücksichtigen waren.

66      Die Schlussfolgerung der ECHA bezüglich der drei von ihr als „verbundene Unternehmen“ der Klägerin einbezogenen Unternehmen ist zu bestätigen.

67      In Bezug auf Ibérica de Gestión Inmobiliaria y Arrendaticia beruht diese Schlussfolgerung auf deren Jahresabschlüssen, aus denen, wie von der ECHA angegeben, hervorging, dass sie in den Geschäftsjahren 2009 und 2010 69,996 % des Kapitals der Klägerin besaß. Da sie die Mehrheit des Kapitals der Klägerin hielt, konnte sie als deren Muttergesellschaft angesehen werden, so dass die Gesamtheit ihrer Daten nach der Empfehlung 2003/361 in die Berechnung zur Überprüfung des Status der Klägerin einzubeziehen waren. Die Jahresabschlüsse dieser Muttergesellschaft waren der ECHA von der Klägerin mit E‑Mail vom 12. September 2013 übermittelt worden.

68      Zu den beiden anderen Unternehmen – Constantino Gutiérrez und Medifer Liquids – hat die ECHA festgestellt, dass Constantino Gutiérrez 89,10 % des Kapitals an Ibérica de Gestión Inmobiliaria y Arrendaticia und 100 % des Kapitals an Medifer Liquids hielt. Diese Feststellung stützte sich auf die konsolidierten Jahresabschlüsse von Constantino Gutiérrez für das Geschäftsjahr vom 1. Juli 2010 bis zum 30. Juni 2011, die von der Klägerin mit E‑Mail vom 16. September 2013 übermittelt wurden.

69      Diese Prozentsätze liegen über dem oben in Rn. 60 angeführten Schwellenwert, der die Einstufung von Unternehmen als „verbundene Unternehmen“ im Sinne der Empfehlung 2003/361 ermöglicht. Die ECHA konnte daher im Verfahren zur Registrierung des in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Stoffs Constantino Gutiérrez und Medifer Liquids ebenfalls als „verbundene Unternehmen“ der Klägerin einstufen.

70      Gemäß Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 hatte die ECHA die Daten der drei als „verbundene Unternehmen“ eingeordneten Unternehmen – Ibérica de Gestión Inmobiliaria y Arrendaticia, Constantino Gutiérrez und Medifer Liquids – im Rahmen der Überprüfung des Status der Klägerin vollständig in die Berechnung einzubeziehen, wie sie es auch getan hat.

71      Nach alledem ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen und die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

72      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der ECHA die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Fertisac, SL trägt die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes.

Pelikánová

Nihoul

Svenningsen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 7. März 2018.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Spanisch.