Language of document : ECLI:EU:T:2022:217

URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)

6. April 2022(*)

„Staatliche Beihilfen – Beihilferegelung der Regierung von Gibraltar im Bereich der Körperschaftsteuer – Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Zinserträgen und Nutzungsentgelten – Steuervorbescheide zugunsten multinationaler Unternehmen – Beschluss der Kommission, mit dem die Beihilfen für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt werden – Begründungspflicht – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Selektiver Vorteil – Recht auf Stellungnahme“

In der Rechtssache T‑508/19,

Mead Johnson Nutrition (Asia Pacific) Pte Ltd mit Sitz in Singapur (Singapur),

MJN Global Holdings BV mit Sitz in Amsterdam (Niederlande),

Mead Johnson BV mit Sitz in Nimwegen (Niederlande),

Mead Johnson Nutrition Co. mit Sitz in Chicago, Illinois (Vereinigte Staaten),

vertreten durch C. Quigley, Barrister, M. Whitehouse und P. Halford, Solicitors,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch L. Flynn, B. Stromsky und P. Němečková als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf teilweise Nichtigerklärung des Beschlusses (EU) 2019/700 der Kommission vom 19. Dezember 2018 über die staatliche Beihilfe SA.34914 (2013/C) des Vereinigten Königreichs betreffend das Körperschaftsteuersystem in Gibraltar (ABl. 2019, L 119, S. 151)

erlässt

Das GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tomljenović (Berichterstatterin), des Richters F. Schalin, der Richterin P. Škvařilová-Pelzl, des Richters I. Nõmm und der Richterin G. Steinfatt,

Kanzler: I. Pollalis, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2021

folgendes

Urteil

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

A.      Erlass des Income Tax Act 2010 und Erteilung des Steuervorbescheids für MJN GibCo von 2012

1        Am 1. Januar 2011 trat der Income Tax Act 2010 (Gesetz von 2010 über die Körperschaftsteuer in Gibraltar, im Folgenden: ITA 2010) in Kraft und hob den Income Tax Act 1952 (Gesetz von 1952 über die Körperschaftsteuer in Gibraltar, im Folgenden: ITA 1952) auf. Mit dem ITA 2010 wurde ein allgemeiner Körperschaftsteuersatz von 10 % eingeführt. Bis zur Änderung des ITA 2010, die am 30. Juni 2013 für passive Zinsen und am 31. Dezember desselben Jahres für Nutzungsentgelte in Kraft trat (im Folgenden: Änderung des ITA 2010 von 2013), fielen diese Einkünfte nicht in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen, das in Gibraltar steuerpflichtig ist.

2        Bis zu ihrer Auflösung am 16. Oktober 2018 war die MJN Holdings (Gibraltar) Ltd (im Folgenden: MJN GibCo) eine Gesellschaft mit Sitz in Gibraltar, die zur internationalen Gruppe Mead Johnson Nutrition (im Folgenden: MJN-Gruppe) gehörte, die in der Herstellung von Säuglings- bzw. Kindernahrung tätig war. Die Tätigkeit von MJN GibCo bestand darin, als Kommanditistin eine Beteiligung am Kapital von Mead Johnson Three CV (im Folgenden: MJT CV), einer Kommanditgesellschaft nach niederländischem Recht (commanditaire vennootschap, im Folgenden: niederländische CV), die bis zu ihrer Auflösung am 15. Dezember 2017 ihren Sitz in den Niederlanden hatte, zu halten.

3        MJT CV verfügte über Lizenzen für Rechte des geistigen Eigentums (insbesondere Patente, Marken und technische Informationen), die sie gegen die Zahlung von Nutzungsentgelten an Mead Johnson BV (im Folgenden: MJ BV), eine Gesellschaft niederländischen Rechts, in Unterlizenz vergab.

4        Die Anteilseigner von MJT CV waren MJN GibCo (zu 99,99 %) und MJN Asia Pacific Holding LLC (zu 0,01 %), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach amerikanischem Recht. Aufgrund der Beteiligung von MJN GibCo am Kapital von MJT CV hatte sie einen Anspruch auf 99,99 % von deren Gewinn.

5        Bis Juni 2017 war die Muttergesellschaft der MJN-Gruppe die Mead Johnson Nutrition Co. (im Folgenden: MJN US), eine Gesellschaft mit Sitz in Delaware (Vereinigte Staaten). Die in der Herstellung und dem Verkauf von Säuglingsnahrung tätige Mead Johnson Nutrition (Asia Pacific) Pte Ltd mit Sitz in Singapur (Singapur) war ihrerseits bis zur Auflösung der MJN GibCo deren hundertprozentige Muttergesellschaft.

6        Am 11. September 2012 erließen die Steuerbehörden Gibraltars infolge eines am selben Tag gestellten Antrags der Anwälte von MJN US, der Muttergesellschaft der MJN-Gruppe (im Folgenden: Antrag auf Erteilung eines Steuervorbescheids oder Vorbescheidsantrag) gegenüber MJN GibCo einen Steuervorbescheid, in dem bestätigt wurde, dass bei der MJN GibCo für die Einkünfte von MJT CV aus Nutzungsentgelten keine Steuern erhoben würden (im Folgenden: MJN GibCo im Jahr 2012 erteilter Steuervorbescheid).

7        Im Antrag auf Erteilung eines Steuervorbescheids wurde ausgeführt, dass MJT CV nach dem Steuerrecht von Gibraltar als Kommanditgesellschaft angesehen werde. Den Antragstellern zufolge sollten, da eine solche Gesellschaft in Gibraltar steuerlich transparent sei, alle Einkünfte, die MJT CV aus Nutzungsentgelten erziele, als unmittelbar von MJN GibCo erzielt betrachtet werden. Es wurde jedoch darauf hingewiesen, dass sich ihrer Ansicht nach alle erzielbaren Einkünfte aus Nutzungsentgelten außerhalb der Kategorien von Einkommen befänden, das nach dem ITA 2010 steuerpflichtig sei („heads of charge taxable under the ITA 2010“). Somit wurden die Behörden von Gibraltar aufgefordert, diese Auslegung des ITA 2010 sowie die Tatsache zu bestätigen, dass alle von MJN GibCo erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten aufgrund ihrer Beteiligung an MJT CV keinerlei Steuerpflicht auslösten.

8        Mit dem MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid antwortete die Einkommensteuerbehörde (Income Tax Office), dass „auf der Grundlage der im [Vorbescheidsantrag] dargelegten Tatsachen und Umstände … im Namen des Kommissars [für Einkommensteuer in Gibraltar] … bestätigt [wird], dass künftige Einkünfte aus Nutzungsentgelten, die von [MNJ GibCo] erzielt werden, nicht der Steuerpflicht nach den Vorschriften des [ITA 2010] unterliegen“.

B.      Verwaltungsverfahren vor der Europäischen Kommission

9        Am 1. Juni 2012 reichte das Königreich Spanien bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde wegen der staatlichen Beihilfe ein, die die Offshore-Gesellschaften von Gibraltar im Rahmen des durch den ITA 2010 geschaffenen Steuersystems erhalten haben sollen.

10      Am 16. Oktober 2013 leitete die Kommission das förmliche Prüfverfahren ein (im Folgenden: Einleitungsbeschluss), um zu untersuchen, ob die im ITA 2010 vorgesehene Nichtbesteuerung („Steuerbefreiung“ bzw. „Ausnahmeregelung“ im Text dieses Beschlusses) für Einkünfte aus passiven Zinserträgen und Nutzungsentgelten (englisch „royalties“, auch mit „Lizenzgebühren“ übersetzt) bestimmte Kategorien von Unternehmen begünstigt und damit gegen das Beihilferecht der Union verstößt.

11      Am 1. Oktober 2014 unterrichtete die Kommission das Vereinigte Königreich über ihren Beschluss, das Verfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV auf die Steuervorbescheidspraxis in Gibraltar und insbesondere auf 165 erteilte Vorbescheide auszuweiten (im Folgenden: Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens).

C.      Angefochtener Beschluss

12      Am 19. Dezember 2018 erließ die Kommission den Beschluss (EU) 2019/700 vom 19. Dezember 2018 über die staatliche Beihilfe SA.34914 (2013/C) des Vereinigten Königreichs betreffend das Körperschaftsteuersystem in Gibraltar (ABl. 2019, L 119, S. 151, im Folgenden: angefochtener Beschluss). Die Kommission stellte im Wesentlichen zum einen fest, dass die gemäß dem ITA 2010 von 2011 bis 2013 in Gibraltar geltende „Ausnahmeregelung“ für passive Zinserträge und Nutzungsentgelte eine rechtswidrig durchgeführte und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilferegelung darstelle, und zum anderen, dass es sich bei der steuerlichen Behandlung, die die Regierung Gibraltars auf der Grundlage der Steuervorbescheide fünf an niederländischen CV beteiligten gibraltarischen Unternehmen gewähre, die Einkünfte aus passiven Zinserträgen und Nutzungsentgelten erzielten (im Folgenden: fünf Steuervorbescheide), um rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare Einzelbeihilfen handele.

1.      „Ausnahmeregelung“ für passive Zinserträge und Nutzungsentgelte (Beihilferegelung)

13      Im Einleitungsbeschluss hatte die Kommission zunächst festgestellt, dass die „Ausnahmeregelung“ für passive Zinserträge (im Folgenden: Nichtbesteuerung der Einkünfte aus passiven Zinsen) und die „Ausnahmeregelung“ für Nutzungsentgelte (im Folgenden: Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten) jeweils eine Beihilferegelung darstellten. Um der nach dem Einleitungsbeschluss erfolgten Änderung des ITA 2010 von 2013 Rechnung zu tragen, mit der Einkünfte aus Nutzungsentgelten und passiven Zinserträgen in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen fallen, das in Gibraltar steuerpflichtig ist, beschränkte die Kommission den Geltungsbereich des angefochtenen Beschlusses auf die zwischen dem Inkrafttreten des ITA 2010 (1. Januar 2011) und dem 30. Juni 2013 (Einkünfte aus passiven Zinsen) bzw. dem 31. Dezember 2013 (Einkünfte aus Nutzungsentgelten) erzielten oder zu beanspruchenden Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten.

14      In Bezug auf die Analyse des Kriteriums des Vorteils stellte die Kommission im Wesentlichen fest, dass die von einem Unternehmen in Gibraltar erzielten Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten normalerweise als in Gibraltar erzielt oder bezogen angesehen würden und daher normalerweise nach dem Territorialitätsprinzip in Gibraltar der Steuer unterlägen. Folglich kam sie zu dem Schluss, dass die „Ausnahmeregelung“ zu einer Verringerung der Steuerbelastung führe, die Unternehmen, die in ihren Genuss kämen, andernfalls zu tragen hätten (Erwägungsgründe 81 bis 83 des angefochtenen Beschlusses).

15      Was die Prüfung der Selektivität betrifft, so stellte die Kommission zunächst in Anwendung der Rechtsprechung zur materiellen Selektivität der steuerlichen Maßnahmen fest, dass der Bezugsrahmen für die Prüfung der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten der ITA 2010 sei, dessen Ziel es sei, Einnahmen von Einkommensteuerpflichtigen zu erheben, die in Gibraltar Einkommen erzielten oder bezögen. Darüber hinaus stellte sie klar, dass die „Ausnahmeregelung“ für passive Zinsen und Nutzungsentgelte nicht auf eine formelle Abweichung vom Steuersystem zurückzuführen sei, sondern auf die Nichtaufnahme dieser Einkünfte in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen, das in Gibraltar steuerpflichtig sei; es handle sich mit anderen Worten um eine „implizite Befreiung“ (Erwägungsgründe 89 bis 93 des angefochtenen Beschlusses).

16      Sodann prüfte die Kommission, ob die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten zu einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Unternehmen in vergleichbarer Lage führe. Sie stellte fest, dass die Einkünfte aus Nutzungsentgelten und passiven Zinserträgen ohne die „Ausnahmeregelung“ gemäß dem Territorialitätsprinzip in Gibraltar besteuert worden wären.

17      Nachdem die Kommission darauf hingewiesen hatte, dass in einem Fall, in dem die geprüfte Maßnahme nicht auf eine formelle Abweichung vom Steuersystem zurückzuführen sei, die Auswirkungen dieser Maßnahme zu berücksichtigen seien, um festzustellen, ob sie eine bestimmte Gruppe von Unternehmen erheblich begünstige, stellte sie, gestützt auf Zahlenangaben, zudem fest, dass die Nichtbesteuerung von Einkünften aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten Unternehmen begünstige, die multinationalen Konzernen angehörten und mit Funktionen wie der Gewährung konzerninterner Darlehen oder der Nutzung von Rechten geistigen Eigentums betraut seien. Da sich diese Unternehmen in Bezug auf das Ziel des ITA 2010 in der gleichen rechtlichen und tatsächlichen Lage wie die anderen Unternehmen befänden, die in Gibraltar Einkommen erzielten oder bezögen, kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass diese Maßnahmen prima facie selektiv seien (Erwägungsgründe 94 bis 104 des angefochtenen Beschlusses).

18      Schließlich stellte die Kommission fest, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten nicht durch die innere Logik des Steuersystems des ITA 2010 gerechtfertigt sei. Sie wies insbesondere die von den Behörden des Vereinigten Königreichs vorgebrachten Rechtfertigungen wie die verwaltungstechnische Handhabbarkeit zurück (Erwägungsgründe 105 bis 109 des angefochtenen Beschlusses). Folglich vertrat die Kommission die Ansicht, dass diese Maßnahmen jeweils eine rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilferegelung darstellten.

2.      Fünf Steuervorbescheide (Einzelbeihilfemaßnahmen)

19      Im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens hatte die Kommission 165 Steuervorbescheide der Steuerbehörden Gibraltars ermittelt, bei denen sie zunächst zu dem Schluss kam, dass sie materiell selektiv seien und möglicherweise staatliche Beihilfen darstellten.

20      Im angefochtenen Beschluss stellte die Kommission fest, dass 160 der 165 geprüften Steuervorbescheide einer normalen Anwendung des allgemeinen Steuersystems von Gibraltar entsprächen, ohne dass aus einem anderen Grund auf das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe geschlossen werden könne (Erwägungsgründe 132 bis 150 des angefochtenen Beschlusses). Sie stellte hingegen fest, dass die noch zu prüfenden fünf Steuervorbescheide, darunter der MJN GibCO im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid, Einzelbeihilfemaßnahmen darstellten. Mit den fünf Steuervorbescheiden, die nach der Änderung des ITA 2010 von 2013 und auch nach den Prüfungen im Jahr 2015 in Kraft blieben, hatten die Steuerbehörden Gibraltars ihren Adressaten bestätigt, dass Einkünfte aus Nutzungsrechten auf Ebene niederländischer CV, an denen sie Anteile hielten, nicht nach dem ITA 2010 steuerpflichtig seien.

21      Zunächst stellte die Kommission im 153. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses fest, dass die fünf Steuervorbescheide im Allgemeinen folgende Konzernaufstellung betroffen hätten:

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22      Die Kommission führte weiter aus, dass aus den Bemerkungen des Vereinigten Königreichs hervorgehe, dass das Einkommen der niederländischen CV für die Steuerbehörden Gibraltars als direkt von den in Gibraltar ansässigen Unternehmen mit Beteiligung an den niederländischen Kommanditgesellschaften erhalten gelte. Sie fügte hinzu, dass das Einkommen auf Ebene der gibraltarischen Gesellschafter steuerpflichtiges Einkommen geworden sei, da infolge der Änderungen des ITA 2010 Einkünfte aus passiven Zinserträgen und Nutzungsentgelten in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgelisteten Einkommenskategorien aufgenommen worden und in Gibraltar steuerpflichtig geworden seien. Die Kommission ermittelte sodann in den Erwägungsgründen 161 und 162 des angefochtenen Beschlusses die Anteile an den Gewinnen aus passiven Einkünften und Nutzungsentgelten, die bei der Steuerbemessung der fünf von diesen Bescheiden begünstigten Unternehmen in Gibraltar hätten einbezogen und nach den „normalen Steuerbestimmungen Gibraltars“ besteuert werden müssen. In Bezug auf MJN GibCo führte sie aus, dass diese 99,99 % der Anteile halte und dass sich ihre in Gibraltar steuerpflichtigen Gewinne im Jahr 2014 auf 330 785 918,10 US-Dollar (USD), im Jahr 2015 auf 254 328 564,60 USD und im Jahr 2016 auf 232 375 224,15 USD belaufen hätten. Diese Anteile hätten ihrer Ansicht nach bei der Steuerbemessung für MJN GibCo einbezogen und nach den Steuerbestimmungen Gibraltars besteuert werden müssen.

23      In Bezug auf den selektiven Vorteil stellte die Kommission zunächst fest, dass der für die Prüfung der Selektivität maßgebliche Bezugsrahmen der ITA 2010 sei, und verwies insoweit auf die Ausführungen in Abschnitt 7.1.3.1 des angefochtenen Beschlusses zur Prüfung der Selektivität von Beihilferegelungen, die in der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten bestünden. Sie fügte hinzu, dass es nach den Regeln des Common Law notwendig gewesen wäre, den Anteil der beteiligten Gesellschaft an den Gewinnen oder Erträgen einer CV so zu berücksichtigen, als ob es sich um Gewinne oder Erträge des Unternehmens in Gibraltar handeln würde.

24      Sodann stellte die Kommission für den Zeitraum vor der Änderung von 2013 fest, dass die Steuervorbescheide die in Abschnitt 7 des angefochtenen Beschlusses geprüften Beihilferegelungen anwendeten, die eine Ausnahmeregelung für Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten vorsähen. Für den Zeitraum nach dieser Änderung stellte sie fest, dass es die fünf Steuervorbescheide ihren Empfängern ermöglicht hätten, weiterhin von den Ausnahmeregelungen für passive Zinserträge und Nutzungsentgelte zu profitieren, und kam zu dem Ergebnis, dass die Steuerbehörden Gibraltars in fünf Einzelfällen die Geltungsdauer dieser Regelung verlängert hätten, was eine Abweichung vom allgemeinen Steuersystem darstelle.

25      Schließlich vertrat die Kommission die Ansicht, dass sich die fünf in Gibraltar ansässigen Gesellschaften, die von den fünf Steuervorbescheiden profitiert hätten, im Vergleich zu allen in Gibraltar steuerpflichtigen Gesellschaften mit in Gibraltar erzieltem oder bezogenem Einkommen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Situation befänden und dass diese Abweichung nicht durch die Art und Logik des Systems gerechtfertigt werden könne.

26      In Bezug auf die Begünstigten der genannten Beihilfemaßnahmen stellte die Kommission fest, dass letztlich die Muttergesellschaften, die Eigentümer der in Gibraltar ansässigen Gesellschafter, von diesen Maßnahmen profitierten. Die fünf in Gibraltar ansässigen Unternehmen, die von den beanstandeten Steuervorbescheiden profitierten, darunter MJN GibCo, gehörten zu internationalen Konzernen, und die Aufstellung der Konzerne, an denen eine niederländische CV beteiligt sei, komme den Muttergesellschaften zugute, indem sie es ihnen ermögliche, Gewinne aus der Verwertung der geistigen Eigentumsrechte zu erzielen, ohne dass diese besteuert würden. Die Kommission fügte hinzu, dass die Struktur der Unternehmensgruppe, d. h. eine niederländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung, eine niederländische Kommanditgesellschaft, Gesellschafter in Gibraltar und eine Muttergesellschaft, eine einzige wirtschaftliche Einheit im Sinne der Rechtsprechung bilde, so dass alle diese Gesellschaften als Begünstigte der Beihilfemaßnahme anzusehen seien, von der dieses Unternehmen profitiert habe.

D.      Verfügender Teil des angefochtenen Beschlusses

27      Der verfügende Teil des angefochtenen Beschlusses bestimmt:

„Artikel 1

(1)      Die staatliche Beihilferegelung in Form der Ausnahmeregelung für passive Zinsen, die nach dem [ITA] 2010 im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Juni 2013 in Gibraltar Anwendung fand und von Gibraltar rechtswidrig unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV eingeführt wurde, ist im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar.

(2)      Die staatliche Beihilferegelung in Form der Ausnahmeregelung für Nutzungsentgelte, die nach dem [ITA] 2010 im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013 in Gibraltar Anwendung fand und von Gibraltar rechtswidrig unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV eingeführt wurde, ist im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar.

Artikel 2

Die Einzelbeihilfen, die fünf an niederländischen [CV] beteiligten gibraltarischen Unternehmen, die Einkünfte aus Nutzungsentgelten und passiven Zinsen erzielen, von der Regierung Gibraltars auf der Grundlage der … Steuervorbescheide … gewährt und die rechtswidrig unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV vom Vereinigten Königreich durchgeführt wurden, sind im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar.

Artikel 5

(1)      Das Vereinigte Königreich fordert alle mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfen, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Beihilferegelungen oder der [fünf] in Artikel 2 genannten Steuervorbescheide gewährt wurden, von den Empfängern dieser Beihilfen zurück.

(2)      Alle Einzelbeihilfen, die auf der Grundlage der [fünf] in Artikel 2 genannten Steuervorbescheide gewährt wurden und die von dem betreffenden Unternehmen in Gibraltar nicht zurückgefordert werden können, werden von anderen Unternehmen zurückgefordert, die mit dem betreffenden Unternehmen in Gibraltar eine wirtschaftliche Einheit bilden, d. h. von der entsprechenden niederländischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BV), der niederländischen Kommanditgesellschaft (CV) oder der Muttergesellschaft des in Gibraltar ansässigen Unternehmens.

…“

II.    Verfahren und Anträge der Parteien

28      Mit Klageschrift, die am 15. Juli 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Klägerinnen, Mead Johnson Nutrition (Asia Pacific), die MJN Global Holdings BV, die MJ BV und MJN US, die vorliegende Klage erhoben.

29      Gemäß Art. 106 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts haben die Klägerinnen am 27. März 2020 einen begründeten Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt.

30      Auf Vorschlag der Zweiten Kammer hat das Gericht die Rechtssache gemäß Art. 28 der Verfahrensordnung an einen erweiterten Spruchkörper verwiesen.

31      Am 12. Mai 2021 hat das Gericht den Parteien im Wege einer prozessleitenden Maßnahme nach Art. 89 Abs. 3 der Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt. Die Beteiligten sind der Aufforderung des Gerichts in der gesetzten Frist nachgekommen.

32      Die Parteien haben in der Sitzung vom 28. Juni 2021 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

33      Die Klägerinnen beantragen,

–        Art. 1 Abs. 2, Art. 2 und Art. 5 Abs. 1 und 2 des angefochtenen Beschlusses für nichtig zu erklären, soweit sie sie betreffen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

34      Die Kommission beantragt,

–        die Klage als unzulässig oder als unbegründet abzuweisen;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

35      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in ihrer Gegenerwiderung darauf verzichtet hat, sich auf die Unzulässigkeit der Klage als verspätet zu berufen.

A.      Aufbau der Klage

36      Wie aus dem verfügenden Teil des angefochtenen Beschlusses und den Rn. 13 bis 26 oben hervorgeht, betrifft der angefochtene Beschluss erstens zwei Beihilferegelungen, nämlich zum einen die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus passiven Zinsen nach Art. 1 Abs. 1 dieses Beschlusses und zum anderen die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten nach Art. 1 Abs. 2 dieses Beschlusses, und zweitens fünf auf der Grundlage von fünf Steuervorbescheiden gewährte Einzelmaßnahmen nach Art. 2 dieses Beschlusses.

37      Die Einstufung der fünf Steuervorbescheide als Einzelbeihilfemaßnahmen für den Zeitraum nach dem 31. Dezember 2013 (Zeitpunkt der Beendigung der Beihilferegelungen) ist völlig unabhängig von der Einstufung der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten als Beihilferegelung. Somit enthält der angefochtene Beschluss zwei getrennte Abschnitte, in denen die verschiedenen Kriterien für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe gesondert geprüft werden.

38      Ferner betrifft Art. 5 Abs. 1 und 2 des angefochtenen Beschlusses die Rückforderung der Beihilfen, die aufgrund der in den Art. 1 und 2 dieses Beschlusses genannten Maßnahmen gewährt worden waren.

39      Mit ihrer Klage begehren die Klägerinnen die teilweise Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses und insbesondere die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2, von Art. 2 sowie von Art. 5 Abs. 1 und 2 dieses Beschlusses, soweit sie sie betreffen.

40      Die Klageschrift ist in drei verschiedene Teile gegliedert. Der erste Teil richtet sich auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses, soweit die Kommission die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten als Beihilferegelung eingestuft hat, sowie der mit dieser Maßnahme verbundenen Rückforderungsanordnung. Der zweite Teil der Klage ist auf die Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet, soweit die Kommission zu dem Ergebnis gekommen ist, dass MJN GibCo während des Zeitraums bis zum 31. Dezember 2013 und während des Zeitraums nach diesem Zeitpunkt auf der Grundlage des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids von Beihilfemaßnahmen profitiert habe, sowie der mit diesen Maßnahmen verbundenen Rückforderungsanordnung. Der dritte Teil ist auf die Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet, soweit die Kommission die Rückforderung der Beihilfen von MJN GibCo und andernfalls von den Klägerinnen angeordnet hat.

41      Alle diese Teile sind daher nacheinander zu prüfen.

42      Insoweit macht die Kommission geltend, die Klägerinnen müssten sowohl Art. 1 Abs. 2 als auch Art. 2 des angefochtenen Beschlusses wirksam bekämpfen, damit der vorliegenden Klage stattgegeben werden könne. Im Übrigen könne, selbst wenn der Klage teilweise stattgegeben werde, der Anfechtung der in Art. 5 des angefochtenen Beschlusses formulierten Rückforderungsanordnung nur in Bezug auf denjenigen Teil der Beihilfen stattgegeben werden, für den der Klage stattgegeben worden sei, und nur, soweit die Klägerinnen betroffen seien. Die Klägerinnen tragen ihrerseits vor, die Klage könne gegen einen der beiden Artikel oder gegen beide Artikel, die Gegenstand der Klage seien, erfolgreich sein, da die Klageschrift aus verschiedenen Teilen bestehe, die darauf abzielten, unterschiedliche Artikel des verfügenden Teils des angefochtenen Beschlusses zu bekämpfen.

43      Nach der Rechtsprechung erlaubt dem Gericht allein die Tatsache, dass das Gericht einen von der klagenden Partei zur Stützung ihrer Nichtigkeitsklage geltend gemachten Klagegrund für begründet hält, nicht, den angefochtenen Rechtsakt ohne Weiteres insgesamt für nichtig zu erklären. Eine vollständige Nichtigerklärung kann nicht erfolgen, wenn der betreffende Klagegrund, der nur einen spezifischen Aspekt des angefochtenen Rechtsakts betrifft, ganz offensichtlich allein eine teilweise Nichtigerklärung rechtfertigen kann (Urteil vom 11. Dezember 2008, Kommission/Département du Loiret, C‑295/07 P, EU:C:2008:707, Rn. 104).

44      Die teilweise Nichtigerklärung eines Unionsakts ist jedoch nur möglich, soweit sich die Teile, deren Nichtigerklärung beantragt wird, vom Rest des Rechtsakts abtrennen lassen. Dieses Erfordernis der Abtrennbarkeit ist nicht erfüllt, wenn die teilweise Nichtigerklärung eines Rechtsakts zur Folge hätte, dass der Wesensgehalt dieses Aktes verändert würde (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2008, Kommission/Département du Loiret, C‑295/07 P, EU:C:2008:707, Rn. 105 und 106 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Zunächst ist festzustellen, dass die verschiedenen Teile der Klage jeweils auf die teilweise Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses gerichtet sind und verschiedene Teile des verfügenden Teils dieses Beschlusses betreffen, bei denen es jeweils um völlig unterschiedliche und voneinander unabhängige Beihilfemaßnahmen geht, so dass sie, wenn bestimmten zur Stützung dieser Teile geltend gemachten Klagegründen stattgegeben würde, nur zur teilweisen Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen können. Sodann ist ihre Klage, wie die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, auf die Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Beschlusses nur insoweit gerichtet, als er die MJN GibCo gewährte Beihilfe betrifft, und nicht, soweit er die den Empfängern der vier weiteren Steuervorbescheide gewährten Einzelbeihilfen betrifft, so dass es, wenn den auf die Nichtigerklärung dieses Artikels gerichteten Klagegründen stattgegeben würde, nur zur Nichtigerklärung dieses Artikels führen würde, soweit er die MJN GibCo und den Klägerinnen zugutegekommene Beihilfemaßnahme betrifft. Wenn die Rügen, die auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses oder von Art. 2 dieses Beschlusses gerichtet sind, soweit dieser die Klägerinnen betrifft, durchgreifen sollten, hätte dies zudem die Nichtigerklärung von Art. 5 des angefochtenen Beschlusses zur Folge, soweit er auf die Rückforderung der Beträge gerichtet ist, die aufgrund der von den verschiedenen Teilen des verfügenden Teils erfassten Beihilfemaßnahmen gezahlt wurden.

B.      Erster Teil der Klage: Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses betreffend die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten sowie der mit dieser Maßnahme in Zusammenhang stehenden Rückforderungsanordnung

46      Zur Stützung des ersten Teils ihrer Klage, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 sowie von Art. 5 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, soweit diese Vorschriften die Klägerinnen betreffen, tragen diese im Wesentlichen drei Klagegründe vor.

47      Mit dem ersten Klagegrund wird ein offensichtlicher Beurteilungsfehler, ein Verstoß gegen den in Art. 5 EUV verankerten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, ein Verstoß gegen den Grundsatz der Steuerautonomie und der Steuerhoheit der Mitgliedstaaten sowie eine Überschreitung der Befugnisse der Kommission geltend gemacht (Abschnitt b des ersten Teils der Klageschrift).

48      Mit dem zweiten, dem dritten und dem vierten Klagegrund werden ein offensichtlicher Beurteilungsfehler und ein Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV geltend gemacht, da die Kommission weder das Vorliegen eines Vorteils noch dessen Selektivität nachgewiesen habe (Abschnitte c, d und e des ersten Teils der Klageschrift).

49      Mit dem fünften Klagegrund werden offensichtliche Beurteilungsfehler und ein Verstoß gegen Art. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. [108 AEUV] (ABl. 1999, L 83, S. 1) geltend gemacht, soweit die Kommission die Ausnahmeregelung als bestehende Beihilfe angesehen habe (Abschnitt f des ersten Teils der Klageschrift).

50      Zudem nennen die Klägerinnen in Abschnitt a des ersten Teils der Klageschrift mehrere offensichtliche Beurteilungsfehler in Bezug auf die Auslegung der Vorschriften des ITA 2010 und des ITA 1952, auf die in den verschiedenen Klagegründen verwiesen wird, die auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet sind.

51      Das Gericht wird die verschiedenen oben in den Rn. 47 bis 49 angeführten Klagegründe nacheinander prüfen und in diesem Zusammenhang die verschiedenen Irrtümer untersuchen, die in Abschnitt a des ersten Teils der Klageschrift genannt sind.

1.      Zum Klagegrund, mit dem ein offensichtlicher Beurteilungsfehler, ein Verstoß gegen Art. 5 EUV, ein Verstoß gegen den Grundsatz der Steuerhoheit und eine Befugnisüberschreitung gerügt werden (erster Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist)

52      Im Rahmen ihres ersten Klagegrundes, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, machen die Klägerinnen im Wesentlichen geltend, die Kommission habe gegen den in Art. 5 EUV verankerten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung verstoßen, wonach der Bereich der direkten Steuern in die Souveränität und Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle, und im Hinblick auf Art. 17 Abs. 1 EUV eine Befugnisüberschreitung begangen, indem sie ihre Befugnisse im Bereich staatlicher Beihilfen zur Bekämpfung einer scheinbar doppelten Steuerbefreiung ausgeübt habe. Die Kommission umgehe somit das in Art. 116 AEUV vorgesehene Verfahren, das es ihr ermögliche, tätig zu werden, wenn sie feststelle, dass vorhandene Unterschiede in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten die Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt verfälschten.

53      Die Kontrolle staatlicher Beihilfen lasse die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, das Steuersystem zu wählen, das sie für das geeignetste hielten, und in diesem Rahmen die Kategorien und die Art der Berechnung der steuerpflichtigen Einkünfte und Gewinne (Steuerbemessungsgrundlage) souverän zu bestimmen. Aus der Rechtsprechung gehe klar hervor, dass das Vorliegen eines Vorteils gegenüber der so genannten „normalen“ Besteuerung, wie sie in den nationalen Steuervorschriften bestimmt sei, nachgewiesen werden müsse, da die Kommission nicht über die Zuständigkeit verfüge, die so genannte „normale“ Besteuerung autonom festzulegen. Denn die Mitgliedstaaten müssten ihre Befugnisse in Steuersachen zwar unter Wahrung des Unionsrechts ausüben, doch verleihe dies der Kommission weder die Befugnis, den Geltungsbereich der normalen Steuervorschriften, die den maßgeblichen Bezugsrahmen bildeten, auszudehnen, noch die Befugnis, über die Beseitigung der Ausnahmen von den Vorschriften, die diesen Rahmen bildeten, hinaus in die souveränen Entscheidungen eines Mitgliedstaats einzugreifen.

54      Zum einen machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe dadurch einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, dass sie festgestellt habe, dass das Ziel des ITA 2010 darin bestehe, den vollen Gewinn oder Ertrag der Gesellschaften zu besteuern, und dadurch, dass sie die Ansicht vertreten habe, dass die Nichtbesteuerung der (passiven) Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine Abweichung vom ITA 2010 darstelle. Zum anderen machen sie geltend, die Kommission habe Art. 107 Abs. 1 AEUV und den Grundsatz, dass sich eine staatliche Beihilfe nach ihren Wirkungen bestimme, zu weit angewandt, und der vorliegende Fall unterscheide sich von den Rechtssachen, in denen die im angefochtenen Beschluss ins Treffen geführten Urteile vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich (C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732), und vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981), ergangen seien.

55      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

56      Was als Erstes die Behauptung eines Verstoßes gegen Art. 5 EUV anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass außerhalb der Bereiche, in denen das Steuerrecht der Union harmonisiert wurde, die Bestimmung der grundlegenden Merkmale jeder Steuer aufgrund der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten in deren Ermessen liegt, das in jedem Fall im Einklang mit dem Unionsrecht ausgeübt werden muss. Dies gilt u. a. für die Wahl des Steuersatzes, der proportional oder progressiv sein kann, aber auch für die Festlegung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und des Steuertatbestands (Urteil vom 16. März 2021, Kommission/Polen, C‑562/19 P, EU:C:2021:201, Rn. 38).

57      Aber auch wenn nach ständiger Rechtsprechung die direkten Steuern beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung des Unionsrechts zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, müssen diese gleichwohl ihre Befugnisse unter Wahrung des Unionsrechts ausüben (vgl. Urteil vom 12. Juli 2012, Kommission/Spanien, C‑269/09, EU:C:2012:439, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher sind Maßnahmen der Mitgliedstaaten in den Bereichen, die nicht in der Union harmonisiert worden sind, wie die direkte Besteuerung, vom Anwendungsbereich der Regelung in Bezug auf die Kontrolle staatlicher Beihilfen nicht ausgeschlossen.

58      Die Mitgliedstaaten müssen nämlich ihre Befugnisse in Steuersachen unter Wahrung des Unionsrechts ausüben und haben in diesem Kontext jede Maßnahme zu unterlassen, die eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juni 2010, Kommission/Spanien, C‑487/08, EU:C:2010:310, Rn. 37).

59      Daher kann die Kommission eine steuerliche Maßnahme als staatliche Beihilfe einstufen, sofern die Voraussetzungen für eine solche Einstufung erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. Juli 1974, Italien/Kommission, 173/73, EU:C:1974:71, Rn. 28, vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission, C‑182/03 und C‑217/03, EU:C:2006:416, Rn. 81, sowie vom 25. März 2015, Belgien/Kommission, T‑538/11, EU:T:2015:188, Rn. 65 und 66).

60      Was jedoch die Voraussetzung anbelangt, wonach die fragliche Maßnahme einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen muss, ist daran zu erinnern, dass als staatliche Beihilfen nach ständiger Rechtsprechung Maßnahmen gleich welcher Art gelten, die mittelbar oder unmittelbar Unternehmen begünstigen oder bei denen davon auszugehen ist, dass sie dem begünstigten Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen, den es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte (vgl. Urteile vom 2. September 2010, Kommission/Deutsche Post, C‑399/08 P, EU:C:2010:481, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 9. Oktober 2014, Ministerio de Defensa und Navantia, C‑522/13, EU:C:2014:2262, Rn. 21).

61      Insbesondere ist eine Maßnahme, mit der die staatlichen Stellen bestimmten Unternehmen eine steuerliche Vergünstigung gewähren, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, aber die Begünstigten finanziell besserstellt als die übrigen Steuerpflichtigen, eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV (Urteil vom 15. März 1994, Banco Exterior de España, C‑387/92, EU:C:1994:100, Rn. 14; vgl. auch Urteil vom 8. September 2011, Paint Graphos u. a., C‑78/08 bis C‑80/08, EU:C:2011:550, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Übrigen kann bei steuerlichen Maßnahmen das tatsächliche Vorliegen einer Vergünstigung nur in Bezug auf eine so genannte „normale“ Besteuerung (Urteil vom 6. September 2006, Portugal/Kommission, C‑88/03, EU:C:2006:511, Rn. 56) oder anhand der vom Mitgliedstaat aufgrund seiner Steuerautonomie festgelegten Steuervorschriften festgestellt werden.

62      Folglich bedeutet die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten nicht, dass jede steuerliche Maßnahme, die sich u. a. auf die von den Steuerbehörden berücksichtigte Besteuerungsgrundlage auswirkt, aus dem Anwendungsbereich von Art. 107 AEUV ausgenommen ist. Wenn eine steuerliche Maßnahme tatsächlich zu einer unterschiedlichen Behandlung der Gesellschaften führt, die sich im Hinblick auf das mit dem normalen Steuersystem, das den zu berücksichtigenden Bezugsrahmen darstellt, verfolgten Ziel in einer vergleichbaren Lage befinden, und dadurch den Begünstigten der Maßnahme selektive Vorteile verschafft, die „bestimmte“ Unternehmen oder „bestimmte“ Produktionszweige begünstigen, kann sie als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 104).

63      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Kommission, da sie dafür zuständig ist, die Beachtung von Art. 107 AEUV zu gewährleisten, ihre Befugnisse nicht überschritten hat, als sie die Nichtbesteuerung von Einkünften aus Nutzungsentgelten prüfte, um festzustellen, ob diese Maßnahme eine Beihilferegelung darstellte, und, falls ja, ob sie mit dem Binnenmarkt im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vereinbar war.

64      Keines der Argumente der Klägerinnen kann diese Feststellung in Frage stellen.

65      Erstens ergibt sich zwar aus der oben in Rn. 57 dargestellten Rechtsprechung, dass die Kommission beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung des Unionsrechts nicht befugt ist, unter Außerachtlassung der nationalen Steuervorschriften eigenständig die so genannte „normale“ Besteuerung eines Unternehmens zu bestimmen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich die Kommission bei der Prüfung der Kriterien des Vorteils und der Selektivität auf die in Gibraltar geltenden Vorschriften des Steuerrechts, d. h. auf die Vorschriften des ITA 2010 und insbesondere auf die Sections 11, 16 und 74 dieses Gesetzes und dessen Schedule 1, sowie auf die Stellungnahme des Vereinigten Königreichs und der Behörden von Gibraltar zur Klärung des Inhalts und der Leitprinzipien des durch den ITA 2010 eingeführten Steuersystems bezogen hat. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen hat die Kommission somit die so genannte „normale“ Besteuerung nicht autonom festgelegt und kann im vorliegenden Fall nicht gegen den Grundsatz der beschränkten Einzelermächtigung verstoßen haben.

66      Zweitens missachtet die Kommission die den Mitgliedstaaten vorbehaltene Zuständigkeit im Bereich der direkten Steuern nicht dadurch, dass sie die in Gibraltar geltenden Steuervorschriften auslegt. Die Kommission kann nämlich im Rahmen der Kontrolle der steuerlichen Maßnahmen im Bereich der staatlichen Beihilfen die nationalen Steuervorschriften selbst beurteilen, wobei diese Beurteilung gegebenenfalls von dem betreffenden Mitgliedstaat oder etwaigen Beteiligten im Rahmen einer Nichtigkeitsklage vor dem Gericht angefochten werden kann.

67      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission ihre Beurteilung der in Gibraltar geltenden Steuervorschriften auf die von den Behörden des Vereinigten Königreichs und Gibraltars übermittelten Informationen gestützt hat. Wie aus dem 93. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses und aus Fn. 46 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, hat die Kommission insbesondere den Bezugsrahmen einschließlich der Leitprinzipien einer normalen Besteuerung sowie das Ziel dieses Rahmens auf der Grundlage der Informationen festgelegt, die ihr von den Behörden des Vereinigten Königreichs im Rahmen des Verwaltungsverfahrens übermittelt wurden.

68      Drittens ist, wie die Kommission in Rn. 75 ihrer Klagebeantwortung ausführt, ihre Befugnis, das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe in Steuersachen zu prüfen, nicht auf den Fall beschränkt, dass eine formelle Abweichung von der nationalen Steuerregelung vorliegt. Denn die Regelungstechnik ist für die Beurteilung der Auswirkungen einer nationalen Maßnahme anhand von Art. 107 Abs. 1 AEUV unerheblich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 79). Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen hat die Kommission ihre Befugnisse somit nicht überschritten, als sie die Nichtbesteuerung einer Kategorie von Einkünften bzw. ihre Nichtaufnahme in die Kategorien des steuerpflichtigen Einkommens im Licht der Leitprinzipien des durch den ITA 2010 eingeführten Steuersystems geprüft hat.

69      Viertens sind die von den Klägerinnen behaupteten Beurteilungsfehler und Verstöße, insbesondere was die Ermittlung des Ziels und der Leitprinzipien des ITA 2010, das Fehlen des Nachweises einer etwaigen Diskriminierung sowie die Anwendung der Urteile vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich (C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732), und vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981), anbelangt, für den Nachweis einer etwaigen Unzuständigkeit der Kommission ungeeignet. Solche Argumente zielen vielmehr darauf ab, offensichtliche Beurteilungsfehler sowie einen Verstoß der Kommission gegen Art. 107 AEUV oder Fehler und einen Verstoß im Rahmen der Ausübung ihrer Zuständigkeit geltend zu machen.

70      Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission mit dem Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht gegen Art. 5 EUV verstoßen hat.

71      Was als Zweites die Behauptung eines Ermessensmissbrauchs anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Maßnahme nur dann ermessensmissbräuchlich ist, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass sie ausschließlich oder zumindest hauptsächlich zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem Ziel erlassen worden ist, ein Verfahren zu umgehen, das der AEU-Vertrag speziell vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. April 2013, Spanien und Italien/Rat, C‑274/11 und C‑295/11, EU:C:2013:240, Rn. 33, und vom 12. Juli 2018, PA/Parlament, T‑608/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:440, Rn. 42).

72      Im vorliegenden Fall kann der Kommission jedoch nicht vorgeworfen werden, einen Ermessensmissbrauch begangen zu haben, als sie den angefochtenen Beschluss erlassen hat, mit dem nach einem förmlichen Prüfverfahren festgestellt werden soll, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellt.

73      Überdies stellt die bloße Behauptung, dass die Kommission ihre Befugnisse im Bereich staatlicher Beihilfen zur Bekämpfung einer scheinbar doppelten Steuerbefreiung ausgeübt habe, kein Bündel objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien dar, die die Feststellung erlauben, dass sie versucht habe, das in Art. 116 AEUV vorgesehene Verfahren zu umgehen. Abgesehen davon, dass der angefochtene Beschluss nicht darauf abzielt, die Anwendung des Territorialitätsprinzips in Frage zu stellen, ist zum einen festzustellen, dass die Analyse, der zufolge die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine Beihilfemaßnahme darstelle, nicht berücksichtigt, ob diese Einkünfte in anderen Steuergebieten steuerpflichtig sind oder nicht, und ausschließlich auf den in Gibraltar geltenden Steuervorschriften beruht. Zum anderen geht aus dem angefochtenen Beschluss nicht hervor, dass die Kommission versucht hätte, das in Gibraltar geltende Steuerrecht an die in den verschiedenen Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften anzugleichen.

74      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Kommission keinen Ermessensmissbrauch begangen hat.

75      Nach alledem ist der erste Klagegrund, mit dem die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses begehrt wird, zurückzuweisen.

2.      Zu den Klagegründen, mit denen offensichtliche Beurteilungsfehler und ein Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV gerügt werden (zweiter, dritter und vierter Klagegrund, die auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet sind)

76      Im Wesentlichen werden mit dem zweiten, dem dritten und dem vierten Klagegrund, die auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet sind, offensichtliche Beurteilungsfehler und ein Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV insofern gerügt, als die Kommission angenommen habe, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten ihren Begünstigten einen selektiven Vorteil verschaffe. Die Klägerinnen beanstanden erstens die Analyse des Vorteils (zweiter Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist), zweitens die Schlussfolgerungen zur Selektivität (dritter Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist) und drittens den Umfang des von der Kommission festgestellten selektiven Vorteils (dritter Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist). Die verschiedenen von den Klägerinnen geltend gemachten Klagegründe beziehen sich auf offensichtliche Beurteilungsfehler in Bezug auf den Inhalt und die Tragweite des Steuerrechts von Gibraltar, die in Abschnitt a des ersten Teils der Klage dargelegt werden.

a)      Vorbemerkungen

1)      Zur Beihilfemaßnahme, die Gegenstand von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses ist

77      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Maßnahme, die Gegenstand von Art. 1 Abs. 2 dieses Beschlusses ist, wie aus den Erwägungsgründen 28, 33, 82 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, in der von der Kommission als „Ausnahmeregelung für [Einkünfte aus] Nutzungsentgelte[n]“ bezeichneten Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten besteht. Wie die Kommission in den Erwägungsgründen 28, 33 und 93 des angefochtenen Beschlusses dargelegt hat, ergibt sich diese Nichtbesteuerung aus der Nichtaufnahme der Einkünfte aus Nutzungsentgelten in die in Schedule 1 des ITA 2010 – abschließend – aufgeführten Kategorien von Einkommen, das in Gibraltar steuerpflichtig ist.

78      Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass aus dem Einleitungsbeschluss (vgl. insbesondere 34. Erwägungsgrund dieses Beschlusses), in dessen Licht der angefochtene Beschluss zu lesen ist, hervorgeht, dass die Maßnahme, die Gegenstand von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses ist, konkret in der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten als passive Einkünfte („passive income“) besteht. Ein solches Verständnis ergibt sich auch aus dem 76. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses in Zusammenschau mit Fn. 25 dieses Beschlusses, worin die Kommission erklärt hat, dass sich die im angefochtenen Beschluss enthaltene Bewertung nur auf die Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten beziehe und dass andere Kategorien passiver Einkünfte nicht erfasst seien. Zum anderen betraf die Prüfung der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten nur den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013, wie im 76. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt wird.

79      Soweit die Klägerinnen erstens geltend machen, dass die Kommission die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten als „implizite Befreiung“ eingestuft und die Tatsache verkannt habe, dass nach Section 11 des ITA 2010 in Gibraltar nur Einkünfte steuerpflichtig gewesen seien, die in einer der in Schedule 1 aufgeführten Kategorien enthalten gewesen seien, ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission im 93. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses sehr wohl berücksichtigt hat, dass nach Section 11 des ITA 2010 nur die in einer der in Schedule 1 aufgeführten Kategorien enthaltenen Einkünfte in Gibraltar steuerpflichtig waren. Denn sie hat im angefochtenen Beschluss klargestellt, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine „implizite Befreiung“ darstelle, da die Einkünfte aus Nutzungsentgelten nicht in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen fielen, das in Gibraltar steuerpflichtig sei und in den Anwendungsbereich des Steuersystems des ITA 2010 falle. Aus den Erwägungsgründen 28, 32 und 33 sowie der Fn. 17 des angefochtenen Beschlusses ergibt sich außerdem, dass die Kommission durchaus berücksichtigt hat, dass Einkünfte aus Nutzungsentgelten im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013 nicht in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen fielen, das in Gibraltar steuerpflichtig war, und nicht der Steuer unterlagen.

80      Im Übrigen ist insoweit darauf hinzuweisen, dass Art. 107 Abs. 1 AEUV nach ständiger Rechtsprechung nicht nach den Gründen und Zielen der staatlichen Maßnahmen unterscheidet, sondern sie anhand ihrer Wirkungen und somit unabhängig von den verwendeten Techniken beschreibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 87 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81      So hatte der Umstand, dass die Einkünfte aus Nutzungsentgelten in Gibraltar nicht der Einkommensteuer unterlagen, weil sie nicht in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Einkommenskategorien aufgenommen wurden, dieselbe Wirkung, wie wenn diese Einkommenskategorie in dieser Schedule aufgeführt, jedoch formell von der Steuer befreit gewesen wäre. Wie Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona im Wesentlichen in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Wereldhave Belgium u. a. (C‑448/15, EU:C:2016:808, Nrn. 40 und 42) ausgeführt hat, ist der Steuertatbestand im Fall einer nicht bestehenden Steuerpflicht nämlich nicht erfüllt, während er im Fall einer Befreiung erfüllt ist. In diesen zuletzt genannten Fällen entsteht die Hauptsteuerpflicht theoretisch, aber der Steuerpflichtige ist nach dem Gesetz ganz oder teilweise von der Zahlung befreit, die letztlich nicht von ihm verlangt werden kann. Somit haben die „nicht bestehende Steuerpflicht“ und die „Befreiung“ die gleichen Auswirkungen, nämlich die Nichtbesteuerung. Daraus folgt, dass die Kommission keinen Fehler begangen hat, als sie die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten als „implizite Befreiung“ eingestuft hat.

82      Soweit die Klägerinnen zweitens die im 33. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses enthaltene Behauptung beanstanden, wonach Einkünfte aus Nutzungsentgelten gemäß dem ITA 2010 nie steuerpflichtig gewesen seien, und geltend machen, dass diese Einkünfte auch vor der Änderung des ITA 2010 aus dem Jahr 2013 unter die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführte Kategorie A der Einkünfte, und zwar unter Gewinne aus „Handel, Gewerbe und Berufsstand“, gefallen seien, Folgendes festzustellen.

83      Wie aus den Rn. 77 und 78 oben hervorgeht, besteht die Maßnahme, die Gegenstand von Art. 1 Abs. 2 dieses Beschlusses ist, in der von der Kommission als „Ausnahmeregelung für [Einkünfte aus] Nutzungsentgelte[n]“ bezeichneten Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten, wie sie sich aus der Nichtaufnahme der Einkünfte aus Nutzungsentgelten in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen, das in Gibraltar steuerpflichtig ist, ergibt. Diese Maßnahme betrifft im Speziellen die Einkünfte aus Nutzungsentgelten, insofern als sie passive Einkünfte darstellen. Die Klägerinnen räumen jedoch selbst ein, dass die „rein passiven“ Einkünfte aus Nutzungsentgelten, die sich nicht aus einer unternehmerischen Tätigkeit ergeben, bis zum Inkrafttreten der Änderungen des ITA 2010 aus dem Jahr 2013 am 1. Januar 2014 unter keine in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführte Einkommenskategorie fielen und daher in Gibraltar nicht steuerpflichtig waren.

84      Daraus folgt, dass die von den Klägerinnen behaupteten Fehler nicht geeignet sind, die Feststellung in Frage zu stellen, dass Einkünfte aus Nutzungsentgelten, die passive Einkünfte darstellen, grundsätzlich nicht in den in Schedule 1 des ITA 2010 in seiner vor dem 1. Januar 2014 geltenden Fassung aufgeführten Einkommenskategorien enthalten waren und folglich in Gibraltar nicht steuerpflichtig waren. Folglich sind diese Argumente nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen, und als nicht stichhaltig zurückzuweisen.

85      Jedenfalls hat die Kommission keinen Fehler begangen, als sie behauptet hat, dass die Einkünfte aus Nutzungsentgelten in Gibraltar nicht steuerpflichtig gewesen seien, ohne zu prüfen, ob diese Einkünfte im Rahmen der Kategorie A der in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Einkünfte besteuert werden konnten.

86      Tatsächlich haben die Behörden des Vereinigten Königreichs und Gibraltars in ihren verschiedenen Stellungnahmen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens stets bestätigt, dass die Einkünfte aus Nutzungsentgelten in Gibraltar gemäß dem ITA 2010 in seiner im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung nicht steuerpflichtig gewesen seien. Überdies hat das Vereinigte Königreich in der Präsentation des ITA 2010, die ihrer Stellungnahme vom 14. September 2012 beigefügt war, klar erklärt, dass die Einkünfte aus solchen Nutzungsentgelten nicht in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen fielen, das in Gibraltar steuerpflichtig sei, und dass sie insbesondere nicht als Geschäfts- oder Unternehmensgewinne der Kategorie A des in dieser Schedule aufgeführten Einkommens angesehen werden könnten.

87      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Auslegung des ITA 2010, wonach Einkünfte aus Nutzungsentgelten in Gibraltar niemals steuerpflichtig waren, mit dem Inhalt des Vorbescheidsantrags vom 11. September 2012 vereinbar ist, auf dessen Grundlage der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid erlassen wurde. In diesem Dokument hatten die Klägerinnen nämlich selbst angegeben, dass ihrer Ansicht nach alle von MJN GibCo erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten in keine der in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen, das in Gibraltar steuerpflichtig sei, fielen.

88      Daraus folgt, dass die Kommission keinen Fehler begangen hat, als sie die Ansicht vertreten hat, dass die Einkünfte aus Nutzungsentgelten im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013 nicht steuerpflichtig gewesen seien, und dass sie auch keinen Fehler begangen hat, als sie geprüft hat, ob eine solche Maßnahme der Nichtbesteuerung geeignet war, ihren Begünstigten einen selektiven Vorteil zu verschaffen und somit eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darzustellen.

2)      Zur Prüfung der Kriterien des Vorteils und der Selektivität

89      Nach der Rechtsprechung erfordert die Einstufung als staatliche Beihilfe, dass alle in Art. 107 AEUV genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Daher ist anerkannt, dass eine Maßnahme nur dann als staatliche Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung qualifiziert werden kann, wenn es sich erstens um eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln bestrittene Maßnahme handelt, zweitens die Maßnahme geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, drittens dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt wird und sie viertens den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/Hansestadt Lübeck, C‑524/14 P, EU:C:2016:971, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

90      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der Prüfung der steuerlichen Maßnahmen unter dem Blickwinkel des Art. 107 Abs. 1 AEUV sowohl die Prüfung des Kriteriums des Vorteils als auch die des Kriteriums der Selektivität vorab die Bestimmung der normalen Steuervorschriften erfordert, die den einschlägigen Bezugsrahmen für diese Prüfung bilden.

91      Zum einen kann im Fall von steuerlichen Maßnahmen das tatsächliche Vorliegen einer Vergünstigung nur in Bezug auf eine so genannte „normale“ Besteuerung festgestellt werden (Urteil vom 6. September 2006, Portugal/Kommission, C‑88/03, EU:C:2006:511, Rn. 56). Denn eine solche Maßnahme verschafft dem Begünstigten dann einen wirtschaftlichen Vorteil, wenn sie die Belastungen vermindert, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat; sie stellt somit zwar keine Subvention im strengen Sinne des Wortes dar, steht dieser aber nach Art und Wirkung gleich (Urteil vom 9. Oktober 2014, Ministerio de Defensa und Navantia, C‑522/13, EU:C:2014:2262, Rn. 22). Der Bezugsrahmen ist aber gerade die so genannte „normale“ Besteuerung.

92      Zum anderen setzt die Einstufung einer nationalen Steuermaßnahme als selektiv in einem ersten Schritt voraus, dass im Vorfeld die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder normale Steuerregelung ermittelt und geprüft wird (Urteil vom 8. September 2011, Paint Graphos u. a., C‑78/08 bis C‑80/08, EU:C:2011:550, Rn. 49).

93      Im Übrigen hat die Kommission ihre Auslegung des Begriffs „Bezugsrahmen“ in ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV (ABl. 2016, C 262, S. 1) näher erläutert. Wenngleich diese Bekanntmachung das Gericht nicht binden kann, kann sie gleichwohl eine nützliche Anregung darstellen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 26. Juli 2017, Tschechische Republik/Kommission, C‑696/15 P, EU:C:2017:595, Rn. 53).

94      Insbesondere heißt es in Rn. 133 der Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe, dass sich das Bezugssystem aus kohärenten Vorschriften zusammensetzt, die – auf der Grundlage objektiver Kriterien – generell auf alle Unternehmen Anwendung finden, die definitionsgemäß in seinen Anwendungsbereich fallen. In dieser Randnummer der Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe heißt es weiter, dass typischerweise in diesen Vorschriften nicht nur der Anwendungsbereich des Systems, sondern auch die Voraussetzungen für seine Anwendung, die Rechte und Pflichten der ihm unterliegenden Unternehmen und die technischen Aspekte seiner Funktionsweise festgelegt werden.

95      Im vorliegenden Fall bestreiten die Klägerinnen zwar nicht, dass die Kommission zu Recht angenommen hat, dass der ITA 2010 die normalen Steuervorschriften darstellte, die den einschlägigen Bezugsrahmen für die Prüfung der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten bildeten, doch wenden sie sich zur Stützung der Klagegründe 2 bis 4, mit denen die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses begehrt wird, gegen die von der Kommission vorgenommene Auslegung des Inhalts und des Ziels des ITA 2010.

96      Folglich ist in einem ersten Schritt das Vorbringen der Klägerinnen zu prüfen, mit dem die von der Kommission vorgenommene Auslegung des Inhalts und des Ziels der normalen Steuervorschriften für Einkommen von Gesellschaften in Gibraltar, die den Bezugsrahmen darstellen, beanstandet wird, und sind sodann in einem zweiten Schritt die verschiedenen Klagegründe zu prüfen, mit denen die Analyse des selektiven Vorteils durch die Kommission angegriffen wird.

b)      Zu den Beurteilungen des Bezugsrahmens und der normalen in Gibraltar geltenden Steuervorschriften durch die Kommission

97      Wie aus den Erwägungsgründen 28 bis 30 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, waren die einschlägigen Vorschriften des ITA 2010 in Bezug auf das System der Besteuerung der Einkünfte von Gesellschaften in Gibraltar vor allem die Sections 11, 16 und 74.

98      Teil II („Steuerpflicht“) („Charge to Tax“) des ITA 2010 enthielt u. a. Section 11 des ITA 2010 mit der Überschrift „Die Steuerpflicht“ („The Charge to Taxation“), der bestimmte:

„1.      Die Steuer wird vorbehaltlich der Vorschriften des [ITA 2010] und der Regelungen zu dem Satz fällig, der regelmäßig für jedes Steuerjahr oder für jeden Abrechnungszeitraum auf das in Gibraltar erzielte oder bezogene Einkommen aller in den Tabellen A bis C … von Schedule 1 genannten Personen festgelegt wird.

…“

99      In der im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung wurden in Schedule 1 („Head of charges“), auf die Section 11(1) des ITA 2010 unmittelbar verweist, drei in Gibraltar steuerpflichtige Einkommenskategorien genannt, und zwar:

–        Kategorie A, die zum einen die Gewinne und Erträge eines Unternehmens oder Trusts aus Handel, Gewerbe, Berufsstand/Beruf (trade, business, profession or vocation) und zum anderen Einkünfte aus Immobilien (real property) umfasste;

–        Kategorie B, die das Einkommen von Erwerbstätigen und Selbstständigen betraf;

–        Kategorie C, die „Sonstiges Einkommen“ (other income) betraf, zu dem insbesondere Dividenden und Erträge aus Pensionsfonds und Pensionssystemen gehörten.

100    Außerdem wurde in Section 74 des ITA 2010 der in Section 11 des ITA 2010 verwendete Begriff „in Gibraltar erzielt oder bezogen“ wie folgt definiert:

„a)      vorbehaltlich Buchst. b durch Bezugnahme auf den Ort zu definieren, an dem die Tätigkeiten (oder der überwiegende Teil der Tätigkeiten), die zu den Gewinnen führen, ausgeübt werden (wird);

b)      für die Zwecke von Buchst. a ist davon auszugehen, dass der überwiegende Teil der Tätigkeiten, die zu den Gewinnen des Unternehmens führen, in Gibraltar ausgeübt wird, im Falle

i)      eines Unternehmens, dessen zugrunde liegende Tätigkeit, aus der Einkünfte erzielt werden, nach dem Recht von Gibraltar einer Lizenz oder Regulierung unterliegt, oder

ii)      eines Unternehmens, das in Gibraltar über eine Zweigniederlassung oder eine andere Form der ständigen Niederlassung rechtmäßig Geschäfte tätigen kann, weil es in einem anderen Hoheitsbereich Inhaber einer Lizenz mit Passporting-Rechten in Gibraltar ist und andernfalls in Gibraltar eine solche Lizenz benötigen würde und reguliert wäre;

c)      Buchst. b gilt nicht für Zweigniederlassungen oder feste Niederlassungen eines gibraltarischen Unternehmens, das Tätigkeiten außerhalb Gibraltars ausübt, und zwar im Ausmaß dieser außerhalb Gibraltars ausgeübten Tätigkeiten.“

101    Teil III des ITA 2010 („Berechnung der Steuer“) („computation of assessment“) enthielt Section 16(1) mit der Überschrift „Bemessungsgrundlage“ („basis of assessment“), der bestimmte:

„1.      Sofern nichts anderes bestimmt ist, entsprechen die steuerpflichtigen Gewinne oder Erträge eines Unternehmens dem Gesamtbetrag der Gewinne oder Erträge der Gesellschaft in einem Abrechnungszeitraum.“

102    Zum einen machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe unter Verkennung des in Gibraltar anwendbaren Systems der „Schedule-Besteuerung“ der Einkünfte von Gesellschaften zu Unrecht angenommen, dass das Ziel des ITA 2010 die Besteuerung des Buchgewinns und damit des gesamten Einkommens der steuerpflichtigen Gesellschaften sei. Zum anderen machen sie geltend, die Kommission habe zu Unrecht angenommen, dass die von gibraltarischen Gesellschaften erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten nach dem Territorialitätsprinzip als in Gibraltar erzielt oder bezogen anzusehen seien.

103    Da die Frage der Beweislast sowie des Umfangs der Kontrolle der Beurteilungen der Kommission in Bezug auf den Inhalt und die Tragweite des Steuerrechts von Gibraltar durch das Gericht zwischen den Parteien streitig ist, ist darauf hinzuweisen, dass die Feststellung nationalen Rechts im Rahmen des Erlasses einer Entscheidung im Bereich der staatlichen Beihilfen eine Tatsachenfrage ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2011, A2A/Kommission, C‑318/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:856, Rn. 125 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit unterliegt die Frage, ob und in welchem Umfang die Kommission den Inhalt und die Tragweite einer nationalen Rechtsnorm richtig ausgelegt hat, der Tatsachenwürdigung des Unionsrichters und den Regeln über die Beweisführung und die Beweislastverteilung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. November 2015, Comunidad Autónoma del País Vasco und Itelazpi/Kommission, T‑462/13, EU:T:2015:902, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

104    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen der Kontrolle staatlicher Beihilfen grundsätzlich der Kommission obliegt, im angefochtenen Beschluss den Beweis für das Vorliegen einer solchen Beihilfe zu erbringen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. September 2007, Olympiaki Aeroporia Ypiresies/Kommission, T‑68/03, EU:T:2007:253, Rn. 34, und vom 25. Juni 2015, SACE und Sace BT/Kommission, T‑305/13, EU:T:2015:435, Rn. 95). In diesem Kontext hat die Kommission das Verfahren zur Prüfung der fraglichen Maßnahmen sorgfältig und unvoreingenommen zu führen, damit sie bei Erlass einer endgültigen Entscheidung, in der das Vorliegen und gegebenenfalls die Unvereinbarkeit oder Rechtswidrigkeit der Beihilfe festgestellt wird, über möglichst vollständige und verlässliche Informationen verfügt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. September 2010, Kommission/Scott, C‑290/07 P, EU:C:2010:480, Rn. 90, und vom 3. April 2014, Frankreich/Kommission, C‑559/12 P, EU:C:2014:217, Rn. 63).

105    Zudem ist auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen die Verteilung der Beweislast von der Beachtung der jeweiligen Verfahrenspflichten abhängig, die der Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat bei der Ausübung der Befugnis der Kommission obliegen, den Mitgliedstaat zu veranlassen, ihr alle erforderlichen Angaben zu übermitteln (vgl. Urteil vom 28. November 2008, Hotel Cipriani u. a./Kommission, T‑254/00, T‑270/00 und T‑277/00, EU:T:2008:537, Rn. 232 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insbesondere ist es Sache des betroffenen Mitgliedstaats – aufgrund seiner Pflicht zur Zusammenarbeit mit der Kommission – sowie der Beteiligten, die nach Art. 108 Abs. 2 AEUV ordnungsgemäß zur Äußerung aufgefordert wurden, ihre Argumente geltend zu machen und der Kommission alle Informationen zu geben, die geeignet sind, sie über sämtliche Gegebenheiten der Angelegenheit zu unterrichten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. November 2008, Hotel Cipriani u. a./Kommission, T‑254/00, T‑270/00 und T‑277/00, EU:T:2008:537, Rn. 233).

106    Die Kommission ist nämlich nicht verpflichtet, von Amts wegen näherungsweise zu prüfen, welche tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte ihr gegenüber im Verwaltungsverfahren hätten vorgetragen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 60, und vom 14. Januar 2004, Fleuren Compost/Kommission, T‑109/01, EU:T:2004:4, Rn. 49).

107    Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen einer auf Art. 263 AEUV gestützten Nichtigkeitsklage die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung im Bereich staatlicher Beihilfen aufgrund der Informationen zu beurteilen ist, über die die Kommission bei Erlass der Entscheidung verfügte, vor allem, was den nationalen Rechtsrahmen betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2014, Zweckverband Tierkörperbeseitigung/Kommission, T‑309/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:676, Rn. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung).

108    Im Licht dieser Grundsätze sind die verschiedenen Fehler, die der Kommission bei der Beurteilung des Inhalts und der Tragweite des ITA 2010 von den Klägerinnen vorgeworfen werden, zu prüfen.

1)      Zum Ziel des ITA 2010 und zur Ermittlung des nach diesem Gesetz steuerpflichtigen Einkommens

109    Mit einer ersten Reihe von Argumenten greifen die Klägerinnen im Wesentlichen die Beurteilungen der Kommission an, wonach der ITA 2010 darauf abgezielt habe, den gesamten Buchgewinn und somit alle in Gibraltar erzielten oder bezogenen Einkünfte zu besteuern. Sie werfen der Kommission vor allem vor, nicht berücksichtigt zu haben, dass nur bestimmte Kategorien von Einkünften, die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführt gewesen seien, in Gibraltar steuerpflichtig gewesen seien.

110    Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe insbesondere im 90. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zu Unrecht angenommen, dass der Buchgewinn die Steuerbemessungsgrundlage für die in Gibraltar ansässigen Gesellschaften gewesen sei und dass das Ziel des ITA 2010 darin bestanden habe, den gesamten „Buchgewinn“ dieser Gesellschaften zu besteuern, so dass ihr gesamtes Einkommen in den Anwendungsbereich des ITA 2010 gefallen sei. Das Einkommen der Gesellschaften sei in Gibraltar nur unter der doppelten Voraussetzung steuerpflichtig gewesen, dass es in die in Schedule 1 des ITA 2010 (Section 11 des ITA 2010) aufgeführten „Kategorien des steuerpflichtigen Einkommens“ falle und dass es in Gibraltar erzielt oder bezogen werde (Sections 11 und 74 des ITA 2010). Das Steuersystem Gibraltars sei ein „Schedule-System“ gewesen, da es darin bestanden habe, nur bestimmte gesetzlich genau definierte Einkommenskategorien zu besteuern. Es gebe keine allgemeine Regel, nach der das Einkommen einer in Gibraltar ansässigen Gesellschaft dort generell besteuert worden sei. Zudem habe die Kommission Section 11 des ITA 2010 nicht hinreichend berücksichtigt, die die grundlegende Vorschrift zur Bestimmung des in Gibraltar steuerpflichtigen Einkommens gewesen sei und vor deren Hintergrund die anderen Vorschriften des ITA 2010, darunter Section 16, auszulegen gewesen seien.

111    Insbesondere seien die passiven Einkünfte aus Nutzungsentgelten nicht in der Bemessungsgrundlage enthalten gewesen und daher nicht in den Anwendungsbereich des ITA 2010 gefallen. Das Ziel des ITA 2010 sei es nicht gewesen, den gesamten Buchgewinn der Gesellschaften zu besteuern, sondern nur die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Einkommenskategorien.

112    Zudem machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe insbesondere im 28. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zu Unrecht behauptet, dass Unternehmen mit gewöhnlichem Sitz in Gibraltar grundsätzlich in Gibraltar steuerpflichtig seien. Das gibraltarische Steuersystem habe auf „den Ursprung“ bzw. „die Quelle“ des Einkommens und nicht „auf den Sitz“ der Gesellschaft, die das Einkommen erziele, abgestellt, und die Steuer sei in Gibraltar nur für Einkommen geschuldet worden, das „in Gibraltar erzielt oder bezogen“ worden sei.

113    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

114    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen im 28. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses weder behauptet hat, dass Gesellschaften mit gewöhnlichem Sitz in Gibraltar grundsätzlich in Gibraltar steuerpflichtig seien, noch, dass das gibraltarische Steuersystem auf die Herkunft des Steuerpflichtigen abstelle. Sie hat sich auf die Behauptung beschränkt, dass Unternehmen, die ihren gewöhnlichen Sitz in Gibraltar haben, in Gibraltar steuerpflichtig sein „können“. Die Kommission hat im Übrigen in den Erwägungsgründen 28 und 30 des angefochtenen Beschlusses erklärt, dass die Kategorien von Einkommen, das in Gibraltar steuerpflichtig sei, in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführt seien und dass dieses Einkommen in Gibraltar nur unter der Voraussetzung besteuert werden könne, dass es dort erzielt oder bezogen worden sei.

115    Darüber hinaus hat die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen sehr wohl berücksichtigt, dass nach Section 11 des ITA 2010 nur Einkommen steuerpflichtig war, das in die in Schedule 1 dieses Gesetzes aufgeführten Einkommenskategorien fiel. Diese Feststellung ergibt sich insbesondere aus dem 28. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, in dem die Kommission die drei Einkommenskategorien wiedergegeben hat, die in den Tabellen A, B und C von Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführt sind, sowie aus dem 93. Erwägungsgrund dieses Beschlusses, in dem die Kommission aufgrund der Feststellung, dass Nutzungsentgelte nicht in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen fielen, das in Gibraltar steuerpflichtig sei, zu dem Schluss gekommen ist, dass diese implizit von der Steuer befreit seien.

116    Ebenso hat die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen im angefochtenen Beschluss nicht die Ansicht vertreten, dass es das Ziel des ITA 2010 sei, den gesamten Buchgewinn der Steuerpflichtigen zu besteuern. Im 93. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission festgestellt, dass das Ziel des ITA 2010 in der „Erhebung von Einnahmen von in Gibraltar steuerpflichtigen Steuerzahlern (d. h. Steuerzahlern, die in Gibraltar Einkommen erzielen oder beziehen)“ bestehe. Überdies geht aus dem 82. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervor, dass die Kommission ihre Analyse der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten auf die Feststellung gestützt hat, dass der ITA 2010 auf dem „allgemeinen Grundsatz, dass die Körperschaftsteuer von allen Steuerpflichtigen erhoben wird, die Einkommen in Gibraltar erzielen oder beziehen“, beruhe.

117    In Anbetracht dessen und da die Klägerinnen der Kommission vorwerfen, nicht berücksichtigt zu haben, dass das gibraltarische Steuersystem ein Schedule-System gewesen sei, dessen Ziel darin bestanden habe, von den Gesellschaften nur auf die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Einkommenskategorien Steuern zu erheben, ist zu prüfen, ob die Kommission zu Recht davon ausgegangen ist, dass das Ziel des ITA 2010 darin bestand, in Gibraltar erzieltes oder bezogenes Einkommen zu besteuern.

118    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich der Begriff des Ziels oder der Natur des normalen Steuersystems, das den Bezugsrahmen bildet, auf die Grund- oder Leitprinzipien dieser Steuerregelung bezieht; er bezieht sich weder auf die mit dem betreffenden Steueraufkommen gegebenenfalls finanzierten Politikfelder noch auf die mit der Einführung von Abweichungen von dieser Regelung möglicherweise verfolgten Ziele (Urteil vom 16. Mai 2019, Polen/Kommission, T‑836/16 und T‑624/17, EU:T:2019:338, Rn. 62).

119    Erstens ist unstreitig, dass aus Section 11 („Steuerpflicht“) des ITA 2010, wie oben in Rn. 98 wiedergegeben, hervorgeht, dass das gibraltarische Steuersystem auf dem Territorialitätsprinzip beruht, wonach in Gibraltar erzieltes oder bezogenes Einkommen steuerpflichtig ist. Darüber hinaus haben die Behörden des Vereinigten Königreichs mehrfach und insbesondere in ihrer Stellungnahme vom 14. September 2012 darauf hingewiesen, dass die territoriale Bemessungsgrundlage das zentrale Merkmal bzw. die allgemeine Regel („general norm“) des gibraltarischen Steuersystems sei.

120    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass Section 16 („Bemessungsgrundlage“) des ITA 2010 bestimmt, dass das steuerpflichtige Einkommen einer Gesellschaft dem Gesamtbetrag der Buchgewinne in einem Abrechnungszeitraum entspricht. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen und wie die Kommission zu Recht geltend macht, geht aus dem Wortlaut von Section 16 des ITA 2010 (vgl. oben, Rn. 101) hervor, dass diese Vorschrift auf die Ermittlung der Bemessungsgrundlage als solche abzielt und nicht nur auf den Bezugszeitraum, der bei der Bestimmung dieser Grundlage zu berücksichtigen ist.

121    Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass der gesamte vom Steuerpflichtigen erzielte buchhalterische Gewinn für die Zwecke der Besteuerung in Gibraltar zu berücksichtigen ist. Es ist jedoch anzumerken, dass, wie sich aus den Erwägungsgründen 30, 90 und 91 des angefochtenen Beschlusses ergibt, die Berechnung der Bemessungsgrundlage der Gesellschaften auf einer territorialen Grundlage erfolgt, wie in Section 11 des ITA 2010 ausgeführt, so dass der buchhalterische Gewinn nur besteuert werden kann, wenn dieses Einkommen „in Gibraltar erzielt oder bezogen“ wird.

122    In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Behörden des Vereinigten Königreichs in ihrer Stellungnahme vom 3. Dezember 2012 darauf hingewiesen haben, dass alle Gesellschaften mit in Gibraltar erzieltem oder bezogenem Einkommen gemäß dem ITA 2010 steuerpflichtig seien. Zudem gelte das Territorialitätsprinzip generell für alle Gesellschaften und alle ihre Einkommensarten. Ebenso haben die Behörden des Vereinigten Königreichs in ihrer Stellungnahme vom 18. April 2013 nochmals darauf hingewiesen, dass das vom ITA 2010 vorgesehene System der territorialen Besteuerung auf alle Unternehmen aller Industrie‑, Finanz- und Handelsbereiche anwendbar sei und dass dieser Grundsatz in seiner Anwendung universell sei.

123    Aus einer Zusammenschau der Sections 11 und 16 des ITA 2010, wie sie oben in den Rn. 98 bis 101 angeführt sind, sowie der von den Behörden des Vereinigten Königreichs im Verwaltungsverfahren eingereichten Stellungnahme ergibt sich daher, dass diese Vorschriften dahin auszulegen waren, dass das durch den ITA 2010 eingeführte Steuersystem auf zwei Leitprinzipien beruhte, nämlich auf dem Territorialitätsprinzip, wonach das in Gibraltar erzielte oder bezogene Einkommen steuerpflichtig war, und dem Grundsatz, wonach der gesamte buchhalterische Gewinn der Steuerpflichtigen steuerpflichtig war. Daraus folgt, dass die Kommission zutreffend festgestellt hat, dass das Steuersystem Gibraltars, wie es durch den ITA 2010 eingeführt wurde, auf dem Ziel beruhte, von allen Steuerpflichtigen Steuern auf ihr in Gibraltar erzieltes oder bezogenes Einkommen zu erheben.

124    Überdies ist darauf hinzuweisen, dass weder die Behörden des Vereinigten Königreichs noch die Behörden Gibraltars in ihren jeweiligen Stellungnahmen zum Einleitungsbeschluss die Auslegung der Kommission bestritten haben, wonach das Ziel des ITA 2010 darin bestanden habe, von allen Steuerpflichtigen Steuern auf ihr in Gibraltar erzieltes oder bezogenes Einkommen zu erheben. Die Behörden des Vereinigten Königreichs und Gibraltars haben lediglich geltend gemacht, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten keine selektive Maßnahme darstelle, da es sich um eine allgemeine Maßnahme handle, die auf alle Industrie‑, Handels- und Finanzsektoren anwendbar sei und allen Unternehmen zur Verfügung stehe. Sie haben keine Stellungnahme zum 32. Erwägungsgrund des Einleitungsbeschlusses verfasst, in dem die Kommission ausdrücklich bekräftigt hat, dass das Leitprinzip des gibraltarischen Steuersystems in der Besteuerung aller Gesellschaften mit in Gibraltar erzieltem oder bezogenem Einkommen bestehe, wodurch eine Doppelbesteuerung vermieden werde und eine Vereinfachung möglich sei. Ebenso wenig haben die Behörden des Vereinigten Königreichs und Gibraltars den Inhalt des 35. Erwägungsgrundes des Einleitungsbeschlusses beanstandet, in dem die Kommission klar dargelegt hat, dass das Ziel des gibraltarischen Steuersystems darin bestehe, alle Gesellschaften mit in Gibraltar erzieltem oder bezogenem Einkommen zu besteuern.

125    Soweit die Klägerinnen die Relevanz der Stellungnahme des Vereinigten Königreichs in Frage stellen und geltend machen, die Tatsache, dass weder die Behörden des Vereinigten Königreichs noch die von Gibraltar die Auslegung der Vorschriften des ITA 2010 durch die Kommission während des formellen Prüfverfahrens beanstandet hätten, hindere sie nicht daran, dieser Auslegung entgegenzutreten, ist darauf hinzuweisen, dass, wie aus den Rn. 103 bis 107 oben hervorgeht, im Rahmen der Prüfung einer steuerlichen Maßnahme nach Art. 107 AEUV die Kontrolle der Auslegung des nationalen Rechts durch die Kommission, die eine Tatsachenfrage ist, im Licht der zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses vorliegenden Informationen und unter Berücksichtigung der vom betreffenden Mitgliedstaat und den Beteiligten übermittelten Angaben erfolgen muss. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass es im Rahmen des förmlichen Prüfverfahrens dem Mitgliedstaat und dem möglichen Begünstigten der Maßnahme, die Gegenstand dieses Verfahrens ist, obliegt, die Kommission über alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte zu unterrichten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 2004, Ferriere Nord/Kommission, T‑176/01, EU:T:2004:336, Rn. 93).

126    Da die Informationen, auf die sich die Kommission bei der Auslegung des nationalen Rechts gestützt hat, unmittelbar von den Behörden des vom Verfahren betroffenen Mitgliedstaats und des betreffenden Überseegebiets stammten und mehrmals wiederholt wurden und da das Verständnis der von diesen Behörden übermittelten Informationen durch die Kommission am Ende des Einleitungsbeschlusses implizit bestätigt worden war, kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, dass sie davon ausgegangen ist, dass diese Informationen hinreichend zuverlässig und glaubhaft waren. Da zudem die Stellungnahmen der Behörden des Vereinigten Königreichs und Gibraltars nicht im Widerspruch zum Inhalt der einschlägigen Vorschriften des ITA 2010 standen und die Kommission über keine Informationen verfügte, die diese Stellungnahmen hätten in Frage stellen können, konnte sie sich zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses bei der Auslegung des Steuerrechts von Gibraltar darauf stützen.

127    Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich die Klägerinnen, obwohl sie die Gelegenheit hatten, zum Einleitungsbeschluss Stellung zu nehmen, und aus diesem Beschluss klar hervorgeht, dass die Einkünfte aus Nutzungsentgelten der gibraltarischen Gesellschaften im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013 Gegenstand des Verfahrens waren, es nicht für nötig hielten, dies zu tun. Weder das von den Klägerinnen als Anhang zur Erwiderung vorgelegte Sachverständigengutachten (im Folgenden: Sachverständigengutachten) noch die darin enthaltenen Angaben, wonach das gibraltarische Steuersystem angeblich ein Schedule-System sei, waren der Kommission von den Parteien vor Erlass des angefochtenen Beschlusses übermittelt worden. Wie sich aus Rn. 106 oben ergibt, konnte die Kommission in Ermangelung von Informationen, die geeignet waren, die im Einleitungsbeschluss vorgenommene Auslegung des nationalen Steuerrechts in Frage zu stellen, nicht alle Argumente näherungsweise prüfen, die möglicherweise ihre Auslegung des nationalen Rechts, die im Übrigen von den Behörden des betroffenen Mitgliedstaats und des betreffenden Überseegebiets bestätigt worden war, hätten in Frage stellen können. Überdies ist es den Klägerinnen, wie sich aus allen vorstehenden Erwägungen ergibt, nicht gelungen, den Nachweis zu erbringen, dass die Informationen, auf die sich die Kommission gestützt hat, falsch waren oder dass es ihnen an Zuverlässigkeit oder Glaubhaftigkeit gemangelt hat.

128    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Kommission zu Recht davon ausgegangen ist, dass das gibraltarische Steuersystem ein System der territorialen Besteuerung war, gemäß dem alle in Gibraltar erzielten oder bezogenen Einkünfte dort versteuert werden mussten.

129    Diese Feststellung wird von den weiteren Argumenten der Klägerinnen nicht in Frage gestellt.

130    Soweit die Klägerinnen insbesondere geltend machen, dass das gibraltarische Steuersystem ein Schedule-System gewesen sei, dessen Ziel darin bestanden habe, die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Einkommenskategorien zu besteuern, ist zwar festzustellen, dass, wie die Klägerinnen vortragen, Section 11 des ITA 2010 vorsieht, dass das Einkommen von Unternehmen, um steuerpflichtig zu sein, in eine der in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Einkommenskategorien fallen muss. Falls das Einkommen in keine dieser Kategorien aufgenommen wurde, wie dies bei Einkünften aus Nutzungsentgelten der Fall ist, könnten bestimmte Arten von Einkünften somit technisch gesehen einer Besteuerung nach dem ITA 2010 entgehen.

131    Zunächst ist jedoch darauf hinzuweisen, dass weder die Behörden Gibraltars noch die des Vereinigten Königreichs jemals behauptet haben, dass das Steuersystem Gibraltars ein Schedule-System sei. Vielmehr haben sie in ihrer Stellungnahme von 14. November 2013 klargestellt, dass der ITA 2010 ein einziges System der Besteuerung vorsehe, unabhängig von der in den Tabellen A bis C von Schedule 1 des ITA 2010 genannten Kategorien steuerpflichtigen Einkommens. Im Übrigen haben die Behörden des Vereinigten Königreichs in den verschiedenen im Verwaltungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen das Steuersystem Gibraltars nur als ein System der territorialen Besteuerung definiert.

132    Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die normalen Steuervorschriften bzw., mit anderen Worten, die Regelungen, die den Bezugsrahmen darstellen, in ihrer Gesamtheit und in Bezug auf die Leitprinzipien des nationalen Steuersystems geprüft werden müssen. Eine steuerliche Maßnahme kann anhand von einigen Bestimmungen, die aus einem breiteren rechtlichen Rahmen künstlich herausgelöst wurden, nicht zutreffend beurteilt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juni 2018, Andres [Insolvenz Heitkamp BauHolding]/Kommission, C‑203/16 P, EU:C:2018:505, Rn. 103).

133    Ginge man jedoch, wie die Klägerinnen geltend machen, davon aus, dass das mit dem ITA 2010 eingeführte Steuersystem Gibraltars ein Schedule-System ist, dessen Ziel darin besteht, die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Einkommenskategorien zu besteuern, liefe dies darauf hinaus, die übrigen Vorschriften des ITA 2010 und somit die Logik der Leitprinzipien dieses Steuersystems außer Acht zu lassen. Wie oben in Rn. 121 festgestellt, beruht der ITA 2010 nämlich nicht nur auf dem Territorialitätsprinzip, wie es in dessen Section 11 verankert ist, sondern auch auf dem Grundsatz, wonach der gesamte buchhalterische Gewinn der Steuerpflichtigen der Steuer unterworfen ist, wie sich aus dessen Section 16 ergibt. Diese beiden Grundsätze müssen bei der Prüfung des mit dem ITA 2010 verfolgten Ziels berücksichtigt werden.

134    Nach der Rechtsprechung können schließlich nationale Steuervorschriften nicht durch den Rückgriff auf eine bestimmte Regelungstechnik von vornherein der im AEU-Vertrag vorgesehenen Kontrolle im Bereich der staatlichen Beihilfen entzogen werden. Ebenso kann der Rückgriff auf die verwendete Regelungstechnik kein entscheidender Faktor für die Zwecke der Prüfung des Inhalts und der Tragweite der Regelungen sein, die das Referenzsystem bilden, da sonst die Form der staatlichen Maßnahmen in entscheidender Weise Vorrang vor ihren Wirkungen genösse (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Juni 2018, Andres [Insolvenz Heitkamp BauHolding]/Kommission, C‑203/16 P, EU:C:2018:505, Rn. 92).

135    Im vorliegenden Fall hat der Umstand, dass Section 11 des ITA 2010 in Verbindung mit Schedule 1 des ITA 2010 vorsieht, dass die Steuerpflicht positiv zu definieren ist, so dass nur die ausdrücklich in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Einkommenskategorien der Steuer unterworfen sind, in der Praxis die gleichen Auswirkungen wie eine ausdrückliche Steuerbefreiung oder wie eine Situation, in der die nicht bestehende Steuerpflicht negativ definiert wird, so dass das gesamte Einkommen der Steuer unterworfen ist und nur bestimmte Einkommenskategorien vom Anwendungsbereich des ITA 2010 ausgeschlossen sind. Wie oben in Rn. 81 dargelegt, haben die „nicht bestehende Steuerpflicht“ und die „Steuerbefreiung“ die gleichen Auswirkungen, nämlich die Nichtbesteuerung. Daher war das, was die Klägerinnen als „Schedule-System“ einstufen, in Wirklichkeit nur eine regelungstechnische Entscheidung und keine für die Zwecke der Analyse des Steuersystems von Gibraltar entscheidende steuerliche Regelung.

136    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass mit dem ITA 2010, wie die Kommission im 27. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses betont hat, ein allgemeiner Körperschaftsteuersatz von 10 % eingeführt wurde, der mit Ausnahme von bestimmten Dienstleistern für Unternehmen in der Gesamtwirtschaft Gibraltars galt. Daraus folgt, dass die verschiedenen Kategorien steuerpflichtiger Einkünfte einem Einheitssatz von 10 % unterworfen waren und nicht unter ein gesondertes Steuersystem fielen. Diese Analyse geht auch aus der Stellungnahme vom 14. November 2013 hervor, in der die Behörden des Vereinigten Königreichs erklärt haben, dass es nach gibraltarischem Recht nicht vorgesehen sei, die Steuer in Bezug auf eine Einkommenskategorie zu erheben. Sie haben weiter ausgeführt, dass das gibraltarische Steuersystem nicht verlange, die Kategorie, in die das erzielte Einkommen falle, vorab zu bestimmen, um eine Sonderbesteuerung für eine bestimmte Einkommenskategorie zu ermöglichen, sondern dass dieses Steuersystem nur ein System der allgemeinen Besteuerung des in Gibraltar erzielten oder bezogenen Einkommens vorsehe.

137    Aus dem Vorstehenden ergibt sich somit, dass Section 11 und Schedule 1 des ITA 2010, soweit sie Kategorien von steuerpflichtigem Einkommen vorsehen, bloße Besteuerungsmodalitäten darstellen, und dass diese Vorschriften für die Zwecke der Bestimmung des Ziels des ITA 2010 nicht künstlich aus ihrem Kontext herausgelöst werden dürfen. Somit kann entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen aus Section 11 des ITA 2010 nicht abgeleitet werden, dass das Ziel des gibraltarischen Steuersystems darin bestand, die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Einkommenskategorien zu besteuern.

138    Nach alledem sind die Rügen der Klägerinnen, die Kommission habe bei der Ermittlung des Ziels des ITA 2010 einen Fehler begangen, zurückzuweisen.

2)      Zur Anwendung des Territorialitätsprinzips auf Nutzungsentgelte

139    Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie in den Erwägungsgründen 42, 82, 94 und 106 des angefochtenen Beschlusses behauptet habe, dass die Anwendung des Territorialitätsprinzips bedeute, dass Einkünfte aus Nutzungsentgelten allein deshalb in Gibraltar erzielt oder bezogen würden, weil sie von einer Gesellschaft in Gibraltar erzielt worden seien. Die in der Mitteilung des Vereinigten Königreichs vom 14. September 2012 enthaltene Erklärung, auf die sich die Kommission bei ihrer Beurteilung gestützt habe, sei inkohärent und fehlerhaft. Den Klägerinnen zufolge waren die Einkünfte, die ein gibraltarisches Unternehmen mit Tätigkeiten erzielte, die außerhalb Gibraltars ausgeübt wurden, in Gibraltar nicht steuerpflichtig, auch wenn es sich um Einkünfte aus Nutzungsentgelten handelte. In der Situation, in der keines der Rechte des geistigen Eigentums in Gibraltar verwaltet werde bzw. weder diese Rechte noch der Inhaber der Lizenz in Gibraltar zu verorten seien und die Nutzungsentgelte nicht in Gibraltar gezahlt würden, könnten die Einkünfte aus Nutzungsentgelten nicht als in Gibraltar erzielt oder bezogen angesehen werden.

140    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

141    Wie oben in Rn. 125 festgestellt, muss im Rahmen der Prüfung einer steuerlichen Maßnahme nach Art. 107 AEUV die Kontrolle der Auslegung des nationalen Rechts durch die Kommission, die eine Tatsachenfrage ist, im Licht der zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses vorliegenden Informationen und unter Berücksichtigung der vom betreffenden Mitgliedstaat und den Beteiligten übermittelten Angaben erfolgen.

142    Im vorliegenden Fall enthielt der ITA 2010 in seiner im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013 anwendbaren Fassung zwar keine Vorschrift, die ausdrücklich vorsah, dass die von gibraltarischen Gesellschaften erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten als in Gibraltar erzielt oder bezogen anzusehen waren. Eine solche Regel wurde nämlich erst nach der Änderung des ITA 2010 aus dem Jahr 2013, die am 1. Januar 2014 in Kraft trat, ausdrücklich in den ITA 2010 aufgenommen.

143    Wie jedoch in Fn. 49 des angefochtenen Beschlusses angeführt, beruht die Behauptung, dass von gibraltarischen Gesellschaften erzielte Einkünfte aus Nutzungsentgelten zwingend als in diesem Gebiet erzielt oder bezogen anzusehen seien, auf einer unmittelbar vom betreffenden Mitgliedstaat stammenden Information. In ihrer Stellungnahme vom 14. September 2012 haben die Behörden des Vereinigten Königreichs nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Territorialitätsprinzip bedeute, dass „alle von einer gibraltarischen Gesellschaft erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten … in Gibraltar erzielt oder bezogen [werden]“.

144    Insoweit ist erstens festzustellen, dass die Behauptung, wonach von gibraltarischen Gesellschaften erzielte Einkünfte aus Nutzungsentgelten in Gibraltar erzielt oder bezogen worden seien, mit dem Inhalt von Section 74 des ITA 2010 vereinbar war und dass sie sich somit aus einer bloßen Anwendung des Territorialitätsprinzips und der Regel ergeben konnte, wonach der Ort der den Einkünften zugrunde liegenden Tätigkeit zu berücksichtigen ist.

145    Nach Section 74 des ITA 2010 bezieht sich der Begriff „in Gibraltar erzielt oder bezogen“ auf den „Ort, an dem die Tätigkeiten, die zu den Gewinnen führen, ausgeführt werden“.

146    Da die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten passive Einkünfte betraf, d. h. mit anderen Worten Einkünfte, die von Unternehmen erzielt wurden, die lediglich die Rechte des geistigen Eigentums hielten, war es kohärent, davon auszugehen, dass die „Tätigkeit, die zu den Einnahmen führt“, im Sinne von Section 74 des ITA 2010 am Sitz der Gesellschaften stattfand, die die Inhaber der Rechte des geistigen Eigentums waren, die einen Anspruch auf diese Nutzungsentgelte begründeten. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen war somit die Behauptung, dass die von einer gibraltarischen Gesellschaft erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten als in Gibraltar erzielt oder bezogen angesehen würden, sehr wohl ein Gesichtspunkt, der es ermöglichte, diese Einkünfte mit dem Gebiet von Gibraltar in Verbindung zu bringen.

147    Überdies ist die Behauptung des Vereinigten Königreichs auch mit der Rechtsprechung des Judicial Committee of the Privy Council (Rechtsausschuss des Geheimen Rats, Vereinigtes Königreich, im Folgenden: JCPC) nicht unvereinbar, auf die im Verwaltungsverfahren Bezug genommen wurde und die zwar nicht verbindlich, jedoch für die Auslegung von Section 74 des ITA 2010 relevant war. In einer Entscheidung des JCPC, die Hongkong betraf, hatte der JCPC in der Rechtssache Commissioner of Inland Revenue/HK-TVB International Ltd [1992] 2 AC 397 festgestellt, dass die Einkünfte einer Gesellschaft in Hongkong, die Unterlizenzen für Filme an Gesellschaften mit Sitz im Ausland vergab, die sie im Ausland verwerteten, in Hongkong erzielt und bezogen wurden. Zwar ist mit den Klägerinnen festzustellen, dass der JCPC in dieser Rechtssache eine Reihe von Besonderheiten des vorliegenden Falles berücksichtigt hatte, u. a. den Umstand, dass die Unterlizenzvereinbarungen in Hongkong ausgearbeitet worden waren und dass gelegentlich bestimmte zusätzliche Dienstleistungen von Hongkong aus erbracht wurden. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der JCPC auch die Tatsache berücksichtigt hat, dass an den Steuerpflichtigen mit Sitz in Hongkong ein festes Nutzungsentgelt gezahlt wurde. Wie die Behörden des Vereinigten Königreichs zudem in ihrer Stellungnahme vom 14. November 2013 betont haben, bestätigte die Entscheidung des JCPC eindeutig, dass Einkünfte aus Nutzungsentgelten einer gibraltarischen Gesellschaft in diesem Gebiet erzielt oder bezogen werden konnten, auch wenn die Rechte des geistigen Eigentums nur außerhalb dieses Gebiets ausgeübt wurden.

148    Zweitens war die in der Stellungnahme vom 14. September 2012 enthaltene Behauptung entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen weder isoliert noch mit den sonstigen in diesem Dokument enthaltenen Informationen unvereinbar.

149    Tatsächlich wurde diese Behauptung durch eine Grafik auf S. 22 der Stellungnahme vom 14. September 2012 bestätigt, die die Auswirkungen der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten nach dem ITA 2010 veranschaulichen sollte. In dieser Grafik wurden die Beträge der von den Steuerpflichtigen im Zeitraum nach dem 1. Januar 2010 erzielten Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten hervorgehoben, wobei zwischen den in Gibraltar erzielten oder bezogenen Einkünften und den außerhalb dieses Gebiets erzielten oder bezogenen Einkünften unterschieden wurde. Die Tatsache, dass angegeben wurde, dass sämtliche Einkünfte aus Nutzungsentgelten in Gibraltar bezogen worden seien, war eine Bestätigung dafür, dass diese normalerweise als in Gibraltar bezogene Einkünfte angesehen wurden.

150    Soweit die Klägerinnen geltend machen, dass die oben in Rn. 143 angeführte Behauptung des Vereinigten Königreichs zu der Behauptung auf S. 10 der Stellungnahme vom 14. September 2012 in Widerspruch stehe, wonach „[d]ie 785 ehemaligen ‚exempt companies‘ (befreiten Gesellschaften), die steuerpflichtiges Einkommen beziehen, das nicht in Gibraltar erzielt oder bezogen wird, … im Allgemeinen entweder Eigentümer von außerhalb Gibraltars gelegenen Gewerbeimmobilien [sind] (und … daher in dem Land, in dem sich die Immobilie befindet, der Steuer auf Mieteinnahmen [unterliegen]) oder … [Einkünfte aus] Dividenden, Zinsen oder Nutzungsentgelten [beziehen]“, ist darauf hinzuweisen, dass man aus diesem Auszug zwar schließen könnte, dass Einkünfte aus Nutzungsentgelten nach Ansicht des Vereinigten Königreichs steuerpflichtiges Einkommen darstellten, das nicht in Gibraltar bezogen wurde.

151    Es ist jedoch festzustellen, dass dieser Auszug einen Schreibfehler enthält. Wie die Klägerinnen geltend machen, betraf dieser Satz die Situation gemäß dem ITA 2010, wie es bis 31. Dezember 2013 in Kraft war. Die Behörden des Vereinigten Königreichs haben jedoch in dem fraglichen Dokument mehrfach erklärt, dass die Einkünfte aus Nutzungsentgelten in diesem Zeitraum kein steuerpflichtiges Einkommen darstellten. Insbesondere geht aus S. 10 der Stellungnahme vom 14. September 2012 hervor, dass die Behörden des Vereinigten Königreichs unter den Unternehmen, die in Gibraltar nicht der Steuer unterworfen waren, unterschieden zwischen Unternehmen, die kein steuerpflichtiges Einkommen hatten (nämlich solchen, die passive Einkünfte erzielten), und Unternehmen, deren Einkommen nicht in Gibraltar erzielt oder bezogen wurde.

152    Somit ist der von den Klägerinnen geltend gemachte Widerspruch nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Behauptung der Behörden des Vereinigten Königreichs in Frage zu stellen, wonach Einkünfte aus Nutzungsentgelten als in Gibraltar erzielt oder bezogen angesehen würden.

153    Drittens hat die Kommission im 45. Erwägungsgrund des Einleitungsbeschlusses ausdrücklich klargestellt, dass ihr die Behörden des Vereinigten Königreichs mitgeteilt hätten, dass das Territorialitätsprinzip bedeute, dass sämtliche von einer Gesellschaft in Gibraltar erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten in Gibraltar erzielt oder bezogen würden. Die Tatsache, dass die Behörden des Vereinigten Königreichs und Gibraltars diese Behauptung in ihrer Stellungnahme zum Einleitungsbeschluss nicht in Frage gestellt haben, bestätigt, dass die Kommission die ihr im Verwaltungsverfahren übermittelten Informationen sowie die Anwendung des Territorialitätsprinzips in Bezug auf Einkünfte aus Nutzungsentgelten richtig verstanden hat.

154    Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Behörden des Vereinigten Königreichs und Gibraltars in ihrer Stellungnahme zum Einleitungsbeschluss zwischen Zinsen, die im Ausland ihren Ursprung haben (foreign source interest), einerseits und Einkünften aus passiven Zinserträgen, die in Gibraltar ihren Ursprung haben, und Einkünften aus Nutzungsentgelten andererseits unterschieden haben. Die Tatsache, dass die Behörden des Vereinigten Königreichs und Gibraltars bei den Einkünften aus Nutzungsentgelten keinen Unterschied zwischen den in Gibraltar bezogenen und den im Ausland bezogenen gemacht hatten, spricht dafür, dass diese Einkünfte als in Gibraltar erzielt und bezogen angesehen wurden.

155    Viertens ist hervorzuheben, dass der Kommission im Verwaltungsverfahren weder das Sachverständigengutachten noch irgendwelche Informationen, die die Behauptung des Vereinigten Königreichs zur Anwendung des Territorialitätsprinzips auf Nutzungsentgelte hätten in Frage stellen können, vorgelegt wurden. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerinnen es nicht für angebracht hielten, zum Einleitungsbeschluss Stellung zu nehmen, obwohl sie dazu aufgefordert worden waren und in der Lage waren, dem Inhalt des Einleitungsbeschlusses zu entnehmen, dass MJN GibCo eine mögliche Begünstigte der Beihilferegelung war, wie sie von der Kommission in diesem Beschluss beschrieben wurde. Wie aus Rn. 106 oben hervorgeht, konnte die Kommission nicht alle Argumente näherungsweise prüfen, die möglicherweise die im Einleitungsbeschluss vorgenommene Auslegung des nationalen Steuerrechts, die im Übrigen vom betreffenden Mitgliedstaat bestätigt worden war, hätten in Frage stellen können.

156    Aus den oben in den Rn. 141 bis 155 dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass die Behauptung des Vereinigten Königreichs zur Anwendung des Territorialitätsprinzips auf Einkünfte aus Nutzungsentgelten, die unmittelbar vom betreffenden Mitgliedstaat stammt, von der Kommission als eine hinreichend zuverlässige und glaubhafte Information angesehen werden konnte. Daher hat die Kommission keinen Beurteilungsfehler begangen, als sie die von den Behörden des Vereinigten Königreichs vorgenommene Auslegung des Steuerrechts Gibraltars übernahm.

157    Überdies ist keines der übrigen von den Klägerinnen vorgebrachten Argumente geeignet, darzutun, dass die Behauptung der Behörden des Vereinigten Königreichs zur Anwendung des Territorialitätsprinzips auf Nutzungsentgelte falsch war.

158    Zunächst reicht die bloße Tatsache, dass im Sachverständigengutachten ausgeführt wird, dass die Behauptung der Behörden des Vereinigten Königreichs sehr seltsam sei und dass der Verfasser dieses Gutachtens als erfahrener Praktiker des Steuerrechts in Gibraltar erklärt, dass er vor dem Inkrafttreten der Änderung von 2013 noch nie von der Existenz einer Vermutung betreffend die Anwendung des Territorialitätsprinzips auf Nutzungsentgelte gehört habe, nicht für den Nachweis, dass die diesbezügliche Behauptung, die unmittelbar vom betreffenden Mitgliedstaat stammt und die Anwendung seines eigenen Rechts betrifft, unzutreffend war.

159    Soweit die Klägerinnen sodann geltend machen, es sei nicht logisch gewesen, dass im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013 eine Vermutung bestanden habe, wonach die von gibraltarischen Gesellschaften erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten dort erzielt worden seien, obwohl diese Einkommenskategorie in Gibraltar nicht steuerpflichtig gewesen sei, genügt die Feststellung, dass aus der Behauptung der Behörden des Vereinigten Königreichs nicht hervorgeht, dass sie behauptet hätten, dass es eine schriftliche Regel gegeben habe, die eine Sonderregelung für die Anwendung des Territorialitätsprinzips auf Einkünfte aus Nutzungsentgelten vorgesehen habe. Wie aus den Rn. 144 bis 146 oben hervorgeht, spiegelte die Behauptung der Behörden des Vereinigten Königreichs eine bloße Anwendung des Territorialitätsprinzips wider, wie es sich aus den Sections 11 und 74 des ITA 2010 ergab.

160    Soweit die Klägerinnen im Übrigen in ihren Schriftsätzen auf die Mitteilung des Kommissars für Einkommensteuer in Gibraltar vom 25. Oktober 2018 mit dem Titel „Leitfaden 2018 zum erzielten oder bezogenen Einkommen“ verweisen, ist darauf hinzuweisen, dass diese Mitteilung, die nach der Änderung des ITA 2010 von 2013 erfolgte, für die Auslegung des ITA 2010 in seiner im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung irrelevant war.

161    Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen stellte schließlich die Tatsache, dass die passiven Einkünfte als an dem Ort erzielt galten, an dem sich die Gesellschaft befand, die sie erzielte, obwohl dies bedeutete, dass der Ort, an dem diese Gesellschaft ihren Sitz hatte oder eingetragen war, zu berücksichtigen war, nichtsdestoweniger eine Anwendung des Territorialitätsprinzips dar und konnte nicht mit einer auf dem Kriterium des Sitzes beruhenden Steuerpflicht gleichgesetzt werden. Wie oben in Rn. 146 dargelegt, war es im Fall von Nutzungsentgelten als passive Einkünfte, d. h. mit anderen Worten Einkünfte, die von Unternehmen erzielt wurden, die lediglich die Rechte des geistigen Eigentums hielten, nämlich kohärent, davon auszugehen, dass die „Tätigkeit, die zu den Einnahmen führt“, im Sinne von Section 74 des ITA 2010 am Sitz der Gesellschaften stattfand, die die Inhaber der Rechte des geistigen Eigentums waren, die einen Anspruch auf diese Nutzungsentgelte begründeten.

162    Aus dem Vorstehenden folgt daher, dass die Kommission zu Recht festgestellt hat, dass die von gibraltarischen Gesellschaften erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten als in Gibraltar erzielt und bezogen anzusehen sind.

c)      Zur Prüfung des Kriteriums des Vorteils (zweiter Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist)

163    Mit ihrem zweiten Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe offensichtliche Beurteilungsfehler begangen und gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV verstoßen, da es ihr nicht gelungen sei, das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils nachzuweisen.

164    Erstens machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe im 82. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses den Begriff des wirtschaftlichen Vorteils mit dem Begriff der Selektivität verwechselt. Zum einen habe sie nicht erklärt, inwiefern durch die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten ein wirtschaftlicher Vorteil verschafft worden sei, obwohl sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verpflichtet gewesen sei, zunächst das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils festzustellen und dann die Selektivität zu prüfen. Zum anderen habe die Kommission bei ihrer Analyse die Selektivität und nicht den wirtschaftlichen Vorteil beurteilt.

165    Zweitens machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe einen Rechtsfehler begangen, als sie im 83. Erwägungsgrund behauptet habe, dass die „Ausnahmeregelung“ für die Besteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten zu einer Verringerung der Steuerbelastung geführt und ihren Begünstigten einen Vorteil verschafft habe. Da die Einkünfte aus Nutzungsentgelten nicht in den Anwendungsbereich des ITA 2010 gefallen seien, habe ihre Nichtbesteuerung nicht in einer Befreiung und auch nicht in einem Verzicht der Steuerbehörden Gibraltars auf Einnahmen bestehen können, die sie hätten erzielen können. In diesem Zusammenhang machen sie geltend, die Kommission habe mehrere offensichtliche Beurteilungsfehler in Bezug auf den Inhalt und das Ziel des ITA 2010 und insbesondere in Bezug auf die Beurteilung begangen, wonach die von gibraltarischen Gesellschaften erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten als in Gibraltar erzielt oder bezogen anzusehen seien.

166    Zudem machen die Klägerinnen geltend, die transparente steuerliche Behandlung der Gewinne einer CV sei nur durch Section 18 des ITA 2010 vorgesehen und unter der Voraussetzung, dass mittels dieser CV eine kommerzielle, gewerbliche oder berufliche Tätigkeit ausgeübt werde. Wenn im vorliegenden Fall das Einkommen von MJT CV in die Kategorie der Gewinne aus Handel fallen und MJN GibCo nach Section 18 des ITA 2010 zugerechnet werden könnte, wäre es in Gibraltar nicht steuerpflichtig gewesen, da es in diesem Gebiet weder erzielt noch bezogen worden sei.

167    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

1)      Zur ersten Rüge des zweiten Klagegrundes, mit der eine Verwechslung der Kriterien des Vorteils und der Selektivität geltend gemacht wird

168    Mit ihrer ersten Rüge werfen die Klägerinnen der Kommission vor, das Kriterium des Vorteils mit dem Kriterium der Selektivität verwechselt zu haben. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Selektivität und der Vorteil grundsätzlich zwei unterschiedliche Kriterien darstellen. Was den Vorteil anbelangt, so muss die Kommission nachweisen, dass die Maßnahme die finanzielle Situation des Begünstigten verbessert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juli 1974, Italien/Kommission, 173/73, EU:C:1974:71, Rn. 33). Was hingegen die Selektivität anbelangt, so muss die Kommission nachweisen, dass der Vorteil anderen Unternehmen in einer in Bezug auf das Ziel des Bezugsrahmens ähnlichen tatsächlichen und rechtlichen Situation wie der Begünstigte nicht zugutekommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2011, Paint Graphos u. a., C‑78/08 bis C‑80/08, EU:C:2011:550, Rn. 49).

169    Allerdings fallen in Steuersachen die Prüfung des Vorteils und die der Selektivität insofern zusammen, als diese beiden Kriterien den Nachweis erfordern, dass die angefochtene steuerliche Maßnahme zu einer Verringerung des Steuerbetrags führt, der normalerweise vom Begünstigten der Maßnahme gemäß dem normalen Steuersystem und somit dem für andere Steuerpflichtige in der gleichen Situation geltenden System hätte entrichtet werden müssen. Im Übrigen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass diese beiden Kriterien gemeinsam als „dritte Bedingung“ nach Art. 107 Abs. 1 AEUV, die das Vorliegen eines „selektiven Vorteils“ betrifft, geprüft werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Juni 2016, Belgien/Kommission, C‑270/15 P, EU:C:2016:489, Rn. 32).

170    Im vorliegenden Fall ist in Bezug auf die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten darauf hinzuweisen, dass die Kommission das Kriterium des Vorteils und das der Selektivität separat in zwei verschiedenen Abschnitten des angefochtenen Beschlusses, nämlich in Abschnitt 7.1.2 („Vorteil“) und in Abschnitt 7.1.3 („Selektivität“), geprüft hat.

171    Was die Prüfung des Kriteriums des Vorteils anbelangt, so geht aus dem 83. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, der sich in Abschnitt 7.1.2 dieses Beschlusses befindet, hervor, dass die Kommission sehr wohl die Auswirkung der in Rede stehenden Maßnahme auf die Situation der Begünstigten geprüft hat. Denn sie hat in diesem Erwägungsgrund dargelegt, dass die Ausnahmeregelung zu einer Verringerung der Steuerbelastung führe, die Unternehmen, die in den Genuss der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten kämen, andernfalls zu tragen hätten. Daraus folgt, dass die Kommission die Kriterien des Vorteils und der Selektivität nicht miteinander verwechselt hat, sondern versucht hat, nachzuweisen, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten die finanzielle Situation der von dieser Maßnahme Begünstigten im Sinne der oben in Rn. 168 angeführten Rechtsprechung verbessert hat.

172    Die Tatsache, dass die Kommission im 83. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt hat, dass die Begünstigten der Nichtbesteuerung finanziell bessergestellt würden als andere Abgabepflichtige, ist nicht geeignet, diese Feststellung in Frage zu stellen. Der Umstand, dass die Kommission auch auf Beurteilungen Bezug genommen hat, die eher für die Prüfung des Kriteriums der Selektivität als für die des Kriteriums des Vorteils von Bedeutung sind, ändert nichts daran, dass sie sehr wohl geprüft hat, ob die in Rede stehende Maßnahme ihren Begünstigten einen Vorteil verschafft hat.

173    Folglich ist die erste Rüge des zweiten Klagegrundes, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, zurückzuweisen.

2)      Zur zweiten Rüge des zweiten Klagegrundes, mit der das Vorliegen einer Steuerermäßigung bestritten wird

174    Mit ihrer zweiten Rüge bestreiten die Klägerinnen, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten einen wirtschaftlichen Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle.

175    Als staatliche Beihilfen gelten nach ständiger Rechtsprechung Maßnahmen gleich welcher Art, die mittelbar oder unmittelbar Unternehmen begünstigen oder die als ein wirtschaftlicher Vorteil anzusehen sind, den das begünstigte Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte (vgl. Urteile vom 2. September 2010, Kommission/Deutsche Post, C‑399/08 P, EU:C:2010:481, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 9. Oktober 2014, Ministerio de Defensa und Navantia, C‑522/13, EU:C:2014:2262, Rn. 21).

176    Wie oben in Rn. 91 dargelegt, kann das tatsächliche Vorliegen einer Vergünstigung nur in Bezug auf eine so genannte „normale“ Besteuerung festgestellt werden (Urteil vom 6. September 2006, Portugal/Kommission, C‑88/03, EU:C:2006:511, Rn. 56). Folglich verschafft eine solche Maßnahme dem Begünstigten dann einen wirtschaftlichen Vorteil, wenn sie die Belastungen vermindert, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat; sie stellt somit zwar keine Subvention im strengen Sinne des Wortes dar, steht dieser aber nach Art und Wirkung gleich (Urteil vom 9. Oktober 2014, Ministerio de Defensa und Navantia, C‑522/13, EU:C:2014:2262, Rn. 22). Somit ist eine Maßnahme, mit der staatliche Stellen bestimmten Unternehmen eine steuerliche Vergünstigung gewähren, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, die Begünstigten aber finanziell besserstellt als die übrigen Steuerpflichtigen, eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. März 1994, Banco Exterior de España, C‑387/92, EU:C:1994:100, Rn. 14, und vom 8. September 2011, Paint Graphos u. a., C‑78/08 bis C‑80/08, EU:C:2011:550, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

177    Daher ist, um zu bestimmen, ob ein steuerlicher Vorteil besteht, die Situation des Begünstigten, die sich aus der Anwendung der fraglichen Maßnahme ergibt, mit der Situation zu vergleichen, die sich für ihn ergäbe, wenn es die fragliche Maßnahme nicht gäbe und die normalen Steuervorschriften angewandt würden (vgl. Urteil vom 24. September 2019, Niederlande u. a./Kommission, T‑760/15 und T‑636/16, EU:T:2019:669, Rn. 147 und die dort angeführte Rechtsprechung).

178    Im vorliegenden Fall hat die Kommission im 82. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses die Ansicht vertreten, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten einen Vorteil darstelle, weil diese Maßnahme gegen den allgemeinen Grundsatz verstoße, dass die Körperschaftsteuer von allen Steuerpflichtigen erhoben werde, die Einkommen in Gibraltar erzielten oder bezögen. Sie hat hinzugefügt, dass die von einem Unternehmen in Gibraltar erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten nach dem Territorialitätsprinzip in der Regel in den Anwendungsbereich der Besteuerung fallen sollten, da sie als in Gibraltar erzielt oder bezogen anzusehen seien. Im 83. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ist die Kommission zu dem Ergebnis gekommen, dass die „Ausnahmeregelung“ für Einkünfte aus Nutzungsentgelten zu einer Verringerung der Steuerbelastung führe, die die Unternehmen andernfalls zu tragen gehabt hätten. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Argumentation der Kommission in den Erwägungsgründen 81 bis 83 des angefochtenen Beschlusses im Hinblick auf diesen Beschluss in seiner Gesamtheit und insbesondere die im 93. Erwägungsgrund dieses Beschlusses angeführte Feststellung zu betrachten ist, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten das Ergebnis der Nichtaufnahme dieser Einkünfte in die Einkommenskategorien in Schedule 1 des ITA 2010 sei.

179    Wie aus den Rn. 116 bis 128 oben hervorgeht, hat die Kommission zum einen im 82. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zutreffend festgestellt, dass es einen Grundsatz gebe, dass die Körperschaftsteuer von allen Steuerpflichtigen erhoben werde, die Einkommen in Gibraltar erzielten oder bezögen, und dass dieser Grundsatz zu den normalen Steuervorschriften gehöre, anhand deren sie die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten prüfen müsse. Wie oben in Rn. 123 festgestellt, beruhte das durch den ITA 2010 eingeführte Steuersystem auf zwei Leitprinzipien, nämlich auf dem Territorialitätsprinzip, wonach das in Gibraltar erzielte oder bezogene Einkommen steuerpflichtig war, und dem Grundsatz, wonach der gesamte buchhalterische Gewinn der Steuerpflichtigen steuerpflichtig war.

180    Ebenso wurden die von einer Gesellschaft in Gibraltar erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten, wie aus den Rn. 141 bis 156 oben hervorgeht, in Anwendung des Territorialitätsprinzips als in Gibraltar erzielt oder bezogen angesehen.

181    Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass es die Nichtaufnahme der Einkünfte aus Nutzungsentgelten in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Einkommenskategorien möglich machte, dass diese Einkünfte der Einkommensteuer in Gibraltar entgingen, während nach den von der Kommission im 82. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses genannten Grundsätzen solche Einkünfte, die in Gibraltar erzielt oder bezogen wurden, in der Regel der Einkommensteuer hätten unterliegen müssen.

182    Daher hat die Kommission zu Recht festgestellt, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten zu einer Verringerung der Steuerbelastung führe, die Unternehmen, die solche Einkünfte erzielten, in Anwendung der normalen Steuervorschriften andernfalls zu tragen gehabt hätten, und gefolgert, dass ein wirtschaftlicher Vorteil zugunsten dieser Unternehmen vorliege.

183    Keines der Argumente der Klägerinnen ist geeignet, diese Feststellung in Frage zu stellen.

184    Soweit die Klägerinnen erstens geltend machen, die Maßnahme habe keinen Vorteil darstellen können, da die Steuerbehörden, die keine Grundlage für die Besteuerung dieser Einkünfte gehabt hätten, nicht auf die Besteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten hätten verzichten können, genügt die Feststellung, dass die Nichtaufnahme dieser Einkommenskategorie in Schedule 1 des ITA 2010 einen Verzicht des Gesetzgebers von Gibraltar und damit der zuständigen Behörden des betreffenden Gebiets darstellt. Im Übrigen kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die Zwecke der Einkommensteuer verkannt zu haben, da sie diese Maßnahme, wie aus den Rn. 178 und 181 oben hervorgeht, sehr wohl anhand des Inhalts und des Ziels des ITA 2010 und somit der normalen Steuerbestimmungen geprüft hat.

185    Soweit die Klägerinnen zweitens geltend machen, es habe keine ausdrückliche Regelung gegeben, die die Besteuerung von Nutzungsentgelten vorgesehen habe, so dass diese Einkommenskategorie nicht in den Anwendungsbereich des ITA 2010 gefallen sei, ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass eine steuerliche Maßnahme nach einer bestimmten Regelungstechnik konzipiert ist, keine Auswirkungen auf die Prüfung dieser Maßnahme anhand von Art. 107 AEUV hat. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass nationale Steuervorschriften der Kontrolle auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen von vornherein allein deshalb entzogen sind, weil sie auf einer anderen Regelungstechnik beruhen, obwohl sie rechtlich und/oder tatsächlich durch die Anpassung oder Verknüpfung verschiedener Steuervorschriften dieselben Wirkungen entfalten. Jede andere Auslegung verstieße gegen die ständige Rechtsprechung, wonach Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht nach den Gründen und Zielen der staatlichen Maßnahmen unterscheidet, sondern sie anhand ihrer Wirkungen und somit unabhängig von den verwendeten Techniken beschreibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juni 2018, Andres [Insolvenz Heitkamp BauHolding]/Kommission, C‑203/16 P, EU:C:2018:505, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).

186    Wie oben in Rn. 81 dargelegt, haben die Nichtaufnahme einer Einkommenskategorie in die Bemessungsgrundlage und die formelle Steuerbefreiung einer Einkommenskategorie, die normalerweise Teil einer Bemessungsgrundlage ist, die gleichen Auswirkungen. Somit stand der Umstand, dass es im ITA 2010 keine ausdrückliche Regelung gab, die die Besteuerung von Einkünften aus Nutzungsentgelten vorsah, einer Vorteilsgewährung im Sinne von Art. 107 AEUV nicht entgegen.

187    Soweit die Klägerinnen drittens geltend machen, die Kommission habe nicht nachgewiesen, dass den möglichen Empfängern der Beihilfe, nämlich den zehn Unternehmen, auf die im 98. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen werde, die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten tatsächlich zugutegekommen sei, genügt der Hinweis, dass sich die Kommission nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen einer Entscheidung über eine Beihilferegelung darauf beschränken kann, die Merkmale der betreffenden Regelung zu untersuchen, um in den Gründen der fraglichen Entscheidung zu würdigen, ob diese Regelung den Beihilfeempfängern wegen der in ihr vorgesehenen Modalitäten einen spürbaren Vorteil gegenüber ihren Wettbewerbern sichert und so beschaffen ist, dass sie ihrem Wesen nach vor allem Unternehmen zugutekommt, die sich am Handel zwischen den Mitgliedstaaten beteiligen. Die Kommission braucht somit keine Analyse der im Einzelfall aufgrund einer solchen Regelung gewährten Beihilfe durchzuführen. Erst im Stadium der Rückforderung der Beihilfen ist es erforderlich, die konkrete Situation jedes einzelnen betroffenen Unternehmens zu untersuchen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission, C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, EU:C:2011:368, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

188    Daraus folgt, dass die Kommission nicht nachweisen musste, dass die steuerliche Maßnahme den zehn möglichen Begünstigten tatsächlich zugutegekommen ist. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, zur Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses zu führen, und daher als nicht stichhaltig zurückzuweisen.

189    Aus denselben Gründen ist das Vorbringen zur besonderen Situation von MJN GibCo für die Zwecke der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses als ins Leere gehend zurückzuweisen. Vor allem was das Vorbringen zur steuerlichen Transparenz der CV anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass es für die Prüfung, ob die Kommission zu Recht angenommen hat, dass diese Maßnahme ihren Empfängern einen steuerlichen Vorteil verschafft habe, irrelevant ist, da die Kommission ihre Beurteilung der Beihilferegelung, die sich aus der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten ergab, nicht auf die Frage der steuerlichen Transparenz gestützt hat.

190    Nach alledem ist die zweite Rüge des zweiten Klagegrundes, mit dem die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses begehrt wird, und damit dieser Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

d)      Zur Prüfung der Selektivität (dritter Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist)

191    Mit ihrem dritten Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, machen die Klägerinnen im Wesentlichen geltend, die Kommission habe offensichtliche Beurteilungsfehler begangen und gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV verstoßen, als sie angenommen habe, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine selektive Maßnahme sei.

192    Erstens machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe bei der Bestimmung des Bezugsrahmens einen Fehler begangen. In Steuersachen könne die Beurteilung des Kriteriums der Selektivität nur in Bezug auf die so genannte „normale“ Besteuerung erfolgen, deren Definition ebenso wie die Wahl der Bemessungsgrundlage in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle. Der ITA 2010 sei zwar der geeignete Bezugsrahmen, die Kommission habe aber mehrere Fehler hinsichtlich des Inhalts und des Ziels dieses Gesetzes begangen.

193    Zweitens machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe fälschlicherweise eine Abweichung vom Bezugsrahmen festgestellt.

194    Zunächst sei die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten keine Befreiung, Abweichung oder „implizite Abweichung“, sondern ergebe sich nur daraus, dass diese Einkünfte nicht in den Anwendungsbereich des ITA 2010 fielen.

195    Sodann habe die Kommission die Tragweite des Grundsatzes falsch verstanden, wonach eine Maßnahme, die eine staatliche Beihilfe darstelle, anhand ihrer Wirkungen zu beschreiben sei. Zwar habe der Gerichtshof in den Urteilen vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich (C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732), und vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981), festgestellt, dass eine Maßnahme selektiv sein könne, wenn sie bewirke, dass bestimmte Unternehmen von der Bemessungsgrundlage ausgeschlossen würden. Bei diesen Rechtssachen sei es jedoch um außergewöhnliche Umstände gegangen und nicht gerechtfertigt gewesen, den anhand seiner Wirkungen beschriebenen Begriff der staatlichen Beihilfe zu weit zu fassen. Das Gericht habe im Übrigen im Urteil vom 16. Mai 2019, Polen/Kommission (T‑836/16 und T‑624/17, EU:T:2019:338), klargestellt, dass eine steuerliche Maßnahme eine Ungleichbehandlung vorsehen könne, ohne als selektiv eingestuft zu werden, vorausgesetzt, dass diese Ungleichbehandlung nicht willkürlich sei, dass sie auf nicht diskriminierende Weise angewandt werde und dass sie mit dem Ziel der betreffenden Steuer vereinbar bleibe.

196    Schließlich machen die Klägerinnen geltend, die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten habe zu keiner Unterscheidung zwischen Wirtschaftsteilnehmern in der gleichen rechtlichen und tatsächlichen Situation geführt. Insoweit machen sie geltend, keine Voraussetzung für die Nichtbesteuerung sei nur auf multinationale Unternehmen anwendbar gewesen und der Umstand, dass diese Maßnahme vor allem multinationalen Konzernen zugutegekommen sei, sei nur ein zufälliger Umstand und keine „Auswirkung [der Maßnahme]“.

197    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

198    Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass bei der Beurteilung der Selektivität zu klären ist, ob die fragliche nationale Maßnahme im Rahmen einer konkreten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die im Wesentlichen als diskriminierend eingestuft werden kann (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

199    Ist die in Rede stehende Maßnahme als Beihilferegelung und nicht als Einzelbeihilfe beabsichtigt, obliegt es der Kommission, darzutun, dass die Maßnahme, obwohl sie einen allgemeinen Vorteil vorsieht, diesen allein bestimmten Unternehmen oder Branchen verschafft (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung). Eine allgemeine, auf alle Wirtschaftsteilnehmer unterschiedslos anwendbare Maßnahme stellt keine Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2000, Deutschland/Kommission, C‑156/98, EU:C:2000:467, Rn. 22).

200    In Steuersachen verlangt die Rechtsprechung klassischerweise eine Prüfung der Selektivität in drei Schritten. Diese Prüfung erfordert in einem ersten Schritt, die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder „normale“ Steuerregelung zu ermitteln, die den Bezugsrahmen darstellt, und in einem zweiten Schritt, darzutun, dass die in Rede stehende steuerliche Maßnahme vom Bezugsrahmen insoweit abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit diesem Bezugsrahmen verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 57). In einem dritten Schritt obliegt es dem Mitgliedstaat, nachzuweisen, dass die durch die in Rede stehende Maßnahme eingeführte Unterscheidung, die a priori „selektiv“ ist, gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Rahmen, in den sich diese Maßnahme einfügt, ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 58).

201    Die Voraussetzung der Selektivität ist daher erfüllt, wenn die Kommission dartun kann, dass diese Maßnahme von der allgemeinen oder „normalen“ in dem betreffenden Mitgliedstaat anwendbaren Steuerregelung abweicht und somit durch ihre konkreten Wirkungen eine Ungleichbehandlung von Wirtschaftsteilnehmern einführt, obwohl sich die von dem Steuervorteil begünstigten Wirtschaftsteilnehmer und diejenigen, die von ihm ausgeschlossen sind, im Hinblick auf das mit dieser Steuerregelung dieses Mitgliedstaats verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 67).

202    Im Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 74), hat der Gerichtshof im Wesentlichen eine Unterscheidung getroffen zwischen dem Fall, in dem sich die Maßnahme in Form eines von der allgemeinen Steuerregelung abweichenden Steuervorteils darstellte, und dem Fall, in dem sich die Maßnahme in Form der Anwendung einer „allgemeinen“ Steuerregelung darstellte, die auf Kriterien beruhte, die auch an sich allgemeiner Art waren, aber faktisch zwischen verschiedenen Unternehmen diskriminierten und somit eine „De-facto-Selektivität“ mit sich brachten. Eine solche Unterscheidung stützt sich unmittelbar auf das Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich (C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732), in dem die Maßnahmen, die Gegenstand der Prüfung nach Art. 107 Abs. 1 AEUV waren, die Vorschriften über die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage für die Zwecke der Körperschaftsteuer waren. In dieser Rechtssache hatte der Gerichtshof festgestellt, dass ein auf der Lohnsummensteuer und der Größe der Räumlichkeiten beruhendes Besteuerungssystem, so wie es ausgestaltet war, bewirkte, dass von vornherein jede Besteuerung von „Offshore-Unternehmen“ ausgeschlossen war, da sie weder Angestellte noch Geschäftsräume hatten.

203    In einem solchen Fall kann die Maßnahme selektiv sein, auch wenn sie allgemeiner Natur ist und keine Ausnahme von der allgemeinen Steuerregelung darstellt, sondern ein integraler Bestandteil von ihr ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 91 und 92). Es obliegt dann der Kommission, nachzuweisen, dass die Steuerregelung als solche im Hinblick auf das mit ihr angeblich verfolgte Ziel offensichtlich diskriminierend ist und dass somit die in Rede stehenden Maßnahmen, die ein integraler Bestandteil der Steuerregelung sind, dem damit verfolgten Ziel abträglich sind, da sie das mit der Steuer verfolgte Ziel seiner Substanz berauben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. März 2021, Kommission/Polen, C‑562/19 P, EU:C:2021:201, Rn. 42 und 43, sowie vom 16. Mai 2019, Polen/Kommission, T‑836/16 und T‑624/17, EU:T:2019:338, Rn. 70, 79 und 94). Dies ist der Fall, wenn die Kommission nachweist, dass das System durch seine Wirkungen bestimmte Unternehmen aufgrund ihrer typischen und spezifischen Merkmale begünstigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 87 und 88, sowie vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 74 bis 76).

204    Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten nicht nur in Bezug auf die dreistufige Prüfung der Selektivität der steuerlichen Maßnahmen mit Ausnahmecharakter untersucht hat, sondern auch unter Anwendung der Analyse des Gerichtshofs im Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732).

205    Zum einen ergibt sich aus den Erwägungsgründen 87, 90 bis 94, 100, 103 und 105 bis 110 des angefochtenen Beschlusses sowie der Überschrift der Abschnitte 7.1.3.1, 7.1.3.2 und 7.1.3.3 dieses Beschlusses eindeutig, dass die Kommission die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten als abweichende Maßnahme angesehen hat und die Prüfung der Selektivität in drei Schritten angewandt hat.

206    Genauer gesagt, hat die Kommission zunächst ausgeführt, dass der Bezugsrahmen der ITA 2010 sei, dessen Ziel in der Erhebung von Steuern von Steuerpflichtigen mit in Gibraltar erzieltem oder bezogenem Einkommen bestehe (Erwägungsgründe 90 bis 93 und 100 des angefochtenen Beschlusses), und festgestellt, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine „implizite Befreiung“ von der Einkommensteuer darstelle. Sodann hat die Kommission in Bezug auf das Ziel des ITA 2010 festgestellt, dass sich die Unternehmen, denen die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten zugutekomme, nämlich Unternehmen, die multinationalen Konzernen angehörten, die Lizenzen für Rechte des geistigen Eigentums vergäben, in einer rechtlichen und tatsächlichen Situation befänden, die der aller sonstigen Unternehmen mit Sitz in Gibraltar, die in Gibraltar Einkommen erzielten oder bezögen, ähnlich sei (Erwägungsgründe 100 und 103 des angefochtenen Beschlusses). Um nachzuweisen, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten zu einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung dieser Unternehmen führte, obwohl sie sich in einer vergleichbaren Situation befanden, hat die Kommission festgestellt, dass die von einem Unternehmen mit Sitz in Gibraltar bezogenen Nutzungsentgelte ohne die „Ausnahmeregelung“ nach dem System der territorialen Besteuerung als in Gibraltar bezogen betrachtet würden (94. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Schließlich hat die Kommission die von den Behörden des Vereinigten Königreichs angeführten Rechtfertigungen zurückgewiesen (Erwägungsgründe 105 bis 108 des angefochtenen Beschlusses).

207    Zum anderen hat die Kommission auch ausgeführt, dass es in einem Fall, „in dem die Maßnahme nicht auf eine formelle Abweichung vom Steuersystem zurückzuführen ist, … bei der Beurteilung der Selektivität besonders wichtig ist, die Auswirkungen der Maßnahme zu berücksichtigen, um festzustellen, ob die Maßnahme eine bestimmte Gruppe von Unternehmen erheblich begünstigt“ (97. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Sie hat sodann festgestellt, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten lediglich zehn Unternehmen zugutegekommen sei, die alle Teil multinationaler Konzerne gewesen seien, und dass kein eigenständiges Unternehmen in Gibraltar Einkünfte aus Nutzungsentgelten erzielt habe (98. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Zudem hat die Kommission im 104. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen, dass der Umstand, dass die „Ausnahmeregelung“ für Einkünfte aus Nutzungsentgelten in erster Linie multinationalen Konzernen zugutekomme, keine zufällige Folge der fraglichen Regelung sei und dass die Maßnahme darauf abgezielt habe, Konzernunternehmen und insbesondere multinationale Konzerne anzuziehen oder zu begünstigen, die mit bestimmten Funktionen betraut seien (Vergabe von Lizenzen für Rechte des geistigen Eigentums), womit sie die im Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732), verwendete Terminologie übernommen hat.

208    Aus den Erwägungsgründen 90 bis 104 des angefochtenen Beschlusses geht somit hervor, dass die Kommission, wie sie in Beantwortung einer Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, in erster Linie die Ansicht vertreten hat, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine abweichende Maßnahme darstelle, die selektiv sei, da sie Unternehmen, die in Gibraltar Einkommen aus Nutzungsentgelten erzielten oder bezögen, gegenüber allen anderen Unternehmen, die in Gibraltar Einkommen erzielten oder bezögen, begünstige, und dass sie hilfsweise auch die „De-facto-Selektivität“ der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten geprüft hat.

209    Daher ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die Kommission im Rahmen der Feststellung der Selektivität der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten in erster Linie davon ausgehen durfte, dass diese eine Abweichung vom ITA 2010 darstellte, da sie zur Folge hatte, dass Unternehmen, die in Gibraltar Einkünfte aus Nutzungsentgelten erzielten, steuerlich anders behandelt wurden als in Gibraltar steuerpflichtige Unternehmen, die in Gibraltar Einkünfte erzielten oder bezogen, obwohl sich diese beiden Kategorien von Unternehmen in Bezug auf das mit dem ITA 2010 verfolgte Ziel in vergleichbaren Situationen befanden.

210    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wie aus den Rn. 118 bis 128 oben hervorgeht, zutreffend festgestellt hat, dass das Ziel des ITA 2010 in der Erhebung von Steuern von Steuerpflichtigen bestehe, die in Gibraltar Einkommen erzielten oder bezögen. Wie aus den Rn. 141 bis 156 oben hervorgeht, hat sie ebenso zutreffend festgestellt, dass die von Gesellschaften in Gibraltar erzielen Einkünfte aus Nutzungsentgelten als in Gibraltar erzielt oder bezogen anzusehen seien. In diesem Zusammenhang hat die Kommission zutreffend festgestellt, dass in Gibraltar ansässige Unternehmen, die Einkünfte aus Nutzungsentgelten erzielten oder bezögen, in der Regel in Gibraltar in den Anwendungsbereich der Besteuerung fallen sollten und dass sie sich in einer rechtlichen und tatsächlichen Situation befänden, die der der sonstigen Unternehmen mit Sitz in Gibraltar und mit in Gibraltar erzieltem oder bezogenem Einkommen ähnlich sei.

211    Daher hat die Kommission keinen Fehler begangen, als sie feststellte, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten Unternehmen, die Einkünfte aus Nutzungsentgelten erzielten, gegenüber anderen Unternehmen, die in Gibraltar Einkünfte erzielten oder bezögen, begünstige. Daraus folgt, dass sie zu Recht davon ausgegangen ist, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine Abweichung vom ITA 2010 und von seinem Ziel dargestellt habe.

212    Allein diese Erwägungen reichen aus, um darzutun, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten a priori selektiv ist, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob die Kommission zu Recht angenommen hat, dass die Maßnahme speziell multinationalen Unternehmen zugutekomme, die bestimmte Tätigkeiten, wie die Vergabe von Lizenzen für Rechte des geistigen Eigentums, ausübten. Es ist für den Nachweis der Selektivität einer abweichenden steuerlichen Maßnahme nicht erforderlich, dass die Kommission bestimmte typische und spezifische Merkmale ermittelt, die den vom Steuervorteil begünstigten Unternehmen gemein sind und aufgrund deren sie von denjenigen unterschieden werden können, die davon ausgeschlossen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 71, 76 und 78). Zwar ist für den Nachweis der Selektivität einer steuerlichen Maßnahme nicht immer erforderlich, dass diese einen von einer allgemeinen Steuerregelung abweichenden Charakter aufweist, doch ist der Umstand, dass sie einen solchen Charakter aufweist, für diese Zwecke durchweg relevant, wenn sich daraus ergibt, dass zwei Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern unterschieden werden und a priori unterschiedlich behandelt werden, nämlich diejenigen, die unter die abweichende Maßnahme fallen, und diejenigen, die weiterhin unter die allgemeine Steuerregelung fallen, obwohl sich diese beiden Gruppen im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 77 und 78).

213    Im Übrigen ist festzustellen, dass die Klägerinnen die Schlussfolgerungen der Kommission nicht bestreiten, wonach die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten nicht durch die Natur und den inneren Aufbau des gibraltarischen Steuersystems gerechtfertigt sei. Daher hat die Kommission zu Recht den Schluss gezogen, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten selektiv sei, und festgestellt, dass diese Nichtbesteuerung aufgrund der Nichtaufnahme im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013 der Einkünfte aus Nutzungsentgelten in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen, das in Gibraltar steuerpflichtig war, eine Beihilferegelung dargestellt habe. Da die Prüfung der Selektivität in drei Schritten ausreicht, um diese Schlussfolgerung zu stützen, braucht das Vorbringen der Klägerinnen nicht geprüft zu werden, mit dem sie sich gegen die Hilfsbegründung der Kommission wenden, wonach die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten de facto selektiv sei. Sofern bestimmte Gründe eines Beschlusses diesen bereits für sich allein rechtlich hinreichend rechtfertigen können, haben Mängel, mit denen andere Gründe des betreffenden Beschlusses gegebenenfalls behaftet sind, keinen Einfluss auf dessen verfügenden Teil. Im Übrigen ist, sofern der verfügende Teil einer Entscheidung der Kommission auf mehreren Begründungspfeilern ruht, von denen jeder für sich allein ausreichen würde, um ihn zu tragen, dieser Rechtsakt grundsätzlich nur dann für nichtig zu erklären, wenn jeder dieser Pfeiler rechtswidrig ist. In einem derartigen Fall kann ein Fehler oder ein anderer Mangel, der nur eine der genannten Stützen betrifft, nicht genügen, um die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung herbeizuführen, da dieser Fehler den von dem betreffenden Organ erlassenen verfügenden Teil der Entscheidung nicht entscheidend beeinflussen kann (vgl. Urteil vom 1. März 2018, Polen/Kommission, T‑316/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:106, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).

214    Insbesondere ist festzustellen, dass das Vorbringen der Klägerinnen zu den Konsequenzen, die im vorliegenden Fall aus den Urteilen vom 16. März 2021, Kommission/Polen (C‑562/19 P, EU:C:2021:201), und Kommission/Ungarn (C‑596/19 P, EU:C:2021:202), sowie aus den Urteilen vom 16. Mai 2019, Polen/Kommission (T‑836/16 und T‑624/17, EU:T:2019:338), und vom 27. Juni 2019, Ungarn/Kommission (T‑20/17, EU:T:2019:448), zu ziehen seien, ins Leere geht, da es sich auf die Prüfung der De-facto-Selektivität und nicht auf die Prüfung der Selektivität in drei Schritten bezieht.

215    Soweit sich die Klägerinnen im Übrigen im Rahmen ihres Vorbringens zur Prüfung der Selektivität gegen die Behauptung der Kommission in Rn. 95 der Klagebeantwortung wenden, wonach sie nicht verpflichtet gewesen sei, im Einzelnen die Gründe zu erläutern, weshalb sie im angefochtenen Beschluss allein deshalb zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine Beihilferegelung darstelle, weil sie diese Gesichtspunkte bereits im Einleitungsbeschluss eingehend geprüft habe, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass das Gericht bereits entschieden hat, dass der Beschluss über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens zum Kontext des verfahrensbeendenden Beschlusses gehört und dass Ersterer im Rahmen der Prüfung der Begründung des Letzteren berücksichtigt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2018, Österreich/Kommission, T‑356/15, EU:T:2018:439, Rn. 535). Zum anderen wurden im angefochtenen Beschluss jedenfalls, wie aus den Rn. 204 bis 208 oben hervorgeht, ausführlich die Gesichtspunkte dargelegt, die die Kommission zu der Auffassung veranlasst hatten, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine selektive Maßnahme dargestellt habe.

216    Nach alledem ist der dritte Klagegrund, mit dem die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses begehrt wird, zurückzuweisen.

e)      Zum Umfang des selektiven Vorteils (vierter Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist)

217    Mit ihrem vierten Klagegrund machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe jedenfalls und selbst wenn man davon ausgehe, dass durch die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten tatsächlich ein selektiver Vorteil verschafft worden sei, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler und einen Rechtsfehler begangen, indem sie davon ausgegangen sei, dass sich dieser selektive Vorteil auf Nutzungsentgelte für nicht in Gibraltar ausgeübte Tätigkeiten und Rechte des geistigen Eigentums erstrecke, da diese Einkünfte nicht in den räumlichen Geltungsbereich des ITA 2010 fielen.

218    Nach Ansicht der Klägerinnen waren die Einkünfte, die eine gibraltarische Gesellschaft aus außerhalb dieses Gebietes ausgeübten Tätigkeiten erzielte, einschließlich der Einkünfte aus Nutzungsentgelten, in Gibraltar nicht steuerpflichtig. Sie machen geltend, in ihrer Situation, in der keines der Rechte des geistigen Eigentums in Gibraltar entstanden sei, in der sich diese Rechte nicht in Gibraltar befänden, in der die Inhaber der Lizenz nicht in Gibraltar ansässig seien und in der die Einkünfte aus Nutzungsentgelten nicht in Gibraltar gezahlt würden, würden die Einkünfte aus Nutzungsentgelten in Gibraltar weder erzielt noch bezogen. Somit machen die Klägerinnen geltend, im vorliegenden Fall sei der Anteil von MJN GibCo an den Einkünften von MJT CV trotz der steuerlichen Transparenz nicht steuerpflichtig gewesen, da diese Einkünfte nicht in Gibraltar erzielt oder bezogen worden seien.

219    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

220    Da die Kommission, wie oben in den Rn. 141 bis 162 festgestellt, keinen Fehler begangen hat, als sie feststellte, dass die in Gibraltar von gibraltarischen Gesellschaften erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten als in Gibraltar erzielt oder bezogen anzusehen seien, ist das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, wonach Einkünfte aus Nutzungsentgelten für nicht in Gibraltar ausgeübte Tätigkeiten und Rechte des geistigen Eigentums nicht in den räumlichen Geltungsbereich des ITA 2010 fielen und die Kommission somit einen Fehler begangen habe, als sie davon ausgegangen sei, dass sich der durch die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten verschaffte selektive Vorteil auf die genannten Nutzungsentgelte erstrecke.

221    Soweit die Klägerinnen im Übrigen geltend machen, dass die Einkünfte aus Nutzungsentgelten im Fall von MJN GibCo nicht in Gibraltar erzielt oder bezogen worden seien, kann dieses Vorbringen weder die Analyse der Kommission, wonach die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine Beihilferegelung darstellte, noch die Rechtmäßigkeit von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses in Frage stellen und ist als ins Leere gehend zurückzuweisen. Selbst wenn es begründet wäre, könnte damit allenfalls die Eigenschaft von MJN GibCo als Empfängerin der Beihilfe in Frage gestellt werden. Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses beschränkt sich jedoch auf die Feststellung, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine Beihilferegelung darstelle, ohne die möglichen Empfänger dieser Regelung zu nennen. Zudem ergibt sich aus der oben in Rn. 187 angeführten Rechtsprechung, dass die Kommission im Rahmen einer Entscheidung über eine Beihilferegelung keine Analyse der im Einzelfall aufgrund einer solchen Regelung gewährten Beihilfe durchzuführen braucht.

222    Nach alledem ist der vierte Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, zurückzuweisen.

3.      Zum Klagegrund, mit dem ein offensichtlicher Beurteilungsfehler und ein Verstoß gegen Art. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999 gerügt werden (fünfter Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist)

223    Mit ihrem fünften Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, wenden sich die Klägerinnen gegen die sich aus Abschnitt 7.2 des angefochtenen Beschlusses ergebende Schlussfolgerung, wonach die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine neue Beihilfe im Sinne von Art. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999 darstelle.

224    Zum einen machen die Klägerinnen geltend, der angefochtene Beschluss enthalte keine Analyse der Einstufung der in der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten bestehenden Maßnahme als neue Beihilfe. Die Kommission habe zwar im Einleitungsbeschluss tatsächlich behauptet, dass die Einkünfte aus Nutzungsentgelten erstmals im ITA 2010 vom Anwendungsbereich der Einkommensbesteuerung ausgenommen worden seien, der angefochtene Beschluss enthalte jedoch keine solche Feststellung.

225    Zum anderen machen sie geltend, selbst wenn die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dargestellt hätte, wäre sie als bestehende Beihilfe anzusehen gewesen, da die passiven Einkünfte aus Nutzungsentgelten in Gibraltar nach dem ITA 1952 nicht besteuert worden seien, der vor Erlass des ITA 2010 in Kraft gewesen sei, so dass diese Regelung bereits zum 1. Januar 1973, dem Zeitpunkt, als das Vereinigte Königreich Mitgliedstaat geworden sei, anwendbar gewesen sei. Insbesondere machen die Klägerinnen geltend, dass zwar Art. 6 Abs. 1 des ITA 1952 unter den sechs steuerpflichtigen Einkommenskategorien die Kategorie „Mieten, Nutzungsentgelte, Prämien und sonstige Gewinne aus Eigentumsrechten“ aufgelistet habe, dass diese Kategorie jedoch in Wirklichkeit nur auf Eigentumsrechte aus Immobilien abgezielt habe. Der Begriff „Nutzungsentgelte“ habe sich nur auf Entgelte aus dem Bergbau bezogen.

226    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

227    Im Wesentlichen tragen die Klägerinnen zwei Rügen vor, nämlich zum einen einen Begründungsmangel unter Verstoß gegen Art. 296 AEUV, da die Kommission im angefochtenen Beschluss nicht erklärt habe, inwiefern die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine neue Beihilfe dargestellt habe, und zum anderen einen Verstoß gegen Art. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999, da die Kommission zu Unrecht angenommen habe, dass diese Maßnahme eine bestehende Beihilfe darstelle.

228    Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei der in Art. 296 AEUV vorgesehenen Begründungspflicht um ein wesentliches Formerfordernis, das von der Frage der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört (vgl. Urteile vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, EU:C:2011:620, Rn. 146 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 14. Mai 2014, Donau Chemie/Kommission, T‑406/09, EU:T:2014:254, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung). Es ist daher zunächst die Rüge zu behandeln, mit der im Wesentlichen ein Verstoß gegen die in Art. 296 AEUV vorgesehene Begründungspflicht geltend gemacht wird, und sodann die Rüge, mit der ein Verstoß gegen Art. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999 geltend gemacht wird.

a)      Zur ersten Rüge, mit der ein Begründungsmangel im Sinne von Art. 296 AEUV geltend gemacht wird

229    Nach Art. 296 Abs. 2 AEUV sind die Rechtsakte mit einer Begründung zu versehen. Nach ständiger Rechtsprechung muss die vorgeschriebene Begründung dem Wesen des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Was insbesondere die Begründung von Einzelentscheidungen angeht, hat die Pflicht zur Begründung solcher Entscheidungen neben der Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Zweck, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht (vgl. Urteile vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, EU:C:2011:620, Rn. 146 bis 148 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 11. Juli 2013, Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, EU:C:2013:513, Rn. 114 und 115, sowie vom 13. Dezember 2016, Printeos u. a./Kommission, T‑95/15, EU:T:2016:722, Rn. 44).

230    In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Anforderungen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts, sondern auch seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet zu beurteilen ist (Urteile vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, EU:C:2011:620, Rn. 150, vom 11. Juli 2013, Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, EU:C:2013:513, Rn. 116, und vom 13. Dezember 2016, Printeos u. a./Kommission, T‑95/15, EU:T:2016:722, Rn. 45).

231    Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Kommission zwar die Ansicht vertreten hat, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine rechtswidrige Beihilfe darstelle (Erwägungsgründe 216 und 217 des angefochtenen Beschlusses), dass der angefochtene Beschluss jedoch auch im Abschnitt mit der Überschrift „Charakter einer neuen Beihilfe der Maßnahme“ (Erwägungsgründe 118 bis 121 des angefochtenen Beschlusses) keinen Hinweis darauf enthält, inwiefern diese Maßnahme eine neue Beihilfe darstellt. Die in diesem Abschnitt enthaltenen Gesichtspunkte betreffen nur die Beihilferegelung in Bezug auf die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus passiven Zinsen.

232    Wie jedoch aus Rn. 230 oben hervorgeht, ist die Beachtung der Begründungspflicht nicht nur anhand des Inhalts des Rechtsakts, sondern auch anhand seines Kontexts und sämtlicher anwendbarer Rechtsvorschriften zu prüfen. Im Übrigen stellt im Rahmen des Verfahrens zur Kontrolle staatlicher Beihilfen die nach einem förmlichen Prüfverfahren getroffene endgültige Entscheidung eine Handlung dar, die in mehreren Phasen zustande kommt. So hat das Gericht bereits entschieden, dass der Beschluss über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens zum Kontext des Beschlusses über die formelle Beendigung des Verfahrens gehört und dass Ersterer im Rahmen der Prüfung der Begründung des Letzteren berücksichtigt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2018, Österreich/Kommission, T‑356/15, EU:T:2018:439, Rn. 535).

233    Zum einen ergibt sich aus den Erwägungsgründen 217 und 221 des angefochtenen Beschlusses, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine rechtswidrige Beihilfe war, die zurückzufordern war, so dass die Kommission im angefochtenen Beschluss zwangsläufig die Auffassung vertreten hatte, dass es sich um eine neue Beihilfe handele. Wie aus Art. 108 Abs. 1 und 3 AEUV sowie Art. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 659/1999 hervorgeht, können nur neue Beihilfen, die ohne Genehmigung der Kommission eingeführt werden, als rechtswidrige Beihilfen eingestuft werden. Bestehende Beihilfen unterliegen ihrerseits einer ständigen Überprüfung, in deren Rahmen die Kommission zweckdienliche Maßnahmen vorschlägt, die für die fortschreitende Entwicklung oder das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich sind.

234    Zum anderen ergibt sich aus den Erwägungsgründen 45, 66 und 67 des Einleitungsbeschlusses, dass die Kommission die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten deshalb als neue Beihilfe eingestuft hat, weil die Einkünfte aus Nutzungsentgelten in Gibraltar gemäß dem ITA 1952 steuerpflichtig gewesen seien, und zwar bis zum Inkrafttreten des ITA 2010.

235    Da die im angefochtenen Beschluss getroffene Feststellung, dass die in Rede stehende Maßnahme eine rechtswidrige Beihilfe sei, mit der im Einleitungsbeschluss enthaltenen Analyse vereinbar war und soweit dieser Beschluss und der angefochtene Beschluss keine Anhaltspunkte dafür enthielten, dass die Kommission ihren Standpunkt zu diesem konkreten Punkt geändert hätte, ist somit davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall der Einleitungsbeschluss Teil des Kontexts ist, in dem der angefochtene Beschluss erlassen worden war, und für die Zwecke der Analyse der Begründung dieses Beschlusses hinsichtlich der Einstufung der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten als neue Beihilfe zu berücksichtigen war.

236    Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerinnen die Feststellung bestreiten, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine neue Beihilfe sei, und vor allem, dass diese Einkünfte gemäß dem ITA 1952 der Einkommensteuer unterworfen gewesen seien. Dies zeigt deutlich, dass sie in der Lage waren, die Gründe zu erkennen, weshalb die Kommission zu der Ansicht gelangt war, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine rechtswidrige neue Beihilfe darstelle.

237    Nach alledem ist die Rüge, mit der ein Begründungsmangel des angefochtenen Beschlusses geltend gemacht wird, zurückzuweisen.

b)      Zur zweiten Rüge, mit der ein Verstoß gegen Art. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999 geltend gemacht wird

238    Nach Art. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 108 AEUV sind neue Beihilfen alle Beihilfen, d. h. Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen.

239    Nach Art. 1 Buchst. b Ziff. i, ii und v der Verordnung Nr. 659/1999 sind bestehende Beihilfen genehmigte Beihilfen, d. h. Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die von der Kommission oder vom Rat der Europäischen Union genehmigt wurden, alle Beihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrags in dem entsprechenden Mitgliedstaat bestanden, d. h. Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrags eingeführt worden sind und auch nach dessen Inkrafttreten noch anwendbar sind, sowie Beihilfen, die als bestehende Beihilfen gelten, weil nachgewiesen werden kann, dass sie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie eingeführt wurden, keine Beihilfe waren und später aufgrund der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu Beihilfen wurden, ohne dass sie eine Änderung durch den betreffenden Mitgliedstaat erfahren haben.

240    Als neue Beihilfen sind Maßnahmen anzusehen, die nach dem Inkrafttreten des EG‑Vertrags in dem betreffenden Mitgliedstaat erlassen worden und auf die Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen gerichtet sind (vgl. Urteil vom 20. Mai 2010, Todaro Nunziatina & C., C‑138/09, EU:C:2010:291, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

241    Maßstab für die Einstufung einer Beihilfe als neue oder umgestaltete Beihilfe sind die Bestimmungen, in denen sie vorgesehen ist, sowie die dort vorgesehenen Modalitäten und Beschränkungen (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2010, Niederlande und NOS/Kommission, T‑231/06 und T‑237/06, EU:T:2010:525, Rn. 180 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

242    Im vorliegenden Fall beschränken sich die Klägerinnen darauf, die Feststellung der Kommission zu bestreiten, wonach die Einkünfte aus Nutzungsentgelten nach dem ITA 1952 besteuert und vom Anwendungsbereich der Einkommensteuer in Gibraltar erst mit Erlass des ITA 2010 ausgenommen worden seien.

243    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 6 Abs. 1 Buchst. e des ITA 1952, der durch den ITA 2010 aufgehoben wurde, Einkünfte aus Nutzungsentgelten („royalties“) ausdrücklich unter den in Gibraltar steuerpflichtigen Einkommenskategorien aufgelistet waren, wie die Kommission im Einleitungsbeschluss angemerkt hat. Diese Einkünfte unterlagen daher bis zum Inkrafttreten des ITA 2010 am 1. Januar 2011 in Gibraltar der Einkommensteuer.

244    Das Vorbringen der Klägerinnen, wonach der in Art. 6 Abs. 1 Buchst. e des ITA 1952 genannte Begriff „Nutzungsentgelte“ („royalties“) ausschließlich Einkünfte aus Nutzungsentgelten umfasst habe, die mit Immobilien in Zusammenhang stünden und sich auf den Bergbau bezögen, kann keinen Erfolg haben.

245    Zum einen steht die Analyse der Klägerinnen im Widerspruch zu den Informationen, die von den Behörden des Vereinigten Königreichs im Verwaltungsverfahren übermittelt wurden. Sie haben mehrmals und vor allem in ihren Stellungnahmen vom 14. September und vom 3. Dezember 2012 ausdrücklich bekräftigt, dass „vor Erlass des [ITA 2010] … die [Einkünfte aus Nutzungsentgelten] besteuert [wurden] und … nicht zu erheblichen Steuereinnahmen [führten]“, weshalb sie durch das Gesetz von 2010 von der Besteuerung ausgenommen worden seien. Aus dem Kontext dieser Stellungnahmen ergibt sich, dass sich die Behörden des Vereinigten Königreichs sehr wohl auf Entgelte für die Nutzung geistigen Eigentums und nicht auf Nutzungsentgelte im Zusammenhang mit dem Bergbau bezogen.

246    Wie die Kommission geltend macht, haben die Behörden des Vereinigten Königreichs und Gibraltars überdies ihrer im Einleitungsbeschluss enthaltenen Analyse des ITA 1952 nicht widersprochen. Wie aus Rn. 106 oben hervorgeht, konnte die Kommission ohne Informationen, die geeignet waren, die im Einleitungsbeschluss vorgenommene Auslegung des nationalen Steuerrechts in Frage zu stellen, nicht näherungsweise alle Argumente prüfen, die diese Auslegung möglicherweise hätten in Frage stellen können, die im Übrigen unmittelbar auf den Informationen des betreffenden Mitgliedstaats beruhte, die als hinreichend zuverlässig und glaubhaft angesehen werden konnten.

247    Zum anderen erlauben es die Argumente im Sachverständigengutachten, das als Anhang zur Erwiderung übermittelt wurde, nicht, die Feststellung in Frage zu stellen, dass Einkünfte aus Entgelten für die Nutzung geistigen Eigentums nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. e des ITA 1952 der Einkommensteuer unterlagen. Zwar wurde der Begriff „Nutzungsentgelte“ in Art. 6 Abs. 1 Buchst. e des ITA 1952 zwischen den Begriffen „Mieten“ (rents), „Prämien“ (premium) und „sonstige Gewinne aus Eigentum“ eingefügt, doch ging aus dem Wortlaut dieses Artikels nicht hervor, dass sich alle diese Einkommenskategorien auf Immobilien bezogen. Der Terminus „Eigentum“ (property) konnte sich sowohl auf Immobilienbesitz als auch auf jede andere Form von Eigentum, einschließlich des geistigen Eigentums, beziehen.

248    Soweit sich das Sachverständigengutachten auf die Rechtsprechung des JCPC zur Auslegung des in den ehemaligen Kolonien, die durch ihren Reichtum an Bodenschätzen gekennzeichnet sind, anwendbaren Rechts stützt, ist mit der Kommission darauf hinzuweisen, dass es inkohärent ist, diese Rechtsprechung entsprechend auf die Situation in Gibraltar anzuwenden, dessen Gebiet keine solchen Merkmale aufweist, um zu dem Schluss zu gelangen, das sich der Terminus „Nutzungsentgelt“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. e des ITA 1952 nur auf Nutzungsentgelte im Zusammenhang mit dem Bergbau bezog.

249    Aus dem Vorstehenden ergibt sich somit, dass die Kommission zu Recht davon ausgegangen ist, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten mit Erlass des ITA 2010 eingeführt worden war. Daher hat die Kommission keinen Fehler begangen, als sie diese Nichtbesteuerung als neue und rechtswidrige Beihilfe eingestuft hat.

250    Daher ist die zweite Rüge und somit der fünfte Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, zurückzuweisen.

251    Folglich ist die Klage abzuweisen, soweit sie auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, der die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten sowie die mit dieser Maßnahme verbundene Rückforderungsanordnung betrifft.

C.      Zweiter Teil der Klage: Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Beschlusses, soweit er die MJN GibCo gewährte Einzelbeihilfe sowie die mit dieser Maßnahme in Zusammenhang stehende Rückforderungsanordnung betrifft

252    Der zweite Teil der Klage ist auf die Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet, in dem die Kommission festgestellt hat, dass die Einzelbeihilfen, die fünf an niederländischen CV beteiligten gibraltarischen Gesellschaften, die Einkünfte aus Nutzungsentgelten und passiven Zinsen erzielten, von der Regierung Gibraltars auf der Grundlage von fünf Steuervorbescheiden gewährt worden seien, rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar seien. Der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid ist einer der fünf Steuervorbescheide, die in Art. 2 des angefochtenen Beschlusses genannt werden.

253    Wie aus Rn. 40 oben hervorgeht, ist die vorliegende Klage auf die Nichtigerklärung der Art. 2 und 5 des angefochtenen Beschlusses nur insoweit gerichtet, als sie die Situation von MJN GibCo betreffen.

254    Zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung von Art. 2 sowie Art. 5 Abs. 1 und 2 des angefochtenen Beschlusses machen die Klägerinnen vier Klagegründe geltend.

–        Mit dem ersten Klagegrund wird ein Verstoß gegen Art. 108 Abs. 2 AEUV und gegen Art. 6 der Verordnung Nr. 659/1999 gerügt, da es die Kommission unterlassen habe, im Beschluss zur Ausweitung des förmlichen Prüfverfahrens ausreichende Angaben zum Gegenstand dieses Verfahrens zu machen (Abschnitt a des zweiten Teils der Klageschrift).

–        Mit dem zweiten und dem dritten Klagegrund werden ein Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV und offensichtliche Beurteilungsfehler hinsichtlich der Bedeutung und der Wirkungen des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids sowie seiner Einstufung als Individualbeihilfe gerügt (Abschnitte b und c des zweiten Teils der Klageschrift).

–        Mit dem vierten Klagegrund wird ein Ermessensmissbrauch gerügt, da die Kommission das Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen angewandt habe, um den Rückgriff auf eine CV in den Strukturen multinationaler Konzerne in Verbindung mit dem territorialen Besteuerungsprinzip zu beanstanden (Abschnitt d des zweiten Teils der Klageschrift).

1.      Vorbemerkungen zur Tragweite von Art. 2 des angefochtenen Beschlusses

255    Art. 2 des angefochtenen Beschlusses bestimmt, dass „[d]ie Einzelbeihilfen, die fünf an niederländischen [CV] … beteiligten gibraltarischen Unternehmen, die Einkünfte aus Nutzungsentgelten und passiven Zinsen erzielen, von der Regierung Gibraltars auf der Grundlage der … [fünf] Steuervorbescheide … gewährt und die rechtswidrig unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV vom Vereinigten Königreich durchgeführt wurden, … im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar [sind]“. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid einer der fünf in Rede stehenden Steuervorbescheide ist.

256    Mit ihrer Klage begehren die Klägerinnen die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses, soweit darin festgestellt wird, dass der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid sowohl für den Zeitraum bis 31. Dezember 2013 als auch für den Zeitraum danach eine MJN GibCo gewährte Einzelbeihilfe darstelle. Insbesondere geht aus den Antworten der Klägerinnen auf schriftliche Fragen des Gerichts hervor, dass sie der Ansicht waren, dass Art. 2 des angefochtenen Beschlusses bestimmt habe, dass ihnen für den Zeitraum bis 31. Dezember 2013 eine Einzelbeihilfe auf der Grundlage der in Art. 1 Abs. 2 dieses Beschlusses genannten Beihilferegelung gewährt worden sei. Die Kommission hat ihrerseits in Beantwortung einer Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass Art. 2 des angefochtenen Beschlusses nur den Zeitraum nach dem 31. Dezember 2013 betreffe.

257    Es ist daher zu prüfen, ob Art. 2 des angefochtenen Beschlusses nur auf die Ad-hoc-Einzelbeihilfe abzielt, die auf der Grundlage des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids für den Zeitraum nach dem 31. Dezember 2013 gewährt wurde, oder ob dieser Teil des verfügenden Teils dahin auszulegen ist, dass er auch feststellt, dass MJN GibCo im Zeitraum bis zum 31. Dezember 2013 eine Einzelbeihilfe in Anwendung der in Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses genannten Beihilferegelung zugutegekommen ist.

258    Erstens ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 659/1999 unter „Einzelbeihilfen“ Beihilfen, die nicht aufgrund einer Beihilferegelung gewährt werden, und einzelne anmeldungspflichtige Zuwendungen aufgrund einer Beihilferegelung zu verstehen sind.

259    So ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine Entscheidung der Kommission, mit der das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe festgestellt wird, nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie sich sowohl auf eine Beihilferegelung als auch auf die einzelnen Entscheidungen bezieht, mit denen diese Regelung durchgeführt wird, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Kommission in der Begründung und im verfügenden Teil dieses Beschlusses zu den Beihilfen geäußert hat, die bestimmten Begünstigten einzeln gewährt worden waren, und insoweit festgestellt hat, diese Beihilfen seien als rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. März 2021, Kommission/Fútbol Club Barcelona, C‑362/19 P, EU:C:2021:169, Rn. 70 bis 77).

260    Im vorliegenden Fall geht zum einen aus den Erwägungsgründen 183 und 196 des angefochtenen Beschlusses hervor, dass die Kommission klargestellt hat, dass die Gewährung der Freistellung von der Besteuerung von Nutzungsentgelten für die Empfänger [der fünf Steuervorbescheide, darunter MJN GibCo,] für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2013 eine staatliche Beihilfe darstelle, die auf der Grundlage der in Abschnitt 7 des angefochtenen Beschlusses geprüften Beihilferegelung gewährt worden sei. Denn der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid betraf eine „Beihilferegelung“ im Sinne von Art. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 659/1999 und keine Einzelbeihilfe, da die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten geeignet war, aufgrund der bloßen Nichtaufnahme dieser Einkünfte in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen, das in Gibraltar steuerpflichtig war, allen in einer allgemeinen und abstrakten Weise definierten Unternehmen Gibraltars, die solche Einkünfte erzielten, für unbestimmte Zeit und in unbestimmter Höhe zugutezukommen, ohne dass es näherer Durchführungsmaßnahmen bedurft hätte und ohne dass diese Vorschriften an die Durchführung eines bestimmten Vorhabens gebunden gewesen wären. Zudem ist anzumerken, dass die Steuervorschriften, die es den Gesellschaften, die Einkünfte aus Nutzungsentgelten erzielten, ermöglichten, von der Nichtbesteuerung dieser Einkünfte zu profitieren, in einer Maßnahme allgemeiner Tragweite, nämlich dem ITA 2010 in seiner bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung, enthalten waren.

261    Zum anderen hat die Kommission im 183. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses klargestellt, dass in Bezug auf den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013 bzw. 31. Dezember 2013 der Teil der fünf Steuervorbescheide, der sich auf die Ausnahmeregelung für passive Zinsen und Nutzungsentgelte beziehe, lediglich die Anwendung der zu dieser Zeit geltenden Steuervorschriften bestätigt habe, nämlich dass diese Art von Einkommen nicht in den Anwendungsbereich der Besteuerung in Gibraltar falle. Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Einzelmaßnahmen, mit denen lediglich eine Beihilferegelung umgesetzt wird, die als solche von dem betreffenden Mitgliedstaat bei der Kommission hätte angemeldet werden müssen, bloße Maßnahmen zur Durchführung der allgemeinen Regelung darstellen, die grundsätzlich nicht bei der Kommission angemeldet werden müssen. Eine solche Maßnahme stellt daher keine „Einzelbeihilfe“ im Sinne von Art. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 659/1999 dar.

262    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass im Fall einer Beihilferegelung zwischen einerseits dem Erlass der Regelung und andererseits der Gewährung von Beihilfen auf der Grundlage der Regelung zu unterscheiden ist (vgl. Urteil vom 4. März 2021, Kommission/Fútbol Club Barcelona, C‑362/19 P, EU:C:2021:169, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

263    Im spezifischen Fall einer Beihilferegelung kann sich die Kommission darauf beschränken, die Merkmale der betreffenden Regelung zu untersuchen, um in den Gründen der Entscheidung zu würdigen, ob diese Regelung den Beihilfeempfängern wegen der in ihr vorgesehenen Modalitäten einen Vorteil gegenüber ihren Wettbewerbern sichert und so beschaffen ist, dass sie Unternehmen zugutekommt, die sich am Handel zwischen den Mitgliedstaaten beteiligen. Daher braucht die Kommission in einer Entscheidung über eine solche Regelung keine Analyse der im Einzelfall aufgrund einer solchen Regelung gewährten Beihilfe durchzuführen. Erst im Stadium der Rückforderung der Beihilfen ist es erforderlich, die konkrete Situation jedes einzelnen betroffenen Unternehmens zu untersuchen (Urteile vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission, C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, EU:C:2011:368, Rn. 63, vom 13. Juni 2013, HGA u. a./Kommission, C‑630/11 P bis C‑633/11 P, EU:C:2013:387, Rn. 114, und vom 29. Juli 2019, Azienda Napoletana Mobilità, C‑659/17, EU:C:2019:633, Rn. 27).

264    Daraus folgt, dass die Kommission, um das Vorliegen eines solchen Vorteils festzustellen, im angefochtenen Beschluss nur die „Beihilferegelung“ im Sinne von Art. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 659/1999, wie sie in Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses beschrieben ist, und nicht die auf der Grundlage und in automatischer Anwendung dieser Regelung gewährten „Einzelbeihilfen“ zu prüfen hatte. In diesem Zusammenhang ist entschieden worden, dass es unerheblich ist, dass in der Begründung und im verfügenden Teil des angefochtenen Beschlusses die möglichen Adressaten des angefochtenen Beschlusses direkt benannt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. März 2021, Kommission/Fútbol Club Barcelona, C‑362/19 P, EU:C:2021:169, Rn. 70, 71, 74, 75 und 86).

265    Im Übrigen ist festzustellen, dass der angefochtene Beschluss keine detaillierte Analyse der Situation von MJN GibCo enthielt, in deren Rahmen geprüft worden wäre, ob diesem Unternehmen tatsächlich in Anwendung der in Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses genannten Beihilferegelung ein Vorteil zugeflossen war, sondern dass in seinen Erwägungsgründen 183 und 196 bloß auf die in seinem Abschnitt 7 vorgenommene Analyse verwiesen wurde.

266    Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass, da die Kommission im angefochtenen Beschluss festgestellt hat, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten eine unvereinbare und rechtswidrige Beihilferegelung darstelle, sein Art. 2 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2013 feststellt, dass MJN GibCo nach dieser Regelung eine Einzelbeihilfe gewährt worden sei, und zwar unabhängig davon, ob MJN GibCo in der Begründung des angefochtenen Beschlusses als mögliche Begünstigte der fraglichen Beihilferegelung benannt wurde. Die Frage der Benennung von MJN GibCo und der Klägerinnen als tatsächliche Begünstigte der Beihilferegelung betraf nur das Stadium der Rückforderung der Beihilfe.

267    Folglich ist festzustellen, dass sich Art. 2 des angefochtenen Beschlusses nur auf Beihilfen bezog, die auf der Grundlage der fünf Steuervorbescheide gewährt wurden, und nicht auf Beihilfen, die auf der Grundlage der in Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses beschriebenen Beihilferegelung durchgeführt wurden, und somit nur auf den Zeitraum nach dem 31. Dezember 2013 abzielte.

268    Daher ist das Vorbringen der Klägerinnen, mit dem sie Art. 2 des angefochtenen Beschlusses beanstanden, soweit er Einzelbeihilfen betreffe, die auf der Grundlage des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2013 gewährt worden seien, als nicht stichhaltig zurückzuweisen.

2.      Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 108 Abs. 2 AEUV und gegen Art. 6 der Verordnung Nr. 659/1999 (erster Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist)

269    Mit ihrem ersten Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, werfen die Klägerinnen der Kommission vor, im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens dem sich aus Art. 108 Abs. 2 AEUV und aus Art. 6 der Verordnung Nr. 659/1999 ergebenden Erfordernis nicht genügt zu haben, das in einer Zusammenfassung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen sowie einer vorläufigen Würdigung des Beihilfecharakters der in diesem Beschluss geprüften Maßnahme und Ausführungen über ihre Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Binnenmarkt bestehe. Ein Beschluss zur Einleitung oder Ausweitung des förmlichen Prüfverfahrens müsse es den Betroffenen ermöglichen, am Verfahren sachgerecht teilzunehmen und auf die vorläufigen Schlussfolgerungen der Kommission zu reagieren. Folglich sei die Kommission verpflichtet, den Rahmen ihrer Prüfung hinreichend genau festzulegen, damit das Recht der Beteiligten, Stellung zu nehmen, nicht ausgehöhlt werde, und könne keine endgültige Entscheidung über Fragen erlassen, die im Einleitungsbeschluss nicht behandelt worden seien. Im vorliegenden Fall habe der Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens keine Anhaltspunkte enthalten, die es ihnen ermöglicht hätten, die im angefochtenen Beschluss getroffene Feststellung vorauszusehen, wonach der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid für den Zeitraum nach dem 31. Dezember 2013 eine Einzelbeihilfe darstelle.

270    Erstens machen die Klägerinnen geltend, die Argumentation der Kommission im angefochtenen Beschluss zu den fünf Steuervorbescheiden, u. a. zu dem MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid, beruhe auf einer völlig anderen Grundlage als der, die im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens genannt sei. Die Kommission sei auf die Problematik der Zahlung von Einkünften aus Nutzungsentgelten mittels Strukturen, die auf Unternehmensgruppen mit CV beruhten, sowie auf die Struktur der MJN-Gruppe erstmals im angefochtenen Beschluss eingegangen, und aus dem Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens sei für sie in keinster Weise ableitbar gewesen, dass die Kommission diese Fragen prüfen werde. Die einzigen Bedenken, die die Kommission im Zusammenhang mit der Besteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens geäußert habe, hätten darin bestanden, dass Unternehmen in Gibraltar Steuervorbescheide erteilt worden seien, ohne dass die Steuerbehörden dieses Gebiets geprüft hätten, an welchem Ort sich der Nutzer der Rechte des geistigen Eigentums befunden habe. Da aus ihrem Vorbescheidsantrag klar hervorgegangen sei, dass sich der Nutzer der Rechte des geistigen Eigentums außerhalb von Gibraltar befunden habe, hätten es die Klägerinnen nicht für angebracht gehalten, der Kommission eine Stellungnahme vorzulegen, obwohl der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid im Anhang des Beschlusses zur Ausweitung des Verfahrens aufgeführt gewesen sei.

271    Zweitens geht nach Ansicht der Klägerinnen aus dem Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens nicht klar hervor, dass die Prüfung der Kommission nicht nur auf die Praxis der Steuervorbescheide als Beihilferegelung, sondern auch auf einzelne Steuervorbescheide, unabhängig von der Anwendung dieser Regelung, gerichtet gewesen sei. Der Umstand, dass die Kommission im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens bestimmte Aspekte der Praxis der Steuervorbescheide benannt habe, habe ihr nicht das Recht verliehen, alle Aspekte sämtlicher 165 Steuervorbescheide auf ihre Übereinstimmung mit dem Steuerrecht Gibraltars zu prüfen. Zudem sei nach dem Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens der einzige Grund, weshalb die Kommission die Frage der Besteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten im Rahmen der Strukturen der CV habe prüfen können, die Frage des Ortes der Niederlassung der Nutzer der Rechte des geistigen Eigentums gewesen.

272    Drittens werfen die Klägerinnen der Kommission vor, sie habe nicht angegeben, dass sie ihre Prüfung auf Einzelbeihilfen ausdehnen werde, die möglicherweise nach dem 31. Dezember 2013 gewährt worden seien. Insoweit betonen die Klägerinnen, der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid sei nach diesem Zeitpunkt außer Kraft getreten, da er durch den Steuervorbescheid von 2014 ersetzt worden sei.

273    Viertens werfen die Klägerinnen der Kommission vor, ihre Analyse der Selektivität zwischen dem Erlass des Beschlusses zur Ausweitung des Verfahrens und dem Erlass des angefochtenen Beschlusses geändert zu haben. Im angefochtenen Beschluss habe die Kommission die Empfänger der fünf Steuervorbescheide nicht nur mit multinationalen Unternehmen, sondern auch mit allen anderen in Gibraltar steuerpflichtigen Gesellschaften, einschließlich der zu multinationalen Konzernen gehörenden Gesellschaften, der Empfänger anderer Steuervorbescheide und der nationalen Gesellschaften, verglichen.

274    Nach Ansicht der Klägerinnen wurde ihnen durch diese Unzulänglichkeiten die Möglichkeit genommen, im förmlichen Prüfverfahren insbesondere zum Vorliegen des Steuervorbescheids von 2014, der den von 2012 ersetzt habe, sachdienlich Stellung zu nehmen.

275    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

276    Sie macht im Wesentlichen geltend, der Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens habe ausreichende Angaben zum Gegenstand der Prüfung enthalten und die Einzelbeihilfe in hinreichender Weise definiert, die sich aus dem MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid ergebe.

277    Erstens führt die Kommission aus, im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens sei ausdrücklich auf den MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid Bezug genommen worden, der eine Beschreibung der Struktur des Konzerns enthalten und ausdrücklich auf MJN US, MJ BV und Mead Johnson Nutrition (Asia Pacific) verwiesen habe. MJN GibCo und die Klägerinnen hätten daher notwendigerweise Kenntnis davon erhalten, dass die Kommission ein Prüfverfahren betreffend den MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid eingeleitet habe und dass dieses Verfahren [auch] andere Unternehmen des MJN-Konzerns als MJN GibCo betroffen habe. Zu dem MJN GibCo im Jahr 2014 erteilten Steuervorbescheid hebt die Kommission hervor, dass ihr dieser vom Vereinigten Königreich nicht vorgelegt worden sei und jedenfalls weder im Widerspruch zu dem MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid stehe noch Vorrang vor Letzterem habe, da er die steuerliche Situation eines anderen Unternehmens, nämlich von MJT CV, behandelt habe. Außerdem sei in dem vom Steuerzentrum Gibraltars nach einer umfassenden Kontrolle des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids erstellten Kontrollbericht vom 16. Dezember 2015 bestätigt worden, dass dieser Steuervorbescheid im Jahr 2015 noch immer anwendbar gewesen sei.

278    Zweitens vertritt die Kommission die Ansicht, dass der Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens hinsichtlich der Art und der Quelle der potenziellen Beihilfe, nämlich des großen Ermessens der Steuerbehörden Gibraltars und der möglichen unsachgemäßen Anwendung der Steuervorschriften durch diese Behörden, klar und präzise gewesen sei. Das Ausmaß ihrer Zweifel und der Anwendungsbereich des Prüfverfahrens seien klar aus dem 52. Erwägungsgrund des Beschlusses zur Ausweitung des Verfahrens hervorgegangen. Der Anwendungsbereich dieses Verfahrens sei nicht auf die in den Erwägungsgründen 32 und 53 dieses Beschlusses genannten Beispiele begrenzt gewesen. Die Klägerinnen hätten angesichts des Zwecks des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids keinen Anlass gehabt, daran zu zweifeln, dass sie hinsichtlich der Einkünfte aus Nutzungsentgelten, die MJN GibCo aufgrund ihrer Beteiligung an MJT CV erzielt habe, Bedenken gehabt habe.

279    Drittens macht die Kommission geltend, nichts im angefochtenen Beschluss habe darauf hingedeutet, dass der Gegenstand des förmlichen Prüfverfahrens auf den Zeitraum vor dem Inkrafttreten der Änderungen von 2013 begrenzt gewesen sei.

280    Viertens vertritt sie die Auffassung, dass sich aus dem 68. Erwägungsgrund des Beschlusses zur Ausweitung des Verfahrens klar ergeben habe, dass das förmliche Prüfverfahren nicht nur die sich aus einer wiederkehrenden Praxis ergebende Beihilferegelung, sondern auch die 165 Einzelfälle von Steuervorbescheiden betroffen habe.

281    Fünftens trägt die Kommission als Erwiderung auf das Vorbringen, wonach sie ihre Beurteilung der Selektivität zwischen dem Erlass des Beschlusses zur Ausweitung des Verfahrens und dem Erlass des angefochtenen Beschlusses geändert habe, vor, es stehe ihr frei, ihre Beurteilung zwischen dem Einleitungsbeschluss und dem endgültigen Beschluss weiterzuentwickeln.

282    Im Wesentlichen machen die Klägerinnen mit ihrem ersten Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, geltend, die Kommission habe gegen Art. 108 Abs. 2 AEUV und gegen Art. 6 der Verordnung Nr. 659/1999 sowie gegen ihr Recht auf Beteiligung am förmlichen Prüfverfahren verstoßen, da sie im angefochtenen Beschluss eine andere Analyse des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids als im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens vorgenommen habe. Sie seien daher nicht in der Lage gewesen, im förmlichen Prüfverfahren eine sachdienliche Stellungnahme abzugeben.

283    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission nach Art. 108 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV verpflichtet ist, den Beteiligten eine Frist zur Äußerung zu setzen, wenn sie beschließt, das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen.

284    Nach der Rechtsprechung soll Art. 108 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV die Kommission zum einen verpflichten, dafür Sorge zu tragen, dass alle potenziell Betroffenen unterrichtet werden und Gelegenheit erhalten, ihren Standpunkt geltend zu machen, und sie zum anderen in die Lage versetzen, sich vor Erlass ihrer Entscheidung umfassend über alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte zu unterrichten (Urteil vom 25. Juni 1998, British Airways u. a./Kommission, T‑371/94 und T‑394/94, EU:T:1998:140, Rn. 58).

285    Art. 6 („Förmliches Prüfverfahren“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 sieht vor, dass der Beschluss über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens eine Zusammenfassung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen, eine vorläufige Würdigung des Beihilfecharakters der geplanten Maßnahme durch die Kommission und Ausführungen über ihre Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt enthält und dass der betreffende Mitgliedstaat und die anderen Beteiligten in dieser Entscheidung zu einer Stellungnahme innerhalb einer bestimmten Frist aufgefordert werden.

286    In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung den Beteiligten im Wesentlichen die Rolle von Informationsquellen für die Kommission im Rahmen des nach Art. 108 Abs. 2 AEUV eingeleiteten Verwaltungsverfahrens zuweist. Daraus folgt, dass die Beteiligten keineswegs einen Anspruch auf rechtliches Gehör, wie er denjenigen zusteht, gegen die ein Verfahren eingeleitet worden ist, geltend machen können, sondern lediglich über das Recht verfügen, am Verwaltungsverfahren unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls angemessen beteiligt zu werden (Urteile vom 25. Juni 1998, British Airways u. a./Kommission, T‑371/94 und T‑394/94, EU:T:1998:140, Rn. 59 und 60, sowie vom 30. November 2009, Frankreich und France Télécom/Kommission, T‑427/04 und T‑17/05, EU:T:2009:474, Rn. 147). Insbesondere kann das Recht auf Unterrichtung der Beteiligten nicht bis zu einem allgemeinen Recht gehen, sich zu allen im förmlichen Prüfverfahren aufgeworfenen potenziell wichtigen Punkten zu äußern (Urteil vom 30. November 2009, Frankreich und France Télécom/Kommission, T‑427/04 und T‑17/05, EU:T:2009:474, Rn. 149).

287    Die Kommission kann zwar nicht verpflichtet sein, in ihrer Mitteilung über die Eröffnung des förmlichen Verfahrens eine abschließende Untersuchung der fraglichen Beihilfe vorzulegen; sie muss aber den Rahmen ihrer Prüfung genau genug festlegen, um dem Recht der Beteiligten zur Stellungnahme nicht seinen Sinn zu nehmen (vgl. Urteil vom 12. Juli 2018, Österreich/Kommission, T‑356/15, EU:T:2018:439, Rn. 703 und die dort angeführte Rechtsprechung).

288    Somit muss der Beschluss über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens die Betroffenen in die Lage versetzen, sich in wirksamer Weise an diesem Verfahren zu beteiligen, in dem sie ihre Argumente geltend machen können. Hierfür genügt es, dass die Beteiligten erfahren, welche Überlegungen die Kommission zu der vorläufigen Ansicht veranlasst haben, dass die in Rede stehende Maßnahme eine neue, mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe darstellen könnte (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2018, Ryanair und Airport Marketing Services/Kommission, T‑165/15, EU:T:2018:953, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

289    Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass nicht jede Abweichung zwischen dem Beschluss über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens und der Endentscheidung für sich genommen als Fehler angesehen werden kann, der die Rechtmäßigkeit der Endentscheidung in Frage stellt. Nur bei einer Änderung, die das Wesen der betreffenden Maßnahmen betrifft, wäre die Kommission verpflichtet, die Beteiligten erneut zu informieren (Urteil vom 12. Juli 2018, Österreich/Kommission, T‑356/15, EU:T:2018:439, Rn. 727). Somit muss die Kommission dann, wenn sie nach Erlass des Beschlusses über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens ihre Erwägungen zum Sachverhalt oder dessen rechtliche Würdigung in einem Punkt ändert, der für die Beurteilung des Vorliegens einer Beihilfe oder die Prüfung von deren Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt von entscheidender Bedeutung ist, den Einleitungsbeschluss berichtigen oder erweitern, damit die Beteiligten sachdienliche Erklärungen abgeben können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2019, UPF/Kommission, T‑747/17, EU:T:2019:271, Rn. 77).

290    In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtung der Kommission, den Beteiligten im Stadium des Einleitungsbeschlusses Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, den Charakter einer wesentlichen Formvorschrift hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2008, Kommission/Freistaat Sachsen, C‑334/07, EU:C:2008:709, Rn. 55). Somit führt die Verletzung einer solchen Formvorschrift unabhängig von der Frage, ob diese Verletzung der Partei, die einen solchen Verstoß geltend macht, einen Schaden zugefügt hat oder ob das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, zur Nichtigerklärung des fehlerhaften Rechtsakts (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2006, Le Levant 001 u. a./Kommission, T‑34/02, EU:T:2006:59, Rn. 95 bis 99).

291    Folglich muss die Verpflichtung, das förmliche Prüfverfahren zu berichtigen oder auszuweiten, um den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, auch dann eine wesentliche Formvorschrift darstellen, wenn die Kommission zwischen dem Einleitungsbeschluss und dem Endbeschluss ihre Erwägungen zum Sachverhalt oder dessen rechtliche Würdigung in einem Punkt geändert hat, der für ihre Beurteilung des Vorliegens einer Beihilfe von entscheidender Bedeutung ist und die Natur der in Rede stehenden Maßnahme selbst berührt.

292    In einem solchen Fall werden nämlich durch die Änderung des Standpunkts der Kommission der Gegenstand und die Tragweite des förmlichen Prüfverfahrens geändert. Ließe man der Kommission die Möglichkeit, nach dem Beschluss über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens oder, wie im vorliegenden Fall, nach dem Beschluss zur Ausweitung dieses Einleitungsbeschlusses den Gegenstand dieses Verfahrens sowie die wesentlichen Gesichtspunkte, auf deren Grundlage sie zu der Auffassung gelangt ist, dass die geprüfte Maßnahme möglicherweise eine Beihilfe darstellen könnte, zu ändern, ohne eine Berichtigungsentscheidung zu erlassen, würden die Beteiligten dadurch ihrer Möglichkeit beraubt, zum geänderten Gegenstand des förmlichen Prüfverfahrens Stellung zu nehmen. Das nähme der Verpflichtung der Kommission ihre Wirkung, den Rahmen ihrer Prüfung genau genug festzulegen, damit sich die Beteiligten in wirksamer Weise an diesem Verfahren beteiligen können, wenn sie ihre Stellungnahme abgeben. Wie oben in Rn. 290 dargelegt, hat diese Verpflichtung den Charakter einer wesentlichen Formvorschrift.

293    Diese Beurteilung wird durch das Urteil vom 11. März 2020, Kommission/Gmina Miasto Gdynia und Port Lotniczy Gdynia Kosakowo (C‑56/18 P, EU:C:2020:192, Rn. 76 bis 82), nicht in Frage gestellt, in dem der Gerichtshof dem Gericht vorgeworfen hat, dadurch einen Rechtsfehler begangen zu haben, dass es feststellte, dass das Recht der Beteiligten, Stellungnahmen vorzulegen, den Charakter einer wesentlichen Formvorschrift habe, ohne nachzuweisen, dass das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Aus den Rn. 78 bis 82 dieses Urteils geht hervor, dass die Feststellung dieses Fehlers aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falls gerechtfertigt war. In diesem Fall waren die Beteiligten zwar nicht aufgefordert worden, nach Erlass des Einleitungsbeschlusses eine Stellungnahme zur Auswirkung einer Änderung der rechtlichen Regelung abzugeben, dieser Umstand hatte jedoch nicht den Charakter einer wesentlichen Formvorschrift, da diese Änderung nicht geeignet war, den Inhalt dieser Entscheidung zu verändern.

294    Überdies können zwar, wie aus Rn. 85 des Urteils vom 11. März 2020, Kommission/Gmina Miasto Gdynia und Port Lotniczy Gdynia Kosakowo (C‑56/18 P, EU:C:2020:192), hervorgeht, wesentliche Änderungen einer Rechtsgrundlage, auf die ein Beschluss der Kommission gestützt ist, diesen Beschluss beeinflussen, doch war dies in jenem Fall nicht der Fall, da der fragliche Beschluss darüber hinaus auf einer autonomen Rechtsgrundlage beruhte, die keine Änderung erfahren hatte und die ausreichte, um den genannten Beschluss zu tragen. Daraus folgt, dass die oben in Rn. 290 angeführte Rechtsprechung, wonach die Kommission die Beteiligten in die Lage versetzen muss, ihre Stellungnahme abzugeben, wenn sie beschließt, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten, und wonach diese Verpflichtung den Charakter einer wesentlichen Formvorschrift hat, nicht in Frage gestellt wird.

295    Im vorliegenden Fall ist im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Verstoßes gegen Art. 108 Abs. 2 AEUV, gegen Art. 6 der Verordnung Nr. 659/1999 und der Verpflichtung der Kommission, den Beteiligten Gelegenheit zu einer sachdienlichen Stellungnahme zu geben, zu untersuchen, ob die im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens enthaltene Analyse die maßgeblichen Gesichtspunkte enthielt, auf die die Kommission im angefochtenen Beschluss ihre Beurteilung gestützt hat, dass der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid nach dem 31. Dezember 2013 eine von der Regierung von Gibraltar gewährte Einzelbeihilfe darstelle, und ob sie es ermöglichte, die Natur der Maßnahme festzustellen, die Gegenstand von Art. 2 des angefochtenen Beschlusses ist.

296    Zu diesem Zweck sind zunächst die maßgeblichen Gesichtspunkte der Argumentation zu prüfen, die die Kommission dazu veranlasst haben, in Art. 2 des angefochtenen Beschlusses insbesondere festzustellen, dass die Wirkungen des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids nach dem 31. Dezember 2013 eine Einzelbeihilfe darstellten.

297    Erstens ist darauf hinzuweisen, dass Art. 2 des angefochtenen Beschlusses auf „[d]ie Einzelbeihilfen, die fünf an niederländischen [CV] … beteiligten gibraltarischen Unternehmen, die Einkünfte aus Nutzungsentgelten und passiven Zinsen erzielen, von der Regierung Gibraltars auf der Grundlage der … [fünf] Steuervorbescheide … gewährt und die rechtswidrig unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV vom Vereinigten Königreich durchgeführt wurden, … im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar [sind]“, abzielte. Zudem heißt es in Abschnitt 12 („Schlussfolgerung“) und genauer gesagt im 246. Erwägungsgrund dieses Beschlusses, dass es sich bei der „auf der Grundlage der [fünf] Steuervorbescheide von der Regierung Gibraltars gewährte[n] steuerliche[n] Behandlung zugunsten der fünf an niederländischen [CV] … beteiligten gibraltarischen Unternehmen, die Einkünfte aus Nutzungsentgelten und passiven Zinsen erzielen“, um eine Einzelbeihilfe handele.

298    In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission im 152. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt hat, dass die fünf Steuervorbescheide, darunter der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid, „in Kraft [blieben] und … von den Steuerbehörden weder aufgrund der Änderungen des ITA 2010 im Jahr 2013, mit denen [Einkünfte aus] [passiven] Zinserträge[n] und Nutzungsentgelte[n] steuerpflichtig wurden, noch aufgrund der 2015 durchgeführten Prüfungen zurückgenommen [wurden]“.

299    Ebenso hat die Kommission in den Erwägungsgründen 180, 182 und 184 des angefochtenen Beschlusses erklärt, dass es in der Tat der Fall sei, dass die fünf Vorbescheide und damit der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid zum Zeitpunkt ihrer Erteilung den geltenden Steuervorschriften entsprochen hätten, dass aber seit dem 1. Juli 2013 bzw. dem 1. Januar 2014 Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von Einkommen, das in Gibraltar steuerpflichtig sei, fielen. Somit hätten die Steuerbehörden Gibraltars die Geltungsdauer der Regelung der Nichtbesteuerung der Einkünfte aus passiven Zinsen und Nutzungsentgelten verlängert, indem sie es den Empfängern der fünf Vorbescheide, darunter MJN GibCo, ermöglicht hätten, nach Inkrafttreten der Änderungen des ITA 2010 aus dem Jahr 2013 von den Vorbescheiden zu profitieren. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in Fn. 92 und im 152. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt hat, dass die fünf Steuervorbescheide zumindest bis 2015, als von den Steuerbehörden Gibraltars eine Prüfung durchgeführt worden sei, in Kraft geblieben seien.

300    Hieraus ergibt sich, dass weder der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid als solcher noch sein Erlass, sondern die steuerliche Behandlung, die MJN GibCo von den Steuerbehörden Gibraltars „auf der Grundlage“ dieses Steuervorbescheids, der die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten bestätigte, zuteilwurde, und insbesondere die weitere Anwendung dieses Bescheids nach dem 31. Dezember 2013 eine Einzelbeihilfe darstellten, was die Kommission in der mündlichen Verhandlung in Beantwortung einer Frage des Gerichts bestätigt hat.

301    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission ihre Analyse der fünf Steuervorbescheide und somit des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids auf die in den Vorbescheidsanträgen dargestellte Struktur – die durch das Vorhandensein einer niederländischen CV, die Inhaberin von Rechten des geistigen Eigentums war, und von Kommanditgesellschaftern mit Sitz in Gibraltar, die Anteile an der CV hielten, gekennzeichnet war – sowie auf den transparenten Charakter der niederländischen CV für die Zwecke der Anwendung des ITA 2010 konzentriert hat (Erwägungsgründe 153 bis 159 des angefochtenen Beschlusses). Die Kommission hat insbesondere festgestellt, dass aus den Bemerkungen des Vereinigten Königreichs hervorgehe, dass in Gibraltar in Ermangelung spezifischer Vorschriften im ITA 2010 die Grundsätze des Common Law zur Anwendung kämen und die niederländischen Kommanditgesellschaften als transparente Unternehmen betrachtet würden, so dass der entsprechende Anteil am Einkommen der CV als direkt von den in Gibraltar ansässigen Gesellschaften mit Beteiligung an der CV erhalten gelten müsse (155. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Daraus hat sie in den Erwägungsgründen 161 und 162 des angefochtenen Beschlusses den Schluss gezogen, dass die Anteile aller fünf Gesellschaften mit Sitz in Gibraltar, die Begünstigte der fünf Steuervorbescheide gewesen seien, darunter MJN GibCo, an den von den niederländischen CV erzielten Gewinnen bei der Steuerbemessung für die fünf Unternehmen hätten einbezogen und in Gibraltar besteuert werden müssen.

302    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Argumentation, auf deren Grundlage die Kommission die Ansicht vertreten hat, dass die weitere Anwendung des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids eine Einzelbeihilfe darstelle, im Wesentlichen darauf beruht, dass dieser Steuervorbescheid eine Konzernstruktur mit einer niederländischen CV, nämlich MJT CV, und einem gibraltarischen Gesellschafter, nämlich MJN GibCo, sowie die Frage betraf, ob MJT CV eine steuerlich transparente Einheit war, so dass für die von ihr erzielten Einkünfte aus Nutzungsentgelten MJN GibCo unmittelbar steuerpflichtig war, als ob diese Einkünfte von Letzterer direkt erhalten worden wären. Die Feststellung des Vorliegens eines selektiven Vorteils beruhte auf der Feststellung, dass die Kommanditgesellschafter nach dem Steuerrecht von Gibraltar in seiner ab dem 1. Januar 2014 geltenden Fassung normalerweise in Gibraltar in Höhe ihres Anteils an den Gewinnen der niederländischen CV der Körperschaftsteuer hätten unterliegen müssen.

303    Diese verschiedenen Gesichtspunkte waren daher entscheidend für die Art. 2 des angefochtenen Beschlusses zugrunde liegende Beurteilung der Kommission, wonach die weitere Anwendung des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids nach dem 31. Dezember 2013 den Charakter einer von der Regierung von Gibraltar gewährten Einzelbeihilfe gehabt habe.

304    In Anbetracht der vorstehenden Beurteilungen ist zu prüfen, ob der Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens hinreichende Angaben zur Natur der in Art. 2 des angefochtenen Beschlusses genannten Einzelbeihilfe enthielt, die MJN GibCo nach dem 31. Dezember 2013 durch den MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid gewährt wurde, damit die Kommission diesen Beschluss erlassen konnte, ohne das Recht der Beteiligten auf eine sachdienliche Stellungnahme nach Art. 108 Abs. 2 AEUV und Art. 6 der Verordnung Nr. 659/1999 zu verletzen.

305    Wie die Kommission geltend macht, hat sie zwar im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens den MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid als potenzielle Beihilfemaßnahme benannt. Ebenso hat die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen das förmliche Prüfverfahren nicht auf die Analyse der Praxis der Steuervorbescheide als mögliche Beihilferegelung beschränkt.

306    Aus den Erwägungsgründen 62 und 69 des Beschlusses zur Ausweitung des Verfahrens und dem Teil „Schlussfolgerungen“ dieses Beschlusses geht klar hervor, dass die Ausweitung des förmlichen Prüfverfahrens nicht nur die Praxis der Steuervorbescheide, sondern auch 165 einzelne Steuervorbescheide betraf, von denen jeder einzelne möglicherweise eine Beihilfemaßnahme darstellen konnte. Da der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid in der Liste der 165 Steuervorbescheide im Anhang des Beschlusses über die Ausweitung des Verfahrens aufgeführt ist, war er als mögliche Einzelbeihilfe Teil des Gegenstands des förmlichen Prüfverfahrens.

307    Es ist jedoch festzustellen, dass die oben in den Rn. 297 bis 303 dargestellten Gesichtspunkte, die die Kommission im angefochtenen Beschluss berücksichtigt hat, um zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass auf der Grundlage des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids eine Einzelbeihilfe gewährt worden sei, von der vorläufigen Bewertung der nach dem 31. Dezember 2013 eingetretenen Wirkungen des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids abweichen, die im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens enthalten ist.

308    Erstens konzentrierte sich die im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens enthaltene Analyse vor allem auf den Erlass der Steuervorbescheide und die fehlende Prüfung, ob die in den Vorbescheidsanträgen enthaltenen Bedingungen tatsächlich erfüllt waren.

309    In den Erwägungsgründen 31, 32 und 53 des Beschlusses zur Ausweitung des Verfahrens hat die Kommission in Bezug auf die 165 im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens geprüften Steuervorbescheide und insbesondere in Bezug auf den MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid erklärt, dass mehrere Vorbescheidsanträge bei den Steuerbehörden Gibraltars Zweifel hinsichtlich der Frage hätten aufkommen lassen müssen, ob die Tätigkeiten tatsächlich von der Steuer befreit seien, da die [Einkünfte aus diesen] Tätigkeiten nicht in Gibraltar erzielt oder bezogen worden seien. Die Kommission hat somit ihre vorläufige Analyse der Steuervorbescheide darauf gestützt, dass die Steuerbehörden Gibraltars bei der Ausübung ihres Ermessens generell von einer wirklichen Prüfung der steuerlichen Verpflichtungen der Unternehmen abgesehen hätten.

310    Diese Feststellung wird im 62. Erwägungsgrund des Beschlusses zur Ausweitung des Verfahrens wiederholt, in dem die Kommission festgestellt hat, dass möglicherweise „bei allen 165 Steuervorbescheiden“ eine staatliche Beihilfe vorliege, da „keiner dieser Bescheide auf hinreichende Angaben gestützt ist, um zu gewährleisten, dass die Höhe der Besteuerung der betreffenden Tätigkeiten der von anderen Unternehmen in einer ähnlichen Situation gezahlten Steuer und den geltenden Steuervorschriften entspricht“.

311    Zweitens hat die Kommission im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens zwar bekräftigt, dass die geprüften Steuervorbescheide über die Nichtbesteuerung passiver Einkünfte, wie sie sich aus der zum Zeitpunkt ihres Erlasses anwendbaren Fassung des ITA 2010 ergeben habe, hinausgegangen seien, doch betrafen die Bedenken der Kommission in Bezug auf Einkünfte aus Nutzungsentgelten im Zusammenhang mit Steuervorbescheiden wie dem MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid lediglich die Tatsache, dass gibraltarischen Unternehmen, die von Unternehmen, die Rechte des geistigen Eigentums nutzten und außerhalb von Gibraltar ihren Sitz hätten, Nutzungsentgelte erhielten, 22 Steuervorbescheide erteilt worden seien, ohne zu prüfen, wo sich der Nutzer des geistigen Eigentums befinde. Nach Ansicht der Kommission führte die „Befreiung“ der Einkünfte aus Nutzungsentgelten ohne eine Prüfung dazu, dass diese Einkünfte nirgends besteuert worden seien.

312    Wie die Kommission in Beantwortung einer Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, enthielt der Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens keine weiteren Anmerkungen zu den Steuervorbescheiden über die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten.

313    Drittens ist festzustellen, dass, obwohl der Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens am 1. Oktober 2014 erlassen wurde, also nach dem Inkrafttreten der Änderungen des ITA 2010 aus dem Jahr 2013 am 1. Januar 2014, und darin ausdrücklich auf diese Änderungen Bezug genommen wird (vgl. insbesondere 32. Erwägungsgrund dieses Beschlusses), aus diesem Beschluss nicht hervorgeht, dass die Analyse der Kommission die weitere Anwendung von Steuervorbescheiden betraf, die die Nichtbesteuerung der Einkünfte aus Nutzungsentgelten nach dem Inkrafttreten der Änderungen des ITA 2010 aus dem Jahr 2013 bestätigten. Darüber hinaus war dem Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens nicht zu entnehmen, dass nach Ansicht der Kommission die Wirkungen des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids nach dem 31. Dezember 2013 aufrechterhalten worden waren.

314    Viertens enthielt der Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens keine Angaben zu den Vorschriften zur Steuertransparenz, zur tatsächlichen Situation der Empfänger der fünf Steuervorbescheide und im Speziellen zu dem MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid oder zum Rückgriff auf Konzernstrukturen, die niederländische CV beinhalteten.

315    Die im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens enthaltene vorläufige Analyse wich daher in allen Punkten von der Argumentation der Kommission im angefochtenen Beschluss ab. Zum einen betraf Letztere eine fehlerhafte Anwendung des ITA 2010 in der nach dem 31. Dezember 2013 geltenden Fassung und nicht die Tatsache, dass die Einkünfte aus Nutzungsentgelten im Zeitraum bis zum 31. Dezember 2013 in keinem Steuergebiet der Steuer unterlagen. Zum anderen ging es bei der im angefochtenen Beschluss festgestellten fehlerhaften Anwendung des ITA 2010 durch die Behörden Gibraltars um die Frage, ob die Einkünfte aus Nutzungsentgelten, die nunmehr in den in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien des Einkommens enthalten waren, das in Gibraltar steuerpflichtig war, aufgrund der steuerlichen Transparenz der Gesellschaft, die sie außerhalb von Gibraltar erzielt hatte, in diesem Gebiet erzielt oder bezogen wurden, und nicht um die Bestimmung des Ortes, an dem der Nutzer des geistigen Eigentums seinen Sitz hatte.

316    Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens enthaltenen tatsächlichen oder rechtlichen Beurteilungen nicht ausreichten, um zu verstehen, dass das förmliche Prüfverfahren nicht nur die Erteilung der Steuervorbescheide betraf, sondern auch die Beibehaltung der Wirkungen mancher dieser Bescheide, u. a. des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids, nach der Änderung des ITA 2010 von 2013 trotz der Aufnahme der Nutzungsentgelte in die in Schedule 1 des ITA 2010 aufgeführten Kategorien von in Gibraltar steuerpflichtigem Einkommen sowie die Übereinstimmung dieser Bescheide mit dem letztgenannten Gesetz in seiner am 1. Januar 2014 geltenden Fassung. Die letztgenannten Gesichtspunkte waren entscheidend für die Bestimmung der Maßnahme, die Gegenstand der Prüfung der Kommission war, und für die Feststellung in Art. 2 des angefochtenen Beschlusses, dass MJN GibCo auf der Grundlage des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids nach dem 31. Dezember 2013 eine Einzelbeihilfe gewährt worden sei.

317    Keines der Argumente der Kommission ist geeignet, diese Feststellung in Frage zu stellen.

318    Erstens reichten die Tatsache, dass im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens der MJN GibCo im Jahr 2012 erteilte Steuervorbescheid als potenzielle Beihilfemaßnahme eingestuft wurde, und der Umstand, dass in den Erwägungsgründen 32 und 53 dieses Beschlusses angeführt wurde, dass die Analyse der verschiedenen Kategorien von Steuervorbescheiden zur Veranschaulichung oder als „Beispiele“ für das den Steuerbehörden Gibraltars vorgeworfene Verhalten erfolgt sei, nicht aus, um davon auszugehen, dass die Kommission ihrer Verpflichtung nach Art. 6 der Verordnung Nr. 659/1999 nachgekommen ist, den Beteiligten Gelegenheit zu einer sachdienlichen Stellungnahme zu geben. Wie aus der oben in den Rn. 287 bis 290 angeführten Rechtsprechung hervorgeht, war die Kommission verpflichtet, mit hinreichender Genauigkeit den Rahmen ihrer Prüfung zu bestimmen, und mussten die Klägerinnen als Beteiligte nicht alle Gründe voraussehen, weshalb die Kommission möglicherweise die Ansicht vertreten könnte, dass eine Einzelbeihilfe ihren Ursprung in der Beibehaltung der Wirkungen des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids nach dem 31. Dezember 2013 hatte.

319    Soweit die Kommission zweitens geltend macht, dass sich aus dem Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens klar ergebe, dass der Gegenstand ihrer Untersuchung das weite Ermessen der Behörden Gibraltars in Bezug auf die laxe und möglicherweise fehlerhafte Anwendung des ITA 2010 gewesen sei, genügt der Hinweis, dass diese Angaben nicht erkennen ließen, dass es beim förmlichen Prüfverfahren um die Beibehaltung der Wirkungen bestimmter Steuervorbescheide, u. a. des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids, nach dem Inkrafttreten der Änderung des ITA 2010 aus dem Jahr 2013 und um die aus der steuerlichen Transparenz niederländischer CV, wie beispielsweise MJT CV, zu ziehenden Konsequenzen ging.

320    Drittens reichte der von der Kommission ins Treffen geführte Umstand, dass der Vorbescheidsantrag von MJN, auf den im Anhang des Beschlusses zur Ausweitung des Verfahrens Bezug genommen wird, die Struktur der MJN-Gruppe beschrieb und auf MJT CV Bezug nahm, nicht aus, um davon auszugehen, dass genau diese Frage sowie die aus der steuerlichen Transparenz der niederländischen CV zu ziehenden Konsequenzen Gegenstand des förmlichen Prüfverfahrens waren. Im Text des Beschlusses zur Ausweitung des Verfahrens deutete nichts darauf hin, dass die Kommission geplant hatte, diese Frage im Rahmen des förmlichen Prüfverfahrens zu prüfen. Wie oben in Rn. 318 dargelegt, mussten die Klägerinnen als Beteiligte nicht alle Gründe voraussehen, weshalb die Kommission die Ansicht hätte vertreten können, dass eine Einzelbeihilfe ihren Ursprung in der Beibehaltung der Wirkungen des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids nach dem 31. Dezember 2013 hatte.

321    Nach alledem sind die Unterschiede zwischen der im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens und der im angefochtenen Beschluss enthaltenen Analyse, soweit sie Gesichtspunkte betreffen, die für die Einstufung der Wirkungen des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids nach dem 31. Dezember 2013 entscheidend sind, so gravierend, dass die Kommission einen Berichtigungsbeschluss oder einen zweiten Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens hätte erlassen müssen, um den Klägerinnen Gelegenheit zu geben, sich in wirksamer Weise an diesem Verfahren zu beteiligen (vgl. oben, Rn. 287 und 289).

322    Im Übrigen ist festzustellen, dass die Kommission in den Erwägungsgründen 212 bis 215 des angefochtenen Beschlusses eingeräumt hat, dass sie die von ihr im Rahmen des Beschlusses zur Ausweitung des Verfahrens vertretene These zur Selektivität der 165 Steuervorbescheide aufgegeben habe. Daher handelt es sich bei den Unterschieden zwischen der im Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens und der im angefochtenen Beschluss enthaltenen Analyse um wesentliche Änderungen, die geeignet sind, den Inhalt des endgültigen Beschlusses zu verändern.

323    Wie aus den Rn. 287 bis 290 oben hervorgeht, reichen die Unterschiede zwischen dem Beschluss zur Ausweitung des Verfahrens und dem angefochtenen Beschluss in Bezug auf Gesichtspunkte, die für die Einstufung der Wirkungen des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids nach dem 31. Dezember 2013 als Einzelbeihilfe entscheidend sind, aus, um zur Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Beschlusses zu führen, was den MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheid sowie die mit dieser Maßnahme in Zusammenhang stehende Rückforderungsanordnung betrifft.

324    Daher ist dem ersten Klagegrund, mit dem die Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Beschlusses begehrt wird, stattzugeben, soweit er die Einzelbeihilfe betrifft, die MJN GibCo und den Klägerinnen auf der Grundlage des MJN GibCo im Jahr 2012 erteilten Steuervorbescheids gewährt wurde, und sind dieser Artikel sowie Art. 5 Abs. 1 und 2 dieses Beschlusses für nichtig zu erklären, soweit sie diese Beihilfe betreffen, ohne dass die übrigen Klagegründe geprüft zu werden brauchen.

D.      Dritter Teil der Klage: Nichtigerklärung von Art. 5 des angefochtenen Beschlusses

325    Im dritten Teil ihrer Klage machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass sie festgestellt habe, dass die niederländische CV, die Gesellschafter und die Muttergesellschaft eine einzige wirtschaftliche Einheit bildeten, und dadurch, dass sie in Art. 5 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses entschieden habe, dass die Beihilfe von den Unternehmen zurückgefordert werden könne, die diese wirtschaftliche Einheit bildeten, falls sie von dem betreffenden Unternehmen in Gibraltar, im vorliegenden Fall von MJN GibCo, nicht zurückgefordert werden könne.

326    Sie werfen der Kommission vor, weder versucht zu haben, nachzuweisen, dass MJN US oder Mead Johnson Nutrition (Asia Pacific) tatsächlich über MJN GibCo eine Kontrolle ausübten, wie dies die Rechtsprechung verlange, noch sich um den Nachweis bemüht zu haben, dass MJN Global Holdings und MJ BV unmittelbar oder mittelbar von der angeblich MJN GibCo gewährten Beihilfe profitiert hätten.

327    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

328    In Anbetracht erstens der Abweisung der Klage, soweit sie auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses sowie die mit dieser Maßnahme in Zusammenhang stehende Rückforderungsanordnung gerichtet ist, zweitens der Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 1 und 2 des angefochtenen Beschlusses, soweit er die MJN GibCo und den Klägerinnen gewährte Einzelbeihilfe betrifft, und drittens der Tatsache, dass Art. 5 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses nur die Rückforderung der in Art. 2 dieses Beschlusses genannten Beihilfe betrifft, sind die vorliegenden Klagegründe, die auf die Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 2 dieses Beschlusses, soweit sie die Klägerinnen betreffen, gerichtet sind, nicht mehr zu prüfen.

IV.    Kosten

329    Nach Art. 134 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt jede Partei ihre eigenen Kosten, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Klägerinnen und die Kommission teilweise unterlegen sind, ist jede Partei zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.

Aus diesen Gründen hat

Das GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss (EU) 2019/700 der Kommission vom 19. Dezember 2018 über die staatliche Beihilfe SA.34914 (2013/C) des Vereinigten Königreichs betreffend das Körperschaftsteuersystem in Gibraltar wird für nichtig erklärt, soweit in Art. 2 festgestellt wird, dass die Einzelbeihilfe, die von der Regierung Gibraltars aufgrund der weiteren Anwendung des MJN Holdings (Gibraltar) Ltd erteilten Steuervorbescheids nach dem 31. Dezember 2013 gewährt worden sei, rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar sei, und soweit in Art. 5 Abs. 1 und 2 die Rückforderung dieser Beihilfe angeordnet wird.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Mead Johnson Nutrition (Asia Pacific) Pte Ltd, MJN Global Holdings BV, Mead Johnson BV, Mead Johnson Nutrition Co. und die Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

Tomljenović

Schalin

Škvařilová-Pelzl

Nõmm

 

      Steinfatt

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. April 2022.

Unterschriften


Inhaltsverzeichnis



*      Verfahrenssprache: Englisch.