Language of document : ECLI:EU:T:2011:403

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS

29. Juli 2011 (*)

„Vorläufiger Rechtsschutz – Wettbewerb – Auskunftsverlangen – Art. 18 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Antrag auf einstweilige Anordnung – Dringlichkeit“

In der Rechtssache T‑293/11 R

Holcim AG mit Sitz in Hamburg (Deutschland),

Holcim Ltd mit Sitz in Rapperswil-Jona (Schweiz),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte P. Niggemann und K. Gaßner,

Antragstellerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer, R. Sauer und C. Hödlmayr als Bevollmächtigte,

Antragsgegnerin,

wegen Aussetzung des Vollzugs des Beschlusses K (2011) 2363 endgültig der Kommission vom 31. März 2011 in einem Verfahren nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates (Sache 39520 – Zement und verwandte Produkte)

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

folgenden

Beschluss

 Sachverhalt und Verfahren

1        Wie aus den Akten hervorgeht, leitete die Kommission im Oktober 2008 gegen die Antragstellerinnen sowie gegen weitere Gesellschaften der Holcim-Gruppe Ermittlungen in Form von Nachprüfungen gemäß Art. 20 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102] [AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1, S. 1) in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein. Im Verlauf der folgenden mehr als zweieinhalb Jahre beantworteten die Antragstellerinnen sodann mehrere auf Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 gestützte Auskunftsverlangen der Kommission.

2        Am 6. Dezember 2010 beschloss die Kommission nach Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 die förmliche Einleitung eines Verfahrens wegen etwaiger wettbewerbswidriger Verhaltensweisen gegen die Antragstellerinnen, einschließlich weiterer in der EU ansässiger Holcim-Gesellschaften, sowie gegen eine Reihe anderer Zementhersteller. Die mutmaßlichen Zuwiderhandlungen bestanden der Kommission zufolge vor allem in Einschränkungen des Handelsverkehrs im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), einschließlich der Beschränkung von Einfuhren in den EWR, in einer Marktaufteilung sowie in Preisabsprachen auf den Märkten für Zement und verwandte Produkte.

3        Am 30. März 2011 erließ die Kommission sodann den Beschluss K (2011) 2363 endgültig in einem Verfahren nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 (Sache 39520 – Zement und verwandte Produkte, im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem sie den Antragstellerinnen aufgab, innerhalb von zwölf Wochen, d. h. bis zum 27. Juni 2011, zahlreiche Daten und Informationen (Fragenkomplexe 1 bis 10) bzw. innerhalb von zwei Wochen Angaben zu Kontakten und Sitzungen (Fragenkomplex 11) zu übermitteln.

4        Zuvor hatte die Kommission am 9. November 2010 den Antragstellerinnen eine Entwurfsversion des angefochtenen Beschlusses zugeleitet und ihnen Gelegenheit gegeben, sich zur Existenz der verlangten Angaben sowie zu eventuellen Schwierigkeiten der Daten- und Informationsbeschaffung zu äußern. Entsprechende Stellungnahmen gab die Holcim AG – im Namen aller betroffenen Gesellschaften der Holcim-Gruppe – am 17. November und 8. Dezember 2010 sowie am 11. Februar 2011 ab, wobei sie den Aufwand zur Ermittlung und Validierung der geforderten Daten und Informationen im Einzelnen darlegte.

5        Nachdem sie am 18. April und 31. Mai 2011 in Beantwortung des Fragenkomplexes 11 Informationen übermittelt hatte, stellte die Holcim AG am 1. Juni 2011 bei der Kommission den Antrag, die Frist zur Beantwortung der übrigen Fragenkomplexe bis zum 17. Oktober 2011 zu verlängern. Mit Schreiben vom 7. Juni 2011 wies die Kommission diesen Antrag zurück, erklärte sich allerdings bereit, eine Fristverlängerung für die Beantwortung einzelner Fragen zu gewähren, sofern jeweils der Bearbeitungsaufwand und der Grund der Verzögerung dargelegt würden. Dahin gehende Verlängerungsanträge wurden von den Antragstellerinnen jedoch nicht gestellt.

6        Mit Klageschrift, die am 9. Juni 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Antragstellerinnen Klage mit dem Ziel erhoben, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären. Zur Begründung machen sie geltend, die Beantwortungsfrist sei zu kurz bemessen. Auch inhaltlich gehe der angefochtene Beschluss über jedes zulässige Maß hinaus. Aufgrund der bestehenden zahlreichen Unklarheiten verstoße der Beschluss zudem gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Im Übrigen sei er nicht ausreichend begründet.

7        Mit besonderem Schriftsatz, der am 21. Juni 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Antragstellerinnen den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, der im Kern darauf abzielt,

–        den Vollzug des angefochtenen Beschlusses bis zur Entscheidung über den Eilantrag gemäß Art. 105 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts, jedenfalls aber bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache auszusetzen;

–        hilfsweise, die in dem angefochtenen Beschluss festgesetzte Frist mindestens bis zum 17. Oktober 2011 zu verlängern;

–        die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens der Hauptsache vorzubehalten.

8        In ihrer schriftlichen Stellungnahme zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, die am 13. Juli 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragt die Kommission,

–        die Anträge auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen;

–        den Antragstellerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

9        Zuvor hatte die Kommission mit Beschluss vom 27. Juni 2011 die Frist zur Beantwortung der Fragenkomplexe 1 bis 10 für die Antragstellerinnen um fünf Wochen bis zum 2. August 2011 verlängert.

10      Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2011 haben die Antragstellerinnen beantragt, ihnen weiteren Sachvortrag zu dem Beschluss vom 27. Juni 2011 zu gestatten. Die mit diesem Beschluss gewährte Fristverlängerung von fünf Wochen beseitige die akute Gefährdung ihrer Rechtsposition nicht; sie sähen sich weiterhin einem Bußgeldrisiko ausgesetzt, das aus der Übermittlung möglicherweise unvollständiger oder irreführender Informationen resultieren könne.

 Gründe

11      Nach Art. 278 AEUV und Art. 279 AEUV in Verbindung mit Art. 256 Abs. 1 AEUV kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der vor dem Gericht angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

12      Gemäß Art. 104 § 2 der Verfahrensordnung müssen Anträge auf einstweilige Anordnungen den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter kann somit die Aussetzung des Vollzugs anordnen und einstweilige Anordnungen treffen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass diese Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht notwendig (Fumus boni iuris) und dringlich in dem Sinne sind, dass es zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, sie bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache zu erlassen und wirksam werden zu lassen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 19. Juli 1995, Kommission/Atlantic Container Line u. a., C‑149/95 P[R], Slg. 1995, I‑2165, Randnr. 22). Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen ist, sofern es an einer von ihnen fehlt (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Oktober 1996, SCK und FNK/Kommission, C‑268/96 P[R], Slg. 1996, I‑4971, Randnr. 30). Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der bestehenden Interessen vor (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 23. Februar 2001, Österreich/Rat, C‑445/00 R, Slg. 2001, I‑1461, Randnr. 73, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 4. April 2002, Technische Glaswerke Ilmenau/Kommission, T‑198/01 R, Slg. 2002, II‑2153, Randnr. 50).

13      Im Übrigen verfügt der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter im Rahmen dieser Gesamtprüfung über ein weites Ermessen; er kann im Einzelfall die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Unionsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt (Beschluss Kommission/Atlantic Container Line u. a., oben in Randnr. 12 angeführt, Randnr. 23, und Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 3. April 2007, Vischim/Kommission, C‑459/06 P[R], nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 25).

14      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass für die von den Organen der Union erlassenen Rechtsakte die Vermutung der Rechtmäßigkeit spricht. Art. 278 AEUV stellt daher den Grundsatz auf, dass Klagen keine aufschiebende Wirkung haben. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter kann daher nur ausnahmsweise die Durchführung der vor dem Gericht angefochtenen Handlung aussetzen oder einstweilige Anordnungen treffen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. Juli 2000, Niederlande/Parlament und Rat, C‑377/98 R, Slg. 2000, I‑6229, Randnr. 44, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 17. Dezember 2009, Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission, T‑396/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 42).

15      Die schriftlichen Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten enthalten alle für die Entscheidung über den Antrag erforderlichen Informationen. Es besteht somit kein Anlass zu einer mündlichen Anhörung.

16      Vorliegend ist zunächst die Dringlichkeit des Erlasses der beantragten einstweiligen Anordnung zu prüfen.

17      Die Antragstellerinnen machen geltend, bei sofortigem Vollzug des angefochtenen Beschlusses drohe ihnen ein schwerer und irreparabler Schaden. Sie seien einem signifikanten Bußgeldrisiko ausgesetzt, da sie die verlangten Daten unmöglich innerhalb der festgesetzten Frist zusammenstellen könnten, weshalb diese Daten sehr wahrscheinlich unvollständig und fehlerhaft seien. Es müsse verhindert werden, dass die Kommission auf der Basis dieser Daten weitere Sachentscheidungen treffe, ohne dass die Antragstellerinnen dies später verhindern könnten. Die Kenntniserlangung der Daten und Informationen durch die Kommission könne auch dann nicht mehr rückgängig gemacht werden, wenn die Antragstellerinnen im Verfahren zur Hauptsache obsiegen sollten, so dass eine Entscheidung in der Hauptsache insoweit wirkungslos wäre. Durch den einstweiligen Rechtsschutz solle aber gerade sichergestellt werden, dass in der Hauptsache effektiver Rechtsschutz gewährt werden könne.

18      Nach Ansicht der Antragstellerinnen beabsichtigt die Kommission offenbar, auf der Basis der fristgerecht eingereichten – unvollständigen, jedenfalls aber nicht validierten – Daten ihre ökonomische und wettbewerbliche Analyse durchzuführen und darauf weitere Sachentscheidungen zu stützen. Unterstelle man eine realistische Verfahrensdauer in der Hauptsache, so bestehe die Gefahr, dass die Kommission ihre Analyse und auch Sachentscheidung bereits getroffen habe, bevor über die Hauptsache entschieden sei. Es sei nicht zu erwarten, dass die Kommission im Fall einer Annullierung des angefochtenen Beschlusses nach mehreren Jahren ihre Analyse vollständig revidiere und anders lautende Entscheidungen treffe. Vielmehr werde aufgrund der Komplexität und Menge der Daten kaum mehr nachvollziehbar sein, mit welchen Daten sie gearbeitet habe und inwieweit ihre in diesem Fall bereits vorgefasste Meinung eine Rolle bei der neuen Entscheidung gespielt habe. Somit trete bereits mit Übermittlung der unvollständigen und nicht validierten Daten ein irreparabler Schaden ein.

19      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die Dringlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach ständiger Rechtsprechung danach beurteilt, ob die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, um zu verhindern, dass dem Antragsteller ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden entsteht. Der Antragsteller ist dafür beweispflichtig, dass er die Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne einen solchen Schaden zu erleiden (vgl. Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 15. November 2001, Duales System Deutschland/Kommission, T‑151/01 R, Slg. 2001, II‑3295, Randnr. 187 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 4. Dezember 2007, Cheminova u. a./Kommission, T‑326/07 R, Slg. 2007, II‑4877, Randnrn. 50 und 51; Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 24. März 2009, Cheminova u. a./Kommission, C‑60/08 P[R], nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 35).

20      Darüber hinaus muss der Eintritt des behaupteten Schadens sicher sein oder zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegt werden, wobei es dem Antragsteller obliegt, die Tatsachen zu beweisen, die die Erwartung eines solchen Schadens begründen sollen. Der Antragsteller hat insoweit konkrete und spezifische Informationen zu liefern, die durch die Vorlage detaillierter Urkundenbeweise gestützt werden müssen. Ein rein hypothetischer Schaden, der vom Eintritt künftiger und ungewisser Ereignisse abhängt, vermag den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Dezember 1999, HFB u. a./Kommission, C‑335/99 P[R], Slg. 1999, I‑8705, Randnr. 67; Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 15. Januar 2001, Le Canne/Kommission, T‑241/00 R, Slg. 2001, II‑37, Randnr. 37, vom 19. Dezember 2001 Government of Gibraltar/Kommission, T‑195/01 R und T‑207/01 R, Slg. 2001, II‑3915, Randnr. 101, und vom 29. Oktober 2009, Novácke chemické závody/Kommission, T‑352/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 55). Vielmehr muss der vom Antragsteller beanstandete Rechtsakt die ausschlaggebende Ursache des geltend gemachten Schadens sein (Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 26. März 2010, SNF/ECHA, T‑1/10 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 66).

21      Was den vorliegenden Fall betrifft, ist zunächst das Vorbringen der Antragstellerinnen zu prüfen, wegen der in dem angefochtenen Beschluss zu kurz bemessenen Antwortfrist könnten sie höchstwahrscheinlich nur unvollständige und fehlerhafte Daten übermitteln, und dies auch nur verspätet. Soweit die Antragstellerinnen befürchten, aus diesem Grund einem signifikanten Sanktionsrisiko ausgesetzt zu sein, genügt die Feststellung, dass der insoweit befürchtete Schaden rein hypothetischer Natur ist.

22      Selbst wenn nicht auszuschließen ist, dass die Antragstellerinnen das Auskunftsverlangen der Kommission fehlerhaft und/oder verspätet beantworten, kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass die Kommission sie deswegen ohne Rücksicht auf die von ihnen für diese Unrichtigkeiten und Verspätungen angeführten Gründe mit einem Zwangsgeld bzw. mit einer Geldbuße belegen wird. In einem vergleichbaren Zusammenhang hat die Kommission nämlich bereits ihre Bereitschaft erkennen lassen, eine Fristverlängerung für die Beantwortung einzelner Fragen zu gewähren (siehe oben, Randnr. 5), und zugesichert, den Antragstellerinnen keine Sanktion wegen Fristüberschreitung aufzuerlegen, wenn sie ihre Antworten mit einer höchstens vierwöchigen Verspätung übermittelten (E-Mail vom 3. Mai 2011).

23      Im Übrigen könnten derartige Sanktionen nur durch Beschluss gemäß Art. 23 bzw. Art. 24 der Verordnung Nr. 1/2003 verhängt werden. Es stünde den Antragstellerinnen frei, hiergegen den Rechtsweg beschreiten und im Rahmen einer Nichtigkeitsklage sowie gegebenenfalls eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz die Rechtswidrigkeit der ihnen auferlegten Sanktionen unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit des Auskunftsverlangens geltend zu machen. Die Behauptung, bei sofortigem Vollzug des angefochtenen Beschlusses drohe den Antragstellerinnen ein schweres und irreparables Bußgeldrisiko, ist daher im gegenwärtigen Verfahrensstadium als verfrüht zurückzuweisen.

24      Schließlich hätte das geltend gemachte Sanktionsrisiko, falls es sich tatsächlich realisieren sollte, für die Antragstellerinnen einen rein finanziellen Schaden zur Folge. Nach gefestigter Rechtsprechung wird ein finanzieller Schaden jedoch grundsätzlich nur dann als schwer und irreparabel angesehen, wenn er im Fall eines Obsiegens des Antragstellers im Verfahren zur Hauptsache deshalb nicht vollständig ersetzt werden könnte, weil er die Existenz des Antragstellers bedrohen würde oder nicht quantifizierbar wäre (Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 21. März 1997, Antillean Rice Mills/Rat, T‑41/97 R, Slg. 1997, II‑447, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zu diesen Aspekten des angeblichen Sanktionsrisikos haben sich die Antragstellerinnen nicht geäußert, so dass auch insoweit nicht von einem schweren und irreparablen Schaden die Rede sein kann.

25      Soweit die Antragstellerinnen befürchten, die Kommission könnte ihre Analyse auf von ihnen eingereichte unvollständige und fehlerhafte Daten stützen und auf dieser Basis weitere Sachentscheidungen treffen, die wegen der Fülle und Komplexität dieser Daten später – auch nach Annullierung des angefochtenen Beschlusses – nicht mehr zu revidieren wären, genügt der Hinweis, dass die Kommission im Fall einer Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses durch das Gericht daran gehindert wäre, Unterlagen oder Beweisstücke, die sie sich aufgrund des streitigen Auskunftsverlangens verschafft hat, in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen die Art. 101 AEUV und 102 AEUV zu verwenden, weil sie sonst Gefahr liefe, dass ihre Entscheidung über einen Wettbewerbsverstoß vom Gericht für nichtig erklärt würde, soweit sie auf derartige Beweismittel gestützt wäre. Wenn der angefochtene Beschluss also für rechtswidrig erklärt würde, wäre die Kommission gezwungen, die von dieser Rechtswidrigkeit betroffenen Schriftstücke aus ihren Akten zu entfernen, so dass es ihr unmöglich wäre, sie als Beweiselemente zu verwenden (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 27. September 2004, Kommission/Akzo und Akros, C‑7/04 P[R], Slg. 2004, I‑8739, Randnrn. 37 und 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Unter diesen Umständen hat die Möglichkeit, dass die Kommission in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen die Art. 101 AEUV und 102 AEUV zu Unrecht angeforderte und erlangte Schriftstücke rechtswidrig verwenden könnte, nur theoretischen Charakter und ist jedenfalls wenig wahrscheinlich (vgl. in diesem Sinne Beschluss Kommission/Akzo und Akros, Randnr. 40). Die bloße Behauptung der Antragstellerinnen, ein Verstoß der Kommission gegen dieses Verwertungsverbot sei nicht auszuschließen, kann jedenfalls den Erlass der beantragten Eilmaßnahmen nicht rechtfertigen.

27      Diesem Ergebnis können die Antragstellerinnen nicht mit Erfolg entgegenhalten, wegen der Komplexität und Menge der in Rede stehenden Daten sei es praktisch unmöglich, im Nachhinein festzustellen, ob die Kommission im Rahmen eines gegen die Antragstellerinnen eingeleiteten Wettbewerbsverfahrens rechtmäßig oder unrechtmäßig erlangte Informationen benutze. Auch diese Argumentation ist als rein hypothetisch anzusehen, da die Antragstellerinnen nicht dargetan haben, dass es, falls die Kommission Maßnahmen ergreifen sollte, zu denen sie durch rechtswidrig erlangte Informationen angeregt worden ist, tatsächlich objektiv unmöglich wäre, das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen diesen Informationen und den getroffenen Maßnahmen aufzuzeigen (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 30. Oktober 2003, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission, T‑125/03 R und T‑253/03 R, Slg. 2003, II‑4771, Randnr. 174).

28      Die Antragstellerinnen haben sich insoweit darauf beschränkt, geltend zu machen, die in Rede stehenden Daten seien „sehr wahrscheinlich unvollständig und fehlerhaft“, die Kommission „beabsichtige offenbar“, darauf ihre Analyse sowie weitere Sachentscheidungen zu stützen, es sei „nicht zu erwarten“, dass die Kommission ihre Analyse und „bereits vorgefasste Meinung“ revidiere, sondern es werde „kaum mehr nachvollziehbar“ sein, mit welchen Daten die Kommission gearbeitet habe. Hierbei handelt es sich um bloße Behauptungen und Spekulationen, die durch nichts belegt sind. Dieses unbewiesene Vorbringen, das zudem von der Kommission bestritten wird, gestattet es dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter nicht, den Vollzug des angefochtenen Beschlusses ausnahmsweise aussetzen (siehe oben, Randnr. 14).

29      Hingegen haben die Antragstellerinnen nichts dazu vorgetragen, geschweige denn dargetan, weshalb es etwa einem sachverständigen Wirtschaftswissenschaftler offensichtlich unmöglich sein sollte, mit Hilfe von Modellversuchen auf der Grundlage eines geeigneten Datensatzes zu überprüfen, ob die Kommission in einem gegen sie gerichteten Wettbewerbsverfahren tatsächlich unrechtmäßig erlangte Daten verwendet hat. Sie haben ebenso wenig dargelegt, aus welchen Gründen sie nicht in der Lage sein sollten, sich in einem solchen Verfahren unter Verwendung eines von allen unrechtmäßig verlangten Daten bereinigten Datensatzes sachgerecht zu verteidigen.

30      Auch der insoweit behauptete Schaden bleibt somit hypothetisch und kann daher nicht den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung rechtfertigen.

31      Da nach alledem weder das geltend gemachte Bußgeldrisiko noch die befürchtete Übermittlung unvollständiger oder irreführender Informationen geeignet ist, die von den Antragstellerinnen behauptete Dringlichkeit zu begründen, ist ihrem Antrag, ihnen weiteren Sachvortrag zu dem Beschluss vom 27. Juni 2011 zu gestatten (siehe oben, Randnr. 10), nicht stattzugeben.

32      Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist somit mangels Dringlichkeit zurückzuweisen, ohne dass das Vorbringen zum Fumus boni iuris geprüft oder eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der Verfahrensbeteiligten vorgenommen zu werden braucht.

Aus diesen Gründen hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1.     Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2.     Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 29. Juli 2011.

Der Kanzler

 

       Der Präsident

E. Coulon

 

       M. Jaeger


* Verfahrenssprache: Deutsch.