Urteil des Gerichts (Vierte erweiterte Kammer) vom 30. März 2022 – Air France/Kommission
(Rechtssache T‑338/17)(1)
„Wettbewerb – Kartelle – Luftfrachtmarkt – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV, Art. 53 des EWR-Abkommens und Art. 8 des Abkommens zwischen der Gemeinschaft und der Schweiz über den Luftverkehr festgestellt wird – Abstimmung von Preisbestandteilen für Luftfrachtdienste (Treibstoffaufschlag, Sicherheitsaufschlag, Zahlung einer Provision auf die Aufschläge) – Austausch von Informationen – Räumliche Zuständigkeit der Kommission – Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – Voraussetzungen für die Gewährung der Immunität – Gleichbehandlung – Begründungspflicht – Höhe der Geldbuße – Umsatz – Schwere der Zuwiderhandlung – Dauer der Beteiligung an der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Ermutigung zu wettbewerbswidrigem Verhalten durch Behörden – Verhältnismäßigkeit – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung“
1. Wettbewerb – Verkehr – Wettbewerbsregeln – Luftverkehr – Verordnung Nr. 411/2004 – Anwendungsbereich – Strecken zwischen der Union und Drittländern und Strecken zwischen dem EWR (ohne die Union) und Drittländern – Luftfrachtdienste auf ankommenden Strecken – Einbeziehung
(Art. 101 und 102 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53 und 54 sowie Anhang XIII und Protokoll 21 in der durch den Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 40/2005 geänderten Fassung; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 32 Buchst. c und Verordnung Nr. 411/2004 des Rates, Art. 1 und 3)
(vgl. Rn. 79-94)
2. Wettbewerb – Regeln der Union – Räumlicher Geltungsbereich – Zuständigkeit der Kommission – Zulässigkeit im Hinblick auf das Völkerrecht – Durchführung oder qualifizierte Auswirkungen der missbräuchlichen Verhaltensweisen im EWR – Alternative Möglichkeiten – Kriterium der unmittelbaren, wesentlichen und vorhersehbaren Wirkung – Bedeutung im Fall von Verhaltensweisen, die die Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken
(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53)
(vgl. Rn. 96-98, 113, 115-124, 135-137, 153-155, 164-171)
3. Nichtigkeitsklage – Gründe – Unzuständigkeit des Organs, das Urheber der angefochtenen Handlung ist – Prüfung durch die Unionsgerichte von Amts wegen – Voraussetzung – Beachtung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens
(Art. 263 AEUV)
(vgl. Rn. 184, 185)
4. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Beschluss der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Verwendung von Angaben und Beweisen, die von einem Unternehmen in einem Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung vorgelegt wurden – Zulässigkeit unabhängig vom Schicksal des Antrags auf Anwendung der Kronzeugenregelung
(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission, Ziff. 11 Buchst. b und Ziff. 33 sowie Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 31 und 37)
(vgl. Rn. 214-226)
5. Wettbewerb – Geldbußen – Beurteilung anhand des individuellen Verhaltens des Unternehmens – Auswirkung des Fehlens einer Sanktion gegen einen anderen Wirtschaftsteilnehmer – Fehlen – Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, die mit der Einhaltung des Gebots rechtmäßigen Handelns vereinbar sein muss – Umfang der Begründungspflicht
(Art. 101 und 296 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 20)
(vgl. Rn. 235, 239, 240, 245-249)
6. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Ermittlung des Umsatzes – Umsätze, die mit der Zuwiderhandlung in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehen – Kartell im Sektor der Luftfrachtdienste – Kartell, das mehrere Bestandteile der Preise für Frachtdienstleistungen umfasst – Berücksichtigung des Gesamtumsatzes aus Frachtdienstleistungen – Zulässigkeit – Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen – Fehlen
(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 6 und 13)
(vgl. Rn. 289-296, 298-309, 311-318)
7. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Ermittlung des Umsatzes – Berücksichtigung nur des Werts der Verkäufe, die im unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit dem Verstoß im relevanten räumlichen Markt stehen – Umsätze, die innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums erzielt wurden – Kartell im Sektor der Luftfrachtdienste – Berücksichtigung der Umsätze aus eingehenden Frachtdienstleistungen – Zulässigkeit
(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 13)
(vgl. Rn. 327-339)
8. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Schwere der Zuwiderhandlung – Beurteilungskriterien – Art der Zuwiderhandlung – Horizontale Preisabsprache – Einer solchen Zuwiderhandlung inhärente Schwere, die die Anwendung eines hohen Schwerekoeffizienten rechtfertigt
(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 19 bis 23)
(vgl. Rn. 358-363)
9. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Beschluss der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung und ihre Dauer – Umfang der Beweislast – Beweis einer Unterbrechung der Zuwiderhandlung
(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 2 und Art. 23 Abs. 2 und 3)
(vgl. Rn. 421-434)
10. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anpassung des Grundbetrags – Mildernde Umstände – Angeblich erzwungene Beteiligung – Umfang der Begründungspflicht, die der Kommission obliegt
(Art. 101 Abs. 1 und Art. 296 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29)
(vgl. Rn. 440, 441, 451-463)
11. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Gerichtliche Nachprüfung – Befugnis der Unionsgerichte zu unbeschränkter Nachprüfung – Umfang – Grenze – Beachtung des Diskriminierungsverbots – Berücksichtigung der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen
(Art. 261 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 31; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission)
(vgl. Rn. 473-479)
Tenor
1. | | Die Klage wird abgewiesen. |
2. | | Die Europäische Kommission trägt ein Drittel ihrer Kosten. |
3. | | Société Air France trägt ihre eigenen Kosten sowie zwei Drittel der Kosten der Kommission. |