Language of document : ECLI:EU:C:2018:533

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

5. Juli 2018(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Art. 5 Nr. 3 – Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist – Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist – Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs und Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens – Klage auf Ersatz des angeblich durch in verschiedenen Mitgliedstaaten begangene wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verursachten Schadens – Art. 5 Nr. 5 – Betrieb einer Zweigniederlassung – Begriff“

In der Rechtssache C‑27/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauen) mit Entscheidung vom 12. Januar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Januar 2017, in dem Verfahren

ABflyLAL-Lithuanian Airlines“ in Liquidation,

gegen

„Starptautiskā lidosta ‚Rīga‘“ VAS,

„Air Baltic Corporation“ AS,

Beteiligte:

„ŽIA Valda“ AB,

„VA Reals“ AB,

Lietuvos Respublikos konkurencijos taryba,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Rosas, der Richterinnen C. Toader (Berichterstatterin) und A. Prechal sowie des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“, vertreten durch R. Audzevičius, advokatas,

–        der „Starptautiskā lidosta ‚Rīga‘“ VAS, vertreten durch R. Simaitis und M. Inta, advokatai, sowie S. Novicka, advokatė,

–        der „Air Baltic Corporation“ AS, vertreten durch R. Zaščiurinskaitė, D. Pāvila und D. Bublienė, advokatės, sowie I. Norkus und G. Kaminskas, advokatai,

–        der „ŽIA Valda“ AB und der „VA Reals“ AB, vertreten durch P. Docka, advokatas,

–        der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriaučiūnas und R. Dzikovič als Bevollmächtigte,

–        der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina und J. Davidoviča als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin, G. Meessen und A. Steiblytė als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Februar 2018

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nrn. 3 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“ (im Folgenden: flyLAL), einer Gesellschaft litauischen Rechts in Liquidation, sowie den Streithelferinnen „ŽIA Valda“ AB und „VA Reals“ AB auf der einen, und zwei Gesellschaften lettischen Rechts, nämlich der „Starptautiskā lidosta ‚Rīga‘“ VAS (im Folgenden: Flughafen Riga) und der „Air Baltic Corporation“ AS (im Folgenden: Air Baltic) auf der anderen Seite, der darauf abzielt, angeblich wettbewerbswidrige Verhaltensweisen von Flughafen Riga und Air Baltic für mit den Art. 101 und 102 AEUV unvereinbar erklären und sie den daraus resultierenden Schaden ersetzen zu lassen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Brüsseler Übereinkommen

3        Art. 5 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) bestimmt:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:

3.      wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist;

5.      wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befindet.“

 Verordnung Nr. 44/2001

4        In den Erwägungsgründen 11, 12 und 15 der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es:

„(11)Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(12)      Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.

(15)      Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. …“

5        Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung, der den Gerichten des Staates, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, eine allgemeine Zuständigkeit zuweist, lautet:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

6        Art. 5 dieser Verordnung sieht vor:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

3.      wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;

5.      wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befindet;

…“

 Litauisches Recht

7        Nach Art. 782 des Civilinio proceso kodeksas (Zivilprozessordnung) hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob das bei ihm anhängige Verfahren in die Zuständigkeit der litauischen Gerichte fällt.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8        Die litauische Fluggesellschaft flyLAL führte insbesondere Flüge vom oder zum Flughafen Vilnius (Litauen) durch.

9        Im Jahr 2004 begann die lettische Fluggesellschaft Air Baltic mit der Durchführung von Flügen von und zu eben diesem Flughafen, wobei ein Teil der Flüge dieselben Ziele hatte wie die von flyLAL.

10      Nach finanziellen Verlusten ging flyLAL in Liquidation.

11      flyLAL, die der Auffassung war, dass Air Baltic sie vom Markt verdrängt habe, indem sie auf bestimmten Flugverbindungen vom und zum Flughafen Vilnius Kampfpreise angeboten habe, die durch einen Air Baltic eingeräumten Preisnachlass für Flughafendienste am Flughafen Riga (Lettland) finanziert worden seien, erhob am 22. August 2008 Klage beim Vilniaus apygardos teismas (Regionalgericht Vilnius, Litauen) gegen Air Baltic und Flughafen Riga, mit der sie Ersatz für die angeblich durch wettbewerbswidriges Verhalten der beklagten Gesellschaften verursachten Schäden in Höhe von 57 874 768,30 Euro begehrte. flyLAL machte ferner geltend, dass, nachdem sie vom Markt verdrängt worden sei, Air Baltic die Mehrheit der Flüge vom und zum Flughafen Vilnius auf den internationalen Flughafen Riga verlegt habe. ŽIA Valda und VA Reals, Anteilseigner von flyLAL, traten dem Ausgangsverfahren als Streithelferinnen der flyLAL bei.

12      Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, hatte der Latvijas Republikas Konkurences padome tarybos (Wettbewerbsrat der Republik Lettland) im Rahmen eines gesonderten Verfahrens mit Entscheidung vom 22. November 2006 festgestellt, dass die vom Flughafen Riga ab dem 1. November 2004 praktizierte Nachlassregelung, die Nachlässe von bis zu 80 % für Flugzeugstarts und ‑landungen sowie Sicherheitsdienste vorgesehen habe, gegen Art. 82 Abs. 2 Buchst. c EG, jetzt Art. 102 Abs. 2 Buchst. c AEUV, verstoße, und ihm die weitere Anwendung der Regelung untersagt. Zwei Fluggesellschaften, eine davon Air Baltic, hatten von dieser Regelung profitiert.

13      Mit Urteil vom 27. Januar 2016 gab der Vilniaus apygardos teismas (Regionalgericht Vilnius) der Klage von flyLAL zum Teil statt und verurteilte Air Baltic, Schadensersatz in Höhe von 16 121 094 Euro nebst Zinsen auf diesen Betrag in Höhe von 6 % p. a. an flyLAL zu zahlen. Dagegen wies er die Klage von flyLAL ab, soweit sie gegen Flughafen Riga gerichtet war, und die von ŽIA Valda und VA Reals geltend gemachten Ansprüche zurück.

14      Da Flughafen Riga und Air Baltic vor dem Vilniaus apygardos teismas (Regionalgericht Vilnius) eingewendet hatten, dass litauische Gerichte für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit international unzuständig seien, wies dieses Gericht in dem Urteil zunächst darauf hin, dass darüber bereits vom Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauen) mit Urteil vom 31. Dezember 2008 entschieden worden sei.

15      In diesem Urteil habe der Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauen), der die Klagen von Flughafen Riga und Air Baltic gegen einen Beschluss des Vilniaus apygardos teismas (Regionalgericht Vilnius) vom 25. September 2008, der als einstweilige und sichernde Maßnahmen die Beschlagnahme der beweglichen und/oder unbeweglichen Vermögenswerte sowie der Eigentumsrechte von Air Baltic und Flughafen Riga angeordnet hatte, abgewiesen hatte, ferner festgestellt, dass die litauischen Gerichte gemäß Art. 5 Nrn. 3 und 5 der Verordnung Nr. 44/2001 für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit zuständig seien. Dieses Urteil war Gegenstand eines Antrags auf Anerkennung und Vollstreckung in Lettland vor dem Augstākās tiesas Senāts (Senat des Obersten Gerichtshofs, Lettland), den dieses Gericht zum Anlass nahm, dem Gerichtshof die Vorabentscheidungsfrage vorzulegen, zu der das Urteil vom 23. Oktober 2014, flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑302/13, EU:C:2014:2319), ergangen ist.

16      Der Vilniaus apygardos teismas (Regionalgericht Vilnius) stellte sodann fest, die litauischen Gerichte seien nach Art. 5 Nrn. 3 und 5 der Verordnung Nr. 44/2001 zuständig, weil zum einen die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, die den Schaden der flyLAL verursacht hätten, insbesondere die Anwendung von Kampfpreisen, die Koordinierung der Flugpläne, unerlaubte Werbung, Einstellung von Direktflügen und Umleitung der Passagierströme zum internationalen Flughafen Riga, in Litauen stattgefunden hätten und Air Baltic zum anderen in Litauen über ihre Zweigniederlassung tätig sei.

17      flyLAL, Flughafen Riga und Air Baltic sowie ŽIA Valda und VA Reals legten gegen das Urteil des Vilniaus apygardos teismas (Regionalgericht Vilnius) vom 27. Januar 2016 beim vorlegenden Gericht, also dem Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauen), Berufung ein.

18      Dieser weist darauf hin, dass nach dem Urteil vom 23. Oktober 2014, flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑302/13, EU:C:2014:2319), der Ausgangsrechtsstreit zivil- und handelsrechtlicher Art sei und in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 falle. Er habe jedoch Zweifel bezüglich der Auslegung von Art. 5 Nrn. 3 und 5 der Verordnung Nr. 44/2001. Seine Verpflichtung zur Prüfung seiner Zuständigkeit in diesem Verfahrensstadium ergebe sich aus Art. 782 der Zivilprozessordnung.

19      Zur in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 enthaltenen Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ vertritt das vorlegende Gericht, nachdem es auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hingewiesen hat, wonach mit dieser Wendung sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens gemeint ist, die Auffassung, dass erstens die Bestimmung des Ortes des ursächlichen Geschehens nicht unproblematisch sei, da im vorliegenden Fall Handlungen, die zusammen oder einzeln einen Schaden hätten herbeiführen können, in verschiedenen Mitgliedstaaten, nämlich in Litauen und in Lettland, begangen worden seien.

20      Unstreitig sei, dass Air Baltic von einem Nachlass von 80 % auf die Preise für Dienste des Flughafens Riga profitiert habe. Diese Nachlassregelung sei Gegenstand der Entscheidung des Wettbewerbsrats der Republik Lettland vom 22. November 2006 gewesen, mit der ein Verstoß gegen Art. 82 Abs. 2 Buchst. c EG, jetzt Art. 102 Abs. 2 Buchst. c AEUV, festgestellt worden sei. Nach Auffassung der Beklagten des Ausgangsverfahrens hätten diese Nachlässe auf Rechtsakten der lettischen Behörden beruht, und ihre Durchführung sei ausschließlich in Lettland erfolgt, insbesondere durch die Anwendung dieser Nachlässe, die Erbringung von Diensten am Flughafen Riga sowie den von Air Baltic gezogenen Vorteil. Dagegen mache flyLAL geltend, dass diese Nachlassregelung, die einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstelle, auf einer gegen Art. 81 EG, jetzt Art. 101 AEUV, verstoßenden wettbewerbswidrigen Vereinbarung zwischen den Beklagten des Ausgangsverfahrens beruhe. Dank der finanziellen Vorteile aus dieser Vereinbarung und der Quersubventionen sei Air Baltic in der Lage gewesen, wettbewerbswidrige Handlungen am Flughafen Vilnius vorzunehmen, u. a. die Anwendung von Kampfpreisen und Maßnahmen im Zusammenhang mit der Koordinierung der Flugpläne, unerlaubter Werbung und der Einstellung von Flügen, nachdem sich flyLAL aus dem fraglichen Markt zurückgezogen habe. Somit sei der geltend gemachte Schaden in Litauen entstanden.

21      Was zweitens den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs betrifft, stellt das vorlegende Gericht fest, dass der flyLAL angeblich entstandene Schaden in entgangenen Einnahmen in den Jahren 2004 bis 2008 auf dem Markt der Flüge vom und zum Flughafen Vilnius bestehe. Insoweit sei zu fragen, wie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu ausschließlich in finanziellen Einbußen bestehenden Schäden, illustriert durch die Urteile vom 19. September 1995, Marinari (C‑364/93, EU:C:1995:289), vom 10. Juni 2004, Kronhofer (C‑168/02, EU:C:2004:364), und vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding (C‑12/15, EU:C:2016:449), dieser Schaden einzuordnen und an welchem Ort er eingetreten sei.

22      Drittens stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, wie die Wendung „Betrieb einer Zweigniederlassung“ im Sinne von Art. 5 Nr. 5 der Verordnung Nr. 44/2001 auszulegen sei.

23      Es hat insoweit keine Zweifel daran, dass die Zweigniederlassung von Air Baltic in Litauen, deren Tätigkeit in der internationalen Beförderung von Passagieren, Fracht und Postsendungen auf dem Luftweg besteht, die von der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, um als „Zweigniederlassung“ im Sinne der genannten Vorschrift eingestuft zu werden. Aus der Satzung dieser Zweigniederlassung gehe hervor, dass sie berechtigt sei, die Preise für die Flüge von Air Baltic vom und zum Flughafen Vilnius festzusetzen. Es lägen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Zweigniederlassung diese Preise tatsächlich festgesetzt habe.

24      Das vorlegende Gericht fragt sich deshalb, ob die Tätigkeit der Zweigniederlassung von Air Baltic in Litauen die Anwendung von Art. 5 Nr. 5 der Verordnung Nr. 44/2001 rechtfertigen könnte.

25      Vor diesem Hintergrund hat der Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht, Litauen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist unter den Umständen des vorliegenden Falls die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 so zu verstehen, dass damit der Ort des Abschlusses der gegen Art. 82 Abs. 2 Buchst. c EG (jetzt Art. 102 Abs. 2 Buchst. c AEUV) verstoßenden verbotenen Vereinbarung der Beklagten gemeint ist oder der Ort der Begehung der Handlungen, mittels deren der aus dieser Vereinbarung erlangte finanzielle Vorteil durch Kampfpreise (Quersubventionierung) im Wettbewerb mit der Klägerin auf denselben relevanten Märkten genutzt wurde?

2.      Kann im vorliegenden Fall der Schaden (entgangene Einnahmen), der der Klägerin aufgrund der genannten unerlaubten Handlungen der Beklagten entstanden ist, als Schaden im Sinne von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 angesehen werden?

3.      Ist der Betrieb der Zweigniederlassung von Air Baltic in der Republik Litauen unter den Umständen des vorliegenden Falles als Betrieb einer Zweigniederlassung im Sinne von Art. 5 Nr. 5 der Verordnung Nr. 44/2001 anzusehen?

 Zu den Vorlagefragen

 Vorbemerkungen

26      Zur Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen ist darauf hinzuweisen, dass Kapitel II Abschnitt 2 der Verordnung Nr. 44/2001 nur als Ausnahme von der in ihrem Art. 2 Abs. 1 aufgestellten allgemeinen Regel, die die Zuständigkeit den Gerichten des Mitgliedstaats zuweist, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, eine Reihe besonderer Zuständigkeiten vorsieht, darunter die nach Art. 5 Nrn. 3 und 5 der Verordnung. Da die Zuständigkeit der Gerichte des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001), oder die der Gerichte des Ortes, an dem sich eine Zweigniederlassung, eine Agentur oder eine sonstige Niederlassung befindet (Art. 5 Nr. 5 der Verordnung Nr. 44/2001), besondere Zuständigkeitsregeln darstellen, sind sie autonom und eng auszulegen und erlauben keine Auslegung, die über die ausdrücklich in dieser Verordnung vorgesehenen Fälle hinausgeht (vgl. in diesem Sinne in Bezug auf den Betrieb einer Zweigniederlassung Urteil vom 22. November 1978, Somafer, 33/78, EU:C:1978:205, Rn. 7 und 8, sowie für die Haftung aus unerlaubter Handlung Urteil vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Nach ständiger Rechtsprechung beruhen die Zuständigkeitsregeln in Art. 5 Nrn. 3 und 5 der Verordnung Nr. 44/2001 darauf, dass zwischen der Streitigkeit und den zur Entscheidung über sie berufenen Gerichten eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt (vgl. in diesem Sinne in Bezug auf den Betrieb einer Zweigniederlassung Urteile vom 22. November 1978, Somafer, 33/78, EU:C:1978:205, Rn. 7, und vom 6. April 1995, Lloyd’s Register of Shipping, C‑439/93, EU:C:1995:104, Rn. 21, sowie für den Bereich der Haftung aus unerlaubter Handlung Urteile vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 26, und vom 17. Oktober 2017, Bolagsupplysningen und Ilsjan, C‑194/16, EU:C:2017:766, Rn. 26).

28      Was insbesondere die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 betrifft, so ist damit nach ständiger Rechtsprechung sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens gemeint, so dass der Beklagte nach Wahl des Klägers vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann (vgl. u. a. Urteile vom 19. April 2012, Wintersteiger, C‑523/10, EU:C:2012:220, Rn. 19, vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 45, und vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 28 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Die Vorlagefragen sind im Licht dieser Erwägungen zu prüfen.

 Zur zweiten Frage

30      Mit seiner zweiten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass im Rahmen einer Klage auf Ersatz eines durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verursachten Schadens die von dem durch diese Verhaltensweisen Geschädigten behaupteten entgangenen Einnahmen einen Schaden darstellen können, der es erlaubt, die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats des „Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, zu begründen. Soweit das vorlegende Gericht auch auf den Eintritt eines solchen Schadens abzielt, ist diese Frage im Einklang mit der oben in Rn. 28 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung dahin zu verstehen, dass sie sich insbesondere auf die Bestimmung des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs bezieht.

31      Wie der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist der sich unmittelbar aus dem kausalen Ereignis ergebende Erstschaden, dessen Eintrittsort die Zuständigkeit im Hinblick auf Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 begründen könnte, zu unterscheiden von den darauffolgenden nachteiligen Konsequenzen, die keine Zuständigkeitszuweisung gemäß dieser Vorschrift begründen können.

32      Insoweit hat der Gerichtshof in den Rn. 14 und 15 des Urteils vom 19. September 1995, Marinari (C‑364/93, EU:C:1995:289), entschieden, dass die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ nicht so weit ausgelegt werden kann, dass sie jeden Ort erfasst, an dem die schädlichen Folgen eines Umstands spürbar werden können, der bereits einen Schaden verursacht hat, der tatsächlich an einem anderen Ort entstanden ist. Folglich kann diese Wendung nicht so ausgelegt werden, dass sie den Ort einschließt, an dem der Geschädigte einen Vermögensschaden in der Folge eines in einem anderen Vertragsstaat entstandenen und dort von ihm erlittenen Erstschadens erlitten zu haben behauptet.

33      Unter diesen Umständen möchte das vorlegende Gericht mit seiner Frage erstens wissen, ob entgangene Einnahmen wie die von flyLAL behaupteten als „Erstschaden“ im Sinne dieser Rechtsprechung eingestuft werden können oder ob sie nur einen finanziellen Folgeschaden darstellen, der für sich genommen die Anwendung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 nicht rechtfertigen kann.

34      Nach den dem Gerichtshof vorliegenden Akten und vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Tatsachenwürdigung bestehen die von flyLAL behaupteten entgangenen Einnahmen in den angeblich wegen der Schwierigkeit eines rentablen Betriebs von Flügen vom und zum Flughafen Vilnius erlittenen Verlusten aufgrund der von Air Baltic praktizierten Kampfpreise, die über Nachlässe von Flughafengebühren finanziert worden seien, von denen Air Baltic zuvor infolge einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung mit Flughafen Riga profitiert habe. Wie flyLAL in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, handele es sich im vorliegenden Fall insbesondere um Absatzverluste auf den von diesen Verhaltensweisen betroffenen Flugverbindungen vom und zum Flughafen Vilnius.

35      Der Gerichtshof hat bereits im Zusammenhang mit einem behaupteten Verstoß gegen Verbote des Wiederverkaufs außerhalb eines selektiven Vertriebsnetzes durch Online-Verkaufsangebote von Produkten, die Gegenstand dieses Netzes sind, entschieden, dass der Rückgang des Absatzvolumens und der dadurch entgangene Gewinn eines Vertragshändlers einen Schaden darstellt, der zur Anwendbarkeit von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 führen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Concurrence, C‑618/15, EU:C:2016:976, Rn. 33 und 35).

36      In gleicher Weise ist anzunehmen, dass entgangene Einnahmen, die insbesondere auf Absatzeinbußen beruhen, die angeblich infolge von gegen die Art. 101 und 102 AEUV verstoßenden wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen erlitten wurden, als „Schaden“ für die Zwecke der Anwendung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 eingestuft werden können, der grundsätzlich die gerichtliche Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats begründen kann, in dem sich der Ort befindet, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist.

37      Die Frage des vorlegenden Gerichts zielt zweitens auf die Bestimmung des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs ab.

38      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass zum einen die angeblich wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen der Beklagten des Ausgangsverfahrens sich auf den Markt für Flüge vom und zum Flughafen Vilnius bezogen und nach den Angaben von flyLAL zu einer Wettbewerbsverzerrung auf diesem Markt geführt haben. Zum anderen hätten diese Verhaltensweisen einen Schaden bei flyLAL verursacht.

39      Was die Verluste einer Fluggesellschaft aus Flügen von der und nach der Hauptstadt des Mitgliedstaats betrifft, in dem diese Gesellschaft ihren Sitz hat, ist als hauptsächlich betroffener Markt derjenige dieses Mitgliedstaats anzusehen, auf dem die Gesellschaft wahrscheinlich den wesentlichen Teil ihrer Verkaufstätigkeiten in Bezug auf solche Flüge ausübt, d. h. im vorliegenden Fall der litauische Markt.

40      Befindet sich der von den wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen betroffene Markt in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der behauptete Schaden entstanden sein soll, so liegt der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs für die Zwecke der Anwendung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 in diesem Mitgliedstaat. Dieses Ergebnis, das auf die Übereinstimmung zwischen diesen beiden Anhaltspunkten gestützt ist, entspricht nämlich den Zielen der Nähe und Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsregeln, da zum einen die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich der betroffene Markt befindet, am besten in der Lage sind, solche Schadensersatzklagen zu prüfen, und zum anderen ein Wirtschaftsteilnehmer, der wettbewerbswidrige Verhaltensweisen zeigt, vernünftigerweise annehmen kann, dass er vor den Gerichten des Ortes verklagt wird, an dem seine Verhaltensweisen die Regeln eines gesunden Wettbewerbs verfälscht haben.

41      Außerdem steht, wie der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, diese Bestimmung des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs mit den Kohärenzanforderungen nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) (ABl. 2007, L 199, S. 40) in Einklang, da nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a dieser Verordnung bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit einer den Wettbewerb einschränkenden Handlung das Recht des Staates anzuwenden ist, dessen Markt beeinträchtigt wird oder beeinträchtigt werden kann.

42      Da es im Ausgangsrechtsstreit mehrere Beklagte gibt, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass diese Zuständigkeitsregel auch im Fall mehrerer Verursacher eines Schadens gilt, da Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 die Zuständigkeit eines Gerichts unter dem Gesichtspunkt des Ortes der Verwirklichung des behaupteten Schadenserfolgs in Bezug auf alle mutmaßlichen Verursacher begründen kann, sofern dieser Schaden sich im Bezirk des angerufenen Gerichts verwirklicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. April 2014, Hi Hotel HCF, C‑387/12, EU:C:2014:215, Rn. 40).

43      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass im Rahmen einer Klage auf Ersatz eines durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verursachten Schadens der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden insbesondere der Ort der Verwirklichung von entgangenen Einnahmen aus Absatzverlusten ist, d. h. der Ort des durch diese Verhaltensweisen beeinträchtigten Marktes, auf dem der Geschädigte diese Verluste erlitten zu haben behauptet.

 Zur ersten Frage

44      Zwar betrifft die erste Frage ihrem Wortlaut nach die unter Art. 102 AEUV fallende Praxis von Kampfpreisen, doch bezieht sie sich auch auf den Fall des Abschlusses einer vorgelagerten, gegen Art. 101 AEUV verstoßenden wettbewerbswidrigen Vereinbarung.

45      Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass im Rahmen einer Klage auf Ersatz eines durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verursachten Schadens die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ dahin verstanden werden kann, dass damit entweder der Ort des Abschlusses einer gegen Art. 101 AEUV verstoßenden wettbewerbswidrigen Vereinbarung gemeint ist oder der Ort der Begehung der Handlungen, mittels deren der sich aus dieser Vereinbarung ergebende finanzielle Vorteil, insbesondere durch die einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß Art. 102 AEUV darstellende Anwendung von Kampfpreisen, genutzt wurde.

46      Wie bereits in Rn. 28 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, lässt Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dem Kläger die Wahl, entweder das Gericht des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs oder das des Ortes des für den Schaden ursächlichen Geschehens anzurufen, so dass ein Gericht rechtmäßig auf der Grundlage eines dieser beiden Zuständigkeitskriterien angerufen werden kann.

47      Das Ausgangsverfahren ist im vorliegenden Fall gekennzeichnet durch eine Kette von Geschehnissen, von denen jedes einzelne für sich genommen das behauptete für den Schaden „ursächliche Geschehen“ darstellen könnte, wobei allerdings auch die Möglichkeit bestehen bleibt, dass der Schaden durch ihr Zusammenwirken verursacht wurde. So nimmt das vorlegende Gericht zum einen Bezug auf wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, in deren Rahmen Flughafen Riga Air Baltic Vorzugsrabatte für Flugzeugstarts und ‑landungen sowie Sicherheitsdienste eingeräumt habe, was deren marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Flüge zum und vom internationalen Flughafen Riga verstärkt habe, sowie auf einen angeblich zwischen diesem Flughafen und Air Baltic zu diesem Zweck geschlossene wettbewerbswidrige Vereinbarung, und zum anderen auf Handlungen, durch die der sich aus dieser Vereinbarung ergebende finanzielle Vorteil, insbesondere durch die Anwendung von Kampfpreisen auf bestimmten Flügen vom und zum Flughafen Vilnius durch Air Baltic, ausgenutzt werde. Da im Ausgangsverfahren das Bestehen einer gemäß Art. 101 AEUV rechtswidrigen Vereinbarung behauptet wird, könnte sich die Praxis der Kampfpreise auf eine Durchführung dieser Vereinbarung beschränken oder ihrerseits eine gesonderte Zuwiderhandlung gemäß Art. 102 AEUV darstellen.

48      Unter diesen besonders komplexen Umständen hängt die konkrete Bestimmung des Ortes des für den Schaden ursächlichen Geschehens so u. a. von der Frage ab, ob die behaupteten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen Bestandteile einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung gemäß Art. 101 AEUV sind und/oder den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV darstellen.

49      Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfung des Verhältnisses zwischen den verschiedenen wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass, soweit sich aus den tatsächlichen Umständen des Ausgangsverfahrens ergeben sollte, dass die angeblich unter Verstoß gegen Art. 101 AEUV geschlossene wettbewerbswidrige Vereinbarung das für den geltend gemachten Schaden ursächliche Geschehen darstellt, die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen angeblich durch diese Vereinbarung verursachten Schaden nach Maßgabe des „Ortes des für den Schaden ursächlichen Geschehens“ und im Hinblick auf alle Urheber dieser Vereinbarung gemäß Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dem Gericht des Ortes zugewiesen werden kann, an dem die Vereinbarung definitiv geschlossen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 50). In einem solchen Fall könnte festgestellt werden, dass Lettland der Ort ist, an dem die angebliche wettbewerbswidrige Vereinbarung geschlossen wurde.

50      Zu demselben Ergebnis gelangte man, wenn festgestellt würde, dass die von Air Baltic praktizierten Kampfpreise auf bestimmten Flügen vom und zum Flughafen Vilnius lediglich Handlungen zur Durchführung dieser Vereinbarung waren.

51      Stellte dagegen die Praxis der Kampfpreise einen gesonderten Verstoß gegen Art. 102 AEUV dar, wäre gemäß Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 das Gericht des Ortes zuständig, an dem es zu dem wettbewerbswidrigen Verhalten gekommen ist.

52      Im Unterschied zu einem durch ein rechtswidriges Kartell mit mehreren Teilnehmern verursachten Schaden beruht nämlich das für den Schaden ursächliche Geschehen in Fällen des missbräuchlichen Ausnutzens einer marktbeherrschenden Stellung nicht auf einer Vereinbarung, sondern liegt in der Verwirklichung dieser Ausnutzung, d. h. in den zu ihrer praktischen Umsetzung von dem marktbeherrschenden Unternehmen vorgenommenen Handlungen, insbesondere im Angebot und in der Anwendung von Kampfpreisen auf dem betreffenden Markt.

53      Sollte sich zeigen, dass die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Geschehnisse Teil einer gemeinsamen Strategie mit dem Ziel der Verdrängung von flyLAL aus dem Markt für Flüge zum und vom Flughafen Vilnius sind und zusammen zur Verwirklichung des behaupteten Schadens beitragen, wäre es Sache des vorlegenden Gerichts, das Geschehnis zu ermitteln, dem für die Umsetzung dieser Strategie im Rahmen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kette von Geschehnissen eine besonders große Bedeutung zukommt.

54      Diese Prüfung wird nur durchgeführt, um die Anknüpfungspunkte an den Staat des Gerichtsstands zu ermitteln, die seine Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 rechtfertigen (Urteil vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 44), wobei das vorlegende Gericht sich insoweit mit einer Prüfung des Rechtsstreits prima facie begnügen muss, ohne eine materiell-rechtliche Beurteilung vorzunehmen, da, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 89 bis 92 seiner Schlussanträge festgestellt hat, die Bestimmung der Anknüpfungspunkte für eine zivilrechtliche Haftung aus unerlaubter Handlung, darunter die für den Schaden ursächliche Handlung, dem geltenden innerstaatlichen Recht unterfällt.

55      Eine Lösung, die darin besteht, die Bestimmung des Anknüpfungspunkts von Beurteilungskriterien abhängig zu machen, die dem innerstaatlichen materiellen Recht entnommen werden, liefe nämlich dem Ziel der Rechtssicherheit zuwider, da das anwendbare Recht dafür maßgebend ist, ob die Handlung einer Person, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts stattgefunden hat, für die Zwecke der Begründung der Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 als ursächliches Geschehen eingestuft werden könnte (Urteil vom 16. Mai 2013, Melzer, C‑228/11, EU:C:2013:305, Rn. 35).

56      Wie der Generalanwalt in Nr. 96 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, verhindert die Wahl eines bestimmten Geschehens als relevant für die Zwecke der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit, dass mehrere Gerichtsstände entstehen. Dies steht im Einklang mit dem Wesen der besonderen Zuständigkeit gemäß Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 sowie dem Erfordernis einer engen Auslegung und erleichtert auch die Vorhersehbarkeit.

57      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass im Rahmen einer Klage auf Ersatz eines durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verursachten Schadens die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ so verstanden werden kann, dass damit entweder der Ort des Abschlusses einer gegen Art. 101 AEUV verstoßenden wettbewerbswidrigen Vereinbarung gemeint ist oder der Ort, an dem die Kampfpreise angeboten und angewendet wurden, wenn diese Praxis einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV darstellte.

 Zur dritten Frage

58      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, wie die Wendung „Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung“ im Sinne von Art. 5 Nr. 5 der Verordnung Nr. 44/2001 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens auszulegen ist.

59      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof zwei Kriterien herausgearbeitet hat, die bestimmen, ob ein gerichtliches Verfahren in Bezug auf den Betrieb einer Zweigniederlassung mit einem Mitgliedstaat verbunden ist. Erstens setzt der Begriff „Zweigniederlassung“ einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit voraus, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt. Dieser Mittelpunkt muss eine Geschäftsführung haben und sachlich so ausgestattet sein, dass er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese sich nicht unmittelbar an das Stammhaus zu wenden brauchen. Zweitens muss der Rechtsstreit entweder Handlungen betreffen, die sich auf den Betrieb einer Zweigniederlassung beziehen, oder Verpflichtungen, die diese im Namen des Stammhauses eingegangen ist, wenn die Verpflichtungen in dem Staat zu erfüllen sind, in dem sich die Zweigniederlassung befindet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juli 2012, Mahamdia, C‑154/11, EU:C:2012:491, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts besteht kein Zweifel daran, dass die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen des ersten Kriteriums im vorliegenden Fall erfüllt sind. Das vorlegende Gericht stellt sich nur, im Rahmen der Prüfung des zweiten Kriteriums, die Frage, ob der Ausgangsrechtsstreit den „Betrieb“ der Zweigniederlassung von Air Baltic in Litauen betrifft.

61      Hierzu führt es aus, dass diese Zweigniederlassung zwar nach ihrer Satzung berechtigt gewesen sei, Wirtschaftsbeziehungen zu Dritten aufzunehmen und insbesondere die Preise für ihre Dienstleistungen festzusetzen. Es lägen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Zweigniederlassung die Flugpreise auf den für das Ausgangsverfahren relevanten Märkten tatsächlich festgesetzt habe. Darüber hinaus habe die Zweigniederlassung keine von denen des Stammhauses getrennten Abschlüsse erstellt.

62      Da Art. 5 Nr. 5 der Verordnung Nr. 44/2001 eine Ausnahme von der allgemeinen Zuständigkeitsregelung des Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung vorsieht, ist diese Vorschrift, wie bereits in Rn. 26 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, eng auszulegen.

63      Für eine Verbindung des Rechtsstreits mit dem Betrieb einer Zweigniederlassung muss folglich, wie der Generalanwalt in den Nrn. 137 und 142 seiner Schlussanträge festgestellt hat, im Fall von Klagen wegen unerlaubter Handlung diese Zweigniederlassung tatsächlich selbst an bestimmten Handlungen beteiligt sein, die Bestandteil der unerlaubten Handlung sind.

64      Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die etwaige Rolle der Zweigniederlassung von Air Baltic bei der Begehung der behaupteten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen zu ermitteln. Im Hinblick auf die Angaben in der Vorlageentscheidung muss es insbesondere prüfen, ob die von dieser Zweigniederlassung ausgeübten Tätigkeiten tatsächliche Handlungen wie das Angebot und die Anwendung der behaupteten Kampfpreise umfasst haben und ob diese Beteiligung am angeblichen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung hinreichend bedeutsam war, um feststellen zu können, dass sie in enger Verbindung mit dem Ausgangsrechtsstreit steht.

65      Zum Umstand, dass die Zweigniederlassung von Air Baltic keine von denen des Stammhauses getrennten Abschlüsse erstellt hat, ist festzustellen, dass dies dem Anschein nach kein relevantes Kriterium für den Nachweis ihrer tatsächlichen Beteiligung an der Praxis von Kampfpreisen darstellt, die Air Baltic von flyLAL vorgeworfen wird.

66      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 5 Nr. 5 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass die Wendung „Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung“ eine Klage umfasst, die auf den Ersatz eines angeblich durch den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in Form der Anwendung von Kampfpreisen verursachten Schadens abzielt, wenn eine Zweigniederlassung des Unternehmens, das die marktbeherrschende Stellung inne hat, sich tatsächlich und in bedeutsamer Weise an dieser missbräuchlichen Praxis beteiligt hat.

 Kosten

67      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass im Rahmen einer Klage auf Ersatz eines durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verursachten Schadens der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden insbesondere der Ort der Verwirklichung von entgangenen Einnahmen aus Absatzverlusten ist, d. h. der Ort des durch diese Verhaltensweisen beeinträchtigten Marktes, auf dem der Geschädigte diese Verluste erlitten zu haben behauptet.

2.      Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass im Rahmen einer Klage auf Ersatz eines durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verursachten Schadens die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ so verstanden werden kann, dass damit entweder der Ort des Abschlusses einer gegen Art. 101 AEUV verstoßenden wettbewerbswidrigen Vereinbarung gemeint ist oder der Ort, an dem die Kampfpreise angeboten und angewendet wurden, wenn diese Praxis einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV darstellte.

3.      Art. 5 Nr. 5 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass die Wendung „Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung“ eine Klage umfasst, die auf den Ersatz eines angeblich durch den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in Form der Anwendung von Kampfpreisen verursachten Schadens abzielt, wenn eine Zweigniederlassung des Unternehmens, das die marktbeherrschende Stellung innehat, sich tatsächlich und in bedeutsamer Weise an dieser missbräuchlichen Praxis beteiligt hat.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Litauisch.