Language of document : ECLI:EU:T:2017:748

Rechtssache T‑712/14

Confédération européenne des associations d’horlogers-réparateurs (CEAHR)

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – System selektiver Reparatur – Weigerung der Schweizer Uhrenhersteller, unabhängige Reparaturwerkstätten mit Ersatzteilen zu beliefern – Primär- und Anschlussmarkt – Ausschaltung jedes wirksamen Wettbewerbs – Beschluss, eine Beschwerde zurückzuweisen“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Zweite Kammer) vom 23. Oktober 2017

1.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Prüfung von Beschwerden – Festlegung von Prioritäten durch die Kommission – Pflicht der Kommission, einen Beschluss über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung zu erlassen – Fehlen – Berücksichtigung des Unionsinteresses an der Untersuchung einer Sache – Ermessen der Kommission – Grenzen –Gerichtliche Überprüfung – Umfang

(Art. 101, 102 und 105 Abs. 1 AEUV; Verordnung Nr. 773/2004 der Kommission, Art. 7 Abs. 2)

2.      Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Selektives System im Bereich Reparaturen – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Analoge Anwendung der für selektive Vertriebssysteme geltenden Bedingungen

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

3.      Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Selektives System im Bereich Reparaturen – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Sachliche Rechtfertigung – Wahrung der Qualität der betreffenden Waren und Gewährleistung ihres richtigen Gebrauchs

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

4.      Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Selektives System im Bereich Reparaturen – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Verhältnismäßigkeit dieses Systems

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

5.      Beherrschende Stellung – Missbrauch – Weigerung eines beherrschenden Unternehmens, einem anderen Unternehmen Zugang zu Produkten oder Dienstleistungen zu gewähren, die für dessen Tätigkeit erforderlich sind – Selektives System im Bereich Uhrenreparatur – Keine Gefahr der Ausschaltung jeglichen wirksamen Wettbewerbs – Kein Missbrauch

(Art. 102 AEUV)

6.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Prüfung von Beschwerden – Beschwerde, mit der das Bestehen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise beanstandet und auf den Missbrauch einer beherrschenden Stellung hingewiesen wird – Ermessen der Kommission – Prüfung des Vorliegens eines Missbrauchs einer beherrschenden Stellung – Berücksichtigung der Zulässigkeit des nach Art. 101 AEUV gerügten Verhaltens – Zulässigkeit

(Art. 101 und 102 AEUV)

7.      Beherrschende Stellung – Missbrauch – Begriff – Grad der Marktmacht eines Unternehmens in beherrschender Stellung – Unbeachtlich

(Art. 102 AEUV)

8.      Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Begriff – Selektives System im Bereich Reparaturen – Weigerung, Waren zu liefern, die für die Tätigkeit eines anderen Unternehmens notwendig sind – Fortschreitende Entscheidung, die Lieferung zu verweigern – Kein Kartell

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

9.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Prüfung von Beschwerden – Pflicht zur Begründung der Einstellungsentscheidung – Umfang

(Art. 101 AEUV und 102 AEUV)

10.    Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Kurze Darstellung der Klagegründe

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 44 Abs. 1 Buchst. c)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 33-41)

2.      Die Voraussetzungen, anhand deren die Vereinbarkeit eines selektiven Vertriebssystems mit Art. 101 AEUV festgestellt werden kann, können auch für die Beurteilung verwendet werden, ob ein selektives System im Bereich Reparaturen, das zum Kundendienst zählt, wettbewerbswidrige Auswirkungen hat. Selektive Systeme im Bereich Reparaturen sind daher mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbar, sofern sie objektiv gerechtfertigt, nicht diskriminierend und verhältnismäßig sind.

Die Organisation eines solchen Vertriebsnetzes fällt folglich nicht unter das Verbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV, sofern die Auswahl der Wirtschaftsteilnehmer anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wirtschaftsteilnehmer festgelegt und ohne Diskriminierung angewandt werden, sofern die Eigenschaften des fraglichen Produkts zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs ein solches Vertriebsnetz erfordern und sofern die festgelegten Kriterien schließlich nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.

Es muss jedoch nicht geprüft werden, ob diese Netze nicht die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs bewirken. Wenn die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind, genügt dies nämlich für die Annahme, dass ein selektives System ein Wettbewerbsfaktor ist, der mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbar ist.

(vgl. Rn. 50, 53-55)

3.      Zwar kann der Schutz des Markenimages keine Wettbewerbsbeschränkung durch die Einführung eines selektiven Systems im Bereich Reparaturen rechtfertigen, aber das Ziel der Wahrung der Qualität der Produkte und der Gewährleistung ihres richtigen Gebrauchs kann für sich allein eine solche Beschränkung rechtfertigen.

(vgl. Rn. 66)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 75-80)

5.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 87-91, 106-112)

6.      Die Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf eine Vereinbarung steht der Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV auf das Verhalten der Parteien dieser Vereinbarung nicht entgegen, sofern die Voraussetzungen für die Anwendung jeder Bestimmung vorliegen. Die Tatsache, dass eine Praxis von Wirtschaftsteilnehmern, die einem wirksamen Wettbewerb ausgesetzt sind, gemäß Art. 101 AEUV zulässig ist, bedeutet nicht, dass die Anwendung der gleichen Praxis durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung nie einen Missbrauch dieser Stellung darstellen kann. Die Feststellung, dass ein Verhalten nach Art. 101 AEUV rechtmäßig ist, impliziert daher nicht grundsätzlich die Feststellung, dass dieses Verhalten nach Art. 102 AEUV rechtmäßig ist. Hierfür ist vielmehr zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Anwendung der letztgenannten Vorschrift erfüllt sind oder nicht.

Da ein selektives System im Bereich der Uhrenreparatur jedoch nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt, weil es als Wettbewerbsfaktor angesehen wird, wenn es bestimmte Voraussetzungen erfüllt, konnte die Kommission im Rahmen des weiten Ermessens, über das sie im Rahmen der Bearbeitung einer Beschwerde verfügt, mit der das Bestehen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise gerügt und auf den Missbrauch einer beherrschenden Stellung hinwiesen wird, der sich aus dem genannten selektiven System im Bereich Reparaturen ergebe, davon ausgehen, dass die Vereinbarkeit eines solchen Systems mit Art. 101 Abs. 1 AEUV ein Indiz darstellt, mit dem sich, zusammen mit anderen Faktoren, nachweisen lässt, dass es wenig wahrscheinlich ist, dass es im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs bewirkt.

(vgl. Rn. 94, 96)

7.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 121-123)

8.      Wenn über einen langen Zeitraum fortschreitend entschieden wird, die Lieferung zu verweigern, kann davon ausgegangen werden, dass diese Entscheidungen nicht das Ergebnis einer Absprache sind, sondern einer Abfolge unabhängig getroffener Geschäftsentscheidungen.

(vgl. Rn. 127)

9.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 135-137)

10.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 139, 140)