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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 24. April 20081(1)

Rechtssache C‑353/06

Stefan Grunkin und Dorothee Regina Paul

gegen

Leonhard Matthias Grunkin-Paul und Standesamt Stadt Niebüll

„Unionsbürgerschaft – Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit – Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit – Personennamen – Gesetzeskollision – Familienname, der nach dem Recht des Mitgliedstaats des Geburtsorts und des gewöhnlichen Aufenthalts bestimmt und später geändert wurde – Nichtanerkennung durch den Mitgliedstaat der Staatsangehörigkeit“






1.        In diesem Vorabentscheidungsersuchen des Amtsgerichts Flensburg (Deutschland) wird die Vereinbarkeit einer deutschen Kollisionsnorm mit dem Diskriminierungsverbot und den im EG-Vertrag verankerten Bürgerrechten in Frage gestellt. Nach dieser Norm bestimmt sich der Familienname einer Person, die allein die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ausschließlich nach deutschem Recht. Selbst wenn also eine solche Person in einem anderen Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall Dänemark), dessen Recht nach seinen eigenen Kollisionsnormen auf sie anwendbar ist, geboren wurde und dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, kann ihr Familienname, der in dem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht gebildet und eingetragen wurde, in Deutschland nicht eingetragen werden, sofern er nicht auch mit dem deutschen Sachrecht in Einklang steht.

 Rechtlicher Rahmen

 Vertragsbestimmungen

2.        Art. 12 Abs. 1 EG bestimmt:

„Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“

3.        Art. 17 EG bestimmt:

„(1) Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie aber nicht.

(2)   Die Unionsbürger haben die in diesem Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten.“

4.        Art. 18 Abs. 1 EG lautet:

„Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.“

5.        Nach Art. 65 EG (in Verbindung mit den Art. 61 Buchst. c EG und 67 EG) kann der Gemeinschaftsgesetzgeber „Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen“ erlassen, darunter Maßnahmen zur „b) Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten“. In Bezug auf die Bestimmung von Namen sind noch keine solchen Maßnahmen erlassen worden(2).

 Sachnormen über die Bestimmung von Familiennamen

6.        In den Nrn. 5 bis 22 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Garcia Avello(3) hat Generalanwalt Jacobs einen Überblick über die damals (2003) geltenden Vorschriften über die Bestimmung von Familiennamen in den Mitgliedstaaten gegeben. Seitdem haben sich die Dinge weiter entwickelt, und in einigen Mitgliedstaaten lassen die Sachnormen inzwischen mehr Wahlmöglichkeiten, als dies zuvor der Fall war. An dieser Stelle möge ein Hinweis darauf genügen, dass nicht nur bezüglich der Art und Weise, wie Familiennamen bestimmt werden, sondern auch hinsichtlich des rechtlich gegebenen Umfangs an Wahlmöglichkeiten erhebliche Unterschiede bestehen. Insbesondere sind Doppelnamen (die aus den Familiennamen beider Elternteile zusammengesetzt sind) in einigen Mitgliedstaaten verboten, in anderen Mitgliedstaaten jedoch erlaubt und in wiederum anderen die Regel.

 Kollisionsnormen in Bezug auf die Bestimmung von Familiennamen

7.        Um festzustellen, welches Recht auf die Bestimmung des Familiennamens einer Person anwendbar ist, wenn Bezüge zu mehr als einer Rechtsordnung bestehen, verweisen einige Rechtsordnungen auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsorts der Person(4), obwohl es gebräuchlicher zu sein scheint, auf das Recht der Staatsangehörigkeit des Betreffenden zu verweisen(5). Dieses Konzept ist für einige Mitgliedstaaten in internationalen Übereinkommen im Rahmen der Internationalen Kommission für das Zivilstandswesen (CIEC) verankert, einer zwischenstaatlichen Einrichtung, der 13 Mitgliedstaaten als Mitglieder und drei weitere als Beobachter angehören. Deutschland ist Mitglied der CIEC, Dänemark ist weder Mitglied noch Beobachter.

8.        Eine Reihe von CIEC‑Übereinkommen(6) betrifft Namen, doch wurde keines von mehr als sieben Mitgliedstaaten ratifiziert. Zusammengefasst sehen diese Übereinkommen vor, dass der Name einer Person grundsätzlich nach dem Recht des Staates zu bestimmen ist, dessen Staatsangehörigkeit die Person besitzt, und dass ein Vertragsstaat keine Änderungen des Familiennamens von Staatsangehörigen eines anderen Vertragsstaats bewilligt – es sei denn, diese Personen besitzen auch die Staatsangehörigkeit des ersten Staates –, sondern Bescheinigungen über die Führung verschiedener Familiennamen ausstellt, sofern dies angemessen ist. Nach einem neueren Übereinkommen(7), das noch nicht in Kraft ist, wird, wenn ein Kind die Staatsangehörigkeit mehr als eines Vertragsstaats besitzt, der ihm im Staat des Geburtsorts erteilte Familienname in den übrigen Vertragsstaaten anerkannt, ebenso wird aber ein Familienname anerkannt, der dem Kind auf Antrag der Eltern in einem anderen Vertragsstaat, dessen Staatsangehörigkeit das Kind besitzt, erteilt wurde.

 Regelungen über die Rechte von Kindern

9.        Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes(8) bestimmt: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Im Wesentlichen die gleiche Bestimmung enthält Art. 24 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(9).

10.      Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes bestimmt u. a., dass ein Kind „unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen [ist] und … das Recht auf einen Namen von Geburt an [hat]“. Im Wesentlichen die gleiche Bestimmung enthält Art. 24 Abs. 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte(10).

 Für die vorliegende Rechtssache maßgebliches nationales Recht

11.       Nach dänischem internationalem Privatrecht unterliegen Fragen der Bestimmung des Familiennamens einer Person dem Recht des Domizils (im Sinne des gewöhnlichen Aufenthalts) dieser Person, wie es nach dänischem Recht definiert ist. Wird der Familienname einer Person bestimmt, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Dänemark hat, ist also dänisches Recht anzuwenden.

12.      Im entscheidungserheblichen Zeitraum richtete sich die Bestimmung von Familiennamen in Dänemark nach den §§ 1 bis 9 des Gesetzes Nr. 193 vom 29. April 1981 (Lov om personnavne – Gesetz über Personennamen)(11).

13.      Nach § 1 dieses Gesetzes war, wenn die Eltern einen gemeinsamen Familiennamen führten, dies der Name, der dem Kind zu geben war. Wenn sie nicht denselben Familiennamen benutzten, konnte der Name eines der beiden Elternteile verwendet werden. Nach § 9 konnte der Familienname jedoch auch auf administrativem Weg in einen Namen geändert werden, der aus den durch einen Bindestrich verbundenen Namen beider Elternteile bestand.

14.      Alternativ dazu kann (gewöhnlich), wenn das Kind den Familiennamen eines Elternteils trägt, der Familienname des anderen Elternteils als Mittelname („mellemnavn“) geführt werden. Die beiden Namen werden dann faktisch (ohne Bindestrich) verbunden. Nach dem Gesetz von 1981 konnte jedoch nur der zweite (aus dem Familiennamen bestehende) Teil des zusammengesetzten Namens an die nächste Generation weitergegeben werden.

15.      In Deutschland unterliegt nach Art. 10 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) der Name einer Person dem Recht des Staates, dem die Person angehört. Nach Art. 10 Abs. 3 kann der Familienname eines Kindes ausschließlich nach dem Recht eines anderen Staates bestimmt werden, wenn ein Elternteil (oder ein anderer den Namen Erteilender) diesem Staat angehört. Deutsches Recht kann jedoch angewandt werden, wenn keiner der beiden Elternteile die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, aber wenigstens einer von ihnen seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.

16.      Nach § 1616 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) erhält das Kind, wenn die Eltern einen gemeinsamen Familiennamen (den Ehenamen) führen(12), wie in Dänemark diesen Namen. § 1617 BGB bestimmt:

„(1)  Führen die Eltern keinen Ehenamen und steht ihnen die Sorge gemeinsam zu, so bestimmen sie durch Erklärung gegenüber dem Standesbeamten den Namen, den der Vater oder die Mutter zur Zeit der Erklärung führt, zum Geburtsnamen des Kindes. … Die Bestimmung der Eltern gilt auch für ihre weiteren Kinder.

(2)      Treffen die Eltern binnen eines Monats nach der Geburt des Kindes keine Bestimmung, überträgt das Familiengericht[(13)] das Bestimmungsrecht einem Elternteil. Absatz 1 gilt entsprechend. Das Gericht kann dem Elternteil für die Ausübung des Bestimmungsrechts eine Frist setzen. Ist nach Ablauf der Frist das Bestimmungsrecht nicht ausgeübt worden, so erhält das Kind den Namen des Elternteils, dem das Bestimmungsrecht übertragen ist.

(3)      Ist ein Kind nicht im Inland geboren, so überträgt das Gericht einem Elternteil das Bestimmungsrecht nach Absatz 2 nur dann, wenn ein Elternteil oder das Kind dies beantragt oder die Eintragung des Namens des Kindes in ein deutsches Personenstandsbuch oder in ein amtliches deutsches Identitätspapier erforderlich wird.“

17.      § 1617 Abs. 1 BGB schließt somit die Möglichkeit einer Verbindung der Familiennamen beider Elternteile zur Bildung eines Doppelnamens aus. Er schließt jedoch nicht aus, dass ein bereits von einem Elternteil getragener Doppelname weitergegeben wird(14).

 Rechtsprechung des Gerichtshofs

18.      Fragen der Bestimmung des Familiennamens stellen sich im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsrecht nicht oft. Allerdings wurde der Gerichtshof auf diesem Gebiet schon in zwei früheren Fällen um Vorabentscheidung ersucht – Konstantinidis(15) and Garcia Avello(16) ‑, außerdem bereits einmal im vorliegenden Fall(17).

19.      In der Rechtssache Konstantinidis hat der Gerichtshof es als Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit angesehen, dass ein griechischer Staatsangehöriger bei der Ausübung seines Berufs in einem anderen Mitgliedstaat gezwungen wurde, eine Transliteration seines Namens zu führen, durch die dessen Aussprache verändert wurde, wenn diese Entstellung die Gefahr mit sich brachte, dass potenzielle Kunden ihn mit anderen Personen verwechselten.

20.      In der Rechtssache Garcia Avello hat der Gerichtshof entschieden, dass die Art. 12 EG und 17 EG es den belgischen Behörden verwehrten, einen Antrag auf Änderung des Namens in Belgien wohnender minderjähriger Kinder mit doppelter Staatsangehörigkeit – der belgischen und der spanischen – in den ihnen nach spanischem Recht und spanischer Tradition zustehenden Namen abzulehnen.

 Sachverhalt und Verfahren

21.      Leonhard Matthias wurde 1998 in Dänemark als Kind von Stefan Grunkin und Dorothee Paul geboren. Er und seine Eltern besitzen nur die deutsche Staatsangehörigkeit (die Geburt in Dänemark verleiht nicht automatisch die dänische Staatsangehörigkeit). Bisher hat das Kind hauptsächlich in Dänemark gelebt, wo seine Eltern ursprünglich gemeinsam wohnten. 2001 und 2002 lebte es einige Monate lang mit ihnen in Niebüll (Deutschland). Seitdem lebt es hauptsächlich bei seiner Mutter in Tønder (Dänemark), besucht jedoch regelmäßig seinen Vater in Niebüll, das ungefähr 20 km entfernt liegt.

22.      Bei seiner Geburt wurde Leonhard Matthias in Dänemark ursprünglich unter dem Familiennamen „Paul“ eingetragen, mit „Grunkin“ als „mellemnavn“. Einige Monate danach wurde der Familienname auf Antrag der Eltern durch behördliche Namensurkunde („navnebevis“) in „Grunkin-Paul“ geändert, und es wurde eine Geburtsurkunde auf diesen Namen ausgestellt(18). Dies war möglich, weil das Kind sein Domizil, was das dänische internationale Privatrecht angeht, in Dänemark hatte, so dass für die Bestimmung seines Namens das dänische Sachrecht galt.

23.       Die Eltern möchten das Kind bei den deutschen Behörden in Niebüll unter dem Namen Grunkin-Paul, den es in Dänemark erhalten hatte, eintragen lassen. Aufgrund der oben wiedergegebenen deutschen Rechtsvorschriften(19) lehnten die betreffenden Behörden die Anerkennung dieses Namens ab und beharrten darauf, dass als Name entweder Grunkin oder Paul gewählt werden müsse.

24.      Die Eltern gingen gegen diese ablehnende Entscheidung vor den deutschen Gerichten vor, doch ihre Rechtsbehelfe wurden 2003 in letzter Instanz zurückgewiesen.

25.      Das zuständige Standesamt legte daraufhin die Frage gemäß § 1617 Abs. 2 BGB dem Amtsgericht Niebüll vor. Die Aufgabe dieses Gerichts als Familiengericht war es, den Elternteil zu benennen, der das Recht hat, den Namen des Kindes zu bestimmen, oder dessen eigener Name dem Kind gegeben wird, wenn das Bestimmungsrecht nicht ausgeübt wird.

26.      Das Gericht hatte jedoch Zweifel, ob im Licht der Art. 12 EG und 18 EG das in Art. 10 EGBGB verankerte deutsche Kollisionsrecht Bestand haben kann, soweit es hinsichtlich des Namensrechts allein eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit vornimmt. Es ersuchte daher den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Auslegung des EG-Vertrags im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Art. 10 EGBGB mit dem EG-Vertrag(20).

27.      Im Verfahren vor dem Gerichtshof wurde die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens mit dem Hinweis bezweifelt, dass das vorlegende Gericht offenbar im Rahmen seiner Verwaltungsaufgaben und nicht im Rahmen seiner Rechtsprechungsaufgaben handle.

28.      Generalanwalt Jacobs erkannte die Berechtigung dieser Zweifel in seinen Schlussanträgen vom 30. Juni 2005 an, vertrat aber die Ansicht, dass der Gerichtshof die vorgelegte Frage dennoch beantworten solle(21). Die Situation falle in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts, und obwohl keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vorliege, sei es „völlig unvereinbar mit dem Status und den Rechten eines Bürgers der Europäischen Union …, jemanden dazu zu verpflichten, entsprechend den Rechtsvorschriften verschiedener Mitgliedstaaten unterschiedliche Namen zu tragen“(22).

29.      Der Gerichtshof stellte mit Urteil vom 27. April 2006 fest, dass er für eine Beantwortung der gestellten Frage nicht zuständig war, da nicht davon ausgegangen werden konnte, dass das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren eine Rechtsprechungstätigkeit ausübte.

30.      Am 30. April 2006 beantragten die Eltern erneut, dass ihr Sohn vom Standesamt unter dem für ihn in Dänemark eingetragenen Familiennamen Grunkin-Paul eingetragen wird. Das Standesamt lehnte diese Eintragung erneut mit der Begründung ab, dass nach deutschem Recht eine solche Eintragung nicht möglich sei.

31.      Nach dem deutschen Verfahrensrecht wird der Rechtsbehelf der Eltern gegen diese erneute Ablehnung vor einem anderen Amtsgericht, und zwar dem Amtsgericht Flensburg, verhandelt. Dieses Gericht stellt fest, dass es ihm nach deutschem Recht verwehrt sei, den Standesbeamten zur Eintragung eines Doppelnamens anzuweisen, es hat aber ähnliche Zweifel wie das Amtsgericht Niebüll.

32.      Es ersucht daher um Vorabentscheidung über folgende Frage:

Kann im Hinblick auf das in Art. 12 EG enthaltene Diskriminierungsverbot bzw. im Hinblick auf die in Art. 18 EG für jeden Unionsbürger verbürgte Freizügigkeit das in Art. 10 EGBGB verankerte deutsche Kollisionsrecht Bestand haben, soweit es hinsichtlich des Namensrechts allein eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit vornimmt?

33.      Stefan Grunkin, die belgische, die französische, die deutsche, die griechische, die litauische, die niederländische, die polnische und die spanische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die deutsche, die griechische, die litauische und die spanische Regierung sowie die Kommission waren in der Sitzung vertreten.

 Zulässigkeit

34.      Die Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens wird nicht förmlich angegriffen, obwohl die belgische Regierung danach fragt, ob erstens das vorlegende Gericht zuständig für die Anordnung der Eintragung eines Doppelnamens ist, zumal ein früherer Verfahrenskomplex zu einem rechtskräftigen Ergebnis geführt hatte, und ob zweitens das vorliegende Verfahren genuinen Charakter hat.

35.      Diese Zweifel werden allerdings von der deutschen Regierung nicht geteilt, die ausführlicher erläutert, weshalb das Ausgangsverfahren nach deutschem Recht sowohl zulässig ist als auch tatsächlich streitigen Charakter hat. Auf den Punkt gebracht: Die Eltern von Leonhard Matthias haben gegen das Standesamt ein Verfahren angestrengt (das durch die rechtskräftige Zurückweisung ihrer früheren Rechtsbehelfe im Jahr 2003 nicht präkludiert ist), in dem sie begehren, dass das Standesamt angewiesen wird, als Familiennamen ihres Kindes Grunkin-Paul einzutragen. Um entscheiden zu können, ob diese Anweisung ergehen kann, benötigt das vorliegende Gericht – das insoweit eindeutig im Rahmen seiner Rechtsprechungsaufgaben handelt – eine Vorabentscheidung über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts.

36.      Aus diesem Grund halte ich es nicht für erforderlich, dass der Gerichtshof die Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens eingehender prüft.

 Zur Beantwortung der Vorlagefrage

 Einleitende Ausführungen

37.      Das internationale Privatrecht ist, was immer sein Name suggerieren mag, kein Bestandteil des internationalen Rechts. Es ist ein Zweig des nationalen Rechts jeder Rechtsordnung. Es bietet einen Mechanismus oder richtiger eine Reihe miteinander verknüpfter Mechanismen, nach denen sich, wenn rechtlich relevante Situationen oder Verhältnisse Bezüge zu mehr als einer Rechtsordnung aufweisen, bestimmen lässt, welche Gerichte oder anderen öffentlichen Stellen zuständig sind, welches Sachrecht gilt und welche Wirkungen oder welche Anerkennung Entscheidungen oder Rechtshandlungen zu verleihen sind, die in Übereinstimmung mit anderen Rechtsordnungen getroffen oder vorgenommen wurden.

38.      Da die betreffenden Situationen oder Verhältnisse per definitionem in die Zuständigkeit mehrerer Staaten fallen, interagiert das Getriebe jeder Rechtsordnung zwangsläufig mit dem Getriebe anderer Rechtsordnungen. Manchmal greifen die Räder ineinander, manchmal stoßen sie aneinander. Wenn sie ineinandergreifen (was vorzuziehen ist), kann dies daran liegen, dass die betreffenden Rechtsordnungen von Anfang an kompatible Bestimmungen hatten, oder daran, dass die jeweiligen Gesetzgeber zusammengearbeitet haben, um im Rahmen einer Einrichtung wie der CIEC oder der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht(23) Kompatibilität zu erreichen, oder (in der Europäischen Union) auch daran, dass ihnen durch Gemeinschaftsrecht Kompatibilität auferlegt wurde. In vielen Bereichen ist die Kompatibilität oder Harmonisierung jedoch noch unvollständig.

39.      Ingesamt entsteht so der Eindruck eines komplexen Gefüges komplexer Mechanismen, die auf komplexe Weise, jedoch nicht immer harmonisch, interagieren. Jede Anpassung eines der Mechanismen kann eine große Zahl von Wechselwirkungen berühren. Eine Änderung der die Bestimmung von Namen betreffenden Vorschriften des internationalen Privatrechts einer Rechtsordnung könnte sich nicht nur auf die Art und Weise auswirken, in der diese Vorschriften mit den entsprechenden Vorschriften einer anderen Rechtsordnung interagieren, sondern auch auf die Anwendung der Vorschriften des internationalen Privatrechts der erstgenannten Rechtsordnung in verwandten Bereichen des Personalstatuts- oder des Familienrechts (mit daraus folgenden Änderungen in der Wechselwirkung zwischen diesen Vorschriften und denen anderer Rechtsordnungen) oder auf die relevanten Sachnormen der ersten Rechtsordnung.

40.      Es ist daher wenig verwunderlich, dass die meisten Mitgliedstaaten, die im vorliegenden Verfahren Erklärungen eingereicht haben, dem Gerichtshof dringend geraten haben, nicht in die fragliche deutsche Kollisionsnorm einzugreifen. Einige akademische Kommentatoren haben zudem das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Garcia Avello und die Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in der Rechtssache Standesamt Stadt Niebüll kritisiert, weil dort die Folgen des gewählten Ansatzes verkannt würden(24).

41.      Dies ist eindeutig ein Bereich, in dem sich der Gerichtshof behutsam und mit Bedacht bewegen sollte. Doch dass Behutsamkeit geboten ist, bedeutet nicht, dass er sich davor fürchten müsste, überhaupt einen Schritt zu tun.

42.      Wie mehrere Mitgliedstaaten bemerkt haben, handelt es sich um einen Bereich, den die Gemeinschaft regeln kann – genauso wie sie auf der Grundlage der Art. 61 Buchst. c EG und 67 Abs. 1 EG bereits die Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung geregelt hat(25) und eine Regelung der Frage des in Ehesachen anwendbaren Rechts plant(26).

43.      Vor diesem Hintergrund trifft umso mehr zu, was der Gerichtshof im Urteil Garcia Avello(27) festgestellt hat: „Zwar fällt das Namensrecht beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese bei der Ausübung dieser Zuständigkeit gleichwohl das Gemeinschaftsrecht beachten …, insbesondere die Vertragsbestimmungen über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten …“

44.      Der Gerichtshof kann daher nicht seiner Verpflichtung ausweichen, das Gemeinschaftsrecht so auszulegen, dass die nationalen Gerichte unterstützt werden – wie im vorliegenden Fall das Amtsgericht Flensburg, dessen Aufgabe es ist, festzustellen, ob bestimmte nationale Vorschriften tatsächlich mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.

45.      Sicherlich wäre die Angelegenheit einfacher, wenn Gemeinschaftsrecht zur Regelung der Situation erlassen worden wäre (oder wenn alle Mitgliedstaaten Mitglieder der CIEC wären und alle Übereinkommen dieser Einrichtung ratifiziert hätten). Eine gesetzgeberische oder völkervertragliche Lösung wäre in einem solchen Bereich auch angemessen. Die Erörterungen, die dem Erlass von Gemeinschaftsrecht oder multilateralen Übereinkünften vorausgehen, sind zwangsläufig länger, gründlicher und weitreichender, als dies im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof je möglich ist. Und angesichts der zunehmenden Mobilität der Bürger im Gebiet der Europäischen Union, die nicht nur ein einheitlicher Markt ist, sondern auch ein einheitlicher Raum der Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit, können Interessenkonflikte, in denen es um Bestimmung und Gebrauch von Personennamen geht, natürlich immer häufiger auftreten (und werden dies vermutlich auch tun), solange nicht eine angemessene Lösung gefunden wird. Eine solche Lösung sollte unter gebührender Beachtung aller ihrer Auswirkungen auf sämtliche beteiligten Rechtsordnungen vollständig und systematisch durchdacht sein.

46.      Eine solche Lösung existiert jedoch noch nicht. Beim derzeitigen Stand der Dinge muss der Gerichtshof die bestehenden Gemeinschaftsbestimmungen über das Recht der Bürger auslegen, sich ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Gebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Er muss dies im Hinblick auf die besondere Situation tun, um die es im Ausgangsverfahren geht. Er sollte darauf achten, nicht unnötig in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich des internationalen Privatrechts einzugreifen. Zugleich darf er aber auch nicht den Begriff der Unionsbürgerschaft – die der „grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten“(28) ist – verwässern oder schwächen oder den aus diesem Status fließenden Rechten jede wirkliche Bedeutung nehmen.

47.      Im vorliegenden Fall halte ich die Frage, über die zu entscheiden ist, damit das nationale Gericht in dem bei ihm anhängigen Verfahren zu einem Ergebnis kommen kann, für enger gesteckt, als dies auf den ersten Blick erscheinen mag.

48.      Erstens steht die Sachnorm des deutschen Rechts, wonach der Familienname eines Kindes der eines Elternteils sein muss, ohne dass die Möglichkeit einer Verbindung der Namen beider Elternteile besteht, selbst nicht in Frage. In diesem Bereich sind keine materiellen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts anwendbar (es ist auch keine Rechtsgrundlage für den Erlass solcher Vorschriften erkennbar), und nationale Vorschriften, in denen eine bestimmte Form von Namen vorgeschrieben oder untersagt wird, scheinen als solche die Rechte der Bürger auf Nichtdiskriminierung, Freizügigkeit und freien Aufenthalt nicht beeinträchtigen zu können. Das Problem kann nur dann auftreten, wenn eine solche Vorschrift in Bezug auf eine konkrete Person mit einer Vorschrift eines anderen Mitgliedstaats in Konflikt gerät.

49.      Zweitens ist zwar die Frage des nationalen Gerichts so formuliert, dass es um die Vereinbarkeit der in Art. 10 EGBGB verankerten Kollisionsnorm mit dem Gemeinschaftsrecht geht, doch braucht meines Erachtens nicht die Gültigkeit dieser Bestimmung insgesamt geprüft zu werden, sondern nur die Gültigkeit der Wirkung, die sie in Verbindung mit § 1617 BGB hat, indem sie die Eintragung eines in Dänemark rechtmäßig gebildeten und dort bereits eingetragenen Familiennamens ausschließt.

50.      Die Ausführungen einiger Mitgliedstaaten vor dem Gerichtshof, die mit gewissem Nachdruck vortragen, dass die Staatsangehörigkeit dem gewöhnlichen Aufenthalt als Anknüpfungspunkt in Personalstatutsfragen vorgehe (als beständigeres und eindeutiger feststellbares Kriterium), sind daher meiner Ansicht nach unabhängig davon, ob sie zutreffen oder nicht, nicht unmittelbar relevant. Der Gerichtshof braucht zwischen diesen beiden Kriterien nicht zu entscheiden und sollte dies auch nicht tun – ebenso wenig, wie er im Urteil Garcia Avello zwischen den belgischen und den spanischen Vorschriften über die Bestimmung des einem Kind erteilten Familiennamens entschieden hat(29). Im vorliegenden Fall hat er vielmehr die spezielle Aufgabe, die Nichtanerkennung eines Namens anhand des Maßstabs des Gemeinschaftsrechts zu beurteilen.

51.      Schließlich scheint mir von Bedeutung zu sein, dass das Ausgangsverfahren einen Fall betrifft, in dem der Familienname bei der Geburt nach dem anwendbaren dänischen Recht bestimmt und eingetragen wurde und kurz nach der Geburt nach demselben anwendbaren Recht geändert und erneut eingetragen wurde, bevor irgendein Antrag auf Eintragung des Namens bei den deutschen Behörden gestellt wurde. Es handelt sich also nicht um einen Fall, in dem im Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts ein Name geändert wird, der nach dem Recht des Mitgliedstaats der Staatsangehörigkeit bestimmt wurde. Die Tatsache, dass der ursprünglich eingetragene Name mit den deutschen Vorschriften vereinbar war, der geänderte Name hingegen nicht, bedeutet nicht, dass der erste Name nach diesen Vorschriften gebildet wurde. Beide Namen wurden nach den dänischen Vorschriften gebildet, und die Eltern von Leonhard Matthias durften die nach dänischem Recht bestehenden Wahlmöglichkeiten ausschöpfen, während sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Dänemark hatten. Sie begehren nicht die Eintragung eines Kindes, dem noch kein Familienname erteilt wurde, sondern verlangen, dass ein Name in das deutsche Familienbuch übernommen wird, den das Kind bereits nach dem Recht seines Geburts- und seines ständigen Aufenthaltsorts trägt. Und während der Name von Leonhard Matthias nach Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes unverzüglich nach der Geburt in Dänemark einzutragen war, ergibt sich aus dem Wortlaut von § 1617 Abs. 3 BGB, dass sein Name nicht automatisch in ein deutsches Personenstandsbuch oder in ein amtliches deutsches Identitätspapier eingetragen werden musste.

52.      Ich werde daher den Fall auf dieser engeren Grundlage erörtern und erstens prüfen, ob die Situation in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, zweitens, ob eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder eine Beeinträchtigung des Rechts auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt vorliegt, und drittens, ob eine solche Diskriminierung oder Beeinträchtigung, falls sie vorliegt, gerechtfertigt sein kann.

 Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts

53.      Generalanwalt Jacobs hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Standesamt Stadt Niebüll(30) auf die Feststellung des Gerichtshofs im Urteil Garcia Avello hingewiesen, dass bei den dort betroffenen Kindern, „die Angehörige eines Mitgliedstaats sind und sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten“(31), ein Bezug zum Gemeinschaftsrecht bestehe, und die Auffassung vertreten, dass dasselbe auch für Leonhard Matthias gelte.

54.      Er hat außerdem auf die Feststellung im Urteil Zhu and Chen(32) verwiesen, dass die Situation des Angehörigen eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat geboren wurde, aber vom Recht auf Freizügigkeit noch keinen Gebrauch gemacht hat, nicht einer rein internen Situation gleichgestellt werden kann, in der dieser Staatsangehörige die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Freizügigkeit und den freien Aufenthalt nicht geltend machen kann. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil ergänzt(33), dass ein Kind Rechte nach diesen Bestimmungen haben kann, noch bevor es das Alter erreicht, ab dem es rechtlich in der Lage ist, diese Rechte selbst auszuüben.

55.      Meines Erachtens fällt die Situation im Ausgangsverfahren aus vergleichbaren, jedoch sogar triftigeren Gründen in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts.

56.      Erstens wurde Leonhard Matthias in einem Mitgliedstaat geboren und hält sich dort gewöhnlich auf, während er (nur) die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt.

57.      Zweitens hat Leonhard Matthias als Unionsbürger nach Gemeinschaftsrecht das Recht auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt. Darüber hinaus hat er dieses Recht – anders als die Kinder in den Rechtssachen Garcia Avello sowie Zhu und Chen – ausgeübt und übt es weiterhin aus, indem er nacheinander in den beiden betreffenden Mitgliedstaaten gewohnt hat und wiederholt vom einen in den anderen gereist ist – wozu er aufgrund einer familiären Situation gezwungen ist, über die er keine Kontrolle hat.

58.      Drittens ist er durch dieses Verhalten in einen Konflikt zwischen einer ihm durch das Recht des einen Mitgliedstaats gemachten Vorschrift und einer Option geraten, die seine Eltern in seinem Namen nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats hatten und rechtmäßig nutzten.

59.      Eine solche Situation fällt eindeutig – sowohl ratione personae als auch ratione materiae – in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts in Gestalt der Bestimmungen über die Ausübung der Rechte der Bürger auf Freizügigkeit und Nichtdiskriminierung.

 Liegt eine Diskriminierung vor?

60.      In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Standesamt Stadt Niebüll(34) hat Generalanwalt Jacobs erläutert, dass nach der in Rede stehenden Vorschrift alle Personen, die nur die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, gleichbehandelt werden und alle Personen, die (oder deren Eltern) mehr als eine Staatsangehörigkeit besitzen, unterschiedlich behandelt werden, aber völlig ohne Diskriminierung im Hinblick auf ihre Staatsangehörigkeit.

61.      Keiner der Beteiligten, die im vorliegenden Verfahren Erklärungen eingereicht haben, hat dieser Auffassung widersprochen. Auch ich tue dies nicht.

62.      Zwar unterscheidet die Bestimmung in Art. 10 EGBGB zwischen Personen nach ihrer Staatsangehörigkeit, doch sind solche Unterscheidungen unvermeidbar, wenn die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungspunkt zu einer bestimmten Rechtsordnung dient. Die Bestimmung diskriminiert jedoch nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Zweck des Verbots solcher Diskriminierungen ist nicht, die Unterschiede zu beseitigen, die sich unweigerlich daraus ergeben, dass jemand die Staatsangehörigkeit des einen und nicht eines anderen Mitgliedstaats besitzt (diese Unterschiede werden in Art. 17 Abs. 1 Satz 2 EG eindeutig beibehalten), sondern, weitere Ungleichbehandlungen auszuschließen, die auf der Staatsangehörigkeit beruhen und die zum Nachteil eines Unionsbürgers wirken.

63.      Nach deutschem Recht wird jeder Unionsbürger, der nur eine Staatsangehörigkeit besitzt, nach dem Recht des Mitgliedstaats seiner Staatsangehörigkeit behandelt, während Personen mit mehr als einer Staatsangehörigkeit (entsprechend dem Urteil Garcia Avello(35)) anders als Personen mit einer einzigen Staatsangehörigkeit, aber dennoch nach dem Recht der Mitgliedstaaten ihrer Staatsangehörigkeit behandelt werden. Darüber hinaus kann deutsches Sachrecht auf jede Person jeder Staatsangehörigkeit mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland angewandt werden, die dies wünscht, so dass Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, nicht ein Vorteil verwehrt wird, der deutschen Staatsangehörigen offensteht.

64.      Das Diskriminierungsverbot – der Grundsatz der Gleichbehandlung – des Gemeinschaftsrechts beschränkt sich jedoch nicht auf Fragen der Staatsangehörigkeit. Es wird im Allgemeinen definiert als allgemeines Erfordernis, dass gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt und ungleiche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt(36).

65.      Während die in Rede stehende Vorschrift alle Sachverhalte, in denen die Zugehörigkeit eines Einzelnen zu einer Rechtsordnung nach der Staatsangehörigkeit bestimmt wird, gleichbehandelt, erstreckt sie diese Gleichbehandlung nicht auf Sachverhalte, in denen der Anknüpfungspunkt der gewöhnliche Aufenthalt ist. Die Rechtsordnungen in der Gemeinschaft beziehen sich teilweise auf das eine Kriterium, teilweise auf das andere(37). Daher ist die Frage gerechtfertigt, ob nicht der Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt, dass dem im dänischen Recht verwendeten Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts und dem im deutschen Recht verwendeten Kriterium der Staatsangehörigkeit gleiches Gewicht beigemessen wird.

66.      Meines Erachtens ist diese Frage zu bejahen. Andernfalls würde man Stellung dazu beziehen, welches Kriterium „besser“ ist und größeres Gewicht erhalten sollte. Das ist eine Aufgabe, die, wenn überhaupt, vom Gemeinschaftsgesetzgeber und nicht vom Gerichtshof zu erfüllen ist. Solange es keine einheitliche Regel gibt, ist es Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, welchen Anknüpfungspunkt sie verwenden wollen, um das auf Personennamen anwendbare Recht zu bestimmen, sofern sie bei der Ausübung dieser Zuständigkeit im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht handeln.

67.      Während die bloße Tatsache, dass die Staatsangehörigkeit und nicht der gewöhnliche Aufenthalt (oder umgekehrt) als Anknüpfungspunkt gewählt wird, als solche nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche Erfordernis der Gleichbehandlung verstößt, führt die Nichtanerkennung der Wirkungen von Maßnahmen, die nach einer anderen Rechtsordnung mit einem anderen Anknüpfungspunkt gültig sind, offenbar zu einem Verstoß.

68.      Ein Beispiel dafür könnte sein, dass Leonhard Matthias, wenn er nicht in Dänemark, sondern in einem Mitgliedstaat geboren wäre, der (in ausgeprägter Weise) das ius soli anwendet(38), die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats hätte erwerben können und das deutsche Recht einen Name anerkannt hätte, der nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats bestimmt worden wäre. Deutsche Staatsbürger, die in einem anderen Mitgliedstaat geboren und unter einem nach dem Recht dieses Staates als des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts gebildeten Namen eingetragen werden, werden damit unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob der betreffende Staat ihnen auch den Erwerb seiner Staatsangehörigkeit erlaubt oder nicht, eine Frage, die nicht zwangsläufig mit dem Kriterium zusammenhängt, das er zur Bestimmung des anwendbaren Namensrechts verwendet.

69.      Führt eine Kollisionsnorm eines Mitgliedstaats systematisch zur Nichtanerkennung eines Familiennamens, der einem Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats nach dem Recht des Mitgliedstaats seines Geburtsorts und seines gewöhnlichen Aufenthalts erteilt wird, das nach den Kollisionsnormen des erstgenannten Mitgliedstaats anwendbar ist, dann stellt diese Nichtanerkennung keine nach Art. 12 EG untersagte Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar. Sie verstößt jedoch meiner Ansicht nach gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung. Dieser Grundsatz verlangt, dass, wenn ein Sachverhalt sich nicht lediglich auf einen Mitgliedstaat beschränkt, sondern die Ausübung eines durch den EG-Vertrag gewährleisteten Rechts umfasst, ein Bezug zur Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats nicht unterschiedlich behandelt werden darf, je nachdem, ob dieser Bezug (nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats) auf der Staatsangehörigkeit oder dem gewöhnlichen Aufenthalt beruht.

70.      Ein weiterer Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung könnte darin erblickt werden, dass die deutsche Vorschrift die ungleichen Situationen deutscher Staatsangehöriger, deren Name nicht zuvor in einem anderen Mitgliedstaat eingetragen wurde, und deutscher Staatsangehöriger, deren Name eingetragen wurde, gleichbehandelt.

71.      Genauso wie das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit untersagt der Grundsatz der Gleichbehandlung jedoch nicht einfach sämtliche Unterscheidungen unabhängig von den Umständen. Es erscheint daher erforderlich, zu prüfen, ob die Rechte von Leonhard Matthias auf Freizügigkeit oder freien Aufenthalt beeinträchtigt werden.

 Liegt eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit und/oder des freien Aufenthalts vor?

72.      Im Urteil Garcia Avello hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine „Situation unterschiedlicher Familiennamen für die Betroffenen unstreitig zu schwerwiegenden Nachteilen beruflicher wie auch privater Art führen [kann], die insbesondere aus den Schwierigkeiten resultieren können, in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, rechtliche Wirkungen von Urkunden oder Schriftstücken in Anspruch zu nehmen, die auf den Namen ausgestellt wurden, der in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt ist, dessen Staatsangehörigkeit sie ebenfalls besitzen“(39).

73.      Solche Nachteile werden in keiner Weise dadurch gemildert, dass jemand die Staatsangehörigkeit nur eines der betreffenden Mitgliedstaaten besitzt. Sie ergeben sich in praktischer Hinsicht nicht aus dem Besitz von mehr als einer Staatsangehörigkeit, sondern daraus, dass sich jemand als Unionsbürger zwischen Mitgliedstaaten bewegt und nacheinander in jedem dieser Staaten lebt, studiert, arbeitet, Leistungen beantragt, Verwaltungsformalitäten erfüllt, Bankkonten eröffnet und die vielen anderen Geschäfte des täglichen Lebens vornimmt.

74.      Diese praktischen Schwierigkeiten beeinträchtigen nach der von Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Standesamt Stadt Niebüll geäußerten Ansicht „eindeutig [das] Bürgerrecht [von Leonhard Matthias], sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten“(40). Dem stimme ich zu.

75.      Einige Mitgliedstaaten haben jedoch geltend gemacht, dass nichts in der fraglichen Kollisionsnorm oder deren Anwendung im vorliegenden Fall seiner Natur nach geeignet sei, die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit oder freien Aufenthalt zu behindern oder weniger attraktiv zu machen(41). Es sei den Eltern von Leonhard Matthias möglich gewesen, in Dänemark einen Familiennamen zu wählen, der mit dem deutschen Recht voll im Einklang stehe, und ein solcher Name wäre dem Kind auch zugeteilt worden, wenn sie sich nicht bewusst anders entschieden hätten. Eltern könnten von einem Umzug in einen anderen Mitgliedstaat nicht durch das Wissen abgehalten werden, dass sie genauso behandelt werden würden wie dann, wenn sie von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht hätten.

76.      Diese Argumentation ist an sich nicht fehlerhaft – und wahrscheinlich trifft zu, dass es keinen Mitgliedstaat gibt, in dem der Familienname von Leonhard Matthias, wäre dieser dort geboren, in einer mit dem deutschen Sachrecht unvereinbaren Form hätte eingetragen werden müssen.

77.      Ich meine jedoch, dass dieses Argument an der Sache vorbeigeht. Die Frage ist nicht, ob Eltern durch Vorschriften, die bei der Bestimmung des Familiennamens ihrer geborenen oder ungeborenen Kinder anwendbar sein könnten, möglicherweise von der Ausübung ihrer Rechte auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt abgehalten oder in der Ausübung dieser Rechte behindert werden. Es geht darum, ob einem Kind, dessen Geburt rechtmäßig unter einen bestimmten Namen nach dem Recht des Mitgliedstaats des Geburtsorts eingetragen wurde – und das selbst keine Auswahl im Hinblick auf diese Eintragung getroffen hat –, im Rahmen der Ausübung seiner eigenen Rechte als Unionsbürger(42) ein Nachteil oder Schwierigkeiten entstehen, wenn der Mitgliedstaat seiner Staatsangehörigkeit den auf diese Weise eingetragenen Namen nicht anerkennt.

78.      Das ist eindeutig der Fall. Zumindest wird eine Diskrepanz zwischen der Geburtsurkunde und den Reisedokumenten des Betreffenden bestehen. Für jemanden, der wie Leonhard Matthias weiterhin hauptsächlich im Mitgliedstaat seines Geburtsorts lebt, zugleich aber einen engen Bezug zum Mitgliedstaat seiner Staatsangehörigkeit behält, werden sich die Probleme zwangsläufig vermehren. Im Laufe seines Lebens wird er verschiedene Dokumente erhalten, die auf den in seiner Geburtsurkunde eingetragenen Namen ausgestellt sind, unter Umständen aber auch Dokumente, die auf den im Mitgliedstaat seiner Staatsangehörigkeit anerkannten Namen ausgestellt sind. Er wird möglicherweise in beiden Staaten studieren und Abschlüsse erlangen. Er könnte in beiden Staaten für die Zwecke der Sozialversicherung registriert werden. Möglicherweise wird er in einen dritten Mitgliedstaat ziehen und dort administrative Schwierigkeiten haben, weil er in verschiedenen Dokumenten verschiedene Namen führt. Und es lässt sich nicht ignorieren, dass sowohl staatliche Behörden als auch private Einrichtungen in den letzten Jahren immer misstrauischer auf ungewöhnlich erscheinende Sachverhalte reagiert haben, was oft äußerst unangenehme Folgen für diejenigen hat, die ihrem Verdacht ausgesetzt sind.

79.      Meines Erachtens liegt daher auf der Hand, dass die Weigerung des Mitgliedstaats, dem eine Person angehört, einen dieser Person rechtmäßig erteilten Namen anzuerkennen, es dem Betreffenden erheblich erschweren wird, seine Rechte als Unionsbürger auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszuüben. Der Umstand, dass, wie die französische Regierung im vorliegenden Fall bemerkt, Leonhard Matthias in der Praxis noch nicht daran gehindert oder davon abgebracht wurde, sich zwischen Dänemark und Deutschland zu bewegen, bedeutet nicht, dass sein Recht, dies zu tun, nicht eingeschränkt wurde.

 Kann es eine Rechtfertigung geben?

80.      Wenn die Art und Weise, in der das deutsche Recht in einem Fall wie dem von Leonhard Matthias angewandt wird – und ich betone erneut, dass es um die Weigerung geht, den ihm in Dänemark rechtmäßig erteilten Familiennamen einzutragen –, grundsätzlich sowohl mit dem Erfordernis der Gleichbehandlung unvereinbar als auch dazu angetan ist, die vertraglichen Rechte von Leonhard Matthias als Unionsbürger zu beeinträchtigen, stellt sich die Frage, ob diese Weigerung gerechtfertigt sein kann.

81.      Mögliche Rechtfertigungsgründe lassen sich in solche systematischer Art, die bei Erfüllung bestimmter Kriterien eine automatische Ablehnung der Anerkennung oder Übernahme eines Namens rechtfertigen, und solche einteilen, die stärker auf den Einzelfall bezogen sind und je nach konkretem Fall eine Ablehnung rechtfertigen können.

82.      Hinsichtlich der ersten Gruppe hat Deutschland auf die Vorteile hingewiesen, die es hat, wenn aus den Nachamen beider Elternteile zusammengesetzte Doppelnamen nicht erlaubt werden (da es, wenn diese Praxis erlaubt würde, künftige Generationen mit Familiennamen von schwer zu handhabender Länge zu tun haben könnten(43), die aus bereits zusammengesetzten Namen zusammengesetzt sind) und bei der Bestimmung des auf den Namen eines Einzelnen anwendbaren Rechts nur die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungspunkt verwendet wird (da sie ein beständigeres und leichter feststellbares Kriterium ist als der gewöhnliche Aufenthalt).

83.      Wie ich bereits erklärt habe, halte ich es weder für erforderlich noch für angemessen, Stellung zu den relativen Vorteilen unterschiedlicher Sach- oder Kollisionsnormen in diesem Bereich zu beziehen. Ich meine jedoch, dass sich Deutschland auf keinen Fall auf solche Argumente berufen kann, denn das deutsche Recht schließt weder Doppelnamen für seine eigenen Staatsangehörigen völlig aus (wenn sich z. B. nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB der Name nach dem nationalen Recht eines Elternteils bestimmt, der eine andere Staatsangehörigkeit besitzt), noch die Verwendung des Kriteriums des gewöhnlichen Aufenthalts als Anknüpfungspunkt (ebenfalls nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB kann deutsches Recht sogar dann, wenn keine deutsche Staatsangehörigkeit vorliegt, Anwendung finden, sofern ein Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat(44)). Die Anerkennung des Doppelnamens von Leonhard Matthias, der ihm rechtmäßig im Mitgliedstaat seines Geburtsorts und seines gewöhnlichen Aufenthalts erteilt wurde, würde daher offenkundig nicht gegen einen absoluten Grundsatz des deutschen Rechts verstoßen(45).

84.      Ebenfalls im Zusammenhang mit der Gruppe der Rechtfertigungsgründe systematischer Art argumentiert die litauische Regierung (die in anderer Hinsicht meint, dass die Wirkungen der deutschen Vorschriften nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen), dass kein Mitgliedstaat verpflichtet sein dürfe, Namen anzuerkennen, die seinen eigenen Staatsangehörigen nach ausländischem Recht erteilt würden, wenn diese Namen mit der Struktur seiner eigenen Sprache, einem wesentlichen Bestandteil seines nationalen Erbes, nicht in Einklang stünden. Litauische Familiennamen haben unterschiedliche Formen, je nachdem, ob sie von einem Mann oder einer Frau geführt werden und, wenn es sich um eine Frau handelt, ob diese verheiratet oder ledig ist. Diese Unterschiede seien der Struktur der Sprache inhärent, und entstellte Formen seien aus staatspolitischen Gründen nicht hinnehmbar.

85.      Ich halte es nicht für erforderlich, diese Frage im Rahmen der vorliegenden Rechtssache zu entscheiden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass ein Doppelname wie Grunkin-Paul grundlegende Werte der deutschen Sprache verletzt. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bedeutung von landessprachlichen Aspekten im Bereich von Personennamen betont und anerkannt hat, dass es gerechtfertigt sein kann, linguistische Vorgaben zu machen(46).

86.      Was die Umstände betrifft, die es rechtfertigen könnten, die Anerkennung oder Übernahme eines Namens in einem bestimmten Fall abzulehnen, bestehen verschiedene Möglichkeiten. Es erscheint eindeutig gerechtfertigt, die Eintragung eines Nachnamens abzulehnen, der etwas Lächerliches oder Beleidigendes hat. Ist nach nationalem Recht die Möglichkeit, dass Geschwister verschiedene Familiennamen tragen, völlig ausgeschlossen, wäre es vielleicht gerechtfertigt, die Eintragung eines Namens abzulehnen, der zu einer solchen Situation führen würde. Unter Umständen wäre es auch gerechtfertigt, die Anerkennung eines Namens abzulehnen, der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats erteilt wurde, zu dem ein Kind aufgrund seiner Geburt, nicht jedoch aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, einen Bezug hat, wenn nachgewiesen wird, dass der Geburtsort nur zu dem Zweck gewählt wurde, die Vorschriften des Mitgliedstaats der Staatsangehörigkeit zu umgehen, ohne dass irgendeine andere echte Verbindung zu diesem Ort besteht(47).

87.      In der vorliegenden Rechtssache gibt es jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass einer dieser Umstände vorliegt. Insbesondere erscheint die Verbindung von Leonhard Matthias zu Dänemark, wo er bislang die meiste Zeit gelebt hat und aller Wahrscheinlichkeit nach Freundschaften geschlossen und Wurzeln geschlagen hat, echt und beständig. In diesem Zusammenhang – und mit Blick auf jede unter vergleichbaren Umständen erfolgte Weigerung, einen Namen auf der Grundlage besonderer Umstände des Einzelfalls einzutragen – erinnere ich daran, dass die deutschen Behörden und Gerichte, wie die Gerichte und Behörden der übrigen Mitgliedstaaten, verpflichtet sind, den Gesichtspunkt des Kindeswohls vorrangig zu berücksichtigen(48). Ich möchte doch annehmen, dass es zum Wohl von Leonhard Matthias sein dürfte, wenn nun, da sich sein zehnter Geburtstag nähert, der Familienname, den er bislang fast sein ganzes Leben lang im Mitgliedstaat seines gewöhnlichen und beständigen Aufenthalts getragen hat, von den Behörden des Mitgliedstaats seiner Staatsangehörigkeit anerkannt wird.

 Abschließende Bemerkungen

88.      Ich bin somit zu der Auffassung gelangt, dass der Gerichtshof das Gemeinschaftsrecht in Bezug auf das Recht der Bürger, sich in der Europäischen Union frei zu bewegen und aufzuhalten und dabei nicht diskriminiert zu werden, in dem Sinne auslegen sollte, dass im Ausgangsverfahren der Familienname von Leonhard Matthias, Grunkin-Paul, der vor mehr als neun Jahren rechtmäßig in Dänemark eingetragen wurde, in Deutschland einzutragen ist.

89.      Zwar besteht die Aufgabe des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren darin, das Gemeinschaftsrecht auszulegen, und nicht darin, dieses Recht auf den Sachverhalt anzuwenden, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, und Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens ist, die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten zu sichern. Anders ausgedrückt kann der Gerichtshof nicht selbst über den konkreten Fall entscheiden, der beim vorliegenden Gericht anhängig ist, doch wird seine Entscheidung den Ausgang sowohl dieses Rechtsstreits als auch anderer, vergleichbarer Verfahren, die bei anderen Gerichten angestrengt werden könnten, bestimmen.

90.      Wegen dieses letztgenannten Aspekts habe ich betont, dass in der vorliegenden Rechtssache mit gewisser Vorsicht vorzugehen ist. Während ich ganz die Ansicht von Generalanwalt Jacobs teile, dass es „völlig unvereinbar mit dem Status und den Rechten eines Bürgers der Europäischen Union [ist] – nach den Worten des Gerichtshofes ein Status, der ‚dazu bestimmt [ist], der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein‘… –, jemanden dazu zu verpflichten, entsprechend den Rechtsvorschriften verschiedener Mitgliedstaaten unterschiedliche Namen zu tragen“ (49), verstehe ich auch das weithin geäußerte Anliegen, dass das fragile Gefüge der Vorschriften des internationalen Privatrechts über das Personalstatut in der Europäischen Union nicht völlig durcheinander gebracht werden möge.

91.      Ich möchte deshalb betonen, dass meine Lösung keine wesentliche Änderung der deutschen Sach- oder Kollisionsnormen im Bereich der Namen erforderlich machen, sondern lediglich verlangen würde, dass diese Normen mehr Raum für die Anerkennung einer früheren Namenswahl lassen, die wirksam nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats getroffen wurde. Insoweit bedeutet diese Lösung nur, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung anzuwenden ist, der einem so großen Teil des Gemeinschaftsrechts zugrunde liegt, nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft, sondern auch in Zivilsachen.

92.      Darüber hinaus möchte ich in der vorliegenden Rechtssache eine Entscheidung empfehlen, die nicht nur auf die spezielle Art von Situation zugeschnitten ist, in der sich Leonhard Matthias befindet, sondern die auch Raum für Ausnahmen lässt, die aus Gründen des ordre public gerechtfertigt sein können (wenngleich meines Erachtens im vorliegenden Verfahren keine berechtigte Ausnahme im Zusammenhang mit der Art und Weise angeführt worden ist, in der die einschlägigen deutschen Vorschriften gegenwärtig angewandt werden).

93.      Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass die Bestimmung des Namens einer Person zwar eine Angelegenheit ist, die in den Anwendungsbereich der Gesetze über das Personalstatut fällt, dass sie aber eine eher besondere Materie in diesem Bereich darstellt. Es geht dabei auch um die Frage der Identifizierung, die sich von der des Rechtsstatus oder der Rechtsfähigkeit unterscheidet. Ich meine daher nicht, dass eine Entscheidung des Gerichtshofs im Bereich der Namen zwangsläufig auf diese anderen Angelegenheiten übertragen werden müsste.

 Ergebnis

94.      Nach alledem bin ich der Auffassung, dass der Gerichtshof die Frage des Amtsgerichts Flensburg wie folgt beantworten sollte:

–        Eine Kollisionsnorm, wonach der Name einer Person nach dem Recht der Staatsangehörigkeit der Person zu bestimmen ist, ist als solche nicht unvereinbar mit den Art. 12 EG, 17 EG und 18 EG.

–        Eine solche Norm ist jedoch so anzuwenden, dass das Recht jedes Unionsbürgers auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gewahrt bleibt.

–        Dieses Recht ist nicht gewahrt, wenn ein Unionsbürger, der nach dem anwendbaren Recht seines Geburtsorts unter einem bestimmten Namen eingetragen wurde, bevor sein Name an einem anderen Ort eingetragen werden musste, später in einem anderen Mitgliedstaat einen anderen Namen eintragen lassen muss.

–        Die Behörden eines Mitgliedstaats dürfen daher, wenn sie den Namen eines Unionsbürgers eintragen, nicht automatisch die Anerkennung eines Namens ablehnen, unter dem der Betreffende bereits nach den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats rechtmäßig eingetragen wurde, sofern nicht einer Anerkennung zwingende Gründe des Allgemeininteresses entgegenstehen, die keine Ausnahme zulassen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Derzeit sind Maßnahmen nach Art. 65 EG zu erlassen, „soweit sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind“. Diese Beschränkung entfällt in Art. 81 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der Art. 65 EG ersetzen soll und speziell den Erlass von Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitenden Bezügen vorsieht.


3 – Rechtssache C‑148/02 (Urteil vom 2. Oktober 2003, Slg. 2003, I‑11613).


4 – Unter den Mitgliedstaaten verwenden offenbar Dänemark, Finnland und Litauen das Kriterium des Domizils (im Sinne des gewöhnlichen Aufenthalts und nicht des Begriffs „domicile“, wie er in den Common-law-Systemen gebraucht wird), während das griechische Recht in einigen Fällen auf das Recht des letzten gemeinsamen Aufenthaltsorts der Eltern verweist.


5 – Dies scheint in den meisten übrigen Mitgliedstaaten der Fall zu sein. Irland und das Vereinigte Königreich haben jedoch keine spezielle Kollisionsnorm, da ihr nationales Recht in der Praxis so nachgiebig ist, dass Namen unabhängig davon, nach welcher Rechtsordnung sie gebildet wurden, zugelassen werden können.


6 – CIEC‑Übereinkommen Nr. 4 über die Änderung von Namen und Vornamen vom 4. September 1958, Nr. 19 über das auf Familiennamen und Vornamen anzuwendende Recht vom 5. September 1980 und Nr. 21 über die Ausstellung einer Bescheinigung über die Führung verschiedener Familiennamen vom 8. September 1982.


7 – CIEC‑Übereinkommen Nr. 31 über die Anerkennung von Namen vom 16. September 2005.


8 – Vom 20. November 1989, von allen Mitgliedstaaten ratifiziert.


9 – ABl. 2000, C 364, S. 1 (aktueller im ABl. 2007, C 303, S. 1).


10 – Vom 16. Dezember 1966, ebenfalls von allen Mitgliedstaaten ratifiziert.


11 – Zum 1. April 2006 ersetzt durch das Gesetz Nr. 524 vom 24. Juni 2005 (Navnelov – Namensgesetz), das mehr Wahlmöglichkeiten lässt.


12 – Nach § 1355 BGB kann Ehename nur der Name entweder des einen oder des anderen Ehegatten sein, nicht aber eine Verbindung beider Namen.


13 –      Das Amtsgericht in seiner Funktion als Familiengericht.


14 – Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die §§ 1616 und 1617 BGB nicht verfassungswidrig sind, soweit sie ausschließen, dass ein Kind einen aus den Namen beider Elternteile zusammengesetzten Doppelnamen trägt (Urteil vom 30. Januar 2002, 1 BvL 23/96, BVerfGE 104, 373).


15 – C‑168/91 (Urteil vom 30. März 1993, Slg. 1993, I‑1191).


16 – Angeführt in Fn. 3.


17 – Standesamt Stadt Niebüll (C‑96/04, Urteil vom 27. April 2006, Slg. 2006, I‑3561; siehe unten, Nrn. 21 bis 29).


18 – Nach den Ausführungen von Stefan Grunkin hatten die Eltern bereits ursprünglich Grunkin-Paul zum Namen von Leonhard Matthias erklärt; die Änderung sei erfolgt, um seine Geburtsurkunde dieser Erklärung anzupassen. Demzufolge wären die Namen beider Eltern Teil des Namens des Kindes, und keiner von ihnen wäre ein bloßer „mellemnavn“ (siehe oben, Nr. 14). Wie dem auch sei, Ausgangspunkt muss die Tatsache sein, dass die Eltern nach dänischem Recht den Namen Grunkin-Paul wählen konnten.


19 – Nrn. 15 und 16.


20 – C‑96/04 (angeführt in Fn. 17).


21 – Nrn. 30 bis 44 der Schlussanträge.


22 – Nrn. 45 bis 56.


23 – Der alle Mitgliedstaaten und die Europäische Gemeinschaft selbst (vgl. Beschluss 2006/719/EG des Rates vom 5. Oktober 2006, ABl. L 297, S. 1) angehören.


24 – Vgl. etwa die Kommentare zum Urteil Garcia Avello von Mathias Audit in Recueil Dalloz, 2004, S. 1476, Nr. 20, und von Thomas Ackermann in Common Market Law Review, 2007, S. 141, insbesondere S. 153, sowie zu den Schlussanträgen in der Rechtssache Standesamt Stadt Niebüll von Dieter Henrich in Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts, 2005, S. 422.


25 – Gegenwärtig in der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1).


26 – Vorschlag KOM(2006) 399 endg. der Kommission vom 17. Juli 2006 zur Änderung der Verordnung Nr. 2201/2003 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich. Der Begründung zufolge hat die „zunehmende Mobilität der Bürger in der Europäischen Union zu einer Zunahme von Ehen mit einer internationalen Komponente geführt. Hierin eingeschlossen sind Fälle, bei denen die Ehegatten nicht dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen oder nicht in demselben Mitgliedstaat wohnhaft sind oder gemeinsam in einem Mitgliedstaat leben, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen“ – genau dies ist der Kontext, in dem es zum vorliegenden Fall gekommen ist.


27 – Randnr. 25.


28 – Urteil vom 20. September 2001, Grzelczyk (C‑184/99, Slg. 2001, I‑6193, Randnr. 31). Diese Formulierung ist seitdem wiederholt verwendet worden, zuletzt im Urteil vom 11. Dezember 2007, Eind (C‑291/05, Slg. 2007, I‑0000, Randnr. 32).


29 – Er hat zwar in Randnr. 42 seines Urteils die raison d’être der beiden Systeme und die Art und Weise, in der jedes System dieser raison d’être angepasst schien, kommentiert, nicht aber Schlüsse in Bezug auf ihre jeweiligen Vorzüge gezogen.


30 – Nrn. 48 und 49.


31 – Randnr. 27 des Urteils.


32 – Urteil vom 19. Oktober 2004 (C‑200/02, Slg. 2004, I‑9925, Randnr. 19).


33 – Randnr. 20.


34 – Nr. 53.


35 – Randnrn. 32 bis 35.


36 – Vlg. Urteil Garcia Avello (Randnr. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dem Gerichtshof ist vorgeworfen worden (vgl. Ackermann, a. a. O. [Fn. 24], S. 149), er habe im Urteil Garcia Avello den allgemeinen „aristotelischen“ Begriff der Gleichbehandlung mit dem besonderen Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 12 EG verschmolzen. Unabhängig davon, ob dieser Vorwurf berechtigt ist, beziehe ich mich hier auf den allgemeinen Grundsatz als ein gesondertes Institut.


37 – Tatsächlich kann nach der Verordnung Nr. 2201/2003 (angeführt in Fn. 25, Art. 3) zwischen den beiden Kriterien gewählt werden, um die Zuständigkeit in Fragen der Beendigung einer Ehe zu bestimmen, und im Vorschlag der Kommission für eine Änderung dieser Verordnung (angeführt in Fn. 26, vorgeschlagener neuer Art. 20a) ist ein Wahlrecht in Bezug auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts vorgesehen.


38 – Z. B. Irland – vgl. Urteil Zhu und Chen (Randnr. 9).


39 – Randnr. 36 des Urteils.


40 – Nr. 54 der Schlussanträge.


41 – Vgl. entsprechend u. a. Urteile vom 31. März 1993, Kraus (C‑19/92, Slg. 1993, I‑1663, Randnr. 32), oder vom 9. September 2003, Burbaud (C‑285/01, Slg. 2003, I‑8219, Randnr. 95).


42 – Vgl. Urteile Garcia Avello sowie Zhu und Chen; in beiden hat der Gerichtshof die Rechte des Kindes betont.


43 – Der längste zusammengesetzte Name, der im Vereinigten Königreich dokumentiert ist, ist offenbar Temple-Nugent-Brydges-Chandos-Grenville, den die Dukes of Buckingham and Chandos von 1822 bis 1889 führten, als der Titel erlosch – vielleicht aufgrund eines Übermaßes an Namen. Den meisten Familien gelingt es allerdings, solche Exzesse zu vermeiden.


44 – Interessant ist ein Fall, auf den der Generalsekretär der CIEC auf deren Generalversammlung in Edinburgh am 15. September 2004 hingewiesen hat. Am 16. Februar 2004 hob das Tribunal Administratif (Verwaltungsgericht) in Luxemburg eine Entscheidung der luxemburgischen Behörden auf, mit der es abgelehnt worden war, das Kind eines in Deutschland ansässigen luxemburgischen Ehepaars in Luxemburg unter dem Familiennamen der Mutter einzutragen. Das Paar hatte diesen Namen als gemeinsamen Familiennamen gewählt (siehe oben, Nr. 16 und Fn. 12), und das in Deutschland geborene Kind war dort unter diesem Namen eingetragen, alles in Übereinstimmung mit deutschem Recht, das nach seinen eigenen Kollisionsnormen als Recht des Aufenthaltsorts anwendbar war. Das luxemburgische Gericht entschied, dass eine solche Situation nicht gegen den ordre public in Luxemburg verstoße.


45 – Vgl. Randnr. 44 des Urteils Garcia Avello, in der der Gerichtshof unterstrichen hat, dass die systematische Weigerung der belgischen Behörden, eine Änderung des Familiennamens zuzulassen, eindeutig unverhältnismäßig war, da in anderen, vergleichbaren Situationen Abweichungen möglich waren.


46 – Vgl. Urteil Bulgakov/Ukraine (Beschwerde Nr. 59894/00) vom 11. September 2007 (Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).


47 – Die Zulassung einer solchen Rechtfertigung würde allerdings zu einem gewissen Konflikt mit dem Urteil Zhu und Chen (in Fn. 32 angeführt) führen, in dessen Randnrn. 34 ff. der Gerichtshof das Vorbringen zurückgewiesen hat, dass es nicht möglich sei, sich auf die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats zu berufen, wenn diese aufgrund eines allein für den Zweck ihres Erwerbs gewählten Geburtsorts erlangt worden sei. Die Argumentation des Gerichtshofs in diesem Urteil stützte sich jedoch auf das Recht jedes Mitgliedstaats, die Voraussetzungen für den Erwerb der Staatsangehörigkeit festzulegen, und betraf nicht die Verwendung der Staatsangehörigkeit als Kriterium oder als Anknüpfungspunkt für die Zwecke des internationalen Privatrechts. Vgl. auch Urteil vom 7. Juli 1992, Singh (C‑370/90, Slg. 1992, I‑4265, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).


48 – Siehe oben, Nr. 9.


49 – Schlussanträge in der Rechtssache Standesamt Stadt Niebüll (Nr. 56, wo das Urteil vom 15. März 2005, Bidar, C‑209/03, Slg. 2005, I‑2119, Randnr. 31, zitiert wird).