Language of document : ECLI:EU:C:2010:41

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 26. Januar 20101(1)

Rechtssache C‑48/09 P

Lego Juris A/S

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM)

und

Mega Brands

„Rechtsmittel – Gemeinschaftsmarke – Dreidimensionale Marke mit der Form eines Lego-Steins – Löschungsantrag – Teilweise Nichtigerklärung der Gemeinschaftsmarke“





I –    Einleitung

1.        „Lego des Lebens“. Diesen Titel trug vor einigen Monaten ein Artikel(2) in der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT, der sich mit einem neuen Wissenschaftszweig, der „synthetischen Biologie“, befasste. Der Vergleich mit dem bekannten Bauspielzeug basierte darauf, dass Wissenschaftler bei der Bildung von Organismen, z. B. künstlicher Proteine aus Mikroben, mit derselben Methode vorgehen, die ein Kind vor seiner Lego-Kiste anwendet: Erst werden die Steine (im Fall des Forschers: Biobricks oder standardisierte Genfragmente) gesammelt, von denen bereits mehr als 3 000 bekannt sind, sodann werden anhand der Eigenschaften, die man in der neuen Zelle hervorrufen will, die geeigneten ausgewählt, und schließlich werden die DNA-Fragmente in das Erbgut von Wirtszellen eingebaut, um dem entstehenden Organismus „Leben zu geben“.

2.        Mit dem vorliegenden Rechtsmittel ficht Lego Juris das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 12. November 2008(3) an. Es geht hier nicht darum, die Vorzüge des Spielzeugs abzuwägen, dessen pädagogischer sowie Logik und Kreativität fördernder Wert von niemandem angezweifelt wird, sondern um die Prüfung, ob die Auslegung der Bestimmungen über die Gemeinschaftsmarke und der einzigen Präzedenzentscheidung des Gerichtshofs durch das Gericht die Rechtsfehler aufweist, die das dänische Unternehmen geltend macht.

3.        Das Unternehmen Lego und sein größter Wettbewerber, Mega Brands, streiten darüber, ob es möglich ist, die fotografische Wiedergabe eines typischen Bausteins des streitigen Spielzeugs als Marke einzutragen, oder ob das Erscheinungsbild wesentliche Merkmale der Form des Steins aufweist, die wegen ihrer Funktionalität für jeden Spielzeugfabrikanten verfügbar bleiben müssen und einer Eintragung nicht zugänglich sind.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Anwendbare Vorschriften

4.        Seit dem 13. April 2009 ist die Gemeinschaftsmarke im Wesentlichen durch die Verordnung (EG) Nr. 207/2009(4) geregelt, doch sind im Rahmen der Entscheidung über das vorliegende Rechtsmittel die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 40/94(5) in zeitlicher Hinsicht weiterhin gültig.

5.        In der Verordnung Nr. 40/94 ist besonders Art. 4 zu beachten:

„Gemeinschaftsmarken können alle Zeichen sein, die sich grafisch darstellen lassen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen und die Form oder Aufmachung der Ware, soweit solche Zeichen geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“

6.        Art. 7 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Von der Eintragung ausgeschlossen sind

a)      Zeichen, die nicht unter Artikel 4 fallen,

b)      Marken, die keine Unterscheidungskraft haben,

e)      Zeichen, die ausschließlich bestehen

i)      …

ii)      aus der Form der Ware, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, oder

iii)  aus der Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht,

…“

7.        Art. 7 Abs. 3 wiederum bestimmt:

„Die Vorschriften des Absatzes 1 Buchstaben b), c) und d) finden keine Anwendung, wenn die Marke für die Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wird, infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat.“

B –    Rechtsprechung: das Urteil Philips(6)

8.        Auch wenn in die Darstellung des anwendbaren Rechts in Verfahren vor dem Gerichtshof normalerweise keine Auszüge aus seinen eigenen Urteilen aufgenommen werden, lässt die Tatsache, dass es bislang nur ein für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits relevantes Urteil gibt, die Wiedergabe bestimmter Aussagen des Urteils Philips in diesem Teil der Schlussanträge mehr als gerechtfertigt erscheinen. Unter diesen Umständen kommt dieses Urteil in gewisser Weise durch die Auslegung der in ihm angestellten Erwägungen einer Rechtsnorm gleich.

9.        Im Ausgangsverfahren der Rechtssache Philips ging es um die grafische Darstellung der Form der oberen Fläche eines von dem niederländischen Unternehmen entworfenen Rasierapparats.

10.      Dem Urteil zufolge steht Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 „von vornherein der Eintragung eines ausschließlich aus der Form einer Ware bestehenden Zeichens entgegen“(7).

11.      Laut dem Urteil besteht die Ratio des Art. 3 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 89/104/EWG(8) darin, zu verhindern, dass der Schutz des Markenrechts seinem Inhaber ein Monopol für technische Lösungen oder Gebrauchseigenschaften einer Ware einräumt, die der Benutzer auch bei den Waren der Mitbewerber suchen kann, und soll die Vorschrift es somit vermeiden, dass der durch das Markenrecht gewährte Schutz über den Schutz der Zeichen hinausgeht, anhand deren sich eine Ware oder Dienstleistung von den von Mitbewerbern angebotenen Waren oder Dienstleistungen unterscheiden lässt, und zu einem Hindernis für die Mitbewerber wird, Waren mit diesen technischen Lösungen oder diesen Gebrauchseigenschaften im Wettbewerb mit dem Markeninhaber frei anzubieten(9).

12.      Den Zweck der Vorschrift erläutert das Urteil weiter mit dem Hinweis, dass die Vorschrift verhindern soll, dass Formen, deren wesentliche Merkmale einer technischen Funktion entsprechen, eingetragen werden, da die dem Markenrecht innewohnende Ausschließlichkeit die Mitbewerber daran hindern würde, eine Ware mit einer solchen Funktion anzubieten(10). Demgemäß wird mit der Vorschrift „das im Allgemeininteresse liegende Ziel verfolgt, dass eine Form, deren wesentliche Merkmale einer technischen Funktion entsprechen …, von allen frei verwendet werden kann“(11).

13.      Schließlich heißt es in dem Urteil, dass die in der Rechtssache einschlägige Vorschrift „das legitime Ziel [widerspiegelt], es dem Einzelnen nicht zu erlauben, die Eintragung einer Marke zu benutzen, um ausschließliche Rechte an technischen Lösungen zu erlangen oder fortbestehen zu lassen“(12). Ferner lässt dem Urteil zufolge nichts im Wortlaut der Vorschrift die Schlussfolgerung zu, dass durch den Nachweis, dass es andere Formen gibt, die die gleiche technische Wirkung ermöglichen, das Eintragungshindernis oder der Grund für die Ungültigerklärung ausgeräumt werden kann(13).

III – Sachverhalt

14.      Am 1. April 1996 meldete das Unternehmen, dessen Rechtsnachfolgerin die Lego Juris A/S ist, beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) eine Gemeinschaftsmarke an. Es beantragte die Eintragung des nachstehend wiedergegebenen dreidimensionalen roten Spielzeugbausteins:

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15.      Die Anmeldung erfolgte für Waren der Klasse 9 (die im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels unerheblich sind, so dass sie hier nicht wiedergegeben werden) sowie solche der Klasse 28 des Abkommens von Nizza(14), darunter insbesondere „Spiele, Spielzeug“.

16.      Am 19. Oktober 1999 wurde das beantragte gewerbliche Schutzrecht eingetragen, doch bereits zwei Tage später, am 21. Oktober 1999, beantragte das Unternehmen, dessen Rechtsnachfolgerin die Mega Brands, Inc. (im Folgenden: Mega Brands) ist, die eingetragene Marke gemäß Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 40/94 für „Bauspielzeug“ in Klasse 28 für nichtig zu erklären. Mega Brands zufolge standen der Eintragung die absoluten Eintragungshindernisse des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, e Ziff. ii und iii und f der Verordnung entgegen.

17.      Die Nichtigkeitsabteilung setzte das bei ihr anhängig gemachte Verfahren aus bis zur Verkündung des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache Philips, das im Juni 2002 erging, und nahm es am 31. Juli 2002 wieder auf. Mit der Begründung, dass die Marke ausschließlich aus der Form der Ware bestehe, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei, erklärte die Nichtigkeitsabteilung mit Entscheidung vom 30. Juli 2004 die eingetragene Marke für „Bauspielzeug“ in Klasse 28 auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 für nichtig.

18.      Am 20. September 2004 legte die Rechtsmittelführerin gegen diese Entscheidung bei den Beschwerdekammern des HABM eine Beschwerde ein. Nach einigen verfahrensrechtlichen Peripetien(15) verwies das Präsidium der Beschwerdekammern des HABM die Sache auf Antrag der Rechtsmittelführerin an die Große Kammer(16).

19.      Mit Entscheidung vom 10. Juli 2006(17) wies die Große Kammer des HABM die Beschwerde als unbegründet zurück, da die Marke nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 für „Bauspielzeug“ in Klasse 28 nicht eintragungsfähig sei.

20.      Sie führte aus, dass der Erwerb von Unterscheidungskraft durch Benutzung nach Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 dem Eingreifen von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung nicht entgegenstehen könne(18). Die letztgenannte Vorschrift solle die Eintragung von Formen verhindern, deren wesentliche Merkmale einer technischen Funktion entsprächen, so dass sie frei von jedermann benutzt werden könnten und eine Form dem Verbot nicht entgehe, wenn sie ein geringfügiges willkürliches Element wie eine Farbe enthalte(19). Sie verneinte die Relevanz anderer Formen, mit denen die gleiche technische Wirkung erzielt werden könnte(20).

21.      Weiter führte die Große Kammer des HABM aus, dass das Wort „ausschließlich“ in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 bedeute, dass die Form keinen anderen Zweck habe als die Erreichung einer bestimmten technischen Wirkung, und dass das ebenfalls in der Bestimmung enthaltene Wort „erforderlich“ bedeute, dass die Form für die Erreichung dieser technischen Wirkung benötigt werde, wobei aber auch andere Formen die gleiche Aufgabenstellung erfüllen könnten(21). Im Übrigen erörterte die Große Kammer des HABM die Merkmale der fraglichen Form, die sie als die wesentlichen Merkmale ansah(22), und untersuchte deren Funktionalität(23).

IV – Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

22.      Am 25. September 2006 reichte Lego Juris bei der Kanzlei des Gerichts eine Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Großen Kammer des HABM ein. Sie machte einen einzigen Klagegrund geltend, mit dem sie einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 (im Folgenden auch: streitige Vorschrift) rügte und der aus zwei Teilen bestand, mit denen sie zum einen eine fehlerhafte Auslegung der genannten Bestimmung und zum anderen eine verfehlte Beurteilung des Schutzgegenstands der fraglichen Marke beanstandete.

23.      Zusammengefasst(24) warf Lego Juris der Großen Kammer des HABM vor, die tatsächliche Reichweite des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii nicht erfasst zu haben, der nämlich funktionale Formen nicht von vornherein von der Eintragung als Marke ausschließe, sondern nur solche Zeichen, die „ausschließlich“ aus der Form der Ware bestünden, die zur Erreichung einer technischen Wirkung „erforderlich“ sei. Eine Form falle daher nur unter diese Bestimmung, wenn sie nur funktionale Merkmale aufweise, und die Änderung der unterscheidungskräftigen Merkmale ihrer äußeren Erscheinung müsse im Hinblick auf ihre unterscheidungskräftigen Merkmale zum Verlust ihrer Funktionalität führen. Das geeignete Kriterium, um festzustellen, ob die Eintragung einer Marke zu einer Monopolbegründung im Sinne der genannten Vorschrift führe, sei das Vorhandensein etwaiger funktional gleichwertiger Alternativformen, die die gleiche technische Lösung nutzten.

24.      Die fragliche Vorschrift, so die Rechtsmittelführerin weiter im Rahmen ihres Vorbringens im ersten Rechtszug, schließe „industrielle Formgebungen“ nicht vom Markenschutz aus, die eingetragen werden könnten, selbst wenn sie ausschließlich aus Elementen bestünden, die eine Funktion besäßen. Die Schlüsselfrage sei, ob dieser Schutz ein Monopol an technischen Lösungen oder an Gebrauchseigenschaften der fraglichen Form schüfe, oder ob die Wettbewerber über genügend Freiheit verfügten, um eine ähnliche technische Lösung anzuwenden und entsprechende Merkmale zu nutzen.

25.      Das Gericht hat sich dieser Auffassung jedoch nicht angeschlossen. Es hat sich dafür ausgesprochen, das Wort „ausschließlich“ in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94(25) im Licht des in den Randnrn. 79, 80 und 83 des Urteils Philips verwendeten Ausdrucks „wesentliche Merkmale, die einer technischen Funktion entsprechen“ auszulegen. Diesem Ausdruck könne nämlich entnommen werden, dass eine Form durch das Hinzufügen von nicht wesentlichen Merkmalen, die keine technische Funktion hätten, diesem absoluten Eintragungshindernis nicht entgehe, wenn alle wesentlichen Merkmale der Form einer technischen Funktion entsprächen.

26.      In Bezug auf die Formulierung „zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich“, die ebenfalls in der fraglichen Vorschrift enthalten ist und in den Randnrn. 81 und 83 des Urteils Philips aufgegriffen wird, hat das Gericht festgestellt, sie bedeute nicht, dass dieses absolute Eintragungshindernis nur eingreife, wenn die fragliche Form die einzige sei, die die Erreichung der betreffenden Wirkung erlaube. Der Gerichtshof habe nämlich in Randnr. 81 des Urteils Philips entschieden, dass durch den Umstand, „dass es andere Formen gibt, die die gleiche technische Wirkung ermöglichen, das Eintragungshindernis … [nicht] ausgeräumt werden kann“, und in Randnr. 83, dass „ein aus [der fraglichen] Form bestehendes Zeichen von der Eintragung [ausgeschlossen ist], selbst wenn die fragliche technische Wirkung durch andere Formen erzielt werden kann“. Aus diesen Feststellungen hat das Gericht den Schluss gezogen, dass es für das Eingreifen dieses absoluten Eintragungshindernisses genüge, dass die wesentlichen Merkmale der Form die Charakteristika aufwiesen, die für das Erreichen der fraglichen technischen Wirkung technisch kausal und hinreichend seien, so dass sie der technischen Wirkung zuzuschreiben seien.

27.      Das Gericht hat auch die Argumente der Lego Juris zurückgewiesen, denen zufolge es von Bedeutung sei, dass es andere Formen gebe, die die gleiche technische Wirkung ermöglichten, da der Gerichtshof in den Randnrn. 81 und 83 des Urteils Philips verneint habe, dass diese Angaben relevant seien, und die Formen, die eine andere „technische Lösung“ nutzen, nicht von denen unterschieden habe, die die gleiche „technische Lösung“ nutzten.

28.      Das Gericht hat ferner zum einen auf Randnr. 78 des Urteils Philips verwiesen, nach der die fragliche Vorschrift verhindern soll, dass der Schutz des Markenrechts seinem Inhaber ein Monopol für Gebrauchseigenschaften einer Ware einräumt und zu einem Hindernis für die Mitbewerber wird, Waren mit diesen Gebrauchseigenschaften frei anzubieten. Dazu hat das Gericht bemerkt, es lasse sich nicht ausschließen, dass die Gebrauchseigenschaften einer Ware, die nach der Entscheidung des Gerichtshofs auch für Mitbewerber zur Verfügung stehen müssten, spezifisch einer bestimmten Form zugehörten. Zum anderen hat sich das Gericht auf Randnr. 80 des Urteils Philips gestützt, wonach die fragliche Vorschrift das im Allgemeininteresse liegende Ziel verfolgt, dass eine Form, deren wesentliche Merkmale einer technischen Funktion entsprechen, von allen frei verwendet werden kann, und insoweit hervorgehoben, dass diese Zielsetzung nicht allein auf die in einer solchen Form verkörperte technische Lösung gerichtet sei, sondern auch auf die Form und ihre wesentlichen Merkmale selbst. Da folglich die Form als solche frei benutzt werden können müsse, könne der von der Lego Juris vertretenen Unterscheidung zwischen Formen, die eine andere „technische Lösung“ nutzten, von solchen, die die gleiche „technische Lösung“ nutzten, nicht gefolgt werden.

29.      Im Ergebnis stand daher nach Ansicht des Gerichts Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 der Eintragung jeder Form entgegen, die in ihren wesentlichen Merkmalen ausschließlich aus der Form der Ware besteht, die für das Erreichen der fraglichen technischen Wirkung technisch kausal und hinreichend ist, selbst wenn diese Wirkung durch andere Formen erreicht werden kann. Damit bestätigte das Gericht die von der Großen Kammer des HABM vorgenommene Auslegung, und es wies demgemäß den ersten Teil des einzigen Klagegrundes zurück.

30.      Der zweite Teil dieses Klagegrundes war seinerseits in drei Rügen unterteilt, von denen im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels nur zwei relevant sind. Die erste Rüge bezog sich auf die mangelhafte Ermittlung der wesentlichen Merkmale der Marke, die zweite auf Fehler bei der Beurteilung des funktionalen Charakters ihrer wesentlichen Merkmale(26).

31.      Im Rahmen der ersten Rüge warf die Rechtsmittelführerin der Großen Kammer des HABM vor, sie habe es versäumt, die wesentlichen Merkmale der fraglichen Form zu ermitteln, nämlich die Gestaltung und die Proportionen der Noppen, da sie die Funktionalität des Lego-Steins in seiner Gesamtheit unter Einbeziehung von Elementen geprüft habe, die, wie die Hohlraumseite und die sekundären Stifte, nicht unter den beantragten Schutz fielen. Im Rahmen der angefochtenen Entscheidung sei damit verkannt worden, dass eine solche Marke es der Klägerin ermöglichen würde, Markenanmeldungen von genauso aussehenden Bausteinen entgegenzutreten, nicht aber Anmeldungen von Steinen mit anderem Aussehen, und zwar unabhängig davon, welche technische Lösung sie umsetzten.

32.      Die Rechtsmittelführerin fügte hinzu, dass die wesentlichen Merkmale einer Form aus der Sicht des maßgeblichen Verbrauchers und nicht mittels einer rein technischen Analyse durch Sachverständige zu ermitteln seien.

33.      Mit ihrer zweiten, die Funktionalität dieser Markenmerkmale betreffenden Rüge bemängelte Lego Juris die Annahme der Großen Kammer, dass es auf die von Legos Mitbewerbern verwendeten funktional gleichwertigen Alternativgestaltungen nicht ankomme, während diese in Wirklichkeit bedeutsam für die Frage seien, ob der Schutz einer Form ein Monopol an einer technischen Lösung schaffe. Die Rechtsmittelführerin kritisierte ferner, dass die Große Kammer des HABM auf die Auswirkungen des früheren Patentschutzes auf die Beurteilung der Funktionalität einer Form nicht eingegangen sei.

34.      Schließlich betonte Lego Juris, sie habe durch den Schutz der fraglichen Form als Marke kein Monopol an der technischen Lösung erlangt. Mitbewerber müssten für die Nutzung dieser technischen Lösung nicht die Form des Lego-Steins nachahmen.

35.      Das Gericht hat auch den zweiten Teil des einzigen Klagegrundes für nicht stichhaltig gehalten(27).

36.      Hinsichtlich der ersten Rüge hat das Gericht das Argument zurückgewiesen, dass es auf die Wahrnehmung des angesprochenen Verbrauchers ankomme, da es unwahrscheinlich sei, dass dieser über die technischen Kenntnisse verfüge, die für die Beurteilung der wesentlichen Merkmale erforderlich seien. Zum anderen habe die Große Kammer des HABM alle wesentlichen Merkmale des Lego-Steins fehlerfrei bestimmt, so dass es auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung keinen Einfluss habe, dass sie auch andere Merkmale berücksichtigt habe.

37.      Hinsichtlich der zweiten Rüge hat das Gericht das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zur Relevanz der Alternativformen unter erneuter Bezugnahme auf Randnr. 80 des Urteils Philips verworfen, aus der es folgerte, dass die Beurteilung der Funktionalität einer Form unabhängig vom Bestehen anderer Formen vorzunehmen sei. Was die Beweiskraft der früheren Patente anbelange, gehe das Vorbringen der Rechtsmittelführerin fehl, da die Große Kammer des HABM in Randnr. 39 ihrer Entscheidung ausdrücklich anerkenne, dass ein Zeichen durch ein Patent und eine Marke geschützt werden könne, und sich auf das erste dieser beiden gewerblichen Schutzrechte nur bezogen habe, um die wesentlichen Merkmale des Lego-Steins (die zylindrischen primären Noppen) näher zu beurteilen.

38.      Schließlich hat das Gericht zu dem Vorbringen, wonach die Mitbewerber der Rechtsmittelführerin für die Umsetzung der gleichen technischen Lösung nicht auf eine Nachahmung der Form des Lego-Steins angewiesen seien, bemerkt, dieses Vorbringen beruhe auf der irrigen Konzeption, dass die Verfügbarkeit anderer Formen, die die gleiche technische Lösung verkörperten, eine fehlende Funktionalität der in Frage stehenden Form belege. Dies sei aber bereits durch das schon in Bezug genommene Urteil Philips widerlegt, in dem der Grundsatz statuiert worden sei, dass die funktionale Form als solche für jedermann verfügbar sein müsse.

39.      Da das Gericht das Vorbringen der Lego Juris insgesamt zurückgewiesen hat, hat es die Klage abgewiesen.

V –    Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Verfahrensbeteiligten

40.      Die Rechtsmittelschrift der Lego Juris ist am 2. Februar 2009 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen. Die Rechtsmittelbeantwortungen der Mega Brands und des HABM sind am 15. und 23. April 2009(28) eingereicht worden. Es gab weder eine Erwiderung noch eine Gegenerwiderung.

41.      Lego Juris beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen und dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

42.      Das HABM und Mega Brands beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

43.      In der mündlichen Verhandlung am 10. November 2009 haben die Prozessbevollmächtigten beider Parteien und der Mega Brands mündliche Ausführungen gemacht und Fragen der Mitglieder der Großen Kammer des Gerichtshofs sowie des Generalanwalts beantwortet.

VI – Prüfung des Rechtsmittels

A –    Zusammenfassung der Rechtsauffassungen der Verfahrensbeteiligten und Umfang meiner Prüfung

1.      Skizzierung der Rechtsauffassungen

44.      Das Unternehmen Lego Juris stützt sein Rechtsmittel auf drei Rügen, die nachstehend zusammengefasst werden und die im Übrigen weitgehend mit denen übereinstimmen, die vor dem Gericht vorgebracht wurden.

45.      Erstens wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, es habe in dem angefochtenen Urteil eine unzutreffende Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94, der vom Schutz der Marke alle Formen ausschließe, die eine Funktion erfüllten, vorgenommen, ohne auf die Kriterien der Vorschrift abzustellen. Das Gericht habe sich von dem Urteil Philips entfernt, in dem der Gerichtshof zwischen „technischer Lösung“ und „technischer Wirkung“ unterschieden und den Imperativ der Verfügbarkeit mit Ersterer in Verbindung gebracht habe, um die Wettbewerber nicht zu zwingen, unterschiedliche Lösungen für dasselbe Ergebnis anzuwenden; er habe ihnen allerdings aufgegeben, gegebenenfalls nach anderen Formen zu suchen, die dieselbe Lösung nutzten. Dieser Irrtum des Gerichts habe es zu der Feststellung veranlasst, dass die funktionelle Form als solche jedermann zur Verfügung stehen müsse, während sich aus dem Urteil Philips ergebe, dass eine solche Verfügbarkeit nur hinsichtlich der funktionellen Merkmale der Form erwartet werden dürfe.

46.       Zweitens rügt Lego Juris, in dem angefochtenen Urteil seien bei der Ermittlung der wesentlichen Merkmale der dreidimensionalen Zeichen unzutreffende Kriterien verwendet worden. Gehe es um die tatsächliche Ausübung des Rechts aus einer Marke, seien die „wesentlichen Merkmale“ gleichbedeutend mit den „dominierenden und unterscheidungskräftigen Bestandteilen“, die aus der Sicht des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu prüfen seien(29). Das Gericht habe hingegen in Randnr. 70 seines Urteils die Regel der Maßgeblichkeit des Verbrauchers außer Acht gelassen, indem es in einem Zirkelschluss die funktionalen Merkmale gerade aus dem Zweck hergeleitet habe, den die verschiedenen Teile der Form erfüllten.

47.      Drittens rügt Lego Juris, in dem Urteil seien unzutreffende Kriterien hinsichtlich der Funktionalität zur Anwendung gekommen. Ihrer Ansicht nach besteht die beste Vorgehensweise, um festzustellen, ob ein bestimmtes Merkmal der Form eines Gegenstands funktional sei, in der Änderung des Merkmals; werde durch die Änderung die Funktion nicht verändert, so könne das Merkmal nicht als funktional betrachtet werden. In diesem Zusammenhang sei es wesentlich, alternative Formen einzubeziehen, denn diese zeigten, dass die Gewährung des Markenschutzes für eine konkrete Form nicht die Schaffung einer Monopolstellung impliziere, so dass diese Form nicht unter das absolute Eintragungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 falle.

48.      Das HABM sowie Mega Brands weisen sämtliche Argumente der Rechtsmittelführerin zurück. Sie erachten die im angefochtenen Urteil vorgenommenen Überlegungen und Feststellungen für zutreffend.

2.      Umfang meiner Prüfung

49.      Das vorliegende Rechtsmittel lässt es geboten erscheinen, den Wirtschaftsteilnehmern die Kriterien zu erläutern, die für die Eintragung von Produktformen, welche den vom Produkt zu erfüllenden technischen Funktionen angepasst sind, als Marken gelten.

50.      Zweifellos wurden im Urteil Philips die für die Auslegung der streitigen Vorschrift geltenden Grundsätze aufgestellt, wenn auch in Bezug auf die Richtlinie. Der jener Rechtssache zugrunde liegende Sachverhalt wurde jedoch zum Anlass für ein relativ kategorisches Urteil hinsichtlich der Zulassung von aus funktionellen Formen bestehenden Zeichen zur Eintragung. Dem Urteil lässt sich entnehmen, dass hinsichtlich der vollen Funktionalität der grafischen Darstellung der oberen Fläche des von dem niederländischen Unternehmen vertriebenen elektrischen Rasierapparats ein gewisser Konsens bestand.

51.      Da die Antwort des Gerichtshofs an den englischen High Court so eng am damaligen Sachverhalt orientiert war, wurden in ihr die Gründe hervorgehoben, aus denen die Eintragung eines Zeichens mit solchen Merkmalen verweigert werden muss, aber gab sie den Unternehmen kaum Anhaltspunkte für die Eintragung von funktionalen Zeichen in das Markenregister. Das Urteil schloss getreu dem Geist der Vorschrift die Eintragung von Marken mit funktionellen Formen in keiner Weise aus, wenngleich sie sie auch nicht einfach gestaltete. Metaphorisch gesagt hat der Gerichtshof funktionellen Zeichen die Türen zu den Markenämtern nicht verschlossen, sondern sie halb geöffnet, und das vorliegende Rechtsmittel zwingt dazu, die Breite des Spalts auszumessen, den diese angelehnte Tür offen lässt.

52.      Tatsächlich rügt Lego Juris nicht nur einen Fehler bei der Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 in dem angefochtenen Urteil (erste Rüge), sondern auch die Anwendung von Auslegungskriterien, die für die Bestimmung der funktionellen Merkmale ihres Steins nicht geeignet seien (zweite und dritte Rüge). Folglich ist bei der Prüfung des Rechtsmittels sowohl auf materiell-rechtliche Aspekte, nämlich die etwaigen Auslegungsfehler, als auch auf andere methodische Aspekte einzugehen, nämlich die Vorgehensweise, um die Merkmale der fraglichen Gegenstände zu beurteilen, und ihre Einstufung als funktional.

53.      Ich denke also, dass es nur einen Präzedenzfall gibt und dass das vorliegende Rechtsmittel für den Gerichtshof die zweite Gelegenheit innerhalb von zehn Jahren darstellt, die Schwierigkeiten der streitigen Vorschrift auszuloten – und dies rechtfertigt den Versuch, eine Antwort über die Grenzen hinaus anzubieten, die durch die von der Klägerin vorgebrachten Rügen gezogen werden, bevor ich mich dann diesen zuwende. Darüber hinaus hoffe ich, auf diese Weise den auf der Hand liegenden Erwartungen der Unternehmen, was die Eintragungsvoraussetzungen funktionaler Zeichen angeht, nachkommen zu können, denn diesen ist daran gelegen, dass in diese intrikate Problematik mehr Licht gebracht wird.

B –    Für eine extensivere Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94

1.      Gefestigte und weniger gefestigte Auslegungsregeln

54.      Vergleicht man das Urteil Philips mit der Rechtsprechung in einigen nationalen Rechtsordnungen, so sind gewisse Übereinstimmungen in der Auslegung der jeweiligen nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie sowie ebenso bemerkenswerte Abweichungen festzustellen, die hinsichtlich der Zweckmäßigkeit, die Voraussetzungen der Eintragung funktionaler Marken zu harmonisieren, sehr aufschlussreich sind. In den Schriftsätzen, die die Verfahrensbeteiligten beim Gerichtshof eingereicht haben, wird auch das amerikanische Markenrecht erörtert, was mir zu einigen Anmerkungen hierzu Anlass gibt, die vielleicht in der vorliegenden Rechtssache von Nutzen sein können.

55.      Was die Übereinstimmungen betrifft, so ist einhellig anerkannt, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 und seine nationalen Entsprechungen auf eine zweifache Prämisse gestützt sind: Zum einen soll vermieden werden, dass technische Lösungen für Waren über das Markenrecht monopolisiert werden, besonders wenn sie zuvor den Schutz durch ein anderes Recht des gewerblichen Eigentums genossen haben(30), und zum anderen soll die Trennung zwischen dem Schutz durch eine Marke und dem durch andere Arten des geistigen Eigentums gewährten Schutz aufrechterhalten werden(31). 

56.      Zur Klarstellung sei daran erinnert, dass im Urteil Philips die Antwort auf die vierte Vorlagefrage des High Court genau auf diese beiden Gedanken gestützt war(32) und insoweit den Schlussanträgen von Generalanwalt Ruiz-Jarabo folgte(33). 

57.      Doch hat dieses den nationalen Rechtsordnungen und dem Gemeinschaftsrecht gemeinsame Substrat nicht ausgereicht, um die gerichtliche Entscheidungspraxis vollständig zu vereinheitlichen. Das galt z. B. in der Sache Philips selbst vor den Gerichten der verschiedenen Staaten: Während die schwedischen Gerichte der Ansicht waren, dass eine Form dann als ausschließlich funktionell anzusehen sei, wenn keine andere Form dieselbe Funktion erfüllen könne, gaben die englischen Richter der Auffassung den Vorzug, dass die Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 entsprechende nationale Bestimmung in sämtlichen Fällen der Eintragung entgegenstehe, in denen die Funktion der wesentliche Grund dafür gewesen sei, dass man der Ware gerade die Form gegeben habe, die als Marke angemeldet worden sei(34). 

58.      Diese nationalen Gerichtsentscheidungen ergingen vor dem Urteil Philips, aber in einigen Fällen scheinen die höchsten nationalen Gerichte die Postulate dieses Urteils auf ein Minimum zu reduzieren, so dass der streitige Verbotsbestand bzw. sein nationales Analogon seine Wirkung verliert, mit entsprechend erhöhten Schwierigkeiten der Wettbewerber, in den Markt für das Produkt einzutreten, dessen Eintragung als funktionale Form erlangt wurde(35). 

59.      Diese Divergenz hat ihren Ursprung wahrscheinlich darin, dass in dem Urteil Philips, das ein stringenteres Kriterium hätte zugrunde legen können, mit dem das Verbot auf ausschließlich aus funktionalen Merkmalen bestehende Zeichen beschränkt worden wäre, statt dessen einem flexibleren Kriterium der Vorzug gegeben wurde, das mehr funktionale Marken in das Verbot einbezog, indem nur verlangt wurde, dass die „wesentlichen Merkmale“ einer technischen Funktion entsprechen(36). Dadurch wurde jedoch eine gewisse Unbestimmtheit eingeführt, die jetzt ihren Tribut fordert.

60.      Es ist daher die Gefahr erkennbar, dass die Regeln, die der Gerichtshof erarbeitet hat, nicht in allen Mitgliedstaaten einheitlich gehandhabt werden. Aus diesem Grund halte ich es für angebracht, nach zusätzlichen Kriterien zu suchen, die zur weiteren Präzisierung der Rechtsprechung beitragen können, welche mit ihrem einzigen Präzedenzfall Philips zu stark auf die Zeichen konzentriert ist, die gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung 40/94 von der Eintragung ausgeschlossen sind. Die beste Art und Weise, den Anwendungsbereich dieser Vorschrift genauer zu bestimmen, besteht darin, die Fälle zu untersuchen, in denen die gewünschte Marke trotz einiger funktionaler Züge in das Markenregister aufgenommen werden kann.

2.      Vorgeschlagene Auslegung

61.      Ich schicke vorweg, dass ich keine Änderung der Rechtsprechung vorschlagen werde, sondern nur einige im Wesentlichen methodische Nuancierungen, denn die durch das Urteil Philips aufgestellten Grundsätze haben Gültigkeit(37), also die bereits erwähnte doppelte Ratio des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 – Kriterienbildung zur „Antimonopolisierung“ und strikte Abgrenzung der unterschiedlichen Rechte des gewerblichen Eigentums gegeneinander –, der Ausschluss solcher Formen von der Eintragung, deren wesentliche Merkmale einer technischen Funktion entsprechen(38), und schließlich die Unbeachtlichkeit des Nachweises anderer Formen, die die gleiche technische Wirkung zu erzielen vermögen, für den in der Vorschrift niedergelegten Ausschluss- bzw. Nichtigkeitsgrund(39).

62.      Dieser Hintergrund ist jedoch durch Heranziehung bestimmter methodischer Leitlinien zur Anwendung der Vorschrift zu vervollständigen. Meiner Ansicht nach besteht der „Weg“ bei der Anwendung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 aus bis zu drei Abschnitten(40). 

a)      Erster Abschnitt

63.      Zunächst muss das Gericht, das das Eintragungshindernis oder den Grund für die Nichtigerklärung festzustellen hat, die wichtigsten Merkmale der angemeldeten Form ermitteln. In diesem Stadium ist die zu befolgende Leitlinie von grundlegender Bedeutung.

64.      Da es noch nicht um die Feststellung der Unterscheidungskraft des Zeichens geht, sondern nur um die Ermittlung seiner wesentlichen Merkmale, sind die einzelnen Gestaltungselemente der Marke nacheinander zu prüfen(41). Anders als bei der Prüfung der Unterscheidungskraft ist es dabei nicht unverzichtbar, den Gesamteindruck zu berücksichtigen, sofern nicht, z. B. bei einem einfachen Gegenstand, sämtliche seine Form bildenden Merkmale als wesentlich zu betrachten sind.

65.      Dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii lässt sich entnehmen, dass die wesentlichen Merkmale der Form zu ermitteln und in Bezug zur technischen Wirkung zu setzen sind, um zu klären, ob eine notwendige Verbindung zwischen diesen Merkmalen und dieser technischen Wirkung besteht. In diesem Zusammenhang erfolgt die Bestandsaufnahme dieser wesentlichen Merkmale nicht, um festzustellen, ob das Zeichen die Hauptfunktion der Marke, die Ursprungsidentität der mit ihr gekennzeichneten Waren zu garantieren(42), erfüllen kann, sondern um seine notwendige Bedingtheit durch die technische Wirkung zu ermitteln, die ihrerseits genau einzugrenzen ist.

66.      In dieser Anfangsphase ist die Sichtweise des Verbrauchers nicht maßgebend, denn es wird, worauf das Urteil Philips hinweist(43), nur eine Vorbedingung untersucht, der ausschließlich aus der Form einer Ware bestehende Zeichen unterliegen, die von der Eintragung ausgeschlossen werden können, wenn sie sie nicht erfüllen; es wird noch nicht die mögliche Unterscheidungskraft beurteilt, jenes Stadium, dem die Rechtsprechung stets die Relevanz der Sicht des Endabnehmers zuordnet(44). 

67.      Schließlich muss im ersten Prüfungsabschnitt weiter die Funktionalität jedes einzelnen der festgestellten wesentlichen Merkmale ermittelt werden. Die Ermittlung dieser Funktionalität birgt ihrerseits methodische Probleme. Es ist selbstverständlich nicht möglich, sich auf bloße Vermutungen oder Verallgemeinerungen zu stützen, die sich aus der gewöhnlichen Lebenserfahrung ergeben(45). Normalerweise begründen für Waren, die durch ein Patent oder ein Geschmacksmuster geschützt waren, die zur Eintragungsurkunde dieser gewerblichen Schutzrechte gehörenden Angaben eine einfache, jedoch sehr gewichtige Vermutung, dass die wesentlichen Merkmale der Form des Gegenstands einer technischen Funktion entsprechen, worauf bereits die Große Kammer des HABM unter Anführung des Urteils TrafFix des amerikanischen Supreme Court hingewiesen hat(46). Außerhalb dieser Fälle können immer die Dienste eines Sachverständigen in Anspruch genommen werden.

68.      Vom Ergebnis dieser Funktionalitätsprüfung hängt der weitere Weg ab: Wenn (Fall A) alle wesentlichen Merkmale der angemeldeten Form einer technischen Funktion entsprechen, gilt die Form selbst als funktionell und kann nicht eingetragen werden oder ist, wenn sie bereits eingetragen wurde, zu löschen; in diesem Fall endet hier die Prüfung. Wenn hingegen (Fall B) nicht alle diese Merkmale funktionell sind, ist zum zweiten Abschnitt überzugehen.

b)      Zweiter Abschnitt

69.      Im zweiten Prüfungsabschnitt hat es die Stelle, die die Marke zu prüfen hat, mit einer Form zu tun, von deren wesentlichen Merkmalen nur einige teilweise funktionell sind. Ein strenges Verständnis des Urteils Philips würde dazu führen, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 nicht eingriffe, denn nach Randnr. 84 dieses Urteils ist ein Zeichen, das ausschließlich aus der Form der Ware besteht, nicht eintragungsfähig, wenn nachgewiesen wird, dass die wesentlichen funktionellen Merkmale dieser Form nur der technischen Wirkung zuzuschreiben sind. Ich glaube jedoch auch hier, dass das Urteil zu sehr dem Sachverhalt der Rechtssache verhaftet war.

70.      Tatsächlich denke ich, dass bei Abwägung der beiden Grundprämissen des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 – nämlich dass er „das legitime Ziel [widerspiegelt], … [keine ausschließlichen] Rechte an technischen Lösungen zu erlangen oder fortbestehen zu lassen“(47), und dass die funktionelle Form „von allen frei verwendet werden kann“(48) –, die Vorschrift bei einer solchen Gemengelage von funktionellen und nicht funktionellen wesentlichen Merkmalen Wirkungen entfaltet.

71.      Die Prüfung wird einfach nur komplexer.

72.      Es stellt sich das Problem, dass festgestellt werden muss, ob die Eintragung einer Marke die Mitbewerber daran hindert, die wesentlichen funktionellen Merkmale zu verwenden, die durch das Zeichen geschützt würden, denn in einer Situation wie der dargestellten ist nicht auszuschließen, dass mehrere oder viele der funktionellen Merkmale für die Konkurrenten auf dem Markt unverzichtbar sind, z. B. für die Interoperabilität ihrer Erzeugnisse mit denen des Inhabers der funktionellen Form, die eingetragen werden soll. Da eine solche Folge in scharfem Gegensatz zu den Anforderungen des Urteils Philips steht, sehe ich zwei mögliche Alternativen.

73.      Die erste beschränkte das Recht an der Marke auf die nicht funktionellen wesentlichen und unterscheidungskräftigen Elemente. So bestehen z. B. USB-Sticks(49) aus einem Teil, der eindeutig dem Anschluss an einen Computer oder ein anderes Gerät dient, und einem anderen, der zwar auch eine technische Funktion erfüllt, aber eine besondere ästhetischere Form erhalten kann und zu erhalten pflegt. Für mich sind keine Einwände gegen die Eintragung solcher USB-Sticks als Marke ersichtlich, allerdings beschränkt auf den designten Teil, denn der andere behält immer seine Funktionalität. Doch müsste das HABM seine Eintragungspraxis flexibler gestalten und den Gebrauch von „Disclaimern“ fördern, da es nicht von seiner in Art. 37 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009(50) niedergelegten Befugnis Gebrauch macht, indem es strikt dem – in der Rechtsprechung des Gerichtshofs(51) nicht bestätigten – Grundsatz folgt, dass für Zeichen, die aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzt sind, nicht der Schutz eines einzigen Bestandteils in Anspruch genommen werden kann(52). Selbst wenn die Hersteller dieser Art von USB-Sticks den Schutz für das ästhetisch gestaltete Element beantragen würden, ohne auch nur auf der Abbildung in der Anmeldung den für den Anschluss vorgesehenen Teil wiederzugeben, hätte die Marke eine geringere Wirkung, denn der Verbraucher würde sie vielleicht nicht als Teil eines USB-Sticks erkennen, so dass das Interesse des Herstellers am Erwerb einer Marke schwände.

74.      Diese Schwierigkeit veranlasst mich dazu, eine weitere Alternative vorzuschlagen. Angesichts des eminent bedeutsamen Aspekts des Wettbewerbsschutzes, den die streitige Vorschrift erkennen lässt, muss zur Prüfung eines Zeichens, das teilweise aus funktionellen Elementen besteht, die Voraussetzung gehören, dass das etwaige gewerbliche Schutzrecht nicht zu einem erheblichen Nachteil für Mitwerber führen darf, der nicht mit dem Ruf ihrer eigenen Zeichen im Zusammenhang steht(53). In diesem Prüfungsabschnitt sollten die übrigen kompatiblen Optionen auf dem Markt verglichen werden, wie die Rechtsmittelführerin mit Nachdruck fordert. Ohne auf diesen Aspekt hier näher eingehen zu wollen, sei hervorgehoben, dass die Prüfung anderer verwendbarer Formen unter Berücksichtigung der Interoperabilität und des Verfügbarkeitsgebots als Ausdruck des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 ebenfalls zugrunde liegenden Allgemeininteresses zu erfolgen hat.

c)      Dritter Abschnitt

75.      Sind diese Hindernisse durch die Verwendung von Disclaimern oder die Erkenntnis, dass die Form wettbewerblich unschädlich ist, überwunden, treten die Stellen, die die Funktionalität einer solchen „hybriden“ Marke – im Allgemeinen ein Markenamt oder ein Gericht, das über eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit zu entscheiden hat –, in die dritte Phase ein, in der die Unterscheidungskraft der Marke (der Form) geprüft wird. Nunmehr werden in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung(54) der von dem Zeichen hervorgerufene Gesamteindruck, die Sicht der Verbraucher und die für das Zeichen beanspruchten Waren oder Dienstleistungen relevant. 

76.      Darüber hinaus gilt weiter Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94, der den Inhaber einer funktionellen Form daran hindert, sich darauf zu berufen, dass diese infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt habe(55). Insoweit glaube ich zum einen, dass der Ausschluss der funktionellen Formen von dem möglichen Vorteil, den diese Vorschrift gewährt, dem Wunsch des Gesetzgebers entspricht, zu verhindern, dass für einen Gegenstand, der durch ein Patent oder ein Geschmacksmuster geschützt war, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird. Beim Erlöschen dieses anderen gewerblichen Schutzrechts ist es insbesondere in Fällen innovativer Waren wie Lego wahrscheinlich, dass diese in den Augen des Verbrauchers bereits das genießen, was unter normalen Umständen als „Unterscheidungskraft“ betrachtet würde, da sie in ihrer Produktklasse während der Geltung des Patents oder Geschmacksmusters einzigartig waren(56). Zum anderen hat der Gerichtshof betont, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Schutz als Gemeinschaftsmarke nur solchen Marken gewähren wollte, deren Unterscheidungskraft durch eine Benutzung vor der Anmeldung erworben wurde(57). Folglich könnte sich der Inhaber einer Marke, die mit einem Disclaimer erworben wurde, nie auf Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 berufen, um den Schutz auf die wesentlichen funktionellen Merkmale zu erweitern.

C –    Folgen für das Rechtsmittel

77.      Nachdem eine extensivere Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 in ihren wesentlichen Zügen dargestellt wurde, sind ihre Auswirkungen auf die Beurteilung der Rügen zu betrachten, die Lego Juris im Rahmen ihres einzigen Rechtsmittelgrundes vorgebracht hat.

78.      Ich schicke voraus, dass mir die Arbeit, die das Gericht mit dem angefochtenen Urteil geleistet hat, beachtlich und im Hinblick auf das Urteil Philips stimmig erscheint. Insbesondere hat es das Vorbringen von Lego Juris mit Sorgfalt abgehandelt und rechtlich einwandfrei erörtert, womit es, da meine Prüfung die von Lego Juris erhobenen Rügen in ihrem Kern als unbegründet erscheinen lässt, hier genügt, allein auf das Substrat dieser Rügen einzugehen, ohne dass meine Widerlegung der Argumente der Rechtsmittelführerin dadurch im Geringsten beeinträchtigt würde.

1.      Zur ersten Rüge: unzutreffende Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94

79.      Mit dem Rechtsmittel, das nicht frei ist von manchen Vermengungen, wird beanstandet, dass das Gericht in dem angefochtenen Urteil eine Feststellung getroffen habe, durch die sämtlichen funktionellen Formen der durch das Markenrecht gewährte Schutz unabhängig davon genommen werde, ob die Voraussetzungen der streitigen Vorschrift erfüllt seien. Dem Gericht wird vorgeworfen, sich vom Urteil Philips entfernt zu haben, nach dem solche Formen eintragungsfähig seien, wenn es nur andere gebe, die zwar verschieden, aber gleichwertig seien. In diesem Zusammenhang sei die Feststellung fehlerhaft, nach der die funktionelle Form als solche allen zur Verfügung stehen müsse, denn im Urteil Philips sei eine solche Verfügbarkeit lediglich im Hinblick auf die Gebrauchseigenschaften der Form verlangt worden.

80.      Ich bin mit dieser Interpretationsweise des angefochtenen Urteils nicht einverstanden.

81.      Die Rechtsmittelführerin legt zwar sowohl das Urteil Philips als auch die streitige Vorschrift in kreativer Weise aus, befindet sich aber im Irrtum.

82.      Zum einen finden, worauf Mega Brands hinweist, die langen Ausführungen zu angeblichen Diskrepanzen zwischen „technischer Lösung“ und „technischer Wirkung“ weder in dem zitierten Urteil noch in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 eine Stütze. Dies hat das Gericht in Randnr. 40 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt, wo es auf die Randnrn. 81 und 83 des Urteils Philips Bezug genommen hat, in denen nicht zwischen „technischer Lösung“ und „technischer Wirkung“ unterschieden wurde.

83.      Zum anderen ergibt sich aus den Randnrn. 80 und 83 des Urteils Philips, dass das im Allgemeininteresse liegende Ziel, das die streitige Vorschrift verfolgt, verlangt, dass funktionelle Formen von allen frei verwendet werden können, ohne dass im Rahmen der Prüfung ihrer Funktionalität mögliche Alternativen berücksichtigt werden. Folglich ist in dem angefochtenen Urteil kein Rechtsirrtum des Gerichts erkennbar.

84.      Ich erlaube mir, hier auf die oben vorgeschlagene Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 zurückzukommen.

85.      Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass das Urteil Philips dem Sachverhalt des damaligen Rechtsstreits eng verhaftet war, was eine sicherlich kategorische Haltung des Gerichtshofs begünstigte. Nun sind im vorliegenden Fall die gegebenen tatsächlichen Umstände ebenfalls von entscheidender Bedeutung.

86.      So ist in Randnr. 75 des angefochtenen Urteils festgestellt worden, dass die Große Kammer des HABM eine umfassende Prüfung des Lego-Steins vorgenommen habe, um zu dem Schluss zu gelangen, dass die gesamte Form des Spielzeugsteins funktionelle Merkmale aufweise. Vor diesem Hintergrund, der dem ersten Prüfungsabschnitt meiner Auslegungsleitlinien entspricht, war es normal, dass die Gemeinschaftsagentur den Antrag von Lego Juris auf Eintragung des Zeichens zurückwies, da nicht nur seine wesentlichen Merkmale, sondern der gesamte Stein ausschließlich aus seiner Funktion folgenden Anforderungen entsprach. Unter diesen Umständen ist es nicht erforderlich, zum folgenden Abschnitt der von mir vorgeschlagenen Auslegung überzugehen(58) (Fall A). 

87.      Angesichts der Klarheit des Urteils Philips, zumindest in den zitierten Passagen, und unter Berücksichtigung der (in tatsächlicher Hinsicht rechtsmittelfesten) Prüfung der Funktionalität des Lego-Steins durch die Große Kammer des HABM, die in dem angefochtenen Urteil unverändert aufrechterhalten und von der Rechtsmittelführerin beim Gerichtshof nicht mit der Behauptung angegriffen worden ist, dass Tatsachen oder Beweismittel verfälscht worden seien, kann die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 durch das Gericht nur bestätigt werden und ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

2.      Zur zweiten Rüge: unzutreffende Ermittlung der wesentlichen Merkmale einer dreidimensionalen Marke

88.      Mit diesem Vorwurf macht Lego Juris im Wesentlichen geltend, dass bei der Prüfung der wesentlichen Merkmale die Sicht der Verbraucher zu berücksichtigen sei, was das Gericht nicht getan, sondern in Randnr. 70 seines Urteils vielmehr ausdrücklich abgelehnt habe.

89.      Folgt man der von mir vorgeschlagenen Auslegung, fällt es nicht schwer, diese Rüge zurückzuweisen, denn nach den dargestellten methodischen Leitlinien wird die originäre Unterscheidungskraft der funktionellen Marken erst im dritten Prüfungsabschnitt relevant(59). Ich habe bereits im Zusammenhang mit der vorhergehenden Rüge darauf hingewiesen, dass nach dem erreichten Ergebnis, was die Funktionalität des gesamten Lego-Steins anbelangt, weder die Große Kammer des HABM noch das Gericht sich mit den folgenden Prüfungsschritten zu befassen hatte.

90.      Doch selbst wenn man meinen Standpunkt nicht teilt, denke ich, dass der Vorwurf der Lego Juris unter jedwedem Blickwinkel unbegründet ist. So hat der Gerichtshof in Randnr. 76 des Urteils Philips festgestellt, dass das dort geprüfte absolute Eintragungshindernis „von vornherein“ der Eintragung entgegensteht; infolgedessen folgt seine Prüfung nicht demselben Schema wie die Ermittlung der wesentlichen und unterscheidungskräftigen Merkmale, die im Hinblick auf die Funktion der Marke als Herkunftshinweis in den Augen des Verbrauchers erfolgt, was etwas anderes ist als die Ermittlung der wesentlichen Merkmale einer Form.

91.      Würde man die Argumentation der Lego Juris konsequent zu Ende führen, müsste man das Kriterium des Durchschnittsverbrauchers, wie es in der Rechtsprechung des Gerichtshofs üblicherweise benannt wird, auch auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 40/94 anwenden und damit die „öffentliche Ordnung“ und „die guten Sitten“ aus der Sicht des Verbrauchers beurteilen.

92.      Die Ungereimtheit dieser Konsequenz rührt daher, dass die Prämisse übergangen wird, der zufolge die verschiedenen Eintragungshindernisse des Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 unterschiedlichen Anliegen des Gesetzgebers entsprechen und daher jedes seine eigene normative Wirkung nach Maßgabe von Kriterien entfaltet, die für alle Zurückweisungs- oder Nichtigkeitsgründe übereinstimmen können, aber nicht müssen. Da die Ratio des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 40/94 derart weit von der Hauptfunktion der Marke entfernt ist, kann im vorliegenden Fall das Kriterium des Durchschnittsverbrauchers im Unterschied zu Buchst. b (Unterscheidungskraft) nicht berücksichtigt werden.

93.      Mithin befindet sich die Rechtsmittelführerin im Irrtum, wenn sie die Kriterien, die für die Prüfung der Unterscheidungskraft typisch sind, auf die der wesentlichen Merkmale einer Form im Hinblick auf ihre Funktionalität übertragen will, denn Letztere sind, wie das Gericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt hat, objektiv zu bestimmen. Folglich ist auch die zweite Rüge zurückzuweisen.

3.      Zur dritten Rüge: Verwendung falscher Funktionalitätskriterien

94.      Im Rahmen ihrer dritten Rüge spricht sich Lego Juris, um die Funktionalität der Merkmale einer Form zu ermitteln, für eine vergleichende Methode aus. Auf der einen Seite insistiert sie auf der hypothetischen Änderung der wesentlichen Markenmerkmale als Mittel zum Nachweis der Funktionalität, die zu bejahen sei, wenn durch die Änderung die Funktion ihrerseits verändert werde. In diesem Zusammenhang unterstreicht sie die Bedeutung von Alternativformen, die ein Indiz dafür darstellten, dass eine Marke für eine konkrete Form kein Monopol begründe und von dem hier in Frage stehenden absoluten Eintragungshindernis nicht erfasst werde.

95.      Auch diese Argumentation der Rechtsmittelführerin erscheint mir nicht überzeugend.

96.      Nach der von mir vorgeschlagenen Auslegungsmethode für Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 geht die Kritik an dem Urteil fehl. Auch wenn ich eine mögliche Relevanz des Abgleichs alternativer Formen zur Ermittlung der Wettbewerbssituation bejaht habe, habe ich doch eine solche vergleichende Prüfung in den zweiten Prüfungsabschnitt verwiesen. Dort wird sie sinnvoll im Rahmen der Prüfung, ob das Monopol, das eine Marke für eine Ware mit bestimmten funktionellen Merkmalen begründet, den Wettbewerb auf dem Markt zerstören kann. Wie bereits dargelegt wurde, ist nach der Feststellung der vollständigen Funktionalität des Lego-Steins ein Eintritt in die folgenden Prüfungsphasen nicht angezeigt.

97.      Ebenso ist nach Maßgabe des Urteils Philips und der fraglichen Vorschrift festzustellen, dass der angebliche Fehler, den Lego Juris dem angefochtenen Urteil vorwirft, nicht besteht. In den Randnrn. 81 bis 84 des Urteils Philips wurde klar und deutlich festgestellt, dass „durch den Nachweis, dass es andere Formen gibt, mit denen sich die gleiche technische Wirkung erzielen lässt, nicht das Eintragungshindernis oder der Grund für die Ungültigerklärung nach [der streitigen Vorschrift] ausgeräumt werden“ kann, die, indem sie die ausschließlich aus der Form, die für das Erzielen einer technischen Wirkung erforderlich ist, bestehenden Zeichen von der Eintragung ausschließt, auf den Fall des Lego-Steins ohne Weiteres anwendbar ist, da seine umfassende Funktionalität nachgewiesen wurde. Die Rechtsmittelführerin konnte sich daher nicht auf die Nuancierung im Urteil Philips berufen, der zufolge es nur auf die wesentlichen Merkmale ankommt, da sämtliche Merkmale des Steins, ob wesentlich oder nicht, als funktionell erschienen; in diesem Fall ist es nicht erforderlich, sich mit den Alternativen zu befassen, denn eine Marke, die zur Eintragung zugelassen würde, würde immer ein Monopol für die Form begründen.

98.      In Übereinstimmung mit diesen Darlegungen halte ich die dritte Rüge für unbegründet, so dass sie das Schicksal der vorhergehenden Rügen teilen muss. Da sämtliche Rügen zurückzuweisen sind, greift der einzige Rechtsmittelgrund nicht durch.

VII – Kosten

99.      Da Lego Juris im Rechtsmittelverfahren mit ihrem gesamten Vorbringen unterlegen ist, ist sie gemäß Art. 122 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 69 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

VIII – Ergebnis

100. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor,

1.         das von Lego Juris gegen das Urteil der Achten Kammer des Gerichts erster Instanz vom 12. November 2008 in der Rechtssache T‑270/06 eingelegte Rechtsmittel zurückzuweisen und

2.         der Rechtsmittelführerin die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten des ersten Rechtszugs, aufzuerlegen.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – Maier, J., „Lego des Lebens“, DIE ZEIT Nr. 32 vom 30. Juli 2009, S. 27.


3 – Rechtssache T‑270/06, Slg. 2008, II-0000.


4 – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 78, S. 1), die seit dem oben genannten Zeitpunkt in Kraft ist.


5 – Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 (ABl. 1994, L 11, S. 1), geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 3288/94 des Rates vom 22. Dezember 1994 zur Umsetzung der im Rahmen der Uruguay-Runde geschlossenen Übereinkünfte (ABl. L 349, S. 83) und zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 422/2004 des Rates vom 19. Februar 2004 (ABl. L 70, S. 1).


6 – Urteil vom 18. Juni 2002 (C‑299/99, Slg. 2002, I‑5475).


7 – Randnr. 76 des Urteils.


8 – Erste Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1, im Folgenden: Richtlinie); dieser Artikel ist das Äquivalent zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94.


9 – Randnr. 78 des Urteils Philips.


10 – Randnr. 79.


11 – Randnr. 80.


12 – Randnr. 82.


13 – Randnr. 81.


14 – Abkommen über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung.


15 – Vgl. Randnrn. 9 und 10 des angefochtenen Urteils.


16 – Gemäß Art. 1c Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 216/96 der Kommission vom 5. Februar 1996 über die Verfahrensordnung vor den Beschwerdekammern des HABM (ABl. L 28, S. 11).


17 – Entscheidung der Großen Kammer des HABM vom 10. Juli 2006 (Sache R 856/2004‑G) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen der Mega Brands, Inc. und der Lego Juris A/S.


18 – Randnrn. 32 und 33 der Entscheidung.


19 – Randnrn. 34 und 36 der Entscheidung.


20 – In Randnr. 58.


21 – Randnr. 60.


22 – Randnrn. 54 und 55.


23 – Randnrn. 41 bis 63.


24 – Vgl. Randnrn. 27 bis 34 des angefochtenen Urteils.


25 – Es findet sich auch in Art. 3 Abs. 1 Buchst. e zweiter Gedankenstrich der Richtlinie. Diese Bestimmung sei erwähnt, da sie die in dem Urteil Philips ausgelegte ist.


26 – Randnrn. 51 bis 68 des angefochtenen Urteils.


27 – Randnrn. 70 bis 88 des angefochtenen Urteils.


28 – Telefax vom 20. April 2009.


29 – Insoweit wurde Bezug genommen auf das Urteil vom 16. Juli 1998, Gut Springenheide und Tusky (C‑210/96, Slg. 1998, I‑4657, Randnr. 31), in dem dieses Kriterium aufgestellt wurde, das in der späteren Rechtsprechung zum Markenrecht übernommen wurde.


30 – Für das deutsche Recht vgl. Hacker, F., „Als Marke schutzfähige Zeichen? – § 3“, in: Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl., Carl Heymanns Verlag, Köln 2006, S. 85, für das spanische Recht Marco Arcalá, L. A., „Artículo 5. Prohibiciones absolutas“, in: Bercovitz Rodríguez‑Cano, A. (Hrsg.), Comentarios a la Ley de Marcas, 2. Aufl., Ed. Thomson Aranzadi, Pamplona 2008, Bd. I, S. 204, für das französische Recht Azéma, J./Galloux, J.‑C., Droit de la propriété industrielle, 6. Aufl., Dalloz, Paris 2006, S. 773, und für das nordamerikanische Recht Wong, M., „The aesthetic functionality doctrine and the law of trade-dress protection“, Cornell Law Review, Bd. 83, 1998, S. 1116, 1154.


31 – Ebd. – dieser Gedanke kommt besonders deutlich im spanischen und französischen Recht zum Ausdruck, die von „fraude de ley“ oder „abus de droit“ sprechen, zu denen es kommt, wenn der Schutz der Patente oder von Gebrauchs- und Geschmacksmustern durch das Markenrecht ausgedehnt wird. 


32 – Vgl. insbesondere Randnrn. 79 und 82 des Urteils.


33 – Vgl. insbesondere deren Nrn. 30 und 39.


34 – Cornish, W./Llewelyn, D., Intellectual Property: Patents, Copyright, Trade Marks and Allied Rights, 6. Aufl., Thomson Sweet & Maxwell, London 2007, S. 710.


35 – Zur großzügigeren Auslegung des Urteils Philips durch den Bundesgerichtshof vgl. kritisch Hildebrandt, U., Marken und andere Kennzeichen – Einführung in die Praxis, Carl Heymanns Verlag, Köln 2006, S. 109 f. Das deutsche höchstinstanzliche Gericht hat jedoch die Eintragung des vorliegend in Frage stehenden Lego-Bausteins nicht zugelassen und auf diese Weise die Löschung der Marke herbeigeführt, die zunächst in Deutschland eingetragen worden war, vgl. Pressemitteilung Nr. 158/2009 des Bundesgerichtshofs (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi‑bin/rechtsprechung).


36 – Randnr. 79 des Urteils Philips.


37 – Das Gericht, das HABM und, mit dem angesprochenen Zögern, die nationalen Gerichte sind dem Urteil Philips immer gefolgt.


38 – Randnr. 79 des Urteils Philips.


39– Randnrn. 81 bis 83 des Urteils Philips.


40 – Ich lasse mich mutatis mutandis vom deutschen Recht, Hacker, F., a. a. O., S. 88, und vom nordamerikanischen Recht, McCormick, T., „Will TrafFix ‚Fix‘ the Splintered Functionality Doctrine?: TrafFix Devices, Inc. v. Marketing Displays, Inc.“, 40 Houston Law Review 2003, S. 541, 566, leiten.


41 – Diese Feststellung treffe ich im Umkehrschluss aus dem Urteil vom 30. Juni 2005, Eurocermex/HABM (C‑286/04 P, Slg. 2005, I‑5797, Randnrn. 22 f. und die dort angeführte Rechtsprechung), das durch das Urteil vom 25. Oktober 2007, Develey/HABM (C‑238/06 P, Slg. 2007, I‑9375, Randnr. 82), bestätigt wurde.


42 – Ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, vgl. z. B. Urteile vom 23. Mai 1978, Hoffmann La-Roche (102/77, Slg. 1978, 1139, Randnr. 7), vom 12. November 2002, Arsenal Football Club (C‑206/01, Slg. 2002, I‑10273, Randnr. 48), und vom 26. April 2007, Alcon/HABM (C‑412/05 P, Slg. 2007, I‑3569, Randnr. 53).


43 – In Randnr. 76.


44 – Zum Beispiel in den Urteilen vom 8. Mai 2008, Eurohypo/HABM (C‑304/06 P, Slg. 2008, I‑3297, Randnr. 67), und vom 22. Juni 2006, Storck/HABM (C‑25/05 P, Slg. 2006, I‑5719, Randnr. 25).


45 – Darauf weist Hacker, F., a. a. O., S. 88, treffend hin.


46 – Nr. 40 seiner Entscheidung im Fall Lego; TrafFix Devices, Inc. v. Marketing Displays, Inc., 532 U.S. 23(2001).


47 – Urteil Philips, Randnr. 82.


48 – Randnr. 80 des Urteils Philips.


49 – Im Englischen auch „pen drives“ genannt.


50 – Die das Vermächtnis des Art. 38 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 aufnimmt.


51 – Wenn darüber hinaus selbst der Gesetzgeber die Möglichkeit vorsieht, dass der Schutz durch die Marke sich nicht auf das gesamte Zeichen erstreckt, scheint mir der vom HABM vertretene Standpunkt wenig überzeugend.


52 – Bender, A., „Der Ablauf des Anmeldeverfahrens“, in Fezer, K.‑H., Handbuch der Markenpraxis – Band I Markenverfahrensrecht, Verlag C. H. Beck, München 2007, S. 585.


53 – Im amerikanischen Recht wird dies als „significant non-reputation related disadvantage“ bezeichnet, vgl. McCormick, T., a. a. O., S. 567.


54 – Urteil vom 29. April 2004, Procter & Gamble/HABM (C‑473/01 P und C‑474/01 P, Slg. 2004, I‑5173, Randnr. 33), sowie Urteile Storck/HABM (Randnr. 25) und Eurohypo/HABM (Randnr. 67).


55 – Urteil Philips, Randnr. 57, und Urteil vom 20. September 2007, Benetton Group (C‑371/06, Slg. 2007, I‑7709, Randnrn. 24 bis 27).


56 – Im gleichen Sinne Hildebrandt, U., a. a. O., S. 110.


57 – Urteil vom 11. Juni 2009, Imagination Technologies/HABM (C‑542/07 P, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 44).


58 – Nr. 68 dieser Schlussanträge.


59 – Vgl. oben, Nr. 75.