Language of document : ECLI:EU:C:2023:674

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 14. September 2023(1)

Rechtssache C582/21

FY

gegen

Profi Credit Polska S.A. w Bielsku Białej

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Okregowy Warszawa-Praga w Warszawie [Regionalgericht Warszawa-Praga, Warschau, Polen])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Antrag auf Wiederaufnahme eines durch Versäumnisurteil abgeschlossenen Verfahrens – Rechtskraft – Gründe für die Wiederaufnahme eines Verfahrens – Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität – Unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts“






I.      Einleitung

1.        Die vorliegende Rechtssache betrifft einen neuen Aspekt des verfahrensrechtlichen Schutzes der Verbraucher vor missbräuchlichen Vertragsklauseln. Genauer gesagt soll der Gerichtshof klären, ob dieser Schutz es erfordert, die nationale Wirkung der Rechtskraft außer Acht zu lassen, um die Wiederaufnahme eines Verfahrens zu ermöglichen, das fehlerhaft gewesen sein soll, weil das nationale Gericht es versäumt habe, das betreffende Vertragsverhältnis von Amts wegen unter dem Aspekt etwaiger Missbräuchlichkeit zu prüfen.

2.        Der nationale tatsächliche und rechtliche Rahmen, in dem sich diese Frage stellt, lässt sich wie folgt zusammenfassen. Die Rechtsmittelführerin des Ausgangsverfahrens – FY – wurde verurteilt, den ausstehenden Betrag eines Darlehens zurückzuzahlen, das sie bei Profi Credit Polska, einer Gesellschaft für Verbraucherdarlehen, aufgenommen hatte. Ihre Zahlungspflicht wurde in einem Versäumnisurteil festgestellt, das auf der Grundlage eines von der Schuldnerin unterzeichneten Blanko‑Eigenwechsels erging, der später von Profi Credit Polska ausgefüllt und ihrer Klage zugrunde gelegt wurde.

3.        Das nationale Gericht erließ das Versäumnisurteil, ohne dass ihm die Konditionen des Darlehensvertrags bekannt waren. Es prüfte daher nicht, ob sie missbräuchlich waren. FY focht das Urteil nicht an, vertrat aber später die Auffassung, dass die Bedingungen seines Erlasses mit Urteilen des Gerichtshofs, die einige Monate später ergingen, unvereinbar seien. Sie stellte daher einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens.

4.        Nach nationalem Recht kann ein solcher Antrag u. a. dann Erfolg haben, wenn (i) die Vorschrift des nationalen Rechts, die in dem betreffenden gerichtlichen Verfahren zur Anwendung kam, später vom nationalen Verfassungsgerichtshof für unvereinbar mit höherrangigem Recht erklärt wurde oder wenn (ii) der Betroffene „aufgrund der Verletzung von Rechtsvorschriften an der Mitwirkung gehindert“ war.

5.        In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht wissen, ob – im Licht der ersten Möglichkeit – der Äquivalenzgrundsatz es gebietet, dass das Verfahren auf nationaler Ebene auch aufgrund einer späteren Entscheidung des Gerichtshofs, die in Form einer Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV ergeht, wiederaufgenommen werden kann.

6.        Darüber hinaus wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts es – im Licht der zweiten Möglichkeit – gebietet, eine Partei als „aufgrund der Verletzung von Rechtsvorschriften an der Mitwirkung gehindert“ anzusehen, wenn ein nationales Gericht es versäumt, die etwaige Missbräuchlichkeit der Klauseln eines Verbrauchervertrags zu prüfen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

7.        Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG(2) lautet: „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

8.        Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

B.      Polnisches Recht

1.      Polnische Verfassung

9.        Art. 190 Abs. 4 der polnischen Verfassung lautet: „Stellt das Trybunał Konstizucyjny (Verfassungsgerichtshof) die Unvereinbarkeit eines Normativaktes mit der Verfassung, einem völkerrechtlichen Vertrag oder einem Gesetz fest und ist auf der Grundlage dieses Normativaktes eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung, endgültige Verwaltungsentscheidung oder Entscheidung in anderen Angelegenheiten ergangen, bildet die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes die Grundlage für die Wiederaufnahme des Verfahrens beziehungsweise für die Aufhebung der Entscheidung nach den Grundsätzen und gemäß der Verfahrensweise, die in den auf diese Verfahren anwendbaren Vorschriften geregelt sind.“

2.      Zivilprozessordnung

10.      Die Vorlageentscheidung enthält folgende Angaben zum anwendbaren nationalen Recht. Nach Art. 339 § 1 des Kodeks postępowania cywilnego (Zivilprozessordnung; im Folgenden: KPC) erlässt das Gericht ein Versäumnisurteil, wenn der Beklagte zu einer anberaumten Verhandlung nicht erscheint oder sich trotz des Erscheinens nicht an der Verhandlung beteiligt.

11.      Art. 399 § 1 KPC sieht die Möglichkeit vor, die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil beendeten Verfahrens zu beantragen.

12.      Nach Art. 401 Nr. 2 KPC kann die Wiederaufnahme eines Verfahrens wegen dessen Unwirksamkeit beantragt werden, wenn eine Partei nicht partei- oder prozessfähig, nicht ordnungsgemäß vertreten oder infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften an der Mitwirkung gehindert war.

13.      Gemäß Art. 407 § 1 KPC beträgt die Frist für den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens drei Monate; sie läuft ab dem Tag, an dem die Partei Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund erlangt hat, und, falls eine Hinderung an der Mitwirkung oder die fehlende ordnungsgemäße Vertretung den Grund darstellt, ab dem Tag, an dem die Partei, deren Organ oder ihr gesetzlicher Vertreter Kenntnis vom Urteil erlangt hat.

14.      Art. 4011 KPC sieht vor, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens auch dann beantragt werden kann, wenn der Verfassungsgerichtshof die Unvereinbarkeit eines Normativakts, auf dem eine Entscheidung beruht, mit der Verfassung, einem ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag oder einem Gesetz festgestellt hat.

15.      Gemäß Art. 407 § 2 KPC ist der Antrag auf Wiederaufnahme innerhalb von drei Monaten ab dem Inkrafttreten der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu stellen.

16.      Gemäß Art. 410 § 1 KPC lehnt das Gericht den Antrag ab, sofern er nach Fristablauf gestellt wurde, unzulässig ist oder einer gesetzlichen Grundlage entbehrt.

III. Sachverhalt, nationales Verfahren und Vorlagefragen

17.      Am 16. Juni 2015 schloss FY einen Darlehensvertrag mit der Gesellschaft für Verbraucherdarlehen Profi Credit Polska. Die Rückzahlung des Darlehens wurde durch die Ausstellung eines von FY unterzeichneten Blanko-Eigenwechsels gesichert.

18.      Am 30. Oktober 2017 erhob Profi Credit Polska beim Sąd Rejonowy dla Warszawy Pragi-Południe (Rayongericht Warszawa Praga-Południe, Warschau, Polen, im Folgenden: Rayongericht) gegen FY Klage auf Zahlung des geschuldeten Betrags nebst Zinsen. In der Vorlageentscheidung werden die Umstände, die zu dieser Klage geführt haben, nicht näher beschrieben. Von Bedeutung scheint jedoch zu sein, dass der Klageschrift nur der Wechsel (den die Gesellschaft um die Angabe der geschuldeten Summe ergänzt hatte) und die Kündigung des Darlehensvertrags beigefügt waren.

19.      Das Rayongericht stellte fest, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Zahlungsbefehls nicht gegeben seien, und beraumte einen Verhandlungstermin an(3). Die Bekanntmachung an FY galt als erfolgt. Am 17. April 2018 erließ dieses Gericht ein Versäumnisurteil, mit dem es FY zur Zahlung des geltend gemachten Betrags verurteilte (und die Klage nur hinsichtlich eines Teils der geforderten Zinsen abwies), wobei es sich ausschließlich auf den Inhalt des Wechsels und die Klageschrift stützte. Es hatte Profi Credit Polska nicht zur Vorlage des Darlehensvertrags aufgefordert und daher nicht geprüft, ob er missbräuchliche Klauseln enthielt. Das Versäumnisurteil wurde für sofort vollstreckbar erklärt und FY focht es nicht an.

20.      Am 25. Juni 2019 beantragte FY jedoch bei dem Rayongericht die Wiederaufnahme des Verfahrens. Sie machte geltend, das Gericht habe die Richtlinie 93/13 falsch ausgelegt und insbesondere das (nach Erlass des Versäumnisurteils ergangene) Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Profi Credit Polska I(4) nicht berücksichtigt. Das Rayongericht habe es unterlassen, die Missbräuchlichkeit der fraglichen Vertragsklauseln zu prüfen, wodurch sie im Sinne von Art. 401 Nr. 2 KPC an der Mitwirkung gehindert worden sei.

21.      Mit Beschluss vom 27. August 2020 lehnte das Rayongericht diesen Antrag mit der Begründung ab, dass er nach Fristablauf gestellt worden sei und einer gesetzlichen Grundlage entbehre. Es fügte hinzu, FY hätte sich (in dem Verfahren, das zum Erlass des Versäumnisurteils geführt habe) verteidigen sollen, was sie nicht getan habe.

22.      FY legte gegen diesen Beschluss ein Rechtsmittel beim Sąd Okręgowy Warszawa-Praga w Warszawie (Regionalgericht Warszawa-Praga, Warschau, Polen), dem vorlegenden Gericht, ein.

23.      Im Rahmen des Verfahrens vor diesem Gericht stellte der Rzecznik Finansowy (Finanzombudsmann) fest, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens, das zum Erlass des Versäumnisurteils geführt habe, mit einer weiten Auslegung von Art. 4011 KPC begründet werden könne, der die Wiederaufnahme des Verfahrens auf der Grundlage einer (späteren) Entscheidung des nationalen Verfassungsgerichtshofs betreffe. Das Versäumnisurteil sei unter Verstoß gegen die Pflicht des Gerichts ergangen, von Amts wegen die Bedingungen des in Rede stehenden Darlehensvertrags zu prüfen(5). Die ähnliche Rolle des Verfassungsgerichtshofs und des Gerichtshofs spreche dafür, dass eine Entscheidung des Gerichtshofs gemäß dem Grundsatz der Äquivalenz ebenfalls als gültige Grundlage für eine Wiederaufnahme des Verfahrens dienen könne.

24.      Ergänzend führte der Finanzombudsmann aus, es könnte auch die Möglichkeit bestehen, die Wiederaufnahme des fraglichen Verfahrens auf Art. 401 Nr. 2 KPC zu stützen, da das Versäumnis eines Gerichts, von Amts wegen die Prüfung vorzunehmen, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung falle (und auf eine Hinderung der Partei an der Mitwirkung hinauslaufe)(6). Ferner stimme er mit FY hinsichtlich der Missbräuchlichkeit der fraglichen Klauseln überein.

25.      In diesem Zusammenhang hat das vorlegende Gericht Zweifel an der richtigen Vorgehensweise.

26.      Zum einen hebt es die Bedeutung des Grundsatzes der Rechtskraft hervor und weist darauf hin, dass keine Bestimmung des Unionsrechts oder des nationalen Rechts die nationalen Gerichte verpflichte, ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren wiederaufzunehmen, um einem Urteil des Gerichtshofs zur Auslegung des Unionsrechts Rechnung zu tragen.

27.      Zum anderen wirft es die Frage auf, ob der Äquivalenzgrundsatz oder die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts zum gegenteiligen Ergebnis führen könne.

28.      Bedeutsam ist der Hinweis des vorlegenden Gerichts, dass es angesichts der Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen Profi Credit Polska I, Profi Credit Polska II(7) und Kancelaria Medius „sehr wahrscheinlich“ sei, dass das Versäumnisurteil unter „eklatantem Verstoß“ gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Art. 6 und 7 der Richtlinie 93/13(8) ergangen sei. Es sei jedoch nicht in der Lage, dies zu beurteilen, da es nur begrenzt überprüfen könne, ob zum einen die Fristen eingehalten worden seien und zum anderen der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens auf einen der gesetzlichen Gründe gestützt sei. Vor diesem verfahrensrechtlichen Hintergrund müsse es klären, ob eine Vorabentscheidung über Auslegungsfragen einen solchen Grund darstellen könne.

29.      Im Licht dieser Erwägungen hat der Sąd Okręgowy Warszawa-Praga w Warszawie (Regionalgericht Warszawa-Praga, Warschau) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 EUV unter Berücksichtigung des Äquivalenzgrundsatzes, der sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, dahin auszulegen, dass eine Entscheidung des Gerichtshofs, die auf der Grundlage von Art. 267 Abs. 1 AEUV ergangen ist und die Auslegung des Unionsrechts betrifft, ein Grund für die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens ist, das zuvor durch eine rechtskräftige Entscheidung beendet wurde, sofern eine Bestimmung des nationalen Rechts – wie Art. 4011 KPC – die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässt, wenn es um eine rechtskräftige Entscheidung geht, die auf der Grundlage einer Bestimmung erlassen wurde, die durch ein Urteil des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof, Polen) als unvereinbar mit höherrangigem Recht eingestuft worden ist?

2.      Erfordert es der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts, der sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV und der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, dass eine Bestimmung des nationalen Rechts – wie Art. 401 Nr. 2 KPC – erweiternd dahin ausgelegt wird, dass danach auch ein Verfahren wiederaufgenommen werden kann, in dem ein rechtskräftiges Versäumnisurteil erlassen wurde und in dem das Gericht – unter Verletzung der Verpflichtungen, die sich aus dem Urteil Profi Credit Polska I des Gerichtshofs ergeben – davon abgesehen hat, einen Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Darlehensgeber im Hinblick auf missbräuchliche Vertragsklauseln zu prüfen, und sich auf die Prüfung der formellen Wirksamkeit eines Wechsels beschränkt hat?

30.      Die polnische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Beide Parteien haben in der Sitzung vom 24. Januar 2023 mündlich verhandelt.

IV.    Würdigung

31.      Meiner inhaltlichen Befassung mit den in der vorliegenden Rechtssache vorgelegten Fragen möchte ich erstens einige Vorbemerkungen zur Position des Unionsrechts bezüglich der nationalen Wirkungen der Rechtskraft, insbesondere im Bereich des Verbraucherschutzes, sowie zur Rechtssicherheit, zu deren besonderen Ausprägungen die Rechtskraft gehört, vorausschicken (1).

32.      Zweitens werde ich erläutern, dass der Äquivalenzgrundsatz nicht verlangt, dass ein Zivilverfahren auf der Grundlage einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs über Auslegungsfragen wiederaufgenommen werden kann, wenn dies nach nationalem Recht auf der Grundlage bestimmter Urteile des nationalen Verfassungsgerichtshofs möglich ist (2).

33.      Drittens erfordert die Beantwortung der zweiten Vorlagefrage (die sich mit der Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung befasst) die Klärung mehrerer Aspekte, die diese Frage impliziert. In diesem Zusammenhang werde ich erläutern, dass die Wirksamkeit des Schutzes der Verbraucher vor missbräuchlichen Klauseln von den Mitgliedstaaten nicht unbedingt verlangt, einen außerordentlichen Rechtsbehelf vorzusehen, wenn das nationale Gericht es versäumt hat, zu überprüfen, ob die den Verbraucher bindenden Vertragsklauseln tatsächlich missbräuchlich sind. Ich werde jedoch ebenfalls erläutern, dass die besonderen Umstände, unter denen das Versäumnisurteil anscheinend ergangen und rechtskräftig geworden ist, es erforderlich machen, dem betroffenen Verbraucher einen Rechtsbehelf zu verschaffen. Auch wenn die Möglichkeit, dem Antrag von FY auf Wiederaufnahme des Verfahrens stattzugeben, meines Erachtens von den nach polnischem Recht gegebenen Auslegungsmöglichkeiten abhängt (und von den anwendbaren Fristen), werde ich erläutern, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs ihr andere verfahrensrechtliche Wege bietet, um ihr Recht, nicht durch (angeblich) missbräuchliche Vertragsklauseln gebunden zu sein, zu wahren (3).

A.      Unionsrecht, nationale Wirkungen der Rechtskraft und Grundsatz der Rechtssicherheit

34.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass außerordentliche Rechtsbehelfe wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende im Allgemeinen die Aufhebung rechtskräftig gewordener gerichtlicher Entscheidungen ermöglichen. Als solche berühren diese Rechtsbehelfe daher ihrer Natur nach den Grundsatz der Rechtskraft, der es grundsätzlich ausschließt, dass rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen in Frage gestellt werden.

35.      Auch wenn der Grundsatz der Rechtskraft Ausdruck des Prinzips der Rechtssicherheit ist(9), gilt er nicht immer absolut (wie die Existenz außerordentlicher Rechtsbehelfe zeigt). Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass zu den vom nationalen Gesetzgeber festgelegten Ausnahmen von diesem Prinzip weitere, unionsrechtlich gebotene Ausnahmen hinzukommen können.

36.      Die Frage, ob dieses Recht in bestimmten Situationen die Außerachtlassung der nationalen Wirkungen der Rechtskraft verlangen kann, wird in Ermangelung spezifischer Vorschriften zu dieser Frage durch das klassische Prisma der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität betrachtet, die die Ausübung der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten im Einklang mit der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit begrenzen. Dementsprechend verlangt das Unionsrecht im Allgemeinen nicht, dass die nationalen Wirkungen der Rechtskraft unberücksichtigt bleiben, um den Fall der Unvereinbarkeit einer nationalen Situation mit dem Unionsrecht zu beheben, es sei denn, eine gegenteilige Schlussfolgerung ergibt sich aus einem der oben genannten Grundsätze(10).

37.      In diesem Rahmen wird die Beurteilung grundsätzlich mit Bedacht vorgenommen. Der Gerichtshof hat wiederholt an die Bedeutung des Grundsatzes der Rechtskraft erinnert, den er durch das Interesse an Rechtsfrieden und Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie an einer geordneten Rechtspflege gerechtfertigt sieht(11). Wie hervorgehoben wurde, dient dieser Grundsatz auch dem Interesse der Parteien an der endgültigen Beilegung ihres Rechtsstreits und kann daher als eine Gewährleistung angesehen werden, die sich aus dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ergibt, während er gleichzeitig zu dem umfassenderen Ziel des öffentlichen Interesses an einem Rechtssystem beiträgt, auf dessen Stabilität die Gesellschaft vertrauen kann(12).

38.      Dementsprechend ist mit außerordentlichen Rechtsbehelfen – als Ausnahmen vom Grundsatz der Rechtskraft – behutsam umzugehen. Auch wenn die genauen Bedingungen für ihre Anwendbarkeit je nach Rechtsordnung unterschiedlich sein können, spiegeln sie doch ein empfindliches Gleichgewicht wider, das der nationale Gesetzgeber zwischen dem allgemeinen Interesse an Rechtssicherheit auf der einen Seite und dem Interesse an einem gerechten Ergebnis unter besonderen und begrenzten Umständen auf der anderen Seite gefunden hat(13).

39.      Die zurückhaltende Ausgestaltung dieser Rechtsbehelfe ist Ausdruck der bereits erwähnten Tatsache, dass sie die Stabilität der Rechtsverhältnisse berühren und den Grundsatz der Rechtssicherheit beeinträchtigen, der in Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) implizit enthalten ist(14) und als „eine der grundlegenden Ausprägungen der Rechtsstaatlichkeit“(15) angesehen wird. Aus diesem Grund wurde die Auffassung vertreten, dass rechtskräftige Urteile unangetastet bleiben sollten, es sei denn, wesentliche und zwingende Umstände wie die Korrektur grundlegender Mängel oder eines Fehlurteils gebieten eine gegenteilige Schlussfolgerung(16).

40.      Diese allgemeinen Erwägungen sind natürlich auch für die Beurteilung der vorliegenden Rechtssache relevant, und sie implizieren, dass die Beantwortung der beiden vom vorlegenden Gericht in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfenen Fragen eine Prüfung der oben genannten Grundsätze, die auf eine Verbesserung der Anwendung des Unionsrechts abzielen, vor einem besonders komplexen und sensiblen Hintergrund erfordert.

B.      Der Grundsatz der Äquivalenz und die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs

41.      Um eine Antwort auf die erste Vorlagefrage vorschlagen zu können, werde ich zunächst die Grenzen, die das Unionsrecht im Allgemeinen und der Grundsatz der Äquivalenz im Besonderen den nationalen Wirkungen der Rechtskraft auferlegen, eingehender erörtern (a). Nachdem der auf die Analyse anwendbare Rahmen festgelegt worden ist, werde ich die Kategorie der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs benennen, die in diesem Licht zu untersuchen sind. Dieser Aspekt hat eine ausführliche Diskussion im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ausgelöst (b). Auf dieser Grundlage werde ich die Gründe darlegen, die mich zu der Auffassung führen werden, dass die Unterschiede zwischen den Merkmalen der einschlägigen nationalen Entscheidungen einerseits und der Vorabentscheidungen des Gerichtshofs über Auslegungsfragen andererseits dem entgegenstehen, den Äquivalenzgrundsatz in einer Weise heranzuziehen, wonach sich aus diesen Entscheidungen ein (neuer) gesetzlicher Grund für den in Rede stehenden außerordentlichen Rechtsbehelf ergeben müsste (c).

1.      Der Grundsatz der Äquivalenz und die nationalen Wirkungen der Rechtskraft

42.      Wie ich bereits dargelegt habe, kann der Äquivalenzgrundsatz unter bestimmten Voraussetzungen den Umfang der nationalen Wirkungen der Rechtskraft beeinflussen.

43.      Konkret verbietet dieser Grundsatz den Mitgliedstaaten, für Ansprüche wegen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht ungünstigere Verfahrensmodalitäten festzulegen als für ein ähnliches Verfahren, das auf einem Verstoß gegen das nationale Recht beruht(17). Im vorliegenden Kontext bedeutet dies, dass in den Fällen, in denen das nationale Recht Ausnahmen von den nationalen Wirkungen der Rechtskraft vorsieht, damit der Verletzung von Rechten, die sich aus dem nationalen Recht ergeben, abgeholfen werden kann, diese Ausnahmen auch für ähnliche Rechtsbehelfe gelten müssen, die auf einer Verletzung des Unionsrechts beruhen.

44.      Um festzustellen, ob ein dem innerstaatlichen Recht unterliegender Rechtsbehelf im Allgemeinen als vergleichbar mit einem Rechtsbehelf zur Wahrung aus dem Unionsrecht abgeleiteter Rechte angesehen werden kann, sind grundsätzlich ihre jeweiligen Gegenstände, Gründe und wesentlichen Merkmale zu berücksichtigen(18).

45.      Im Kontext des vorliegenden Falls geht es jedoch nicht darum, ob zwei bestimmte Verfahren als vergleichbar anzusehen sind (und daher gleichen Bedingungen unterliegen müssen)(19), sondern darum, ob aufgrund einer Vorabentscheidung über Auslegungsfragen ein Verfahren zur Verfügung gestellt werden muss, wenn es durch eine bestimmte Art von nationalen Gerichtsentscheidungen ausgelöst werden kann.

46.      Ein ähnliches Szenario hat in der Vergangenheit zu den Urteilen Impresa Pizzarotti(20), XC und Hochtief(21) geführt.

47.      In der Situation, die dem Urteil Impresa Pizzarotti zugrunde lag, ging es um ein (letztinstanzliches) nationales Gericht, das über eine offenbar recht weitreichende Befugnis verfügte, seine eigenen rechtskräftigen Urteile zu ergänzen, um Verstöße gegen innerstaatliches Recht durch einen Mechanismus zu beheben, der als „stufenweise eintretende Rechtskraft“ bezeichnet wurde(22). Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass ein solcher Mechanismus unter diesen Umständen zur Verfügung gestellt werden müsse, um die Situation wieder in Einklang mit dem einschlägigen Unionsrecht (im Bereich öffentlicher Aufträge) zu bringen.

48.      Im Urteil Hochtief, einer vergaberechtlichen Entscheidung, traf der Gerichtshof ebenfalls eine recht allgemeine Feststellung, wonach in Fällen, in denen Verfahrensvorschriften die Möglichkeit vorsehen, ein rechtskräftig gewordenes Urteil rückgängig zu machen, um die Situation mit einer früheren gerichtlichen Entscheidung in Einklang zu bringen, von der das Gericht und die Parteien bereits Kenntnis hatten, diese Möglichkeit auch bestehen sollte, um die Situation mit einem früheren Urteil des Gerichtshofs in Einklang zu bringen(23).

49.      Eine eingehende Prüfung der Argumentation des Gerichtshofs zeigt allerdings, dass diese Voraussetzungen, die die Aufhebung eines rechtskräftigen Urteils ermöglichten, als hypothetisches Szenario dargestellt wurden, das der Überprüfung durch das vorlegende Gericht bedurfte. Dieses Szenario wurde im Hinblick auf die Situation, die dieser Rechtssache zugrunde lag, gewählt, in der es um eine Vorabentscheidung ging, von der geltend gemacht wurde, dass sie anschließend in dem Verfahren, in dem um sie ersucht worden war, nicht beachtet worden sei. Ob die nationalen Vorschriften, die eine Aufhebung der Rechtskraft zuließen, tatsächlich diesem hypothetischen Szenario entsprachen, blieb meines Erachtens offen(24).

50.      Schließlich schloss der Gerichtshof im Urteil XC die Möglichkeit aus, dass der Äquivalenzgrundsatz zur Anwendung kommen könnte, um die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens wegen eines Verstoßes gegen die EMRK auf den Fall geltend gemachter Verletzungen durch das Unionsrecht garantierter Grundrechte zu erstrecken. Der Gerichtshof stützte sich in seiner Begründung auf den „engen funktionellen Zusammenhang“ zwischen dem in Rede stehenden nationalen Rechtsbehelf und dem Verfahren vor dem EGMR(25). Dieser Rechtsbehelf war nämlich dazu bestimmt, im Wesentlichen Urteile des EGMR umzusetzen, die nach meinem Verständnis in individuell miteinander verbundenen Fällen ergangen waren(26). Diese Urteile können grundsätzlich erst in einem nach Ausschöpfung aller nationalen Rechtsmittel eingeleiteten Verfahren ergehen. Der Gerichtshof stellte diese Situation dem Grundgedanken gegenüber, der der gerichtlichen Durchsetzung auf dem Unionsrecht beruhender Rechte zugrunde liegt; dies geschieht vor dem Erlass einer endgültigen Entscheidung des nationalen Gerichts, nicht zuletzt durch das Instrument des Vorabentscheidungsverfahrens.

51.      Während diese Rechtsprechung natürlich einen nützlichen Bezugsrahmen bildet, passt keines der oben kurz erwähnten Urteile genau auf die vorliegende Situation. Die Prüfung der Auswirkungen des Äquivalenzgrundsatzes ist nämlich notwendigerweise fallspezifisch, da sie einen Vergleich der besonderen Merkmale der in Rede stehenden Rechtsbehelfe erfordert.

52.      Um eine solche Analyse im vorliegenden Fall vornehmen zu können, werde ich nun die Arten von Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs erläutern, die zu diesem Zweck als relevant anzusehen sind.

2.      Einschlägige Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs

53.      Auch wenn dies im Wortlaut der ersten Vorlagefrage nicht zum Ausdruck kommt, müssen die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs, die für die Zwecke einer Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß Art. 4011 KPC herangezogen werden können, nach der rechtskräftigen Entscheidung ergangen sein, deren Wiederaufnahme beantragt wird. Denn nach meinem Verständnis liegt Art. 4011 KPC, auf den sich diese Frage bezieht, die Vorstellung zugrunde, dass erst durch ein späteres Urteil des Verfassungsgerichtshofs deutlich wird, dass eine frühere gerichtliche Entscheidung auf einer rechtswidrigen Grundlage beruht.

54.      Auch die drei oben genannten Vorabentscheidungen über Auslegungsfragen(27), die das vorlegende Gericht als mögliche Grundlage für eine Wiederaufnahme des streitigen Verfahrens ansieht, sind nach dem Versäumnisurteil ergangen. Daher ist die erste Vorlagefrage so zu verstehen, dass sie darauf abzielt, ob eine Gleichwertigkeit zwischen den jeweiligen Urteilen des Verfassungsgerichtshofs einerseits und den Vorabentscheidungen über Auslegungsfragen des Gerichtshofs andererseits festgestellt werden kann, die in beiden Fällen nach der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung ergangen sind, deren Aufhebung beantragt wird.

55.      Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass es zwei Kategorien von Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs gebe, die als Grundlage für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß Art. 4011 KPC in Betracht kämen. Sie werden als „einfache Urteile“ einerseits und als „negative Urteile über Auslegungsfragen“ andererseits bezeichnet(28).

56.      In Beantwortung einer Frage des Gerichtshofs hat das vorlegende Gericht erläutert, dass es mit seiner ersten Frage klären lassen möchte, welche Konsequenzen aus dem Äquivalenzgrundsatz in Bezug auf diese beiden Kategorien zu ziehen sind.

57.      Hierzu stelle ich Folgendes fest.

58.      Wie in der Vorlageentscheidung erläutert, entzieht der Verfassungsgerichtshof, wenn er im Wege eines „einfachen Urteils“ die Unvereinbarkeit der geprüften nationalen Bestimmung mit höherrangigem Recht feststellt, dieser Bestimmung ihre Wirksamkeit.

59.      Sowohl die polnische Regierung als auch die Kommission scheinen diesem Standpunkt sowie der Tatsache beizupflichten, dass ein „einfaches Urteil“ des Verfassungsgerichtshofs einen Grund für die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens gemäß Art. 4011 KPC darstellt.

60.      Uneinigkeit scheint jedoch in Bezug auf die Kategorie der „negativen Urteile über Auslegungsfragen“ zu bestehen.

61.      In einem Urteil über Auslegungsfragen wird der Verfassungsgerichtshof wohl dazu Stellung beziehen, ob eine bestimmte Auslegung einer Vorschrift des nationalen Rechts mit dem vorgegebenen Bewertungsmaßstab vereinbar ist oder nicht. Insbesondere wenn ein solches Urteil zu einem negativen Ergebnis gelangt und eine bestimmte Auslegung als rechtswidrig ausschließt („negatives Urteil über Auslegungsfragen“), bleibt die Gültigkeit des ausgelegten Rechtsakts unangetastet.

62.      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass es zwar, wenn es um die Wiederaufnahme eines Verwaltungsverfahrens gehe, möglich sei, sich auf ein „negatives Urteil über Auslegungsfragen“ zu berufen, dass aber im polnischen Recht unklar sei, ob dies auch für ein Zivilverfahren (wie es im Ausgangsverfahren in Rede steht) gelte. Die überwiegende Meinung tendiere dazu, dies zu verneinen. Das Gericht selbst hält es jedoch für möglich.

63.      In diesem Kontext hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die polnische Regierung besser in der Lage sei, diese Frage zu beurteilen. Sie hat jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass den Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs nach nationalem Recht Bindungswirkung erga omnes zukomme, ohne dass zwischen den verschiedenen Arten von Urteilen, die er erlassen könne, unterschieden werde.

64.      Die polnische Regierung hat vorgetragen, dass ein „negatives Urteil über Auslegungsfragen“ die Gültigkeit der ausgelegten Vorschrift nicht berühre und daher nicht als Grund für die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens in Betracht kommen könne. In der mündlichen Verhandlung hat sie hervorgehoben, dass sich ihr Standpunkt auf einen Beschluss des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen, im Folgenden: Oberstes Gericht) stütze, der ihrer Ansicht nach für diese Frage maßgeblich sei(29).

65.      Über die Frage, ob ein „negatives Urteil über Auslegungsfragen“ des Verfassungsgerichtshofs einen Grund für die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens gemäß Art. 4011 KPC darstellt, hat natürlich nicht der Gerichtshof zu entscheiden. Das Verfahren nach Art. 267 AEUV beruht auf einer klaren Trennung der Aufgabenbereiche, in deren Rahmen die nationalen Gerichte für die Auslegung des nationalen Rechts ausschließlich zuständig sind. Aus diesem Grund können die Ausführungen des vorlegenden Gerichts zu dessen Inhalt im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht in Frage gestellt werden(30).

66.      Ich werde daher von der Prämisse des vorlegenden Gerichts ausgehen, wonach ein „negatives Urteil über Auslegungsfragen“ einen Grund für die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens gemäß Art. 4011 KPC darstellen kann, und werde diese Kategorie von Entscheidungen in die vorliegende Analyse einbeziehen.

3.      Konsequenzen aus dem Äquivalenzgrundsatz

67.      Ich werde meine Beurteilung der Konsequenzen, die sich für den vorliegenden Fall aus dem Äquivalenzgrundsatz ergeben, mit einer Erörterung des Zwecks des in Rede stehenden außerordentlichen Rechtsbehelfs beginnen. In diesem Kontext werde ich erläutern, dass dieser Rechtsbehelf wohl an einen, wie es scheint, vom Verfassungsgerichtshof ausdrücklich eingenommenen Standpunkt zur Unvereinbarkeit einer nationalen Rechtsvorschrift (niedrigeren Rangs) mit höherrangigem Recht oder zur Rechtswidrigkeit einer bestimmten Auslegung einer solchen Rechtsvorschrift niedrigeren Rangs anknüpft (i).

68.      Ich werde mich sodann den besonderen Merkmalen der Vorabentscheidungen über Auslegungsfragen zuwenden, die darin bestehen, dass sie eine verbindliche Auslegung des Unionsrechts im Rahmen eines umfassenderen gerichtlichen Dialogs bieten, bei dem die konkreten Folgen für das jeweilige nationale Recht (als des niederrangigeren Rechts) vom nationalen Gericht zu bestimmen sind und ihre genaue Form von mehreren Variablen abhängt. Diese spezifische Dimension macht es meines Erachtens äußerst schwierig, solche Entscheidungen mit dem besonderen Grundgedanken des in Rede stehenden außerordentlichen Rechtsbehelfs in Einklang zu bringen, ohne das Gebot der Rechtssicherheit zu beeinträchtigen (ii).

69.      Sollte dieser grundlegende Unterschied nicht als Hindernis für die Anwendung des Äquivalenzgrundsatzes angesehen werden, werde ich subsidiär erörtern, wie die Kategorie möglicher „auslösender“ Vorabentscheidungen zu definieren ist, um sicherzustellen, dass die Grenzen des Äquivalenzgrundsatzes sowie das Gebot der Rechtssicherheit gewahrt bleiben (iii). Ich werde diese subsidiäre Überlegung weiterführen, indem ich mich mit der Frage der anwendbaren Fristen befasse. Dieser Aspekt des Falles macht per se deutlich, welche Herausforderungen bei der Integration des Grundgedankens der Vorabentscheidungen in den Mechanismus der in Rede stehenden außerordentlichen Rechtsbehelfe bestehen (iv).

a)      Die dem innerstaatlichen Recht unterliegenden Rechtsbehelfe: ihr Zweck und ihr funktionaler Zusammenhang

70.      Zu der oben in Nr. 44 angesprochenen dreiteiligen Prüfung von Gegenstand, Grund und wesentlichen Merkmalen ergibt sich aus den Akten, dass der Gegenstand der jeweiligen Verfahren, die zu einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs führen können, das aufgrund von Art. 4011 KPC herangezogen werden kann, im Allgemeinen darin besteht, entweder eine Feststellung der (Un‑)Vereinbarkeit – und der damit verbundenen (Un‑)Gültigkeit – einer bestimmten nationalen Vorschrift mit höherrangigem Recht oder die Feststellung der Unvereinbarkeit einer bestimmten Auslegung dieser Vorschrift mit höherrangigem Recht zu erreichen.

71.      Der Gegenstand des außerordentlichen Rechtsbehelfs in Art. 4011 KPC scheint darin zu bestehen, die Aufhebung eines rechtskräftigen Urteils zu ermöglichen, nachdem die Rechtsgrundlage, auf der es beruht, entfallen ist oder nachdem deutlich geworden ist, dass dieses Urteil auf einer unzulässigen Auslegung des nationalen Rechts beruhte.

72.      Vereinfacht ausgedrückt und in Anlehnung an die Formulierung des Gerichtshofs im Urteil XC scheint es einen funktionalen Zusammenhang zwischen dem Rechtsbehelf nach Art. 4011 KPC und der Feststellung der Unvereinbarkeit der in dem Verfahren, dessen Wiederaufnahme begehrt wird, herangezogenen Bestimmung des nationalen Rechts (oder der Rechtswidrigkeit ihrer Auslegung) zu geben.

73.      Im Vergleich zum Urteil XC ist der funktionelle Zusammenhang im vorliegenden Fall jedoch etwas schwächer, weil eine Wiederaufnahme nach Art. 4011 KPC nicht voraussetzt, dass die „auslösende“ Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in einer Rechtssache ergeht, die mit dem Verfahren, dessen Wiederaufnahme begehrt wird, in einem individuellen Zusammenhang steht.

74.      Dieser Rechtsbehelf scheint nämlich jeder Partei zur Verfügung zu stehen, deren Rechtssache auf der Grundlage von nationalem Recht, das später für rechtswidrig erklärt wurde, entschieden wurde, sofern der Antrag auf Wiederaufnahme innerhalb der dafür geltenden Frist gestellt wird.

75.      Aus diesem Grund und anders als bei der Situation, die zu dem Urteil XC geführt hat, scheint es ohne Bedeutung zu sein, dass eine Vorabentscheidung über Auslegungsfragen grundsätzlich ein Instrument darstellt, um ex ante, bevor überhaupt eine rechtskräftige nationale gerichtliche Entscheidung ergeht, die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu gewährleisten. Dies gilt natürlich für Einzelfälle, in denen der Gerichtshof um eine Vorabentscheidung ersucht wird. Meines Erachtens ist diese spezifische Erwägung jedoch nicht mehr ausschlaggebend, wenn der funktionale Zusammenhang zwischen dem außerordentlichen Rechtsbehelf und dem „auslösenden“ nationalen Urteil des Verfassungsgerichtshofs so weit gefasst wird, dass er sich auf jedes spätere Urteil des Verfassungsgerichtshofs erstreckt, mit dem die in Rede stehende Rechtsgrundlage für ungültig erklärt oder die gewählte Auslegung des nationalen Rechts als rechtswidrig verworfen wird.

76.      Damit sind aber noch nicht alle zu berücksichtigenden besonderen Merkmale der Vorabentscheidungen über Auslegungsfragen ausgeschöpft.

77.      In der vorliegenden Rechtssache dürften die Unterschiede bei dem Grundgedanken entscheidend sein, der den Konsequenzen zugrunde liegt, die aus den jeweiligen Kategorien der in Rede stehenden gerichtlichen Entscheidungen zu ziehen sind.

78.      Wenn der Verfassungsgerichtshof eine Bestimmung des nationalen Rechts für unvereinbar mit höherrangigem Recht erklärt, lässt dies nach meinem Verständnis nicht viel Raum für eine Diskussion über die Rechtsfolgen, die sich aus dieser Feststellung für das betreffende niederrangigere Recht ergeben. Wie oben ausgeführt, wird es für unvereinbar mit höherrangigem Recht erklärt und ist nicht länger Teil der Rechtsordnung. Der in Rede stehende außerordentliche Rechtsbehelf ermöglicht es anschließend, diesen Folgen auf der Ebene gerichtlicher Entscheidungen, die auf dieser (für nichtig erklärten) Rechtsgrundlage ergangen sind, konkrete Gestalt zu verleihen.

79.      Dieselbe Erwägung gilt mutatis mutandis für die „negativen Urteile über Auslegungsfragen“.

80.      Auch wenn solche Urteile die Gültigkeit des ausgelegten nationalen Rechts unberührt lassen, ergibt sich die Unmöglichkeit, eine bestimmte Auslegung des in Rede stehenden niederrangigeren Rechts zu vertreten, ähnlich wie das Resultat bei den „einfachen Urteilen“, als direkte, ungefilterte Konsequenz aus der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs. Diese wird dann auf der Ebene der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen, denen eine solche unzulässige Auslegung des betreffenden niederrangigeren Rechts zugrunde liegt, durch die Möglichkeit ihrer Aufhebung im Wege des in Rede stehenden außerordentlichen Rechtsbehelfs umgesetzt.

81.      Im Gegensatz hierzu besteht der Zweck von Vorabentscheidungen über Auslegungsfragen primär in der Auslegung des Unionsrechts (als des in Rede stehenden höherrangigen Rechts). Auch wenn sie somit eine verbindliche Grundlage darstellen, aus der die entsprechenden Konsequenzen für die einschlägige, möglicherweise mit höherrangigem Recht unvereinbare nationale Rechtsnorm gezogen werden müssen, ist dies Aufgabe des jeweiligen nationalen Gerichts, nachdem die Vorabentscheidung ergangen ist und das Hauptsacheverfahren fortgesetzt wird. Dabei ist bedeutsam, dass die genaue Ausgestaltung dieser Konsequenzen typischerweise von mehreren Variablen abhängen wird.

82.      Dieser Aspekt ist meines Erachtens von grundlegender Bedeutung für die Möglichkeit, leicht zu erkennen, ob eine bestimmte Vorabentscheidung im Ergebnis Rechtsfolgen auslösen wird, die als denjenigen vergleichbar angesehen werden können, die den betreffenden Urteilen des Verfassungsgerichtshofs zukommen. Dies wiederum hat wichtige Auswirkungen auf die Vorhersehbarkeit der Situationen, in denen der in Rede stehende, in dem in der vorliegenden Rechtssache in Erwägung gezogenen Sinn erweiterte außerordentliche Rechtsbehelf zur Anwendung kommen könnte. Darauf werde ich im Folgenden näher eingehen.

b)      Die für den vorliegenden Fall relevanten besonderen Merkmale von Vorabentscheidungen über Auslegungsfragen

83.      Wie bereits kurz erwähnt, besteht der übergeordnete Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens (über Auslegungsfragen) darin, den nationalen Gerichten die Anhaltspunkte für die Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die sie benötigen, um die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten entscheiden zu können (sein Mikrozweck), und zugleich darin, eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in der gesamten Europäischen Union zu gewährleisten (sein Makrozweck)(31).

84.      Von Bedeutung ist, dass sich der Erlass einer Vorabentscheidung in einen breiteren Kontext des den Vorabentscheidungsverfahren innewohnenden gerichtlichen Dialogs einfügt, in dem die Rolle des Gerichtshofs durch das nachfolgende Tätigwerden des jeweiligen vorlegenden Gerichts ergänzt wird: Während die Rolle des Gerichtshofs darin besteht, eine verbindliche Auslegung des Unionsrechts vorzunehmen, sind die Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung für den konkreten Fall ergeben, Sache der nationalen Gerichte, die im Einklang mit dem übergeordneten Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts handeln(32).

85.      Überdies hängt, wenn ein Konflikt zwischen dem Unionsrecht und dem nationalen Recht festgestellt wird, seine Lösung von mehreren Variablen ab.

86.      Auf der Ebene des Unionsrechts hängt die Frage, ob insbesondere die festgestellte Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht zur Nichtanwendung des nationalen Rechts führen wird, von der spezifischen Art der betreffenden Bestimmung des Unionsrechts ab (z. B. von ihrer Anwendbarkeit im horizontalen Verhältnis oder ihrer unmittelbaren Wirkung im vertikalen Verhältnis, wobei die unmittelbare Wirkung Voraussetzung dafür ist, dass das Unionsrecht die Nichtanwendung des nationalen Rechts erfordern kann)(33).

87.      Auf der Ebene des nationalen Rechts hängt es von den Auslegungsmöglichkeiten der jeweiligen Rechtsordnung ab, ob die festgestellte Unvereinbarkeit tatsächlich zur Unanwendbarkeit des nationalen Rechts führen wird. Denn selbst wenn aus einer Vorabentscheidung letztlich folgt, dass eine bestimmte Vorschrift des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht unvereinbar ist, muss dies nicht zwangsläufig das Ende ihrer „rechtlichen Existenz“ bedeuten, weil das nationale Gericht einen Weg finden könnte, sie unionsrechtskonform auszulegen. Grundsätzlich ist diese Möglichkeit zuerst in Erwägung zu ziehen, und nur dann, wenn die Unvereinbarkeit auf diese Weise nicht beseitigt werden kann, sollte die in Rede stehende unvereinbare Bestimmung unangewendet bleiben (sofern das Unionsrecht dies erfordert)(34).

88.      Dieses Schema steht meines Erachtens in recht starkem Gegensatz zum Grundgedanken der beiden einschlägigen Kategorien von Urteilen des Verfassungsgerichtshofs. Wie ich bereits erläutert habe, werden, wenn in solchen Urteilen eine Unvereinbarkeit festgestellt wird, darin auch die konkreten Folgen direkt genannt, die sich daraus für das betreffende niederrangigere Recht ergeben (d. h. seine Ungültigkeit oder die Unmöglichkeit, eine bestimmte Auslegung vorzunehmen).

89.      Ich möchte hinzufügen, dass dieser Unterschied nicht durch den Umstand berührt wird, dass die beiden miteinander verglichenen Kategorien gerichtlicher Entscheidungen offenbar Wirkungen erga omnes entfalten(35).

90.      Diese prima facie bestehende Gemeinsamkeit hat in der mündlichen Verhandlung zu einer gewissen Diskussion geführt(36).

91.      Die obigen Ausführungen zeigen jedoch meines Erachtens, dass sich der Begriff der erga-omnes-Wirkungen – in den beiden miteinander verglichenen Fällen – in Bedeutung und Konsequenzen grundlegend unterscheidet. Insbesondere scheint die Tatsache, dass die sich daraus ergebenden gerichtlichen Entscheidungen in beiden Fällen generell bindend sind, keinen Aufschluss darüber zu geben, wie sie mit dem unvereinbaren niederrangigeren Recht interagieren.

92.      Der Unterschied, den ich in dieser Hinsicht oben festgestellt habe, hat meines Erachtens erheblichen Einfluss auf die Möglichkeit, die konkreten Situationen zu antizipieren (gestützt allein auf die Betrachtung der gerichtlichen Entscheidung), in denen der in Rede stehende außerordentliche Rechtsbehelf zur Anwendung käme, wenn er durch Vorabentscheidungen über Auslegungsfragen ausgelöst würde: In einigen Fällen mag dem so sein, in anderen nicht unbedingt.

93.      Mit anderen Worten, die Anwendung des Äquivalenzgrundsatzes hätte unter diesen Umständen den nicht zu vernachlässigenden Preis geringerer Rechtssicherheit. Die Bestimmung der „auslösenden“ Situationen würde nämlich eine gesonderte Zwischenanalyse (mit der eventuellen Notwendigkeit einer Anhörung der Parteien) im Hinblick darauf erfordern, ob eine bestimmte Vorabentscheidung im Ergebnis konkrete Folgen hat, die als mit denen vergleichbar angesehen werden können, die durch eine der beiden Arten einschlägiger Urteile des Verfassungsgerichtshofs ausgelöst werden.

94.      Für den Fall, dass die Notwendigkeit einer solchen Diskussion nicht als Hindernis für die „Aktivierung“ des Äquivalenzgrundsatzes angesehen wird, werde ich im Folgenden subsidiär erörtern, wie die Kategorie möglicher „auslösender“ Vorabentscheidungen definiert werden sollte, um sicherzustellen, dass die Grenzen des Äquivalenzgrundsatzes sowie das Gebot der Rechtssicherheit gewahrt bleiben.

c)      Subsidiäre Klärung der relevanten Kategorie „auslösender“ Vorabentscheidungen über Auslegungsfragen

95.      Erstens wäre zu entscheiden, ob es sich bei der relevanten Kategorie von Vorabentscheidungen über Auslegungsfragen um solche handelt, die zu dem Ergebnis führen, dass eine bestimmte Vorschrift des nationalen Rechts nicht anzuwenden ist, oder um solche, die (lediglich) dazu führen, dass eine bestimmte Auslegung des nationalen Rechts als mit dem Unionsrecht unvereinbar ausgeschlossen wird.

96.      Die Antwort auf diese Frage hängt womöglich davon ab, ob es sich bei der maßgeblichen nationalen Vergleichsgröße um ein „einfaches Urteil“ oder ein „negatives Urteil über Auslegungsfragen“ des Verfassungsgerichtshofs handelt. Ich erinnere daran, dass nach den Angaben in Akten das unvereinbare niederrangigere Recht bei der ersten Kategorie von Urteilen für ungültig erklärt wird, während in der zweiten Kategorie lediglich eine bestimmte Auslegungsmöglichkeit ausgeschlossen wird.

97.      Eine einfache Antwort auf diese Frage scheint zu sein, dass sich die möglichen Konsequenzen einer Vorabentscheidung nie exakt der ersten Kategorie zuordnen lassen werden (weil der Gerichtshof nationales Recht nie für ungültig erklären kann)(37), während sie, wie die Kommission im Wesentlichen argumentiert, der zweiten Kategorie entsprechen könnten(38).

98.      Diese Abgrenzung ist jedoch vielleicht nicht ganz überzeugend. Eine Vorabentscheidung über Auslegungsfragen kann de facto zur Unanwendbarkeit des nationalen Rechts führen. Man kann also argumentieren, dass es letztlich keinen großen Unterschied macht, ob man eine nationale Vorschrift für „tot“ erklärt oder ob man sie zwar „am Leben“ lässt, ihr aber zugleich die tatsächliche Möglichkeit nimmt, soziale Beziehungen zu regeln.

99.      Überdies sollte, sofern (entgegen meinem Hauptvorschlag im vorangegangenen Abschnitt) festgestellt wurde, dass das Fehlen rechtlicher Konsequenzen (für das innerstaatliche Recht) als unmittelbarem Resultat einer Vorabentscheidung der Anwendung des Äquivalenzgrundsatzes nicht entgegensteht, dasselbe vielleicht hinsichtlich des Unterschieds zwischen der (direkten) Ungültigerklärung des innerstaatlichen Rechts und seiner Nichtanwendung (die im Übrigen dazu führen kann, dass der nationale Gesetzgeber es zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich aufhebt) gelten.

100. Schließlich ist zudem daran zu erinnern, dass der Vergleich der jeweiligen Rechtsbehelfe oder Urteile für die Zwecke der Anwendung des Äquivalenzgrundsatzes darin besteht, zu prüfen, ob diese Rechtsbehelfe oder Urteile vergleichbar sind. Damit der Äquivalenzgrundsatz zum Tragen kommt, müssen sie tatsächlich in all ihren Aspekten gleich sein.

101. Während dieser Ansatz im Kontext ordentlicher Rechtsbehelfe unproblematisch erscheint, bin ich der Ansicht, dass er bei außerordentlichen Rechtsbehelfen mit größerer Zurückhaltung herangezogen werden sollte, da solche Rechtsbehelfe so elementare Grundsätze wie die Rechtskraft und die Rechtssicherheit betreffen.

102. Daher sollte meines Erachtens der Unterschied bei den genauen Rechtsfolgen für das in Rede stehende niederrangigere Recht maßgebend sein, was in diesem speziellen Kontext bedeutet, dass der relevante nationale Vergleichsmaßstab nur das „negative Urteil über Auslegungsfragen“ und nicht das „einfache“ Urteil sein sollte.

103. Aus denselben Gründen müssten die vergleichbaren Vorabentscheidungen überdies auf diejenigen beschränkt werden, die zum Ausschluss einer bestimmten Auslegung des nationalen Rechts führen, aber nicht so weit gehen, dass sie dessen Nichtanwendung vorschreiben. Dies wäre nämlich eine andere, einschneidendere Kategorie von Rechtsfolgen, die ein „negatives Urteil über Auslegungsfragen“ nicht auszulösen scheint.

104. Zweitens könnte die relevante Kategorie von Vorabentscheidungen meines Erachtens so bestimmt werden, dass zu ihr nur jene gehören, die genau dieselben Rechtsvorschriften betreffen wie die, auf der das rechtskräftige Urteil beruht, dessen Aufhebung begehrt wird. Jede weiter gefasste Definition des relevanten Vergleichsmaßstabs würde der relevanten Kategorie von Urteilen des Verfassungsgerichtshofs ihre Schärfe nehmen (und insoweit auch das Gebot der Rechtssicherheit beeinträchtigen).

105. Diese Urteile scheinen nämlich einen bestimmten Rechtsakt oder eine Vorschrift des nationalen Rechts zu betreffen. Meines Erachtens ist es nicht möglich, einen erfolgreichen Antrag für den in Rede stehenden außerordentlichen Rechtsbehelf im Wege der Analogie zu stellen, d. h. unter Berufung darauf, dass eine andere (wenngleich ähnliche) Bestimmung des nationalen Rechts als die vom Verfassungsgerichtshof tatsächlich geprüfte ungültig oder in einer mit höherrangigem Recht unvereinbaren Weise ausgelegt worden sei.

106. Drittens gehe ich angesichts dessen, dass der Zweck von „Urteilen über Auslegungsfragen“ gerade darin besteht, dazu Stellung zu nehmen, ob eine bestimmte Auslegung des innerstaatlichen Rechts mit höherrangigem Recht vereinbar ist, davon aus, dass eine Antwort auf diese Frage in ihrem Tenor enthalten ist, wie die polnische Regierung in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen geltend gemacht hat.

107. Während die Beachtung des Äquivalenzgrundsatzes (und wiederum des Gebots der Rechtssicherheit) es erfordern würde, die relevante Kategorie von Vorabentscheidungen über Auslegungsfragen in gleicher Weise abzugrenzen, kann eine solche Abgrenzung angesichts des Grundgedankens, der diesen Entscheidungen zugrunde liegt, zu willkürlichen Ergebnissen führen.

108. Während der Gerichtshof die betreffende Feststellung in einigen Fällen im Tenor seiner Entscheidung treffen wird, kann sie sich nämlich in anderen Fällen aus deren Gründen ergeben. Dies spiegelt die Tatsache wider, dass diese Entscheidungen in erster Linie zur Auslegung des Unionsrechts dienen und dass ihr genauer Schwerpunkt davon abhängt, wie die Fragen formuliert sind, sowie von den spezifischen Merkmalen des nationalen rechtlichen und tatsächlichen Kontexts.

109. Darüber hinaus ist zu betonen, dass zu den Voraussetzungen für die Aufhebung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung als entscheidender Aspekt die Fristen gehören. In dieser Hinsicht erfordert der Grundsatz der Rechtssicherheit eine klare Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem sie zu laufen beginnen. Im vorliegenden Fall scheint dies der Zeitpunkt der Veröffentlichung der betreffenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu sein. Das vorlegende Gericht scheint allerdings der Ansicht zu sein, dass es sich auf jede von drei verschiedenen Vorabentscheidungen stützen könne, um dem bei ihm anhängigen Wiederaufnahmeantrag möglicherweise stattzugeben. Allein dieser Ansatz zeigt meines Erachtens, wie schwierig es ist, den Grundgedanken der Vorabentscheidungen in den Mechanismus des in Rede stehenden außerordentlichen Rechtsbehelfs zu integrieren.

d)      Welches Element der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist für die Prüfung der anwendbaren Fristen entscheidend?

110. Das vorlegende Gericht entnimmt drei Vorabentscheidungen über Auslegungsfragen (Profi Credit Polska I, Profi Credit Polska II und Kancelaria Medius), dass das Versäumnisurteil unter Verstoß gegen die nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Art. 6 und 7 der Richtlinie 93/13 ergangen sei. Dieser Verstoß soll darin bestehen, dass das Rayongericht dieses Urteil erlassen habe, ohne die etwaige Missbräuchlichkeit der in Rede stehenden Vertragsklauseln zu prüfen und ohne die Vorlage der ihm nicht unterbreiteten Klauseln zu verlangen.

111. Ich stimme dem vorlegenden Gericht natürlich zu, dass diese Rechtsprechung für die Beurteilung der Voraussetzungen, unter denen das Versäumnisurteil ergangen ist, von Bedeutung ist und zu der von ihm befürworteten Schlussfolgerung führen kann(39). Ich bin aber der Auffassung, dass nur eine der Vorabentscheidungen (Kancelaria Medius) tatsächlich den Parametern entspricht, die ich im vorangegangenen Abschnitt subsidiär skizziert habe. Diese Vorabentscheidung ist jedoch nicht die erste, die es ermöglichen könnte, ähnliche Schlussfolgerungen zu ziehen.

112. Zur Erläuterung: In seinem Urteil Kancelaria Medius hat der Gerichtshof konkrete Vorschriften der Richtlinie 93/13 dahin ausgelegt, dass sie eine bestimmte Auslegung des nationalen Rechts(40) ausschließen, die, wie die Kommission ausführt, mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden übereinzustimmen scheint(41). Im Übrigen erscheint diese Feststellung im Tenor des Urteils (wobei die unvereinbare Rechtsvorschrift dort nicht ausdrücklich genannt wird, aber anderen Teilen des Urteils entnommen werden kann).

113. Konkret ergibt sich aus diesem Urteil, dass das nationale Gericht, wenn es Zweifel an der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln hat, aber nicht über ein Dokument verfügt, in dem sie enthalten sind, in der Lage sein muss, die Vorlage eines solchen Dokuments zu verlangen (um diese Klauseln zu prüfen)(42).

114. Zwar scheint diese Feststellung recht gut zur Situation im Ausgangsverfahren zu passen, doch stützt sich das Urteil in der Sache auf frühere Rechtsprechung, zu der (unter anderem) die beiden anderen vom vorlegenden Gericht genannten Urteile gehören.

115. Erstens ist der Gerichtshof in seinem Urteil Profi Credit Polska I zu dem Ergebnis gelangt, dass die Richtlinie 93/13 einer nationalen Regelung entgegensteht, die es dem nationalen Gericht unmöglich macht, die etwaige Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln in einem Verbrauchervertrag von Amts wegen zu prüfen, wenn die nationalen Modalitäten für die Ausübung des Rechts, Widerspruch gegen einen Zahlungsbefehl einzulegen, vereinfacht gesagt zu restriktiv sind. Im konkreten Fall bejahte der Gerichtshof dies aufgrund des besonders restriktiven Charakters der einschlägigen Regelung(43).

116. Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass das Ausgangsverfahren zwar keinen Zahlungsbefehl (und damit dieselbe nationale Regelung) betreffe, aber die Voraussetzungen, unter denen das in Rede stehende Versäumnisurteil angefochten werden könne, ähnlich restriktiv seien.

117. Zweitens hat sich der Gerichtshof im Urteil Profi Credit Polska II speziell mit den Konsequenzen befasst, die sich daraus ergeben, dass das nationale Gericht keine Prüfung von Amts wegen vornehmen kann, und klargestellt, dass das nationale Gericht, wenn es Zweifel an der Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln hat, die Vorlage der entsprechenden Schriftstücke verlangen kann(44).

118. Drittens wurde der zwingende Charakter eines solchen proaktiven Ansatzes meines Erachtens im Urteil Lintner (das vor dem Urteil Kancelaria Medius ergangen ist) bestätigt(45).

119. Nach dieser Betrachtung der Rechtsprechung stellt sich die Frage, welches Urteil des Gerichtshofs zugrunde zu legen ist, um zu klären, ob die Frist für die Einreichung eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens gewahrt wurde.

120. An dieser Stelle halte ich den Hinweis für angebracht, dass die Kommission im vorliegenden Fall dafür plädiert hat, ein „negatives Urteil über Auslegungsfragen“ einer Vorabentscheidung über Auslegungsfragen gleichzustellen. Sie hat jedoch hinzugefügt, dass dies nur dann geschehen sollte, wenn die Schlussfolgerung hinsichtlich der Unvereinbarkeit mit dem nationalen Recht eindeutig sei.

121. Ein solches Maß an Klarheit findet sich wohl am ehesten im Urteil Kancelaria Medius. Wie ich soeben dargelegt habe, ist dieses Urteil (das nebenbei bemerkt ohne Schlussanträge des Generalanwalts ergangen ist)(46) keineswegs das erste, das sich mit der allgemeinen Frage befasst, die sich im Ausgangsverfahren stellt.

122. Wie sich aus den Informationen in den Akten ergibt, muss ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung des betreffenden Urteils des Verfassungsgerichtshofs gestellt werden(47).

123. Den Angaben des vorlegenden Gerichts entnehme ich, dass FY ihren Antrag etwa neun Monate nach der Verkündung des Urteils Profi Credit Polska I gestellt hat, so dass ihr Antrag, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, sechs Monate zu spät gestellt worden sein könnte. Vielleicht zieht das vorlegende Gericht deshalb die Möglichkeit in Betracht, den geltend gemachten Mangel des Versäumnisurteils auch anhand der späteren Urteile Profi Credit  Polska II oder Kancelaria Medius (die etwa 4 bzw. 12 Monate nach dem Antrag von FY ergangen sind) festzustellen.

124. Ich muss gestehen, dass mich diese Erwägungen etwas ratlos zurücklassen, denn es ist meines Erachtens schwer vorstellbar, dass der Äquivalenzgrundsatz zu einem Ergebnis führen kann, bei dem die in Rede stehende Frist mit jeder neuen Vorabentscheidung des Gerichtshofs, die die aus dem Unionsrecht zu ziehenden Konsequenzen für die Auslegung einer bestimmten Vorschrift des nationalen Rechts weiter erhellt, erneut zu laufen beginnt.

125. Ich erinnere daran, dass die Wiederaufnahme des in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Verfahrens einen außerordentlichen Rechtsbehelf darstellt, der seiner Natur nach eine Ausnahme vom Grundsatz der Rechtskraft darstellt. Zur Wahrung des Grundsatzes der Rechtssicherheit müssen daher die Voraussetzungen, unter denen ein solcher Rechtsbehelf eingelegt werden kann, klar definiert werden, um die Vorhersehbarkeit zu gewährleisten; dazu gehört auch ein genauer Zeitrahmen, innerhalb dessen ein solcher Rechtsbehelf eingelegt werden kann.

126. Aufgrund dieses Erfordernisses muss somit die zeitlich erste Vorabentscheidung ermittelt werden, die den Schluss zulässt, dass ein rechtskräftiges Urteil auf einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren Auslegung des nationalen Rechts beruhte. Aus den oben genannten Gründen könnte sich dies jedoch als etwas schwierig erweisen, wenn hinsichtlich der Frage, welches Recht mit dem Unionsrecht unvereinbar ist und welche genauen Folgen eine solche Feststellung hat, dasselbe Maß an nomineller Klarheit angestrebt wird.

127. Im Licht dieser Erwägungen schlage ich vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass der Grundsatz der Äquivalenz als eine der Ausprägungen der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nicht verlangt, dass ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens auf der Grundlage eines Urteils des nationalen Verfassungsgerichtshofs ermöglicht, mit dem (i) eine in diesem Verfahren herangezogene Vorschrift des nationalen Rechts für unvereinbar mit höherrangigem Recht und daher für ungültig erklärt wird oder (ii) eine bestimmte Auslegung einer in diesem Verfahren herangezogenen Vorschrift des nationalen Rechts für unvereinbar mit höherrangigem Recht erklärt wird, auch auf der Grundlage eines Urteils des Gerichtshofs zur Verfügung steht, das in einem Verfahren gemäß Art. 267 TFEU ergangen ist und in dem eine Vorschrift des Unionsrechts ausgelegt wird.

C.      Die unionsrechtskonforme Auslegung (und weiterführende Überlegungen zu Effektivität und Äquivalenz)

128. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts bedeutet, dass der in Art. 401 Nr. 2 KPC vorgesehene Grund für die Wiederaufnahme von Zivilverfahren weit auszulegen ist, so dass er im Rahmen der Rechtsfigur der „Hinderung einer Partei an der Mitwirkung infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften“ auch die Verletzung der Pflicht des nationalen Gerichts umfasst, von Amts wegen zu prüfen, ob die in einem Verbrauchervertrag enthaltenen Klauseln missbräuchlich sind.

129. Um eine sachdienliche Antwort auf die zweite Vorlagefrage geben zu können, werde ich zunächst die Gründe darlegen, die diese Frage wahrscheinlich ausgelöst haben. Dazu bedarf es einer näheren Betrachtung der Angaben des vorlegenden Gerichts zum Verständnis der Rechtsfigur der „Hinderung der Partei an der Mitwirkung infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften“ (a).

130. Unter Berücksichtigung des Wortlauts der zweiten Frage werde ich sodann darlegen, dass die Klärung des genauen Ergebnisses, das durch eine unionsrechtskonforme Auslegung erzielt werden kann, Sache des nationalen Gerichts ist (b).

131. Damit diese Auslegungsmethode überhaupt relevant werden kann, muss zunächst festgestellt werden, mit welcher genauen Vorschrift des Unionsrechts die Vereinbarkeit gewährleistet werden soll. Insoweit scheint die Frage des vorlegenden Gerichts auf der Prämisse zu beruhen, dass das Unionsrecht die Mitgliedstaaten verpflichte, einen außerordentlichen Rechtsbehelf vorzusehen, der die Anfechtung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung ermögliche, die ohne Prüfung der Klauseln eines Verbrauchervertrags erlassen worden sei. Mangels einer speziellen dahin gehenden Vorschrift des Unionsrechts werde ich die Prämisse des vorlegenden Gerichts daran messen, ob sich die Existenz eines solchen Rechtsbehelfs aus dem Äquivalenzgrundsatz (c) oder dem Gesichtspunkt der Effektivität ableiten lässt (d).

1.      Die Rechtsfigur der Hinderung einer Partei an der Mitwirkung infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften

132. Wie sich aus den Akten ergibt, stellt der Umstand, dass eine Partei infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften an der Mitwirkung gehindert war, nach polnischem Recht einen eigenen Grund für die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens dar. Er wird in Art. 401 Nr. 2 KPC zusammen mit den Gründen genannt, die darin bestehen, dass eine Person „nicht partei- oder prozessfähig oder nicht ordnungsgemäß vertreten war“.

133. Diese Gründe beziehen sich nach dem Wortlaut des ersten Satzteils von Art. 401 Nr. 2 KPC auf die Ungültigkeit des Verfahrens und damit, wie ich es verstehe, auf bestimmte Verfahrensmängel eines durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens(48). In diesem Kontext erscheint die Liste der Verfahrensmängel, die zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 401 Nr. 2 KPC führen können, relativ kurz, was auf den Ausnahmecharakter der außerordentlichen Rechtsbehelfe zurückzuführen sein mag(49).

134. Das vorlegende Gericht führt aus, das spezielle Szenario der Hinderung an der Mitwirkung infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften umfasse eine Situation, in der eine Partei aufgrund eines Verstoßes des Gerichts oder der gegnerischen Partei gegen Verfahrensvorschriften nicht in der Lage gewesen sei, an dem betreffenden Verfahren oder einem wesentlichen Teil davon mitzuwirken.

135. Im gleichen Sinne hat die polnische Regierung in der mündlichen Verhandlung erläutert, eine rechtswidrige Hinderung an der Mitwirkung liege typischerweise dann vor, wenn der Beklagte nicht ordnungsgemäß über das gegen ihn eingeleitete Verfahren unterrichtet worden sei.

136. Das vorlegende Gericht führt jedoch aus, diese Rechtsfigur sei vom Obersten Gericht in einem Fall angewandt worden, in dem die Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund einer (späteren, inhaltlich verbundenen) Entscheidung des EGMR begehrt worden sei, in der er eine Verletzung des in Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren festgestellt habe(50).

137. Mangels weiterer Informationen in der Vorlageentscheidung und vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht gehe ich davon aus, dass diese Schlussfolgerung auf das Versäumnis des nationalen Gerichts zurückgeht, die Ablehnung des Antrags einer Partei auf rechtlichen Beistand im Zusammenhang mit einer Kassationsbeschwerde (für die eine rechtliche Vertretung zwingend vorgeschrieben war) zu begründen. Ich gehe ferner davon aus, dass in der fraglichen Situation ein Hindernis für die Möglichkeit des Beschwerdeführers gesehen wurde, von diesem verfahrensrechtlichen Rechtsbehelf Gebrauch zu machen.

138. Dieser Aspekt der nationalen Rechtsprechung veranlasst das vorlegende Gericht wohl zu der Frage, ob der in Rede stehende Wiederaufnahmegrund (ebenfalls) weit ausgelegt werden sollte, um ein Versäumnis des nationalen Gerichts zu erfassen, die Rechtmäßigkeit der in einem Verbrauchervertrag enthaltenen Klauseln von Amts wegen zu prüfen, was gegen die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Anforderungen verstößt. In diesem Kontext möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine solche Auslegung nach dem Grundsatz, dass das nationale Recht im Einklang mit dem Unionsrecht auszulegen ist, geboten sein könnte. Darauf werde ich nun eingehen.

2.      Die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts und die Grenzen der Zuständigkeit des Gerichtshofs

139. Nach ständiger Rechtsprechung müssen die nationalen Gerichte die Bestimmungen des nationalen Rechts „so weit wie möglich derart [auslegen], dass sie in einer zur Verwirklichung des Unionsrechts beitragenden Art und Weise angewandt werden können“(51). Zu diesem Zweck müssen die nationalen Gerichte zwar, kurz gesagt, alle in der jeweiligen Rechtsordnung vorgesehenen Mittel einsetzen, doch darf diese Methode nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen(52).

140. Aus dieser Beschreibung ergibt sich, dass die Methode der unionsrechtskonformen Auslegung zwar darauf abzielt, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen(53), ihre Anwendung und die Bestimmung ihrer Grenzen aber notwendigerweise den nationalen Gerichten überlassen bleiben, die sich dabei auf die Hinweise stützen, die der Gerichtshof soweit möglich auf der Grundlage der in den Akten enthaltenen Informationen gibt(54).

141. Im Einklang mit der Trennung der Funktionen im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV zwischen dem Gerichtshof einerseits und den nationalen Gerichten andererseits fällt die Auslegung des nationalen Rechts nämlich in die ausschließliche Zuständigkeit Letzterer(55). Daraus folgt, dass der Gerichtshof keine förmlichen Feststellungen dazu treffen kann, ob der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung ein bestimmtes Auslegungsergebnis auf nationaler Ebene gebietet, weil die Frage, ob die Konformität mit dem Unionsrecht auf diese Weise erreicht werden kann, von der Tragweite der in Rede stehenden nationalen Vorschrift und von ihrer „Auslegungselastizität“ abhängt.

142. Um dem vorlegenden Gericht eine Hilfestellung zu geben, ist es gleichwohl nicht zuletzt wegen der Relevanz einer Bestätigung des Grundsatzes der unionsrechtskonformen Auslegung erforderlich, auf der Ebene des Unionsrechts das genaue „Maß der Legalität“ zu bestimmen, mit dem die Konformität sicherzustellen ist.

143. Insoweit scheint die zweite Vorlagefrage auf der Prämisse zu beruhen, dass das Unionsrecht, insbesondere Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Zivilverfahrens verlangt, um angesichts des gerügten Versäumnisses des nationalen Gerichts, die Rechtmäßigkeit der Klauseln eines Verbrauchervertrags zu überprüfen, Abhilfe zu schaffen. Da es im anwendbaren nationalen Recht keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens zu geben scheint, die für einen solchen Fall geeignet wäre, erwägt das vorlegende Gericht eine weite Auslegung von Art. 401 Nr. 2 KPC, um ihn zu erfassen.

144. In Übereinstimmung mit den im Wesentlichen von der polnischen Regierung und der Kommission vertretenen Standpunkten stelle ich fest, dass die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens zur Behebung des Versäumnisses eines nationalen Gerichts, die Klauseln eines Verbrauchervertrags von Amts wegen zu überprüfen, zweifellos zu einem größeren Verbraucherschutz führen würde. Der Gerichtshof hat jedoch stets betont, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, im Einklang mit dem Grundsatz der Verfahrensautonomie innerstaatliche Verfahren für die Prüfung festzulegen, ob eine Vertragsklausel missbräuchlich ist, wobei die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zu beachten sind(56).

145. In Ermangelung einer entsprechenden ausdrücklichen Bestimmung im Unionsrecht kann somit nicht ohne weitere Prüfung davon ausgegangen werden, dass das Versäumnis des nationalen Gerichts, in einem durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahren eine der in Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 enthaltenen Verpflichtungen zu erfüllen, automatisch zu der Schlussfolgerung führt, dass die Mitgliedstaaten einen außerordentlichen Rechtsbehelf vorsehen müssen, um die Aufhebung eines solchen rechtskräftigen Urteils zu ermöglichen.

146. Eine solche Verpflichtung könnte meines Erachtens nur dem Äquivalenzgrundsatz oder Erwägungen zur Wirksamkeit der aus dem Unionsrecht abgeleiteten Rechte zu entnehmen sein. Ich werde diese Aspekte in den beiden folgenden Abschnitten nacheinander untersuchen.

3.      Erwägungen zum Äquivalenzgrundsatz

147. Wie bereits oben in Nr. 43 erwähnt, verbietet der Äquivalenzgrundsatz den Mitgliedstaaten, für Ansprüche, die sich auf eine Verletzung des Unionsrechts beziehen, weniger günstige Verfahrensregeln vorzusehen als für gleichartige Ansprüche, die sich auf eine Verletzung des nationalen Rechts stützen.

148. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof, wie die Kommission in Erinnerung ruft, wiederholt erklärt, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 (der im Wesentlichen vorschreibt, dass missbräuchliche Klauseln die Verbraucher nicht binden) „als eine Norm zu betrachten ist, die den nationalen Bestimmungen, die im nationalen Recht zwingend sind, gleichwertig ist“(57). Der Gerichtshof stellte ferner fest, dass (in Verbrauchersachen und darüber hinaus) „die vom nationalen Recht aufgestellten Voraussetzungen für die Prüfung einer Bestimmung des [Unionsrechts] von Amts wegen nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die die Prüfung gleichrangiger Bestimmungen des nationalen Rechts regeln“(58).

149. Sollte sich also herausstellen, dass der auf der Hinderung der Partei an der Mitwirkung beruhende Grund für die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens im innerstaatlichen Recht in der Weise angewandt wird, dass er Versäumnisse der nationalen Gerichte erfasst, von Amts wegen Fragen der öffentlichen Ordnung zu behandeln, käme der Äquivalenzgrundsatz zum Tragen, so dass dieser Wiederaufnahmegrund auch auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar wäre(59).

150. Ich möchte allerdings hervorheben, dass die in der Akte verfügbaren Informationen nicht darauf hindeuten, dass die soeben dargelegte Auslegung von Art. 401 Nr. 2 KPC tatsächlich gewählt wurde. Daher bleibt das mögliche Erfordernis, den Äquivalenzgrundsatz unter diesen Umständen heranzuziehen, ein hypothetischer Fall, der vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

4.      Wirksamkeit des Schutzes des Rechts der Verbraucher, nicht durch missbräuchliche Vertragsklauseln gebunden zu sein

151. Ausgehend von der oben in Nr. 143 erläuterten Prämisse, die der Frage des vorlegenden Gerichts zugrunde liegt, stellt sich die Frage, ob die Wirksamkeit der Rechte, die den Verbrauchern nach dem Unionsrecht und insbesondere nach der Richtlinie 93/13 zustehen, es erforderlich macht, dass ein außerordentlicher Rechtsbehelf zur Verfügung gestellt wird, wenn geltend gemacht wird, dass diese Rechte nicht angemessen geschützt worden seien. Dies gilt auch für Fälle – was hier von Bedeutung ist –, in denen behauptet wird, dass das nationale Gericht es versäumt habe, die mögliche Missbräuchlichkeit der Klauseln in einem Verbrauchervertrag von Amts wegen zu prüfen.

152. Meines Erachtens ist es durchaus verständlich, dass eine solche Frage angesichts des recht umfassenden Schutzes gestellt wird, den der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung den Rechten der Verbraucher nach dem Unionsrecht, insbesondere der Richtlinie 93/13, bisher gewährt hat.

153. In nunmehr ständiger Rechtsprechung legt der Gerichtshof diese Richtlinie so aus, dass sie den nationalen Gerichten die Verpflichtung auferlegt, von Amts wegen zu prüfen, ob Klauseln in Verbraucherverträgen missbräuchlich sind. Ohne auf die Einzelheiten dieser Rechtsprechung(60) näher eingehen zu müssen, hat der Gerichtshof zunächst bestätigt, dass diese Verpflichtung voraussetzt, dass das nationale Gericht über „die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt“(61). In späteren Urteilen hat er außerdem bestätigt, dass das nationale Gericht, wenn es nicht über die relevanten Grundlagen verfügt (aber Zweifel hinsichtlich der Missbräuchlichkeit der fraglichen Klauseln hegt), in der Lage sein muss, ihre Vorlage zu verlangen(62).

154. Die jeweiligen Ausprägungen der Verpflichtung der nationalen Gerichte, einen solchen proaktiven Ansatz zu verfolgen, wurden schrittweise aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 abgeleitet, wonach die Mitgliedstaaten im Wesentlichen dafür sorgen müssen, dass missbräuchliche Klauseln die Verbraucher nicht binden, und „angemessene und wirksame Mittel“ vorsehen müssen, um der Verwendung solcher Klauseln ein Ende zu setzen.

155. Es steht außer Zweifel, dass die den nationalen Gerichten auferlegten Pflichten in einigen Rechtsordnungen eine erhebliche Modifikation der dem Richter zugedachten Rolle notwendig gemacht haben, von dem sonst im Allgemeinen erwartet wird, dass er sich in zivilrechtlichen Streitigkeiten an den Tatsachenvortrag der Parteien hält. Es steht ferner außer Zweifel, dass sich das derzeit erforderliche Schutzniveau von den Anforderungen in anderen Bereichen des Unionsrechts unterscheiden kann, in denen sich private Parteien ebenfalls in einer prekären Lage befinden können(63).

156. Diese spezifischen und in einigen Fällen neu geschaffenen Anforderungen an die nationalen Gerichte im Bereich des Verbraucherschutzes scheinen inzwischen recht gut bekannt und umgesetzt worden zu sein.

157. Auch wenn der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung meines Erachtens deutlich macht, dass die Überprüfung der in einem Verbrauchervertrag enthaltenen Klauseln von Amts wegen grundsätzlich in irgendeinem Stadium des Verfahrens erfolgen muss, bin ich allerdings der Auffassung, dass die Folgen des Fehlens einer solchen Überprüfung für die daraus resultierende (rechtskräftig gewordene) gerichtliche Entscheidung unterschiedlicher Art sind. Insbesondere bedeutet ihr Fehlen, auch wenn es in einigen Fällen den Eintritt der Rechtskraft verhindern kann, meines Erachtens nicht, dass die Rechtskraft in allen Situationen außer Acht gelassen werden muss, in denen Klauseln in einem Verbrauchervertrag nicht überprüft wurden (i). Ich bin aber auch der Ansicht, dass die restriktiven Bedingungen, unter denen das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Versäumnisurteil hätte angefochten werden können, bedeuten, dass dem betreffenden Verbraucher ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen muss, um der entstandenen Situation abzuhelfen. Dieser Rechtsbehelf kann die Form einer Wiederaufnahme des Verfahrens annehmen, wenn ein solches Ergebnis durch eine unionsrechtskonforme Auslegung erreicht werden kann, muss aber nicht unbedingt diese Form haben (ii).

a)      Erwägungen zur Wirksamkeit und zu den nationalen Wirkungen der Rechtskraft

158. Im Einklang mit dem oben Gesagten nimmt das Unionsrecht in Bezug auf die nationalen Wirkungen der Rechtskraft den Standpunkt ein, dass es keine generelle Verpflichtung gibt, die Rechtskraft gegen das Unionsrecht verstoßender nationaler Entscheidungen in Frage zu stellen, insbesondere durch die Schaffung eines spezifischen Rechtsbehelfs(64).

159. Es ist allerdings richtig, dass der Gerichtshof in mehreren Fällen aufgrund von Erwägungen zur Wirksamkeit, die bestimmten Vorschriften des Unionsrechts zukommen muss, zum gegenteiligen Ergebnis gelangt ist.

160. Dies geschah erstens in einer Situation, in der ein gegen das Unionsrecht verstoßendes rechtskräftiges nationales Urteil die Rückforderung einer rechtswidrig gewährten staatlichen Beihilfe verhinderte und damit die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten in diesem Bereich berührte(65).

161. Zweitens geschah es auch dann, wenn die nationalen Wirkungen der Rechtskraft so weit gefasst waren, dass es strukturell unmöglich wurde, in anderen ähnlich gelagerten Fällen unionsrechtskonforme Ergebnisse zu erzielen. Zu diesem Ergebnis kam der Gerichtshof in Fällen, in denen es um die Mehrwertsteuer und erneut um staatliche Beihilfen ging(66).

162. Keine der beiden Kategorien von Sachverhalten (sei es im Hinblick auf den erfassten Bereich oder, was bedeutsamer ist, aufgetretene strukturelle Schwierigkeiten) scheint im Ausgangsverfahren relevant zu sein.

163. Drittens hat der Gerichtshof in Bezug auf die nationalen Wirkungen der Rechtskraft im Bereich des Verbraucherschutzes einen eher restriktiven Ansatz gewählt. Insbesondere hat er klargestellt, dass die Gewährleistung eines wirksamen Schutzes des Rechts der Verbraucher, nicht durch Vertragsklauseln gebunden zu sein, die als missbräuchlich im Sinne der Richtlinie 93/13 anzusehen sind, die Nichtberücksichtigung der nationalen Wirkungen der Rechtskraft entweder in der Rechtsmittelphase des ordentlichen Verfahrens oder während des Vollstreckungsverfahrens erfordert.

164. Was den ersten Aspekt betrifft, so hat der Gerichtshof in seinem Urteil Unicaja Banco(67) die Nichtberücksichtigung der Rechtskraft eines erstinstanzlichen Urteils vorgeschrieben, das im Wesentlichen einen Verbraucher daran hinderte, einen Teil des einem Gewerbetreibenden aufgrund einer als missbräuchlich eingestuften Mindestzinssatzklausel gezahlten Betrags zurückzufordern. Die erstinstanzliche Entscheidung ordnete zwar die Erstattung der aufgrund dieser Klausel gezahlten Beträge an, legte aber im Einklang mit der (damaligen) Rechtsprechung des nationalen Obersten Gerichts eine zeitliche Begrenzung für eine solche Rückzahlungsverpflichtung fest(68).

165. Später entschied der Gerichtshof, dass eine solche zeitliche Begrenzung gegen die Richtlinie 93/13 verstoße(69). Als diese Feststellung getroffen wurde, waren jedoch die Rechtsmittelfristen in dieser Rechtssache verstrichen, und nur die betroffene Bank hatte ein Rechtsmittel (gegen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts, ihr die gesamten Kosten aufzuerlegen) eingelegt. Ihr Rechtsmittel war erfolgreich. In Beantwortung einer Frage des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) stellte der Gerichtshof klar, dass das Berufungsgericht verpflichtet war, den rechtskräftig gewordenen Teil des erstinstanzlichen Urteils aufzuheben und sich von Amts wegen mit der Unbilligkeit der zeitlichen Begrenzung zu befassen, obwohl dieser Teil des erstinstanzlichen Urteils nicht angefochten worden war und die sich daraus ergebende Situation zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung der Bank führte, die das Rechtsmittel eingelegt hatte, um einen anderen Aspekt der erstinstanzlichen Entscheidung anzufechten.

166. In Bezug auf den zweiten oben in Nr. 164 genannten Aspekt verlangte der Gerichtshof, die Rechtskraftwirkung gerichtlicher Entscheidungen, die in Mahnverfahren oder in Hypothekenvollstreckungsverfahren ergangen waren, rückgängig zu machen.

167. Konkret verlangte er in seinem Urteil Finanmadrid EFC, in der Vollstreckungsphase eines Mahnverfahrens die Rechtskraftwirkung außer Acht zu lassen, indem er dem nationalen Gericht die ihm nach dem innerstaatlichen Recht nicht zustehende Befugnis einräumte, von Amts wegen zu prüfen, ob eine Klausel des zugrunde liegenden Vertrags missbräuchlich war, wenn die Vertragsbedingungen in den vorausgegangenen Verfahrensstadien nicht geprüft worden waren(70).

168. Überdies wandte der Gerichtshof im Urteil Banco Primus diesen Ansatz auf Situationen an, in denen in Hypothekenvollstreckungsverfahren zwar eine Prüfung stattgefunden hatte, die sich aber auf bestimmte Klauseln des zugrunde liegenden Vertrags beschränkte. Der Gerichtshof kam im Wesentlichen zu dem Schluss, dass der den Verbrauchern nach der Richtlinie 93/13 zu gewährende Schutz „unvollständig und unzureichend“ wäre, wenn das die Hypothek vollstreckende Gericht daran gehindert wäre, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit der übrigen, noch keiner Prüfung unterzogenen Klauseln zu prüfen(71).

169. Im Urteil Ibercaja Banco(72) wird in ähnlicher Weise und grundsätzlich verlangt, in Verfahren der Zwangsvollstreckung aus einer Hypothek die nationalen Wirkungen der Rechtskraft unberücksichtigt zu lassen, wenn das nationale Gericht die streitigen Vertragsklauseln geprüft hatte, ohne sich jedoch in der endgültigen Entscheidung ausdrücklich zu ihnen zu äußern. Der Gerichtshof hob hervor, dass der Verbraucher unter solchen Umständen weder über die Durchführung dieser Prüfung informiert noch, zumindest summarisch, über die Gründe in Kenntnis gesetzt worden war, aus denen das Gericht die Missbräuchlichkeit der in Rede stehenden Klauseln verneinte, so dass er daran gehindert war, in vollständiger Kenntnis der Sachlage über die Einlegung eines Rechtsbehelfs zu entscheiden(73).

170. Aus dieser Rechtsprechung lässt sich prima facie ableiten, dass die Rechtskraftwirkung einer gerichtlichen Entscheidung in jedem betrachteten Fall nur dann einer Prüfung im Hinblick auf die Wirksamkeit des den Verbrauchern zu gewährenden Schutzes standhält, wenn sie nach einer Prüfung der betreffenden vertraglichen Klauseln ergangen ist (und nur dann, wenn es ausdrückliche Angaben zum Ergebnis dieser Prüfung gibt)(74).

171. Meines Erachtens ist eine solche allgemeine Schlussfolgerung jedoch nicht völlig korrekt.

172. Erstens würde eine solche Schlussfolgerung die beiden in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfenen Fragen sofort irrelevant machen, weil sie die logische Folge hätte, dass die rechtlichen Wirkungen der Rechtskraft schlicht nicht zum Tragen kämen: Obwohl eine ohne Prüfung des zugrunde liegenden Vertragsverhältnisses ergangene gerichtliche Entscheidung formell rechtskräftig wäre, könnte sie nicht verhindern, dass der Rechtsstreit in irgendeiner Form fortgeführt wird. Folglich bräuchte die Frage außerordentlicher Rechtsbehelfe nicht erörtert zu werden, da es sich dabei, wie ich bereits erläutert habe, um außerordentliche Instrumente handelt, die es ermöglichen sollen, eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung rückgängig zu machen.

173. Zweitens, als bedeutsamerer Aspekt, ist es meines Erachtens schwierig, die weiterreichenden Folgen eines solchen Verständnisses der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu antizipieren, insbesondere im Kontext seiner Rechtsprechung zu den Fristen für eine von einem Verbraucher erhobene Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung(75).

174. Drittens, und als ebenfalls bedeutsamer Aspekt, muss die oben erörterte Rechtsprechung im Licht der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs zur „völligen Untätigkeit des Verbrauchers“ verstanden werden(76), deren fortdauernde Bedeutung der Gerichtshof kürzlich bestätigt hat.

175. Zur Erläuterung: Der Gerichtshof hat in seinem früheren Urteil Asturcom Telecomunicaciones festgestellt, dass der Grundsatz der Effektivität nicht so weit reicht, dass er dem nationalen Gericht, bei dem eine Klage auf Vollstreckung eines (in Abwesenheit des Verbrauchers ergangenen) Schiedsspruchs anhängig ist, die Verpflichtung auferlegt, von Amts wegen zu prüfen, ob eine Schiedsklausel in einem Verbrauchervertrag missbräuchlich ist, obgleich der Verbraucher nicht gegen den Schiedsspruch vorgegangen war und die dafür vorgesehene Frist von zwei Monaten nicht als problematisch angesehen werden konnte(77).

176. Auf diese frühere Rechtsprechung hat der Gerichtshof in seinem kürzlich ergangenen, oben erörterten Urteil Unicaja Banco Bezug genommen und bestätigt, dass der Sachverhalt, der diesem Urteil zugrunde lag, nicht durch eine völlige Untätigkeit des Verbrauchers gekennzeichnet war: Zwar focht er ein im Ausgangsverfahren ergangenes erstinstanzliches Urteil nicht an, doch lag dies daran, dass das Urteil Gutierrez Naranjo des Gerichtshofs, mit dem die nationale Rechtsprechung, auf die sich das erstinstanzliche Urteil stützte, für unvereinbar mit der Richtlinie 93/13 erklärt wurde, erst nach Ablauf der Fristen für die Einlegung des Rechtsmittels ergangen war(78).

177. Angesichts dessen bin ich der Auffassung, dass auch ohne die Prüfung der Missbräuchlichkeit von Klauseln in einem Verbrauchervertrag eine echte Rechtskraftwirkung eintreten kann, vor allem dann, wenn der Verbraucher in keinem Verfahrensstadium mitwirkte.

178. Daher ist zu prüfen, ob unter den Umständen des Ausgangsverfahrens eine solche Situation vorlag.

179. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass FY an dem Verfahren, das zu dem Versäumnisurteil führte, nicht mitwirkte und dass sie nicht gegen dieses Urteil vorging (obwohl es ihr ordnungsgemäß zugestellt wurde). Diese Aspekte sind prima facie ein Indiz für ihre Passivität im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs.

180. Ihre besondere Situation ist jedoch vor dem allgemeinen Hintergrund der einschlägigen nationalen Verfahrensvorschriften zu beurteilen.

181. Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht hat es den Anschein, dass die für das Versäumnisurteil geltenden Verfahrensvorschriften das jeweilige erstinstanzliche Gericht daran hinderten, die in Rede stehenden Vertragsklauseln zu überprüfen, da es das Tatsachenvorbringen der Klägerin zugrunde legen musste(79).

182. Aus dem Urteil Profi Credit Polska I ergibt sich meines Erachtens, dass eine solche verfahrensrechtliche Lösung nicht per se mit den Anforderungen der Richtlinie 93/13 unvereinbar ist, sofern die Überprüfung in der zweiten Instanz erfolgen kann und die Voraussetzungen für die Einlegung eines Rechtsbehelfs so gestaltet sind, dass seine wirksame Einlegung dem Verbraucher nicht übermäßig erschwert oder unmöglich gemacht wird.

183. Insoweit ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass das Versäumnisurteil sofort vollstreckbar war und dass die Frist für seine Anfechtung zwei Wochen betrug, innerhalb deren FY die Rechtsausführungen und Beweise, auf die sie sich stützen wollte, hätte vorbringen müssen.

184. Wie sowohl das vorlegende Gericht als auch die Kommission feststellen, scheinen diese Bedingungen denjenigen sehr zu ähneln, die der Gerichtshof in seinem Urteil Profi Credit Polska I(80) als übermäßig restriktiv angesehen hat. Ich bin der Ansicht, dass dies in Verbindung mit der fehlenden Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit der Klauseln im ersten Rechtszug in der Tat eine ähnliche Schlussfolgerung rechtfertigen kann, und zwar, dass die Wahrung der Rechte, die dem Verbraucher nach der Richtlinie 93/13 zustehen, nicht gewährleistet ist. Die hier vorgelegten Fragen betreffen allerdings nicht diesen besonderen Aspekt, und für das vorlegende Gericht bleibt zu prüfen, ob diese Beschreibung der anwendbaren Verfahrensvorschriften zutrifft.

185. Sollte sich der übermäßig restriktive Charakter dieser Bedingungen bestätigen, könnte meines Erachtens nicht von einer völligen Untätigkeit von FY ausgegangen werden.

186. In einem solchen Fall erfordert es die Wirksamkeit des Rechts der Verbraucher, nicht durch missbräuchliche Vertragsklauseln gebunden zu sein, meines Erachtens, ihr einen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen.

187. Ich bin jedoch nicht der Ansicht, dass dieser Rechtsbehelf zwangsläufig die Form der Wiederaufnahme des Verfahrens haben muss. Darauf werde ich im folgenden Abschnitt eingehen.

b)      Mögliche Rechtsbehelfe zur Wiederherstellung des Rechts des Verbrauchers, nicht durch eine als missbräuchlich gerügte Vertragsklausel gebunden zu sein

188. Erstens habe ich bereits darauf hingewiesen, dass sich die Verpflichtung des nationalen Gerichts, die Rechtmäßigkeit der Verbraucher betreffenden Vertragsklauseln zu prüfen, auf das Vollstreckungsverfahren erstrecken kann(81). Insoweit geht aus den verfügbaren Informationen in der Akte nicht hervor, ob ein Vollstreckungsverfahren eingeleitet oder abgeschlossen wurde oder ob FY dem Versäumnisurteil möglicherweise bereits freiwillig nachgekommen ist. Sollte die Vollstreckung jedoch noch ausstehen und ein solches Vollstreckungsverfahren eingeleitet werden, so ergibt sich meines Erachtens aus der oben angeführten Rechtsprechung, dass FY Gelegenheit haben sollte, sich in diesem Kontext auf die etwaige Unbilligkeit des zugrunde liegenden Vertrags zu berufen(82).

189. Zweitens ergibt sich daraus meines Erachtens auch, dass die besonderen verfahrensrechtlichen Umstände, unter denen das Versäumnisurteil ergangen und rechtskräftig geworden ist, zu dem Schluss führen, dass die Wirkungen seiner Rechtskraft FY nicht daran hindern können, unter Berufung auf eine etwaige Missbräuchlichkeit der in Rede stehenden Klauseln Anspruch auf Rückzahlung der betreffenden Beträge zu erheben.

190. Meines Erachtens wird diese Auslegung durch das Urteil Ibercaja Banco gestützt, in dem der Gerichtshof das Recht des Verbrauchers bejaht hat, Ersatz des Schadens zu verlangen (nach meinem Verständnis von dem betreffenden Gewerbetreibenden), wenn das nationale Gericht seiner Verpflichtung, die etwaige Missbräuchlichkeit des zugrunde liegenden Darlehensvertrags zu prüfen, nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, das Vollstreckungsverfahren für die Hypothek aber bereits abgeschlossen wurde, so dass das Eigentum an der betreffenden Immobilie auf einen Dritten übergegangen ist(83). Dies muss erst recht gelten, wenn der Verbraucher lediglich eine Zahlung an den Gewerbetreibenden vorgenommen hat (auf der Grundlage einer Vertragsklausel, die als missbräuchlich und folglich als unwirksam anzusehen ist, und wenn die Voraussetzungen für den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil mit dem Schutzniveau, das den Verbrauchern nach der Richtlinie 93/13 zu gewährleisten ist, unvereinbar waren, wie ich oben bereits ausgeführt habe).

191. Schließlich könnte der jeweilige nationale Rechtsbehelf auch die Form des in Rede stehenden außerordentlichen Rechtsbehelfs haben, sofern das nationale Recht es ermöglicht, die Rechtsfigur der Hinderung an der Mitwirkung infolge der Verletzung von Rechtsvorschriften so auszulegen, dass sie die fragliche Situation erfasst.

192. Insoweit gehe ich aufgrund der Informationen in den Akten davon aus, dass das vorlegende Gericht beurteilen konnte, ob der einschlägige, oben in den Nrn. 183 und 184 beschriebene verfahrensrechtliche Rahmen als Behinderung des Zugangs von FY zu einem speziellen Rechtsbehelf anzusehen ist, ähnlich wie es das Oberste Gericht offenbar für eine Situation entschieden hat, in der das nationale Gericht nicht begründet hatte, warum einem Kläger rechtlicher Beistand für die Einlegung einer Kassationsbeschwerde verweigert worden war(84).

193. Selbst wenn eine solche unionsrechtskonforme  Auslegung möglich wäre, müsste bei dem betreffenden Antrag allerdings die einschlägige Frist eingehalten werden(85). Die relevante Frist beginnt nach meinem Verständnis des Wortlauts von Art. 407 § 1 KPC zu laufen, sobald die betreffende Partei Kenntnis von dem „Urteil“ erlangt(86). Die Vorlageentscheidung enthält keine weiteren Angaben dazu, wie diese Regel zu verstehen ist. Auf den ersten Blick verstehe ich sie so, dass sie sich auf das letztinstanzliche Urteil in einem Verfahren bezieht, in dem der Beklagte an der Mitwirkung gehindert gewesen sein soll. Es ist natürlich Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dieses Verständnis richtig ist.

194. Sollte das vorlegende Gericht jedoch zu dem Ergebnis kommen, dass der in Rede stehende außerordentliche Rechtsbehelf wegen der Grenzen unionsrechtskonformer Auslegung oder wegen der einschlägigen Fristen nicht zur Verfügung steht, so geht das Erfordernis der Wirksamkeit des in Rede stehenden Rechts der Verbraucher meines Erachtens nicht so weit, dass der in Rede stehende außerordentliche Rechtsbehelf ungeachtet der nach nationalem Recht für ihn geltenden Voraussetzungen zur Verfügung gestellt werden muss.

195. Der Gerichtshof hat erläutert, dass die Angemessenheit und Wirksamkeit des den Verbrauchern gewährten verfahrensrechtlichen Schutzes im Licht der bereits verfügbaren Rechtsbehelfe zu beurteilen ist(87).

196. Insoweit ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass das in dieser Rechtssache erörterte Versäumnis des nationalen Gerichts die Grundlage für einen weiteren außerordentlichen Rechtsbehelf darstellt, und zwar für eine außerordentliche Beschwerde. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts führt die Tatsache, dass allein der Finanzombudsmann und der Generalstaatsanwalt diesen Rechtsbehelf einlegen können, dazu, dass nur eine begrenzte Zahl von Fällen in dieser Weise überprüft wird. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Rechtsbehelf bereits Teil des inländischen verfahrensrechtlichen Gesamtkontexts ist.

197. Überdies bin ich, was vielleicht noch wichtiger ist, der Auffassung, dass die bestehende Rechtsprechung des Gerichtshofs recht vollständig die verschiedenen Aspekte des innerstaatlichen Verfahrens erfasst, das Verbraucher (die nicht völlig untätig geblieben sind) ansonsten daran hindern könnte, sich gegen die Vollstreckung eines Titels zu wehren, dessen etwaige Missbräuchlichkeit nicht überprüft wurde, oder zurückzuerhalten, was sie auf einer solchen rechtswidrigen Grundlage gezahlt (oder verloren) haben.

198. Unter diesen Umständen sehe ich keine Notwendigkeit, eine zusätzliche Schutzebene einzuführen, die aus unionsrechtlichen Gründen die Wiederaufnahme des Verfahrens erfordern würde, insbesondere in Anbetracht des Ausnahmecharakters eines solchen Rechtsbehelfs.

199. Wie oben erläutert, beruht die Anwendbarkeit außerordentlicher Rechtsbehelfe im Allgemeinen auf einer Gesamtabwägung zwischen den einander widerstreitenden Werten durch den nationalen Gesetzgeber. Die Forderung, den (materiellen oder persönlichen) Anwendungsbereich dieser Rechtsbehelfe zu erweitern, um insbesondere einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass das nationale Gericht die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verbrauchervertrags unterlassen hat, kann diese Gesamtabwägung stören, wenn es z. B. in anderen Rechtsbereichen keinen vergleichbaren verfahrensrechtlichen Schutz gibt, obwohl es auch dort zu Situationen kommen kann, in denen Personen in einer schutzbedürftigen Lage der ihnen ansonsten gewährte Schutz rechtswidrig verweigert wird(88).

200. In Anbetracht dieser Erwägungen bin ich der Auffassung, dass die Pflicht zur Gewährleistung eines wirksamen Schutzes der Rechte der Verbraucher nach Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 nicht verlangt, dass ein außerordentlicher Rechtsbehelf zur Verfügung gestellt wird, um die Wiederaufnahme eines durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung abgeschlossenen Verfahrens zu ermöglichen, die ohne Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit der in einem Verbrauchervertrag enthaltenen Klauseln ergangen ist. Diese Pflicht macht es jedoch erforderlich, einen in der betreffenden nationalen Rechtsordnung vorzusehenden Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen, sofern eine solche rechtskräftige gerichtliche Entscheidung aufgrund von Verfahrensvorschriften ergangen und rechtskräftig geworden ist, die es nicht ermöglichen, die Wahrung der dem Verbraucher nach der Richtlinie 93/13 zustehenden Rechte zu gewährleisten.

V.      Ergebnis

201. Ich schlage dem Gerichtshof vor, die vom Sąd Okregowy Warszawa-Praga w Warszawie (Regionalgericht Warszawa-Praga, Warschau, Polen) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Der Grundsatz der Äquivalenz als eine der Ausprägungen der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit

ist dahin auszulegen, dass

er nicht verlangt, dass ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens gestattet, weil

–        durch ein Urteil des nationalen Verfassungsgerichtshofs eine nationale Rechtsvorschrift, die in diesem Verfahren zur Anwendung kam, für unvereinbar mit höherrangigem Recht und damit für ungültig erklärt wurde, oder

–        eine bestimmte Auslegung einer nationalen Rechtsvorschrift, die in diesem Verfahren zur Anwendung kam, für unvereinbar mit höherrangigem Recht erklärt wurde,

aufgrund eines Urteils des Gerichtshofs in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV, mit dem eine Bestimmung des Unionsrechts ausgelegt wird, zur Verfügung steht.

2.      Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen

sind dahin auszulegen, dass

sie nicht verlangen, dass ein außerordentlicher Rechtsbehelf zur Verfügung gestellt wird, um die Wiederaufnahme eines durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung abgeschlossenen Verfahrens zu ermöglichen, die ohne Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit der in einem Verbrauchervertrag enthaltenen Klauseln ergangen ist. Diese Bestimmungen sind jedoch dahin auszulegen, dass sie es erforderlich machen, einen in der betreffenden nationalen Rechtsordnung vorzusehenden Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen, sofern eine solche rechtskräftige gerichtliche Entscheidung aufgrund von Verfahrensvorschriften ergangen und rechtskräftig geworden ist, die es nicht ermöglichen, die Wahrung der dem Verbraucher nach der Richtlinie 93/13 zustehenden Rechte zu gewährleisten.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Richtlinie des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).


3      Die Vorlageentscheidung enthält keine näheren Angaben zu den Gründen, die das vorlegende Gericht zu der Annahme veranlassten, dass es keinen Zahlungsbefehl erlassen könne.


4      Urteil vom 13. September 2018, Profi Credit Polska (C‑176/17, EU:C:2018:711, im Folgenden: Urteil Profi Credit Polska I).


5      Der Finanzombudsmann nahm Bezug auf das Urteil Profi Credit Polska I und auf den Beschluss vom 28. November 2018, PKO Bank Polski (C‑632/17, EU:C:2018:963).


6      Unter Bezugnahme auf das Urteil vom 4. Juni 2020, Kancelaria Medius (C‑495/19, EU:C:2020:431, im Folgenden: Urteil Kancelaria Medius).


7      Urteil vom 7. November 2019, Profi Credit Polska (C‑419/18 und C‑483/18, EU:C:2019:930, im Folgenden: Urteil Profi Credit Polska II).


8      Zum Wortlaut dieser Bestimmungen siehe oben, Nrn. 7 und 8.


9      Urteil vom 1. Juni 1999, Eco Swiss (C-126/97, EU:C:1999:269, Rn. 46).


10      Vgl. z. B. Urteil vom 11. September 2019, Călin (C‑676/17, EU:C:2019:700, im Folgenden: Urteil Călin, Rn. 28 bis 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11      Vgl. z. B. Urteil vom 24. Oktober 2018, XC u. a. (C‑234/17, EU:C:2018:853, im Folgenden: Urteil XC, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12      Vgl. in diesem Sinne und zur Vertiefung Turmo, A., Res Judicata in European Union Law – A multi-faceted principle in a multilevel judicial system, EU Law Live Press, 2022, S. 46.


13      Vgl. auch Wiśniewski, T., „Extraordinary remedies in Polish civil procedure“, Studia Prawnicze – The Legal Studies, Nr. 4 (220), 2019, S. 107.


14      EGMR, 19. Mai 2020, REDQUEST LIMITED/Slowakei, ECLI:CE:ECHR:2020:0519JUD000274917, § 29 (im Folgenden: EGMR, Urteil REDQUEST).


15      EGMR, 25. Juni 2009, OOO LINK OIL SPB/Russland, ECLI:CE:ECHR:2009:0625DEC004260005 (im Folgenden: EGMR, Urteil Link Oil; der Text enthält keine Randnummerierung).


16      EGMR, Urteil REDQUEST, § 29, Urteil Link Oil und EGMR, 9. Juni 2015, PSMA, SPOL. S.R.O./Slowakei, ECLI:CE:ECHR:2015:0609JUD004253311, §§ 68 bis 70.


17      Vgl. als eines von vielen Beispielen Urteil vom 17. Mai 2022, Unicaja Banco (C‑869/19, EU:C:2022:397, im Folgenden: Urteil Unicaja Banco, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).


18      Ebd. (Rn. 23), Urteile Călin, Rn. 35 und XC, Rn. 27. Bisweilen nahm der Gerichtshof nur auf den „Gegenstand“ und die „wesentlichen Merkmale“ Bezug, z. B. im Urteil vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, EU:C:2010:39, im Folgenden: Urteil Transportes Urbanos, Rn. 35). Der Unterschied zwischen beiden Ansätzen ist in jedem Fall gering, da die Kategorie der „wesentlichen Merkmale“ weit genug ist, um jeden relevanten Aspekt des gerichtlichen Verfahrens zu umfassen.


19      Vgl. als Beispiel hierfür das Urteil Transportes Urbanos.


20      Urteil vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti (C‑213/13, EU:C:2014:2067, im Folgenden: Urteil Impresa Pizzarotti).


21      Urteil vom 29. Juli 2019, Hochtief Solutions Magyarországi Fióktelepe (C‑620/17, EU:C:2019:630, im Folgenden: Urteil Hochtief).


22      Urteil Impresa Pizzarotti (Rn. 55).


23      Urteil Hochtief (Rn. 63).


24      In Rn. 63 dieses Urteils kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass es „Sache des vorlegenden Gerichts [ist], zu prüfen, ob die ungarischen Verfahrensvorschriften die Möglichkeit vorsehen, ein rechtskräftig gewordenes Urteil rückgängig zu machen, um die durch dieses Urteil entstandene Situation mit einer früheren rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichts in Einklang zu bringen, von der das Gericht, das das betreffende Urteil erlassen hat, und die Parteien der Rechtssache, in der es ergangen ist, bereits Kenntnis hatten. Ist dies der Fall …“ Hervorhebung nur hier.


25      Urteil XC (Rn. 31 und 34).


26      Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Călin (C‑676/17, EU:C:2019:94, Nrn. 72 bis 74).


27      Siehe oben, Nr. 28.


28      Vgl. auch Granat, M., und Granat, K., The Constitution of Poland: A Contextual Analysis, Hart Publishing, 2019, S. 147 f. Aus der Vorlageentscheidung und der Erläuterung der polnischen Regierung in der mündlichen Verhandlung geht hervor, dass es zwar drei Verfahrensarten gibt, in denen der Verfassungsgerichtshof ein Urteil erlassen kann, das als Grundlage für die Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 4011 KPC dienen kann (nämlich wenn dieses Gericht (i) von einer hierzu befugten öffentlichen Stelle, (ii) von einem nationalen Gericht in einem anhängigen Verfahren oder (iii) von einem individuellen Beschwerdeführer angerufen worden ist), ohne dass die Frage, welches dieser Verfahren tatsächlich in Anspruch genommen wurde, aber Einfluss darauf hat, ob der in Rede stehende Wiederaufnahmegrund zur Anwendung kommen kann.


29      Beschluss des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vom 17. Dezember 2009, III PZP 2/09.


30      Vgl. z. B. Urteil vom 4. März 2020, Telecom Italia (C‑34/19, EU:C:2020:148, im Folgenden: Urteil Telecom Italia, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).


31      Vgl. insbesondere Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi (C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 27 bis 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. bezüglich der Begriffe Mikro- und Makrozweck Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi (C‑561/19, EU:C:2021:291, Nr. 55).


32      Vgl. zu diesem Grundsatz Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, im Folgenden: Urteil Popławski, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).


33      Wie im Urteil Popławski (Rn. 64) klargestellt wurde.


34      Vgl. als inhaltlich vergleichbares Beispiel das Urteil Kancelaria Medius (Rn. 47 bis 51), in dem der Gerichtshof das vorlegende Gericht aufforderte, zunächst die Möglichkeiten einer unionsrechtskonformen Auslegung der in Rede stehenden nationalen Bestimmung zu prüfen, bevor er auf die (subsidiäre) Verpflichtung verwies, die Bestimmung unangewendet zu lassen.


35      Ich erinnere daran, dass eine Vorabentscheidung über Auslegungsfragen nicht nur für den Zweck ihrer Anwendung in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit bindend ist (Wirkungen inter partes), sondern auch in anderen Verfahren beachtet werden muss, in denen die ausgelegte Bestimmung des Unionsrechts ebenfalls relevant wird (Rechtswirkungen erga omnes), was den oben in Nr. 83 beschriebenen Mikro- und Makrozwecken des Vorabentscheidungsverfahrens entspricht.


36      Die gleiche Diskussion betraf auch die Rechtswirkungen ex tunc. Nach gefestigter Rechtsprechung ist, wie der Gerichtshof klargestellt hat, die Bedeutung der konkreten Vorschrift des Unionsrechts in dem Sinne zu verstehen, dass sie seit ihrem Inkrafttreten unverändert geblieben ist. Urteil vom 6. Juli 2023, Minister for Justice and Equality (Ersuchen um Zustimmung – Wirkungen des ursprünglichen Europäischen Haftbefehls) (C‑142/22, EU:C:2023:544, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). In diesem Zusammenhang hat die Kommission darauf hingewiesen, dass die Rechtswirkungen der Urteile des Verfassungsgerichtshofs (mindestens) so weit zurückreichen, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens möglich ist. Die polnische Regierung hat ihrerseits ausgeführt, dass die Urteile des Verfassungsgerichtshofs ex-nunc-Wirkung hätten.


37      Vgl. in diesem Sinne Lenaerts, K., Maselis, I., und Gutman, K., EU Procedural Law, Oxford European Union Law Library, 2015, S. 238.


38      Die polnische Regierung vertritt die Auffassung, dass die Kategorie der negativen Urteile über Auslegungsfragen keinen Grund für die Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens darstellt, die ansonsten in Art. 4011 KPC vorgesehen ist. Siehe oben, Nr. 64.


39      Diese Frage ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens und wurde somit nicht erörtert. Siehe oben, Nr. 28.


40      Vgl. den Tenor des Urteils Kancelaria Medius (Rn. 53).


41      Die speziellen im Urteil Kancelaria Medius angeführten Vorschriften ergeben sich allerdings aus dem in dessen Rn. 8 wiedergegebenen Art. 339 § 2 KPC, während die Vorlageentscheidung in der vorliegenden Rechtssache nur auf Art. 399 § 1 KPC Bezug nimmt, der die Möglichkeit des Erlasses eines Versäumnisurteils im Allgemeinen zum Gegenstand hat. Siehe oben, Nr. 10.


42      Urteil Kancelaria Medius (Rn. 37 bis 40).


43      Urteil Profi Credit Polska I (Rn. 64 bis 71). Diese Modalitäten betrafen (i) eine zweiwöchige Frist für die Einlegung des Widerspruchs und (ii) die Verpflichtung, a) anzugeben, ob der Zahlungsbefehl ganz oder zum Teil angefochten wird, b) die Rügen zu erheben sowie Tatsachen und Beweise anzuführen; und c) eine dreimal so hohe Gebühr wie die gegnerische Partei zu entrichten.


44      Urteil Profi Credit Polska II (Rn. 7).


45      Urteil vom 11. März 2020, Lintner (C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 37). Zur Frage des zwingenden Charakters der Überprüfung vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Medina in der Rechtssache Tuk Tuk Travel (C‑83/22, EU:C:2023:245, Fn. 32).


46      Wie sich aus dem letzten Absatz von Art. 20 der Satzung des Gerichtshofs ergibt, kann über eine Rechtssache ohne Schlussanträge des Generalanwalts entschieden werden, wenn sie keine neue Rechtsfrage aufwirft.


47      Gemäß Art. 407 § 2 KPC. Siehe oben, Nr. 15 der vorliegenden Schlussanträge.


48      Es ist vielleicht sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass die beiden im vorliegenden Fall geltend gemachten Gründe unterschiedliche Arten von Verstößen zu betreffen scheinen: materiell-rechtliche (Art. 4011 KPC, der im Kontext der ersten Vorlagefrage angeführt wird) oder verfahrensrechtliche (Art. 401 Nr. 2 KPC, der im Kontext der zweiten Vorlagefrage angeführt wird). Beide Gründe beziehen sich jedoch auf dasselbe dem nationalen Gericht angelastete Versäumnis, eine Prüfung von Amts wegen vorzunehmen. Ich gehe davon aus, dass ein solches Versäumnis entweder als materiell-rechtlicher oder als verfahrensrechtlicher Fehler eingestuft werden kann, aber nicht sowohl als auch. Die Akten enthalten allerdings keine näheren Angaben zur Abgrenzung zwischen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Verstößen gegen das nationale Recht, die den in Rede stehenden außerordentlichen Rechtsbehelf auslösen können. In den vorliegenden Schlussanträgen wird daher die mutmaßliche Prämisse des vorlegenden Gerichts zugrunde gelegt, dass in diesem Kontext eine doppelte Einstufung möglich ist.


49      Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht ist davon auszugehen, dass der anscheinend begrenzte Anwendungsbereich dieser Bestimmung durch Art. 379 KPC (auf den in der Vorlageentscheidung teilweise Bezug genommen wird) bestätigt werden dürfte, der auf eine umfassendere Liste von sechs Kategorien von Verfahrensmängeln Bezug zu nehmen scheint, die zur Nichtigkeit des Verfahrens führen (ohne jedoch notwendigerweise und per se auch die Wiederaufnahme des Verfahrens zu ermöglichen).


50      Entscheidung des polnischen Obersten Gerichts I PZ 5/07 vom 17. April 2007 sowie, nach meinem Verständnis und unter dem Vorbehalt der Prüfung durch das vorlegende Gericht, EGMR, 27. Juni 2006, Tabor/Polen, ECLI:CE:ECHR:2006:0627JUD001282502.


51      Vgl. z. B. Urteil vom 11. November 2015, Klausner Holz Niedersachsen  (C‑505/14, EU:C:2015:742, im Folgenden: Urteil Klausner, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).


52      Ebd. (Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).


53      Urteil Popławski (Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).


54      Vgl. z. B. Urteile vom 29. Juni 2017, Popławski (C‑579/15, EU:C:2017:503, Rn. 39 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), und Urteil Klausner (Rn. 32 bis 37).


55      Vgl. in diesem Sinne Urteil Telecom Italia (Rn. 56).


56      Vgl. z. B. Urteil vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco (C‑600/19, EU:C:2022:394, im Folgenden: Urteil Ibercaja Banco, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).


57      Urteile vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones (C‑40/08, EU:C:2009:615, im Folgenden: Urteil Asturcom Telecomunicaciones, Rn. 52), oder in diesem Sinne Urteil Ibercaja Banco (Rn. 43).


58      In Verbraucherschutzangelegenheiten vgl. z. B. Urteil Asturcom Telecomunicaciones, Rn. 49. Vgl. auch Urteil vom 14. Dezember 1995, van Schijndel und van Veen (C‑430/93 und C‑431/93, EU:C:1995:441, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung), oder Urteil vom 17. März 2016, Bensada Benallal (C‑161/15, EU:C:2016:175, Rn. 30, 31 und 35).


59      Natürlich unter Wahrung der geltenden Fristen. Vgl. Art. 407 § 1 KPC (siehe oben, Nr. 13).


60      Ein Überblick findet sich bei Werbrouck, J., und Dauw, E., „The National courts’ obligation to gather and establish the necessary information for the application of consumer law – The endgame?“, European Law Review, Bd. 46, Nr. 3, 2021, S. 225 bis 244.


61      Wie z. B. im Urteil Profi Credit Polska I (Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung) bestätigt wird. Vgl. auch Urteil vom 4. Juni 2009, Pannon GSM (C‑243/08, EU:C:2009:350, Rn. 32).


62      Siehe oben, Nrn. 117 und 118.


63      Vgl. dazu Urteil vom 22. Juni 2023, K. B. und F. S. (Prüfung von Amts wegen im Strafverfahren) (C‑660/21, EU:C:2023:498, im Folgenden: K. B. und F. S. [Prüfung von Amts wegen im Strafverfahren]), wonach die anwendbaren Vorschriften des Unionsrechts einer nationalen Regelung, die es dem Strafrichter des Hauptverfahrens verbietet, von Amts wegen die Verletzung der den zuständigen Behörden auferlegten Pflicht zu prüfen, Verdächtige und beschuldigte Personen umgehend über ihr Recht auf Aussageverweigerung zu belehren, grundsätzlich nicht entgegenstehen.


64      Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache XC u. a. (C‑234/17, EU:C:2018:391, im Folgenden: Schlussanträge in der Rechtssache XC, Nr. 41). Vgl. auch Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus (C‑421/14, EU:C:2017:60, im Folgenden: Urteil Banco Primus, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung), oder Urteil XC (Rn. 51).


65      Urteil vom 18. Juli 2007, Lucchini (C‑119/05, EU:C:2007:434, Rn. 63). Später hat der Gerichtshof den Ausnahmecharakter dieser Schlussfolgerung betont; vgl. Urteil Impresa Pizzarott,( Rn. 61).


66      Vgl., im Bereich der Mehrwertsteuer, Urteil vom 3. September 2009, Fallimento Olimpiclub (C‑2/08, EU:C:2009:506, Rn. 29 bis 31), oder Urteil vom 16. Juli 2020, UR (Mehrwertsteuerpflicht von Rechtsanwälten) (C‑424/19, EU:C:2020:581, Rn. 32 und 33). Zum Bereich der staatlichen Beihilfe vgl. Urteil Klausner, Rn. 43 und 45. Vgl. auch Schlussanträge in der Rechtssache XC (Nr. 61).


67      Oben in Fn. 17 angeführt.


68      Die restitutiven Wirkungen der Feststellung, dass eine Mindestzinsklausel nichtig war, beschränkten sich auf die Beträge, die der Verbraucher nach Erlass der Entscheidung, in der die Missbräuchlichkeit der fraglichen Klausel festgestellt wurde, gezahlt hatte.


69      Urteil vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a. (C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 72 bis 75).


70      Urteil vom 18. Februar 2016, Finanmadrid EFC (C‑49/14, EU:C:2016:98, Rn. 45 bis 54).


71      Urteil Banco Primus (Rn. 52).


72      Siehe oben, Fn. 56.


73      Urteil Ibercaja Banco, Rn. 49. Vgl. auch Urteil vom 17. Mai 2022, SPV Project 1503 u. a. (C‑693/19 und C‑831/19, EU:C:2022:395, im Folgenden: Urteil SPV Project 1503, Rn. 65 und 66).


74      Urteil Ibercaja Banco, Rn. 50.


75      Vgl. z. B. Urteil vom 22. April 2021, Profi Credit Slovakia (C‑485/19, EU:C:2021:313, Rn. 63 bis 66).


76      Urteil Asturcom Telecomunicaciones (Rn. 47).


77      Urteil Asturcom Telecomunicaciones (Rn. 33 bis 48). Aus diesem Urteil geht hervor, dass eine solche Verpflichtung nur auf den Äquivalenzgrundsatz gestützt werden kann, wenn das nationale Gericht eine solche Beurteilung im Rahmen vergleichbarer Anträge nationaler Art vornehmen kann. Vgl. Rn. 53 und den Tenor dieses Urteils. Vgl. auch Urteil vom 1. Oktober 2015, ERSTE Bank Hungary (C‑32/14, EU:C:2015:637, im Folgenden: Urteil ERSTE Bank Hungary, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).


78      Urteil Unicaja Banco (Rn. 28 und 38). Vgl. auch den Tenor dieses Urteils.


79      Das vorlegende Gericht hat im vorliegenden Verfahren nur den Wortlaut von Art. 339 § 1 KPC mitgeteilt, der die allgemeine Möglichkeit des Erlasses eines Versäumnisurteils betrifft. Wie ich bereits ausgeführt habe, betrafen die nationalen Vorschriften, um die es im Urteil Kancelaria Medius ging, auch Art. 339 § 2 KPC, wonach das nationale Gericht verpflichtet ist, sich auf das Tatsachenvorbringen des Klägers zu stützen. Es ist natürlich Sache des vorlegenden Gerichts, die Relevanz einer solchen Vorschrift für den vorliegenden Fall und ihren genauen Inhalt zu prüfen.


80      Zur Beschreibung der in dieser Rechtssache geltenden Regeln siehe oben, Fn. 43. Der einzige Unterschied betrifft offenbar die Kosten. Im Gegensatz zur Situation im Urteil Profi Credit Polska I heißt es in der Vorlageentscheidung lediglich, dass die in diesem Kontext zu zahlenden „Gebühren“ um die Hälfte zu reduzieren sind.


81      Siehe oben, Nrn. 167 bis 169, 175 und 176.


82      Die Akte enthält keine Informationen über die anwendbaren Vollstreckungsvorschriften.


83      Vgl. Urteil Ibercaja Banco (Rn. 57 bis 59).


84      Wie oben in den Nrn. 136 und 137 erörtert.


85      Ähnlich wie ich es im Kontext des Äquivalenzprinzips festgestellt habe. Siehe oben, Nr. 149 und Fn. 59.


86      Siehe oben, Nr. 13.


87      Urteil ERSTE Bank Hungary (Rn. 52).


88      Vgl. dazu die im Urteil K. B. und F. S. (Prüfung von Amts wegen im Strafverfahren) beschriebene Situation, die in Fn. 63 zusammengefasst wurde.