Language of document : ECLI:EU:C:2021:401

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

20. Mai 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Staatliche Beihilfen – Agrarsektor – Schlachtung von Tieren, die an Infektionskrankheiten leiden – Entschädigung der Tierzüchter – Anmelde- und Stillhaltepflichten – Art. 108 Abs. 3 AEUV – Begriffe ‚bestehende Beihilfe‘ und ‚neue Beihilfe‘ – Verordnung (EG) Nr. 659/1999 – Freistellungen nach Beihilfearten – Verordnung (EU) Nr. 702/2014 – De-minimis-Beihilfen – Verordnung (EU) Nr. 1408/2013“

In der Rechtssache C‑128/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 14. November 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Februar 2019, in dem Verfahren

Azienda Sanitaria Provinciale di Catania

gegen

Assessorato della Salute della Regione Siciliana,

Beteiligter:

AU,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter N. Piçarra (Berichterstatter), D. Šváby und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Azienda Sanitaria Provinciale di Catania, vertreten durch A. Ravì, avvocato,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Garofoli, avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Georgieva und D. Recchia als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Dezember 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 107 und 108 AEUV.

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Azienda Sanitaria Provinciale di Catania (lokale Gesundheitsbehörde von Catania, Italien) (im Folgenden: ASPC) und dem Assessorato della Salute della Regione Siciliana (Gesundheitsreferat der Region Sizilien, Italien) über einen Mahnbescheid gegen die ASPC auf Zahlung einer Entschädigung an AU, einen Tierzüchter, der gezwungen gewesen war, an Infektionskrankheiten leidende Tiere zu schlachten.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Verordnung (EG) Nr. 659/1999

3        In Art. 1 Buchst. b Ziff. ii und Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. 1999, L 83, S. 1) heißt es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

b)      ‚bestehende Beihilfen‘

ii)      genehmigte Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die von der Kommission oder vom Rat genehmigt wurden;

c)      ‚neue Beihilfen‘ alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen“.

 Verordnung (EG) Nr. 794/2004

4        Art. 4 („Anmeldung bestimmter Änderungen bestehender Beihilfen im vereinfachten Verfahren“) der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission vom 21. April 2004 zur Durchführung der Verordnung Nr. 659/1999 (ABl. 2004, L 140, S. 1) lautet:

„(1)      Für den Zweck von Artikel 1 Buchstabe c) der Verordnung … Nr. 659/1999 ist die Änderung einer bestehenden Beihilfe jede Änderung, außer einer Änderung rein formaler oder verwaltungstechnischer Art, die keinen Einfluss auf die Würdigung der Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahme mit dem [Binnenmarkt] haben kann. Eine Erhöhung der Ausgangsmittel für eine bestehende Beihilfe bis zu 20 % wird jedoch nicht als Änderung einer bestehenden Beihilfe angesehen.

(2)      Folgende Änderungen bestehender Beihilfen werden auf dem Anmeldeformular für das vereinfachte Verfahren in Anhang II mitgeteilt:

a)      über 20%ige Erhöhungen der Mittel für eine genehmigte Beihilferegelung;

b)      die Verlängerung einer bestehenden genehmigten Beihilferegelung bis zu sechs Jahren, mit oder ohne Erhöhung der Fördermittel;

…“

 Verordnung (EU) Nr. 1408/2013

5        Art. 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 1408/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] auf De-minimis-Beihilfen im Agrarsektor (ABl. 2013, L 352, S. 9) lautet:

„(1)      Beihilfemaßnahmen, die die Voraussetzungen dieser Verordnung erfüllen, werden als Maßnahmen angesehen, die nicht alle Tatbestandsmerkmale des Artikels 107 Absatz 1 AEUV erfüllen, und sind daher von der Anmeldepflicht nach Artikel 108 Absatz 3 AEUV ausgenommen.

(2)      Der Gesamtbetrag der einem einzigen Unternehmen von einem Mitgliedstaat gewährten De-minimis-Beihilfen darf in einem Zeitraum von drei Steuerjahren 15 000 [Euro] nicht übersteigen.“

6        Art. 7 („Übergangsbestimmungen“) Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Diese Verordnung gilt für Beihilfen, die vor ihrem Inkrafttreten gewährt wurden, sofern diese Beihilfen sämtliche Voraussetzungen dieser Verordnung erfüllen. Beihilfen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, werden von der Kommission nach den einschlägigen Rahmenbestimmungen, Leitlinien, Mitteilungen und Bekanntmachungen geprüft.“

 Verordnung (EU) Nr. 702/2014

7        Art. 2 der Verordnung (EU) Nr. 702/2014 der Kommission vom 25. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Arten von Beihilfen im Agrar- und Forstsektor und in ländlichen Gebieten mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] (ABl. 2014, L 193, S. 1), die am 1. Juli 2014 in Kraft getreten ist, sieht in seinen Nrn. 12 und 29 folgende Definitionen vor:

„12.      ‚Einzelbeihilfe‘

b)      Beihilfen, die einzelnen Empfängern auf der Grundlage einer Beihilferegelung gewährt werden;

29.      ‚Tag der Gewährung der Beihilfe‘ der Tag, an dem der Beihilfeempfänger nach dem geltenden nationalen Recht einen Rechtsanspruch auf die Beihilfe erwirbt“.

8        Art. 3 („Freistellungsvoraussetzungen“) dieser Verordnung bestimmt:

„Beihilferegelungen, Einzelbeihilfen auf der Grundlage von Beihilferegelungen und Ad-hoc-Beihilfen sind im Sinne von Artikel 107 Absatz 2 oder 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar und von der Anmeldepflicht gemäß Artikel 108 Absatz 3 AEUV freigestellt, sofern diese Beihilfen alle Voraussetzungen des Kapitels I dieser Verordnung sowie die in Kapitel III dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen für die entsprechende Beihilfeart erfüllen.“

9        Was die in Kapitel I der Verordnung Nr. 702/2014 vorgesehenen Voraussetzungen betrifft, legt Art. 4 der Verordnung Schwellenwerte für das Bruttosubventionsäquivalent fest, bei deren Überschreiten die Verordnung für Einzelbeihilfen nicht gilt, während die Art. 5 und 6 dieser Verordnung ihre Anwendung von den Voraussetzungen der Transparenz bzw. des Anreizeffekts der Beihilfe abhängig machen. Die Art. 9 und 10 der Verordnung betreffen die Veröffentlichung und Information sowie die Vermeidung von doppelten Veröffentlichungen.

10      Zu den in Kapitel III der Verordnung Nr. 702/2014 vorgesehenen Voraussetzungen bestimmt Art. 26 Abs. 1 und 6:

„(1)      Beihilfen zum Ausgleich der Kosten von in der Primärproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse tätigen KMU [kleine und mittlere Unternehmen] für die Verhütung, Bekämpfung und Tilgung von Tierseuchen oder Schädlingsbefall und Beihilfen zum Ausgleich der Verluste, die diesen durch Tierseuchen oder Schädlingsbefall entstehen, sind im Sinne von Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe c AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar und von der Anmeldepflicht gemäß Artikel 108 Absatz 3 AEUV freigestellt, sofern die in den Absätzen 2 bis 13 des vorliegenden Artikels und in Kapitel I festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind.

(6)      Die Beihilferegelungen werden binnen drei Jahren, nachdem die durch die Tierseuche oder den Schädlingsbefall verursachten Kosten oder Verluste entstanden sind, eingeführt.

Die Beihilfen werden binnen vier Jahren nach dem genannten Zeitpunkt ausgezahlt.“

11      Art. 51 („Übergangsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 702/2014 sieht in Abs. 1 vor, dass diese Verordnung „für vor ihrem Inkrafttreten gewährte Einzelbeihilfen [gilt], sofern diese alle Voraussetzungen dieser Verordnung, ausgenommen Artikel 9 und 10 erfüllen“.

 Italienisches Recht

 Regionalgesetz Nr. 12/1989

12      Art. 1 der Legge Regione Sicilia n. 12 – Interventi per favorire il risanamento e il reintegro degli allevamenti zootecnici colpiti dalla tubercolosi, dalla brucellosi e altre malattie infettive e diffusive e contributi alle associazioni degli allevatori (Regionalgesetz von Sizilien Nr. 12 – Maßnahmen zur Förderung der Sanierung und der Wiederherstellung der von Tuberkulose, Brucellose und anderen sich ausbreitenden Infektionskrankheiten betroffenen Viehzucht und Beiträge für die Züchtervereinigungen) vom 5. Juni 1989 (Gazzetta ufficiale della Regione Sicilia Nr. 28 vom 7. Juni 1989) (im Folgenden: Regionalgesetz Nr. 12/1989) lautet:

„(1)      Für die Sanierung von Rinderzuchtbetrieben, die von Tuberkulose, Brucellose und Leukose betroffen sind, sowie von Schaf- und Ziegenzuchtbetrieben, die von Brucellose betroffen sind, wird gemäß den leggi 9 giugno 1964, n. 615, 23 gennaio 1968, n. 33 e 23 gennaio 1968, n. 34 [Gesetze Nr. 615 vom 9. Juni 1964 sowie Nrn. 33 und 34 vom 23. Januar 1968], mit späteren Änderungen und Ergänzungen, den Eigentümern von Rindern, die infolge von Tuberkulose, Brucellose und Leukose geschlachtet und/oder gekeult wurden, sowie von Schafen und Ziegen, die infolge von Brucellose geschlachtet und/oder gekeult wurden, zusätzlich zu den Entschädigungen, die in den geltenden nationalen Bestimmungen vorgesehen sind, eine Entschädigung in dem in der diesem Gesetz beigefügten Tabelle angegebenen Umfang gewährt.

(2)      Der Assessore regionale per la sanità [regionaler Gesundheitsreferent] hat die Höhe der im Regionalgesetz Nr. 12[/1989] vorgesehenen zusätzlichen Entschädigung im Rahmen der in diesem Gesetz vorgesehenen Haushaltsmittel jährlich durch Dekret in demselben Verhältnis anzupassen wie die jährliche Erhöhung der vom Staat in diesem Bereich gewährten Beträge.

(4)      Zu den gleichen Zwecken wie den in den vorstehenden Absätzen genannten und zur Erleichterung der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen in den Tierzuchtbetrieben wird zusätzlich zu den in den geltenden nationalen Bestimmungen vorgesehenen Zahlungen ein Betrag von 2 000 italienischen Lira (ITL) [(ca. 1,03 Euro)] an die freiberuflich tätigen Tierärzte gezahlt, die zur Durchführung der in den Ministerialerlassen vom 1. Juni 1968 und vom 3. Juni 1968 genannten Maßnahmen berechtigt sind, und zwar für jedes kontrollierte Rind. Die Gesamtentschädigung darf 3 000 ITL [(ca. 1,55 Euro)] jedenfalls nicht überschreiten.

(5)      Für die Zwecke dieses Artikels werden Ausgaben in Höhe von 7 000 Mio. ITL [(ca. 3 615 000 Euro)] für das laufende Haushaltsjahr und in Höhe von 6 000 Mio. ITL [(ca. 3 099 000 Euro)] für jedes der Haushaltsjahre 1990 und 1991 genehmigt.“

 Regionalgesetz Nr. 40/1997

13      Art. 11 der Legge Regione Sicilia n. 40 – Variazioni al bilancio della Regione ed al bilancio dell’Azienda delle foreste demaniali della Regione siciliana per l’anno finanziario 1997 – Assestamento. Modifica dell’articolo 49 della legge regionale 7 agosto 1997, n. 30 (Regionalgesetz von Sizilien Nr. 40 zur Änderung des Haushaltsplans der Region sowie des Haushaltsplans der Staatlichen Forstwirtschaftsbehörde der Region Sizilien für das Haushaltsjahr 1997 – Änderung von Art. 49 des Regionalgesetzes Nr. 30 vom 7. August 1997) vom 7. November 1997 (Gazzetta ufficiale della Regione Sicilia Nr. 62 vom 12. November 1997) (im Folgenden: Regionalgesetz Nr. 40/1997) lautet:

„In Verfolgung der in Art. 1 des Regionalgesetzes Nr. 12[/1989] mit späteren Änderungen und Ergänzungen festgelegten Ziele werden Ausgaben in Höhe von 16 Mrd. ITL [(ca. 8 263 310 Euro)] genehmigt, die von den lokalen Gesundheitsbehörden Siziliens an die Besitzer von Tieren zu zahlen sind, die in den Jahren 1993, 1994, 1995, 1996 und 1997 an Tuberkulose, Brucellose, Leukose und anderen Infektionskrankheiten erkrankt sind, sowie für Zahlungen an freiberuflich tätige Tierärzte, die in diesen Jahren für die Sanierungstätigkeiten eingesetzt wurden.“

 Regionalgesetz Nr. 22/1999

14      Art. 7 der Legge Regione Sicilia n. 22 – Interventi urgenti per il settore agricolo (Regionalgesetz von Sizilien Nr. 22 über Dringlichkeitsmaßnahmen auf dem Agrarsektor) vom 28. September 1999 (Gazzetta ufficiale della Regione Sicilia Nr. 47 vom 1. Oktober 1999) (im Folgenden: Regionalgesetz Nr. 22/1999) enthielt die Ermächtigung zu „Ausgaben für das Haushaltsjahr 1999 in Höhe von 20 Mrd. ITL [(ca. 10 329 138 Euro)] für die in Art. 11 des Regionalgesetzes Nr. 40[/1997] festgelegten Ziele.“

 Regionalgesetz Nr. 19/2005

15      Art. 25 Abs. 16 der Legge Regione Sicilia n. 19 – Misure finanziarie urgenti e variazioni al bilancio della Regione per l’esercizio finanziario 2005. Disposizioni varie (Regionalgesetz von Sizilien Nr. 19 zur Festlegung dringender finanzieller Maßnahmen und zur Änderung des Haushaltsplans der Region für das Haushaltsjahr 2005. Verschiedene Bestimmungen) vom 22. Dezember 2005 (Gazzetta ufficiale della Regione Sicilia Nr. 56 vom 23. Dezember 2005) (im Folgenden: Regionalgesetz Nr. 19/2005) bestimmt:

„In Verfolgung der in Art. 1 des Regionalgesetzes Nr. 12[/1989] festgelegten Ziele werden gemäß und in Übereinstimmung mit den Bestimmungen von Art. 134 der legge regionale [della Sicilia n. 32 (Regionalgesetz von Sizilien Nr. 32)] vom 23. Dezember 2000 Ausgaben in Höhe von 20 000 000 Euro für die Zahlung von Beträgen genehmigt, die von den lokalen Gesundheitsbehörden Siziliens den Eigentümern von Tieren geschuldet werden, die im Zeitraum von 2000 bis 2006 aufgrund von Infektionskrankheiten geschlachtet wurden, sowie für die Zahlungen an die freiberuflich tätigen Tierärzte, die in diesem Zeitraum für die Sanierungstätigkeiten eingesetzt wurden. Für Zwecke des vorliegenden Absatzes werden für das Haushaltsjahr 2005 Ausgaben in Höhe von 10 000 000 Euro für die Zahlungen genehmigt (Ausgabenansatz 10.3.1.3.2, Kapitel 417702). Für die folgenden Haushaltsjahre werden Vorkehrungen gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. i des Regionalgesetzes Nr. 10 vom 27. April 1999 mit späteren Änderungen und Ergänzungen getroffen.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

16      AU beantragte beim Tribunale di Catania (Landesgericht Catania, Italien) einen Mahnbescheid gegen die ASPC auf Zahlung eines Betrags von 11 930,08 Euro an ihn als Entschädigung nach Art. 1 des Regionalgesetzes Nr. 12/1989. Diese Entschädigung wird gemäß Art. 25 Abs. 16 des Regionalgesetzes Nr. 19/2005 zugunsten von Viehzüchtern finanziert, die gezwungen waren, an Infektionskrankheiten leidende Tierbestände zu schlachten (im Folgenden: im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entschädigung). Mit dem Beschluss Nr. 81/08 gab dieses Gericht diesem Antrag statt.

17      Die ASPC beantragte jedoch erfolgreich die Aufhebung dieses Beschlusses, die mit Urteil desselben Gerichts erfolgte.

18      Mit Urteil vom 24. Juli 2013 gab die Corte d’appello di Catania (Berufungsgericht Catania, Italien) der Berufung von AU statt und änderte dieses Urteil ab.

19      Dieses Gericht wies das Vorbringen der ASPC zurück, wonach die in Art. 25 Abs. 16 des Regionalgesetzes Nr. 19/2005 vorgesehene Maßnahme (im Folgenden: Maßnahme von 2005) eine staatliche Beihilfe darstelle, die nicht durchgeführt werden dürfe, bevor die Kommission sie für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt habe.

20      Es wies darauf hin, dass die Kommission mit Entscheidung vom 11. Dezember 2002 – Staatliche Beihilfen NN 37/98 (ex N 808/97) und NN 138/02 – Italien (Sizilien) – Beihilfen bei Tierseuchen: Art. 11 des Regionalgesetzes Nr. 40/1997 „Änderungen des Haushaltsplans der Region und des Haushaltsplans der Staatlichen Forstwirtschaftsbehörde für das Haushaltsjahr 1997 – Änderung von Art. 49 des Regionalgesetzes Nr. 30/1997“ (Beihilfe NN 37/98) und Art. 7 des Regionalgesetzes Nr. 22/1999 „Dringlichkeitsmaßnahmen für den Agrarsektor“ (Beihilfe NN 138/02) [C(2002) 4786] (im Folgenden: Entscheidung von 2002) die Bestimmungen der Regionalgesetze, die bis zum Jahr 1997 die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entschädigung finanziert hatten, d. h. Art. 11 des Regionalgesetzes Nr. 40/1997 und Art. 7 des Regionalgesetzes Nr. 22/1999 (im Folgenden: Maßnahmen von 1997 und 1999) bereits als mit dem Binnenmarkt vereinbare staatliche Beihilfe genehmigt hatte. Die Corte d’appello di Catania (Berufungsgericht Catania) vertrat die Auffassung, dass sich die Feststellung der Kommission in der Entscheidung von 2002, dass die Maßnahmen von 1997 und 1999 mit dem Binnenmarkt vereinbar seien, auf die Maßnahme von 2005 erstrecke, mit der ebenfalls diese Entschädigung finanziert worden sei.

21      Das mit einer Kassationsbeschwerde der ASPC gegen das Urteil der Corte d’appello di Catania (Berufungsgericht Catania) befasste vorlegende Gericht, nämlich die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien), fragt sich, ob die Maßnahme von 2005 eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt und, wenn ja, ob diese Maßnahme mit den Art. 107 und 108 AEUV vereinbar ist.

22      Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stellt Art. 25 Abs. 16 des Regionalgesetzes Nr. 19/2005 („In Verfolgung der Ziele des Art. 1 des Regionalgesetzes Nr. 12[/1989] werden im Sinne und im Einklang mit Art. 134 der legge regionale [della Sicilia n. 32 (Regionalgesetz Nr. 32)] vom 23. Dezember 2000 Ausgaben in Höhe von 20 000 000 Euro für die Zahlung von Beträgen genehmigt, die von den lokalen Gesundheitsbehörden in Sizilien den Eigentümern der Tiere geschuldet werden, die im Zeitraum von 2000 bis 2006 aufgrund von Infektionskrankheiten geschlachtet wurden, sowie für die Zahlungen an die freiberuflich tätigen Tierärzte, die in diesem Zeitraum für die Sanierungstätigkeiten eingesetzt wurden. Für Zwecke des vorliegenden Absatzes werden für das Haushaltsjahr 2005 Ausgaben in Höhe von 10 000 000 Euro für die Zahlungen genehmigt [Ausgabenansatz 10.3.1.3.2, Kapitel 417702]. Für die folgenden Haushaltsjahre werden Vorkehrungen gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. i des Regionalgesetzes Nr. 10 vom 27. April 1999 mit späteren Änderungen und Ergänzungen getroffen“) im Licht der Art. 107 AEUV und 108 AEUV sowie des „Gemeinschaftsrahmen[s] für staatliche Beihilfen im Agrarsektor“ (ABl. 2000, C 28, S. 2, berichtigt durch ABl. 2000, C 232, S. 17) eine staatliche Beihilfe dar, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht?

2.      Kann Art. 25 Abs. 16 des Regionalgesetzes Nr. 19/2005 grundsätzlich eine staatliche Beihilfe darstellen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht, und dennoch die Vereinbarkeit mit den Art. 107 AEUV und 108 AEUV aufgrund der Gründe festgestellt werden, die die Kommission dazu veranlasst haben, in der Entscheidung von 2002 festzustellen, dass bei Erfüllung der im „Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen im Agrarsektor“ vorgesehenen Voraussetzungen die Regelungen analogen Inhalts in Art. 11 des Regionalgesetzes Nr. 40/1997 und in Art. 7 des Regionalgesetzes Nr. 22/1999 mit den Art. 107 AEUV und 108 AEUV vereinbar seien?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

23      Wegen der mit der Corona-Pandemie verbundenen Gefahren ist die für den 30. April 2020 anberaumte mündliche Verhandlung aufgehoben worden.

24      Daher sind die den Verfahrensbeteiligten im Vorfeld der mündlichen Verhandlung übermittelten Fragen zur mündlichen Beantwortung mit Beschluss vom 6. April 2020 in an die in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten gerichtete Fragen zur schriftlichen Beantwortung umgewandelt worden. Darüber hinaus ist die Italienische Republik im Rahmen der in Art. 62 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen prozessleitenden Maßnahmen zur Beantwortung zusätzlicher Fragen aufgefordert worden.

25      Die ASPC, die italienische Regierung und die Kommission haben diese Fragen innerhalb der vom Gerichtshof gesetzten Frist beantwortet.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur zweiten Frage

26      Zur zweiten Frage, die zuerst zu prüfen ist, weist die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen darauf hin, dass die Beurteilung der Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahmen mit dem Binnenmarkt in ihre ausschließliche Zuständigkeit falle, die unter der Kontrolle des Unionsrichters ausgeübt werde, und vertritt die Auffassung, dass diese Frage, die die Vereinbarkeit der Maßnahme von 2005 mit Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV betreffe, daher für unzulässig zu erklären sei.

27      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich das vorlegende Gericht in dieser Frage auch auf die Entscheidung von 2002 bezieht, mit der die Kommission Maßnahmen genehmigt hatte, die mit der Maßnahme von 2005 vergleichbar sind. Außerdem räumt das vorlegende Gericht selbst ein, dass das nationale Gericht für die Entscheidung über die Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Entschädigung mit dem Binnenmarkt nicht zuständig ist.

28      Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, darauf zu achten, dass bis zur endgültigen Entscheidung der Kommission die Rechte der Einzelnen gegenüber einer möglichen Verletzung der Verpflichtungen aus Art. 108 Abs. 3 AEUV durch die staatlichen Stellen gewahrt werden. Wird eine solche Verletzung von einem Einzelnen geltend gemacht und von den nationalen Gerichten festgestellt, so müssen diese entsprechend ihrem nationalen Recht daraus alle Konsequenzen ziehen, ohne dass sich jedoch aus ihren Entscheidungen eine Beurteilung der Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Binnenmarkt ergäbe, für die die Kommission – unter der Kontrolle des Gerichtshofs – ausschließlich zuständig ist (Urteil vom 2. Mai 2019, A‑Fonds, C‑598/17, EU:C:2019:352, Rn. 46). In diesem Zusammenhang kann das nationale Gericht gehalten sein, den Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV um Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu ersuchen, die es zur Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits benötigt.

29      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 108 Abs. 3 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine von einem Mitgliedstaat eingeführte Maßnahme, mit der für einen Zeitraum, der sich über mehrere Jahre erstreckt, und in Höhe von 20 Mio. Euro zum einen eine Entschädigung für Tierzüchter, die gezwungen gewesen waren, an Infektionskrankheiten leidende Tiere zu schlachten, und zum anderen die Honorare der freiberuflich tätigen Tierärzte, die für die Sanierungstätigkeiten eingesetzt wurden, finanziert werden sollen, dem in dieser Bestimmung vorgesehenen Verfahren der Vorabkontrolle auch dann zu unterziehen ist, wenn die Kommission ähnliche Maßnahmen genehmigt hatte.

30      Zunächst ist zu beachten, dass Art. 108 AEUV unterschiedliche Verfahren einführt, je nachdem, ob es sich um bestehende oder neue staatliche Beihilfen handelt. Während nach Art. 108 Abs. 1 AEUV bestehende Beihilfen durchgeführt werden dürfen, solange die Kommission nicht ihre Unvereinbarkeit mit dem Binnenmarkt festgestellt hat, sieht Art. 108 Abs. 3 AEUV vor, dass Vorhaben zur Einführung neuer Beihilfen oder zur Umgestaltung bestehender Beihilfen der Kommission rechtzeitig zu melden sind und nicht durchgeführt werden dürfen, bevor das Verfahren zu einer abschließenden Entscheidung geführt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2018, Carrefour Hypermarchés u. a., C‑510/16, EU:C:2018:751, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Daher ist zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme als „bestehende Beihilfe“ eingestuft werden kann.

32      Nach Art. 1 Buchst. b Ziff. ii der Verordnung Nr. 659/1999 bezeichnet der Ausdruck „bestehende Beihilfen“ „genehmigte Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die von der Kommission oder vom Rat genehmigt wurden“, während nach Art. 1 Buchst. c dieser Verordnung „neue Beihilfen“ „alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen“ sind.

33      Im Übrigen sieht Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 794/2004 vor, dass „[f]ür den Zweck von Artikel 1 Buchstabe c) der Verordnung … Nr. 659/1999 … die Änderung einer bestehenden Beihilfe jede Änderung [ist], außer einer Änderung rein formaler oder verwaltungstechnischer Art, die keinen Einfluss auf die Würdigung der Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahme mit dem [Binnenmarkt] haben kann.“

34      Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Maßnahmen von 1997 und 1999, mit denen die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entschädigung finanziert und mit denen zu diesem Zweck 16 Mrd. ITL (ca. 8 263 310 Euro) bzw. 20 Mrd. ITL (ca. 10 329 138 Euro) für den Zeitraum von 1993 bis 1997 gewährt wurden, mit der Entscheidung von 2002 von der Kommission genehmigt wurden. Diese Maßnahmen stellen daher, wie der Generalanwalt in Nr. 48 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine genehmigte Beihilferegelung und damit eine „bestehende Beihilfe“ im Sinne von Art. 1 Buchst. b Ziff. ii der Verordnung Nr. 659/1999 dar.

35      Was die Maßnahme von 2005 angeht, so deckt sich zwar ihr Zweck mit dem der Maßnahmen von 1997 und 1999, d. h. Refinanzierung der in Art. 1 des Regionalgesetzes Nr. 12/1989 vorgesehenen Entschädigung, sie sieht aber, wie der Generalanwalt in Nr. 53 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gleichzeitig eine Erhöhung der für die von der Kommission in ihrer Entscheidung von 2002 genehmigte Beihilferegelung bereitgestellten Haushaltsmittel und eine Verlängerung des Refinanzierungszeitraums der Entschädigung von 2000 bis 2006 vor.

36      Solche Änderungen der genehmigten Beihilferegelung können jedoch nicht als rein formaler oder verwaltungstechnischer Art im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 794/2004 angesehen werden. Sie stellen vielmehr eine Änderung einer bestehenden Beihilfe im Sinne von Art. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999 dar.

37      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich nämlich, dass eine Verlängerung der Geltungsdauer einer zuvor genehmigten Beihilferegelung in Verbindung mit oder ohne Erhöhung der für diese Regelung bewilligten Haushaltsmittel eine neue Beihilfe einführt, die sich von der genehmigten Beihilferegelung unterscheidet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Mai 2010, Todaro Nunziatina & C., C‑138/09, EU:C:2010:291, Rn. 46 und 47, vom 4. Dezember 2013, Kommission/Rat, C‑111/10, EU:C:2013:785, Rn. 58, vom 4. Dezember 2013, Kommission/Rat, C‑121/10, EU:C:2013:784, Rn. 59, und vom 26. Oktober 2016, DEI und Kommission/Alouminion tis Ellados, C‑590/14 P, EU:C:2016:797, Rn. 50, 58 und 59).

38      Ebenso zählt Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 794/2004 die „Verlängerung einer bestehenden genehmigten Beihilferegelung bis zu sechs Jahren, mit oder ohne Erhöhung der Fördermittel“ zu den Änderungen bestehender Beihilfen, die der Kommission grundsätzlich auf dem Anmeldeformular für das vereinfachte Verfahren mitzuteilen sind.

39      Unter diesen Voraussetzungen ist eine Maßnahme, die sowohl die Verlängerung einer genehmigten Beihilferegelung von 2000 bis 2006 als auch eine Erhöhung der für diese Regelung bereitgestellten Haushaltsmittel um 20 Mio. Euro vorsieht, als Einführung einer „neuen Beihilfe“ im Sinne von Art. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999 anzusehen.

40      Ein Mitgliedstaat, der beabsichtigt, eine solche Beihilfe einzuführen, hat daher grundsätzlich der nach Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Pflicht nachzukommen, diese Beihilfe vorab bei der Kommission anzumelden und die Durchführung der Beihilfe zu unterlassen, bevor das Verfahren, dem sie unterliegt, zu einer abschließenden Entscheidung geführt hat.

41      Es ist jedoch zu prüfen, ob die Maßnahme von 2005, wie die italienische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend macht, nach den Art. 3 und 26 der Verordnung Nr. 702/2014 von dieser Anmeldepflicht befreit werden kann.

42      Nach Art. 3 der Verordnung Nr. 702/2014, die in Anwendung von Art. 108 Abs. 4 AEUV erlassen wurde, kann sich ungeachtet der eines der Grundelemente des Systems zur Kontrolle staatlicher Beihilfen bildenden allgemeinen Anmeldepflicht im Sinne von Art. 108 Abs. 3 AEUV für jede Maßnahme, mit der eine „neue Beihilfe“ im Sinne von Art. 108 Abs. 3 AEUV eingeführt oder umgestaltet werden soll, ein Mitgliedstaat auf die Freistellung von dieser Pflicht nach dieser Verordnung berufen, wenn die von ihm erlassene oder geplante Beihilfemaßnahme die darin vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt. Diese Voraussetzungen sind als Ausnahme von dieser allgemeinen Pflicht eng auszulegen. Umgekehrt unterliegen staatliche Beihilfen, die nicht von der Verordnung Nr. 702/2014 erfasst werden, weiterhin der in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Pflicht zur Anmeldung und zur Unterlassung der Durchführung (vgl. entsprechend Urteil vom 5. März 2019, Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 59, 60 und 86 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Was als Erstes die zeitliche Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 702/2014 auf den Ausgangsrechtsstreit betrifft, sieht deren Art. 51 („Übergangsbestimmungen“) in Abs. 1 vor, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten gewährte Einzelbeihilfen gilt, sofern diese alle Voraussetzungen dieser Verordnung, ausgenommen die Art. 9 und 10, erfüllen.

44      Nach Art. 2 Nr. 12 Buchst. b der Verordnung Nr. 702/2014 umfasst der Begriff „Einzelbeihilfe“ im Sinne dieser Verordnung u. a. Beihilfen, die einzelnen Empfängern auf der Grundlage einer Beihilferegelung gewährt werden. Außerdem wird der „Tag der Gewährung der Beihilfe“ in Art. 2 Nr. 29 dieser Verordnung definiert als der Tag, an dem der Beihilfeempfänger nach dem geltenden nationalen Recht einen Rechtsanspruch auf die Beihilfe erwirbt.

45      Auch wenn die Verordnung Nr. 702/2014 den in ihrem Art. 51 Abs. 1 verwendeten Begriff „gewährt“ nicht definiert, geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass eine Beihilfe ab dem Zeitpunkt, zu dem das geltende nationale Recht dem Begünstigten einen Rechtsanspruch auf Empfang einer Unterstützung aus staatlichen Mitteln verleiht, als gewährt anzusehen ist, so dass es nicht auf die tatsächliche Übertragung der fraglichen Mittel ankommt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. März 2013, Magdeburger Mühlenwerke, C‑129/12, EU:C:2013:200, Rn. 40, und vom 19. Dezember 2019, Arriva Italia u. a., C‑385/18, EU:C:2019:1121, Rn. 36).

46      Daraus folgt, dass eine vor dem 1. Juli 2014 auf der Grundlage einer Beihilferegelung wie der Maßnahme von 2005 gewährte „Einzelbeihilfe“ im Sinne von Art. 2 Nr. 12 der Verordnung Nr. 702/2014 in den zeitlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fällt.

47      Was als Zweites die Voraussetzungen betrifft, von deren Einhaltung die Verordnung Nr. 702/2014 eine Freistellung von der allgemeinen Anmeldepflicht abhängig macht, geht aus Art. 3 dieser Verordnung hervor, dass die Einzelbeihilfen, die im Rahmen von Beihilferegelungen gewährt werden, nur dann von dieser Pflicht freigestellt werden können, wenn sie alle Voraussetzungen des Kapitels I dieser Verordnung sowie die in Kapitel III dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen für die entsprechende Beihilfeart erfüllen.

48      Was die in Kapitel I der Verordnung Nr. 702/2014 vorgesehenen Voraussetzungen betrifft, legt Art. 4 der Verordnung Schwellenwerte für das Bruttosubventionsäquivalent fest, bei deren Überschreiten die Verordnung für Einzelbeihilfen nicht gilt, während die Art. 5 und 6 dieser Verordnung ihre Anwendung von den Voraussetzungen der Transparenz bzw. des Anreizeffekts der Beihilfe abhängig machen. Die Art. 7 und 8 der Verordnung Nr. 702/2014 betreffen die Beihilfeintensität und die beihilfefähigen Kosten sowie die Kumulierungsregeln. In Bezug auf die Art. 9 und 10 dieser Verordnung, die die Veröffentlichung und Information bzw. die Vermeidung von doppelten Veröffentlichungen betreffen, ergibt sich aus Art. 51 Abs. 1 der Verordnung, dass die in diesen Art. 9 und 10 vorgesehenen Voraussetzungen nur erfüllt sein müssen, wenn es sich um eine andere Beihilfe als eine vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung gewährte Einzelbeihilfe handelt.

49      Was die in Kapitel III der Verordnung Nr. 702/2014 festgelegten Voraussetzungen anbelangt, betrifft deren Art. 26 Beihilfen zu den Kosten für die Verhütung, Bekämpfung und Tilgung von Tierseuchen und zur Beseitigung der durch Tierseuchen entstandenen Schäden.

50      Nach Art. 26 Abs. 1 der Verordnung Nr. 702/2014 sind Beihilfen zum Ausgleich der Kosten von in der Primärproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse tätigen kleinen und mittleren Unternehmen für die Verhütung, Bekämpfung und Tilgung von u. a. Tierseuchen und Beihilfen zum Ausgleich der Verluste, die diesen u. a. durch Tierseuchen entstehen, von der Anmeldepflicht gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV freigestellt, sofern die in Art. 26 Abs. 2 bis 13 und in Kapitel I der Verordnung Nr. 702/2014 festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind. Als eine dieser Voraussetzungen sieht Art. 26 Abs. 6 Unterabs. 2 der Verordnung vor, dass eine solche Beihilfe binnen vier Jahren, nachdem die durch die Tierseuche verursachten Kosten oder Verluste entstanden sind, ausgezahlt wird.

51      Was schließlich die von der Kommission in ihrer Antwort auf die Fragen des Gerichtshofs aufgeworfene Frage betrifft, ob die von AU im Rahmen der Maßnahme von 2005 geforderte Entschädigung eine Deminimis-Beihilfe im Sinne der am 1. Januar 2014 in Kraft getretenen Verordnung Nr. 1408/2013 darstellt, ist festzustellen, dass nach Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung, dessen Wortlaut dem von Art. 51 Abs. 1 der Verordnung Nr. 702/2014 entspricht, die Verordnung Nr. 1408/2013 für Beihilfen gilt, die vor ihrem Inkrafttreten gewährt wurden, sofern diese Beihilfen sämtliche Voraussetzungen dieser Verordnung erfüllen.

52      Ferner werden nach Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung als Beihilfen, die nicht alle Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen und daher von der allgemeinen Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV ausgenommen sind, solche angesehen, die alle Voraussetzungen dieser Verordnung erfüllen, darunter die in deren Art. 3 Abs. 2 vorgesehene Voraussetzung, auf die der Generalanwalt in Nr. 85 seiner Schlussanträge hingewiesen hat, wonach der Gesamtbetrag der einem einzigen Unternehmen von einem Mitgliedstaat gewährten De-minimis-Beihilfen in einem Zeitraum von drei Steuerjahren 15 000 Euro nicht übersteigen darf.

53      Nach alledem ist Art. 108 Abs. 3 AEUV dahin auszulegen, dass eine von einem Mitgliedstaat eingeführte Maßnahme, mit der für einen Zeitraum, der sich über mehrere Jahre erstreckt, und in Höhe von 20 Mio. Euro zum einen eine Entschädigung für Tierzüchter, die gezwungen gewesen waren, an Infektionskrankheiten leidende Tiere zu schlachten, und zum anderen die Honorare der freiberuflich tätigen Tierärzte, die für die Sanierungstätigkeiten eingesetzt wurden, finanziert werden sollen, dem in dieser Bestimmung vorgesehenen Verfahren der Vorabkontrolle zu unterziehen ist, wenn diese Maßnahme nicht von einer Genehmigungsentscheidung der Kommission gedeckt ist, es sei denn, sie erfüllt die in der Verordnung Nr. 702/2014 oder die in der Verordnung Nr. 1408/2013 vorgesehenen Voraussetzungen.

 Zur ersten Frage

54      Angesichts der Antwort auf die zweite Frage braucht die erste Frage nicht geprüft zu werden.

 Kosten

55      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 108 Abs. 3 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine von einem Mitgliedstaat eingeführte Maßnahme, mit der für einen Zeitraum, der sich über mehrere Jahre erstreckt, und in Höhe von 20 Mio. Euro zum einen eine Entschädigung für Tierzüchter, die gezwungen gewesen waren, an Infektionskrankheiten leidende Tiere zu schlachten, und zum anderen die Honorare der freiberuflich tätigen Tierärzte, die für die Sanierungstätigkeiten eingesetzt wurden, finanziert werden sollen, dem in dieser Bestimmung vorgesehenen Verfahren der Vorabkontrolle zu unterziehen ist, wenn diese Maßnahme nicht von einer Genehmigungsentscheidung der Europäischen Kommission gedeckt ist, es sei denn, sie erfüllt die in der Verordnung (EU) Nr. 702/2014 der Kommission vom 25. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Arten von Beihilfen im Agrar- und Forstsektor und in ländlichen Gebieten mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] oder die in der Verordnung (EU) Nr. 1408/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] auf De-minimis-Beihilfen im Agrarsektor vorgesehenen Voraussetzungen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.