Language of document : ECLI:EU:C:2021:377

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

12. Mai 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Art. 7 Nr. 2 – Zuständigkeit für Klagen aus einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist – Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs – Schaden, der ausschließlich in einem Vermögensverlust besteht“

In der Rechtssache C‑709/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 20. September 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 25. September 2019, in dem Verfahren

Vereniging van Effectenbezitters

gegen

BP plc

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Vereniging van Effectenbezitters, vertreten durch J. van der Beek, advocaat,

–        der BP plc, vertreten durch W. H. van Hemel, A. F. J. A. Leijten, O. J. W. Schotel und J. S. Kortmann, advocaten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wils, R. Troosters und M. Heller als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Dezember 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

2        Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vereniging van Effectenbezitters (Vereinigung von Wertpapierinhabern, im Folgenden: VEB) mit Sitz in Den Haag (Niederlande) und der BP plc, einem weltweit tätigen Unternehmen mit Sitz in London (Vereinigtes Königreich), wegen deren Haftung für Schäden, die den Personen entstanden sind, die Stammaktien von BP insbesondere über ein in den Niederlanden geführtes Anlagekonto erworben, gehalten oder verkauft haben.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 15 und 16 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

„(15)      Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(16)      Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen.“

4        Kapitel II („Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 1215/2012 enthält u. a. einen Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen“) und einen Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“). Art. 4 Abs. 1 in Abschnitt 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

5        Art. 7 in Abschnitt 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 sieht vor:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

2.      wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;

…“

 Niederländisches Recht

6        Art. 305a des dritten Buches des Burgerlijk Wetboek (Bürgerliches Gesetzbuch, im Folgenden: BW), das am 1. Juli 1994 in Kraft getreten ist, bestimmt:

„(1)      Jede Einrichtung oder Vereinigung, die voll rechtsfähig ist, kann eine Klage erheben, die den Schutz gleichartiger Interessen Dritter bezweckt, sofern sie diese Interessen nach ihrer Satzung vertritt.

(3)      Eine Klage nach Absatz 1 … kann nicht einen auf Geld gerichteten Schadensersatzanspruch zum Gegenstand haben.

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

7        Die VEB ist eine voll rechtsfähige Vereinigung niederländischen Rechts, deren satzungsmäßiger Zweck die Vertretung der Interessen von Wertpapierinhabern ist. Sie kann u. a. Verbandsklagen im Sinne von Art. 305a des dritten Buches des BW (im Folgenden Art. 3:305a BW) erheben.

8        BP ist ein weltweit tätiges Erdöl- und Gasunternehmen. Ihre Stammaktien sind an den Börsen in London (Vereinigtes Königreich) und Frankfurt (Deutschland) notiert. An der Börse in New York (Vereinigte Staaten) sind die Stammaktien über American Depository Shares notiert.

9        Am 20. April 2010 ereignete sich auf der von BP geleasten Ölbohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko eine Explosion, bei der es Tote und Verletzte gab und auch zu Umweltschäden kam.

10      Im Jahr 2015 erhob die VEB gegen BP eine Verbandsklage nach Art. 3:305a BW bei der Rechtbank Amsterdam (Gericht Amsterdam, Niederlande) im Namen aller Personen, die im Zeitraum vom 16. Januar 2007 bis zum 25. Juni 2010 Stammaktien von BP über ein Anlagekonto in den Niederlanden oder ein Anlagekonto bei einer in den Niederlanden ansässigen Bank und/oder Investmentgesellschaft erworben, gehalten oder verkauft hatten (im Folgenden: BP-Aktionäre).

11      Im Rahmen dieses Verfahrens beantragte die VEB, festzustellen,

–        dass die niederländischen Gerichte international zuständig sind, über die Schadensersatzklagen der BP-Aktionäre zu entscheiden,

–        dass die Rechtbank Amsterdam (Gericht Amsterdam) für diese Klagen örtlich zuständig ist,

–        dass auf die Schadensersatzklagen niederländisches Recht Anwendung findet,

–        dass BP ihren Aktionären unrichtige, unvollständige und irreführende Mitteilungen über (i) ihr Sicherheits- und Instandhaltungsprogramm vor der Ölpest vom 20. April 2010 und/oder (ii) das Ausmaß dieser Ölpest und/oder (iii) die Rolle und die Verantwortlichkeit von BP im Zusammenhang mit dieser Ölpest hat zukommen lassen,

–        dass BP ihren Aktionären gegenüber rechtswidrig gehandelt hat,

–        dass der An- oder Verkauf der BP-Aktien durch die BP-Aktionäre zu einem günstigeren Marktpreis oder überhaupt nicht erfolgt wäre, wenn BP nicht rechtswidrig gehandelt hätte,

–        dass eine Kausalität zwischen dem rechtswidrigen Handeln von BP und den sich daraus ergebenden An- bzw. Verkaufsbedingungen einerseits und dem den BP-Aktionären zwischen dem 16. Januar 2007 und dem 25. Juni 2010 entstandenen Kursschaden andererseits besteht.

12      BP bestritt die Zuständigkeit der niederländischen Gerichte und machte geltend, dass diese sich zur Begründung der internationalen Zuständigkeit nicht auf die Verordnung Nr. 1215/2012 berufen könnten.

13      Die Rechtbank Amsterdam (Gericht Amsterdam) verneinte ihre Zuständigkeit für die Entscheidung über die Klage der VEB. Dieses Urteil wurde im Berufungsverfahren vom Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam, Niederlande) bestätigt. Seiner Auffassung nach handelt es sich im vorliegenden Fall um einen reinen Vermögensschaden, der Anlegern in den Niederlanden infolge von außerhalb der Niederlande eingetretenen Ereignissen, nämlich Handlungen und/oder Unterlassungen von BP, entstanden sein soll. Dass sich der Schaden auf einem niederländischen Anlagekonto verwirkliche, stelle für sich genommen keinen hinreichenden Anknüpfungspunkt dar, um die internationale Zuständigkeit der niederländischen Gerichte nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 zu begründen; hierfür bedürfe es weiterer spezifischer Umstände. Weder der Umstand, dass BP sich an ein weltweites Anlegerpublikum einschließlich niederländischer Anleger richte, noch der Umstand, dass die VEB die Interessen einer großen Anzahl von Anlegern vertrete, die ihren Wohnsitz zum überwiegenden Teil in den Niederlanden hätten, stelle einen solchen spezifischen Umstand dar.

14      Die VEB legte Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht, dem Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande), ein.

15      Sie machte mit diesem Rechtsmittel u. a. geltend, dass die hier vorliegenden Umstände vergleichbar seien mit denen der Rechtssachen, in denen die Urteile vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37), und vom 12. September 2018, Löber (C‑304/17, EU:C:2018:701), ergangen seien. In diesen Urteilen habe der Gerichtshof entschieden, dass die Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzes des Klägers gerechtfertigt sei, da es sich beim Wohnsitz des Klägers tatsächlich um den Ort des ursächlichen Geschehens oder den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs handele. Der Wertverlust der Aktien sei nicht Unwägbarkeiten an den Finanzmärkten zuzuschreiben, sondern den unrichtigen, unvollständigen und irreführenden Informationen, die BP zu der Ölpest gemacht habe; BP habe damit gegen ihre gesetzlichen Informationspflichten verstoßen. Als Folge davon hätten die Aktionäre Anlageentscheidungen getroffen, die sie bei richtiger und vollständiger Darstellung der Sachlage nicht getroffen hätten. Als die richtigen Informationen dann bekannt geworden seien, hätten ihre Aktien an Wert verloren und dadurch sei ihnen ein Schaden entstanden. Da die Aktien oder jedenfalls die Ansprüche der Aktionäre in Bezug auf diese Aktien auf einem Anlagekonto in den Niederlanden oder einem Anlagekonto bei einer in den Niederlanden ansässigen Bank und/oder Investmentgesellschaft verwaltet worden seien (Gutschriften und Belastungen) und sich auf einem solchen Anlagekonto befunden hätten, sei dieser Schaden, der in dem Wertverlust der Aktien infolge des rechtswidrigen Handelns von BP bestehe, unmittelbar in den Niederlanden auf diesem Anlagekonto eingetreten. Deshalb seien die niederländischen Gerichte zuständig, über die Klagen der VEB zu entscheiden. Für diese Zuständigkeit der niederländischen Gerichte sei das Vorliegen spezifischer oder zusätzlicher Umstände nicht erforderlich.

16      BP trat diesem Vorbringen entgegen und machte u. a. geltend, dass im Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37), der bloße Umstand, dass der Schaden unmittelbar auf einem Bankkonto in Österreich eingetreten sei, nicht ausgereicht habe, um von der Zuständigkeit der österreichischen Gerichte auszugehen. Die Entscheidung in jenem Urteil beruhe auf Umständen, die es zusammen genommen ermöglicht hätten, die Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Klägers zu bejahen. Ein reiner Vermögensschaden, der sich unmittelbar auf einem Bankkonto des Klägers verwirkliche, könne für sich allein nicht als relevanter Anknüpfungspunkt im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 qualifiziert werden, und zwar auch dann nicht, wenn keine Gefahr bestehe, dass der Geschädigte den Erfolgsort nachträglich manipuliere, indem er sich entscheide, ein Bankkonto im Mitgliedstaat seiner Wahl zu eröffnen. Lägen keine zusätzlichen Umstände vor, seien die Gerichte des Ortes, an dem das Bankkonto geführt werde, also nicht zuständig. Dies gelte unabhängig davon, ob das Verfahren auf eine individuelle Klage oder eine Verbandsklage zurückgehe.

17      Das vorlegende Gericht hält den Sachverhalt des bei ihm anhängigen Rechtsstreits für vergleichbar mit den Sachverhalten, die den Urteilen vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37), und vom 12. September 2018, Löber (C‑304/17, EU:C:2018:701), zugrunde liegen, da in allen drei Rechtssachen Anlegern ein unmittelbar auf einem Bank- oder Anlagekonto eingetretener reiner Vermögensschaden entstanden sei und es sich bei diesem Schaden um die Folge eines Wertverlusts der Wertpapiere handele, die als Guthaben auf diesem Bank- oder Anlagekonto gehalten würden.

18      Dagegen unterschieden sich diese Sachverhalte insoweit, als der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vermögensschaden durch unrichtige, unvollständige und irreführendende Informationen verursacht worden sei, die BP über Pressemitteilungen, auf ihrer Website veröffentlichte Berichte, Jahresabschlüsse und Geschäftsberichte sowie in der Öffentlichkeit erfolgte Äußerungen von Vorstandsmitgliedern verbreitet habe, und nicht – wie in den anderen beiden Rechtssachen – durch die Verbreitung solcher Informationen in einem bestimmten Mitgliedstaat. Daher habe sich BP hier mit der Verbreitung dieser Informationen auch nicht gesondert oder im Besonderen an niederländische Anleger gerichtet. Im Ausgangsverfahren gehe es gemäß dem vom Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam) festgestellten Sachverhalt nicht um den Verkauf und Kauf von Finanzprodukten auf dem niederländischen Sekundärmarkt, sondern um den Kauf von an der Londoner oder der Frankfurter Börse notierten Stammaktien von BP über ein Anlagekonto in den Niederlanden oder ein Anlagekonto bei einer in den Niederlanden ansässigen Bank und/oder Investmentgesellschaft.

19      Die Urteile vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37), und vom 12. September 2018, Löber (C‑304/17, EU:C:2018:701), unterschieden sich auch insofern erheblich von der vorliegenden Rechtssache, als diese eine Verbandsklage betreffe, was zu zusätzlichen Problemen bei der Bestimmung des Ortes, an dem der Schaden eingetreten sei, führen könne. Da eine solche Klage auf den Schutz gleichartiger Interessen abziele, blieben die individuellen Umstände der Geschädigten unberücksichtigt. Bei einer Verbandsklage werde nicht auf die Besonderheiten der einzelnen Transaktionen eingegangen, so dass sich die Frage stelle, ob und gegebenenfalls wie in einem solchen Fall gegebenenfalls zusätzliche spezifische Umstände festzustellen seien.

20      Sollten die angerufenen niederländischen Gerichte im Rahmen einer Verbandsklage nach Art. 3:305a BW für die Entscheidung über die Klage von VEB zuständig sein und feststellen, dass BP gegenüber ihren Aktionären rechtswidrig gehandelt habe, könnten die Aktionäre auf dieser Grundlage in einem neuen Verfahren individuell Schadensersatzklage erheben. Für diesen Fall sei zu klären, ob solche Klagen bei dem für die Verbandsklage zuständigen Gericht anhängig gemacht werden können. Diese Frage könne sich stellen, wenn der Wohnsitz des BP-Aktionärs oder der Standort seines Bankkontos und/oder seines Anlagekontos in den Niederlanden außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des angerufenen Gerichts liege. Außerdem stelle sich die Frage, anhand welchen Kriteriums bzw. welcher Kriterien die innerstaatliche örtliche Zuständigkeit zu bestimmen sei.

21      Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      a)      Ist Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass die unmittelbare Verwirklichung eines reinen Vermögensschadens auf einem Anlagekonto in den Niederlanden oder einem Anlagekonto bei einer in den Niederlanden ansässigen Bank und/oder Investmentgesellschaft, der die Folge von Anlageentscheidungen ist, die unter dem Einfluss von allgemein weltweit veröffentlichten, aber unrichtigen, unvollständigen und irreführenden Informationen eines internationalen börsennotierten Unternehmens getroffen wurden, einen hinreichenden Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit der niederländischen Gerichte an den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (Erfolgsort) bietet?

b)      Falls nein: Bedarf es zusätzlicher Umstände, die es rechtfertigen, dass die niederländischen Gerichte zuständig sind, und um welche Umstände handelt es sich dabei? Reichen folgende zusätzliche Umstände aus, um die Zuständigkeit der niederländischen Gerichte zu begründen: BP richtet sich an ein weltweites Anlegerpublikum einschließlich niederländischer Anleger; die VEB vertritt die Interessen einer großen Anzahl von Anlegern, die ihren Wohnsitz zum überwiegenden Teil in den Niederlanden haben; der Vergleich, den BP mit anderen Aktionären in den Vereinigten Staaten geschlossen hat, ist den Anlegern, deren Interessen die VEB vertritt, nicht angeboten worden, und in Europa werden keine anderen ähnlichen Verfahren geführt; unter den Aktionären, in deren Auftrag die VEB handelt, befinden sich Verbraucher, die nach der Verordnung Nr. 1215/2012 einen besonderen Rechtsschutz genießen?

2.      Ist die Frage 1 anders zu beantworten, wenn es um eine nach Art. 3:305a BW erhobene Klage einer Vereinigung geht, die zum Ziel hat, kraft eigenen Rechts die kollektiven Interessen von Anlegern zu vertreten, die einen Schaden im Sinne der Frage 1 erlitten haben, was u. a. dazu führt, dass weder die jeweiligen Wohnsitze dieser Anleger noch die besonderen Umstände der individuellen Ankäufe bzw. der individuellen Entscheidungen, bereits gehaltene Aktien nicht zu verkaufen, festgestellt werden?

3.      Wenn die niederländischen Gerichte nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 zuständig sind, über die gemäß Art. 3:305a BW erhobene Klage zu befinden, ist dann das betreffende Gericht nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 sowohl international als auch innerstaatlich örtlich zuständig, über alle anschließenden individuellen Schadensersatzklagen von Anlegern zu befinden, die einen Schaden im Sinne der Frage 1 erlitten haben?

4.      Wenn das betreffende niederländische Gericht im Sinne der Frage 3 zwar international, aber nicht innerstaatlich örtlich zuständig ist, über alle individuellen Schadensersatzklagen von Anlegern zu befinden, die einen Schaden im Sinne der Frage 1 erlitten haben, ist dann die innerstaatliche örtliche Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des geschädigten Anlegers, dem Sitz der Bank, bei der das persönliche Bankkonto dieses Anlegers geführt wird, oder dem Sitz der Bank, bei der das Anlagekonto geführt wird, zu bestimmen oder ist auf einen anderen Anknüpfungspunkt abzustellen?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten und zur zweiten Frage

22      Mit der ersten und der zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass der unmittelbare Eintritt eines reinen Vermögensschadens auf einem Anlagekonto infolge von Anlageentscheidungen, die aufgrund von weltweit problemlos zugänglichen, aber unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Informationen eines internationalen börsennotierten Unternehmens getroffen wurden, es unter bestimmten Umständen erlaubt, in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs die internationale Zuständigkeit eines Gerichts des Mitgliedstaats zu bejahen, in dem die Bank oder die Investmentgesellschaft, bei der das Konto geführt wird, ihren Sitz hat, wenn für das betreffende Unternehmen in diesem Mitgliedstaat keine gesetzlichen Offenlegungspflichten gelten.

23      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1215/2012, da sie gemäß ihrem 34. Erwägungsgrund die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) aufhebt und ersetzt, die ihrerseits das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen ersetzt hat, die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung der Bestimmungen der letztgenannten Rechtsinstrumente nach ständiger Rechtsprechung auch für die Verordnung Nr. 1215/2012 gilt, soweit die betreffenden Bestimmungen als „gleichwertig“ angesehen werden können. Dies ist bei Art. 5 Nr. 3 dieses Übereinkommens in geänderter Fassung und der Verordnung Nr. 44/2001 einerseits und Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 andererseits der Fall (Urteil vom 9. Juli 2020, Verein für Konsumenteninformation, C‑343/19, EU:C:2020:534, Rn. 22).

24      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die besondere Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 autonom und eng auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2018, Löber, C‑304/17, EU:C:2018:701, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Die nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehene Zuständigkeit, d. h. die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, stellt die allgemeine Regel dar. Diese Verordnung sieht besondere oder ausschließliche Zuständigkeitsregeln nur als Ausnahme von dieser Regel für abschließend aufgeführte Fälle vor, in denen eine Person vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats – je nach Lage des Falles – verklagt werden kann oder muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2018, Löber, C‑304/17, EU:C:2018:701, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Wie der Gerichtshof jedoch wiederholt entschieden hat, ist mit dem Ausdruck „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens gemeint, so dass der Beklagte nach Wahl des Klägers vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann (Urteil vom 9. Juli 2020, Verein für Konsumenteninformation, C‑343/19, EU:C:2020:534, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ in Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 darf jedoch nicht so weit ausgelegt werden, dass sie jeden Ort erfasst, an dem die nachteiligen Folgen eines Umstands spürbar sind, der bereits einen tatsächlich an einem anderen Ort entstandenen Schaden verursacht hat (Urteil vom 12. September 2018, Löber, C‑304/17, EU:C:2018:701, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Im Gefolge dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof außerdem klargestellt, dass sich diese Wendung nicht schon deshalb auf den Ort des Klägerwohnsitzes – als Ort des Mittelpunkts seines Vermögens – bezieht, weil dem Kläger durch den Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Mitgliedstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist (Urteil vom 10. Juni 2004, Kronhofer, C‑168/02, EU:C:2004:364, Rn. 21, und vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 35).

29      Obwohl allein die Tatsache, dass den Kläger finanzielle Konsequenzen treffen, nicht die Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte seines Wohnsitzes rechtfertigt, ist eine solche Zuständigkeitszuweisung dann gerechtfertigt, wenn dieser Wohnsitz tatsächlich den Ort des ursächlichen Geschehens oder den der Verwirklichung des Schadenserfolgs darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2018, Löber, C‑304/17, EU:C:2018:701, Rn. 24 und 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Im vorliegenden Fall betrifft der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens die Bestimmung des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs.

31      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist dies der Ort, an dem sich der behauptete Schaden konkret zeigt (Urteil vom 12. September 2018, Löber, C‑304/17, EU:C:2018:701, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Insoweit hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass nicht ausgeschlossen ist, dass die Gerichte am Wohnsitz des Klägers in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs für eine Klage, mit der der Emittent eines Zertifikats aus Prospekthaftung und wegen Verletzung sonstiger ihm obliegender Informationspflichten in Anspruch genommen wird, insbesondere dann zuständig sind, wenn sich der behauptete Schaden unmittelbar auf einem Bankkonto des Klägers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht (Urteil vom 12. September 2018, Löber, C‑304/17, EU:C:2018:701, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Der Ort der Verwirklichung des so festgestellten Schadens wird dem Ziel der Verordnung Nr. 1215/2012 gerecht, den Rechtsschutz der in der Union ansässigen Personen in der Weise zu verbessern, dass der Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und zugleich der Beklagte vorhersehen kann, vor welchem Gericht er verklagt werden kann, da sich der Emittent eines Zertifikats, der seinen gesetzlichen Pflichten in Bezug auf den Prospekt nicht nachkommt, wenn er beschließt, den Prospekt zu diesem Zertifikat in anderen Mitgliedstaaten notifizieren zu lassen, darauf einstellen muss, dass nicht hinreichend informierte Wirtschaftsteilnehmer, die in diesen Mitgliedstaaten ansässig sind, in dieses Zertifikat investieren und den Schaden erleiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 56, und vom 12. September 2018, Löber, C‑304/17, EU:C:2018:701, Rn. 35).

34      Dieses Ziel der Vorhersehbarkeit ist nicht im selben Maße gewährleistet, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem das Anlagekonto geführt wird, über das in einem anderen Staat börsennotierte Aktien erworben werden, für den Emittenten dieser Aktien keine gesetzlichen Offenlegungspflichten gelten. Wie der Generalanwalt in Nr. 29 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist es für die emittierende Gesellschaft nicht möglich, anhand der Kriterien des Wohnsitzes und des Ortes, an dem die Konten der Aktionäre geführt werden, vorherzusehen, vor welchen international zuständigen Gerichten sie verklagt werden könnte; dies widerspräche dem im 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 angeführten Ziel, im Hinblick auf die Schaffung von Rechtssicherheit zu verhindern, dass der Beklagte vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem er vernünftigerweise nicht rechnen konnte.

35      Folglich kann im Fall eines börsennotierten Unternehmens wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadens nur die Zuständigkeit der Gerichte derjenigen Mitgliedstaaten begründet werden, in denen dieses Unternehmen die gesetzlichen Offenlegungspflichten für seine Börsennotierung erfüllt hat. Denn nur in diesen Mitgliedstaaten kann ein solches Unternehmen vernünftigerweise damit rechnen, dass es einen Anlagemarkt gibt und möglicherweise seine Haftung ausgelöst wird.

36      Was schließlich die Frage angeht, inwieweit der Wohnort der Anleger unberücksichtigt bleiben kann, wenn es sich bei der Klage – wie im Ausgangsverfahren – um eine Verbandsklage handelt, geht aus den vorstehenden Erwägungen hervor, dass dieser Wohnort nicht allein für die Bestimmung des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 ausschlaggebend ist.

37      Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass der unmittelbare Eintritt eines reinen Vermögensschadens auf einem Anlagekonto infolge von Anlageentscheidungen, die aufgrund von weltweit problemlos zugänglichen, aber unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Informationen eines internationalen börsennotierten Unternehmens getroffen wurden, es dann nicht erlaubt, in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs die internationale Zuständigkeit eines Gerichts des Mitgliedstaats zu bejahen, in dem die Bank oder die Investmentgesellschaft, bei der das Konto geführt wird, ihren Sitz hat, wenn für das betreffende Unternehmen in diesem Mitgliedstaat keine gesetzlichen Offenlegungspflichten gelten.

 Zur dritten und zur vierten Frage

38      Mit der dritten und der vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es für den Fall, dass es nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 für die Entscheidung über die im Ausgangsverfahren erhobene Verbandsklage zuständig ist, auch für die Entscheidung über später von den Anlegern erhobene individuelle Schadensersatzklagen zuständig ist.

39      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass es im Ausgangsverfahren nicht um solche individuellen Schadensersatzklagen geht. Folglich sind diese Fragen zu diesem Zeitpunkt hypothetisch, und es ist nicht ersichtlich, dass ihre Beantwortung für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich wäre. Unter diesen Umständen sind diese Fragen unzulässig, da die dem Gerichtshof übertragene Aufgabe darin besteht, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber, Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben (vgl. entsprechend Urteil vom 26. November 2020, Sögård Fastigheter, C‑787/18, EU:C:2020:964, Rn. 76, 80 und 81).

 Kosten

40      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass der unmittelbare Eintritt eines reinen Vermögensschadens auf einem Anlagekonto infolge von Anlageentscheidungen, die aufgrund von weltweit problemlos zugänglichen, aber unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Informationen eines internationalen börsennotierten Unternehmens getroffen wurden, es dann nicht erlaubt, in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs die internationale Zuständigkeit eines Gerichts des Mitgliedstaats zu bejahen, in dem die Bank oder die Investmentgesellschaft, bei der das Konto geführt wird, ihren Sitz hat, wenn für das betreffende Unternehmen in diesem Mitgliedstaat keine gesetzlichen Offenlegungspflichten gelten.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Niederländisch.