SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MICHAL BOBEK
vom 10. April 2018(1)
Rechtssache C‑89/17
Secretary of State for the Home Department
gegen
Rozanne Banger
(Vorabentscheidungsersuchen des Upper Tribunal [Immigration and Asylum Chamber] London [Obergericht (Kammer für Einwanderung und Asyl) London, Vereinigtes Königreich])
„Vorabentscheidungsersuchen – Unionsbürgerschaft – Art. 21 AEUV – Rückkehr eines Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nach Ausübung seiner Freizügigkeitsrechte in einem anderen Mitgliedstaat – Aufenthaltsrecht eines Drittstaatsangehörigen, der ein Familienangehöriger im weiteren Sinne eines Unionsbürgers ist – Entsprechende Anwendung der Richtlinie 2004/38/EG – Art. 3 Abs. 2 Buchst. b – Verpflichtung zur Erleichterung der Einreise und des Aufenthalts des Lebenspartners, mit dem der Unionsbürger eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist, nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften – Anfechtungsrecht – Umfang der gerichtlichen Überprüfung – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union“
I. Einleitung
1. Frau Rozanne Banger ist aus Südafrika. Ihr Lebenspartner Herr Philip Rado ist britischer Staatsangehöriger. Beide lebten gemeinsam in den Niederlanden, wo Frau Banger als unverheirateter Lebensgefährtin eines Unionsbürgers eine Aufenthaltskarte ausgestellt wurde.
2. In den Niederlanden wurde Frau Banger eine Aufenthaltskarte gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG ausgestellt(2). Diese Bestimmung verpflichtet den Aufnahmemitgliedstaat, nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften auch anderen als den in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie aufgeführten Familienangehörigen die Einreise und den Aufenthalt zu erleichtern. Dazu zählt auch der Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist.
3. Später beschlossen die Lebensgefährten, gemeinsam in das Vereinigte Königreich umzuziehen. Frau Bangers Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte wurde von der zuständigen Behörde abgelehnt mit der Begründung, sie sei nicht mit ihrem Lebenspartner verheiratet.
4. Auch im Vereinigten Königreich gibt es eine Regelung zur Umsetzung von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38. Dieser Mitgliedstaat ist jedoch Herrn Rados Heimatmitgliedstaat. Deshalb konnte sich Frau Banger nicht auf diese Regelung stützen, denn sie findet lediglich auf „Angehörige der Familie im weiteren Sinne“ von Unionsbürgern aus anderen Mitgliedstaaten Anwendung, nicht auf „Angehörige der Familie im weiteren Sinne“ von britischen Staatsangehörigen, die in diesen Mitgliedstaat zurückkehren, nachdem sie ihre Aufenthaltsrechte in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt haben.
5. In diesem Zusammenhang legt das Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) London (Obergericht [Kammer für Einwanderung und Asyl] London, Vereinigtes Königreich) dem Gerichtshof Fragen über im Wesentlichen zwei Punkte vor.
6. Erstens: Sind Mitgliedstaaten verpflichtet, einem unverheirateten Lebensgefährten eines Unionsbürgers, der den Unionsbürger bei seiner Rückkehr in seinen Heimatmitgliedstaat begleitet, eine Aufenthaltserlaubnis zu gewähren oder den Aufenthalt zu erleichtern? Falls ja, fragt das vorlegende Gericht, ob sich eine solche Verpflichtung aus der Richtlinie 2004/38 oder aus den durch den Gerichtshof aufgestellten Grundsätzen in der Rechtssache Singh ergibt(3).
7. Zweitens wünscht das vorlegende Gericht die Feststellung des Umfangs des nach Unionsrecht erforderlichen Rechtsschutzes in den unter Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie fallenden Situationen im besonderen Zusammenhang des in England und Wales geltenden Rechts, das je nach Art des betreffenden Anspruchs unterschiedlichen Rechtsschutz vorsieht: ein „appeal“-Verfahren und ein Verfahren des „judicial review“. Angesichts der vorliegenden Sachlage, wo es eine „Angehörige der Familie im weiteren Sinne“ ist, die eine Entscheidung anficht, ist das Verfahren des „judicial review“ der einzige zur Verfügung stehende Rechtsweg.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
8. Der sechste Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 lautet:
„Um die Einheit der Familie im weiteren Sinne zu wahren und unbeschadet des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sollte die Lage derjenigen Personen, die nicht als Familienangehörige im Sinne dieser Richtlinie gelten und die daher kein automatisches Einreise- und Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat genießen, von dem Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage seiner eigenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften daraufhin geprüft werden, ob diesen Personen die Einreise und der Aufenthalt gestattet werden könnte, wobei ihrer Beziehung zu dem Unionsbürger sowie anderen Aspekten, wie ihre finanzielle oder physische Abhängigkeit von dem Unionsbürger, Rechnung zu tragen ist.“
9. Gemäß Art. 2 der Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:
„1. ‚Unionsbürger‘ jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;
2. ‚Familienangehöriger‘
a) den Ehegatten;
b) den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;
…
3. ‚Aufnahmemitgliedstaat‘ den Mitgliedstaat, in den sich der Unionsbürger begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt auszuüben“.
10. Art. 3 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.
(2) Unbeschadet eines etwaigen persönlichen Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt der Betroffenen erleichtert der Aufnahmemitgliedstaat nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt der folgenden Personen:
…
b) des Lebenspartners, mit dem der Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist.
Der Aufnahmemitgliedstaat führt eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände durch und begründet eine etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts dieser Personen.“
11. Nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie finden „[d]ie Verfahren der Artikel 30 und 31 … sinngemäß auf jede Entscheidung Anwendung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt und nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen wird“.
12. In Art. 31 der Richtlinie heißt es:
„(1) Gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit müssen die Betroffenen einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können.
…
(3) Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 nicht unverhältnismäßig ist.
…“
B. Recht des Vereinigten Königreichs
13. Die Richtlinie 2004/38 wurde durch die Immigration (European Economic Area) Regulations 2006 (SI 2006/1003) (Verordnung 1003 von 2006 über die Zuwanderung [Europäischer Wirtschaftsraum], im Folgenden: EWR-Verordnung) umgesetzt.
14. Regulation 8 enthält Bestimmungen über „Angehörige der Familie im weiteren Sinne“:
„(1) Für die Zwecke der vorliegenden Verordnung ist unter ‚Familienangehöriger im weiteren Sinne‘ eine Person zu verstehen, die kein Familienangehöriger eines EWR-Angehörigen im Sinne von Regulation 7(1)(a), (b) oder (c) ist und die die Voraussetzungen der Absätze (2), (3), (4) oder (5) erfüllt.
…
(5) Eine Person erfüllt die Voraussetzung in diesem Absatz, wenn die Person der (nicht eingetragene) Partner eines EWR-Angehörigen ist und dem Entscheider beweisen kann, dass sie mit dem EWR-Angehörigen eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist.
(6) In dieser Verordnung ist unter ‚betreffender EWR-Angehöriger‘ in Bezug auf einen Familienangehörigen im weiteren Sinne der EWR-Angehörige zu verstehen, der oder dessen Ehegatte oder eingetragener Lebenspartner der Verwandte des Familienangehörigen im weiteren Sinne gemäß Absatz (2), (3) oder (4) ist, oder der EWR-Angehörige, der der Partner des Familienangehörigen im weiteren Sinne gemäß Absatz (5) ist.“
15. Regulation 9, die offenbar zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt anwendbar war, enthielt die folgenden Bestimmungen bezüglich der Familienangehörigen britischer Staatsangehöriger:
„(1) Sind die Voraussetzungen in Absatz (2) erfüllt, so ist diese Verordnung auf eine Person, die Familienangehöriger eines britischen Staatsbürgers ist, so anzuwenden, als ob der britische Staatsbürger EWR-Angehöriger wäre.
(2) Die Voraussetzungen sind:
(a) dass sich der britische Staatsbürger als Arbeitnehmer oder Selbstständiger in einem EWR-Staat aufhält oder sich vor der Rückkehr ins Vereinigte Königreich solchermaßen dort aufhielt; und
(b) dass die Parteien, falls der Familienangehörige des britischen Staatsbürgers dessen Ehegatte oder eingetragener Lebenspartner ist, zusammen im EWR-Staat leben oder vor der Rückkehr des britischen Staatsbürgers in das Vereinigte Königreich die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen waren und zusammen im betreffenden Staat lebten.
…“
III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen
16. Frau Banger ist südafrikanische Staatsbürgerin. Ihr Lebenspartner Herr Rado ist britischer Staatsangehöriger. Von 2008 bis 2010 lebten beide zusammen in Südafrika. Im Mai 2010 zogen sie in die Niederlande, wo Herr Rado eine Arbeitsstelle fand. Aufgrund der innerstaatlichen Bestimmungen zur Umsetzung von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 stellte die niederländische Behörde Frau Banger als einer Familienangehörigen im weiteren Sinne eines Unionsbürgers eine Aufenthaltskarte aus.
17. Im Jahr 2013 beschloss das Paar, in das Vereinigte Königreich umzuziehen. Der von Frau Banger im Vereinigten Königreich gestellte Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte wurde durch das Innenministerium (Secretary of State for the Home Department) (im Folgenden: Secretary of State) abgelehnt, weil Frau Banger nicht mit Herrn Rado verheiratet war. Diese Entscheidung beruhte auf Regulation 9 der EWR-Verordnung, die die Rechte der Familienangehörigen von britischen Staatsangehörigen, die nach Ausübung ihrer Freizügigkeitsrechte in diesen Mitgliedstaat zurückkehren, regelt. In der auf diese Bestimmung gestützten Entscheidung des Secretary of State heißt es, als Familienangehörige eines britischen Staatsangehörigen seien nur Antragsteller anzusehen, die entweder der Ehegatte oder der eingetragene Lebenspartner eines britischen Staatsangehörigen seien(4).
18. Gegen diese Entscheidung legte Frau Banger Rechtsbehelf beim First-tier Tribunal (erstinstanzliches Gericht) ein. Dieses Tribunal entschied, dass sich Frau Banger, obwohl selbst keine Unionsbürgerin, als Lebenspartnerin eines britischen Staatsangehörigen, der nach Ausübung seiner Freizügigkeitsrechte in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrt, auf die Grundsätze der Singh-Entscheidung stützen könne(5).
19. Dem Secretary of State wurde gestattet, wegen behaupteter Rechtsirrtümer des First-tier Tribunal (erstinstanzliches Gericht) Rechtsmittel zum Upper Tribunal (Obergericht) (dem vorlegenden Gericht) einzulegen. Das vorlegende Gericht betont die Relevanz der Feststellungen in der Singh-Entscheidung(6) für die Zwecke des Ausgangsverfahrens. Der einzige Unterschied, den es im vorliegenden Fall sieht, sei, dass Frau Banger und Herr Rado – anders als Herr und Frau Singh – nicht miteinander verheiratet gewesen seien. Die Anwendung der sich aus der genannten Entscheidung ergebenden Grundsätze erfordere zwar nur einen „relativ kleinen Schritt“, doch ergäben sich Zweifel hinsichtlich der Rechtsgrundlage für eine solche Erweiterung. Dabei stellt das vorlegende Gericht auch darauf ab, dass Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 eine spezifische Regelung enthalte, der zufolge darunter fallende Personen keinen Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht hätten. Darüber hinaus schaffe die Regelung einen klar abgegrenzten Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten, so dass die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten unterschiedlich sein könnten.
20. Unter diesen Umständen hat das Upper Tribunal (Obergericht) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Bedeuten die Grundsätze des Urteils vom 7. Juli 1992, Singh (C‑370/90, EU:C:1992:296), dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, dem unverheirateten, nicht der Union angehörenden Lebensgefährten eines Unionsbürgers eine Aufenthaltserlaubnis zu gewähren, hilfsweise, deren Gewährung zu erleichtern, wenn der Unionsbürger zusammen mit dem erwähnten Lebensgefährten in diesen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zurückkehrt, nachdem er sein im Vertrag verbürgtes Recht auf Freizügigkeit dazu benutzt hat, in einem anderen Mitgliedstaat zu arbeiten?
2. Hilfsweise: Begründet die Richtlinie 2004/38 die Verpflichtung, eine solche Aufenthaltserlaubnis zu gewähren, hilfsweise, deren Gewährung zu erleichtern?
3. Ist eine Entscheidung, mit der eine Aufenthaltserlaubnis verweigert wird, wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 rechtswidrig, wenn sie weder auf einer eingehenden Untersuchung der persönlichen Umstände des Antragstellers beruht noch eine angemessene oder hinreichende Begründung enthält?
4. Ist eine innerstaatliche Rechtsvorschrift mit der Richtlinie 2004/38 vereinbar, die es einem mutmaßlichen Familienangehörigen im weiteren Sinne verwehrt, den Verwaltungsakt, mit dem die Ausstellung einer Aufenthaltskarte abgelehnt wurde, vor Gericht anzufechten?
21. Frau Banger, die Regierungen Spaniens, Österreichs, Polens und des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Frau Banger, die Regierungen Spaniens und des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission haben in der Sitzung vom 17. Januar 2018 mündlich verhandelt.
IV. Würdigung
22. Die vorliegenden Schlussanträge sind wie folgt aufgebaut. Ich werde zunächst die drei ersten Vorlagefragen gemeinsam behandeln, da sie alle, auf die eine oder andere Weise, die Rechtsgrundlage und den Inhalt der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Einreise und den Aufenthalt unverheirateter Lebensgefährten „zurückkehrender“ Unionsbürger betreffen (A). Anschließend werde ich die vierte Frage prüfen, die den Umfang des Verfahrens des „judicial review“ betrifft, der im Hinblick auf unter Art. 3 Abs. 2 fallende „Familienangehörige im weiteren Sinne“(7) erforderlich ist (B).
A. Zu den Fragen 1 bis 3: „Familienangehörige im weiteren Sinne“ von „zurückkehrenden Unionsbürgern“
23. Mit der ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Mitgliedstaat nach den in der Singh-Entscheidung(8) aufgestellten Grundsätzen gehalten ist, den unverheirateten Lebensgefährten „zurückkehrender“ Unionsbürger eine Aufenthaltserlaubnis zu gewähren oder den Aufenthalt zu erleichtern. Die zweite, hilfsweise gestellte Frage zielt darauf ab, ob sich eine solche Verpflichtung, eine Aufenthaltserlaubnis zu gewähren oder den Aufenthalt zu erleichtern, direkt aus der Richtlinie 2004/38 ergibt.
24. Diese Fragen haben zwei Ebenen. Die erste betrifft die Rechtsgrundlage der Ansprüche, die sich für in dauerhafter Beziehung zu „zurückkehrenden“ Unionsbürgern stehende Lebenspartner aus dem Unionsrecht ergeben. Zweitens enthalten diese bereits implizit die Frage nach dem Inhalt dieser Ansprüche: ob es eine Verpflichtung gibt, eine solche Erlaubnis zu gewähren, oder lediglich eine Verpflichtung, deren Gewährung zu erleichtern. Der letztere Punkt kommt dann in der dritten Vorlagefrage vollends zum Tragen. Diese Frage zielt spezifisch darauf ab, ob eine ablehnende Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 rechtswidrig ist, wenn sie weder auf einer eingehenden Untersuchung der persönlichen Umstände des Antragstellers beruht noch eine angemessene oder hinreichende Begründung enthält.
25. Meiner Ansicht nach sind diese Ebenen offensichtlich miteinander verbunden. Die Rechtsgrundlage bestimmt den Inhalt, der wiederum ein gewisses Maß an Begründung für die Entscheidung gebietet. Meines Erachtens sind die ersten drei Fragen daher am besten gemeinsam zu behandeln.
26. In diesem Abschnitt untersuche ich deshalb zunächst die Rechtsgrundlage der Rechte, die sich für unverheiratete Lebenspartner „zurückkehrender“ Unionsbürger aus dem Unionsrecht ergeben. Zu diesem Zweck werde ich prüfen, ob eine analoge Anwendung der Vorschriften der Richtlinie 2004/38 auf in den Staat ihrer Staatsangehörigkeit „zurückkehrende“ Unionsbürger, wie sie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung entwickelt hat, auf Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie erstreckt werden kann (1). Zweitens werde ich die Auslegung dieser Bestimmung prüfen, die den Begriff der „Erleichterung“ von Einreise und Aufenthalt unverheirateter Lebensgefährten einführt (2). Drittens werde ich prüfen, was diese Feststellungen für den vorliegenden Fall bedeuten (3).
1. Zurückkehrende Bürger
27. Die Richtlinie 2004/38 enthält eine spezifische Regelung – Art. 3 Abs. 2 Buchst. b – für die Lage einer Person, mit der ein Unionsbürger eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist. Diese Regelung ist jedoch in der vorliegenden Rechtssache nicht unmittelbar anwendbar. Die Bestimmungen der Richtlinie über die Rechte auf Einreise und Aufenthalt finden keine Anwendung, soweit ein Unionsbürger oder seine Familienangehörigen sich gegenüber dem Mitgliedstaat der Staatsangehörigkeit des Unionsbürgers darauf berufen(9).
28. Dasselbe sollte logischerweise auch für Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 im Hinblick auf „Familienangehörige im weiteren Sinne“ gelten.
29. Zugegebenermaßen sind in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, anders als in ihrem Art. 3 Abs. 1, Familienangehörige im weiteren Sinne, die den Unionsbürger in einen anderen Mitgliedstaat begleiten oder ihm dorthin nachziehen, nicht ausdrücklich erwähnt. Art. 3 Abs. 2 bezieht sich jedoch, wie der sechste Erwägungsgrund der Richtlinie bestätigt, eindeutig auf die Verpflichtungen des „Aufnahmemitgliedstaats“. Darüber hinaus gelten dieselben systematischen und teleologischen Erwägungen, die den Gerichtshof zu der Feststellung bewogen, dass die Richtlinie 2004/38 auf Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige von Unionsbürgern sind, im Heimatmitgliedstaat des betreffenden Bürgers nicht anwendbar ist(10), auch in Bezug auf „Familienangehörige im weiteren Sinne“.
30. Die Tatsache, dass Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 in einem Fall wie dem hier vorliegenden nicht unmittelbar anwendbar ist, bedeutet jedoch nicht, dass die betreffende Vorschrift völlig irrelevant ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich aus den Regelungen des Primärrechts, dass verschiedene Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet der Freizügigkeit unter bestimmten Voraussetzungen entsprechende Anwendung finden können auf die Situation von Unionsbürgern, die nach Ausübung ihrer Freizügigkeitsrechte in den Mitgliedstaat ihrer Staatsangehörigkeit zurückkehren(11).
31. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die abschreckende Wirkung. In der Rechtssache Singh hat der Gerichtshof dazu festgestellt: „Ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats könnte davon abgehalten werden, sein Herkunftsland zu verlassen, um im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine unselbständige oder selbständige Tätigkeit im Sinne des EWG-Vertrags auszuüben, wenn [er] in dem Fall, dass er in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zurückkehrt, um eine unselbständige oder selbständige Tätigkeit auszuüben, nicht in den Genuss von Erleichterungen bei der Einreise oder hinsichtlich des Aufenthalts kommen könnte, die denen zumindest gleichwertig sind, die ihm nach dem EWG-Vertrag oder dem abgeleiteten Recht im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zustehen.“(12) Die Freizügigkeitsrechte könnten ihre volle Wirkung nicht entfalten, wenn ein Unionsbürger „von ihrer Ausübung durch Hindernisse abgehalten werden kann, die in seinem Herkunftsland für die Einreise und den Aufenthalt seines Ehegatten bestehen“(13). In der Rechtssache Eind fügte der Gerichtshof hinzu, diese abschreckende Wirkung könne auch „durch die bloße Aussicht für diesen Staatsangehörigen hervorgerufen werden, nach seiner Rückkehr in seinen Herkunftsmitgliedstaat ein Zusammenleben mit seinen nahen Angehörigen, das etwa durch die Heirat oder die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat aufgenommen worden ist, nicht fortsetzen zu können“(14).
32. Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 21 Abs. 1 AEUV impliziert, dass die nach dem abgeleiteten Recht geltenden Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Familienangehörigen, insbesondere die in der Richtlinie 2004/38 niedergelegten, auf Familienangehörige von „zurückkehrenden Unionsbürgern“ gegenüber dem Mitgliedstaat der Staatsangehörigkeit des Unionsbürgers entsprechend anwendbar sind. In der Rechtssache O. und B. hat der Gerichtshof des Weiteren klargestellt, dass diese Rechtsprechung anwendbar ist, wenn ein Unionsbürger in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, während eines Aufenthalts von einer gewissen Dauer sein Familienleben mit einem Drittstaatsangehörigen entwickelt oder gefestigt hat(15).
33. In der vorliegenden Rechtssache hat die Regierung des Vereinigten Königreichs die Ansicht vertreten, die sich aus der vorstehend angeführten Rechtsprechung ergebenden Grundsätze beträfen ausschließlich die Rechte auf die Einreise und den Aufenthalt gemäß Richtlinie 2004/38. Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie kämen in den Genuss dieser Rechte ausschließlich die in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie aufgeführten Familienangehörigen, nicht jedoch die unter Art. 3 Abs. 2 fallenden „Familienangehörigen im weiteren Sinne“. Eine entsprechende Anwendung, die sich darauf stütze, dass Unionsbürger von der Ausübung ihrer Freizügigkeitsrechte abgehalten würden, wenn man ihren Familienangehörigen Aufenthaltsrechte verweigerte, sei in der vorliegenden Rechtssache nicht gerechtfertigt, da diese eine unverheiratete Lebensgefährtin betreffe, die gemäß Art. 3 Abs. 2 keinen Anspruch auf ein solches Aufenthaltsrecht habe.
34. Diese Auffassung teile ich nicht.
35. Erstens ist es tatsächlich so, dass die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Aufenthaltsrechten von Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige „zurückkehrender Unionsbürger“ sind, den Status derjenigen betraf, die „Familienangehörige“ im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2004/38 sind(16). Ich denke jedoch, dass sich daraus nicht der Umkehrschluss ziehen lässt, es sei beabsichtigt, diese Rechtsprechung allein auf „Familienangehörige“ zu beschränken. Eine gleichermaßen plausible (aus meiner Sicht sogar weit plausiblere) Erklärung ist, dass sich diese Entscheidungen ganz einfach deshalb nur mit Familienangehörigen befassten, weil sie ausschließlich Familienangehörige betrafen.
36. Zweitens gilt dies umso mehr, als der Grundgedanke, der hinter der entsprechenden Anwendung der Richtlinie auf „Familienangehörige“ steht, auch in vollem Umfang auf „Familienangehörige im weiteren Sinne“ zutrifft. Wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, gilt dies insbesondere im Fall des unverheirateten Lebenspartners eines Unionsbürgers, der sich im Einklang mit dem Unionsrecht rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat(17).
37. Der Abschreckungsgedanke beruhte darauf, dass es den Unionsbürger von der Freizügigkeit abhalten oder ihn abschrecken könnte, wenn denjenigen, die ihm persönlich nahestehen, der Nachzug verweigert würde. Es sollte anerkannt werden, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung ändert und es heutzutage ein breites Spektrum verschiedener Formen des Zusammenlebens gibt. Tatsächlich mag das Abschreckungspotenzial bezüglich eines Partners im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 stärker sein, als es vielleicht bezüglich einiger der in ihrem Art. 2 Nr. 2 aufgeführten Gruppen ist. Ich will keinesfalls behaupten, dass dies stets der Fall sein wird. Ich will lediglich sagen, dass sich die Frage, wer einer Person tatsächlich „nahe“ steht, kaum durch rein formelle, auf Verallgemeinerungen beruhende Kriterien beantworten lassen dürfte(18).
38. Dem könnte man noch hinzufügen, dass der sechste Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 bestätigt, dass das mit Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie verfolgte Ziel „die Einheit der Familie im weiteren Sinne“ ist(19). Daher ist es in diesem Sinne gleichermaßen geeignet, im Rahmen eines Aufenthalts des Unionsbürgers im Aufnahmemitgliedstaat von gewisser Dauer „weitere“ Familienbande zu entwickeln oder zu festigen, und kann in der Tat Anlass geben, auf die abschreckende Wirkung abstellende Überlegungen gleicher Art anzustellen.
39. Dennoch muss ich zugeben, dass eines der Elemente des Abschreckungsgedankens, auf den die entsprechende Anwendung der Richtlinie 2004/38 auf in ihre Heimatmitgliedstaaten zurückkehrenden Unionsbürger gestützt wurde, nicht vollends überzeugt. Kurz gesagt: Abschreckung setzt Kenntnis voraus. Etwas, wovon ich zu dem Zeitpunkt, zu dem ich eine Entscheidung treffe, keine Kenntnis habe oder dessen künftige Existenz allenfalls recht ungewiss ist, dürfte mich kaum von einer bestimmten Handlungsweise abhalten.
40. Einerseits könnte es eine solche abschreckende Wirkung geben, wenn der Familienangehörige (im weiteren Sinne) vor dem Umzug ins Ausland im Mitgliedstaat der Staatsangehörigkeit des Unionsbürgers bereits einen Aufenthaltsstatus besitzt. Von der Freizügigkeit Gebrauch zu machen, könnte ein riskantes Unterfangen sein, wenn einem drittstaatsangehörigen Familienangehörigen im Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgers bereits ein ausländerrechtlicher Aufenthaltsstatus gewährt wurde. Diesen Status könnte er dadurch, dass er den Unionsbürger in einen anderen Mitgliedstaat begleitet, verlieren. Selbst wenn das Unionsrecht Aufenthaltsrechte im zweiten (oder folgenden) Aufnahmemitgliedstaat garantiert, kann vernünftigerweise angenommen werden, dass die Aussicht darauf, diese Rechte bei Rückkehr in den Herkunftsmitgliedstaat nicht mehr zu genießen, bei der persönlichen Beurteilung der Faktoren, die bei der Entscheidung für die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit zu berücksichtigen sind, eine abschreckende Wirkung haben könnte(20).
41. Andererseits kann ich mir eine solche spürbare abschreckende Wirkung auf die Entscheidung, den Heimatmitgliedstaat zu verlassen, um vom Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, nur schwerlich vorstellen, wenn der Unionsbürger noch gar kein Familienleben aufgebaut hat. Kann man z. B. wirklich vernünftigerweise annehmen, dass sich ein junger Universitätsabsolvent, der über den Umzug in einen anderen Mitgliedstaat nachdenkt, in seiner Entscheidung davon leiten ließe, dass er im betreffenden Mitgliedstaat (oder im zweiten oder dritten Mitgliedstaat) die Liebe seines Lebens treffen könnte und dass er später, wenn sich die Liebe seines Lebens tatsächlich als solche erweisen sollte, vielleicht gerne dauerhaft mit dieser Person in seinem Heimatmitgliedstaat würde zurückkehren wollen, und dass er sich dann, wenn er – was sich ihm erst nach sorgfältiger und detaillierter Prüfung des innerstaatlichen Ausländerrechts in seinem Heimatmitgliedstaat erschlösse, das in naher oder ferner Zukunft möglicherweise immer noch in Kraft wäre – feststellen sollte, dass dieser Person möglicherweise kein Aufenthaltsrecht gewährt würde, dadurch davon abhalten ließe, von seinen Freizügigkeitsrechten Gebrauch zu machen und einfach zuhause bliebe?
42. Lässt man Situationen, in denen die Suche nach der Liebe des Lebens tatsächlich der Hauptbeweggrund für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts ist, außer Betracht, so sind Ereignisse dieser Art wegen ihres abwegigen und hypothetischen Charakters und ihrer (mangelnden) Plausibilität als echte Basis für die Lebensentscheidungen normaler Menschen vielleicht nicht die solideste Grundlage für die entsprechende Anwendung (d. h. faktisch die über ihren klaren Wortlaut hinausgehende Erweiterung ihrer Anwendbarkeit) der Richtlinie 2004/38 auf zurückkehrende Unionsbürger.
43. Ich würde daher vorschlagen, dass der Gerichtshof stärker auf eine andere Begründung der entsprechenden Anwendung der Vorschriften der Richtlinie 2004/38 auf „zurückkehrende“ Unionsbürger und ihre Familienangehörigen (im weiteren Sinne) abstellt: nicht unbedingt darauf, dass jemand wahrscheinlich ex ante vom Umzug abgehalten wird, sondern vielmehr darauf, dass es nicht zulässig sein kann, ihn im Grunde ex post dafür zu bestrafen(21).
44. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs hat im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot anerkannt, dass den Unionsbürgern durch die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit keine späteren Nachteile entstehen dürfen(22). Meines Erachtens ergibt sich ein solcher Nachteil, wenn „zurückkehrende“ Bürger denselben Regelungen unterliegen wie die Staatsbürger, die vom Recht auf Freizügigkeit niemals Gebrauch gemacht haben, die innerstaatlichen Regeln jedoch die in einem anderen Mitgliedstaat entwickelten oder gefestigten Familienbande nicht anerkennen(23).
45. Objektiv unterschiedliche Sachverhalte dürfen und sollten nicht gleich behandelt werden. Andernfalls besteht die (in diesem Fall weder abwegige noch hypothetische) Gefahr, dass die Freizügigkeit auf die Ausstellung einer einfachen Fahrkarte ohne Rückfahrt hinausliefe. Dies würde zur dauerhaften Expatriierung führen. Mit dem Recht, sich innerhalb der Europäischen Union frei zu bewegen und aufzuhalten, wäre dies schwer vereinbar(24).
46. Kurzum, die Erwägungen, die den Gerichtshof zur entsprechenden Anwendung der Einreise- und Aufenthaltsrechte der Familienangehörigen aus Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38 auf in den Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrende Unionsbürger bewogen, treffen gleichermaßen, wenn auch vielleicht mit etwas weiterentwickelter Begründung, auf die unter Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie fallenden „Familienangehörigen im weiteren Sinne“ zu.
47. Im Ergebnis ist, in Übereinstimmung mit der von den Regierungen Spaniens, Österreichs und Polens sowie von der Kommission vertretenen Auffassung, der Schluss zu ziehen, dass ein Drittstaatsangehöriger, der mit einem Unionsbürger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist, bei der Rückkehr des Unionsbürgers in dessen Heimatmitgliedstaat keine Behandlung erfahren darf, die weniger günstig ist als diejenige, die nach der Richtlinie für Familienangehörige im weiteren Sinne von Unionsbürgern gilt, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben und in andere Mitgliedstaaten umziehen.
2. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38: „Erleichterung“ der Einreise und des Aufenthalts von „Familienangehörigen im weiteren Sinne“
48. Mit der ersten und der zweiten Vorlagefrage wird der Gerichtshof gefragt, ob die Mitgliedstaaten wegen der vom Unionsrecht auferlegten Anforderungen verpflichtet sind, dem unverheirateten Lebensgefährten eines zurückkehrenden Unionsbürgers eine Aufenthaltserlaubnis zu gewähren oder hilfsweise deren Gewährung zu erleichtern.
49. Wie von der Kommission und allen Regierungen, die dem Gerichtshof gegenüber Erklärungen abgegeben haben, zutreffend ausgeführt wurde, folgt aus der entsprechenden Anwendung der Grundsätze aus der Singh-Entscheidung(25), dass die unverheirateten Lebenspartner „zurückkehrender Unionsbürger“ Anspruch auf Zugang zu der in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Erleichterung haben.
50. Gegen dieses Verständnis erhebt Frau Banger keine Einwände, jedenfalls keine direkten. Sie argumentiert differenzierter: Sie teilt die Auffassung, dass Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie lediglich eine Erleichterungspflicht vorsieht, trägt jedoch vor, die Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltskarte habe gemäß dieser Bestimmung auf einer eingehenden Untersuchung ihrer persönlichen Umstände beruhen und eine angemessene oder hinreichende Begründung enthalten müssen, was jedoch beides nicht der Fall gewesen sei.
51. Den Inhalt der für Familienangehörige im weiteren Sinne geltenden „Erleichterungsregelung“ gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie hat der Gerichtshof in der Entscheidung Rahman klargestellt(26). In diesem Urteil wurden die drei Dimensionen dieser Regelung hervorgehoben: dass kein automatisches Einreise- und Aufenthaltsrecht besteht (i); dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eine gesetzliche Erleichterungsregelung zu erlassen, hinsichtlich derer ihnen Ermessen eingeräumt ist (ii); die Tatsache, dass dieses Ermessen nicht unbegrenzt ist (iii).
52. Erstens gewährt Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 den Familienangehörigen im weiteren Sinne kein Recht auf Einreise oder Aufenthalt. Es wird unterschieden zwischen Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie, die ein Recht auf Einreise und Aufenthalt haben, und denjenigen im Sinne von Art. 3 Abs. 2, deren Einreise und Aufenthalt „lediglich zu erleichtern sind“(27). Die Richtlinie 2004/38 verpflichtet die Mitgliedstaaten somit nicht, Anträgen auf Einreise oder Aufenthalt von Personen gemäß Art. 3 Abs. 2 in allen Fällen stattzugeben(28). Schließlich – und im Gegensatz zu den Rechten, die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen genießen – ist Art. 3 Abs. 2 „nicht so bestimmt …, dass sich derjenige, der einen Antrag auf Einreise oder Aufenthalt stellt, unmittelbar auf diese Bestimmung berufen könnte, um Beurteilungskriterien geltend zu machen, die seiner Auffassung nach auf seinen Antrag anzuwenden sind“(29).
53. Zweitens ist der materiell-rechtliche Gehalt der in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 geregelten Erleichterungspflicht im Gegensatz zum Aufenthaltsrecht dahin definiert worden, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Rechtsvorschriften Kriterien enthalten, die es den Familienangehörigen im weiteren Sinne ermöglichen, eine Entscheidung über ihren Antrag auf Einreise und Aufenthalt zu erwirken. Diese Entscheidung muss auf einer eingehenden Untersuchung ihrer persönlichen Umstände beruhen und ist im Fall der Ablehnung zu begründen(30).
54. Wie durch den sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 bestätigt wird, sollte die Lage der „Familienangehörigen im weiteren Sinne“ vom Aufnahmemitgliedstaat „auf der Grundlage seiner eigenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften daraufhin geprüft werden, ob diesen Personen die Einreise und der Aufenthalt gestattet werden könnte“. Da die Richtlinie insofern keine genauere Regelung enthält und die Wendung „nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften“ verwendet wird, bedeutet dies, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Wahl der Faktoren, die zur Umsetzung ihrer Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 2 zu berücksichtigen sind, einen großen Ermessensspielraum haben(31). Mit diesem Ermessen geht zwangsläufig einher, dass die Mitgliedstaaten die spezifischen Bedingungen und Kriterien für die Umsetzung dieser Bestimmung in ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften und die zu berücksichtigenden Faktoren bestimmen können.
55. Es ist auch klar, dass dieses Ermessen notwendigerweise bedeutet, dass diese Bedingungen, Kriterien und Faktoren von einem Mitgliedstaat zum anderen unterschiedlich sein können, da die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen zur Umsetzung dieser Regelung unter Umständen auf verschiedene Weise erfüllen(32).
56. Drittens ist das durch Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 eingeräumte Ermessen nicht unbeschränkt. Diese Regelung enthält die spezifischen Grenzen, die den den Mitgliedstaaten gewährten Spielraum umschreiben: Die einschlägigen innerstaatlichen Vorschriften müssen mit dem Begriff der „Erleichterung“ in Einklang stehen und den Anforderungen im Hinblick auf die eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände und die Begründung im Ablehnungsfall genügen.
57. Die erste Grenze ergibt sich aus dem Wortlaut der Regelung und dem Begriff der „Erleichterung“. Das Wort „erleichtert“ besagt, dass Art. 3 Abs. 2 „[die Mitgliedstaaten verpflichtet,] Anträge auf Einreise und Aufenthalt … gegenüber den Anträgen anderer Drittstaatsangehöriger in gewisser Weise bevorzugt zu behandeln“(33). Deshalb hat „[d]er Aufnahmemitgliedstaat … dafür Sorge zu tragen, dass seine Rechtsvorschriften Kriterien enthalten, die sich mit der gewöhnlichen Bedeutung des Ausdrucks ‚erleichtert‘ vereinbaren lassen …“(34). Der Gerichtshof hat daran erinnert, dass die Erleichterungspflicht bedeutet, dass die innerstaatlichen Bestimmungen Art. 3 Abs. 2 nicht seine praktische Wirksamkeit nehmen dürfen(35).
58. Kurz gesagt, den Mitgliedstaaten ist hinsichtlich der materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen, auf die sie für die „Erleichterung“ abstellen, beträchtlicher Spielraum eingeräumt. Auf jeden Fall müssen aber die „Familienangehörigen im weiteren Sinne“ besser gestellt sein als die allgemeine Gruppe der Drittstaatsangehörigen(36).
59. Die zweite Grenze ergibt sich aus dem letzten Satz von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38. Durch diese Bestimmung wird den Mitgliedstaaten eine doppelte Verpflichtung auferlegt: „eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände [durchzuführen]“ und „eine etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts dieser Personen [zu begründen]“. Die Mitgliedstaaten müssen daher vorsehen, dass Antragsteller „eine Entscheidung über ihren Antrag erhalten können, die auf einer eingehenden Untersuchung ihrer persönlichen Umstände beruht und im Fall der Ablehnung begründet wird“(37). Die eingehende Untersuchung erfordert nach dem sechsten Erwägungsgrund die Berücksichtigung verschiedener relevanter Faktoren, wobei z. B. der Beziehung zum Unionsbürger sowie anderen Aspekten (etwa der finanziellen oder physischen Abhängigkeit vom Unionsbürger) Rechnung zu tragen ist(38).
60. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass aus dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 in der vom Gerichtshof im Urteil Rahman vorgenommenen, in diesem Abschnitt dargelegten Auslegung folgt, dass sich aus dieser Vorschrift kein automatisches Aufenthaltsrecht ergibt. Gleichermaßen kann sich somit aus der entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift auf Situationen, in denen ein Familienangehöriger im weiteren Sinne einen „zurückkehrenden Unionsbürger“ in dessen Herkunftsmitgliedstaat zurückbegleitet, kein automatisches Aufenthaltsrecht ergeben. Die entsprechende Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie kann nur so weit reichen, wie Art. 3 Abs. 2 hätte reichen können, wenn er selbst anwendbar wäre – nicht darüber hinaus. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs hat in der Tat bereits bestätigt, dass die „entsprechende Anwendung“ des abgeleiteten Freizügigkeitsrechts auf Familienangehörige „zurückkehrender“ Unionsbürger nicht auf eine automatische Anerkennung der im zweiten Mitgliedstaat gewährten Aufenthaltsrechte hinausläuft: Die entsprechende Anwendung der Bestimmungen des abgeleiteten Rechts unterliegt nach wie vor den darin festgelegten Bedingungen(39).
3. Vorliegender Fall
61. In der vorliegenden Rechtssache ergeben sich die primärrechtlichen Grundlagen für die entsprechende Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 aus Art. 45 AEUV (sofern das vorlegende Gericht feststellt, dass Herr Rado, wie es wohl der Fall sein dürfte, als Arbeitnehmer in den Niederlanden von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machte) oder, subsidiär, aus Art. 21 Abs. 1 AEUV.
62. Gemäß dieser entsprechenden Anwendung hat ein unverheirateter Lebensgefährte, mit dem der Unionsbürger eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist und mit dem der Unionsbürger, als er von seinen Freizügigkeitsrechten Gebrauch machte, in einem anderen Mitgliedstaat familiäre Bindungen entwickelt oder gefestigt hat, Anspruch darauf, dass sein Antrag gemäß den Anforderungen in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 geprüft wird, wenn der Unionsbürger in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrt.
63. In der vorliegenden Rechtssache wurde Frau Banger offenbar in den Niederlanden eine Aufenthaltskarte gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ausgestellt. Als Herr Rado von seinen Aufenthaltsrechten in diesem Mitgliedstaat Gebrauch machte, lebte sie als Familienangehörige im weiteren Sinne mit Herrn Rado zusammen. Dadurch war es ihnen möglich, ihr Familienleben zu führen und zu festigen.
64. Unter diesen Umständen ergibt die Auslegung des AEUV (Art. 21 Abs. 1 oder Art. 45 AEUV) in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, dass Frau Banger Anspruch darauf hat, dass man ihren Antrag eingehend untersucht und im Fall der Ablehnung der Einreise oder des Aufenthalts die Ablehnung auf Grundlage des Ergebnisses dieser Untersuchung begründet. Diese Untersuchung muss insbesondere ihren besonderen persönlichen Umständen, einschließlich ihrer Beziehung zum Unionsbürger, Rechnung tragen.
65. Nach dem, was in der Vorlageentscheidung mitgeteilt wurde, und nach den dem Gerichtshof gegenüber abgegebenen Erklärungen wurde die Ablehnung ihres Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte allein damit begründet, dass Frau Banger und Herr Rado zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht verheiratet waren. Sollte dem so gewesen sein, so genügt dies nicht zur Erfüllung der Anforderung, eine auf einer eingehenden Untersuchung der persönlichen Umstände der unter Art. 3 Abs. 2 Buchst. b fallenden Familienangehörigen im weiteren Sinne beruhende Begründung zu geben; diese Vorschrift gilt für Personen, die nicht verheiratet sind, jedoch eine dauerhafte Beziehung mit dem Unionsbürger eingegangen sind.
66. Die Wendung „eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände“ ist vernünftigerweise so zu verstehen, dass sie die Feststellung der Art der Beziehung zum zurückkehrenden Unionsbürger beinhaltet. Folgerichtig würde dazu auch gehören, zu Beweiszwecken zu berücksichtigen, dass durch die Ausstellung einer Aufenthaltskarte durch einen anderen Mitgliedstaat eine dauerhafte Beziehung bereits anerkannt und ordnungsgemäß bescheinigt wurde.
67. Ich möchte jedoch betonen, dass diese Tatsache für sich allein genommen nicht unbedingt dazu führt, ein Aufenthaltsrecht im Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgers (oder in jeglichem sonstigen Mitgliedstaat, in den umzuziehen das Paar sich entschließen könnte) zu begründen. Auch hier bedeutet, wie im vorstehenden Abschnitt (diesbezüglich bereits recht ausführlich) allgemein ausgeführt wurde, die Verpflichtung zur Erleichterung keine Verpflichtung zur automatischen Gewährung. Die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten, innerhalb gewisser Grenzen, berechtigt sind, in diesem Bereich ihre eigenen spezifischen Kriterien festzulegen, bedeutet folgerichtig, dass es keine „Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung“ von anderen Mitgliedstaaten ausgestellter Aufenthaltserlaubnisse gibt und schon gar keine Verpflichtung, mindestens die gleiche oder eine bessere Behandlung zu bieten als in einem oder mehreren vorhergehenden Aufnahmemitgliedstaaten.
68. Meiner Ansicht nach lässt weder die Überlegung, dass niemand ex ante abgehalten oder abgeschreckt werden darf, noch die Überlegung, dass niemand ex post benachteiligt werden darf, den Schluss zu, dass im Grunde jeder einzelne Mitgliedstaat, in den ein Unionsbürger später umzuziehen beschließen mag, mindestens die gleiche oder eine bessere Behandlung als frühere Mitgliedstaaten zu bieten verpflichtet wäre. Dies ginge in der Tat weit über eine entsprechende Anwendung und den Begriff der Erleichterung hinaus.
4. Zwischenergebnis
69. Folglich schlage ich vor, die ersten drei der vom vorlegenden Gericht vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:
– Art. 21 Abs. 1 und Art. 45 AEUV sind dahin auszulegen, dass in den Fällen, in denen ein Unionsbürger während der Ausübung seiner Aufenthaltsrechte in einem anderen Mitgliedstaat sein Familienleben entwickelt oder gefestigt hat, die in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 vorgesehene Erleichterungsregelung auf den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist, bei der Rückkehr des Unionsbürgers in seinen Herkunftsmitgliedstaat entsprechend anwendbar ist. Dies bedeutet, dass der Mitgliedstaat verpflichtet ist, dem Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist, die Einreise und den Aufenthalt nach Maßgabe der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsvorschriften im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie zu erleichtern.
– Wenn ein Unionsbürger nach Ausübung seiner Aufenthaltsrechte in einem anderen Mitgliedstaat, wo er mit einem Lebenspartner, mit dem er eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist, sein Familienleben entwickelt oder gefestigt hat, in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrt, ist es gemäß Art. 21 Abs. 1 und Art. 45 AEUV erforderlich, dass der Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgers bei der Entscheidung über die Einreise und den Aufenthalt dieses Lebenspartners nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 eine eingehende Untersuchung ihrer persönlichen Umstände vornimmt und die etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts begründet.
B. Frage 4: Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf
70. Mit der vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die es einem mutmaßlichen Familienangehörigen im weiteren Sinne verwehrt, den Verwaltungsakt, mit dem die Ausstellung einer Aufenthaltskarte abgelehnt wurde, vor Gericht anzufechten, mit der Richtlinie 2004/38 vereinbar ist.
71. Die Vorlageentscheidung lässt vermuten, dass diese Frage auf die Tatsache zurückgeht, dass nach einer Entscheidung einer anders besetzten Kammer des Upper Tribunal (Obergericht) ein Antragsteller, dem als „Familienangehörigen im weiteren Sinne“ eine Aufenthaltskarte verwehrt wird, kein Recht habe, diese Entscheidung gemäß Regulation 26 der EWR-Verordnung vor dem zuständigen Tribunal anzufechten(40). Dies wird damit begründet, die vom Secretary of State unter Ausübung seines Ermessens getroffene Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltskarte an einen Familienangehörigen im weiteren Sinne sei nicht als Entscheidung über „das Recht einer Person auf Erteilung … einer Aufenthaltskarte“ anzusehen(41). Das vorlegende Gericht erklärt dazu, dass das Sala-Urteil, sofern die Entscheidung richtig war, bedeute, dass die Antragstellerin im Ausgangsverfahren kein Recht darauf habe, ihren „appeal“ zu betreiben. Das einzige ihr zur Verfügung stehende Rechtsmittel sei dann das Verfahren des „judicial review“(42).
72. Aus den Erklärungen, die die Beteiligten dem Gerichtshof gegenüber abgegeben haben (die Vorlageentscheidung enthält diesbezüglich sehr knappe Angaben), geht hervor, dass das Verfahren des „judicial review“ nach dem Recht von England und Wales das Standardverfahren für die Anfechtung von Verwaltungsakten ist. Für bestimmte Bereiche oder Zusammenhänge hat der Gesetzgeber gesetzliche Rechte auf „appeal“ eingeführt(43). Das gilt auch im Hinblick auf die Rechte der Familienangehörigen von Unionsbürgern. Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs klargestellt hat, verfügen nach dem Recht von England und Wales die in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38 aufgeführten „Familienangehörigen“ über ein Recht auf „appeal“ zum First-tier Tribunal (erstinstanzliches Gericht) (und danach zum Upper Tribunal [Obergericht]). Nach dem Sala-Urteil haben jedoch die unter Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie fallenden Personen keinen Zugang zum „appeal“-Verfahren. Sie haben vielmehr das Recht, eine ablehnende Entscheidung über eine Aufenthaltskarte im Verfahren des „judicial review“ durch den High Court of England and Wales (Administrative Court) (Oberster Gerichtshof von England und Wales [Verwaltungsgericht]) überprüfen zu lassen.
73. Die vierte Frage des vorlegenden Gerichts ist daher im Lichte dieses besonderen, sich aus dem innerstaatlichen Recht ergebenden Zusammenhangs zu sehen. Aus dieser Warte gesehen ist der Hauptpunkt, der der vierten Frage des vorlegenden Gerichts zugrunde liegt, nicht, ob den Familienangehörigen im weiteren Sinne keinerlei Rechtsschutz zur Verfügung steht, sondern vielmehr, ob das Verfahren des „judicial review“ den Anforderungen des Unionsrechts genügt oder ob der Zugang zum „appeal“-Verfahren erforderlich ist.
74. Die Regierung des Vereinigten Königreichs und Frau Banger sind diesbezüglich entgegengesetzter Meinung.
75. Frau Banger ist der Ansicht, der Rechtsbehelf des „judicial review“ sei nicht als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne der Richtlinie 2004/38 und des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) anzusehen. Das Verfahren des „judicial review“ sei kein ausreichendes Mittel zur Überprüfung der Ablehnung der Ausstellung einer Aufenthaltskarte. Es betreffe nicht die eigentliche Entscheidung, sondern nur das Verfahren der Entscheidungsfindung. In der Verhandlung machte Frau Banger weitere Ausführungen zu den Unterschieden zwischen dem „appeal“-Verfahren und dem Verfahren des „judicial review“ im Hinblick auf den Zugang zu den jeweiligen Verfahren, die Kosten, den Prüfungsumfang und die Art der Abhilfe, die erwirkt werden kann. Sie führte aus, dass im Verfahren des „judicial review“ lediglich die Rechtmäßigkeit der Entscheidung geprüft werde und es Einschränkungen hinsichtlich der Überprüfungsgründe gebe. Ein Verfahren des „judicial review“ könne in der vorliegenden Rechtssache nur dann Erfolg haben, wenn ein Fall der „Unangemessenheit“ gegeben sei; der Prüfungsumfang sei also reduziert und erstrecke sich nicht auf die Tatsachen.
76. Demgegenüber führt die Regierung des Vereinigten Königreichs aus, das Verfahren des „judicial review“ genüge den Anforderungen des Unionsrechts in vollem Umfang. Das Unionsrecht verpflichte die Mitgliedstaaten nicht, ein bestimmtes gesetzliches Anfechtungsrecht zu gewähren. Es verpflichte sie auch nicht, eine volle Rechts- und Tatsachenprüfung der Entscheidungen vorzusehen, bei der das Gericht oder Tribunal die vom ursprünglichen Entscheider vorgenommene Beurteilung durch seine eigene Beurteilung ersetze. In der mündlichen Verhandlung teilte die Regierung die von der Kommission vertretene Auffassung, dass nach dem Unionsrecht eine volle Überprüfung der Entscheidung, einschließlich der Prüfung der Tatsachen und der Verhältnismäßigkeit, erforderlich sei(44). Die Regierung war der Auffassung, das Verfahren des „judicial review“ erfülle diese Anforderungen in vollem Umfang, da es nicht nur eine Prüfung der Rechtsgrundlage für die Entscheidung, sondern auch eine Überprüfung im Hinblick auf Fehler bezüglich der Tatsachenwürdigung und auf die Verhältnismäßigkeit gestatte(45).
77. Dass ich mich so ausführlich mit dem Hintergrund der vierten Frage des vorlegenden Gerichts und den Auffassungen der Beteiligten auseinandergesetzt habe, hat vor allem einen Grund: um zu zeigen, warum der Gerichtshof meines Erachtens diese Frage, so wie sie gestellt wird, nicht beantworten sollte. Dafür sprechen insbesondere drei Gründe.
78. Erstens ist es nicht die Aufgabe des Gerichtshofs, sich mit den unterschiedlichen Eigenschaften der verschiedenen nach innerstaatlichem Recht gegebenen Rechtsschutzsysteme zu befassen(46). Dies würde eine detaillierte Prüfung und Beurteilung innerstaatlichen Rechts erfordern, was Aufgabe der nationalen Gerichte ist.
79. Zweitens kommt es dem Gerichtshof noch weniger zu, eine solche Prüfung bezüglich eines recht komplexen und in Entwicklung begriffenen Rechtsgebiets vorzunehmen, wie es das Verfahren des „judicial review“ im englischen Recht seinem Wesen nach ist(47), da dies im Grunde darauf hinausliefe, zwischen den verschiedenen nationalen Akteuren zu schlichten, die unter Umständen sich nicht einmal selbst einig sind, welche Anforderungen derzeit gelten.
80. Drittens ist das Vorabentscheidungsverfahren stets an einen bestimmten Streit im Ausgangsverfahren vor einem nationalen Gericht gebunden. In diesem Rahmen ist es in der Tat möglich, dass eine konkrete verfahrens- oder materiell-rechtliche Bestimmung des innerstaatlichen Rechts indirekt zu prüfen ist. Der Gerichtshof kann jedoch keine abstrakten Gutachten über die allgemeine (Un‑)Geeignetheit ganzer Rechtsgebiete oder Rechtsschutzsysteme erstellen(48), für die, wenn sie erstellt werden sollten, alles und jedes zu betrachten wäre, von der Klagebefugnis über die Kosten, die Fristen und den Prüfungsumfang bis zur in Betracht kommenden Abhilfe und den Rechtsbehelfen.
81. Was der Gerichtshof jedoch leisten könnte (und im Geiste der Zusammenarbeit wohl leisten sollte), um dem innerstaatlichen Gericht bezüglich der in der vierten Frage angesprochenen Punkte zu helfen, ist die Klarstellung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen und Anforderungen in Bezug auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Zusammenhang mit der entsprechenden Anwendung von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38(49).
82. In diesem Sinne werde ich in diesem Abschnitt zunächst die Verfahrensgarantien prüfen, die in der Richtlinie selbst vorgesehen sind (1), und mich dann den sich aus Art. 47 der Charta (sowie den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität) ergebenden allgemeinen Anforderungen zuwenden (2). Abschließend werde ich untersuchen, welche Wirkung das Grundrecht auf wirksamen Rechtsbehelf im spezifischen Kontext des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie entfaltet (3).
1. Gerichtlicher Rechtsschutz gemäß den Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38
83. Die Richtlinie 2004/38 enthält spezifische Bestimmungen über den gerichtlichen Rechtsschutz für Freizügigkeitsrechte. Diejenigen, die in der vorliegenden Rechtssache relevant sind, sind den Art. 15 und 31 zu entnehmen. Die letzteren Regelungen gehen auf die Vorgängerregelungen zu den Verfahrensgarantien in der Richtlinie 64/221/EWG zurück, die ausdrücklich gestatteten, den gerichtlichen Rechtsschutz zu beschränken, u. a. durch die Beschränkung von Rechtsbehelfen auf die Rechtsgültigkeit der Entscheidungen(50). Letztendlich wurden diese viel diskutierten Beschränkungen(51) durch die Richtlinie 2004/38 ersetzt. Das Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs zur gerichtlichen Überprüfung von Rechts- und Tatsachenfragen wird durch die Richtlinie ausdrücklich anerkannt, sowohl in Bezug auf Entscheidungen, die auf Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gestützt werden, als auch in Bezug auf andere Beschränkungen der Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechte.
84. In den Nrn. 23 bis 47 dieser Schlussanträge habe ich vorgeschlagen, die Erleichterungsregelung in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 auf die Familienangehörigen im weiteren Sinne von zurückkehrenden Unionsbürgern entsprechend anzuwenden. Dabei wurde betont, worin genau die entsprechende Anwendung besteht: in der Anwendung des Inhalts der Richtlinie, nicht jedoch in der Begründung neuer Rechte.
85. In der vorliegenden Rechtssache wirft eine solche Rückverweisung auf die Richtlinie das besondere Problem auf, dass die spezifischen Verfahrensgarantien, die mit der Umsetzung dieser Bestimmung einhergehen sollen, nicht in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie selbst geregelt sind. Es ist daher nicht ganz klar, worin diese Rechtsschutzgarantien bestünden, wenn Art. 3 Abs. 2 unmittelbar in einem Aufnahmemitgliedstaat auf einen Familienangehörigen im weiteren Sinne anwendbar wäre.
86. Die entscheidende Frage ist somit die nach dem persönlichen Anwendungsbereich von Art. 15 der Richtlinie 2004/38. Die Kommission und die Regierung des Vereinigten Königreichs meinen, Art. 15 der Richtlinie sei im Allgemeinen nicht auf die unter Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie fallenden Fälle anwendbar. Dies wird damit begründet, dass in Art. 15 nur von Unionsbürgern und ihren „Familienangehörigen“ die Rede sei. Der letztere Begriff, für den Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie eine Legaldefinition enthalte, umfasse nicht die Familienangehörigen im weiteren Sinne.
87. Dieses auf den Wortlaut gestützte Argument ist nachvollziehbar. Der Schluss, der normalerweise aus einer solchen Feststellung zu ziehen wäre, lässt sich jedoch bei systematischer Auslegung nicht ohne Weiteres ziehen, wenn man bedenkt, dass der Begriff der „Familienangehörigen“, wie aus den folgenden Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 ersichtlich, nicht einheitlich verwendet wurde(52).
88. Es gibt jedoch ein recht zugkräftiges Argument für einen weiter gefassten Anwendungsbereich von Art. 15 der Richtlinie 2004/38. Nach dieser Bestimmung finden die Verfahrensgarantien „auf jede Entscheidung Anwendung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt“. Auch wenn sich die Auffassung vertreten ließe, dass Familienangehörige im weiteren Sinne nicht unter den Begriff der Familienangehörigen im Sinne dieser Vorschrift fallen, so könnte doch vieles dafür sprechen, es als eine „Beschränkung“ der Freizügigkeitsrechte des Unionsbürgers selbst, der zweifellos unter diese Bestimmung fällt, anzusehen, wenn diesem Personenkreis eine Aufenthaltskarte verweigert würde.
89. Auch wenn diese Rechtsprechung vielleicht nicht der Favorit für einen „Menschenrechtspreis“ ist, hat der Gerichtshof doch schon lange anerkannt, dass das abgeleitete Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen von Unionsbürgern von entscheidender Bedeutung für die Sicherung der Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger selbst ist(53). Wie in den Nrn. 36 bis 38 dieser Schlussanträge weiter ausgeführt wurde, geht die Erleichterungsregelung in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie auf dieselbe Dynamik der Stärkung der Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger zurück. Folgt man dieser Logik der indirekten Beschränkung und Behinderung, so scheint es mir sehr naheliegend, in der Weigerung, einem Familienangehörigen im weiteren Sinne die Begleitung des zurückkehrenden Unionsbürgers zu gestatten, eine Entscheidung zu sehen, die faktisch die „Freizügigkeit von Unionsbürgern“ beschränkt.
90. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da sich die praktischen Auswirkungen der Anwendbarkeit von Art. 15 der Richtlinie 2004/38 beim vorliegenden Sachverhalt eher in Grenzen halten. Im folgenden Abschnitt dieser Schlussanträge werde ich argumentieren, dass diejenigen, die Anträge gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie stellen, jedenfalls Anspruch auf die Verfahrensgarantien aus Art. 47 der Charta haben, der den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes widerspiegelt.
2. Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz gemäß Art. 47 der Charta
91. Seit dem Urteil Heylens(54) ist klargestellt, dass es nach dem Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes, selbst wenn keine besonderen Bestimmungen des abgeleiteten Rechts existieren, die Verfahrensgarantien vorsehen, möglich sein muss, Entscheidungen einer innerstaatlichen Behörde, durch die die Gewährung unionsrechtlicher Rechte verweigert wird, vor Gericht anzufechten. Diese Verpflichtung ergibt sich auch aus Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 19 Abs. 1 EUV(55).
92. Ein solcher gerichtlicher Rechtsbehelf muss nicht nur im Fall eines unionsrechtlich gewährten Einreiserechts gegeben sein. Kürzlich hat der Gerichtshof im Urteil El Hassani, in der es um die Ablehnung der Erteilung eines Schengen-Visums ging, das Erfordernis, im Einklang mit Art. 47 der Charta und dem Effektivitätsgrundsatz eine gerichtliche Überprüfung zu garantieren, bestätigt. Dies ist ein Bereich, in dem die nationalen Behörden in Bezug auf die Ablehnungsgründe und die Würdigung der relevanten Tatsachen über einen weiten Beurteilungsspielraum verfügen(56). Hinzu kommt, dass meines Erachtens kein Recht auf Visaerteilung besteht. Die Tatsache, dass das Recht keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf einen bestimmten Verwaltungsakt vorsieht, bedeutet nicht, dass der Antragsteller kein Recht hat auf eine faire und ordnungsgemäße Bearbeitung seines Antrags und, erforderlichenfalls, auf diesbezüglichen gerichtlichen Rechtsschutz(57).
93. In der vorliegenden Rechtssache ist es daher unstreitig, dass sich das Recht auf Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs, selbst wenn man annimmt, dass Art. 15 der Richtlinie 2004/38 auf die unter Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie fallenden Personen nicht anwendbar ist, aus Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie in Verbindung mit Art. 47 der Charta ergibt. Keiner der Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, war der Ansicht, dass nicht grundsätzlich der Rechtsweg offenstehen sollte, wenn Familienangehörigen im weiteren Sinne Aufenthaltskarten verweigert werden. Der Streit geht vielmehr um den Umfang und die Intensität der erforderlichen gerichtlichen Prüfung.
94. Wäre Art. 15 der Richtlinie 2004/38 nicht auf ihren Art. 3 Abs. 2 anwendbar, so würde das bedeuten, dass es keine spezifischen Vorschriften gäbe, die den Umfang der gerichtlichen Prüfung bestimmen. Nach gefestigter Rechtsprechung sind diese Elemente, wenn es an solchen spezifischen Anforderungen fehlt, nach der Gerichtsverfassung der verschiedenen Mitgliedstaaten zu bestimmen(58). Der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten sind jedoch zwei Grenzen gesetzt: die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität(59).
95. Darüber hinaus ist auch unstreitig, dass die vorliegende Rechtssache einen Fall der Durchführung des Rechts der Union durch einen Mitgliedstaat im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta betrifft. Deshalb ist der durch Art. 47 gewährte Schutzstandard einzuhalten(60).
a) Äquivalenz
96. Der Äquivalenzgrundsatz erfordert, dass die Regeln, die für Klagen wegen der Verletzung von Unionsrecht gelten, die gleiche (oder nicht weniger günstige) Anwendung finden wie die Regeln, die für vergleichbare Klagen bezüglich innerstaatlichen Rechts gelten(61).
97. Nichts in dem Vorbringen, das dem Gerichtshof dargelegt wurde, deutet darauf hin, dass dieser Grundsatz verletzt wurde. In dieser Rechtssache geht es darum, dass der Rechtsschutz für eine Gruppe von Personen (Familienangehörige im weiteren Sinne) anders ausgestaltet ist als für eine andere Gruppe von Personen, die ihre Rechte aus dem Unionsrecht ableiten (Familienangehörige im engen Sinne). Ein solcher Vergleich liegt außerhalb des Anwendungsbereichs des Äquivalenzgrundsatzes, da sich beide Personengruppen aus dem Unionsrecht ergeben(62).
98. Frau Banger hat jedoch in der Verhandlung ausgeführt, der Ausschluss eines Rechts auf „appeal“ für in dauerhafter Beziehung zu Unionsbürgern stehende Lebenspartner (als Familienangehörige im weiteren Sinne) stelle eine unterschiedliche Behandlung gegenüber den in dauerhafter Beziehung zu britischen Staatsbürgern stehenden Lebenspartnern dar, vermutlich gegenüber denen, die ihre Freizügigkeitsrechte nicht ausüben. Da dieses Argument nicht weiter ausgeführt wurde, ist es dem Gerichtshof nicht möglich, die innerstaatlichen Ansprüche festzustellen, hinsichtlich derer die Einhaltung des Äquivalenzgrundsatzes untersucht werden könnte. Es bleibt daher Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob die Ansprüche, die bestehen, wenn Familienangehörigen im weiteren Sinne (sowohl aufgrund der Richtlinie als auch in Bezug auf die entsprechende Anwendung auf Familienangehörige im weiteren Sinne von „zurückkehrenden Bürgern“) Aufenthaltskarten verweigert werden, weniger günstig behandelt werden als vergleichbare Ansprüche nach innerstaatlichem Recht.
b) Effektivität
99. Nach dem Vertrag von Lissabon ist die Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes unter zwei Überschriften in Erscheinung getreten: Effektivität als eine der doppelten Voraussetzungen im Rahmen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten sowie Effektivität als Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art. 47 der Charta.
100. Es ist noch nicht geklärt, in welchem Verhältnis diese beiden Formen der Effektivität zueinander stehen(63). In praktischer Hinsicht vermag ich jedoch nicht zu erkennen, was tatsächlich Art. 47 der Charta im Bereich der gerichtlichen Rechtsbehelfe hinzufügen würde, was nicht bereits Teil des Effektivitätsgrundsatzes war (oder vielmehr nicht Teil desselben hätte sein können, wenn sich die Frage je ergeben hätte). Dies ist zweifellos der Fall, wenn der Effektivitätsgrundsatz so verstanden würde, dass er nicht nur daran hindert, die Durchsetzung eines unionsrechtlichen Anspruchs unmöglich zu machen, sondern auch daran, sie übermäßig zu erschweren. Es mag daran erinnert werden, dass beide Formen der Effektivität naturgemäß lediglich im Rahmen des Unionsrechts und in Bezug auf tatsächlich auf Unionsrecht basierende Ansprüche Anwendung fanden.
101. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da Art. 47 seit Inkrafttreten der Charta wohl zunehmend an Bedeutung gewinnt(64). Der Rechtsprechung des Gerichtshofs dürfte nämlich zu entnehmen sein, dass Art. 47 der Charta zurzeit höhere Anforderungen stellt als der Effektivitätsgrundsatz. Die Frage, inwieweit sich dies aus dem Wortlaut des Art. 47 der Charta selbst ergibt bzw. inwieweit dieser Umstand die natürliche und einfache Folge der neueren Rechtsprechung nach Lissabon ist, die auf diesen Artikel gestützt und weiterentwickelt wird, mag der wissenschaftlichen Diskussion überlassen bleiben. Die wesentlichen Elemente der Rechtsprechung lassen sich wie folgt zusammenfassen.
102. Im Zusammenhang mit dem Effektivitätsgrundsatz als Grenze der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten hat der Gerichtshof entschieden, dass die Gerichte nicht unter allen Umständen ermächtigt sein müssen, die vorgenommene Würdigung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht durch ihre eigene Würdigung zu ersetzen(65). Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zeigt, dass eine gerichtliche Kontrolle, die Beschränkungen in Bezug auf die Beurteilung bestimmter tatsächlicher Fragen unterliegt, die Ausübung der von der Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht immer praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert(66). Worauf es ankommt, ist, dass nationale Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung „dem mit einer Anfechtungsklage gegen eine solche Entscheidung befassten Gericht ermöglichen, im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung die maßgebenden Grundsätze und Vorschriften des Unionsrechts tatsächlich anzuwenden“(67). Umfang und Intensität der nach dem Effektivitätsgrundsatz erforderlichen gerichtlichen Kontrolle sind von Inhalt und Art der relevanten unionsrechtlichen Grundsätze und Vorschriften abhängig, die durch die angefochtene nationale Entscheidung umgesetzt werden.(68)
103. Die Verpflichtung zur Vornahme einer umfassenderen gerichtlichen Prüfung, die eine Sach- und Rechtsprüfung beinhaltet, wird deutlicher im Hinblick auf die Anforderungen aus Art. 47 der Charta, sofern eine solche Prüfung bei angemessener Würdigung der Umstände des Einzelfalls relevant ist. Insbesondere was das Recht auf Zugang zu einem Gericht angeht, hat der Gerichtshof festgestellt, dass „ein ‚Gericht‘ nur dann nach Maßgabe von Art. 47 der Charta über Streitigkeiten in Bezug auf Rechte und Pflichten aus dem Unionsrecht entscheiden kann, wenn [dieses Gericht] über die Befugnis verfügt, alle für die bei ihm anhängigen Streitigkeiten relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen zu prüfen“(69). Im Zusammenhang mit Verwaltungshandeln hat der Gerichtshof außerdem entschieden, aus dem im zweiten Absatz von Art. 47 niedergelegten Recht auf Verhandlung vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht folge, dass „die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde, die die Voraussetzungen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht selbst erfüllt, einer späteren Kontrolle durch ein Gericht unterliegt, das insbesondere befugt sein muss, sich mit allen relevanten Fragen zu befassen“(70).
104. Die Einhaltung des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz ist daher im Hinblick auf den besonderen Kontext und die maßgeblichen Umstände jedes Einzelfalls zu prüfen, „insbesondere des Inhalts des betreffenden Rechtsakts, des Kontexts seines Erlasses sowie der Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet“(71). Deshalb hat der Gerichtshof unter Berücksichtigung der besonderen unionsrechtlichen Vorschriften und des besonderen Inhalts der in Rede stehenden Rechte und Interessen darauf bestanden, dass eine gründliche Prüfung der Entscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erforderlich sei, insbesondere insoweit, als die in Rede stehenden Instrumente bereits einige harmonisierte Verfahrensvorschriften enthielten(72).
105. Abschließend könnte auch die Rechtsprechung des EGMR zur Auslegung der Art. 6 und 13 EMRK weitere allgemeine Inspiration(73) bieten. Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK ist bei der Beurteilung der Frage, ob einem Antragsteller hinreichende gerichtliche Kontrolle zur Verfügung stand, auf die Befugnisse des betreffenden Rechtsprechungsorgans und Faktoren wie die folgenden abzustellen: „(a) auf den Gegenstand der angefochtenen Entscheidung, insbesondere ob es sich um ein Spezialgebiet handelt, welches Fachkenntnis oder Berufserfahrung erfordert, und ob diese eine behördliche Ermessensausübung beinhaltete, und falls ja, inwieweit; (b) auf die Art und Weise, in der die Entscheidung getroffen wurde, insbesondere die im Verfahren vor dem entscheidenden Organ zur Verfügung stehenden Verfahrensgarantien, sowie (c) auf den Gegenstand des Streits, unter anderem die gewünschte rechtliche Abhilfe und ihre Begründung in tatsächlicher Hinsicht“(74).
106. Angesichts dieser Faktoren lohnt es, zu betonen, dass der EGMR die nach englischem Recht gegebene gerichtliche Kontrolle mehrfach für hinreichend befunden hat(75). Der EGMR hat jedoch Verletzungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt, wenn dem die Kontrolle ausübenden Gericht die Entscheidung über den zentralen Streitgegenstand verwehrt war oder wenn die nationalen Gerichte sich an die früheren Feststellungen der Verwaltungsorgane, die für das Ergebnis der ihnen vorliegenden Fälle entscheidend waren, gebunden fühlten, ohne eine unabhängige Überprüfung des Streitgegenstands vorzunehmen(76).
107. Anstelle einer Schlussfolgerung sind zwei (miteinander zusammenhängende) Punkte hervorzuheben. Erstens: Die allgemeine Aussage der Rechtsprechung zu Umfang und Gründlichkeit der Überprüfung lässt sich wohl am besten auf den Punkt bringen mit der Formulierung: Es kommt auf mehrere Faktoren an – und zwar auf den besonderen Inhalt der auf dem Unionsrecht basierenden Rechte und Ansprüche, so wie diese in den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften niedergelegt sind und in einem bestimmten Zusammenhang auf den Streitgegenstand bezogen verstanden werden. Zweitens: Je stärker die (verfahrensrechtlichen) Vorschriften im Unionsrecht selbst harmonisiert sind, desto gründlicher dürfte die Prüfung auf nationaler Ebene durchzuführen sein. Umgekehrt gilt (wie in so vielen anderen Bereichen des Unionsrechts): Je weniger explizit die unionsrechtlichen Bestimmungen zu der Frage sind, desto mehr Spielraum wird den Mitgliedstaaten für die Gestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes eröffnet.
3. Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38
108. Welche spezifischen Ansprüche werden somit in der vorliegenden Rechtssache durch die maßgeblichen unionsrechtlichen Vorschriften gewährt? Wie in der Rechtssache Rahman festgestellt wurde, gewährt Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum(77). Dieses Ermessen ist jedoch nicht unbeschränkt. Die Kommission hat zu Recht ausgeführt, dass dieses Ermessen die Auswahl der Faktoren und Bedingungen betrifft, die die Mitgliedstaaten – in Erfüllung ihrer Pflicht zum Erlass innerstaatlicher Vorschriften – zur Regelung der Erleichterung von Einreise und Aufenthalt der Familienangehörigen im weiteren Sinne vornehmen. Dieses Ermessen erstreckt sich auch auf die konkrete Würdigung der Tatsachen, die für die Beurteilung, ob die Bedingungen erfüllt sind, relevant sind.
109. Dieses Ermessen ist jedoch nicht als undurchsichtige „Blackbox“ zu verstehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss die gerichtliche Überprüfung, auch wenn den zuständigen Behörden Ermessen eingeräumt ist, feststellen, ob die Entscheidung auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht und ob die Verfahrensgarantien gewahrt wurden(78). Zur Prüfung, ob die dem Ermessen durch die Richtlinie gesetzten Grenzen eingehalten wurden, müssen die nationalen Gerichte alle prozessualen Aspekte sowie die materiellen Teile der Entscheidung, auch die tatsächliche Grundlage, überprüfen können(79).
110. Auch in dieser Hinsicht hat das Urteil Rahman bereits eine solide Grundlage gelegt: Wer einen Antrag gemäß Art. 3 Abs. 2 stellt, „hat … das Recht, durch ein Gericht überprüfen zu lassen, ob sich die nationale Regelung und deren Anwendung in den Grenzen des von der Richtlinie definierten Ermessensspielraums halten“(80). Auch wenn die Richtlinie einen weiten Ermessensspielraum lässt, muss es doch für die nationalen Gerichte möglich sein, die Vereinbarkeit der nationalen Entscheidung mit den in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie niedergelegten Verpflichtungen zu überprüfen.
111. Aus Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie ergibt sich, dass über das Erfordernis der Erleichterung hinaus im Wesentlichen drei Elemente gerichtlich überprüfbar sein müssen: dass die zu überprüfende Entscheidung das Ergebnis einer eingehenden Untersuchung ist (i), was sich logischerweise in den Gründen widerspiegeln muss, die gegebenenfalls zur Begründung der Ablehnung der Einreise oder des Aufenthalts angeführt werden (ii). Des Weiteren muss die Untersuchung den persönlichen Umständen Rechnung tragen, wozu auch die Beziehung zum Unionsbürger und das Abhängigkeitsverhältnis zählen (iii).
112. Alle diese Elemente müssen durch ein Gericht überprüfbar sein. Falls das nationale Gericht dies für erforderlich hält, muss es befugt sein, die wesentlichen relevanten Tatsachen zu überprüfen, auf die die Verwaltungsentscheidung gestützt wird(81). Es muss ihm möglich sein, zu beurteilen, ob die von der Verwaltung angeführten Gründe die Vorgaben des innerstaatlichen Rechts ordnungsgemäß erfüllen, und zwar innerhalb der durch die Richtlinie 2004/38 gesetzten Grenzen. Es muss auch möglich sein, zu beurteilen, ob die Begründung hinreichend und angemessen ist. Insbesondere muss es möglich sein, zu beurteilen, ob die für die einschlägigen Kriterien relevanten besonderen persönlichen Umstände ordnungsgemäß untersucht wurden.
113. Umgekehrt gilt jedoch meines Erachtens, sofern alle diese Elemente überprüft und diese Anforderungen verletzende Verwaltungsentscheidungen aufgehoben werden können, dass ein wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 47 der Charta nicht erfordert, dass das die Überprüfung vornehmende Gericht befugt sein muss, in eine neue Beweiserhebung einzutreten. Genauso wenig erforderlich ist die Ermittlung von Tatsachen, die der Verwaltungsbehörde nicht vorgetragen wurden, oder die Befugnis, die Verwaltungsentscheidung ohne Weiteres durch das eigene Urteil zu ersetzen.
114. Es ist Sache des für die Auslegung nationalen Rechts allein zuständigen vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob und inwieweit das Verfahren des „judicial review“ im Ausgangsverfahren diesen Anforderungen genügt.
4. Zwischenergebnis
115. Nach alledem ist die vierte Vorlagefrage meiner Meinung nach so zu beantworten, dass Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 in Einklang mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er eine wirksame gerichtliche Überprüfung der Entscheidung über die Ablehnung der Einreise oder des Aufenthalts von Familienangehörigen im weiteren Sinne erfordert. Es ist Sache des zuständigen nationalen Gerichts, zu prüfen, ob das nach dem innerstaatlichen Recht zur Verfügung stehende Verfahren des „judicial review“ diese Anforderung erfüllt.
V. Ergebnis
116. Nach alledem schlage ich vor, dass der Gerichtshof die vom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber), London (Obergericht [Kammer für Einwanderung und Asyl] London, Vereinigtes Königreich) vorgelegten Fragen wie folgt beantwortet:
– Art. 21 Abs. 1 und Art. 45 AEUV sind dahin auszulegen, dass in den Fällen, in denen ein Unionsbürger während der Ausübung seiner Aufenthaltsrechte in einem anderen Mitgliedstaat ein Familienleben entwickelt oder gefestigt hat, die Erleichterungsregelung, die in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG vorgesehen ist, bei der Rückkehr des Unionsbürgers in seinen Herkunftsmitgliedstaat auf den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger eine dauerhafte Beziehung eingegangen ist, entsprechend anwendbar ist. Dies bedeutet, dass der Mitgliedstaat verpflichtet ist, dem Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist, die Einreise und den Aufenthalt nach Maßgabe der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsvorschriften im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie zu erleichtern.
– Wenn ein Unionsbürger nach Ausübung seiner Aufenthaltsrechte in einem anderen Mitgliedstaat, wo er sein Familienleben mit einem Lebenspartner entwickelt oder gefestigt hat, mit dem er eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist, in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrt, ist es gemäß Art. 21 Abs. 1 und Art. 45 AEUV erforderlich, dass der Herkunftsmitgliedstaat bei der Entscheidung über die Einreise und den Aufenthalt dieses Lebenspartners nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 eine eingehende Untersuchung ihrer persönlichen Umstände vornimmt und die etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts begründet.
– Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ist in Einklang mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er eine wirksame gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen, durch die Familienangehörigen im weiteren Sinne die Einreise oder der Aufenthalt verweigert wird, erfordert. Es ist Sache des zuständigen nationalen Gerichts, zu prüfen, ob das nach dem innerstaatlichen Recht zur Verfügung stehende Verfahren des „judicial review“ diese Anforderung erfüllt.