Language of document : ECLI:EU:T:2021:904

URTEIL DES GERICHTS (Zehnte erweiterte Kammer)

15. Dezember 2021(*)

„Staatliche Beihilfen – Stützungsmaßnahmen Rumäniens zugunsten eines petrochemischen Unternehmens – Nichtbeitreibung, weitere Anhäufung und Erlass von öffentlichen Forderungen – Nichtigkeitsklage – Klagefrist – Beginn – Art. 24 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/1589 – Rechtsschutzinteresse – Vorliegen einer oder mehrerer Maßnahmen – Staatliche Mittel – Zurechenbarkeit an den Staat – Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Gläubigers – Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers – Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑565/19,

Oltchim SA mit Sitz in Râmnicu Vâlcea (Rumänien), vertreten durch Rechtsanwälte C. Arhold, L.‑A. Bondoc, S.‑E. Petrisor und K. Struckmann,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch V. Bottka und F. Tomat als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf teilweise Nichtigerklärung des Beschlusses (EU) 2019/1144 der Kommission vom 17. Dezember 2018 über die staatliche Beihilfe SA.36086 (2016/C) (ehemals 2016/NN) Rumäniens zugunsten der Oltchim SA (ABl. 2019, L 181, S. 13) erlässt

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov (Berichterstatter), des Richters E. Buttigieg, der Richterin K. Kowalik-Bańczyk sowie der Richter G. Hesse und D. Petrlík,

Kanzler: P. Cullen, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2021

folgendes

Urteil

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

A.      Tatsächlicher Kontext und Verwaltungsverfahren

1        Die Klägerin, die im Jahr 1966 gegründete Oltchim SA, an der Rumänien eine Kapitalbeteiligung von 54,8 % hält, war eines der größten petrochemischen Unternehmen Rumäniens und Südosteuropas. Ihre Tätigkeit bestand in der Herstellung petrochemischer Produkte, vor allem von flüssiger Natronlauge, Propylenoxid-Polyolen, Weichmachern und Oxo-Alkoholen.

2        Im Zeitraum von 2007 bis 2012 verschlechterte sich die finanzielle Lage der Klägerin insofern, als sie einen systematischen Anstieg ihrer Betriebsverluste, ihrer kumulierten Verluste und ihres negativen Eigenkapitals verzeichnete.

3        Um Abhilfe zu schaffen, meldete Rumänien am 17. Juli 2009 bei der Kommission u. a. eine Stützungsmaßnahme an, die in der Umwandlung von Verbindlichkeiten von Oltchim gegenüber der öffentlichen Hand in Eigenkapitalbeteiligungen bestand. Am 7. März 2012 stellte die Kommission im Beschluss 2013/246/EU über die staatliche Beihilfe SA.29041 (C 28/2009, ex N 433/2009) Stützungsmaßnahmen zugunsten der Oltchim SA Râmnicu Vâlcea (ABl. 2013, L 148, S. 33, im Folgenden: Beschluss von 2012) fest, dass die Umwandlung der Schulden der Klägerin in Eigenkapitalbeteiligungen in Höhe von 1 049 000 000 rumänischen Lei (RON) (etwa 231 Mio. Euro) keine staatliche Beihilfe darstelle.

4        Am 23. November 2012 schlossen das rumänische Finanzministerium, das rumänische Wirtschaftsministerium, das rumänische Ministerium für Verkehr und Infrastruktur, das Oficiul Participațiilor Statului și Privatizării în Industrie (Büro für staatliche Beteiligungen und Privatisierungen in der Industrie, Rumänien) und die Autoritatea pentru Valorificarea Activelor Statului (Behörde für die Bewertung des Staatsvermögens, Rumänien), wobei Letztere in der Folge in Autoritatea pentru Administrarea Activelor Atatului (Behörde für die Verwaltung des Staatsvermögens, Rumänien, im Folgenden: AAAS) umbenannt wurde, sowie vier öffentliche Gläubigerunternehmen der Klägerin, nämlich die Electrica SA, die Salrom SA, die CFR Marfă SA und die CEC Bank SA, und zwei private Gläubigerbanken der Klägerin, nämlich die Banca Transilvania SA und die Banca Comercială Română SA, wobei Letztere später zur Erste Bank wurde, mit der Klägerin eine Vereinbarung (im Folgenden: Vereinbarung) über die Finanzierung der Wiederaufnahme der Produktion der Klägerin.

5        Nachdem die Kommission von der Existenz der Vereinbarung durch die Presse erfahren hatte, leitete sie am 16. Januar 2013 von Amts wegen eine Untersuchung ein.

6        Am 30. Januar 2013 trat die Klägerin auf eigenen Wunsch in ein Insolvenzverfahren ein. Im Rahmen dieses Verfahrens erstellte der gerichtlich bestellte Insolvenzverwalter am 9. Januar 2015 die endgültige Liste der Gläubiger, aus der der Betrag, die Priorität und der Status der einzelnen Forderungen ersichtlich werden, und legte sie der zuständigen nationalen Justizbehörde vor.

7        Am 9. März 2015 nahmen die Gläubiger der Klägerin einen Plan zur Umstrukturierung des Unternehmens an, der im Wesentlichen deren Verkauf an einen neuen Investor vorsah, der ihre Vermögenswerte bzw. Geschäfte übernehmen sollte (im Folgenden: Umstrukturierungsplan oder Plan). Der angenommene Plan sah zudem einen teilweisen Erlass der Schulden der Klägerin vor. Am 22. April 2015 billigte die zuständige nationale Justizbehörde den Umstrukturierungsplan, indem sie den teilweisen Erlass der Schulden der Klägerin, die Gründung eines neuen Unternehmens (Oltchim SPV) und die Übertragung sämtlicher tragfähiger Vermögenswerte der Klägerin auf die Oltchim SPV annahm. Der Umstrukturierungsplan wurde am 24. September 2015 endgültig.

8        Am 8. April 2016 unterrichtete die Kommission Rumänien über ihren Beschluss, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten.

9        Am 6. März 2017 nahmen die Gläubiger der Klägerin einen überarbeiteten Umstrukturierungsplan an, der die Veräußerung gebündelter Vermögenswerte der Klägerin und nicht mehr die Einrichtung einer neuen Gesellschaft vorsah. Dieser überarbeitete Plan wurde von der zuständigen nationalen Justizbehörde am 28. Juni 2017 bestätigt und am 16. Oktober 2017 rechtskräftig. Nach diesem überarbeiteten Plan wurden die meisten Bündel von Vermögenswerten der Klägerin an die Gesellschaft Chimcomplex und ein anderes Bündel an die Gesellschaft Dynamic Selling Group verkauft, während für die verbleibenden Bündel im Mai 2018 eine neue Ausschreibung durchgeführt wurde.

B.      Angefochtener Beschluss

10      Am 17. Dezember 2018 erließ die Kommission den Beschluss (EU) 2019/1144 über die staatliche Beihilfe SA.36086 (2016/C) (ehemals 2016/NN) Rumäniens zugunsten der Oltchim SA (ABl. 2019, L 181, S. 13, im Folgenden: angefochtener Beschluss).

11      Im angefochtenen Beschluss prüfte die Kommission die Einstufung der folgenden drei Maßnahmen als staatliche Beihilfen und ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt:

–        die Nichtbeitreibung und weitere Anhäufung von Verbindlichkeiten der Klägerin durch die AAAS zwischen September 2012 und Januar 2013 (im Folgenden: Maßnahme 1);

–        die Unterstützung der Geschäftstätigkeiten von Oltchim durch weitere unbezahlte Lieferungen zwischen September 2012 und Januar 2013 durch CET Govora und Salrom (im Folgenden: Maßnahme 2);

–        der Schuldenerlass im Jahr 2015, dem die AAAS, die Administrația Națională Apele Române (nationale rumänische Wasserbehörde, im Folgenden: ANE), Salrom, Electrica und CET Govora auf der Grundlage des Umstrukturierungsplans zustimmten (im Folgenden: Maßnahme 3).

12      In Abschnitt 6.1 des angefochtenen Beschlusses (Erwägungsgründe 183 bis 301) hat die Kommission den Schluss gezogen, dass die oben in Rn. 11 genannten Maßnahmen mit Ausnahme der Unterstützung der Geschäftstätigkeiten der Klägerin durch Salrom im Rahmen der Maßnahme 2 und des Schuldenerlasses im Jahr 2015 auf der Grundlage des Umstrukturierungsplans durch CET Govora im Rahmen der Maßnahme 3 staatliche Beihilfen darstellten. Gemäß diesem Beschluss wurden die als staatliche Beihilfen eingestuften Maßnahmen unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt und waren daher rechtswidrig.

13      In Abschnitt 6.2 des angefochtenen Beschlusses (Erwägungsgründe 302 bis 310) kam die Kommission zu dem Schluss, dass die staatlichen Beihilfen mit dem Binnenmarkt unvereinbar seien.

14      In den Abschnitten 6.3 (Erwägungsgründe 311 bis 315) und 6.4 (Erwägungsgründe 316 bis 351) des angefochtenen Beschlusses vertrat die Kommission die Ansicht, dass die rumänischen Behörden die Beträge, die den in Rede stehenden Beihilfemaßnahmen entsprächen, zurückfordern müssten, wobei diese Rückforderung jedoch nicht auf die Erwerber der Vermögenswerte der Klägerin ausgedehnt werden könne, da zwischen ihr und ihnen keine wirtschaftliche Kontinuität bestehe.

15      Art. 1 des angefochtenen Beschlusses bestimmt:

„Die folgenden Maßnahmen, die Gegenstand des vorliegenden Beschlusses sind und von Rumänien unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV rechtswidrig durchgeführt wurden, stellen zusammen und getrennt voneinander staatliche Beihilfen dar:

a)      die Nichtbeitreibung und weitere Anhäufung von Verbindlichkeiten [durch die AAAS] zwischen September 2012 und Januar 2013;

b)      die Unterstützung der Geschäftstätigkeiten von Oltchim durch weitere unbezahlte Lieferungen und die weitere Anhäufung von Schulden seit September 2012 durch CET Govora ohne geeignete Maßnahmen zum Schutz der Forderungen von CET Govora in dem Umfang, der zusammen mit Rumänien während der Einziehungsphase festzulegen ist;

c)      der Schuldenerlass, dem die AAAS, die [ANE], Salrom und die Electrica SA auf der Grundlage des Umstrukturierungsplans zustimmten, in Höhe des Gesamtbetrags von 1 516 598 405 RON, zusammen mit dem in Artikel 1 Buchstabe a angegebenen Betrag.“

16      Art. 2 des angefochtenen Beschlusses lautet:

„Die folgenden Maßnahmen, die Gegenstand dieses Beschlusses sind, stellen keine staatlichen Beihilfen im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV dar:

a)      die Unterstützung der Geschäftstätigkeiten von Oltchim durch weitere Lieferungen von Salrom seit September 2012;

b)      der Schuldenerlass im Jahr 2015 auf der Grundlage des Umstrukturierungsplans [durch] CET Govora.“

17      Art. 3 des angefochtenen Beschlusses lautet:

„Die in Artikel 1 Buchstaben a und c genannten staatlichen Beihilfen in Höhe von insgesamt 1 516 598 405 … RON sowie die in Artikel 1 Buchstabe b genannten staatlichen Beihilfen, die Rumänien unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV zugunsten von Oltchim rechtswidrig gewährt hat, sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar.“

18      In den Art. 4 und 5 des angefochtenen Beschlusses gab die Kommission Rumänien auf, die in Art. 1 dieses Beschlusses genannten Beihilfen von der Klägerin mit sofortiger Wirkung zurückzufordern, wobei der angefochtene Beschluss innerhalb von sechs Monaten nach seiner Bekanntgabe vollständig umgesetzt werden sollte. In Art. 6 des angefochtenen Beschlusses gab die Kommission Rumänien auf, ihr bestimmte Informationen zu übermitteln und sie über den Fortgang seiner Maßnahmen zur Umsetzung des angefochtenen Beschlusses zu unterrichten. In Art. 7 des angefochtenen Beschlusses gab die Kommission an, dass dieser Beschluss an Rumänien gerichtet sei und dass die Kommission die Beihilfebeträge und die Rückforderungszinsen, die gemäß diesem Beschluss zurückzuzahlen seien, veröffentlichen könne.

II.    Verfahren und Anträge der Parteien

19      Mit Klageschrift, die am 14. August 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

20      Am 3. Dezember 2019 hat die Kommission ihre Klagebeantwortung eingereicht.

21      Am 21. Februar 2020 hat die Klägerin die Erwiderung eingereicht.

22      Am 25. Mai 2020 hat die Kommission die Gegenerwiderung eingereicht.

23      Am 19. Juni 2020 hat die Klägerin gemäß Art. 106 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts einen begründeten Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt.

24      Mit Schreiben der Kanzlei vom 19. März 2021 hat das Gericht im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 der Verfahrensordnung schriftliche Fragen an die Parteien gerichtet, die diese fristgerecht beantwortet haben.

25      Die Parteien haben in der Sitzung vom 7. Mai 2021 mündlich verhandelt und die vom Gericht mündlich gestellten Fragen beantwortet.

26      Die Klägerin beantragt,

–        Art. 1 und die Art. 3 bis 7 des angefochtenen Beschlusses für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

27      Die Kommission beantragt,

–        die Klage als unzulässig abzuweisen;

–        hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

A.      Zur Zulässigkeit der Klage

28      Die Kommission erhebt gegen die vorliegende Klage zwei Einreden der Unzulässigkeit, die erstens die Verspätung der Klage und zweitens das fehlende Rechtsschutzinteresse der Klägerin betreffen.

1.      Zur angeblichen Verspätung der Klage

29      Die Kommission hält die Klage wegen Verspätung für unzulässig. Ihrer Ansicht nach hat die Klagefrist zu dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, zu dem ein Vertreter der Klägerin vom angefochtenen Beschluss Kenntnis erlangte. Im vorliegenden Fall habe die Kommission gemäß Art. 24 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. 2015, L 248, S. 9) mit Einschreiben vom 16. Mai 2019 an die gerichtlich bestellten Insolvenzverwalter der Klägerin, die Rominsolv S.p.r.l. und die BDO – Business Restructuring S.p.r.l., eine nicht vertrauliche Fassung des angefochtenen Beschlusses in rumänischer und in englischer Sprache geschickt. BDO – Business Restructuring habe diese Mitteilung am 30. Mai 2019 erhalten, während Rominsolv sie am 4. Juni 2019 erhalten habe. Somit habe die Klagefrist zu laufen begonnen, als die erste von ihnen von ihm Kenntnis erlangt habe, im vorliegenden Fall am 30. Mai 2019, und nicht erst zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des angefochtenen Beschlusses im Amtsblatt, nämlich am 5. Juli 2019, so dass die Frist für die Erhebung der vorliegenden Klage am 12. August 2019 abgelaufen sei. Da die Klageschrift am 14. August 2019 eingereicht worden sei, sei die Klage wegen Verspätung unzulässig.

30      Die Klagefrist nach Art. 263 Abs. 6 AEUV beginne nur dann mit der Veröffentlichung der angefochtenen Handlung im Amtsblatt zu laufen, wenn diese Veröffentlichung eine Voraussetzung für das Inkrafttreten oder die Wirksamkeit dieses Rechtsakts und im AEU‑Vertrag vorgesehen sei. Von der Kommission nach Art. 9 der Verordnung 2015/1589 erlassene Beschlüsse wie der angefochtene Beschluss würden durch ihre Bekanntgabe an den betreffenden Mitgliedstaat, der ihr einziger Adressat sei, wirksam und nicht durch ihre Veröffentlichung im Amtsblatt. Daher stelle die Veröffentlichung eines solchen Beschlusses im Amtsblatt nach Art. 32 Abs. 3 dieser Verordnung keine Bekanntgabe bzw. Veröffentlichung im Sinne von Art. 263 Abs. 6 AEUV, sondern eine bloße Kenntnisnahme dieses Beschlusses im Sinne der letztgenannten Vorschrift dar. Folglich beginne im Bereich der staatlichen Beihilfen die Klagefrist entweder mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses, was den Mitgliedstaat betreffe, an den dieser gerichtet sei, oder mit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme dieses Beschlusses, was die Beteiligten betreffe, zu laufen. Liege der Zeitpunkt des Eingangs der Mitteilung des angefochtenen Beschlusses bei den Beteiligten nach Art. 24 Abs. 1 der Verordnung 2015/1589 vor dem seiner Veröffentlichung im Amtsblatt, beginne die Klagefrist daher mit diesem ersten Zeitpunkt zu laufen.

31      Die Kommission räumt ein, dass die von ihr befürwortete Auslegung von Art. 263 Abs. 6 AEUV im Widerspruch zur langjährigen Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Union stehe. Wie sie jedoch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat, macht sie geltend, dass das Gericht diese Rechtsprechung insbesondere im Licht des Urteils vom 17. Mai 2017, Portugal/Kommission (C‑339/16 P, EU:C:2017:384), und der Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Georgsmarienhütte u. a. (C‑135/16, EU:C:2018:120) überdenken müsse, die ihre Auslegung dieser Vorschrift bestätigten.

32      Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen.

33      Nach Art. 263 Abs. 6 AEUV ist eine Nichtigkeitsklage binnen zwei Monaten zu erheben, wobei diese Frist je nach Lage des Falles von der Bekanntgabe der betreffenden Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem dieser von dieser Handlung Kenntnis erlangt hat, läuft.

34      Mitteilung im Sinne von Art. 263 Abs. 6 AEUV ist der Vorgang, durch den der Urheber eines Rechtsakts diesen dem oder den Adressaten übermittelt und es ihnen somit ermöglicht, von ihm Kenntnis zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2018, LL/Parlament, C‑326/16 P, EU:C:2018:83, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass Rumänien, wie aus Art. 7 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, der einzige Adressat des angefochtenen Beschlusses war. Da die Klägerin nicht dessen Adressatin war, stellt seine gemäß Art. 24 Abs. 1 der Verordnung 2015/1589 erfolgte Übermittlung an die Klägerin mithin keine Mitteilung im Sinne von Art. 263 Abs. 6 AEUV dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2005, Olsen/Kommission, T‑17/02, EU:T:2005:218, Rn. 75 und 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob unter den Umständen des vorliegenden Falles der Beginn der Klagefrist in Bezug auf die Klägerin in Anwendung des Kriteriums der Veröffentlichung oder in Anwendung des Kriteriums der Kenntnisnahme von der Handlung im Sinne von Art. 263 Abs. 6 AEUV zu bestimmen ist.

37      Insoweit ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 263 Abs. 6 AEUV und insbesondere aus dem Ausdruck „in Ermangelung dessen“, dass das Kriterium des Zeitpunkts, zu dem der Kläger von der Handlung Kenntnis erlangt hat, subsidiären Charakter gegenüber dem Zeitpunkt der Bekanntgabe hat (vgl. in diesem Sinn Urteile vom 10. März 1998, Deutschland/Rat, C‑122/95, EU:C:1998:94, Rn. 35, und vom 11. März 2009, TF1/Kommission, T‑354/05, EU:T:2009:66, Rn. 33). Somit ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe, wenn es einen gibt, gegenüber dem der Kenntnisnahme vom Rechtsakt das entscheidende Kriterium für die Bestimmung des Beginns der Klagefrist (Beschluss vom 25. November 2008, S.A.BA.R./Kommission, C‑501/07 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:652, Rn. 22, und Urteil vom 11. November 2010, Transportes Evaristo Molina/Kommission, C‑36/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:670, Rn. 37).

38      Das Gericht hatte bereits Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass in Bezug auf Handlungen, die nach einer ständigen Praxis des betreffenden Organs im Amtsblatt bekannt gegeben werden, obwohl diese Bekanntgabe keine Voraussetzung für ihre Anwendbarkeit ist, das Kriterium des Zeitpunkts der Kenntnisnahme nicht anwendbar ist, sondern der Zeitpunkt der Bekanntgabe die Klagefrist in Lauf gesetzt hat. Unter solchen Umständen kann der betroffene Dritte nämlich zu Recht mit der Bekanntgabe der fraglichen Handlung rechnen. Diese Lösung, die der Rechtssicherheit dient und auf alle betroffene Dritte anwendbar ist, gilt insbesondere, wenn der klagende Dritte Kenntnis von der betreffenden Handlung vor deren Bekanntgabe hatte (vgl. Urteil vom 11. März 2009, TF1/Kommission, T‑354/05, EU:T:2009:66, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Die oben in Rn. 38 angeführte Rechtsprechung gilt erst recht für Rechtsakte, deren Veröffentlichung im Amtsblatt durch das Unionsrecht vorgeschrieben ist. Dies ist hier der Fall, da Art. 32 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 die Veröffentlichung von Beschlüssen der Kommission, die u. a. nach Art. 9 dieser Verordnung erlassen wurden, im Amtsblatt verlangt. Aufgrund dieser Verpflichtung wurde eine nicht vertrauliche Fassung des angefochtenen Beschlusses in vollem Umfang im Amtsblatt vom 5. Juli 2019 (ABL. 2019, L 181, S. 13) veröffentlicht.

40      Die Kommission macht allerdings geltend, das Gericht sollte diese Rechtsprechung überdenken. Das Kriterium der Bekanntgabe im Sinne von Art. 263 Abs. 6 AEUV betreffe nur den Fall, dass die Veröffentlichung der angefochtenen Handlung im Amtsblatt eine Voraussetzung für ihr Inkrafttreten oder ihre Wirksamkeit sei und dass sie im AEU‑Vertrag vorgesehen sei.

41      Um zu prüfen, ob die bestehende Rechtsprechung in dem von der Kommission befürworteten Sinne zu überdenken ist, ist in einem ersten Schritt die Auslegung von Art. 263 Abs. 6 AEUV und sind in einem zweiten Schritt die möglichen Auswirkungen des Urteils vom 17. Mai 2017, Portugal/Kommission (C‑339/16 P, EU:C:2017:384), und der Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Georgsmarienhütte u. a. (C‑135/16, EU:C:2018:120), auf die sich die Kommission beruft, auf diese Auslegung zu berücksichtigen.

a)      Zur Auslegung von Art. 263 Abs. 6 AEUV

42      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. März 2018, SNCF Mobilités/Kommission, C‑127/16 P, EU:C:2018:165, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Was zunächst den Wortlaut von Art. 263 Abs. 6 AEUV anbelangt, so ist erstens festzustellen, dass diese Bestimmung den Ausdruck „Bekanntgabe der betreffenden Handlung“ verwendet, ohne hinzuzufügen und ohne zu verlangen, dass eine solche Bekanntgabe notwendigerweise eine Voraussetzung für das Inkrafttreten oder die Wirksamkeit einer solchen Handlung sein muss oder im AEU‑Vertrag vorgesehen sein muss. Der Wortlaut von Art. 263 Abs. 6 AEUV lässt daher nicht erkennen, dass die Verfasser des Vertrags den Begriff der Bekanntgabe im Sinne dieser Vorschrift auf den Fall beschränken wollten, dass die Veröffentlichung eine Voraussetzung für das Inkrafttreten oder die Wirksamkeit der angefochtenen Handlung ist oder dass sie im AEU‑Vertrag vorgesehen ist.

44      Zweitens zeigt die Verwendung des Ausdrucks „in Ermangelung dessen“, dass die Kenntnisnahme von der angefochtenen Handlung bewusst von den Verfassern des Vertrags als Hilfskriterium bezeichnet wurde, das nur anzuwenden ist, wenn die angefochtene Handlung nicht veröffentlicht wird.

45      Sodann bestätigt die systematische und teleologische Auslegung von Art. 263 Abs. 6 AEUV diese Schlussfolgerungen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 263 AEUV, der sich im Sechsten Teil Titel I Kapitel 1 („Die Organe“) Abschnitt 5 („Der Gerichtshof der Europäischen Union“) des AEU‑Vertrags befindet, insbesondere die Voraussetzungen regelt, unter denen die Rechtsunterworfenen bei den Unionsgerichten Klage auf Nichtigerklärung eines Rechtsakts eines Organs, einer Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union erheben können.

46      Die Bestimmungen des AEU-Vertrags über das Klagerecht des Einzelnen dürfen nicht eng ausgelegt werden (Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, S. 222, und Beschluss vom 25. Mai 2004, Schmoldt u. a./Kommission, T‑264/03, EU:T:2004:157, Rn. 59).

47      Die von der Kommission befürwortete Auslegung von Art. 263 Abs. 6 AEUV läuft aber im Wesentlichen darauf hinaus, das Kriterium der Bekanntgabe im Sinne dieser Bestimmung enger auszulegen als es sich aus deren Wortlaut ergibt, indem eine zusätzliche Voraussetzung hinzugefügt wird, wonach die Veröffentlichung eine Voraussetzung für das Inkrafttreten oder die Wirksamkeit der angefochtenen Handlung und im AEU‑Vertrag vorgesehen sein muss. Abgesehen davon, dass sich eine solche zusätzliche Voraussetzung dem Wortlaut von Art. 263 Abs. 6 AEUV nicht entnehmen lässt (vgl. Rn. 43 oben), läuft sie auch dem dieser Vorschrift zugrunde liegenden Ziel zuwider.

48      Das Ziel von Art. 263 Abs. 6 AEUV besteht nämlich darin, die Rechtssicherheit dadurch zu wahren, dass verhindert wird, dass Handlungen der Union, die Rechtswirkungen entfalten, unbegrenzt in Frage gestellt werden können (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 5. September 2019, Fryč/Kommission, C‑230/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:685, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Grundsatz der Rechtssicherheit erfordert, dass die Klagefristen und ihr Beginn hinreichend genau, klar, vorhersehbar und leicht überprüfbar festgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 2010, Uniplex [UK], C‑406/08, EU:C:2010:45, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung). Es liegt nämlich im Interesse der Rechtssicherheit und ganz allgemein der Stabilität der Rechtsordnung der Union, dass der Zeitpunkt, zu dem Rechtsakte der Union rechtskräftig werden, mit Sicherheit bestimmt werden kann, wenn dagegen kein Rechtsbehelf eingelegt wird.

49      In Verfolgung des Ziels der Rechtssicherheit wollten die Verfasser des AEU‑Vertrags dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Handlung als Beginn der Klagefrist den Vorrang vor dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der angefochtenen Handlung geben, da der Zeitpunkt der Bekanntgabe von jedem Beteiligten mit der erforderlichen Sicherheit und zweifelsfrei bestimmt werden kann.

50      Zum einen kann der Zeitpunkt der Kenntnisnahme individuell je nach betroffener Person variieren, so dass der Beginn der Klagefrist und dadurch der Zeitpunkt ihres Ablaufs nicht einheitlich bestimmt werden können. Zum anderen kann der Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der angefochtenen Handlung in bestimmten Fällen schwer zu bestimmen und umstritten sein, da der Nachweis der Kenntnisnahme in hohem Maße von Tatsachen und Indizien abhängt.

51      Die Erfordernisse der Rechtssicherheit gebieten es daher, bei der Bestimmung des Beginns der Klagefrist dem sicheren, vorhersehbaren und leicht überprüfbaren Charakter der Veröffentlichung des Unionsrechtsakts im Amtsblatt den Vorrang zu geben, unabhängig davon, ob diese Veröffentlichung eine Voraussetzung für das Inkrafttreten oder die Wirksamkeit dieses Rechtsakts ist und ob sie im AEU‑Vertrag oder im Sekundärrecht vorgesehen ist.

52      Außerdem sind die Vorschriften über die Klagefristen vom Gericht so anzuwenden, dass nicht nur die Rechtssicherheit, sondern auch die Gleichheit des Einzelnen vor dem Gesetz gewährleistet ist (vgl. Urteil vom 19. Juni 2019, RF/Kommission, C‑660/17 P, EU:C:2019:509, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53      Was den letztgenannten Punkt angeht, ist zwar nicht ausgeschlossen, dass in der Praxis, wie die Kommission zu Recht betont, ein Beteiligter eine Mitteilung des angefochtenen Rechtsakts nach Art. 24 Abs. 1 der Verordnung 2015/1589 mehrere Wochen, ja mehrere Monate vor dessen Veröffentlichung im Amtsblatt erhält, so dass er unter solchen Umständen für die Vorbereitung seiner Klage eine Frist von mehr als zwei Monaten hat und somit über eine längere Frist verfügt als der betreffende Mitgliedstaat.

54      Jedoch hängt eine etwaige zeitliche Lücke zwischen der Mitteilung eines Beschlusses an die Beteiligten nach Art. 24 Abs. 1 der Verordnung 2015/1589 und dessen Veröffentlichung im Amtsblatt weitgehend davon ab, wie schnell die Dienststellen der Kommission die Fassung des betreffenden Beschlusses für die Veröffentlichung erstellen, sowie von etwaigen Verzögerungen bei dessen Veröffentlichung im Amtsblatt. Diese zeitliche Lücke ist daher der Verwaltung oder gar den Umständen geschuldet und keineswegs dem betreffenden Beteiligten zuzuschreiben. Daher ist es Sache der Kommission, dadurch für die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung zu sorgen, dass sie eine solche zeitliche Lücke so weit wie möglich durch geeignete Verwaltungsmaßnahmen verhindert, und nicht durch eine enge Auslegung von Art. 263 Abs. 6 AEUV, wie sie sie befürwortet.

55      Die Kommission kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Auslegung von Art. 263 Abs. 6 AEUV in der oben in den Rn. 37 und 38 angeführten Rechtsprechung Art. 24 Abs. 1 der Verordnung 2015/1589 die praktische Wirksamkeit nehme. Insoweit genügt der Hinweis, dass Art. 24 Abs. 1 dieser Verordnung nicht den Beginn der Klagefrist regeln soll und jedenfalls keine Auswirkungen auf die Auslegung einer Vorschrift des Primärrechts haben kann.

56      Daher ergibt sich aus einer wörtlichen, systematischen und teleologischen Auslegung von Art. 263 Abs. 6 AEUV, dass der Begriff der Bekanntgabe der angefochtenen Handlung als Beginn der Frist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage durch einen Kläger, der nicht Adressat dieser Handlung ist, entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht dahin auszulegen ist, dass er nur auf den Fall abzielt, dass die Veröffentlichung im Amtsblatt eine Voraussetzung für das Inkrafttreten oder die Wirksamkeit der angefochtenen Handlung ist oder dass sie im AEU‑Vertrag vorgesehen ist.

b)      Zu den Auswirkungen des Urteils vom 17. Mai 2017, Portugal/Kommission (C339/16 P), und der Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Georgsmarienhütte u. a. (C135/16)

57      Es ist zu prüfen, ob das Urteil vom 17. Mai 2017, Portugal/Kommission (C‑339/16 P, EU:C:2017:384), und die Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Georgsmarienhütte u. a. (C‑135/16, EU:C:2018:120) die Rechtsprechung in dem von der Kommission in Betracht gezogenen Sinn weiterentwickelt haben.

58      Erstens ist festzustellen, dass die Rechtssache, in der das Urteil vom 17. Mai 2017, Portugal/Kommission (C‑339/16 P, EU:C:2017:384), ergangen ist, eine ganz andere Fallgestaltung betraf als die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende, da es dort um das Verhältnis ging zwischen dem Kriterium der Bekanntgabe und dem der Mitteilung gegenüber einer Rechtsmittelführerin, die Adressatin der angefochtenen Handlung war und der diese zugestellt worden war.

59      In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof die Auffassung vertreten, dass aus Art. 263 Abs. 6 AEUV in Verbindung mit Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 3 AEUV hervorgehe, dass bei Nichtigkeitsklagen die Klagefrist mit der Bekanntgabe beginnt, wenn diese Bekanntgabe, die Voraussetzung für das Inkrafttreten des Rechtsakts ist, im AEU‑Vertrag vorgesehen ist, und in den anderen, in Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 3 AEUV genannten Fällen, unter denen auch die Beschlüsse sind, die an einen bestimmten Adressaten gerichtet sind, mit der Mitteilung beginnt. Die Mitteilung einer Handlung sei für die Bestimmung des Beginns der Klagefrist, die für den Adressaten dieses Rechtsakts gilt, nicht subsidiär zu dessen Bekanntgabe im Amtsblatt (vgl. in diesem Sinne Urteile von 17. Mai 2017, Portugal/Kommission, C‑337/16 P, EU:C:2017:381, Rn. 36, 38 und 40, vom 17. Mai 2017, Portugal/Kommission, C‑338/16 P, EU:C:2017:382, Rn. 36, 38 und 40, und vom 17. Mai 2017, Portugal/Kommission, C‑339/16 P, EU:C:2017:384, Rn. 36, 38 und 40).

60      Der Gerichtshof hat daher auf Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 3 AEUV Bezug genommen, um das Verhältnis zwischen dem Kriterium der Bekanntgabe und dem der Mitteilung an den Mitgliedstaat, an den die angefochtene Handlung gerichtet ist, zu klären. Da Art. 263 Abs. 6 AEUV nicht angibt, ob eines dieser Kriterien Vorrang vor dem anderen hat, hat sich der Gerichtshof auf Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 3 AEUV gestützt, um sie voneinander abzugrenzen.

61      In der vorliegenden Rechtssache geht es hingegen um das Verhältnis zwischen dem Kriterium der Bekanntgabe und dem der Kenntnisnahme in Bezug auf einen Kläger, an den die angefochtene Handlung nicht gerichtet ist. In diesem Fall sieht Art. 263 Abs. 6 AEUV selbst vor, dass das Kriterium der Kenntnisnahme gegenüber dem der Bekanntgabe subsidiär ist.

62      Darüber hinaus deutet nichts darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 17. Mai 2017, Portugal/Kommission (C‑339/16 P, EU:C:2017:384), seine oben in Rn. 37 angeführte Rechtsprechung aufgeben wollte. Vielmehr hat er in Rn. 39 seines Urteils die Erkenntnisse aus Rn. 35 des Urteils vom 10. März 1998, Deutschland/Rat (C‑122/95, EU:C:1998:94), bestätigt, wonach bereits nach dem Wortlaut von Art. 263 Abs. 6 AEUV der Zeitpunkt, zu dem der Kläger von der Handlung Kenntnis erlangt hat, als Beginn der Klagefrist nur subsidiär neben dem Zeitpunkt der Bekanntgabe oder der Mitteilung der Handlung in Betracht kommt.

63      In der Rechtssache, in der das Urteil vom 10. März 1998, Deutschland/Rat (C‑122/95, EU:C:1998:94), ergangen ist, wurde im Wesentlichen die gleiche Frage aufgeworfen wie in der vorliegenden Rechtssache, bei der es um den Beginn der Klagefrist geht. In jener Rechtssache ging es um die Zulässigkeit einer Klage eines Mitgliedstaats gegen einen Beschluss des Rates der Europäischen Union über den Abschluss eines für die Union verbindlichen völkerrechtlichen Abkommens, dessen Inhalt diesem Mitgliedstaat seit dem Tag seines Erlasses bekannt war, weil er an diesem Erlass im Rat beteiligt war. Dieser Beschluss wurde anschließend im Amtsblatt bekannt gegeben, ohne dass diese Veröffentlichung eine Voraussetzung für sein Inkrafttreten war. Vor dem Gerichtshof hatte der Rat im Wesentlichen aus den gleichen Gründen wie den von der Kommission in der vorliegenden Rechtssache vorgetragenen geltend gemacht, dass die Klage unzulässig sei, weil der Zeitpunkt der Bekanntgabe im Amtsblatt der Berechnung der Klagefrist nur bei Rechtsakten zugrunde gelegt werden könne, deren Veröffentlichung eine Voraussetzung für ihre Geltung sei.

64      Der Gerichtshof ist jedoch der vom Rat vorgeschlagenen Auslegung nicht gefolgt, da sich implizit, aber notwendigerweise aus den Rn. 34 bis 40 des Urteils vom 10. März 1998, Deutschland/Rat (C‑122/95, EU:C:1998:94), ergibt, dass die Bekanntgabe einer Handlung im Amtsblatt den Beginn der Klagefrist darstellt, wenn aus dem angefochtenen Rechtsakt nicht hervorgeht, an wen er gerichtet ist, oder, sofern der Rechtsakt den Adressaten nennt, wenn der Kläger nicht der Adressat des Rechtsakts ist, auch wenn diese Bekanntgabe keine Voraussetzung für das Inkrafttreten oder die Wirksamkeit der Handlung ist und auch wenn der Kläger vor dem Zeitpunkt der Bekanntgabe auf eine andere ebenso zuverlässige Weise von dem Rechtsakt Kenntnis erlangt hat.

65      Zweitens kann es hinsichtlich der Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Georgsmarienhütte u. a. (C‑135/16, EU:C:2018:120, Nr. 63) mit dem Hinweis sein Bewenden haben, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 25. Juli 2018, Georgsmarienhütte u. a. (C‑135/16, EU:C:2018:582), die in Nr. 63 dieser Schlussanträge getroffene Feststellung nicht übernommen hat.

66      Drittens ist der von der Kommission ins Treffen geführte Umstand, dass die oben in den Rn. 37 und 38 angeführte Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten der Verordnung 2015/1589 ergangen ist, unerheblich, da Art. 263 Abs. 6 AEUV unverändert geblieben ist und die Änderungen des Sekundärrechts der Union die Auslegung der Vorschriften des Vertrags natürlich nicht ändern können. Darüber hinaus ist festzustellen, dass Art. 24 Abs. 1 der Verordnung 2015/1589, auf den die Kommission einen Teil ihrer Argumentation stützt, sowie Art. 32 Abs. 3 dieser Verordnung gegenüber den entsprechenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. 1999, L 83, S. 1) im Wesentlichen unverändert geblieben sind.

c)      Ergebnis

67      Nach alledem ist davon auszugehen, dass der Zeitpunkt des Beginns der Frist für die Erhebung der Nichtigkeitsklage gegen einen gemäß Art. 9 der Verordnung 2015/1589 erlassenen Beschluss der Kommission gegenüber einem Kläger, der nicht dessen Adressat ist, der Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beschlusses im Amtsblatt ist.

68      Da der angefochtene Beschluss am 5. Juli 2019 im Amtsblatt veröffentlicht wurde und die Klageschrift am 14. August 2019 eingereicht worden ist, ist festzustellen, dass die vorliegende Klage innerhalb der in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehenen Frist von zwei Monaten zuzüglich der in den Art. 59 und 60 der Verfahrensordnung vorgesehenen Fristen von 14 bzw. zehn Tagen erhoben worden ist.

69      Daher ist die erste Unzulässigkeitseinrede der Kommission, mit der sie die Verspätung der Klage rügt, zurückzuweisen.

2.      Zum angeblichen Fehlen eines Rechtsschutzinteresses der Klägerin

70      Die Kommission macht geltend, die Klägerin habe kein Rechtsschutzinteresse, da sie zum einen wegen ihrer unmittelbar bevorstehenden endgültigen Liquidation voraussichtlich vor Abschluss des vorliegenden Verfahrens aufhören werde zu existieren und da zum anderen die vorliegende Klage nur dem Interesse bestimmter gesicherter privater Gläubiger der Klägerin und nicht der Klägerin selbst diene.

71      Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen.

72      Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Nichtigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person nur zulässig, wenn diese ein Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung hat. Ein solches Interesse setzt voraus, dass die Nichtigerklärung dieser Handlung als solche Rechtswirkungen haben kann und der Rechtsbehelf der Partei, die ihn eingelegt hat, damit im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (vgl. Urteil vom 17. September 2015, Mory u. a./Kommission, C‑33/14 P, EU:C:2015:609, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Rechtsschutzinteresse eines Klägers muss im Hinblick auf den Klagegegenstand bei Klageerhebung gegeben sein – andernfalls ist die Klage unzulässig – und bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen, andernfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (vgl. Urteil vom 20. Juni 2013, Cañas/Kommission, C‑269/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:415, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

73      Erstens ist im vorliegenden Fall unstreitig, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Klage als juristische Person existierte. Das Vorbringen der Kommission, wonach die Klägerin vor dem Ende des vorliegenden Verfahrens aufhören könnte zu existieren, ist rein hypothetisch, da sich aus der Akte nicht mit Sicherheit ergibt, dass und wann die Klägerin aufhören könnte zu existieren.

74      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass eines der Ziele jedes Insolvenzverfahrens darin besteht, die Vermögensmasse des insolventen Unternehmens zu maximieren, und zwar auch durch die Erhebung von Klagen, die darauf abzielen, die diese Masse verringernden Schulden zu bestreiten. Sollte das Gericht den angefochtenen Beschluss und insbesondere die Rückforderung der in Rede stehenden Beihilfe für nichtig erklären, könnte sich diese Nichtigerklärung auf die verbleibende Vermögensmasse der Klägerin auswirken. Folglich handelt die Klägerin im vorliegenden Verfahren in ihrem eigenen Interesse.

75      Im Übrigen steht der Umstand, dass dieses Interesse mit dem anderer Personen zusammenfallen kann, der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2015, Mory u. a., C‑33/14 P, EU:C:2015:609, Rn. 84).

76      Daher ist die zweite Unzulässigkeitseinrede der Kommission, mit der sie das fehlende Rechtsschutzinteresse der Klägerin rügt, zurückzuweisen.

B.      Zur Begründetheit

77      Die Klägerin macht neun Klagegründe geltend, die im Wesentlichen die Einstufung jeder der drei oben in Rn. 11 genannten Maßnahmen als staatliche Beihilfe betreffen. Vor allem was die Maßnahmen 1 und 2 anbelangt, sei der angefochtene Beschluss mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler in Bezug auf das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils sowie einer fehlenden oder unzureichenden Begründung behaftet. Hinsichtlich der Maßnahme 3 macht sie drei Klagegründe geltend, mit denen offensichtliche Beurteilungsfehler gerügt werden, und zwar in Bezug auf das Vorliegen einer Übertragung staatlicher Mittel betreffend Electrica, die Zurechenbarkeit dieser Maßnahme an den Staat und das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils, sowie einen Klagegrund, mit dem sie einen Verstoß gegen die Begründungspflicht rügt, und ferner einen Klagegrund, der die Berechnung des Betrags der zurückzufordernden Beihilfe betrifft.

78      Vorab ist festzustellen, dass die Kommission in den Abschnitten 6.1.1 und 6.1.2.1 bis 6.1.2.3 des angefochtenen Beschlusses jede der drei oben in Rn. 11 genannten Maßnahmen gesondert geprüft und im 298. Erwägungsgrund dieses Beschlusses jede separat als staatliche Beihilfe eingestuft hat. Sodann ist sie in Abschnitt 6.1.2.4 des angefochtenen Beschlusses davon ausgegangen, dass die Maßnahmen 1, 2 und 3 in unmittelbarem Zusammenhang stünden und Teil desselben Ziels seien, und hat im 299. Erwägungsgrund dieses Beschlusses den Schluss gezogen, dass „[d]ie Maßnahmen 1, 2 und 3 zusammengenommen … staatliche Beihilfen [darstellen]“. Schließlich hat die Kommission in Art. 1 Buchst. a bis c des angefochtenen Beschlusses jede der drei Maßnahmen aufgelistet und ist in diesem Artikel zu dem Ergebnis gelangt, dass sie „zusammen und getrennt voneinander“ staatliche Beihilfen darstellten.

79      Daher ist zunächst zu prüfen, ob die Maßnahmen 1, 2 und 3 drei verschiedene Eingriffe oder einen einzigen Eingriff darstellen.

1.      Zur Frage, ob die Maßnahmen 1, 2 und 3 drei verschiedene Maßnahmen oder eine einzige Maßnahme darstellen

80      Ohne einen gesonderten Klagegrund betreffend die Einstufung der Maßnahmen 1, 2 und 3 als verschiedene Maßnahmen oder als eine einzige Maßnahme geltend zu machen, trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe könne im vorliegenden Fall nur individuell, Maßnahme für Maßnahme und Gläubiger für Gläubiger festgestellt werden.

81      So betont die Klägerin in ihrer Klageschrift unter Bezugnahme auf Abschnitt 6.1.2.4 des angefochtenen Beschlusses, dass die Kommission „[hätte] nachweisen müssen, dass der Abschluss der Vereinbarung in Bezug auf jeden einzelnen Gläubiger dem Staat zuzurechnen war“, und dass „[d]ie von jedem der öffentlichen Gläubiger getroffenen Maßnahmen … einzeln zu beurteilen [waren]“. Zudem macht sie in dem Teil der Klageschrift mit der Überschrift „Die Zurechenbarkeit an den Staat muss für alle betroffenen öffentlichen Gläubiger einzeln geprüft werden“ im Wesentlichen geltend, dass „die Kommission die Zurechenbarkeit für jedes einzelne öffentliche Unternehmen nachweisen [muss]“.

82      Zudem hätte die Kommission nach Ansicht der Klägerin, als sie das Kriterium des privaten Gläubigers angewandt habe, um festzustellen, ob ein wirtschaftlicher Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliege, „[b]ei jeder Maßnahme“ eine „Einzelbewertung jedes betroffenen öffentlichen Unternehmens“ vornehmen müssen.

83      In ihrer Erwiderung macht die Klägerin außerdem geltend, dass die „Zurechenbarkeit an den Staat (sowie alle anderen Tatbestandsmerkmale des Begriffs staatliche Beihilfe, wie etwa der wirtschaftliche Vorteil) … für jede Maßnahme jedes öffentlichen Gläubigers einzeln zu beurteilen [sind]“.

84      In ihrer Beantwortung der prozessleitenden Maßnahme des Gerichts hat die Klägerin im Wesentlichen hinzugefügt, dass es sich in Anbetracht des Gegenstands, der Natur, der zeitlichen Abfolge, des Ziels und des Kontexts der Maßnahmen 1, 2 und 3 sowie der unterschiedlichen Identität der diese Maßnahmen gewährenden Personen und ihrer unterschiedlichen Lage zum Zeitpunkt der Vornahme dieser Maßnahmen bei diesen Maßnahmen um drei verschiedene Maßnahmen und nicht um eine einzige Maßnahme im Sinne des Urteils vom 19. März 2013, Bouygues und Bouygues Télécom/Kommission u. a. und Kommission/Frankreich u. a. (C‑399/10 P und C‑401/10 P, EU:C:2013:175, Rn. 103 und 104), handle.

85      In ihrer Beantwortung der prozessleitenden Maßnahme des Gerichts hat die Kommission im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Klägerin in ihrer Klageschrift das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils, der sich aus der Verknüpfung der in Rede stehenden Maßnahmen ergebe, nicht bestritten habe, und dass daher jeder von der Klägerin insoweit vorgebrachte neue Klagegrund auch in Beantwortung dieser prozessleitenden Maßnahme verspätet und unzulässig sei. In der Sache wiederholt die Kommission bestimmte in Abschnitt 6.1.2.4 des angefochtenen Beschlusses getroffene Feststellungen und vertritt die Ansicht, dass sie darin dargetan habe, dass die in Rede stehenden Maßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang stünden und Teil desselben Ziels seien, nämlich die Klägerin zu unterstützen und auf dem Markt zu halten sowie ihre Mitarbeiter zu schützen, und dass sie daher zusammen der Klägerin einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft hätten und eine staatliche Beihilfe darstellten.

a)      Zur Zulässigkeit des Vorbringens der Klägerin

86      Die Kommission vertritt im Wesentlichen die Ansicht, dass das Vorbringen der Klägerin in ihrer Beantwortung der prozessleitenden Maßnahme des Gerichts zur Einstufung der Maßnahmen 1, 2 und 3 als eine einzelne Maßnahme oder als getrennte Maßnahmen einen unzulässigen neuen Klagegrund darstelle.

87      Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung das Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens unzulässig ist, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Ein Angriffsmittel oder ein Vorbringen, das eine Erweiterung eines bereits zuvor – unmittelbar oder implizit – in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und einen engen Zusammenhang mit diesem aufweist, ist jedoch für zulässig zu erklären (vgl. Urteil vom 11. März 2020, Kommission/Gmina Miasto Gdynia und Port Lotniczy Gdynia Kosakowo, C‑56/18 P, EU:C:2020:192, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      Wie sich aus den Rn. 81 und 82 oben ergibt, beruhen im vorliegenden Fall sämtliche von der Klägerin in der Klageschrift vorgebrachten Angriffsmittel und Argumente auf der Prämisse, dass zum einen jede der Maßnahmen 1, 2 und 3 Gegenstand einer getrennten Beurteilung sein müsse, und zum anderen, dass diese Beurteilung jeden von diesen Maßnahmen betroffenen Gläubiger einzeln erfassen müsse. Außerdem unterstreicht die Klägerin in ihrer Klageschrift und in ihrer Erwiderung mehrfach, dass die Kommission nachweisen müsse, dass jede dieser Maßnahmen für sich genommen und sodann die Handlungen jedes Gläubigers im Zusammenhang mit jeder dieser Maßnahmen dem Staat zuzurechnen seien und ihr einen Vorteil verschafften.

89      Die bloße Tatsache, dass die Klägerin dieses Vorbringen nicht als gesonderten Klagegrund zur Stützung ihrer Klage vorgetragen hat, ist nicht entscheidend. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Klageschrift in dem Bestreben, ihr zu praktischer Wirksamkeit zu verhelfen, auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung auszulegen (vgl. Urteil vom 29. April 2020, Intercontact Budapest/CdT, T‑640/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:167, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

90      Unter diesen Umständen ergänzt und vertieft das oben in Rn. 84 zusammengefasste Vorbringen der Klägerin in ihrer Beantwortung der prozessleitenden Maßnahme des Gerichts die bereits in ihrer Klageschrift sowie in ihrer Erwiderung dargelegte Argumentation, so dass es eine Erweiterung dieser Argumentation darstellt und einen engen Zusammenhang mit ihr aufweist. Daher kann dieses Vorbringen nicht als neuer Klagegrund im Sinne von Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung eingestuft werden.

91      Im Übrigen ist die Frage, ob die Maßnahmen 1, 2 und 3 drei verschiedene Maßnahmen oder eine einzige Maßnahme darstellen, eine notwendige Voraussetzung für die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses. Um zu überprüfen, ob es der Kommission gelungen ist, in rechtlich hinreichender Weise darzutun, dass die in Rede stehenden Maßnahmen dem Staat zuzurechnen waren und einen selektiven wirtschaftlichen Vorteil verschafft haben, bedarf es nämlich vorab der Feststellung, ob diese Kriterien für jede Maßnahme getrennt oder für sämtliche Maßnahmen in der Ausgestaltung als eine einzige Maßnahme erfüllt sein müssen.

92      Daraus folgt, dass die Unzulässigkeitseinrede der Kommission zurückzuweisen ist.

b)      Zur Einstufung der Maßnahmen 1, 2 und 3 als drei verschiedene Maßnahmen oder als eine einzige Maßnahme

93      Im angefochtenen Beschluss hat die Kommission festgestellt, dass die Maßnahmen 1, 2 und 3 in unmittelbarem Zusammenhang stünden und Teil desselben übergeordneten Ziels seien, wie in der Vereinbarung und den öffentlichen Erklärungen der rumänischen Behörden (im Folgenden: öffentliche Erklärungen) dargelegt worden sei, nämlich die Klägerin zu unterstützen und auf dem Markt zu halten und die Arbeitsplätze ihrer Mitarbeiter zu sichern, und zwar unter Berücksichtigung der Doppelrolle der diese Maßnahmen gewährenden Personen, der zeitlichen Abfolge der Maßnahmen, ihres Ziels und der Situation der Klägerin zum Zeitpunkt der Entscheidung, die einzelnen Maßnahmen umzusetzen. Die Kommission gelangte zu dem Ergebnis, dass die Maßnahme 3 nicht von den Maßnahmen 1 und 2 getrennt werden könne und dass alle drei Maßnahmen eine Reihe miteinander verbundener Maßnahmen darstellten, die dem Staat zuzurechnen seien und der Klägerin gemäß der Vereinbarung einen Vorteil verschafften (Abschnitt 6.1.2.4 des angefochtenen Beschlusses).

94      Nach der Rechtsprechung kann nicht ausgeschlossen werden, dass mehrere aufeinanderfolgende Maßnahmen des Staates für die Zwecke der Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV als eine einzige Maßnahme zu betrachten sind. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn aufeinanderfolgende Maßnahmen insbesondere in Anbetracht ihrer zeitlichen Abfolge, ihres Ziels und der Lage des Unternehmens zum Zeitpunkt dieser Maßnahmen derart eng miteinander verknüpft sind, dass sie sich unmöglich voneinander trennen lassen (Urteil vom 19. März 2013, Bouygues und Bouygues Télécom/Kommission u. a. und Kommission/Frankreich u. a., C‑399/10 P und C‑401/10 P, EU:C:2013:175, Rn. 103 und 104).

95      Zu diesem Zweck muss sich die Kommission auf die Gesamtheit der tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte stützen, wie z. B. zusätzlich zu den oben in Rn. 94 genannten auf den Gegenstand, die Natur und den Kontext der in Rede stehenden Maßnahmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. September 2010, Griechenland u. a./Kommission, T‑415/05, T‑416/05 und T‑423/05, EU:T:2010:386, Rn. 176 und 178, sowie vom 15. Januar 2015, Frankreich/Kommission, T‑1/12, EU:T:2015:17, Rn. 45 bis 48), die Identität der diese Maßnahmen gewährenden Personen bzw. die ihrer Begünstigten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 2015, Frankreich/Kommission, T‑1/12, EU:T:2015:17, Rn. 38, 47 und 48) und die Frage, ob die verschiedenen in Rede stehenden Maßnahmen zum Zeitpunkt der ersten Maßnahme vorgesehen oder vorhersehbar waren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. März 2020, Valencia Club de Fútbol/Kommission, T‑732/16, mit Rechtsmittel angefochten, EU:T:2020:98, Rn. 169).

96      Es ist daher zu prüfen, ob die Kommission angesichts der oben in den Rn. 94 und 95 angeführten Kriterien, ohne einen Beurteilungsfehler zu begehen, davon ausgehen konnte, dass die Maßnahmen 1, 2 und 3 eine einzige staatliche Maßnahme darstellten.

1)      Zum Gegenstand und zur Natur der Maßnahmen 1, 2 und 3

97      Im angefochtenen Beschluss hat sich die Kommission nicht, zumindest nicht ausdrücklich, mit den Unterschieden oder Ähnlichkeiten des Gegenstands und der Natur der Maßnahmen 1, 2 und 3 befasst.

98      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, der Gegenstand und die Natur der drei in Rede stehenden Maßnahmen seien unterschiedlich. So sei die Maßnahme 1 von der AAAS umgesetzt worden, die als „klassische“ Gläubigerin aufgetreten sei, während die Maßnahme 2 durch das Vorliegen einer technologischen Interdependenz zwischen der Beihilfe gewährenden Person, CET Govora, und dem Begünstigten, nämlich der Klägerin, gekennzeichnet gewesen sei. Was die Maßnahme 3 betreffe, so stelle sie den Höhepunkt des gegen die Klägerin eröffneten Insolvenzverfahrens dar.

99      Es ist der Klägerin beizupflichten, dass Gegenstand und Natur der Maßnahmen 1, 2 und 3 nicht dieselben sind. Die Maßnahme 1 besteht in der Nichtbeitreibung und weiteren Anhäufung von Verbindlichkeiten durch die AAAS. Es handelt sich im Wesentlichen um ein passives Verhalten der AAAS, indem es diese während eines relativ kurzen Zeitraums von vier Monaten unterlassen hat, ihre Forderungen gegenüber der Klägerin zu vollstrecken. Im Übrigen handelte es sich bei der Anhäufung von Forderungen durch die AAAS während dieses Zeitraums nicht um neue, während dieses Zeitraums aufgelaufene Forderungen, sondern nur um eine Anhäufung von Zinsen auf bereits bestehende Forderungen. Die Maßnahme 2 ihrerseits besteht in weiteren unbezahlten Lieferungen von Rohstoffen und in der weiteren Anhäufung von Schulden ohne geeignete Maßnahmen zum Schutz der Forderungen von CET Govora. Die Maßnahme 3 ihrerseits besteht in einem aktiven Verhalten der AAAS, der ANE, von Salrom und Electrica, indem diese einen Teil ihrer Forderungen im Rahmen des Umstrukturierungsplans abschrieben.

100    Somit ist jede dieser Maßnahmen durch einen spezifischen Gegenstand und eine spezifische Natur gekennzeichnet. Außerdem wurde die Maßnahme 2, wie die Klägerin vorträgt und wie insbesondere aus den Erwägungsgründen 246, 248 und 251 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, von CET Govora in einem ganz besonderen Kontext umgesetzt, der durch die zwischen CET Govora und der Klägerin bestehende technologische Interdependenz gekennzeichnet war, da zum einen die Klägerin ein wichtiger Käufer insbesondere des von CET Govora gelieferten Prozessdampfs war und zum anderen die Tätigkeiten von CET Govora von der Lieferung von Brauchwasser durch die Klägerin abhängig waren. Auch die Maßnahme 3 unterscheidet sich durch ihren Gegenstand und ihre Natur von den Maßnahmen 1 und 2, da sie in der teilweisen Abschreibung von Forderungen bestimmter Gläubiger im Rahmen eines Umstrukturierungsplans besteht, was bei den Maßnahmen 1 und 2 nicht der Fall ist.

2)      Zu den Personen, die die Maßnahmen 1, 2 und 3 gewährt haben

101    Im 286. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission darauf hingewiesen, „dass diejenigen, die die Maßnahmen gewähren, [zugleich auch über die Umstrukturierung der Klägerin abstimmen]“.

102    Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, diejenigen, die die Maßnahmen 1, 2 und 3 gewährt hätten, seien unterschiedliche Personen gewesen und hätten sich bei deren Umsetzung in unterschiedlichen Situationen befunden.

103    Es ist mit der Klägerin darauf hinzuweisen, dass die AAAS im Rahmen der Maßnahme 1 die Beihilfe gewährte, dass im Rahmen der Maßnahme 2 CET Govora die Beihilfe gewährte und dass im Rahmen der Maßnahme 3 die AAAS, die ANE, Salrom und Eletcrica die Beihilfe gewährten. Es handelt sich daher um unterschiedliche Beihilfegewährende mit Ausnahme von AAAS, die bei den Maßnahmen 1 und 3 auftritt.

104    Überdies sind diese verschiedenen Beihilfegewährenden Einrichtungen mit unterschiedlicher Rechtsnatur. Während die AAAS Teil der öffentlichen Verwaltung ist, sind die ANE, Salrom und CET Govora öffentliche Unternehmen und ist Electrica ein Unternehmen, dessen Kapital seit Juli 2014 mehrheitlich von Privatpersonen gehalten wird.

3)      Zur zeitlichen Abfolge der Maßnahmen 1, 2 und 3

105    Im 286. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission ihre Schlussfolgerung, wonach die drei in Rede stehenden Maßnahmen eine einzige staatliche Maßnahme darstellten, u. a. durch „die zeitliche Abfolge der Maßnahmen“ gerechtfertigt, ohne die Bewertung dieses Kriteriums näher zu erläutern.

106    Die Klägerin macht geltend, dass zwischen der Umsetzung der Maßnahmen 1 und 2 auf der einen und der Maßnahme 3 auf der anderen Seite ein Abstand von beinahe drei Jahren bestanden habe.

107    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die Maßnahmen 1 und 2 auf denselben Zeitraum, nämlich die Zeit von September 2012 bis Januar 2013, beziehen. Hingegen fand der teilweise Erlass der Schulden der Klägerin, der Gegenstand der Maßnahme 3 ist, im Jahr 2015 statt (siehe oben, Rn. 7). Während somit die Maßnahmen 1 und 2 zusammenfielen, erfolgte die Maßnahme 3 erst mehr als zwei Jahre später.

108    Im Übrigen deutet nichts im angefochtenen Beschluss oder in der dem Gericht vorliegenden Akte darauf hin, dass die Maßnahme 3 zum Zeitpunkt der Umsetzung der Maßnahmen 1 und 2 vorgesehen oder vorhersehbar war, wobei dieses Kriterium zu den relevanten Kriterien gehört, die die Kommission nach der oben in Rn. 95 angeführten Rechtsprechung berücksichtigen muss.

4)      Zum Ziel der Maßnahmen 1, 2 und 3

109    In den Erwägungsgründen 285 und 286 des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission behauptet, dass die Maßnahmen 1, 2 und 3 Teil desselben übergeordneten Ziels seien, nämlich die Klägerin zu unterstützen und auf dem Markt zu halten sowie die Arbeitsplätze ihrer Mitarbeiter zu sichern.

110    Die Klägerin macht geltend, die in Rede stehenden Maßnahmen verfolgten nicht dasselbe Ziel. Mit der Maßnahme 1 habe die AAAS das Ziel verfolgt, „Zeit zu gewinnen“, um ihre Situation zu bewerten. Mit der Maßnahme 2 habe CET Govora angesichts der technologischen Interdependenz zwischen ihr und der Klägerin ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen schützen wollen. Mit der Maßnahme 3 hätten die Beihilfegewährenden bezweckt, ihre Forderungen durchzusetzen und gleichzeitig einen Teil davon abzuschreiben, um deren Einziehung im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu maximieren.

111    In Bezug auf die Maßnahme 1 ist festzustellen, dass die Kommission im Rahmen ihrer Prüfung der AAAS im Wesentlichen eine gewisse Passivität während eines relativ kurzen Zeitraums von vier Monaten vorwirft, in dem diese ihre Forderungen gegenüber der Klägerin nicht durchgesetzt habe. Nach Angaben der Klägerin stand das rumänische Recht jedoch einer solchen Beitreibung durch die AAAS entgegen. Unter diesen Umständen erscheint es schwierig, dieser Maßnahme ein klares Ziel zuzuordnen.

112    Was die Maßnahme 2 betrifft, so genügt der Hinweis, dass sie unstreitig insbesondere darauf abzielte, die eigenen wirtschaftlichen Interessen von CET Govora zu schützen und sogar deren Überleben auf dem Markt in einem Kontext zu sichern, der durch die zwischen CET Govora und der Klägerin bestehende technologische Interdependenz gekennzeichnet war, wie oben in Rn. 100 ausgeführt worden ist.

113    Was den Zweck der Maßnahme 3 anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass sie im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erfolgte, im Laufe dessen sowohl öffentliche als auch private Gläubiger für einen Umstrukturierungsplan gestimmt haben, der die teilweise Abschreibung der Forderungen gegenüber der Klägerin durch diese Gläubiger beinhaltete. Mit dieser Abschreibung verfolgten diese Gläubiger das doppelte Ziel der Umstrukturierung der Klägerin und der Einziehung ihrer verbleibenden Forderungen oder eines Teils davon. Somit fiel das Ziel der Maßnahme 3 nicht mit dem der Maßnahmen 1 und 2 zusammen.

5)      Zur Situation der Klägerin zum Zeitpunkt der Umsetzung der Maßnahmen 1, 2 und 3

114    Im 286. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission ihre Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass die drei in Rede stehenden Maßnahmen nur eine einzige Maßnahme darstellten, indem sie auf „die (Finanz- und Risiko‑) Situation des Unternehmens zum Zeitpunkt der Entscheidung, die einzelnen Maßnahmen umzusetzen, d. h. der bevorstehenden Insolvenz“, Bezug nahm.

115    Die Klägerin betont jedoch, dass sich ihre Situation zum Zeitpunkt der Umsetzung der Maßnahme 3 von der Situation zum Zeitpunkt der Umsetzung der Maßnahmen 1 und 2 unterschieden habe, da die Maßnahme 3 im Rahmen des gegen sie eröffneten Insolvenzverfahrens umgesetzt worden sei.

116    Erstens stellt das Gericht fest, dass während des von den Maßnahmen 1 und 2 betroffenen Zeitraums kein Insolvenzverfahren gegen die Klägerin eröffnet wurde. Die Maßnahme 3 erfolgte hingegen im Rahmen des gegen die Klägerin am 30. Januar 2013 eröffneten Insolvenzverfahrens. Die rechtliche Lage, in der sich die Klägerin bei Umsetzung der Maßnahme 3 befand, war somit eine andere als die, in der sie sich bei der Durchführung der Maßnahmen 1 und 2 befand.

117    Zweitens ergibt sich aus den Erwägungsgründen 77 und 78 des angefochtenen Beschlusses, dass sich auch die finanzielle Lage der Klägerin zwischen dem von den Maßnahmen 1 und 2 erfassten Zeitraum und dem Zeitpunkt der Umsetzung der Maßnahme 3 geändert hatte. Während des Insolvenzverfahrens und vor Genehmigung des Umstrukturierungsplans führte die Klägerin Kostensenkungsmaßnahmen durch, indem sie u. a. beschloss, Mitarbeiter zu entlassen, in der Hauptanlage einen Elektrolyseur auszutauschen und ihre Anlage für Oxo-Alkohole wieder in Betrieb zu nehmen. Diese Maßnahmen hätten es der Klägerin ermöglicht, ihre wirtschaftliche und finanzielle Leistung zu verbessern, wobei sich ihr Umsatz im Jahr 2015 im Vergleich zum Jahr 2014 um 31 % und im Vergleich zum Jahr 2013 um 59 % erhöht habe und sich auch ihre Erträge vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) erhöht hätten.

6)      Zum Kontext, in den die Maßnahmen 1, 2 und 3 eingebettet sind

118    In den Erwägungsgründen 285, 288 und 290 des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission festgestellt, dass die drei in Rede stehenden Maßnahmen auch wegen des Kontexts, in den sie eingebettet waren, der insbesondere durch das Vorliegen der Vereinbarung und bestimmter öffentlicher Erklärungen der rumänischen Behörden gekennzeichnet sei, in unmittelbarem Zusammenhang stünden und untrennbar miteinander verbunden seien.

119    Die Klägerin macht geltend, weder die Vereinbarung noch die öffentlichen Erklärungen ließen die Annahme zu, dass die in Rede stehenden Maßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang stünden und untrennbar miteinander verbunden seien, da es im Wesentlichen keinen Zusammenhang zwischen der Vereinbarung und diesen Maßnahmen gebe. Die Vereinbarung habe nur einen Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen ihren wichtigsten privaten und öffentlichen Gläubigern und Anteilseignern geschaffen und enthalte keine Verpflichtung des Staates oder anderer öffentlicher Stellen, ihr eine staatliche Beihilfe zu gewähren. Diese Vereinbarung enthalte auch keine vertraglichen Verpflichtungen zum Verzicht auf Forderungen. Die öffentlichen Erklärungen ihrerseits belegten auch nicht, dass der Staat ihr gegenüber verbindliche Verpflichtungen eingegangen sei.

i)      Zur Vereinbarung

120    Erstens ist zunächst festzustellen, dass die Kommission die Vereinbarung nicht als Maßnahme eingestuft hat, die eine staatliche Beihilfe darstellt. Es handelt sich daher nur um einen Aspekt des Kontexts, in den die in Rede stehenden Maßnahmen eingebettet waren.

121    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Vereinbarung nicht nur von Vertretern der Verwaltung, sondern auch von öffentlichen Unternehmen und von zwei privaten Banken unterzeichnet wurde, die zu den Hauptgläubigern der Klägerin gehörten. Die Kommission behauptet nicht, dass diese Gläubiger vom Staat gezwungen worden wären, diese Vereinbarung zu schließen. Der Umstand, dass sowohl öffentliche als auch private Gläubiger entschieden haben, sie abzuschließen, deutet darauf hin, dass sich bei Abschluss der Vereinbarung zumindest einige Unterzeichner der Vereinbarung von der Wahrung ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen hätten leiten lassen können und nicht von dem angeblichen Ziel, die Klägerin zu unterstützen und auf dem Markt zu halten.

122    Drittens ist darauf hinzuweisen, dass bestimmte Personen, die die angeblichen Beihilfemaßnahmen gewährt haben, nämlich CET Govora im Rahmen der Maßnahme 2 und die ANE im Rahmen der Maßnahme 3, nicht Parteien der Vereinbarung sind.

123    Was viertens den Inhalt der Vereinbarung anbelangt, so sah diese im Wesentlichen vor, dass ihre Unterzeichner zur Entwicklung einer Strategie zur Gewährleistung der langfristigen Tragfähigkeit der Klägerin und um die Klägerin im Hinblick auf ihre Rentabilität, ihre Zahlungsfähigkeit, ihre Liquidität und ihr Kapital auf ein nachhaltiges Niveau zu bringen, zusammenarbeiten sollten, mit dem Ziel insbesondere ihre Gläubiger zu schützen und die Umstrukturierung der Klägerin sicherzustellen. Die Vereinbarung enthielt Verpflichtungen der unterzeichnenden Banken, des Staates und der Klägerin, um die Durchführung dieser Strategie sicherzustellen.

124    In keiner Klausel der Vereinbarung ist jedoch ausdrücklich oder implizit von den Maßnahmen 1, 2 oder 3 die Rede. Insbesondere verpflichtet keine Klausel dieser Vereinbarung die AAAS, ihre Forderungen gegenüber der Klägerin nicht zu vollstrecken oder in Bezug auf die Klägerin keine anderen Schritte zu unternehmen, um ihre Forderungen zu schützen, was Gegenstand der Maßnahme 1 ist. Ebenso verpflichtet keine ihrer Klauseln die AAAS, die ANE, Salrom oder Electrica, irgendeinen Schuldenerlass zu akzeptieren, und auch nicht, einem bestimmten Umstrukturierungsplan zuzustimmen, was Gegenstand der Maßnahme 3 ist. Zur Maßnahme 2 kann es mit dem Hinweis ein Bewenden haben, dass die einzige Person, die sie gewährt, nämlich CET Govora, nicht Partei dieser Vereinbarung war.

125    Darüber hinaus sah die Klausel 8.1 der Vereinbarung Folgendes vor:

„Keine Bestimmung der vorliegenden Vereinbarung kann als Aufgabe, Einschränkung, Begrenzung oder Aussetzung von Rechten, Vorrechten oder Interessen einer Partei aufgrund von oder im Zusammenhang mit einem Vertrag angesehen werden, dessen Partei sie ist, oder die sich aus dem geltenden Recht ergeben könnte. Um jede Mehrdeutigkeit zu vermeiden, vereinbaren die Parteien, dass die vorliegende Vereinbarung nicht als Moratorium für die Aussetzung von Zahlungen oder die Umstrukturierung und auch nicht als Verpflichtung der Banken, von Electrica oder [der AAAS] angesehen werden kann, einer Umschuldung oder anderen Umstrukturierungsmaßnahmen zuzustimmen oder Finanzmittel bereitzustellen, einen Schuldenerlass, eine Aussetzung von Zahlungen oder andere ähnliche Maßnahmen im Zusammenhang mit Oltchim durchzuführen.“

126    Somit wird in dieser Klausel der Vereinbarung ausdrücklich festgelegt, dass diese, „[u]m jede Mehrdeutigkeit zu vermeiden“, ihren Unterzeichnern weder vorschrieb, auf ihre Forderungen gegenüber der Klägerin zu verzichten, noch, irgendeinen Umstrukturierungsplan zu akzeptieren, noch ganz allgemein auf irgendwelche vertraglichen oder sonstigen Rechte gegenüber der Klägerin zu verzichten.

127    Fünftens geht aus den Feststellungen der Kommission im angefochtenen Beschluss hervor, dass die angeblichen Auswirkungen der Vereinbarung in Wirklichkeit hinsichtlich jeder der drei in Rede stehenden Maßnahmen und jeder Person, die angeblich eine Beihilfe gewährt hat, unterschiedlich waren. Die folgenden Beispiele veranschaulichen dies. Ausweislich des 231. Erwägungsgrundes des angefochtenen Beschlusses hinderte bei der Maßnahme 1 die Tatsache, dass Electrica die Vereinbarung unterzeichnet hat, dieses Unternehmen gleichwohl nicht, ab November 2012 Maßnahmen zur Beitreibung seiner Forderungen zu ergreifen, anders als die AAAS, die die Vereinbarung ebenfalls unterzeichnet hatte. Bei der Maßnahme 2 hinderte die Tatsache, dass Salrom die Vereinbarung unterzeichnet hat, wie die Klägerin vorträgt und wie sich aus den Erwägungsgründen 255 bis 257 und 263 des angefochtenen Beschlusses ergibt, auch diese nicht daran, sich wie ein privater Gläubiger zu verhalten, was die Kommission zu der Schlussfolgerung veranlasst hat, dass Salrom der Klägerin keine staatliche Beihilfe im Rahmen der Maßnahme 2 gewährt habe. Was die Maßnahme 3 angeht, genügt der Hinweis, dass – wie Fn. 84 des angefochtenen Beschlusses zu entnehmen ist – CFR Marfă, ein öffentliches Unternehmen, das Vertragspartei der Vereinbarung ist, gegen die Genehmigung des Umstrukturierungsplans gestimmt hat.

128    In Anbetracht des Inhalts der Vereinbarung und des Verhaltens ihrer verschiedenen Unterzeichner im Rahmen der Maßnahmen 1, 2 und 3 zeigt sich mithin zum einen, dass die Vereinbarung nur eine begrenzte Auswirkung auf die Tragweite dieser Maßnahmen hatte, und zum anderen, dass ihre möglichen Auswirkungen auf jede dieser Maßnahmen nicht die gleichen waren.

129    Diese Schlussfolgerung wird nicht durch den von der Kommission hervorgehobenen Umstand in Frage gestellt, dass die Vereinbarung von Vertretern dreier Ministerien unterzeichnet und vom Premierminister genehmigt wurde. Wie die Klägerin geltend macht, befand sie sich zum maßgeblichen Zeitpunkt mehrheitlich im Eigentum des Staates und war sie selbst Partei der Vereinbarung, so dass sich die Unterzeichnung der Vereinbarung durch hochrangige Staatsbeamte aus dem Rechtsrahmen zu ergeben scheint, der die Organisation und die Funktionsweise ihrer wichtigsten staatlichen Anteilseigner regelt. Jedenfalls ändert dieser Umstand nichts am Inhalt der Vereinbarung und hat – wie oben in Rn. 127 ausgeführt worden ist – die verschiedenen Unterzeichner dieser Vereinbarung auch nicht daran gehindert, im Rahmen der in Rede stehenden Maßnahmen jeweils unterschiedlich und nicht koordiniert zu handeln.

ii)    Zu den öffentlichen Erklärungen

130    Im 285. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission unter Verweis auf weitere Erwägungsgründe dieses Beschlusses auch auf mehrere öffentliche Erklärungen der rumänischen Behörden Bezug genommen, um darzutun, dass die drei in Rede stehenden Maßnahmen Teil einer Gesamtstrategie waren, die darauf abzielten, die Klägerin am Laufen zu halten und ihre Liquidation zu verhindern.

131    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission die öffentlichen Erklärungen nicht als Maßnahmen eingestuft hat, die staatliche Beihilfen darstellen.

132    Somit ist zu prüfen, ob die öffentlichen Erklärungen als Aspekte des Kontexts geeignet sind, zu belegen, dass die Maßnahmen 1, 2 und 3 derart eng miteinander verknüpft waren, dass sie sich unmöglich voneinander trennen ließen, so dass sie als eine einzige staatliche Beihilfe anzusehen waren.

133    Die Kommission hat auf folgende Erklärungen Bezug genommen:

–        eine Erklärung des rumänischen Premierministers in einem Presseartikel vom 1. Oktober 2012, in dem er insbesondere erklärt habe, dass er „heute den Reserveplan für die Wiederaufnahme der Tätigkeit, die Rettung von Arbeitsplätzen und die Vorbereitung eines neuen Privatisierungsverfahrens unter sehr unterschiedlichen, erheblich verbesserten Bedingungen darlegen [muss]“, dass „[d]er Plan zur Wiederbelebung von Oltchim“ in Kürze vorgelegt werde, dass die Behörden zu diesem Zweck mit allen Hauptgläubigern des Unternehmens offizielle Gespräche aufnehmen würden (27. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Diese Erklärung kündigt den Beginn von Gesprächen an, die zur Annahme der Vereinbarung ungefähr eineinhalb Monate später führten. Sie hat daher gegenüber der Vereinbarung selbst keinen eigenständigen Inhalt;

–        eine Erklärung des Staatssekretärs des Wirtschaftsministeriums vom 17. Oktober 2012, in der er angekündigt habe, dass die Klägerin teilweise ihren Betrieb wieder aufnehmen werde und dass die Regierung beabsichtige, ihr eine Rettungsbeihilfe zu gewähren (28. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Diese „Rettungsbeihilfe“ wurde jedoch nicht gewährt und ist jedenfalls nicht Gegenstand des angefochtenen Beschlusses;

–        eine Erklärung des Wirtschaftsministers vom 15. November 2012, in der er im Wesentlichen erklärt habe, dass „[e]ine Insolvenz … ausgeschlossen [ist], solange wir uns mit den Hauptgläubigern [von Oltchim] einigen können“, und den Abschluss einer Vereinbarung angekündigt habe, die acht Tage später unterzeichnet worden sei und deren Ziel gemäß dieser Erklärung „die kontrollierte Wiederbelebung, Rettung und Umstrukturierung von Oltchim mit Zustimmung der Gläubiger“ sei (30. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Zum einen ist die Wirkung dieser Erklärung begrenzt, da entgegen der Ankündigung dieses Ministers etwa zwei Monate später das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Zum anderen wird in dieser Erklärung nur die Unterzeichnung der Vereinbarung angekündigt und hat gegenüber dieser daher keinen eigenständigen Inhalt;

–        Erklärungen der Gewerkschaftsführer der Beschäftigten der Klägerin (204. Erwägungsgrund Buchst. b und Fn. 72 des angefochtenen Beschlusses). Da es sich dabei jedoch nicht um Erklärungen von Vertretern des Staates handelt, sind sie irrelevant;

–        einen Presseartikel vom 26. Januar 2013, in dem erwähnt werde, dass der ehemalige Wirtschaftsminister über die Folgen des Scheiterns der Privatisierung der Klägerin gesprochen und u. a. ausgeführt habe, dass der „Eintritt in die Insolvenz von Oltchim [eine] Chance zur Umstrukturierung und Kapitalisierung tragfähiger Teile“ sei (204. Erwägungsgrund Buchst. c des angefochtenen Beschlusses). Diese Erklärung enthält keine Verpflichtung des Staates;

–        einen Presseartikel vom 29. März 2013, wonach der rumänische Premierminister im Wesentlichen angegeben habe, dass die Kommission die Gewährung einer staatlichen Beihilfe an die Klägerin nicht genehmigen werde, dass diese daher eine Finanzierung durch die Banken und die Händler finden müsse und dass die Regierung ein Interesse daran habe, dass „Arbeitsplätze erhalten bleiben“ (204. Erwägungsgrund Buchst. d des angefochtenen Beschlusses). Diese Erklärung deutet entgegen dem Vorbringen der Kommission darauf hin, dass der betreffende Mitgliedstaat nicht die Absicht hatte, der Klägerin eine staatliche Beihilfe zu gewähren. Was die Tatsache angeht, dass die Regierung „ein Interesse daran hatte“, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben, sieht das Gericht darin weder einen möglichen Vorwurf noch einen Anhaltspunkt für den Willen des Staates, der Klägerin eine Beihilfe zu gewähren;

–        eine Erklärung des Wirtschaftsministers vom März 2013, in der er angab, dass er es vorziehe, für die Klägerin einen strategischen Investor zu finden, was wichtiger sei als der Verkaufspreis (204. Erwägungsgrund Buchst. e des angefochtenen Beschlusses). Diese Erklärung enthält keine Verpflichtung seitens der rumänischen Behörden;

–        eine Erklärung des Wirtschaftsministers vom 30. Mai 2013, in der er gesagt habe, dass „Oltchim über seine Marke hinaus eine bedeutende Anzahl von Patenten im Wert von mehreren Millionen Euro hält“ und dass „die Zerstörung dieses Unternehmens der Zerstörung eines Schatzamtes für geistiges Eigentum gleichkäme“ (204. Erwägungsgrund Buchst. f des angefochtenen Beschlusses). Diese Erklärung hat jedoch keinen Bezug zu den in Rede stehenden Maßnahmen;

–        eine Erklärung des Wirtschaftsministers vom 9. Juli 2013, in der er u. a. bekräftigt habe, „dass es Lösungen zur Rettung des Unternehmens gibt“, dass das Problem der Klägerin eine Frage „des Stolzes und der nationalen Würde“ sei und dass „sich eine Rettung des Unternehmens lohnt“ (204. Erwägungsgrund Buchst. g des angefochtenen Beschlusses). Wenngleich diese Erklärung den Eindruck erweckt, dass die rumänischen Behörden die Klägerin hätten „retten“ wollen, handelt es sich dabei lediglich um eine Erklärung politischer Natur, mit der die Beschäftigten und ganz allgemein die Öffentlichkeit beruhigt werden sollte. Zudem enthält diese Erklärung keine klare, bestimmte, konkrete und feste Verpflichtung der rumänischen Behörden, die Annahme des Umstrukturierungsplans zu erreichen, dessen Umrisse zum Zeitpunkt dieser Erklärung noch nicht bekannt waren;

–        eine Erklärung des Wirtschaftsministers vom September 2013, in der dieser im Wesentlichen angekündigt habe, dass die Gläubiger der Klägerin in Kürze „eine Finanzierung“ genehmigen würden, dass diese Kredite von Privatbanken erhalten werde und dass „Oltchim Nr. 2“ „Ende September“ ein schuldenfreies Unternehmen sein werde (204. Erwägungsgrund Buchst. h des angefochtenen Beschlusses). Diese Erklärung bezieht sich offenbar auf eine private Finanzierung und enthält keine klare, bestimmte, konkrete und feste Verpflichtung des Staates. Im Übrigen ist die Tatsache, dass sich dieser Minister „gegen die Liquidation großer staatlicher Unternehmen“ ausgesprochen hat, auch lediglich eine Erklärung politischer Natur ohne klare Verpflichtung des Staates;

–        eine Erklärung des rumänischen Premierministers vom 19. Februar 2014, in der er den neu ernannten Wirtschaftsminister gedrängt habe, sich des „Oltchim-Problems“ anzunehmen, und hinzugefügt habe, er wolle „vermeiden, dass die Situation aufgrund der Unfähigkeit von Seiten der Politik explodiert“ (204. Erwägungsgrund Buchst. i des angefochtenen Beschlusses). Diese Erklärung ist sehr allgemein gehalten;

–        Erklärungen des Wirtschaftsministers aus dem Jahr 2014, wonach die Klägerin „ein Unternehmen von nationalem und strategischem Interesse“ sei, auch ein „Interesse der Investoren an der Übernahme der Raffinerie Arpechim“ bestehe und es „niemals zur Schließung von Oltchim kommen“ werde (204. Erwägungsgrund Buchst. j des angefochtenen Beschlusses). Die letztgenannte Erklärung könnte zwar darauf hindeuten, dass die rumänischen Behörden die Schließung der Klägerin verhindern wollten, doch ist diese Erklärung nicht hinreichend spezifisch und konkret.

134    Im Übrigen reicht die bloße Tatsache, dass die öffentlichen und privaten Gläubiger die öffentlichen Erklärungen der Verantwortlichen bei der Festlegung ihres Marktverhaltens berücksichtigen, nicht für den Nachweis aus, dass die Maßnahmen 1, 2 und 3 so eng miteinander verknüpft waren, dass sie sich unmöglich voneinander trennen ließen.

135    Was konkret die am 9. März 2015 umgesetzte Maßnahme 3 betrifft, wurden diese verschiedenen öffentlichen Erklärungen zudem ungefähr ein oder zwei Jahre vorher abgegeben, wobei der Zeitpunkt, der dem Zeitpunkt dieser Maßnahme am nächsten kommt, der 3. Juni 2014 ist, also ungefähr neun Monate vor der Umsetzung dieser Maßnahme liegt. Auch wenn diese Erklärungen als Aspekte des Kontexts berücksichtigt werden können, ist angesichts der Zeit, die zwischen ihnen und dem Zeitpunkt der Umsetzung der Maßnahme 3 vergangen ist, mithin nicht erwiesen, dass sie mit dieser Maßnahme in einem hinreichend engen Zusammenhang standen.

136    Die Kommission konnte daher diese Erklärungen zwar zu Recht als einen Aspekt des Kontexts berücksichtigen, in den die Maßnahmen 1, 2 und 3 eingebettet waren, doch lässt sich ihrem Inhalt nicht entnehmen, dass die Maßnahmen 1, 2 und 3 so eng miteinander verknüpft waren, dass sie sich unmöglich voneinander trennen ließen, so dass sie als eine einzige staatliche Beihilfe anzusehen wären.

7)      Ergebnis

137    Unter Berücksichtigung aller Kriterien, die in der oben in den Rn. 94 und 95 angeführten Rechtsprechung vorgesehen sind, insbesondere des Gegenstands und der Natur der Maßnahmen 1, 2 und 3, der unterschiedlichen Identität derjenigen, die sie gewährten, der zeitlichen Abfolge dieser Maßnahmen, der Tatsache, dass sie zum Zeitpunkt der ersten Maßnahme nicht vorgesehen oder vorhersehbar waren, ihres Ziels, der Situation der Klägerin zum Zeitpunkt der Durchführung der jeweiligen Maßnahme sowie des Kontexts, in den sie eingebettet waren, ist der Schluss zu ziehen, dass die in Rede stehenden Maßnahmen entgegen der Feststellung der Kommission in Abschnitt 6.1.2.4 des angefochtenen Beschlusses nicht so eng miteinander verknüpft waren, dass sie sich unmöglich hätten voneinander trennen lassen. Folglich sind die Maßnahmen 1, 2 und 3 für die Zwecke der Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV als drei verschiedene Maßnahmen anzusehen.

2.      Zur Einstufung der in Rede stehenden Maßnahmen als staatliche Beihilfen

138    Nach ständiger Rechtsprechung verlangt die Einstufung einer Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass sämtliche folgenden Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil verschafft werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (vgl. Urteil vom 21. Oktober 2020, Eco TLC, C‑556/19, EU:C:2020:844, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

139    Im Rahmen der Kontrolle staatlicher Beihilfen obliegt es grundsätzlich der Kommission, im angefochtenen Beschluss den Beweis für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe zu erbringen. Sie hat nämlich nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt sind (vgl. Urteil vom 24. September 2019, Niederlande u. a./Kommission, T‑760/15 und T‑636/16, EU:T:2019:669, Rn. 194 und 196 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

140    Im vorliegenden Fall bestreitet die Klägerin nicht, dass bei den Maßnahmen 1 und 2 staatliche Mittel zum Einsatz kommen und dass sie dem Staat zuzurechnen sind. Sie stellt hingegen in Abrede, dass diese Voraussetzung bei Maßnahme 3 erfüllt sei. Zudem meint sie, dass keine der in Rede stehenden Maßnahmen ihr einen Vorteil verschaffe.

a)      Zum Vorliegen einer Übertragung staatlicher Mittel im Rahmen der Maßnahme 3 und zur Zurechenbarkeit dieser Maßnahme an den Staat

141    In Abschnitt 6.1.1.3 des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission ausgeführt, dass die Abschreibung eines Teils ihrer Forderungen durch die AAAS, Electrica, Salrom, CET Govora bzw. die ANE im Rahmen des Umstrukturierungsplans eine Übertragung staatlicher Mittel darstelle und dem Staat zuzurechnen sei.

142    Die Klägerin macht im Wesentlichen erstens geltend, dass die teilweise Abschreibung der Forderungen von Electrica im Rahmen der Maßnahme 3 keine Übertragung staatlicher Mittel darstelle, und zweitens, dass die Maßnahme 3 insgesamt nicht dem Staat zuzurechnen sei.

1)      Zur Frage, ob die teilweise Abschreibung der Forderungen von Electrica im Rahmen des Umstrukturierungsplans eine Übertragung staatlicher Mittel darstellt

143    Die Klägerin macht geltend, Electrica, die bis dahin ein öffentliches Unternehmen gewesen sei, sei im Juli 2014 privatisiert worden, so dass sie ab diesem Zeitpunkt kein unter dem beherrschenden Einfluss des Staates stehendes öffentliches Unternehmen mehr gewesen sei. Die Mittel von Electrica seien daher keine staatlichen Mittel gewesen, so dass die Abschreibung eines Teils ihrer Forderungen gegenüber der Klägerin keine Übertragung staatlicher Mittel dargestellt habe.

144    Die Kommission macht im Wesentlichen geltend, die Frage, ob Electrica ein öffentliches Unternehmen gewesen sei, sei im vorliegenden Fall irrelevant, da Rumänien bei der Durchführung der Maßnahme 3 und bei der Wahl der Modalitäten zu ihrer Finanzierung eine wesentliche Rolle gespielt habe.

145    Im angefochtenen Beschluss hat die Kommission festgestellt, dass seit Juli 2014 die Mehrheit der Beteiligungen an Electrica von privaten Anteilseignern gehalten werde und der Staat nur 48,78 % ihres Kapitals halte.

146    Der angefochtene Beschluss enthält keinen weiteren Grund in Bezug auf die Lage von Electrica nach ihrer Privatisierung, der erklären könnte, warum die Kommission die Auffassung vertreten hat, dass die teilweise Abschreibung der Forderungen von Electrica im Rahmen der Maßnahme 3 eine Übertragung staatlicher Mittel darstelle.

147    Nach der Rechtsprechung müssen Vergünstigungen, damit sie als „Beihilfen“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft werden können, unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden (vgl. Urteil vom 13. September 2017, ENEA, C‑329/15, EU:C:2017:671, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung). Durch den Begriff der Maßnahme „aus staatlichen Mitteln“ sollen nicht nur unmittelbar vom Staat gewährte Vorteile, sondern auch Vorteile einbezogen werden, die durch von ihm zur Durchführung der Beihilferegelung errichtete oder damit beauftragte öffentliche oder private Einrichtungen gewährt werden (vgl. Urteil vom 9. November 2017, Viasat Broadcasting UK/TV2/Danmark, C‑657/15 P, EU:C:2017:837, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit erfasst Art. 107 Abs. 1 AEUV sämtliche Geldmittel, die die öffentlichen Stellen zur Unterstützung der Unternehmen verwenden können, ohne dass es darauf ankommt, dass diese Mittel dauerhaft zum Vermögen des Staates gehören. Auch wenn die der Beihilfemaßnahme entsprechenden Beträge nicht auf Dauer dem Staat gehören, genügt der Umstand, dass sie ständig unter staatlicher Kontrolle und somit den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung stehen, damit sie als „staatliche Mittel“ qualifiziert werden können (vgl. Urteil vom 15. Mai 2019, Achema u. a., C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch in diesem Sinne Urteile vom 17. Juli 2008, Essent Netwerk Noord u. a., C‑206/06, EU:C:2008:413, Rn. 70 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 13. September 2017, ENEA, C‑329/15, EU:C:2017:671, Rn. 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

148    Im vorliegenden Fall bestreitet die Kommission die Behauptung der Klägerin nicht, wonach Rumänien ab Juli 2014 nicht mehr die Mehrheit der Stimmrechte bei Electrica kontrolliert habe, nicht die Mehrheit der Mitglieder der Verwaltungs‑, Leitungs- oder Aufsichtsorgane dieses Unternehmens habe ernennen können und nach der Satzung dieses Unternehmens über keine besonderen Rechte verfügt habe, die es ihm ermöglicht hätten, die Entscheidungen dieser Gesellschaft zu kontrollieren.

149    Aus den dem Gericht vorliegenden Akten ergibt sich an keiner Stelle, dass die im Rahmen der Maßnahme 3 verwendeten Mittel von Electrica ständig unter staatlicher Kontrolle standen und somit im Sinne der oben in Rn. 147 angeführten Rechtsprechung den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung standen.

150    Die bloße Tatsache, dass ein Unternehmen wie Electrica im Jahr 2012 die Vereinbarung unterzeichnet hat (203. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), bedeutet nicht, dass seine Mittel unter staatlicher Kontrolle standen. Jedenfalls kontrollierte der Staat bei der Durchführung der Maßnahme 3 im Jahr 2015 die Mittel von Electrica nicht mehr.

151    Ebenso bedeutet der Umstand, dass ein privates Unternehmen öffentliche Erklärungen der Behörden berücksichtigen kann (205. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), wenn es über sein Marktverhalten entscheidet, in Ermangelung weiterer entsprechender konkreter Anhaltspunkte keineswegs, dass sich seine Mittel unter staatlicher Kontrolle befänden oder dem Staat zur Verfügung stünden.

152    Im Übrigen ist der von der Kommission hervorgehobene Umstand, dass die im Rahmen der Maßnahme 3 in Rede stehenden Forderungen von Electrica vor ihrer Privatisierung entstanden seien, irrelevant, da zum einen die vor der Privatisierung eines Unternehmens bestehenden Schulden und Forderungen üblicherweise auf den Kaufpreis dieses Unternehmens abgewälzt werden und zum anderen die Entscheidung von Electrica, den Umstrukturierungsplan zu genehmigen, im Jahr 2015, d. h. nach ihrer Privatisierung, getroffen wurde.

153    Ebenso bedeutet der Umstand, dass der Staat nach der Privatisierung von Electrica 48,78 % ihres Eigenkapitals hielt und dass er deshalb nach Ansicht der Kommission weiterhin ein „hohes Maß an Einfluss“ auf die Geschäftspolitik von Electrica besaß, in Ermangelung weiterer entsprechender konkreter Anhaltspunkte nicht, dass deren Mittel im Sinne der oben in Rn. 147 angeführten Rechtsprechung ständig unter staatlicher Kontrolle standen oder dem Staat zur Verfügung standen. Vielmehr legt die Analyse in den Rn. 148 bis 152 nahe, dass der Staat trotz seiner zwar bedeutenden, jedoch minderheitlich gewordenen Beteiligung am Kapital von Electrica über keinen Mechanismus verfügte, der es ihm ermöglichte, die Art und Weise zu kontrollieren, in der dieses Unternehmen seine Mittel im Rahmen der Maßnahme 3 verwaltete.

154    Schließlich kann sich die Kommission auch nicht auf das Urteil vom 27. September 2012, Frankreich/Kommission (T‑139/09, EU:T:2012:496), berufen. In jenem Urteil ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die zugunsten bestimmter landwirtschaftlicher Erzeugerorganisationen erlassenen Beihilfemaßnahmen, die zum Teil durch freiwillige private Beiträge finanziert wurden, im Wesentlichen deshalb zu einer Übertragung staatlicher Mittel führten, weil die französischen Behörden einseitig über die durch die Beihilferegelung finanzierten Maßnahmen und die Modalitäten ihrer Durchführung entschieden, während den durch die Maßnahmen Begünstigten allein die Befugnis zustand, sich an dem in dieser Weise vom Staat festgelegten System zu beteiligen oder nicht, indem sie die Zahlung der von Letzterem festgesetzten Beiträge entweder akzeptierten oder ablehnten. Im Unterschied zu jener Rechtssache hat die Kommission jedoch im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen, dass die rumänischen Behörden einseitig entschieden hätten, wie die Mittel von Electrica im Rahmen der Maßnahme 3 zu verwenden waren.

155    In Bezug auf Electrica Furnizare, eine weitere Gläubigerin der Klägerin, deren Anteile zwischen 2011 und 2017 mehrheitlich von Electrica gehalten wurden, genügt die Feststellung, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss das Verhalten dieser Gesellschaft nicht als Maßnahme eingestuft hat, die eine staatliche Beihilfe darstellt, so dass das diesbezügliche Vorbringen der Parteien für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses unerheblich ist.

156    Nach alledem ist es der Kommission nicht gelungen, in rechtlich hinreichender Weise darzutun, dass die Maßnahme 3 hinsichtlich der teilweisen Abschreibung der Forderungen von Electrica eine Übertragung staatlicher Mittel darstellte, und folglich auch nicht, dass sie eine staatliche Beihilfe darstellte, weil sie über Electrica gewährt wurde.

2)      Zur Zurechenbarkeit des restlichen Teils der Maßnahme 3 an den Staat

157    Die Klägerin macht geltend, der restliche Teil der Maßnahme 3, d. h. die teilweise Abschreibung der Forderungen der AAAS, von Salrom, CET Govora und der ANE im Rahmen des Umstrukturierungsplans, seien dem Staat nicht zuzurechnen.

158    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Sie macht geltend, sie habe im angefochtenen Beschluss in rechtlich hinreichender Weise dargetan, dass die Maßnahme 3 dem Staat zuzurechnen sei.

159    Im angefochtenen Beschluss ist die Kommission zu dem Ergebnis gelangt, dass die Maßnahme 3 dem Staat zuzurechnen sei, weil erstens der Umstrukturierungsplan nach rumänischem Insolvenzrecht ohne die Zustimmung der AAAS oder von CET Govora nicht hätte genehmigt werden können (201. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Zweitens sei dieser Plan von dem gerichtlich bestellten Insolvenzverwalter aufgestellt worden, der eine staatliche Instanz sei (202. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Drittens sei dieser Plan dank der öffentlichen und privaten Gläubiger gebilligt worden, die im November 2012 die Vereinbarung unterzeichnet hätten, die das vom Staat eingesetzte Mittel gewesen sei, um die Klägerin auf dem Markt zu halten und um die für die Annahme des Umstrukturierungsplans erforderliche Mehrheit innerhalb der Gläubigerversammlung zu gewährleisten (Erwägungsgründe 202, 203 und 205 bis 210 des angefochtenen Beschlusses). Viertens sei die Absicht des Staates, die Klägerin auf dem Markt zu halten, durch die öffentlichen Erklärungen bestätigt worden (204. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Fünftens habe die Kommission einige spezifischere Aspekte angeführt, die die Zurechenbarkeit des Verhaltens der ANE an den Staat im Rahmen der Maßnahme 3 belegten (Erwägungsgründe 212 bis 217 des angefochtenen Beschlusses).

160    Nach der Rechtsprechung müssen Vergünstigungen, damit sie als „Beihilfen“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft werden können, dem Staat zuzurechnen sein (vgl. Urteil vom 13. September 2017, ENEA, C‑329/15, EU:C:2017:671, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein Vorteil, wenn er von einer Behörde gewährt wird, definitionsgemäß dem Staat zuzurechnen ist, auch wenn die fragliche Behörde gegenüber anderen Behörden rechtlich unabhängig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 1996, Air France/Kommission, T‑358/94, EU:T:1996:194, Rn. 62).

161    Da im vorliegenden Fall Art. 1 Buchst. c des angefochtenen Beschlusses die Maßnahme 3 als Schuldenerlass, dem bestimmte Gläubiger „auf der Grundlage des Umstrukturierungsplans“ zustimmten, definiert hat, ist zu prüfen, ob dieser Plan, dessen Billigung durch die Gläubiger der Klägerin zum teilweisen Erlass ihrer Schulden geführt hat, insgesamt im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dem Staat zuzurechnen war.

162    Es ist nämlich festzustellen, dass der teilweise Erlass bestimmter Schulden im Rahmen der Maßnahme 3 kein einseitiger Erlass war, der von jedem der in Rede stehenden Gläubiger gesondert beschlossen wurde, sondern ein kollektiver Erlass, der im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erfolgte, für das besondere rechtliche Regeln gelten, insbesondere was die in der Gläubigerversammlung für die Genehmigung des Umstrukturierungsplans erforderliche Mehrheit betrifft. Mit anderen Worten konnte die einzelne Stimme eines Gläubigers für den Plan nicht zur Genehmigung dieses Plans führen, es sei denn, seine Forderungen erfüllten für sich genommen die rechtlichen Anforderungen an die hierfür erforderliche Mehrheit.

163    Es ist auch festzustellen, dass die Liste der Gläubiger eine Vielzahl von sowohl öffentlichen als auch privaten Gläubigern umfasste und dass die Stimmen für diesen Plan sowohl von öffentlichen als auch von privaten Gläubigern stammten.

164    Um festzustellen, ob die Kommission zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Umstrukturierungsplan dem Staat zuzurechnen war, ist daher unter diesen Umständen in einem ersten Schritt zu prüfen, ob das Votum der AAAS, der ANE, von Salrom und von CET Govora für die Genehmigung des Umstrukturierungsplans dem Staat zuzurechnen war. In einem zweiten Schritt wird festzustellen sein, ob die Gläubiger, deren Votum für die Genehmigung des Umstrukturierungsplans dem Staat zuzurechnen war, nach nationalem Recht gemeinsam die erforderliche Mehrheit hatten, um diesen Plan zu genehmigen.

i)      Zur Zurechenbarkeit des Votums der AAAS, von Salrom, von CET Govora und der ANE an den Staat

–       Zur Zurechenbarkeit des Votums der AAAS an den Staat

165    Aus den Erwägungsgründen 186, 187 und 201 des angefochtenen Beschlusses ergibt sich, dass die Kommission u. a. deshalb der Auffassung war, dass das Votum der AAAS dem Staat zurechenbar sei, weil die AAAS Teil der öffentlichen Verwaltung und der Regierung unterstellt gewesen sei.

166    Diese Schlussfolgerung wird von der Klägerin nicht bestritten.

–       Zur Zurechenbarkeit des Votums von Salrom an den Staat

167    Die Klägerin macht geltend, der angefochtene Beschluss enthalte keine Beurteilung der Frage, ob das Votum von Salrom für den Umstrukturierungsplan dem Staat zuzurechnen sei. Die Tatsache, dass der Staat die Mehrheit der Anteile von Salrom halte, dass er Vertreter in deren Vorstand ernannt habe und dass der jährliche Haushalt von Salrom vom Staat zu genehmigen sei, reiche zwar aus, um darzutun, dass Salrom ein öffentliches Unternehmen sei, nicht aber für den Nachweis, dass ihr Votum für die Genehmigung dieses Plans dem Staat zuzurechnen sei.

168    Die Kommission macht im Wesentlichen geltend, die Zurechenbarkeit der Stimme von Salrom an den Staat ergebe sich aus dem „hohen Maß staatlicher Eingriffe bei der Festlegung der Maßnahme und ihrer Finanzierungsmodalitäten“, insbesondere aus der Vereinbarung und den öffentlichen Erklärungen.

169    Erstens stellt das Gericht fest, dass es die Kommission in dem der Zurechenbarkeit der Maßnahme 3 an den Staat gewidmeten Abschnitt 6.1.1.3 des angefochtenen Beschlusses (Erwägungsgründe 201 bis 218) unterlassen hat, zu prüfen, ob die Stimme von Salrom, einer Gläubigerin und Lieferantin u. a. von Salzlösung an die Klägerin, dem Staat zuzurechnen war. Dieser Abschnitt enthält nämlich nur zwei Bezugnahmen auf Salrom, eine in Fn. 70 des angefochtenen Beschlusses, in der lediglich darauf hingewiesen wird, dass Salrom einer der Unterzeichner der Vereinbarung war, und die andere im 218. Erwägungsgrund dieses Beschlusses, mit dem dieser Abschnitt des angefochtenen Beschlusses abgeschlossen wird und in dem die Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass die Gewährung der Maßnahme 3 u. a. durch Salrom dem Staat zuzurechnen sei. In diesem Abschnitt nimmt die Kommission allgemein, und ohne Salrom speziell zu erwähnen, Bezug auf die Unterzeichnung der Vereinbarung durch bestimmte Gläubiger der Klägerin und auf die öffentlichen Erklärungen, um die Zurechenbarkeit der Maßnahme 3 an den Staat zu begründen.

170    Insoweit ist unstreitig, dass Salrom bei Umsetzung der Maßnahme 3 ein öffentliches Unternehmen war. Nach der Rechtsprechung ist es jedoch nicht möglich, die Zurechenbarkeit einer Maßnahme an den Staat allein daraus abzuleiten, dass sie von einem öffentlichen Unternehmen getroffen wurde. Auch wenn der Staat in der Lage ist, ein öffentliches Unternehmen zu kontrollieren und einen beherrschenden Einfluss auf dessen Tätigkeiten auszuüben, kann nämlich nicht ohne Weiteres vermutet werden, dass diese Kontrolle in einem konkreten Fall tatsächlich ausgeübt wird, wobei nicht verlangt werden kann, dass auf der Grundlage einer genauen Anweisung nachgewiesen wird, dass die Behörden das öffentliche Unternehmen konkret veranlasst haben, die fragliche Beihilfemaßnahme zu treffen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Mai 2002, Frankreich/Kommission, C‑482/99, EU:C:2002:294, Rn. 51 bis 53).

171    Bei Vorteilen, die von öffentlichen Unternehmen gewährt werden, muss geprüft werden, ob davon auszugehen ist, dass die Behörden in irgendeiner Weise am Erlass dieser Maßnahmen beteiligt waren, wobei die Zurechenbarkeit an den Staat aus einem Komplex von Indizien abgeleitet werden kann, die sich aus den Umständen des konkreten Falles und aus dem Kontext ergeben, in dem diese Maßnahme ergangen ist. Insoweit hat der Gerichtshof bereits berücksichtigt, dass die fragliche Einrichtung die beanstandete Entscheidung nicht treffen konnte, ohne den Anforderungen der öffentlichen Stellen Rechnung zu tragen, oder dass, abgesehen von organisationsrechtlichen Faktoren, die die öffentlichen Unternehmen mit dem Staat verbunden haben, diese Unternehmen, über die die Beihilfen gewährt worden waren, die Richtlinien einer öffentlichen Einrichtung zu beachten hatten. Weitere Indizien sind gegebenenfalls von Bedeutung, um auf die Zurechenbarkeit einer Beihilfemaßnahme eines öffentlichen Unternehmens an den Staat schließen zu können, wie insbesondere seine Eingliederung in die Strukturen der öffentlichen Verwaltung, die Art seiner Tätigkeit und deren Ausübung auf dem Markt unter normalen Bedingungen des Wettbewerbs mit privaten Wirtschaftsteilnehmern, der Rechtsstatus des Unternehmens, ob es also dem öffentlichen Recht oder dem allgemeinen Gesellschaftsrecht unterliegt, die Intensität der behördlichen Aufsicht über die Unternehmensführung oder jedes andere Indiz, das im konkreten Fall auf eine Beteiligung der Behörden oder auf die Unwahrscheinlichkeit einer fehlenden Beteiligung am Erlass einer Maßnahme hinweist, wobei auch deren Umfang, ihr Inhalt oder ihre Bedingungen zu berücksichtigen sind (Urteil vom 16. Mai 2002, Frankreich/Kommission, C‑482/99, EU:C:2002:294, Rn. 52, 55 und 56).

172    Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in Abschnitt 6.1.1.3 des angefochtenen Beschlusses abgesehen von der Feststellung, dass es die Vereinbarung und die öffentlichen Erklärungen gibt, keine Indizien wie die oben in Rn. 171 angeführten genannt hat, die die Feststellung erlauben, dass das Verhalten von Salrom im Rahmen der Maßnahme 3 dem Staat zuzurechnen ist.

173    Zu dem Umstand, dass Salrom die Vereinbarung unterzeichnet hat, ist mit der Klägerin zum einen festzustellen, dass diese ausdrücklich vorsah, dass ihre Unterzeichner keine Verpflichtung hatten, auf ihre Forderungen gegenüber der Klägerin zu verzichten, einen bestimmten Umstrukturierungsplan zu akzeptieren, noch ganz allgemein auf irgendwelche vertraglichen oder sonstigen Rechte gegenüber der Klägerin zu verzichten, so dass diese Vereinbarung Salrom keine Verpflichtung im Rahmen des Umstrukturierungsplans auferlegt hat.

174    Zum anderen lässt nichts im angefochtenen Beschluss erkennen, warum die Vereinbarung eine entscheidende Rolle für das Verhalten von Salrom im Rahmen der Maßnahme 3 gespielt haben soll. Vielmehr deutet das Verhalten dieses Unternehmens im Rahmen der Maßnahme 2 darauf hin, dass dies nicht der Fall war, wie oben aus Rn. 127 hervorgeht.

175    Gleiches gilt für die öffentlichen Erklärungen, wie oben in den Rn. 134 und 136 ausgeführt worden ist.

176    Zweitens hat die Kommission zwar in dem der Zurechenbarkeit der Maßnahme 2 an den Staat gewidmeten Abschnitt 6.1.1.2 des angefochtenen Beschlusses (Erwägungsgründe 188 bis 200) ausgeführt, dass Rumänien 51 % der Anteile von Salrom halte, dass es seine Vertreter im Vorstand ernannt habe und dass der jährliche Haushalt von Salrom vom Staat zu genehmigen sei, wobei diese Vorabgenehmigung u. a. die Beträge betreffe, die den Forderungen aus Lieferungen und Leistungen an Kunden (z. B. die Klägerin) entsprächen (Erwägungsgründe 191 und 192 des angefochtenen Beschlusses). Die Kommission hat jedoch hervorgehoben, dass nicht der Schluss gezogen werden dürfe, dass das Verhalten von Salrom im Rahmen der Maßnahme 2 dem Staat zuzurechnen sei, da diese Maßnahme im Wesentlichen deshalb keine durch Salrom gewährte Beihilfe darstelle, weil sich Letztere wie ein privater Gläubiger verhalten habe (Erwägungsgründe 193 und 263 des angefochtenen Beschlusses).

177    Da sich die Maßnahme 2 jedoch auf den Zeitraum zwischen September 2012 und Januar 2013 bezieht, kann nur festgestellt werden, dass der angefochtene Beschluss nichts enthält, was belegen könnte, dass diese Umstände 2015 bei Umsetzung der Maßnahme 3 noch aktuell waren. Bei der Prüfung, ob das Kriterium der Zurechenbarkeit erfüllt ist, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Maßnahme getroffen wurde (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 2. Juli 2015, Frankreich und Orange/Kommission, T‑425/04 RENV und T‑444/04 RENV, EU:T:2015:450, Rn. 221 und 229).

178    Selbst wenn man annimmt, dass alle diese Umstände im Jahr 2015 noch aktuell waren, ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Kommission nicht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das Verhalten von Salrom im Rahmen der Maßnahme 2 dem Staat zuzurechnen sei. Unter diesen Umständen kann nicht festgestellt werden, wie die Kommission diese Umstände bewertet hat, und insbesondere, ob sie ausgereicht hätten, um die Maßnahme 2, soweit sie Salrom betraf, dem Staat zuzurechnen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Umstände im Jahr 2015 noch relevant waren, kann das Gericht daher die fehlende Beurteilung der Kommission nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen.

179    Daher ist in Übereinstimmung mit der Klägerin der Schluss zu ziehen, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss nicht in rechtlich hinreichender Weise dargetan hat, dass das Votum von Salrom für die Genehmigung des Umstrukturierungsplans dem Staat zuzurechnen war.

–       Zur Zurechenbarkeit des Votums von CET Govora an den Staat

180    Die Klägerin macht geltend, der angefochtene Beschluss enthalte keine Beurteilung der Frage, ob das Votum von CET Govora zum Sanierungsplan dem Staat zurechenbar sei. CET Govora habe jedoch die Vereinbarung nicht unterschrieben, weshalb es unwahrscheinlich sei, dass ihr Votum davon habe beeinflusst werden können. Zudem betreffen die im 195. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses genannten Entscheidungen des Bezirksrats von Vâlcea, einer öffentlichen Einrichtung die nach dem 194. Erwägungsgrund dieses Beschlusses Alleingesellschafterin von CET Govora sein soll, nach Ansicht der Klägerin nicht die Maßnahme 3.

181    Die Kommission macht im Wesentlichen geltend, dass es, wie aus dem 196. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgehe, angesichts des allgemeinen Kontexts, in den das Verhalten von CET Govora eingebettet gewesen sei, „unhaltbar“ wäre anzunehmen, dass CET Govora unter Berücksichtigung insbesondere der Vereinbarung und der öffentlichen Erklärungen frei von jeglichem Einfluss durch den Staat gewesen sei.

182    In den Erwägungsgründen 201 und 205 des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission ausdrücklich auf ihre Analyse der Zurechenbarkeit der Maßnahme 2 an den Staat hingewiesen, soweit sie CET Govora, eine Gläubigerin und Lieferantin u. a. von Strom und Dampf an die Klägerin, betraf, um ihre Schlussfolgerung zu untermauern, dass das Votum von CET Govora für die Genehmigung des Umstrukturierungsplans dem Staat zuzurechnen sei. So hat die Kommission im 201. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses auf dessen 200. Erwägungsgrund verwiesen, mit dem die Prüfung der Zurechenbarkeit der Maßnahme 2 an den Staat abgeschlossen wird, wobei dieser allgemeine Verweis daher als Bezugnahme auf alle im Rahmen der Prüfung der Zurechenbarkeit der Maßnahme 2 an den Staat ins Treffen geführten Gesichtspunkte zu verstehen ist. Insoweit hat die Kommission im Wesentlichen zunächst darauf hingewiesen, dass der Staat Alleingesellschafter von CET Govora sei, sodann, dass weitere unbezahlte Stromlieferungen an die Klägerin, die Gegenstand der Maßnahme 2 seien, in Durchführung mehrerer Entscheidungen des Bezirksrates von Vâlcea erfolgt seien, und schließlich, dass es in „einem breiteren Kontext“ betrachtet „unhaltbar [wäre] anzunehmen, dass CET Govora frei von jeglichem Einfluss durch den Staat ist“ (Erwägungsgründe 194 bis 198 des angefochtenen Beschlusses). Darüber hinaus hat die Kommission in Abschnitt 6.1.1.3 des angefochtenen Beschlusses allgemein auf die Unterzeichnung der Vereinbarung durch bestimmte Gläubiger der Klägerin und auf die öffentlichen Erklärungen hingewiesen, um die Zurechenbarkeit der Maßnahme 3 an den Staat zu rechtfertigen.

183    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es unbestritten ist, dass CET Govora bei Erlass der Maßnahme 3 ein öffentliches Unternehmen war. Wie oben in Rn. 170 ausgeführt, ist es jedoch nach der Rechtsprechung nicht möglich, die Zurechenbarkeit einer Maßnahme an den Staat allein deshalb anzunehmen, weil sie von einem öffentlichen Unternehmen getroffen wurde.

184    Nach der oben in Rn. 171 angeführten Rechtsprechung muss die Kommission einen Komplex von relevanten Indizien berücksichtigen, um festzustellen, ob das Verhalten von CET Govora im Rahmen der Maßnahme 3 dem Staat zuzurechnen war.

185    Insoweit kann sich die Kommission nicht mit Erfolg auf die Vereinbarung berufen, weil CET Govora sie nicht einmal unterzeichnet hat. Selbst wenn CET Govora sie bei ihrem Votum im Rahmen der Maßnahme 3 berücksichtigt hätte, gilt gleichwohl, dass die Vereinbarung, wie oben in Rn. 173 ausgeführt, ausdrücklich vorsah, dass ihre Unterzeichner keine Verpflichtung hatten, auf ihre Forderungen gegenüber der Klägerin zu verzichten, einen bestimmten Umstrukturierungsplan zu akzeptieren, noch ganz allgemein auf irgendwelche vertraglichen oder sonstigen Rechte gegenüber der Klägerin zu verzichten. Was die öffentlichen Erklärungen anbelangt, so genügt der Hinweis auf Rn. 136 oben.

186    Zu den Indizien, die im angefochtenen Beschluss im Rahmen der Maßnahme 2 angeführt wurden, auf die die Kommission verwiesen hat, ist festzustellen, dass sich diese auf den Zeitraum zwischen September 2012 und Januar 2013 beziehen und dass der angefochtene Beschluss nichts enthält, was belegen könnte, dass diese Umstände 2015 bei Umsetzung der Maßnahme 3 noch aktuell waren, wobei nach der oben in Rn. 177 angeführten Rechtsprechung bei der Prüfung, ob das Kriterium der Zurechenbarkeit erfüllt ist, auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem die Maßnahme getroffen wurde.

187    Darüber hinaus sind einige im Rahmen der Maßnahme 2 ins Treffen geführte Gesichtspunkte, die das Verhalten von CET Govora betreffen, für die Prüfung, ob deren Votum für den Umstrukturierungsplan dem Staat zuzurechnen ist, irrelevant. So betrafen, wie die Klägerin geltend macht, die in den Erwägungsgründen 29, 85 und 195 des angefochtenen Beschlusses angeführten Entscheidungen des Bezirksrats von Vâlcea ausschließlich die Maßnahme 2 und standen in keinem Zusammenhang mit der Genehmigung des Umstrukturierungsplans, die zwei Jahre später erfolgte.

188    Was die Aspekte des „breiteren Kontexts“ anbelangt, auf den in den Erwägungsgründen 196 und 197 des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen wird, so sind diese für die Frage, ob das Votum von CET Govora für den Umstrukturierungsplan dem Staat zuzurechnen war, nicht unmittelbar relevant. Die Kommission legt nämlich nicht klar dar, welchen Zusammenhang sie zwischen der Tatsache, dass der Geschäftsführer von CET Govora von den nationalen Strafgerichten wegen Amtsmissbrauchs und Einflussnahme im Zeitraum von Oktober 2011 bis Juli 2014 verurteilt wurde, und dem Votum von CET Govora für den Umstrukturierungsplan herstellt. Auch der Umstand, dass der Geschäftsführer von CET Govora sodann zwischen Oktober 2012 und Februar 2013 Geschäftsführer der Klägerin war und anschließend nach Februar 2013 erneut Geschäftsführer von CET Govora wurde, ist nicht relevant. Abgesehen davon, dass sich auch dieser Umstand auf einen Zeitraum vor dem von der Maßnahme 3 betroffenen bezieht, bedeutet die bloße Tatsache, dass eine bestimmte natürliche Person zu unterschiedlichen Zeitpunkten zum Geschäftsführer von zwei öffentlichen Unternehmen ernannt wurde, an sich nicht, dass die Handlungen, die von einem der Unternehmen zwei Jahre später vorgenommen wurden, dem Staat zuzurechnen wären.

189    In Ermangelung anderer relevanter und aktueller Indizien im angefochtenen Beschluss ist daher mit der Klägerin der Schluss zu ziehen, dass es der Kommission nicht gelungen ist, in rechtlich hinreichender Weise darzutun, dass das Votum von CET Govora für die Genehmigung des Umstrukturierungsplans dem Staat zuzurechnen war.

–       Zur Zurechenbarkeit des Votums der ANE an den Staat

190    Im angefochtenen Beschluss hat die Kommission ihre Schlussfolgerung, dass das Votum der ANE für die Genehmigung des Umstrukturierungsplans dem Staat zuzurechnen sei, u. a. darauf gestützt, dass die ANE eine rechtsfähige öffentliche Einrichtung von nationalem Interesse sei, die vom zentralen Wasserwirtschaftsamt koordiniert werde; dass sie u. a. dafür zuständig sei, dass die nationale Strategie und Politik im Bereich der Bewirtschaftung der Wasserressourcen angewendet werde und die entsprechenden Vorschriften in diesem Bereich eingehalten würden, und in diesem Zusammenhang die Infrastruktur des nationalen Wasserwirtschaftssystems zu verwalten und zu betreiben und die Durchführung einer Reihe von Aktivitäten von nationalem und sozialem Interesse zu gewährleisten; dass die Mitglieder ihres Verwaltungsrats auf Anordnung des Leiters des zentralen Wasserwirtschaftsamts ernannt würden und dass jeweils ein Vertreter des Ministeriums für öffentliche Finanzen und des zentralen Wasserwirtschaftsamts zu den Mitgliedern zählten und dass der Generaldirektor der ANE auf Anordnung des Leiters des zentralen Wasserwirtschaftsamts ernannt, suspendiert und entlassen werde und dass das Ertrags- und Ausgabenbudget des Unternehmens vom Verwaltungsrat mit Zustimmung des Leiters des zentralen Wasserwirtschaftsamts genehmigt werde.

191    Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe im angefochtenen Beschluss zwei verschiedene Einrichtungen miteinander verwechselt. Insbesondere sei die Bezugnahme auf die ANE in der Kategorie „ungesicherte Gläubiger gemäß Artikel 96 des [rumänischen] Insolvenzgesetzes“ in Tabelle 1 im 67. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses falsch, da diese Forderung einer anderen öffentlichen Einrichtung, nämlich der nationalen Wasserbehörde – Verwaltung des Olt-Beckens (im Folgenden: ANE‑ABO) zustehe. Die ANE‑ABO habe für den Umstrukturierungsplan gestimmt, während die ANE weder für noch gegen diesen Plan gestimmt habe. Daher habe es die Kommission im angefochtenen Beschluss unterlassen, die Zurechenbarkeit des Votums von ANE‑ABO an den Staat zu prüfen.

192    Die Kommission macht geltend, die ANE‑ABO sei eine der elf regionalen Zweigniederlassungen der ANE. Die in den Erwägungsgründen 212 bis 217 des angefochtenen Beschlusses zur ANE angestellten Erwägungen träfen auch auf diese Zweigniederlassung zu.

193    Die Klägerin beschränkt sich im Wesentlichen auf die Behauptung, die Kommission habe irrtümlich auf eine Einrichtung Bezug genommen, die nicht diejenige sei, die ihr gegenüber Forderungen besitze. Sie bestreitet jedoch weder den von der Kommission in ihrer Klagebeantwortung angeführten Umstand, dass die ANE‑ABO eine Zweigniederlassung der ANE sei, noch die Schlussfolgerung der Kommission, wonach im Wesentlichen die in den Erwägungsgründen 212 bis 217 des angefochtenen Beschlusses angestellten Erwägungen zur ANE mutatis mutandis auf ihre Zweigniederlassung zuträfen. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte gelten die im angefochtenen Beschluss in Bezug auf die ANE dargelegten Gesichtspunkte auch für ihre Zweigniederlassungen.

194    Unter diesen Umständen ist es zwar bedauerlich, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss die ANE mit ihrer Zweigniederlassung verwechselt hat, doch handelt es sich allenfalls um einen formalen Fehler, der keinen Einfluss auf die Stichhaltigkeit der angefochtenen Entscheidung hat.

195    Daher ist das Vorbringen der Klägerin hierzu zurückzuweisen.

–       Zwischenergebnis

196    Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist der Schluss zu ziehen, dass der Kommission im angefochtenen Beschluss der Nachweis gelungen ist, dass das Votum der AAAS und das der Zweigniederlassung der ANE für die Genehmigung des Umstrukturierungsplans dem Staat zuzurechnen waren. Es ist ihr jedoch nicht gelungen, in rechtlich hinreichender Weise darzutun, dass das Votum von Salrom und das von CET Govora im Rahmen dieses Plans dem Staat zuzurechnen waren.

–       Zur Zurechenbarkeit des Umstrukturierungsplans an den Staat

197    Zunächst hat die Kommission im angefochtenen Beschluss in dessen 201. Erwägungsgrund sinngemäß behauptet, dass die Maßnahme 3 dem Staat zuzurechnen sei, weil der Umstrukturierungsplan ohne die Zustimmung der AAAS oder von CET Govora nicht hätte genehmigt werden können.

198    Diese Schlussfolgerung geht allerdings fehl.

199    Erstens ergibt sich aus den vorstehenden Rn. 180 bis 189, dass es der Kommission nicht gelungen ist, in rechtlich hinreichender Weise darzutun, dass das Votum von CET Govora für die Genehmigung des Umstrukturierungsplans dem Staat zuzurechnen war.

200    Zweitens ist, selbst wenn man annimmt, dass das Votum von CET Govora für die Genehmigung des Umstrukturierungsplans dem Staat zuzurechnen war, mit der Klägerin festzustellen, dass die Schlussfolgerung der Kommission im 201. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses nicht mit der Darstellung der geltenden nationalen insolvenzrechtlichen Vorschriften im angefochtenen Beschluss in Einklang steht.

201    Insoweit geht aus dem 42. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervor, dass nach den Art. 100 und 101 der Legea no. 85 privind procedura insolvenţei (Gesetz Nr. 85 über Insolvenzverfahren, im Folgenden: rumänisches Insolvenzgesetz) vom 5. April 2006 (Monitorul Oficial al României, Partea I, Nr. 359 vom 21. April 2006) ein Plan als angenommen gelte, wenn die absolute Mehrheit der Gläubigerkategorien für den Plan stimme, sofern mindestens eine der benachteiligten Kategorien den Plan akzeptiere. Der Plan gelte als von einer Kategorie von Gläubigern angenommen, wenn er in dieser Kategorie von Gläubigern angenommen werde, die eine absolute Mehrheit des Wertes der zu dieser Kategorie gehörenden Forderungen besäßen.

202    Zudem geht aus dem 43. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervor, dass gemäß der Definition in Art. 3 Abs. 21 des rumänischen Insolvenzgesetzes der Begriff „benachteiligte Kategorie“ eine Forderungskategorie bezeichne, für die der Umstrukturierungsplan u. a. die Kürzung des Forderungsbetrags vorsehe.

203    Wie aus Tabelle 1 im 67. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, wurden die Gläubiger der Klägerin im vorliegenden Fall in fünf Kategorien eingeteilt, so dass für die Genehmigung des Plans mindestens drei dieser Kategorien dafürstimmen mussten. Unbestritten waren ausweislich der Fn. 42 des angefochtenen Beschlusses im vorliegenden Fall all diese Gläubigerkategorien benachteiligte Kategorien im Sinne von Art. 3 Abs. 21 des rumänischen Insolvenzgesetzes.

204    Aus derselben Tabelle ergibt sich zudem, dass die AAAS und CET Govora zusammen nur in zwei Kategorien eine absolute Mehrheit des Wertes der Forderungen hatten, nämlich in der Kategorie „Gläubiger mit finanziellen Forderungen“ und in der Kategorie der „ungesicherten Gläubiger gemäß Art. 96 des [rumänischen] Insolvenzgesetzes“, wie die Kommission im Übrigen im 201. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses einräumt.

205    Daher hätten die AAAS und CET Govora nicht über die erforderliche Mehrheit verfügt, um den Umstrukturierungsplan allein zu genehmigen.

206    Der im 205. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführte Umstand, dass eine dritte Kategorie, nämlich die der Arbeitnehmer, „selbstverständlich“ den Plan bevorzugt habe, da dieser keine Verringerung der Ansprüche der Arbeitnehmer vorgesehen habe, ist unerheblich, da die Kommission zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht hat, dass das Votum der Arbeitnehmer dem Staat zuzurechnen sei.

207    Überdies hat die Kommission nicht nachgewiesen, dass die AAAS und CET Govora zusammen die Fähigkeit hatten, die Annahme des Umstrukturierungsplans zu blockieren. Vielmehr ergibt sich aus den im 74. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses und in der Tabelle in Rn. 75 der Stellungnahme Rumäniens vom Mai 2018 enthaltenen Angaben zum Abstimmungsverhalten der verschiedenen Gläubiger, dass es eine ausreichende Zahl von Gläubigern gab, die für diesen Plan gestimmt haben, damit dieser von drei der fünf Gläubigerkategorien, einschließlich zumindest einer „benachteiligten Kategorie“, als genehmigt angesehen werden konnte, selbst wenn die AAAS und CET Govora gegen den Umstrukturierungsplan gestimmt hätten.

208    Drittens besaßen die AAAS und die Zweigniederlassung der ANE, deren Stimme dem Staat zuzurechnen war, wie die Kommission zu Recht feststellen konnte, nur in einer einzigen Kategorie, nämlich der Kategorie der Gläubiger mit finanziellen Forderungen, zusammen die absolute Mehrheit der Forderungen. Daher hätten sie allein weder die Annahme des Umstrukturierungsplans erwirken noch seine Genehmigung durch die Gläubigerversammlung blockieren können.

209    Selbst wenn man viertens davon ausgeht, dass das Votum von CET Govora für die Genehmigung des Umstrukturierungsplans dem Staat zuzurechnen war und zu den Stimmen der AAAS und der Zweigniederlassung der ANE hinzugerechnet werden musste, ist festzustellen, dass sie zusammen nur in zwei Kategorien, nämlich in der Kategorie der „Gläubiger mit finanziellen Forderungen“ und der der „ungesicherten Gläubiger gemäß Art. 96 des [rumänischen] Insolvenzgesetzes“ eine absolute Mehrheit besessen hätten. Selbst wenn sie gegen den Umstrukturierungsplan gestimmt hätten, hätte es darüber hinaus eine hinreichende Anzahl von Gläubigern gegeben, die für diesen Plan stimmten, damit er als von drei der fünf Gläubigerkategorien, einschließlich zumindest einer benachteiligten Kategorie, als akzeptiert angesehen worden wäre. Daher hätten sie allein weder die Annahme des Umstrukturierungsplans erwirken noch seine Genehmigung durch die Gläubigerversammlung blockieren können.

210    Sodann kann die Behauptung im 202. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, wonach die Maßnahme 3 im Wesentlichen dem Staat zuzurechnen sei, weil der Umstrukturierungsplan von dem gerichtlich bestellten Insolvenzverwalter „aufgestellt“ worden und das Gericht eine staatliche Instanz sei, nur zurückgewiesen werden. Denn aus dem 41. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ergibt sich, dass der gerichtlich bestellte Insolvenzverwalter den Umstrukturierungsplan „erstellt“, der sodann von den Gläubigern erörtert und gebilligt werden müsse. Der gerichtlich bestellte Insolvenzverwalter besitzt daher nicht die Befugnis, den Umstrukturierungsplan anzunehmen.

211    Ferner trifft es zwar zu, dass, wie die Kommission hervorhebt, das zuständige Gericht, das den Staat verkörpert, den Plan nach dem geltenden nationalen Recht auch genehmigen muss. Allerdings kann dieses Gericht einen von den Gläubigern nicht angenommenen Plan nicht genehmigen. Folgte man der Annahme der Kommission, liefe dies in Wirklichkeit darauf hinaus, jeden im Rahmen eines Insolvenzverfahrens angenommenen Umstrukturierungsplan allein deshalb als dem Staat zurechenbar anzusehen, weil an dem Verfahren ein gerichtlich bestellter Insolvenzverwalter und ein Richter beteiligt waren.

212    Die Kommission kann sich insoweit nicht auf die Urteile vom 26. Oktober 2016, DEI und Kommission/Alouminion tis Ellados (C‑590/14 P, EU:C:2016:797, Rn. 59, 77 und 81), und vom 3. März 2016, Simet/Kommission (T‑15/14, EU:T:2016:124, Rn. 38, 44 und 45), berufen. Die in jenen Rechtssachen in Rede stehenden Beihilfemaßnahmen waren nämlich in keiner Weise mit der in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Maßnahme 3 vergleichbar. Bei der Rechtssache, in der das erste vorgenannte Urteil ergangen ist, ging es um eine Aluminiumherstellern gewährte und durch eine einstweilige Anordnung des zuständigen nationalen Gerichts geänderte staatliche Beihilfe, die die Anwendung eines Vorzugstarifs für die Stromversorgung verlängerte. Bei der Rechtssache, in der das zweite vorgenannte Urteil ergangen ist, ging es um eine von den italienischen Behörden in Durchführung eines Beschlusses eines nationalen Gerichts gewährte staatliche Beihilfe. In jenen Rechtssachen waren die fraglichen Beihilfemaßnahmen, deren Natur und Gegenstand in keiner Weise mit der Natur und dem Gegenstand eines im Rahmen eines Insolvenzverfahrens angenommenen Umstrukturierungsplans vergleichbar sind, staatlichen Ursprungs, während in der vorliegenden Rechtssache die Entscheidung, der Klägerin einen Teil ihrer Schulden zu erlassen, wie die Kommission selbst ausgeführt hat, von deren Gläubigern und nicht vom gerichtlich bestellten Insolvenzverwalter oder dem zuständigen Gericht getroffen wurde.

213    Schließlich ist die insbesondere in den Erwägungsgründen 203 bis 205 und 209 des angefochtenen Beschlusses enthaltene Behauptung, dass im Wesentlichen das Vorliegen der Vereinbarung und der öffentlichen Erklärungen zeige, dass die Maßnahme 3 insgesamt dem Staat zuzurechnen sei, aus den oben in den Rn. 128 und 136 dargelegten Gründen zurückzuweisen.

214    Insbesondere ist der im 205. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführte Umstand, dass die Unterzeichner der Vereinbarung zusammen mit CET Govora in vier Gläubigerkategorien die erforderliche Mehrheit hatten, unerheblich. Zum einen hat die Kommission nämlich zu keinem Zeitpunkt behauptet und erst recht nicht nachgewiesen, dass das Votum der privaten Banken, die das Protokoll unterzeichnet haben, dem Staat zuzurechnen war. Zum anderen genügt hinsichtlich des Votums von Electrica und Salrom der Hinweis auf die vorstehenden Rn. 156 und 167 bis 179, während CET Govora nicht einmal die Vereinbarung unterzeichnet hat. Die Kommission konnte daher im 206. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses nicht den Schluss ziehen, dass mit der Vereinbarung die erforderliche Mehrheit innerhalb der Gläubigerversammlung gewährleistet werden konnte.

215    Nach alledem ist es der Kommission nicht gelungen, in rechtlich hinreichender Weise darzutun, dass die Maßnahme 3 dem Staat zuzurechnen war und dass sie daher eine staatliche Beihilfe darstellte.

b)      Zu den Klagegründen betreffend die Maßnahmen 1 und 2, mit denen offensichtliche Beurteilungsfehler in Bezug auf das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils gerügt werden

216    Als Erstes hat die Kommission im 219. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass die Beihilfe eindeutig selektiv sei, da die Maßnahmen 1 und 2 ausschließlich der Klägerin gewährt worden seien, während andere Unternehmen im petrochemischen Sektor oder in anderen Sektoren, die sich rechtlich und faktisch in einer vergleichbaren Lage befänden, im Hinblick auf das mit den Maßnahmen verfolgte Ziel davon nicht profitiert hätten.

217    Als Zweites hat die Kommission in den Erwägungsgründen 221 und 222 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass das Kriterium des privaten Gläubigers im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.

218    Als Drittes hat die Kommission im 223. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses erläutert, dass sie „der Vollständigkeit halber“ gleichwohl für jede der vorliegenden Maßnahmen das Kriterium des privaten Gläubigers überprüft habe. So hat sie dieses Kriterium in den Abschnitten 6.1.2.1 (Erwägungsgründe 224 bis 243) und 6.1.2.2 (Erwägungsgründe 244 bis 263) des angefochtenen Beschlusses jeweils auf die Maßnahmen 1 und 2 angewandt und den Schluss gezogen, dass diese der Klägerin einen selektiven Vorteil verschafften, mit Ausnahme der Unterstützung der Geschäftstätigkeiten der Klägerin durch Salrom im Rahmen der Maßnahme 2, da sich dieses Unternehmen nach Ansicht der Kommission wie ein privater Gläubiger verhalten und der Klägerin daher keinen wirtschaftlichen Vorteil verschafft hat.

219    Die Klägerin wendet sich gegen die Schlussfolgerungen der Kommission, wonach erstens das Kriterium des privaten Gläubigers im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei und zweitens der Klägerin im Rahmen der Maßnahmen 1 und 2 in dem oben in Rn. 218 genannten Umfang ein wirtschaftlicher Vorteil gewährt worden sei.

220    Vorab ist festzustellen, dass es nicht mehr erforderlich ist, den Klagegrund der Klägerin zu prüfen, mit dem sie hinsichtlich des Vorliegens eines wirtschaftlichen Vorteils im Rahmen der Maßnahme 3 offensichtliche Beurteilungsfehler rügt. Wie oben in den Rn. 156 und 215 ausgeführt, hat die Kommission nicht in rechtlich hinreichender Weise dargetan, dass diese Maßnahme eine Übertragung staatlicher Mittel darstellte und dem Staat zuzurechnen war, was genügt, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Maßnahme 3 in Anbetracht des kumulativen Charakters der in Art. 107 Abs. 1 AEUV genannten Voraussetzungen keine staatliche Maßnahme ist, wie sich aus der oben in Rn. 138 angeführten Rechtsprechung ergibt.

1)      Zur Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Gläubigers

221    In den Erwägungsgründen 221 und 222 des angefochtenen Beschlusses ist die Kommission davon ausgegangen, dass entgegen dem Vorbringen Rumäniens im Verwaltungsverfahren das Kriterium des marktwirtschaftlich handelnden Wirtschaftsteilnehmers im vorliegenden Fall im Wesentlichen deshalb nicht anwendbar sei, weil Rumänien, als es darum gegangen sei, die Klägerin vor der Insolvenz zu bewahren, stetig und eindeutig in seiner Eigenschaft als öffentliche Behörde, u. a. durch öffentliche Erklärungen und im Wege der Vereinbarung, und nicht als Anteilseigner, der in ein Unternehmen investiere, oder als dessen Gläubiger gehandelt habe.

222    Der 222. Erwägungsgrund es angefochtenen Beschlusses verweist insoweit auf die Erwägungsgründe „204 ff.“, 274 und 276 dieses Beschlusses. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Verweise den in den Erwägungsgründen 221 und 222 des angefochtenen Beschlusses genannten Gründen nichts hinzuzufügen scheinen. Die Erwägungsgründe „204 ff.“ des angefochtenen Beschlusses nehmen vor allem Bezug auf bereits im 222. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses erwähnte öffentliche Erklärungen, während die Erwägungsgründe 274 und 276 dieses Beschlusses die Anwendung und nicht die Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Gläubigers im speziellen Rahmen der Maßnahme 3 betreffen.

223    Zur Anwendbarkeit dieses Kriteriums macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die in Rede stehenden Maßnahmen bedeuteten nicht, dass der Staat hoheitliche Befugnisse ausübe, wie der Umstand zeige, dass sie auch von privaten Gläubigern hätten getroffen werden können und tatsächlich getroffen worden seien. Zudem sprächen auch ihre Natur, ihr Gegenstand, der Kontext, in den sie eingebettet waren, die mit ihnen verfolgten Ziele und die Regeln, denen sie unterworfen seien, dafür, dass dieses Kriterium im vorliegenden Fall anwendbar sei. Weder die Vereinbarung noch die öffentlichen Erklärungen seien geeignet, die Anwendbarkeit dieses Kriteriums auszuschließen.

224    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Sie macht im Wesentlichen geltend, das Kriterium des privaten Gläubigers sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da Rumänien, als es die in Rede stehenden Maßnahmen erlassen habe, in seiner Eigenschaft als Behörde oder Träger öffentlicher Gewalt und nicht als privater Gläubiger gehandelt habe, wie die Vereinbarung und die öffentlichen Erklärungen zeigten.

225    Es ist darauf hinzuweisen, dass der Privatgläubigertest und der Privatinvestortest spezielle Ausprägungen des Kriteriums des marktwirtschaftlich handelnden Wirtschaftsteilnehmers sind, die verwendet werden, um zu prüfen, ob das Verhalten eines öffentlichen Gläubigers oder eines öffentlichen Investors jeweils geeignet sind, eine staatliche Beihilfe darzustellen.

226    Nach der Rechtsprechung sind die Rollen des Staates als Anteilseigner eines Unternehmens auf der einen und als Träger öffentlicher Gewalt auf der anderen Seite zu unterscheiden. Somit ist das Kriterium des privaten Kapitalgebers davon abhängig, ob der betroffene Mitgliedstaat einem Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil in seiner Eigenschaft als Anteilseigner und nicht in seiner Eigenschaft als Träger öffentlicher Gewalt gewährt. Um zu beurteilen, ob eine Maßnahme vom Staat in seiner Eigenschaft als Anteilseigner und nicht als Träger öffentlicher Gewalt getroffen wurde, ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, bei der insbesondere die Natur und der Gegenstand dieser Maßnahme, der Kontext, in den sie eingebettet ist, sowie das verfolgte Ziel und die Regeln, denen diese Maßnahme unterworfen ist, zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2012, Kommission/EDF, C‑124/10 P, EU:C:2012:318, Rn. 80, 81 und 86).

227    Wenn sich ein Mitgliedstaat im Verwaltungsverfahren auf das Kriterium des privaten Gläubigers beruft, muss er im Zweifelsfall eindeutig und anhand objektiver, nachprüfbarer und aktueller Nachweise belegen, dass er die durchgeführte Maßnahme in seiner Eigenschaft als Anteilseigner getroffen hat. Wenn der betroffene Mitgliedstaat der Kommission die erforderlichen Nachweise vorgelegt hat, hat diese eine Gesamtwürdigung vorzunehmen und dabei neben den vom betroffenen Mitgliedstaat vorgelegten Nachweisen auch jeden anderen erheblichen Anhaltspunkt zu berücksichtigen. Der Gerichtshof hat jedoch klargestellt, dass das Kriterium des privaten Kapitalgebers keine Ausnahme darstelle, die nur zur Anwendung kommt, wenn sich ein Mitgliedstaat auf sie beruft, sondern dass es, wenn es anwendbar ist, zu den Aspekten gehört, die die Kommission beim Nachweis des Vorliegens einer staatlichen Beihilfe berücksichtigen muss. Wenn sich somit erkennen lässt, dass dieses Kriterium anwendbar sein könnte, hat die Kommission den betroffenen Mitgliedstaat um alle einschlägigen Informationen zu ersuchen, um überprüfen zu können, ob die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit und Anwendung dieses Kriteriums erfüllt sind. Sie kann sich nur dann weigern, solche Informationen zu prüfen, wenn die vorgelegten Beweise aus der Zeit nach dem Erlass der Entscheidung über die Vornahme der betreffenden Kapitalanlage stammen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2012, Kommission/EDF, C‑124/10 P, EU:C:2012:318, Rn. 82 bis 86, 103 und 104).

228    Der Gerichtshof hatte auch die Gelegenheit klarzustellen, dass das Kriterium des privaten Gläubigers grundsätzlich anwendbar ist, wenn ein öffentlicher Gläubiger Zahlungserleichterungen für eine ihm von einem Unternehmen geschuldete Forderung gewährt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Januar 2013, Frucona Košice/Kommission, C‑73/11 P, EU:C:2013:32, Rn. 71).

229    Zudem hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass der wirtschaftliche Charakter des Handelns des Mitgliedstaats der „Ausgangspunkt“ für die Prüfung der Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Kapitalgebers sein müsse und dass die Kommission, wenn sich erkennen lässt, dass das Kriterium des privaten Gläubigers anwendbar sein könnte, diese Möglichkeit unabhängig von einer dahin gehenden Anfrage zu prüfen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2017, Kommission/Frucona Košice, C‑300/16 P, EU:C:2017:706, Rn. 25 und 27).

230    In bestimmten Fällen kann die Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Kapitalgebers auch wegen der Natur der in Rede stehenden Maßnahme angenommen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2018, BTB Holding Investments und Duferco Participations Holding/Kommission, T‑100/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:900, Rn. 53).

231    Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in den Erwägungsgründen 221 und 222 des angefochtenen Beschlusses ihre Schlussfolgerung zur Unanwendbarkeit des Kriteriums des privaten Kapitalgebers im Wesentlichen auf das Vorliegen der Vereinbarung und der öffentlichen Erklärungen gestützt hat. Da die Kommission diese Vereinbarung und diese Erklärungen aber nicht als staatliche Beihilfe eingestuft hat, sind sie nur als Aspekte des Kontexts zu betrachten, in den die in Rede stehenden Maßnahmen eingebettet waren.

232    Damit hat die Kommission keine Gesamtwürdigung aller relevanten Faktoren, insbesondere jener, die die Natur und den Gegenstand der Maßnahme, das verfolgte Ziel und die Regeln, denen diese Maßnahme unterworfen war, betreffen, vorgenommen, wie von der oben in den Rn. 226 und 227 angeführten Rechtsprechung verlangt wird.

233    Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der angefochtene Beschluss dahin ausgelegt werden kann, dass er implizit, jedoch notwendigerweise darauf hindeutet, dass die Aspekte des Kontexts nach Ansicht der Kommission im vorliegenden Fall so bedeutend waren, dass sie allein ausgereicht haben, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass das Kriterium des privaten Gläubigers unabhängig von den anderen von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Faktoren unanwendbar war.

234    Die Klägerin macht jedenfalls geltend, diese anderen Faktoren zeigten, dass das Kriterium des privaten Gläubigers im vorliegenden Fall anwendbar sei.

235    Es ist daher zu prüfen, ob die Kommission unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren in Bezug auf die Natur sowie den Gegenstand der Maßnahmen 1 und 2, den Kontext, in den sie eingebettet waren, das verfolgte Ziel und die Regeln, denen sie unterliegen, fehlerfrei zu dem Ergebnis gelangen konnte, dass das Kriterium des privaten Gläubigers auf die Maßnahmen 1 und 2 nicht anwendbar war.

236    Was zunächst den Gegenstand und die Natur der Maßnahmen 1 und 2 anbelangt, so ergibt sich aus der vorstehenden Rn. 99, dass die Maßnahme 1 im Wesentlichen die Zweckmäßigkeit, den Zeitplan und die Modalitäten einer möglichen Vollstreckung der Forderungen der AAAS betrifft. Jeder private Gläubiger könnte auch vor einer solchen Entscheidung stehen.

237    In gleicher Weise betrifft die Maßnahme 2 die Modalitäten, nach denen die Lieferungen von Rohstoffen an ein Unternehmen in Schwierigkeiten fortgesetzt oder unterbrochen werden sollten. Jeder private Lieferant könnte auch vor einer solchen Entscheidung stehen.

238    Die Maßnahmen 1 und 2 sind daher im Wesentlichen wirtschaftlicher Natur, und diese Natur als solche deutet nicht auf die Ausübung hoheitlicher Befugnisse hin.

239    Sodann ist hinsichtlich des Kontexts, in den diese Maßnahmen eingebettet sind, erstens festzustellen, dass der relevante Zeitraum der Maßnahmen 1 und 2, wie die Klägerin geltend macht, im September 2012 begann, während die Vereinbarung am 23. November 2012 unterzeichnet wurde. Somit wurden die Maßnahmen 1 und 2 ungefähr zwei Monate vor der Unterzeichnung der Vereinbarung durchgeführt, so dass die Vereinbarung nicht der Grund für deren Umsetzung sein konnte.

240    Zweitens verpflichtete, wie die Klägerin geltend macht und wie sich aus der vorstehenden Rn. 124 ergibt, keine Klausel der Vereinbarung die AAAS, ihre Forderungen gegen die Klägerin nicht durchzusetzen. Was CET Govora, die einzige Beihilfegeberin im Rahmen der Maßnahme 2, anbelangt, so ist sie nicht einmal Unterzeichnerin der Vereinbarung.

241    Drittens hat, wie aus der vorstehenden Rn. 127 hervorgeht, der Umstand, die Vereinbarung unterzeichnet zu haben, einige Unterzeichner nicht daran gehindert, sich wie private Gläubiger zu verhalten.

242    Was die öffentlichen Erklärungen anbelangt, genügt der Hinweis auf die vorstehenden Rn. 130 bis 136, aus denen sich ergibt, dass diese Erklärungen keine klaren, bestimmten, konkreten und festen Verpflichtungen des Staates enthielten, die die AAAS und CET Govora zu einem Verhalten verpflichteten, das durch die Ausübung hoheitlicher Befugnisse gekennzeichnet war (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juli 2015, Frankreich und Orange/Kommission, T‑425/04 RENV und T‑444/04 RENV, EU:T:2015:450, Rn. 235 bis 245).

243    Sodann wird hinsichtlich der Ziele der Maßnahmen 1 und 2 auf die vorstehenden Rn. 111 und 112 verwiesen, denen zu entnehmen ist, dass der Maßnahme 1 kein klares Ziel zugeordnet werden kann, während mit der Maßnahme 2 das Ziel verfolgt wird, die Tragfähigkeit von CET Govora selbst aufrechtzuerhalten.

244    Was schließlich die Regeln betrifft, denen die Maßnahmen 1 und 2 unterworfen waren, so deuten auch diese nicht auf die Ausübung hoheitlicher Befugnisse hin.

245    Die auf die Maßnahme 1 anwendbaren Regeln sind im Wesentlichen die Vorschriften über das Verfahren zur Vollstreckung von Forderungen. Zwar gibt es Sondergesetze über die Einziehung von Staatsschulden, die u. a. die Möglichkeit der direkten Durchsetzung von Forderungen ohne Gerichtsbeschluss vorsehen, allerdings hat die AAAS, deren passives Verhalten Gegenstand der Maßnahme 1 ist, von dieser Möglichkeit im vorliegenden Fall nicht Gebrauch gemacht (vgl. nachstehende Rn. 266 bis 275).

246    Die Maßnahme 2 bezieht sich im Wesentlichen auf die vertraglichen Beziehungen zwischen CET Govora, Salrom und der Klägerin während des Zeitraums von September 2012 bis Januar 2013.

247    Folglich ergibt sich aus der Natur, dem Gegenstand, dem Kontext, dem Ziel und den Rechtsvorschriften, denen die Maßnahmen 1 und 2 unterworfen waren, dass diese in den Bereich der Wirtschaft und des Handels fielen und nicht mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch den Staat in Zusammenhang standen.

248    Daher ist die Kommission zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Kriterium des privaten Gläubigers auf die Maßnahmen 1 und 2 nicht anwendbar sei.

2)      Zum Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils in Bezug auf die Maßnahme 1

249    In Abschnitt 6.1.2.1 des angefochtenen Beschlusses (Erwägungsgründe 224 bis 243) hat die Kommission die Ansicht vertreten, dass die AAAS der Klägerin aufgrund der Nichtbeitreibung und weiteren Anhäufung von Forderungen während des Zeitraums vom September 2012 bis Januar 2013 im Wesentlichen deshalb einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft habe, weil sich die AAAS nicht wie eine private Gläubigerin verhalten habe. Denn obwohl sie über die schwierige und sich stetig verschlechternde finanzielle Lage der Klägerin Bescheid gewusst habe, habe die AAAS keine Maßnahmen getroffen, um zu versuchen, ihre Forderungen durchzusetzen oder zumindest eine bessere Position als Gläubigerin zu erlangen.

250    Im Einzelnen hat sich die Kommission im angefochtenen Beschluss auf mehrere Gesichtspunkte gestützt, um zu zeigen, dass die AAAS der Klägerin im Rahmen der Maßnahme 1 einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft habe, und zwar:

–        Im Unterschied zu den Umständen im Zusammenhang mit dem Erlass des Beschlusses von 2012 könnten die Nichtbeitreibung durch die AAAS und weitere Anhäufung von Forderungen während des betreffenden Zeitraums nicht durch ein unmittelbar bevorstehendes Privatisierungsvorhaben gerechtfertigt werden;

–        der betreffende Zeitraum sei lang genug gewesen, damit die AAAS Vollstreckungsmaßnahmen habe treffen können;

–        die AAAS hätte sich auf besondere Rechte berufen können, die sie als Teil der öffentlichen Verwaltung besessen habe, um ihre Forderungen durchzusetzen;

–        die Legea no. 137 privind unele măsuri pentru accelerarea privatizării (Gesetz Nr. 137 über Maßnahmen zur Beschleunigung der Privatisierung, im Folgenden: rumänisches Privatisierungsgesetz) vom 28. März 2002 (Monitorul Oficial al României, Partea I, Nr. 215 vom 28. März 2002) habe die AAAS nicht daran gehindert, ihre Forderungen beizutreiben;

–        die AAAS habe keine aktuellen Berichte oder internen Dokumente vorgelegt, aus denen hervorgehe, dass sie sich wie eine private Gläubigerin verhalten habe;

–        im Unterschied zur AAAS hätten andere Gläubiger der Klägerin Maßnahmen ergriffen, um ihre Forderungen beizutreiben oder zu schützen;

–        die Vereinbarung beweise, dass die AAAS die Nichtbeitreibung und weitere Anhäufung von Schulden akzeptiert habe;

–        die AAAS hätte sich auf Vorschriften des rumänischen Insolvenzgesetzes berufen können, die es ihr erlaubt hätten, einen alternativen Umstrukturierungsplan vorzuschlagen;

–        die AAAS hätte der Klägerin mit der Einleitung eines Insolvenzverfahrens drohen können;

–        die AAAS hätte die Konten der Klägerin pfänden oder Sicherheiten auf Immobilien erhalten können.

251    Die Klägerin bestreitet jeden dieser Gesichtspunkte. Sie macht im Wesentlichen geltend, die Kommission habe einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie festgestellt habe, dass die Maßnahme 1 nicht das Kriterium des privaten Gläubigers erfülle. Die Kommission habe nicht nachgewiesen, dass die Klägerin von einem privaten Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation offenkundig nicht die gleichen Vorteile erhalten hätte.

252    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Sie macht geltend, sie habe im angefochtenen Beschluss in rechtlich hinreichender Weise dargetan, dass die AAAS der Klägerin aufgrund der Nichtbeitreibung und weiteren Anhäufung ihrer Forderungen gegen diese einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft habe.

253    Nach der Rechtsprechung soll mit dem Kriterium des privaten Gläubigers geprüft werden, ob das begünstigte Unternehmen derartige Erleichterungen offenkundig nicht von einem privaten Gläubiger erhalten hätte, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befindet wie der öffentliche Gläubiger, der von einem Schuldner, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, die Zahlung der ihm geschuldeten Beträge zu erlangen sucht, und folglich, ob dieses Unternehmen denselben Vorteil, der ihm aus Staatsmitteln gewährt wurde, unter Umständen, die normalen Marktbedingungen entsprechen, hätte erhalten können (vgl. Urteil vom 20. September 2017, Kommission/Frucona Košice, C‑300/16 P, EU:C:2017:706, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

254    Es ist auch darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung jeder Gläubiger, bei dessen Schuldner eine erhebliche Verschlechterung der finanziellen Lage eingetreten ist, eine Entscheidung zwischen den Möglichkeiten und den Modalitäten einer möglichen Beitreibung seiner Forderungen treffen muss. Seine Entscheidung wird durch eine Reihe von Faktoren beeinflusst, nämlich, ob seine Forderung hypothekarisch gesichert, gesichert oder ungesichert ist, durch Art und Umfang etwaiger ihm zustehender Sicherheiten, durch seine Beurteilung der Sanierungsaussichten des Unternehmens und durch den ihm im Fall einer Liquidation zufließenden Erlös. Somit hat die Kommission für jede der fraglichen öffentlichen Stellen unter Berücksichtigung der oben genannten Faktoren zu ermitteln, ob die gewährten Erleichterungen offensichtlich größer waren als diejenigen, die ein hypothetischer privater Gläubiger gewährt hätte, der sich gegenüber dem begünstigten Unternehmen in einer vergleichbaren Situation wie die betreffende öffentliche Stelle befand und die ihm geschuldeten Beträge zurückzuerlangen suchte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2011, Buczek Automotive/Kommission, T‑1/08, EU:T:2011:216, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

255    Es ist daher zu prüfen, ob die Kommission in rechtlich hinreichender Weise dargetan hat, dass die AAAS dadurch, dass sie ihre Forderungen nicht durchgesetzt hat und im betreffenden Zeitraum weitere angehäuft hat, der Klägerin im Sinne der oben in Rn. 253 angeführten Rechtsprechung Erleichterungen gewährt hat, die sie offenkundig nicht von einem privaten Gläubiger erhalten hätte, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befand wie die AAAS.

256    Erstens macht die Klägerin geltend, die AAAS habe ihre Forderungen während der sehr kurzen Dauer dieser Maßnahme nicht durchgesetzt, weil sie noch die bestmögliche Lösung für deren Beitreibung gesucht habe, wie aus der Vereinbarung hervorgehe. Zudem habe sich die AAAS im betreffenden Zeitraum noch auf die Schlussfolgerungen und die wirtschaftliche Analyse der Kommission im Beschluss von 2012 stützen können, die bestätigten, dass die Umschuldung und die Privatisierung rentabler als eine Liquidation seien. Wie oben in Rn. 99 ausgeführt, unterstreicht die Klägerin im Übrigen, ohne dass die Kommission ihr in diesem Punkt widerspricht, dass die Anhäufung von Forderungen durch die AAAS während dieses Zeitraums nicht in neuen, während dieses Zeitraums entstandenen Forderungen, sondern nur in der Anhäufung von Zinsen auf bereits bestehende Forderungen bestanden habe.

257    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission im Beschluss von 2012, der nur etwa sechs Monate vor Beginn des von der Maßnahme 1 betroffenen Zeitraums erlassen wurde, insbesondere den Schluss gezogen hatte, dass die Umwandlung von Schulden der Klägerin in Kapital keine staatliche Beihilfe darstelle und dass eine Privatisierung vorteilhafter als eine Liquidation sei, wobei sich die rumänischen Behörden verpflichtet hatten, die Klägerin kurzfristig vollständig zu privatisieren (Erwägungsgründe 17, 52, 73, 86, 153, 160 und Art. 2 des Beschlusses von 2012).

258    Aus dem angefochtenen Beschluss geht hervor, dass der Versuch, die Klägerin zu privatisieren, am 22. September 2012 gescheitert sei, weil bestimmte Minderheitsgesellschafter die geplante Umwandlung von Schulden in Eigenkapitalbeteiligungen blockiert hätten.

259    Somit begann der für die Maßnahme 1 relevante Zeitraum laut dem 224. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses nach dem Scheitern dieses Versuchs. Somit hätte die AAAS nach dem angefochtenen Beschluss ihre Forderungen gegenüber der Klägerin unmittelbar nach diesem Scheitern oder zumindest innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten danach vollstrecken oder andere Maßnahmen ergreifen müssen, um innerhalb dieses Zeitraums eine bessere Position als Gläubigerin zu erlangen.

260    Wie die Klägerin geltend macht, hat die Kommission jedoch zum einen nicht dargetan, dass ein privater Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation zu diesem Zeitpunkt notwendigerweise davon ausgegangen wäre, dass kein anderer Privatisierungsversuch denkbar sei, da sein Scheitern weder auf einen Mangel an potenziellen Investoren noch auf die Rentabilität der geplanten Investition noch auf die finanzielle Lage der Klägerin zurückzuführen war.

261    Obwohl die Kommission zwar darauf hingewiesen hat, dass andere Versuche vor diesem auch gescheitert seien und dass zu diesem Zeitpunkt kein Privatisierungsvorhaben mehr bevorgestanden habe, hat sie jedoch nicht dargetan, dass ein privater Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation notwendigerweise erwartet hätte, dass die Privatisierung der Klägerin von nun an ausgeschlossen sei, wenn man nicht nur die speziellen Gründe für dieses letzte Scheitern, sondern auch die Tatsache berücksichtigt, dass die Kommission selbst nur etwa sechs Monate zuvor die Meinung vertreten hatte, dass eine solche Möglichkeit kurzfristig vorstellbar sei.

262    Zum anderen ist mit der Klägerin festzustellen, dass der für die Maßnahme 1 relevante Zeitraum relativ kurz war, nämlich vom 22. September 2012 bis zum 31. Januar 2013, d. h. ungefähr vier Monate dauerte. Da die Kommission im Beschluss von 2012 zu dem Ergebnis gelangt war, dass das Szenario der Privatisierung vorteilhafter als das der Liquidation sei, wäre es legitim gewesen, dass ein privater Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation eine gewisse Zeit lang über die ihm zur Verfügung stehenden Optionen nachgedacht hätte, anstatt sofort seine Forderungen durchzusetzen, was zur Liquidation der Klägerin hätte führen können, ein Szenario, das gemäß diesem Beschluss nachteilig gewesen wäre.

263    Es gibt zwar keine Vorschriften über die Schnelligkeit, mit der ein Gläubiger tätig werden muss, um seine Forderungen durchzusetzen, aber man kann nicht erwarten, dass hypothetische private Gläubiger bereits bei den ersten Schwächeanzeichen die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Unternehmens fordern, ohne dessen langfristigeres Potenzial irgendwie zu berücksichtigen, auch wenn jedoch nicht angenommen werden kann, dass die öffentliche Hand eine lang anhaltende Schuldenhäufung ohne die geringste Aussicht auf Besserung passiv dulden würde (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache Spanien/Kommission, C‑480/98, EU:C:2000:305, Nrn. 36 und 37).

264    Das Kriterium des privaten Gläubigers verlangt daher nicht, dass über ein Unternehmen in Schwierigkeiten unmittelbar das Insolvenzverfahren eröffnet wird, da es ohne Weiteres vorstellbar ist, dass ein privater Gläubiger, der über erhebliche Geldmittel verfügt, ein Interesse daran hat, die Tätigkeit eines Schuldnerunternehmens für eine bestimmte Zeit aufrechtzuerhalten, wenn sich zeigt, dass die Kosten einer unmittelbaren Liquidation höher als die Kosten der Gewährung einer Beihilfe sind (Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Spanien/Kommission, C‑276/02, EU:C:2004:211, Nr. 39).

265    Im Übrigen ist der im 234. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführte Umstand, dass die Klägerin ihre Produktion eingestellt habe und in naher Zukunft keine Betriebseinnahmen erzielt hätte, was nach Ansicht der Kommission die AAAS dazu hätte veranlassen müssen, ein Vollstreckungsverfahren einzuleiten, teilweise in tatsächlicher Hinsicht unbegründet. Denn aus den Erwägungsgründen 29 und 244 des angefochtenen Beschlusses ergibt sich, dass die Klägerin am 24. Oktober 2012, d. h. zu Beginn des von der Maßnahme 1 betroffenen Zeitraums, ihre Produktion wieder aufgenommen hat und daher Einnahmen erzielen konnte.

266    Zweitens macht die Klägerin geltend, die AAAS sei nach Art. 16 Abs. 5 Buchst. c des rumänischen Privatisierungsgesetzes rechtlich daran gehindert gewesen, ihre Forderungen geltend zu machen, solange sie selbst unter Sonderverwaltung gestanden habe. Dies sei seit der Verordnung des Wirtschaftsministers vom 2. Juli 2012 der Fall gewesen.

267    Wie aus dem 228. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, ist insoweit unstreitig, dass die Sondergesetze über die Einziehung von Staatsschulden, insbesondere Art. 50 Abs. 1 und 2 der Ordonanță no. 51 de urgenţă privind valorificarea unor active ale statului (Notverordnung Nr. 51 über die Rückforderung bestimmter Vermögenswerte des Staates) vom 15. Dezember 1998 (Monitorul Oficial al României, Partea I, Nr. 482 vom 15. Dezember 1998), der AAAS besondere Rechte einräumen, die u. a. die direkte Durchsetzung ihrer Forderungen durch eigene Gerichtsvollzieher ohne Gerichtsbeschluss umfassen.

268    Art. 16 Abs. 5 Buchst. c des rumänischen Privatisierungsgesetzes hinderte die Gläubiger mit finanziellen Forderungen jedoch daran, ihre Forderungen gegen die Klägerin zu vollstrecken. Diese Bestimmung sah in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung nämlich Folgendes vor:

„Ab dem Zeitpunkt der Festlegung des Sonderverwaltungsverfahrens während des Privatisierungsverfahrens gelten für die Gesellschaft die folgenden Sondermaßnahmen: … die Gläubiger mit finanziellen Forderungen setzen bis zur Übertragung des Eigentums an den Anteilen die Anwendung der Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Gesellschaft aus und treffen keine Maßnahme zur Einleitung solcher Maßnahmen. Die gleichen Vorschriften gelten für die betreffende öffentliche Einrichtung, wenn sie eine Gläubigerin ist.“

269    Es ist unstreitig, dass die Klägerin während des von der Maßnahme 1 betroffenen Zeitraums der Regelung für das Sonderverwaltungsverfahren unterworfen war. Es wird auch nicht bestritten, dass die AAAS eine Gläubigerin mit finanziellen Forderungen im Sinne von Art. 16 Abs. 5 Buchst. c des rumänischen Privatisierungsgesetzes war.

270    Wie die Klägerin geltend macht, war diese Bestimmung des nationalen Rechts daher auf die AAAS anwendbar.

271    Zum einen hat die Kommission im 229. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses jedoch geltend gemacht, dass das Wirtschaftsministerium die Klägerin „aus unerklärlichen Gründen“ auch nach der gescheiterten Privatisierung im September 2012 im Rahmen der Regelung für das Sonderverwaltungsverfahren unterstützt habe.

272    Dieser Vorwurf geht jedoch ins Leere, weil die Kommission nicht den Beschluss des Wirtschaftsministers, die Regelung für das Sonderverwaltungsverfahren weiterhin auf die Klägerin anzuwenden, sondern nur das Verhalten der AAAS als staatliche Beihilfe eingestuft hat.

273    Zum anderen hat die Kommission im 229. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses bekräftigt, dass die AAAS hätte versuchen können, den „Beschluss des Ministeriums, [den] Sonderstatus [der Klägerin] ohne Erklärung zu verlängern“, anzufechten.

274    Die Kommission hat jedoch nicht dargetan, dass ein hypothetischer privater Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation beschlossen hätte, ein solches Gerichtsverfahren einzuleiten, insbesondere angesichts seiner erwartbaren Dauer im Vergleich zu dem sehr kurzen Zeitraum, der von der Maßnahme 1 betroffen war. Die Dauer eines Gerichtsverfahrens ist ein Gesichtspunkt, der den Entscheidungsprozess eines durchschnittlich vorsichtigen und sorgfältigen privaten Gläubigers nicht unwesentlich beeinflussen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Januar 2013, Frucona Košice/Kommission, C‑73/11 P, EU:C:2013:32, Rn. 81).

275    Vor dem Gericht macht die Kommission geltend, dass Rumänien das rumänische Privatisierungsgesetz hätte ändern können. Eine solche Erwägung wird allerdings im angefochtenen Beschluss nicht angestellt. Die Kommission kann aber die Begründung des angefochtenen Beschlusses im Verfahren vor dem Gericht nicht ergänzen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Mai 2007, Duales System Deutschland/Kommission, T‑289/01, EU:T:2007:155, Rn. 132).

276    Drittens hat die Kommission im angefochtenen Beschluss festgestellt, dass – im Gegensatz zur AAAS – bestimmte öffentliche und private Gläubiger, insbesondere Electrica, Salrom, die Polcheme SA und Bulrom Gas, in diesem Zeitraum Vollstreckungsverfahren eingeleitet hätten.

277    Die Klägerin macht geltend, die große Mehrheit der privaten Gläubiger habe genauso gehandelt wie die AAAS.

278    Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss weder ausdrücklich noch implizit Anhaltspunkte benannt hat, die hätten belegen können, dass sich die AAAS und drei der vier oben in Rn. 276 genannten Gläubiger, nämlich Salrom, Polcheme und Bulrom Gas, im maßgeblichen Zeitraum in einer vergleichbaren Lage befanden. Vielmehr geht aus dem 231. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervor, dass Polcheme und Bulrom Gas zu den gesicherten Gläubigern gehörten, während fast alle Forderungen der AAAS nicht gesichert waren.

279    In Bezug auf Electrica hat die Kommission im 231. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zwar festgestellt, dass dieses Unternehmen laut einer Studie der Raiffeisenbank aus dem Jahr 2011 „die gleiche Beitreibungsquote wie die AAAS“ aufgewiesen habe. Electrica war jedoch im Jahr 2012, d. h. vor ihrer Privatisierung, ein öffentlicher Gläubiger. Für die Zwecke der Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers ist nur das Verhalten privater Gläubiger, die sich in einer möglichst ähnlichen Lage befinden wie die AAAS, relevant (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2017, Kommission/Frucona Košice, C‑300/16 P, EU:C:2017:706, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

280    Überdies hat die Kommission das Vorbringen der Klägerin nicht in Frage gestellt, wonach die meisten ihrer privaten Gläubiger während des betreffenden Zeitraums ebenso wie die AAAS ihre Forderungen nicht durchgesetzt oder andere Schutzmaßnahmen ergriffen hätten. Wenn die Kommission der Klägerin vorwirft, nicht dargetan zu haben, dass sich diese anderen privaten Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation befunden hätten, so kann dieser Vorwurf der Kommission selbst entgegengehalten werden, da sie nicht dargetan hat, dass sich die vier von ihr im angefochtenen Beschluss angeführten Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation befunden haben. Nach der Rechtsprechung ist es Sache der Kommission, darzutun, dass das Verhalten eines öffentlichen Gläubigers nicht mit dem Kriterium des privaten Gläubigers vereinbar war und dass ihm daher einen Vorteil verschafft hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2017, Kommission/Frucona Košice, C‑300/16 P, EU:C:2017:706, Rn. 29).

281    Der Vollständigkeit halber ist auch darauf hinzuweisen, dass die Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers auf das Verhalten eines hypothetischen privaten Gläubigers gestützt werden kann, der sich in einer mit der Situation des in Rede stehenden öffentlichen Gläubigers vergleichbaren Lage befindet (vgl. die oben in Rn. 254 angeführte Rechtsprechung). Die Anwendung dieses Kriteriums erfordert daher nicht notwendigerweise, dass ein tatsächlicher privater Gläubiger ermittelt wird, der sich ein einer solchen vergleichbaren Situation befindet. Im angefochtenen Beschluss hat die Kommission jedoch auch nicht dargetan, dass ein hypothetischer privater Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation während des betreffenden Zeitraums, dessen Dauer relativ kurz war, seine Forderungen durchgesetzt oder andere Schutzmaßnahmen ergriffen hätte.

282    Insoweit war es wahrscheinlich, dass die Durchsetzung der Forderungen der AAAS angesichts des Betrags dieser Forderungen zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geführt hätte; dies wird von der Kommission auch nicht substantiiert bestritten.

283    Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass beinahe alle Forderungen der AAAS nicht gesichert waren. Insoweit hat die Kommission nicht dargetan, dass ein privater Gläubiger mit einem ähnlichen Risiko wie die AAAS ein wirtschaftliches Interesse gehabt hätte, die Einleitung eines Insolvenzverfahrens herbeizuführen, da er im Unterschied zu gesicherten Gläubigern Gefahr liefe, im Rahmen eines solchen Verfahrens einen größeren Teil seiner Forderungen zu verlieren. Für einen solchen Gläubiger hätten eine etwaige Privatisierung oder eine andere Lösung aus den oben in Rn. 262 genannten Gründen zum damaligen Zeitpunkt zugleich vorstellbar und interessanter erscheinen können. Zumindest wäre es legitim, dass ein solcher Gläubiger die sich ihm bietenden Optionen über eine gewisse Zeit abwägt, anstatt überstürzt einen Schritt wie den von der Kommission befürworteten zu setzen.

284    Die im 242. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses enthaltene Begründung, wonach die AAAS die Einleitung eines Insolvenzverfahrens hätte herbeiführen können, um sodann einen alternativen Umstrukturierungsplan vorzuschlagen, ist weder hinreichend untermauert noch überzeugend. Auch wenn die AAAS im Rahmen eines Insolvenzverfahrens einen alternativen Umstrukturierungsplan vorschlagen konnte, hat die Kommission weder dargetan, dass sie allein in der Lage gewesen wäre, dessen Annahme zu erwirken, noch, dass dieser alternative Plan zu einer besseren Beitreibung der nicht gesicherten Forderungen der AAAS geführt hätte.

285    Ebenso wenig hat die Kommission dargetan, dass ein hypothetischer privater Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation während des betreffenden Zeitraums Konten der Klägerin gepfändet hätte oder für seine Forderungen Sicherheiten wie ein Grundpfandrecht hätte erhalten können. Die Kommission hat sich darauf beschränkt, eine solche Möglichkeit zu erwähnen, ohne jedoch zu diesem Zweck eine konkrete und fundierte Prüfung vorzunehmen. So hat die Kommission beispielsweise nicht geprüft, ob im Vermögen der Klägerin Barmittel oder Immobilien von hinreichendem Wert vorhanden waren, die ein hypothetischer privater Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation hätten pfänden können oder die ihm als Sicherheit hätten dienen können. Sie hat auch nicht geprüft, welche Verfahren einzuhalten sind und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und ob ein solcher hypothetischer privater Gläubiger in dem relativ kurzen Zeitraum vom 22. September 2012 bis zum 31. Januar 2013 so gehandelt hätte, wie sie es befürwortete. Nach der oben in Rn. 254 angeführten Rechtsprechung ist es jedenfalls Sache der Kommission, darzutun, dass es auf der Hand lag, dass ein solcher hypothetischer privater Gläubiger in dem von der Maßnahme 1 erfassten Zeitraum so gehandelt hätte, wie sie es befürwortete. Was die konkreten Beispiele anbelangt, die die Kommission im angefochtenen Beschluss anführt, so betreffen diese keine Gläubiger mit einem Risiko, das dem der AAAS vergleichbar ist.

286    Im Übrigen macht die Klägerin geltend, ohne dass ihr diesbezüglich die Kommission substantiiert widerspricht, dass jedenfalls Art. 16 Abs. 5 Buchst. c des rumänischen Privatisierungsgesetzes die AAAS daran gehindert habe, ihr solche Maßnahmen aufzuerlegen.

287    Viertens hat die Kommission den rumänischen Behörden im angefochtenen Beschluss vorgeworfen, keine aktuellen Berichte oder internen Dokumente vorgelegt zu haben, aus denen hervorgehe, dass die AAAS im betreffenden Zeitraum wie ein privater Gläubiger gehandelt habe.

288    Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, es sei legitim gewesen, dass die AAAS nicht sofort mit der Erstellung solcher Dokumente begonnen habe, da sie die Vereinbarung gerade mit dem Ziel unterzeichnet habe, sich alle Optionen offenzuhalten und die Tragfähigkeit der Klägerin zu bewerten.

289    Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die AAAS im relevanten Zeitraum über die wirtschaftliche Analyse der Kommission im Beschluss von 2012 verfügte, die eine aktuelle und jedem Gläubiger zugängliche Bewertung darstellte, die sich insbesondere auf die Vor- und Nachteile des Szenarios der Liquidation gegenüber dem der Privatisierung bezog. Aus den oben in den Rn. 256 bis 265 bereits dargelegten Gründen und wie die Klägerin geltend macht, war es legitim, dass ein Gläubiger davon ausging, dass diese Bewertung während des betreffenden Zeitraums relevant blieb.

290    Sodann verfügten die Gläubiger einschließlich der AAAS auch über die Studie der Raiffeisenbank vom Oktober 2011, die von der Kommission als „zum damaligen Zeitpunkt [letztverfügbare] Studie“ eingestuft wurde (230. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Diese Studie, die der Kommission in dem Verwaltungsverfahren, in dem der Beschluss von 2012 erlassen wurde, von den rumänischen Behörden vorgelegt worden war, verglich den Erlös einer Liquidation der Klägerin mit dem einer Privatisierung. Aus dem angefochtenen Beschluss ergibt sich, dass die AAAS nach dieser Studie bei einer Liquidation rund 23 Mio. Euro beigetrieben hätte, während sie bei einer Umwandlung der Verbindlichkeiten und Privatisierung zwischen 22 900 000 Euro und 79 500 000 Euro erhalten hätte. Zwar wurde diese Studie ein Jahr vor dem Erlass der Maßnahme 1 erstellt, doch behauptet die Kommission nicht, dass die darin enthaltenen Daten während des relevanten Zeitraums dieser Maßnahme nicht mehr aktuell gewesen seien. Da diese Studie der Kommission von Rumänien vorgelegt wurde und spezielle Daten zur Beitreibung der Forderungen der AAAS enthält, ist es zudem wahrscheinlich, dass die AAAS zu dieser Studie Zugang hatte oder in der Lage war, Zugang zu ihr zu haben, ohne dass dies von der Kommission bestritten wird.

291    Schließlich sah die Klausel 1.1.b der Vereinbarung die Ausarbeitung einer Tragfähigkeitsstudie vor. Diese Studie wurde am 23. November 2012, d. h. am Tag der Unterzeichnung der Vereinbarung, in Auftrag gegeben und von Alvarez & Marsal erstellt. Daraus folgt, dass die Gläubiger, die die Vereinbarung unterzeichnet haben, darunter die AAAS, unverzüglich gehandelt haben, indem sie eine solche Studie ungefähr zwei Monate nach dem Scheitern des letzten Privatisierungsversuchs der Klägerin in Auftrag gaben.

292    Unter diesen Umständen erscheint es legitim, dass ein privater Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation die Ergebnisse dieser Studie zur Tragfähigkeit des Schuldners abwartet, um in voller Kenntnis der Sachlage über die auf der Grundlage dieser Studie zu treffenden Schritte zu entscheiden, anstatt sofort seine Forderungen durchzusetzen, wobei im Übrigen die Anhäufung von Forderungen gegenüber der Klägerin durch die AAAS während dieses Zeitraums nicht in neuen, während dieses Zeitraums entstandenen Forderungen, sondern nur in der Anhäufung von Zinsen auf bereits bestehende Forderungen bestand.

293    Die Kommission macht geltend, Rumänien habe weder nachgewiesen, dass diese Studie für die AAAS oder für ihre Rechnung durchgeführt worden sei, noch, dass sie von der AAAS überhaupt verwendet worden sei.

294    Es gibt jedoch keine Rechtsvorschrift, die verlangt, dass ein privater Gläubiger seine eigene Wirtschaftsstudie durchführt. Solche Studien können von den Gläubigern gemeinsam in Auftrag gegeben werden und ihnen, wie im vorliegenden Fall, zur Verfügung gestellt werden. Jedenfalls hat die Kommission nicht einmal behauptet, dass ein privater Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation, beispielsweise aufgrund bestimmter spezieller Merkmale, notwendigerweise eine separate Studie durchgeführt hätte.

295    Was fünftens die im angefochtenen Beschluss aufgestellte Behauptung anbelangt, dass die Vereinbarung beweise, dass die AAAS die Nichtbeitreibung und weitere Anhäufung von Schulden akzeptiert habe, so genügt der Hinweis auf die vorstehende Rn. 124, aus der sich ergibt, dass die Vereinbarung keine solche Verpflichtung enthielt.

296    Was sechstens die Erwägungen der Kommission in den Erwägungsgründen 231 und 241 des angefochtenen Beschlusses betrifft, wonach die AAAS der Klägerin mit der Einleitung eines Insolvenzverfahrens habe „drohen“ können, so genügt der Hinweis, dass es aus den oben in Rn. 283 dargelegten Gründen zweifelhaft erscheint, dass eine solche Drohung als glaubwürdig erachtet worden wäre.

297    Daher ist der Schluss zu ziehen, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss nicht in rechtlich hinreichender Weise dargetan hat, dass die AAAS dadurch, dass sie ihre Forderungen nicht durchgesetzt hat und im betreffenden Zeitraum weitere angehäuft hat, der Klägerin im Sinne der oben in Rn. 253 angeführten Rechtsprechung Erleichterungen gewährt hat, die sie offenkundig nicht von einem privaten Gläubiger erhalten hätte, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befand wie die AAAS. Die Kommission hat nämlich weder dargetan, dass ein hypothetischer privater Gläubiger in einer mit der Lage der AAAS vergleichbaren Situation unverzüglich seine Forderungen durchgesetzt hätte oder andere Maßnahmen ergriffen hätte, um sie beizutreiben oder während des relativ kurzen Zeitraums vom 22. September 2012 bis zum 31. Januar 2013 zu schützen, noch, dass es ihr eine solche Durchsetzung oder solche Maßnahmen erlaubt hätten, einen Teil ihrer Forderungen beizutreiben oder zu schützen.

298    Nach alledem ist es der Kommission nicht gelungen, in rechtlich hinreichender Weise darzutun, dass die Maßnahme 1 der Klägerin einen Vorteil verschafft hat und dass sie daher eine staatliche Beihilfe darstellte.

3)      Zum Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils in Bezug auf die Maßnahme 2

299    In Abschnitt 6.1.2.2 des angefochtenen Beschlusses (Erwägungsgründe 244 bis 263) hat die Kommission festgestellt, dass zwischen Salrom und CET Govora einerseits und der Klägerin andererseits eine technologische Interdependenz in dem Sinn bestanden habe, dass jedes Unternehmen gleichzeitig Lieferant und Versorgungsunternehmen der jeweils anderen Partei gewesen sei. Während CET Govora Strom und Dampf an die Klägerin und Salrom Salzlösung und Kalk an die Klägerin geliefert hätten, habe die Klägerin an CET Govora und Salrom für deren Tätigkeiten erforderliches Brauchwasser geliefert. Somit seien diese Unternehmen voneinander abhängige Kunden gewesen, so dass das Verschwinden eines von ihnen zum Verschwinden der anderen geführt hätte.

300    Die Kommission ging jedoch vor allem deshalb davon aus, dass das Verhalten von CET Govora nicht dem eines privaten Gläubigers entsprochen habe und dass dadurch der Klägerin ein Vorteil verschafft worden sei, weil CET Govora beschlossen habe, weiterhin „unbezahlte“ Strom- und Dampflieferungen an die Klägerin zu leisten, ohne für die fortgesetzten Lieferungen eine Vorauszahlung oder in Bezug auf die früheren Schulden der Klägerin ihr gegenüber eine Immobiliensicherheit zu verlangen. Zudem wurde nach Ansicht der Kommission die fortgesetzte Belieferung vom Bezirksrat von Vâlcea auf der Grundlage politischer Überlegungen beschlossen, die ein privater Gläubiger nicht angestellt hätte.

301    Dagegen habe sich Salrom wie ein privater Gläubiger verhalten und daher der Klägerin keinen Vorteil verschafft, da sie die Fortsetzung der Lieferungen von Vorauszahlungen und der Stellung einer Immobiliensicherheit abhängig gemacht habe.

302    Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie festgestellt habe, dass das Verhalten von CET Govora im Rahmen der Maßnahme 2 nicht das Kriterium des privaten Gläubigers erfülle.

303    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

304    Im vorliegenden Fall ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss ihre Auffassung, wonach sich CET Govora nicht wie ein privater Gläubiger verhalten habe, im Wesentlichen auf einen Vergleich zwischen deren Verhalten und dem von Salrom gestützt hat. Hierzu hat die Kommission festgestellt, dass die beiden Unternehmen die Belieferung der Klägerin zwischen September 2012 und Januar 2013 trotz der nicht beglichenen Verbindlichkeiten fortgesetzt hätten. Während jedoch Salrom von der Klägerin Vorauszahlungen sowie eine Immobiliensicherheit verlangt habe, habe CET Govora keine ähnlichen Bedingungen gestellt.

305    Die Klägerin ist im Wesentlichen der Ansicht, dass es nicht ausreiche, die Handlungen von CET Govora mit denen von Salrom zu vergleichen, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass sich CET Govora nicht wie ein privater Gläubiger verhalten habe.

306    Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass die Natur und der Gegenstand der jeweiligen Verhaltensweisen von CET Govora und Salrom, nämlich die Fortsetzung der Belieferung der Klägerin mit Rohstoffen, vergleichbar waren und dass diese Lieferungen im selben Zeitraum parallel stattfanden und daher in einen ähnlichen Kontext eingebettet waren.

307    Ferner bestand, wie die Kommission selbst im angefochtenen Beschluss festgestellt hat, zwischen CET Govora und Salrom einerseits und der Klägerin andererseits eine technologische Interdependenz.

308    Schließlich zeigen die in den Tabellen 7 und 8 des angefochtenen Beschlusses enthaltenen Daten, die nicht bestritten werden, dass die Entwicklung der Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber CET Govora und Salrom in dem von der Maßnahme 2 erfassten Zeitraum weitgehend vergleichbar war. Aus ihnen geht nämlich hervor, dass sich deren Forderungen während dieses Zeitraums gleichsam verdoppelt haben, wobei sie eine ähnliche Entwicklung genommen haben.

309    Unter diesen Umständen konnte die Kommission im angefochtenen Beschluss ohne einen Fehler zu begehen implizit aber notwendigerweise davon ausgehen, dass sich CET Govora und Salrom im Rahmen der Maßnahme 2 in einer vergleichbaren Situation befanden.

310    Wie oben in Rn. 279 ausgeführt, trifft es zwar zu, dass es für die Zwecke der Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers erforderlich ist, das Verhalten eines öffentlichen Gläubigers mit dem eines tatsächlichen oder hypothetischen privaten Gläubigers zu vergleichen, während die Kommission im vorliegenden Fall das Verhalten von zwei öffentlichen Unternehmen verglichen hat.

311    Es ist jedoch zu unterstreichen, dass sich sowohl CET Govora als auch Salrom aufgrund ihrer Situation der technologischen Interdependenz mit der Klägerin in einer sehr speziellen, ja einzigartigen Situation gegenüber der Klägerin befanden. Diese sehr spezielle Situation, die CET Govora und Salrom gemein hatten, hat unter den speziellen Umständen des vorliegenden Falles den Vergleich dieser beiden Unternehmen gerechtfertigt.

312    Zudem hat die Kommission den Schluss gezogen, dass sich Salrom im Rahmen der Maßnahme 2 wie ein privater Gläubiger verhalten habe. Da es sich um ein öffentliches Unternehmen gehandelt hat, das jedoch wie ein privater Gläubiger gehandelt hatte, ist der Vergleich mit diesem Unternehmen zur Veranschaulichung des Verhaltens eines hypothetischen privaten Gläubigers in einer mit der Lage von CET Govora vergleichbaren Situation daher gerechtfertigt.

313    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass CET Govora und Salrom im Rahmen der Maßnahme 2 sehr unterschiedlich gehandelt haben, wie die Kommission im angefochtenen Beschluss zutreffend ausführt.

314    Während nämlich Salrom für ihre Lieferungen Vorauszahlungen verlangt und erhalten und ihre Forderungen mit einer Immobiliensicherheit so weit wie möglich gesichert hat, hat CET Govora keine vergleichbaren Maßnahmen ergriffen.

315    Die Klägerin ist jedoch der Ansicht, dass CET Govora gleichwohl bestimmte Maßnahmen ergriffen habe, um ihre Forderungen gegenüber der Klägerin zu sichern.

316    Zunächst macht die Klägerin geltend, CET Govora habe von ihr zwischen September 2012 und Januar 2013 Zahlungen in Höhe von 8 Mio. RON erhalten. Wie jedoch aus dem 254. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, tätigte CET Govora in diesem Zeitraum Lieferungen in Höhe von etwa 50 Mio. RON an die Klägerin, so dass die erhaltenen Zahlungen nur einen minimalen Teil ausmachen.

317    Sodann weist die Klägerin auf das Vorliegen einer „Verpflichtung“ ihrerseits hin, den von CET Govora gelieferten Strom bis Februar 2013 in Raten zu zahlen. Sie macht jedoch keine weiteren Angaben zur Höhe dieser Raten und zu der Frage, ob diese von ihr tatsächlich gezahlt wurden, die es ermöglichen würden, den Umfang und die Relevanz einer solchen Verpflichtung zu erfassen.

318    Schließlich macht die Klägerin geltend, CET Govora habe zu den ihr gegenüber zwischen Februar 2008 und Dezember 2012 entstandenen Forderungen Strafzahlungen hinzugerechnet. Der Zweck einer solchen Maßnahme besteht jedoch nicht darin, die Forderungen von CET Govora zu sichern.

319    Drittens ergibt sich aus dem 260. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, dass die fortgesetzte Belieferung der Klägerin durch CET Govora ohne jegliche Verhandlungen und Schutz der Forderungen von CET Govora vom Bezirksrat von Vâlcea beschlossen wurde. Die Behauptung der Klägerin, diese Behörde habe diese Entscheidung auf der Grundlage von Vorschlägen von CET Govora und rein wirtschaftlichen Erwägungen getroffen, wird durch keinerlei Beweis gestützt. Sie steht im Übrigen im Widerspruch zu den von den kommunalen Behörden zur Rechtfertigung des Erlasses dieser Entscheidung ins Treffen geführten Gründen des öffentlichen Interesses, die in Fn. 110 des angefochtenen Beschlusses angeführt sind und von der Klägerin nicht bestritten werden.

320    Viertens macht die Klägerin geltend, dass CET Govora, wenn sie sie nicht weiter beliefert hätte, Verluste erlitten hätte und selbst in Konkurs gegangen wäre.

321    Insoweit genügt der Hinweis, dass die Kommission CET Govora nicht die Fortsetzung der Belieferung der Klägerin als solche vorgeworfen hat, sondern die Tatsache, dass die Lieferungen ohne jede Maßnahme zum Schutz ihrer Forderungen fortgesetzt wurden. Das Vorbringen der Klägerin zu diesem Punkt geht daher ins Leere.

322    Fünftens macht die Klägerin geltend, dass „zahlreiche private Lieferanten“ ebenso wie CET Govora ihre Lieferungen an die Klägerin trotz unbezahlter Forderungen fortgesetzt hätten. Dieses Vorbringen ist jedoch nicht untermauert, da die Klägerin diese anderen „zahlreichen privaten Lieferanten“ nicht einmal benannt hat.

323    Sechstens wirft die Klägerin der Kommission vor, sich insbesondere in den Erwägungsgründen 258, 259, 261 und 262 des angefochtenen Beschlusses auf die Erklärungen von PCC, eines ihrer Minderheitsgesellschafter, oder die des gerichtlich bestellten Insolvenzverwalters von CET Govora gestützt zu haben. Nach Ansicht der Klägerin sind diese Erklärungen nicht relevant und stehen im Widerspruch zu den Ausführungen Rumäniens im Verwaltungsverfahren. Zudem besitze PCC nur eine „begrenzte Glaubwürdigkeit“.

324    Dieses Vorbringen geht jedoch ins Leere. Diese Erklärungen sind im Aufbau dieses Teils des angefochtenen Beschlusses nur von untergeordneter Bedeutung, da die Schlussfolgerungen der Kommission vor allem auf dem Vergleich des Verhaltens von CET Govora mit dem von Salrom und auf dem Umstand beruhen, dass CET Govora durch den Bezirksrat von Vâlcea dazu verpflichtet worden sein soll, ihre Lieferungen fortzusetzen.

325    Siebtens hebt die Klägerin hervor, CET Govora sei gesetzlich verpflichtet, die Dienstleistung der Versorgung der Öffentlichkeit mit Wärme und thermischer Energie nicht zu unterbrechen.

326    Dieses Vorbringen ist jedoch unerheblich, da die Klägerin ein industrieller Kunde von CET Govora ist, so dass diese Verpflichtung in dem zwischen ihnen bestehenden Vertragsverhältnis nicht gilt.

327    Daraus folgt, dass der Klagegrund, mit dem ein offensichtlicher Beurteilungsfehler in Bezug auf das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils im Rahmen der Maßnahme 2 gerügt wird, als unbegründet zurückzuweisen ist.

3.      Zu dem Klagegrund, mit dem eine fehlende oder unzureichende Begründung hinsichtlich der Maßnahme 2 gerügt wird

328    Die Klägerin macht zudem geltend, die Kommission habe im angefochtenen Beschluss im Wesentlichen deshalb gegen ihre Begründungspflicht verstoßen, weil es nicht ausreiche, die Handlungen von CET Govora mit denen von Salrom zu vergleichen, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass sich CET Govora nicht wie ein privater Gläubiger verhalten habe, und sich die Kommission zum anderen auf die Erklärungen von PCC und des gerichtlich bestellten Insolvenzverwalters von CET Govora gestützt habe, ohne zu erläutern, warum diese glaubhafter seien als die Erklärungen der rumänischen Behörden.

329    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

330    Gemäß Art. 296 Abs. 2 AEUV ist die Kommission verpflichtet, ihre Entscheidungen zu begründen. Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach dieser Vorschrift vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Unionsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. Urteil vom 22. März 2001, Frankreich/Kommission, C‑17/99, EU:C:2001:178, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

331    Im vorliegenden Fall gehen erstens, wie oben in den Rn. 306 bis 309 ausgeführt worden ist, aus der Gesamtbetrachtung von Abschnitt 6.1.2.2 des angefochtenen Beschlusses klar die relevanten Gesichtspunkte hervor, die den Vergleich zwischen CET Govora und Salrom im Rahmen der Maßnahme 2 gerechtfertigt haben. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses ist insoweit kohärent und ausreichend.

332    Was zweitens die Begründung des angefochtenen Beschlusses in Bezug auf die Glaubwürdigkeit der Erklärungen von PCC und des gerichtlich bestellten Insolvenzverwalters von CET Govora angeht, so ist dieses Vorbringen aus den oben in Rn. 324 dargelegten Gründen jedenfalls nicht geeignet, zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses in diesem Punkt zu führen.

333    Demnach ist der Klagegrund, mit dem eine fehlende oder unzureichende Begründung hinsichtlich der Maßnahme 2 gerügt wird, als unbegründet zurückzuweisen.

4.      Ergebnis

334    Nach alledem ist der Schluss zu ziehen, dass die Kommission nicht in rechtlich hinreichender Weise dargetan hat, dass die Maßnahmen 1 und 3 eine staatliche Beihilfe darstellten, ohne dass die übrigen Klagegründe geprüft zu werden brauchen, die die Klägerin in Bezug auf diese Maßnahmen vorgetragen hat.

335    Dagegen sind alle die Maßnahme 2 betreffenden Klagegründe der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

336    Mithin sind Art. 1 Buchst. a und c des angefochtenen Beschlusses sowie dessen Art. 3 bis 5, soweit sie die in Art. 1 Buchst. a und c dieses Beschlusses vorgesehenen Maßnahmen betreffen, für nichtig zu erklären.

337    Auch Art. 6 des angefochtenen Beschlusses ist insoweit für nichtig zu erklären, als die in diesem Artikel vorgesehene Verpflichtung Rumäniens, der Kommission bestimmte Informationen zu übermitteln, die Maßnahmen 1 und 3 betrifft.

338    Die Klägerin beantragt auch die Nichtigerklärung von Art. 7 des angefochtenen Beschlusses. Art. 7 Abs. 1 dieses Beschlusses beschränkt sich jedoch auf die Angabe nach Art. 31 Abs. 2 der Verordnung 2015/1589, dass dieser Beschluss an Rumänien gerichtet sei. Da die Klägerin insoweit weder einen Klagegrund noch ein Argument vorgebracht hat, ist der Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 7 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses zurückzuweisen.

339    Was Art. 7 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses betrifft, so sieht diese Bestimmung die Veröffentlichung der Beihilfebeträge und Rückforderungszinsen, die gemäß diesem Beschluss zurückzuzahlen sind, vor. Daher ist Art. 7 Abs. 2 dieses Beschlusses ebenfalls für nichtig zu erklären, soweit er die in dessen Art. 1 Buchst. a und c genannten Maßnahmen betrifft.

IV.    Kosten

340    Nach Art. 134 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, jede Partei ihre eigenen Kosten. Das Gericht kann jedoch entscheiden, dass eine Partei außer ihren eigenen Kosten einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt, wenn dies in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint.

341    Da das Gericht die von der Kommission erhobenen Einreden der Unzulässigkeit zurückgewiesen hat und der Klage in Bezug auf zwei der drei Maßnahmen, die Gegenstand des angefochtenen Beschlusses sind, stattgegeben worden ist, erscheint es bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles geboten, der Klägerin ein Viertel ihrer eigenen Kosten aufzuerlegen, während die übrigen Kosten von der Kommission getragen werden, die ebenfalls ihre eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Art. 1 Buchst. a und c des Beschlusses (EU) 2019/1144 der Kommission vom 17. Dezember 2018 über die staatliche Beihilfe SA.36086 (2016/C) (ehemals 2016/NN) Rumäniens zugunsten der Oltchim SA wird für nichtig erklärt.

2.      Die Art. 3 bis 6 und Art. 7 Abs. 2 des Beschlusses 2019/1144 werden für nichtig erklärt, soweit sie die in Art. 1 Buchst. a und c dieses Beschlusses genannten Maßnahmen betreffen.

3.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.      Oltchim trägt ein Viertel ihrer eigenen Kosten.

5.      Die Europäische Kommission trägt neben ihren eigenen Kosten drei Viertel der Kosten von Oltchim.

Kornezov

Buttigieg

Kowalik-Bańczyk

Hesse

 

      Petrlík

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Dezember 2021.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.