Language of document : ECLI:EU:T:2018:293

BESCHLUSS DES GERICHTS (Dritte Kammer)

17. Mai 2018(*)

„Verfahren – Urteilsauslegung – Berichtigung – Unterlassen einer Entscheidung“

In der Rechtssache T‑393/10 INTP

Westfälische Drahtindustrie GmbH mit Sitz in Hamm (Deutschland),

Westfälische Drahtindustrie Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG mit Sitz in Hamm,

Pampus Industriebeteiligungen GmbH & Co. KG mit Sitz in Iserlohn (Deutschland),

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Stadler,

Antragstellerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch V. Bottka, H. Leupold und G. Meessen als Bevollmächtigte,

Antragsgegnerin,

betreffend einen Antrag auf Auslegung des Urteils vom 15. Juli 2015, Westfälische Drahtindustrie u. a./Kommission (T‑393/10, EU:T:2015:515), und einen hilfsweise gestellten Antrag auf Berichtigung und Ergänzung dieses Urteils

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Frimodt Nielsen (Berichterstatter) sowie der Richter V. Kreuschitz und N. Półtorak,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Vorgeschichte, Verfahren und Anträge der Parteien

1        Mit Antragsschrift, die am 3. April 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Westfälische DrahtindustrieGmbH (im Folgenden: WDI), die Westfälische Drahtindustrie Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG (im Folgenden: WDV) und die Pampus Industriebeteiligungen GmbH & Co. (im Folgenden: Pampus) die Auslegung des Urteils der Sechsten Kammer des Gerichts (frühere Besetzung) vom 15. Juli 2015, Westfälische Drahtindustrie u. a./Kommission (T‑393/10, EU:T:2015:515, im Folgenden: Urteil vom 15. Juli 2015), beantragt, das in einer der 28 das Spannstahl-Kartell betreffenden Rechtssachen ergangen ist.

2        Am 30. Juni 2010 erließ die Kommission den Beschluss K(2010) 4387 endg. in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] und Artikel 53 EWR-Abkommen (COMP/38.344 – Spannstahl), mit dem ein Kartell zwischen Spannstahlanbietern geahndet wurde, die sich an Quotenvereinbarungen, Kundenaufteilungen und Preisfestsetzungen sowie am Austausch sensibler Geschäftsinformationen im Zusammenhang mit Preisen, Liefermengen und Kunden auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene beteiligten. Die Antragstellerinnen waren Adressaten dieses Beschlusses.

3        Die Geldbußen, die mit dem Beschluss K(2010) 4387 endg. gegen sie verhängt wurden, wurden neu berechnet und daraufhin ermäßigt. Diese Geldbußenermäßigung folgt aus einer Änderung des Beschlusses K(2010) 4387 endg. durch den Beschluss K(2010) 6676 endg. der Kommission vom 30. September 2010.

4        Der Beschluss K(2010) 4387 endg. in der durch den Beschluss K(2010) 6676 endg. geänderten Fassung wurde durch den Beschluss C(2011) 2269 final der Kommission vom 4. April 2011, der nicht die Antragstellerinnen betrifft, nochmals geändert. Im Folgenden wird der Beschluss K(2010) 4387 endg. in der durch den Beschluss K(2010) 6676 endg. und den Beschluss C(2011) 2269 final geänderten Fassung als Spannstahl-Beschluss bezeichnet.

5        Im Verwaltungsverfahren hatten die Antragstellerinnen eine Ermäßigung der Geldbuße wegen fehlender Leistungsfähigkeit im Sinne von Ziff. 35 der Leitlinien von 2006 beantragt. Die Kommission lehnte diesen Antrag im Spannstahl-Beschluss ab.

6        Somit wurden gegen die Antragstellerinnen mit Art. 2 Nr. 8 des Spannstahl-Beschlusses die folgenden Geldbußen festgesetzt:

–        15 485 000 Euro gegen WDI, WDV und Pampus als Gesamtschuldner;

–        23 370 000 Euro gegen WDI und WDV als Gesamtschuldner;

–        7 695 000 Euro gegen WDI.

7        Nach Erlass des Spannstahl-Beschlusses und nachdem sie Klage erhoben hatten, beantragten die Antragstellerinnen erneut, die Geldbuße aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit zu ermäßigen. Der neue Antrag wurde mit Schreiben des Generaldirektors der Generaldirektion (GD) Wettbewerb der Kommission vom 14. Februar 2011 (im Folgenden: Schreiben vom 14. Februar 2011) abgelehnt.

8        Der vorliegende Antrag auf Auslegung bezieht sich auf die Nrn. 4 bis 6 des Tenors des Urteils vom 15. Juli 2015, in dem es heißt:

„1.      In Höhe der im Beschluss K(2010) 6676 endgültig der Kommission vom 30. September 2010 vorgenommenen Herabsetzung der Geldbuße der [WDI] und der [WDV] ist die vorliegende Klage in der Hauptsache erledigt.

2.      Art. 2 Nr. 8 des [Spannstahl-Beschlusses] wird für nichtig erklärt.

3.      Das Schreiben … vom 14. Februar 2011 wird für nichtig erklärt.

4.      [WDI], [WDV] und [Pampus] werden als Gesamtschuldner zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 15 485 000 Euro verurteilt.

5.      [WDI] und [WDV] werden als Gesamtschuldner zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 23 370 000 Euro verurteilt.

6.      [WDI] wird zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 7 695 000 Euro verurteilt.

7.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

8.      [WDI], [WDV] und [Pampus] tragen die Hälfte ihrer eigenen Kosten, einschließlich der durch das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entstandenen Kosten. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten und die Hälfte der Kosten [von WDI], [WDV] und [Pampus], einschließlich der durch das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entstandenen Kosten.“

9        Nach Verkündung des Urteils vom 15. Juli 2015 setzten sich die Antragstellerinnen mit der GD Haushalt der Kommission in Verbindung, um einen einvernehmlichen Zahlungsplan zur Begleichung der mit den Nrn. 4 bis 6 des Tenors dieses Urteils festgesetzten Geldbußen zu vereinbaren. Dabei ergaben sich Meinungsverschiedenheiten über den Zeitpunkt, ab dem auf diese Geldbußen Zinsen zu zahlen seien, wobei die Antragstellerinnen die Auffassung vertraten, dass Zinsen ab Verkündung des Urteils vom 15. Juli 2015 zu zahlen seien, während nach Ansicht der GD Haushalt Zinsen ab dem Zeitpunkt zu zahlen sind, der in Art. 2 Nr. 8 des Spannstahl-Beschlusses festgelegt worden ist – d. h., was die Antragstellerinnen betrifft, nach Ablauf von drei Monaten ab dem Datum der Zustellung des Beschlusses K(2010) 6676 endg. der Kommission vom 30. September 2010.

10      Die Antragstellerinnen beantragen,

–        die Nrn. 4 bis 6 des Tenors des Urteils vom 15. Juli 2015 dahin auszulegen, dass Zinsen auf die in den genannten Nummern des Tenors aufgeführten Beträge ab Verkündung des Urteils zu zahlen sind;

–        die Urschrift des auslegenden Urteils mit der Urschrift des ausgelegten Urteils zu verbinden sowie einen Hinweis auf das auslegende Urteil am Rand der Urschrift des ausgelegten Urteils anzubringen;

–        hilfsweise, das Urteil zu berichtigen oder zu ergänzen, indem die Entscheidung über den Zinsbeginn nachgeholt wird;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

11      Die Kommission beantragt,

–        den Haupt- und den Hilfsantrag zurückzuweisen;

–        den Antragstellerinnen die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

12      Gemäß Art. 168 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist das Gericht nach Art. 43 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bei Zweifeln über Sinn und Tragweite eines Urteils zuständig, das Urteil auf Antrag einer Partei auszulegen, wenn die Partei ein Interesse hieran glaubhaft macht.

13      Nach ständiger Rechtsprechung muss ein Antrag auf Auslegung eines Urteils, um zulässig zu sein, den Tenor des betroffenen Urteils in Verbindung mit dessen wesentlichen Entscheidungsgründen zum Gegenstand haben und die Beseitigung einer Unklarheit oder Mehrdeutigkeit bezwecken, die möglicherweise Sinn und Tragweite des Urteils selbst insoweit berührt, als damit der dem betreffenden Gericht vorgelegte Fall zu entscheiden war (vgl. Urteil vom 26. Januar 2017, Kommission/Verile und Gjergji, T‑104/14 P‑INTP, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:33, Rn. 7 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach dieser Rechtsprechung ist daher ein Antrag auf Auslegung eines Urteils unzulässig, wenn er Fragen betrifft, die in diesem Urteil nicht entschieden worden sind, oder wenn durch ihn eine Stellungnahme des angerufenen Gerichts zur Anwendung und Durchführung oder zu den Folgen des von diesem Gericht erlassenen Urteils erlangt werden soll (vgl. Beschluss vom 8. Juli 2015, Bimbo/HABM, T‑357/11 INTP, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:534, Rn. 9 und die dort angeführte Rechtsprechung).

14      Folglich muss sich ein Antrag auf Auslegung, um zulässig zu sein, auf einen im auszulegenden Urteil entschiedenen Punkt beziehen. Die Frage des Zeitpunkts, ab dem im Fall einer aufgeschobenen Zahlung der gegen die Antragstellerinnen verhängten Geldbußen Verzugszinsen zu zahlen sind, die während des gerichtlichen Verfahrens in keiner Weise Gegenstand der Erörterungen zwischen den Parteien war, wurde im Urteil vom 15. Juli 2015 aber nicht behandelt.

15      Insbesondere enthält der Tenor des auszulegenden Urteils keine Entscheidung hinsichtlich des Zeitpunkts, ab dem im vorliegenden Fall Verzugszinsen zu zahlen sind. Auch kann in den Randnummern der Entscheidungsgründe, auf die sich die Antragstellerinnen berufen, keine Stellungnahme zu dieser Frage gesehen werden.

16      Erstens betrifft Rn. 302 des Urteils vom 15. Juli 2015 die Frage, ob das Gericht, wenn es in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung über die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens entscheidet, auf die tatsächliche Situation zum Zeitpunkt seiner Entscheidung abstellen muss und ob es gegebenenfalls nach dem streitigen Beschluss eingetretene Umstände berücksichtigen muss.

17      Zweitens stellt die Berechnung des Verhältnisses zwischen den bereits gezahlten Beträgen und dem Gesamtbetrag der Geldbußen in Rn. 346 des Urteils vom 15. Juli 2015, wie die Kommission zu Recht geltend macht, keine Stellungnahme zum Zeitpunkt dar, ab dem die Antragstellerinnen Verzugszinsen zu zahlen haben. Die Beträge, die das Gericht bei seiner Berechnung herangezogen hat, beziehen sich nämlich nur auf den Hauptbetrag der Geldbußen, was entgegen dem Vorbringen der Antragstellerinnen belegt, dass das Gericht die Frage der auf diesen Betrag geschuldeten Zinsen nicht geprüft hat.

18      Drittens schließlich kann Rn. 356 des Urteils vom 15. Juli 2015 nicht dahin ausgelegt werden, dass sie eine Beurteilung hinsichtlich des Zeitpunkts enthielte, ab dem Verzugszinsen zu zahlen sind. Das Gericht hat sich in dieser Randnummer nämlich auf die Feststellung beschränkt, dass kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung vorliege, da die fraglichen Situationen nicht vergleichbar seien. Außerdem bezieht sich der letzte Satz dieser Randnummer auf die von dem Richter des vorläufigen Rechtsschutzes bis zum Erlass der das Hauptverfahren beendenden Entscheidung angeordnete Aussetzung der Wirkungen des Spannstahl-Beschlusses, enthält aber keine Ausführungen zu den möglichen Auswirkungen des Erlasses dieser Entscheidung auf den Zeitpunkt, ab dem die mit dem Spannstahl-Beschluss sanktionierten Unternehmen Zinsen zu zahlen haben.

19      Aus dem Vorstehenden folgt, dass sich der Antrag auf Gesichtspunkte bezieht, die im Urteil vom 15. Juli 2015 nicht geprüft wurden, und durch ihn eine Stellungnahme des Gerichts zu den Folgen dieses Urteils erlangt werden soll. Infolgedessen ist der Antrag nach der oben in Rn. 13 angeführten Rechtsprechung unzulässig.

20      Was das Vorbringen der Antragstellerinnen betrifft, mit dem sie geltend machen, dass keine anderen Rechtsbehelfe gegeben seien, die es ihnen ermöglichten, ein Ergebnis zu erreichen, das dem vergleichbar wäre, das sie mit dem vorliegenden Antrag auf Auslegung erreichen möchten, ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Beachtung des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes – unterstellt man dessen Geltendmachung durch die Antragstellerinnen – nicht dazu führen kann, dass ein seinem Wesen nach unzulässiger Antrag zulässig wird. Das Vorbringen der Antragstellerinnen, wonach ihnen andere Rechtsbehelfe nicht zur Verfügung stünden, um eine Entscheidung des zwischen ihnen und der Kommission bestehenden Streits herbeizuführen, hat somit, selbst wenn man es als zutreffend unterstellt, keine Auswirkung auf die Zulässigkeit ihres Antrags.

21      Die Antragstellerinnen hätten jedenfalls, wie die Kommission zu Recht geltend macht, zum einen in dem Fall, dass die Kommission beabsichtigen sollte, die Zwangsvollstreckung hinsichtlich ihrer Forderung einschließlich Zinsen zu betreiben, die Möglichkeit, den Streit vor das für Vollstreckungssachen zuständige nationale Gericht zu bringen. Die Zwangsvollstreckung eines Beschlusses der Kommission, mit dem eine finanzielle Verpflichtung auferlegt wird, ist nämlich in Art. 299 AEUV geregelt, der in seinem Abs. 4 Bestimmungen enthält, die – unbeschadet der Möglichkeit, dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen – einen Schutz auf nationaler Ebene gewährleisten. Zum anderen könnte gegebenenfalls eine Schadensersatzklage gemäß Art. 268 AEUV erhoben werden, falls ein Fehlverhalten des Organs oder seiner Bediensteten vorliegt.

22      Folglich ist der als Hauptantrag gestellte Antrag auf Auslegung unzulässig und somit zurückzuweisen.

23      Daher ist auch die Zulässigkeit der hilfsweise gestellten Anträge zu prüfen, mit denen eine Berichtigung oder Ergänzung des Urteils vom 15. Juli 2015 begehrt wird.

24      Hierzu ist erstens festzustellen, dass diese Anträge nach Ablauf der nach Art. 164 Abs. 2 der Verfahrensordnung vorgesehenen Frist von zwei Wochen bzw. der nach Art. 165 Abs. 2 der Verfahrensordnung vorgesehenen Frist von einem Monat nach der Verkündung des Urteils vom 15. Juli 2015 gestellt worden sind. Da sie somit verspätet sind, sind sie zwingend zurückzuweisen.

25      Zweitens ist zu bemerken, dass die von den Antragstellerinnen begehrte Feststellung des Zeitpunkts, ab dem im vorliegenden Fall Verzugszinsen zu zahlen sind, nicht als Berichtigung eines Schreibfehlers, eines Rechenfehlers oder einer offensichtlichen Unrichtigkeit, mit dem bzw. der das Urteil vom 15. Juli 2015 behaftet wäre, angesehen werden kann, da es sich dabei, wie die Prüfung der Zulässigkeit des Antrags auf Auslegung ergeben hat, um eine Frage handelt, zu der sich das Gericht nicht und damit erst recht nicht unzutreffend geäußert hat.

26      Drittens schließlich kann im Fehlen einer entsprechenden Stellungnahme im Urteil vom 15. Juli 2015 kein Unterlassen einer Entscheidung über einen Antrag gesehen werden, da sich keiner der Klageanträge auf diese Frage bezog, die zudem zwischen den Parteien nicht erörtert wurde.

27      Somit sind sowohl der Hauptantrag als auch die Hilfsanträge unzulässig und damit insgesamt zurückzuweisen.

 Kosten

28      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Antragstellerinnen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

beschlossen:

1.      Der Antrag wird zurückgewiesen.

2.      Die Westfälische Drahtindustrie GmbH, die Westfälische Drahtindustrie Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG und die Pampus Industriebeteiligungen GmbH & Co. KG tragen die Kosten.

Luxemburg, den 17. Mai 2018

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

S. Frimodt Nielsen


*      Verfahrenssprache: Deutsch.