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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

21. November 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 – Art. 4 und 6 – Insolvenzverfahren – Anwendbares Recht – Europäisches Mahnverfahren – Nichtbegleichung einer vertraglichen Forderung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens – Aufrechnungseinrede, die auf eine vor der Insolvenz entstandene vertragliche Forderung gestützt wird“

In der Rechtssache C‑198/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden) mit Entscheidung vom 12. März 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 20. März 2018, in dem Verfahren

CeDe Group

gegen

KAN sp. z o.o., in Insolvenz

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter S. Rodin und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie des Richters N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der spanischen Regierung, zunächst vertreten durch M. A. Sampol Pucurull, dann durch S. Centero Huerta als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller, E. Ljung Rasmussen, G. Tolstoy und K. Simonsson als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. April 2019

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 4 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. 2000, L 160, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 788/2008 des Rates vom 24. Juli 2008 (ABl. 2008, L 213, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1346/2000).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der in Schweden ansässigen CeDe Group AB und der KAN sp. z o.o. (im Folgenden: KAN), einer polnischen Gesellschaft in Insolvenz, wegen der Weigerung Ersterer, an Letztere den Betrag von 1 532 489 schwedischen Kronen (SEK) (rund 143 951 Euro) zu zahlen.

 Rechtlicher Rahmen

 Verordnung Nr. 1346/2000

3        Der sechste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1346/2000 lautete:

„Gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sollte sich diese Verordnung auf Vorschriften beschränken, die die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und für Entscheidungen regeln, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Darüber hinaus sollte diese Verordnung Vorschriften hinsichtlich der Anerkennung solcher Entscheidungen und hinsichtlich des anwendbaren Rechts, die ebenfalls diesem Grundsatz genügen, enthalten.“

4        Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmte:

„Diese Verordnung gilt für Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben.“

5        Art. 3 Abs. 1 der Verordnung sah vor:

„Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.“

6        Art. 4 („Anwendbares Recht“) der Verordnung lautete:

„(1)      Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird, nachstehend ‚Staat der Verfahrenseröffnung‘ genannt.

(2)      Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt insbesondere:

d)      die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung;

e)      wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt;

g)      welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen;

…“

7        Art. 6 („Aufrechnung“) der Verordnung Nr. 1346/2000 bestimmt in Abs. 1:

„Die Befugnis eines Gläubigers, mit seiner Forderung gegen eine Forderung des Schuldners aufzurechnen, wird von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt, wenn diese Aufrechnung nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht zulässig ist.“

 RomI-Verordnung

8        Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6) (im Folgenden: Rom‑I-Verordnung) lautet:

„Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil desselben treffen.“

9        Art. 17 der Verordnung bestimmt:

„Ist das Recht zur Aufrechnung nicht vertraglich vereinbart, so gilt für die Aufrechnung das Recht, dem die Forderung unterliegt, gegen die aufgerechnet wird.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10      Am 9. Juni 2010 schloss CeDe Group mit der PPUB Janson sp.j., einer Gesellschaft mit Sitz in Polen, einen Vertrag über die Lieferung von Waren. Dieser Vertrag enthielt eine Klausel, wonach bei Fragen der Vertragsauslegung schwedisches Recht anzuwenden ist.

11      Im Januar 2011 wurde in Polen ein Insolvenzverfahren über das Vermögen von PPUB Janson eröffnet. Im Juli 2011 beantragte der in diesem Verfahren bestellte Insolvenzverwalter bei der Kronofogdemyndighet (Amt für Beitreibung, Schweden) den Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls gegen CeDe Group wegen einer Forderung in Höhe von 1 532 489 SEK (rund 143 951 Euro) zuzüglich Zinsen für Waren, die CeDe Group gemäß dem genannten Vertrag von PPUB Janson geliefert worden waren.

12      Der Insolvenzverwalter von PPUB Janson beantragte bei dem mit dieser Sache befassten Malmö tingsrätt (Bezirksgericht Malmö, Schweden), CeDe Group zur Zahlung des fraglichen Betrags zuzüglich Zinsen zu verurteilen. CeDe Group trat dieser Forderung entgegen und trug vor, dass sie gegen PPUB Janson eine den geforderten Betrag übersteigende Gegenforderung in Höhe von 3,9 Mio. SEK (rund 366 497 Euro) als Schadensersatz wegen nicht erfolgter Lieferungen und der Lieferung mangelhafter Waren habe. CeDe Group machte daher die Aufrechnung geltend, was der Insolvenzverwalter von PPUB Janson für nicht zulässig hielt, da er die von CeDe Group im Insolvenzverfahren in Polen geltend gemachte Gegenforderung zurückgewiesen habe.

13      Vor dem Malmö tingsrätt (Bezirksgericht Malmö) stellte sich die Frage, das Recht welchen Landes auf die von CeDe Group geltend gemachte Aufrechnung anzuwenden ist.

14      Der Insolvenzverwalter von PPUB Janson ist der Auffassung, dass gemäß dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 polnisches Recht anwendbar sei. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung das Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung regele. Weiter machte der Insolvenzverwalter geltend, Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 sei nur anwendbar, wenn nach dem Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung die Aufrechnung im Insolvenzverfahren als Instrument zur wechselseitigen Begleichung von Verbindlichkeiten zwischen den Parteien nicht zulässig sei. Dies sei im Ausgangsverfahren nach polnischem Recht nicht der Fall.

15      CeDe Group erwiderte, dass auf die Aufrechnung der Forderungen schwedisches Recht anwendbar sei. Die Klage des Insolvenzverwalters von PPUB Janson betreffe eine Forderung, die im Rahmen der durch den Vertrag vom 9. Juni 2010 geregelten Beziehung entstanden sei, der eine Rechtswahlklausel enthalte, wonach auf den Vertrag schwedisches Recht anzuwenden sei. Die verbindliche Anwendung dieser Klausel ergebe sich aus Art. 3 Abs. 1 der Rom‑I-Verordnung. Jedenfalls gelte nach deren Art. 17, wenn die Vertragsparteien nichts vereinbart hätten, für die Aufrechnung das Recht, dem die Forderung unterliege, gegen die aufgerechnet werde; im vorliegenden Fall sei dies das schwedische Recht.

16      Weiter machte CeDe Group geltend, dass nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 das Insolvenzverfahren dem Recht eines Gläubigers auf Aufrechnung nicht entgegenstehe, wenn diese nach dem für die Forderung des Insolvenzschuldners maßgeblichen Recht zulässig sei. Auf die Forderung des Insolvenzverwalters von PPUB Janson sei schwedisches Recht anwendbar. Somit gelte dieses auch für die Aufrechnung der betreffenden Forderungen.

17      Das Malmö tingsrätt (Bezirksgericht Malmö) stellte fest, dass nach dem Grundsatz in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit polnisches Recht anzuwenden sei. Art. 6 Abs. 1 der Verordnung sei nicht anwendbar, da das polnische Recht die Aufrechnung weder einschränke noch ausschließe.

18      CeDe Group legte gegen dieses Urteil beim Hovrätt över Skåne och Blekinge (Berufungsgericht für Skåne und Blekinge, Schweden) Berufung ein. Im Berufungsverfahren trat der Insolvenzverwalter von PPUB Janson die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Forderung an die polnische Gesellschaft KAN ab, die dem Verfahren anstelle des Insolvenzverwalters von PPUB Janson beitrat.

19      Das Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil. Es stellte fest, dass kein Anlass bestehe, von dem Grundsatz abzuweichen, wonach das Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung gelte. Der Umstand, dass der Insolvenzverwalter von PPUB Janson die Aufrechnung durch CeDe Group nicht zugelassen habe, ändere nichts an dieser Beurteilung.

20      Vor dem Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden) macht CeDe Group geltend, dass auf die Aufrechnung schwedisches Recht anzuwenden sei. KAN beantragt, das im Berufungsverfahren ergangene Urteil zu bestätigen.

21      Während der Anhängigkeit der Sache beim Högsta domstol (Oberster Gerichtshof) wurde über das Vermögen von KAN ein Gesamtverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter von KAN erklärte, dass die Insolvenzmasse die Klage von KAN nicht übernehmen werde. Somit ist KAN, die gerade gerichtlich abgewickelt wird, nun Partei im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht.

22      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass sich der Gerichtshof in Bezug auf die Frage der internationalen Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Insolvenz mehrfach zum Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1346/2000 geäußert habe, insbesondere im Rahmen der Prüfung des jeweiligen Anwendungsbereichs dieser Verordnung und der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

23      Hierbei habe der Gerichtshof auf die Rechtsgrundlage der Klage und nicht auf deren prozessualen Kontext abgestellt.

24      Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts geht es im Ausgangsverfahren jedoch um die Frage, ob die Klage der Gläubigergemeinschaft auf Zahlung einer Forderung, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist, in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 fällt. Für die Auslegung dieses Artikels möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Argumentation des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 3 der Verordnung in Bezug auf die internationale Zuständigkeit auf dem Gebiet der Insolvenz auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann.

25      Sollte die Verordnung Nr. 1346/2000 in Bezug auf eine Klage wie die in der vorstehenden Randnummer beschriebene für anwendbar gehalten werden, möchte das vorlegende Gericht auch wissen, wie Art. 4 von Art. 6 der Verordnung abzugrenzen ist, um zu bestimmen, welches Recht auf eine Aufrechnung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende anwendbar ist.

26      Unter diesen Umständen hat der Högsta domstol (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 dahin auszulegen, dass er eine Klage umfasst, die der Insolvenzverwalter einer polnischen Gesellschaft, über deren Vermögen in Polen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, vor einem schwedischen Gericht gegen eine schwedische Gesellschaft erhebt und die auf die Bezahlung von Waren gerichtet ist, die gemäß einer Vereinbarung geliefert wurden, die diese Gesellschaften vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen hatten?

2.      Falls Frage 1 bejaht wird: Ist es von Belang, dass der Insolvenzverwalter während des Gerichtsverfahrens die strittige Forderung an eine Gesellschaft abtritt, die dem Verfahren anstelle der Insolvenzmasse beitritt?

3.      Falls Frage 2 bejaht wird: Ist es von Belang, dass im weiteren Verlauf auch über das Vermögen der Gesellschaft, die in das Verfahren eingetreten ist, das Insolvenzverfahren eröffnet wird?

4.      Wenn der Beklagte in einer Verfahrenssituation, wie sie in Frage 1 geschildert ist, geltend macht, dass er gegen den Zahlungsanspruch des Insolvenzverwalters mit einer Gegenforderung aufrechnet, fällt dann diese Aufrechnungssituation unter Art. 4 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 1346/2000, wenn beide Forderungen auf dieselbe Vereinbarung gestützt sind?

5.      Ist das Verhältnis von Art. 4 Abs. 2 Buchst. d zu Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 dahin auszulegen, dass Art. 6 Abs. 1 nur dann anwendbar ist, wenn das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung keine Aufrechnungsmöglichkeit vorsieht, oder kann Art. 6 Abs. 1 auch in anderen Fällen angewandt werden, etwa wenn nur gewisse Unterschiede bei den Aufrechnungsmöglichkeiten in den in Rede stehenden Rechtsordnungen bestehen oder wenn es zwar keine Unterschiede gibt, aber die Aufrechnung im Staat der Verfahrenseröffnung gleichwohl zurückgewiesen wird?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

27      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 dahin auszulegen ist, dass er auf eine Klage des Insolvenzverwalters einer in einem ersten Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft in Insolvenz anwendbar ist, mit der die Bezahlung von Waren begehrt wird, die in Erfüllung eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser Gesellschaft geschlossenen Vertrags geliefert wurden, und die sich gegen die in einem zweiten Mitgliedstaat ansässige andere am Vertrag beteiligte Gesellschaft richtet.

28      Nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen, soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird. Art. 4 Abs. 2 der Verordnung bestimmt zum einen, dass das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist, und enthält zum anderen eine nicht abschließende Aufzählung verschiedener Verfahrensregeln, die durch das Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung festgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2010, MG Probud Gdynia, C‑444/07, EU:C:2010:24, Rn. 25). Diese Aufzählung umfasst in Art. 4 Abs. 2 Buchst. d die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung, in Buchst. e die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf laufende Verträge des Schuldners und in Buchst. g die Frage, welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen.

29      Um festzustellen, ob das Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung auf eine Klage anwendbar ist, mit der die Bezahlung von Waren begehrt wird, die aufgrund eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser Gesellschaft geschlossenen Vertrags geliefert wurden, wenn diese Klage vom Insolvenzverwalter einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft in Insolvenz gegen deren Vertragspartnerin, eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft, erhoben wird, ist daher zu prüfen, ob eine solche Klage im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 Teil des Insolvenzverfahrens oder seiner Wirkungen ist.

30      Wie der Generalanwalt in Nr. 33 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wird aus Art. 3 in Verbindung mit Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 deutlich, dass diese Regelung grundsätzlich darauf abzielt, eine Entsprechung zwischen den international zuständigen Gerichten und dem auf das Insolvenzverfahren anwendbaren Recht herzustellen. Außer in den Fällen, für die diese Verordnung ausdrücklich etwas anderes vorsieht, folgt nämlich das anwendbare Recht gemäß Art. 4 der Verordnung der nach Art. 3 der Verordnung bestimmten internationalen Zuständigkeit.

31      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Anwendungsbereich von Art. 3 der Verordnung Nr. 1346/2000 in Verbindung mit dem sechsten Erwägungsgrund der Verordnung fallen nur Klagen, die sich unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren herleiten und in engem Zusammenhang damit stehen, unter diese Verordnung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Februar 2019, NK, C‑535/17, EU:C:2019:96, Rn. 25 und 26 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Das für den Gerichtshof ausschlaggebende Kriterium zur Bestimmung des Gebiets, dem eine Klage zuzurechnen ist, ist dabei nicht der prozessuale Kontext, in dem diese Klage steht, sondern deren Rechtsgrundlage. Nach diesem Ansatz ist zu prüfen, ob der der Klage zugrunde liegende Anspruch oder die ihr zugrunde liegende Verpflichtung den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts entspringt oder aber den abweichenden Sonderregeln für Insolvenzverfahren (Urteil vom 6. Februar 2019, NK, C‑535/17, EU:C:2019:96, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Folglich fällt eine Klage, wenn sie auf den abweichenden Sonderregeln für Insolvenzverfahren beruht, unter Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000, soweit diese nichts anderes bestimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Dezember 2015, Kornhaas, C‑594/14, EU:C:2015:806, Rn. 17).

33      Wie der Generalanwalt in Nr. 34 seiner Schlussanträge ausführt, hat jedoch Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 einen breiteren Anwendungsbereich als Art. 3, da er nicht nur auf Insolvenzverfahren, sondern auch auf deren Wirkungen Anwendung findet. Daher kann allein aus dem Umstand, dass eine Klage nicht auf den abweichenden Sonderregeln für Insolvenzverfahren beruht, nicht geschlossen werden, dass sie nicht unter Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 fällt.

34      Zu prüfen ist noch, ob es bei der betreffenden Klage nicht um die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 geht, ob also diese Klage nicht die unmittelbare und untrennbare Folge eines solchen Verfahrens ist.

35      Wie der Generalanwalt in Nr. 36 seiner Schlussanträge ausführt, kann daraus, dass in Art. 4 Abs. 2 Buchst. d und e der Verordnung Nr. 1346/2000 auf die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung und die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf laufende Verträge verwiesen wird, nicht geschlossen werden, dass jede Klage, die auf einen Vertrag gestützt ist, dessen eine Partei sich in einem Insolvenzverfahren befindet, allein aus diesem Grund unter den Begriff „Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“ fällt.

36      Insbesondere kann allein die Tatsache, dass ein Insolvenzverwalter eine solche Klage erhoben hat, nicht entscheidend für die Beurteilung der Frage sein, ob diese Klage unter den Begriff „Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“ fällt. Zum einen kann eine Klage, mit der die Bezahlung von Waren begehrt wird, die aufgrund eines Vertrags geliefert wurden, grundsätzlich vom Gläubiger selbst erhoben werden, so dass sie nicht in die ausschließliche Zuständigkeit des Insolvenzverwalters fällt. Zum anderen hängt die Erhebung einer solchen Klage nicht von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ab, da eine solche Zahlungsklage unabhängig von einem Insolvenzverfahren erhoben werden kann. Somit kann eine Klage wie die im Ausgangsverfahren fragliche, mit der die Bezahlung von Waren begehrt wird, die aufgrund eines Vertrags geliefert wurden, nicht als unmittelbare und untrennbare Folge eines solchen Verfahrens angesehen werden (vgl. entsprechend Urteil vom 6. Februar 2019, NK, C‑535/17, EU:C:2019:96, Rn. 36).

37      Folglich ist davon auszugehen, dass eine Klage, mit der die Bezahlung von Waren begehrt wird, die in Erfüllung eines vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geschlossenen Vertrags geliefert wurden, nicht unter den Begriff „Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 fällt, wenn diese Klage vom Insolvenzverwalter einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft in Insolvenz gegen die in einem anderen Mitgliedstaat ansässige andere am Vertrag beteiligte Gesellschaft erhoben wird.

38      Mit der Auslegung, die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils vorgenommen wurde, wird weder über das auf die Aufrechnung anwendbare Recht noch über die einschlägigen Regeln entschieden, nach denen sich das auf die Klage im Ausgangsverfahren anwendbare Recht bestimmen lässt.

39      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 dahin auszulegen ist, dass er nicht auf eine Klage des Insolvenzverwalters einer in einem ersten Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft in Insolvenz anwendbar ist, mit der die Bezahlung von Waren begehrt wird, die in Erfüllung eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser Gesellschaft geschlossenen Vertrags geliefert wurden, und die sich gegen die in einem zweiten Mitgliedstaat ansässige andere am Vertrag beteiligte Gesellschaft richtet.

 Zu den Fragen 2 bis 5

40      Wie aus den in Rn. 25 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Ausführungen des vorlegenden Gerichts hervorgeht, wurden die Fragen 2 bis 5 nur für den Fall gestellt, dass die erste Frage zu bejahen ist.

41      Daher sind angesichts der Antwort auf die erste Frage die Fragen 2 bis 5 nicht zu beantworten.

 Kosten

42      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren in der durch die Verordnung (EG) Nr. 788/2008 des Rates vom 24. Juli 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nicht auf eine Klage des Insolvenzverwalters einer in einem ersten Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft in Insolvenz anwendbar ist, mit der die Bezahlung von Waren begehrt wird, die in Erfüllung eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser Gesellschaft geschlossenen Vertrags geliefert wurden, und die sich gegen die in einem zweiten Mitgliedstaat ansässige andere am Vertrag beteiligte Gesellschaft richtet.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Schwedisch.