Language of document : ECLI:EU:C:2013:870

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 19. Dezember 2013(1)

Rechtssache C‑224/12 P

Europäische Kommission

gegen

Königreich der Niederlande und ING Groep NV

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfe zugunsten einer Bank in Form einer Kapitalzuführung gegen Übernahme von Wertpapieren – Änderung der Bedingungen für die Vergütung und den Rückkauf der Wertpapiere – Entscheidung, mit der die Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vorbehaltlich Verpflichtungszusagen vereinbar erklärt wird – Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers“





1.        Vorliegend handelt es sich um ein von der Kommission eingelegtes Rechtsmittel gegen ein Urteil des Gerichts(2), mit dem eine Entscheidung(3) über die vom niederländischen Staat zugunsten der Bank ING Groep NV (im Folgenden: ING) gewährte Beihilfe teilweise für nichtig erklärt wurde. Mit dieser Entscheidung war u. a. die Umstrukturierungsbeihilfe in Form einer Kapitalzuführung gegen Übernahme von Wertpapieren zu bestimmten Rückzahlungsbedingungen als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG (jetzt Art. 107 Abs. 1 AEUV) angesehen worden, die jedoch „vorbehaltlich“ mehrerer Verpflichtungszusagen von ING und des Staates mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei.

2.        Hauptproblematik ist die Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers (d. h. des Kriteriums, wonach im Wesentlichen darauf abzustellen ist, ob das begünstigte Unternehmen denselben Vorteil, der ihm aus Staatsmitteln gewährt wurde, von einem unter normalen Marktbedingungen handelnden privaten Kapitalgeber hätte erhalten können)(4) im Rahmen der Prüfung einer Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung der staatlichen Beihilfe. Außerdem wird die Einschätzung des Gerichts bezüglich des durch die Änderung der Rückzahlungsbedingungen erfolgten Einnahmenverzichts des Staates in Frage gestellt. Des Weiteren geht es um die Folgen der Nichtigerklärung der Feststellung bezüglich des Vorliegens einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV. Wie wirkt sich diese Nichtigerklärung auf die anderen Punkte der streitigen Entscheidung aus, insbesondere auf die von ING und dem niederländischen Staat abgegebenen Verpflichtungszusagen?

 Die Beihilfe und die streitige Entscheidung

3.        Mit Entscheidung vom 12. November 2008 (im Folgenden: ursprüngliche Entscheidung) genehmigte die Kommission eine Notfall-Rekapitalisierung zugunsten von ING, in deren Rahmen der niederländische Staat von ING ausgegebene Wertpapiere im Gesamtwert von 10 Mrd. Euro zeichnete (im Folgenden: Kapitalzuführung). Gemäß den ursprünglichen Bedingungen hatte ING die Wahl, die Wertpapiere innerhalb von drei Jahren zum Stückpreis von 15 Euro (50 % über dem Ausgabepreis) zurückzukaufen oder sie nach drei Jahren in Stammaktien umzuwandeln. Im letztgenannten Fall hatten die Niederlande jedoch die Option, von ING den Rückkauf zu einem Preis von 10 Euro plus Zinsen zu verlangen. Der Staat sollte für die Wertpapiere nur dann einen Kupon (Zinszahlung) erhalten, wenn ING für die Stammaktien Dividenden ausschütten würde. Die Kommission stellte fest, dass es sich bei der Kapitalzuführung um eine staatliche Beihilfe zugunsten von ING handele, und genehmigte diese vorläufig. Falls der Kommission innerhalb von sechs Monaten ein Umstrukturierungsplan vorgelegt würde, sollte sich die Genehmigung automatisch bis zur Entscheidung der Kommission über diesen Plan verlängern. In der ursprünglichen Entscheidung war eine Reihe von Verpflichtungszusagen der Niederlande berücksichtigt worden, darunter die, das Wachstum der ING-Bilanzsumme zu beschränken.

4.        Am 31. März 2009 setzte die Kommission die Niederlande von ihrer Entscheidung in Kenntnis, das Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG zu eröffnen (im Folgenden: Eröffnungsentscheidung(5)), da sie Zweifel an der Vereinbarkeit einer Stützungsfazilität für illiquide Vermögenswerte (Illiquid Assets Back-up Facility – IABF) zugunsten von ING mit den allgemeinen Grundsätzen für Entlastungsmaßnahmen(6) habe. Diese Maßnahme wurde dennoch für einen Zeitraum von sechs Monaten genehmigt. Außerdem hieß es, dass sich die Niederlande zur Vorlage eines Umstrukturierungsplans verpflichtet hätten, der sich sowohl auf die Kapitalzuführung als auch auf die IABF erstrecke.

5.        Am 12. Mai 2009 übermittelten die Niederlande diesen Plan. Nach mehreren Treffen mit der Kommission wurde am 22. Oktober 2009 ein revidierter Plan eingereicht. Dieser umfasste zum einen Verpflichtungszusagen bezüglich der Durchführung des Umstrukturierungsplans und zum anderen eine Änderung der ursprünglichen Bedingungen für die Rückzahlung des zugeführten Kapitals dahin, dass ING bis zu 50 % der Wertpapiere zum Ausgabepreis zurückkaufen konnte, zu dem noch die auf der Basis des Jahreskupons von 8,5 % errechneten Zinsen und, sollten die ING-Aktien zu einem Preis von mehr als 10 Euro gehandelt werden, eine Entschädigung hinzukamen. Je nach dem Aktienpreis konnte diese Entschädigung zwischen 340 Mio. Euro und 705 Mio. Euro betragen, um einen internen Zinsfuß von mindestens 15 % zu gewährleisten.

6.        Am 18. November 2009 erließ die Kommission die angefochtene Entscheidung über die Kapitalzuführung, die Änderung der Rückzahlungsbedingungen, die Stützungsfazilität für illiquide Vermögenswerte und die nach der nationalen Kreditgarantieregelung gewährten Garantien.

7.        Art. 2 der streitigen Entscheidung bestimmt:

„Die ING von den Niederlanden gewährte Umstrukturierungsbeihilfe stellt eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG-Vertrag dar.

Vorbehaltlich der in Anhang II aufgeführten Verpflichtungszusagen ist die Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar.

Die vorübergehende Beschränkung des Bilanzwachstums, die mit der Entscheidung der Kommission vom 12. November 2008 über die Rekapitalisierungsmaßnahme für ING auferlegt worden war, wird aufgehoben.“

8.        In Anhang II sind elf Verpflichtungszusagen (im Verfahren auch als „Ausgleichsmaßnahmen“ bezeichnet) des niederländischen Staates und/oder von ING aufgeführt, um die durch die Umstrukturierungsbeihilfe verursachten Wettbewerbsverzerrungen zu begrenzen.

9.        Die Kommission wendet in ihrer Entscheidungsbegründung das Kriterium des privaten Kapitalgebers weder bei der Prüfung der Kapitalzuführung noch der Rückzahlungsbedingungen noch der IABF an, wohl aber bei der Prüfung der Kreditgarantien. In Bezug auf die Änderung der Rückzahlungsbedingungen gelangt die Kommission zu der Auffassung, dass ING, da sie zuvor eine Entschädigung von 2,5 Mrd. Euro hätte entrichten müssen, während sich jetzt nur noch ein Betrag zwischen 340 Mio. Euro und 705 Mio. Euro ergebe, der zusätzliche Vorteil zwischen 1,79 Mrd. Euro und 2,2 Mrd. Euro liege(7).

 Das angefochtene Urteil

10.      Sowohl die Niederlande als auch ING erhoben gegen die streitige Entscheidung Klage beim Gericht.

11.      In der Rechtssache T‑29/10 beantragten die Niederlande, „Art. 2 Abs. 1 der [streitigen] Entscheidung für nichtig zu erklären, der u. a. auf die im 98. Erwägungsgrund dieser Entscheidung dargelegte Feststellung gestützt ist, dass die Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung des von den Niederlanden zugeführten Kapitals eine zusätzliche Beihilfe für ING darstelle, die sich auf etwa 2 Mrd. Euro belaufe“.

12.      In der Rechtssache T‑33/10 beantragte ING, unterstützt durch De Nederlandsche Bank NV (im Folgenden: DNB), die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, insbesondere „soweit die Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung des zugeführten Kapitals als zusätzliche Beihilfe in Höhe von 2 Mrd. Euro angesehen wird“.

13.      Das Gericht verband die Rechtssachen und „[erklärte] Art. 2 Abs. 1 der [streitigen Entscheidung] sowie Art. 2 Abs. 2 und Anhang II dieser Entscheidung … für nichtig“. Die einschlägige Begründung in den Randnrn. 95 bis 160 des angefochtenen Urteils lässt sich in aller Kürze wie folgt zusammenfassen.

14.      Die Änderung der Rückzahlungsbedingungen, wonach die Niederlande eine gemäß den ursprünglichen Bedingungen nicht vorgesehene garantierte Rendite erlangt hätten, hätte anhand des Kriteriums eines privaten Kapitalgebers beurteilt werden müssen. Die Kommission habe das Kriterium bei der Prüfung des Sachverhalts nicht herangezogen und verschiedene verfügbare Berichte über die voraussichtlichen Renditen und das Verhalten eines privaten Kapitalgebers außer Acht gelassen. Ihr Vorbringen, dass ING zum Rückkauf der Wertpapiere zu den alten Bedingungen verpflichtet gewesen sei, sei nicht überzeugend.

15.      Jedenfalls habe die Kommission die Kuponzahlung unberücksichtigt gelassen, die im Rahmen der geänderten Bedingungen obligatorisch geworden sei. Der festgestellte Beihilfebetrag hätte daher entsprechend dem Kuponbetrag herabgesetzt werden müssen.

16.      Die Kommission habe somit die Höhe der mit der Änderung der Rückzahlungsbedingungen verbundenen staatlichen Beihilfe fehlerhaft berechnet. Bei einer Berücksichtigung der geänderten Vergütung hätte sich dies auf die Beurteilung sowohl bezüglich der Qualifizierung als Beihilfe als auch bezüglich der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt auswirken können, insbesondere hinsichtlich des Beitrags von ING bzw. hinsichtlich der Maßnahmen zur Begrenzung der Wettbewerbsverzerrungen.

17.      Die nach Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung als staatliche Beihilfe eingestufte Umstrukturierungsbeihilfe umfasse auch die aus den geänderten Rückzahlungsbedingungen resultierende vermeintliche Beihilfe, ohne diese jedoch von den anderen Elementen der Beihilfe zu unterscheiden. Deshalb sei Art. 2 Abs. 1 zur Gänze für nichtig zu erklären.

18.      Die Kommission habe den Umfang der Ausgleichsmaßnahmen u. a. anhand der sich aus der Änderung der Rückzahlungsbedingungen ergebenden Beihilfe geprüft. Wegen der Fehler, die die Kommission begangen habe, könne diese nicht mehr behaupten, die Umstrukturierungsbeihilfe stelle einen erheblichen Betrag dar, auf dessen Grundlage die Ausgleichsmaßnahmen bewertet worden seien. Die Kommission sei daher zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Änderung der Rückzahlungsbedingungen zu einer staatlichen Beihilfe in Höhe von 2 Mrd. Euro geführt habe. Die Rechtswidrigkeit dieser Feststellung habe die Rechtswidrigkeit von Art. 2 Abs. 2 und Anhang II der streitigen Entscheidung zur Folge, da die Vereinbarkeit der Umstrukturierungsbeihilfe von einer Bewertung und von Verpflichtungszusagen abhänge, deren Inhalt sich am Maßstab der Umstrukturierungsbeihilfe beurteile, die die zusätzliche Beihilfe umfasse.

 Das Rechtsmittel und das Verfahren vor dem Gerichtshof

19.      Die Kommission beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, die im ersten Rechtszug erhobenen Klagen abzuweisen sowie dem Königreich der Niederlande und ING die Kosten aufzuerlegen,

–        hilfsweise die Sache zur erneuten Entscheidung an das Gericht zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung vorzubehalten

–        oder, weiter hilfsweise, Art. 2 Abs. 3 der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären sowie dem Königreich der Niederlande und ING die Kosten des Rechtsmittels aufzuerlegen.

20.      Die Kommission führt sechs Rechtsmittelgründe an:

–        Erstens bestehe keine rechtliche Verpflichtung, das Kriterium des privaten Kapitalgebers auf eine Änderung der Rückzahlungsbedingungen in Bezug auf eine Maßnahme anzuwenden, die selbst eine staatliche Beihilfe dargestellt habe.

–        Zweitens habe das Gericht die Einnahmen, die dem Staat infolge der Änderung der Rückzahlungsbedingungen entgangen seien, falsch bewertet.

–        Drittens habe das Gericht, selbst wenn die Kommission die Änderung der Rückzahlungsbedingungen zu Unrecht als staatliche Beihilfe angesehen haben sollte, nicht das Recht gehabt, Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung insgesamt für nichtig zu erklären.

–        Viertens habe das Gericht durch die Feststellung, dass Art. 2 Abs. 2 der streitigen Entscheidung zwangsläufig rechtswidrig gewesen sei, weil die Kommission zu Unrecht festgestellt habe, dass die Änderung der Rückzahlungsbedingungen eine staatliche Beihilfe enthalte, einen Rechtsfehler begangen.

–        Fünftens habe das Gericht ultra petita entschieden, indem es Art. 2 Abs. 2 der streitigen Entscheidung und ihren Anhang II für nichtig erklärt habe.

–        Sechstens und hilfsweise habe das Gericht, wenn es Art. 2 Abs. 1 und 2 der streitigen Entscheidung und ihren Anhang II zu Recht für nichtig erklärt haben sollte, nicht davon absehen können, Art. 2 Abs. 3 der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären.

21.      Das Königreich der Niederlande erachtet alle sechs Rechtsmittelgründe für unbegründet und beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen;

–        hilfsweise, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen.

22.      ING ist der Ansicht, dass mehrere Rechtsmittelgründe ganz oder teilweise unzulässig seien, ins Leere gingen oder rechtlich gegenstandslos seien und dass das Rechtsmittel insgesamt unbegründet sei. Sie beantragt,

–        das Rechtsmittel teilweise für unzulässig und/oder ins Leere gehend zu erklären, das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen;

–        hilfsweise, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung vorzubehalten.

23.      DNB, erstinstanzliche Streithelferin von ING, beantragt, den ersten und den vierten Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

24.      Der Gerichtshof ließ einen zweiten, auf den ersten Rechtsmittelgrund beschränkten Schriftsatzwechsel zu. Die mündliche Verhandlung vom 26. September 2013 konzentrierte sich auf den ersten und den vierten Rechtsmittelgrund.

 Parallele Entwicklungen

25.      Die Kommission erließ am 11. Mai 2012 – am selben Tag, an dem sie das Rechtsmittel in der vorliegenden Rechtssache eingereicht hat – eine neue Entscheidung über die ING gewährte Umstrukturierungsbeihilfe(8). In dieser Entscheidung prüft die Kommission die Änderung der Rückzahlungsbedingungen anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers und gelangt zu der Auffassung, dass ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber diese Bedingungen nicht vereinbart hätte. Die Kommission kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Änderung eine staatliche Beihilfe darstelle, die allerdings aufgrund bestimmter von den Niederlanden abgegebener Verpflichtungszusagen mit dem Binnenmarkt vereinbar sei.

26.      Gegen diese Entscheidung erhoben sowohl die Niederlande als auch ING Klage beim Gericht und führten zur Begründung u. a. an, der Kommission sei bei der Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers ein Fehler unterlaufen. Die Klagen wurden später jedoch zurückgenommen, die Rechtssachen wurden gestrichen(9).

 Erster Rechtsmittelgrund (Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Kapitalgebers)

27.      Im Zuge seiner Begründung in den Randnrn. 95 bis 114 seines Urteils weist das Gericht darauf hin, dass eine Maßnahme, damit sie als staatliche Beihilfe qualifiziert werden könne, u. a. dem begünstigten Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen müsse, den es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte. Im Fall einer Kapitalzuführung sei zu prüfen, ob ein privater Kapitalgeber von vergleichbarer Größe wie eine staatliche Behörde unter den gleichen Umständen hätte veranlasst werden können, Kapitalhilfen dieses Umfangs zu gewähren. Wenn der Staat zunächst beschlossen habe, von einem Unternehmen ausgegebenes Kapital zu zeichnen, und diese Kapitalzuführung bestimmten Rückzahlungsbedingungen unterliege und er dann der Änderung dieser Bedingungen zustimme, könne sowohl die Kapitalzuführung als auch die Änderung der Rückzahlungsbedingungen eine staatliche Beihilfe darstellen, wenn der Staat nicht in jeder dieser Situationen so gehandelt habe, wie es ein privater Kapitalgeber in einer vergleichbaren Situation getan hätte. Die Kommission könne sich der Prüfung der Änderung der Rückzahlungsbedingungen anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers nicht mit dem bloßen Hinweis entziehen, die Kapitalzuführung stelle als solche bereits eine staatliche Beihilfe dar. Erst am Ende einer solchen Prüfung könne die Kommission nämlich beurteilen, ob ein zusätzlicher Vorteil gewährt worden sei.

28.      In den Randnrn. 115 bis 125 untersucht das Gericht die von der Kommission vorgenommene Bewertung der Änderung der Rückzahlungsbedingungen und gelangt zu dem Ergebnis, dass die Kommission den Begriff „Beihilfe“ dadurch verkannt habe, dass sie nicht geprüft habe, ob sich der Staat, als er dieser Änderung zugestimmt habe, so verhalten habe, wie es ein privater Kapitalgeber in einer vergleichbaren Situation getan hätte, insbesondere da nach der Änderung eine vorzeitige Rückzahlung vorgesehen gewesen sei und angesichts der Marktbedingungen eine größere Gewissheit geherrscht habe, eine zufriedenstellende Rendite zu erhalten.

29.      Sodann befasst sich das Gericht in den Randnrn. 126 bis 134 mit der Wahrscheinlichkeit, dass ING bei Geltung der ursprünglichen Rückzahlungsbedingungen ihre Option zum Rückkauf der Wertpapiere innerhalb der ersten drei Jahre ausgeübt hätte, unter dem Gesichtspunkt des Vorbringens der Kommission, dass ING hierzu faktisch verpflichtet gewesen sei und der Staat Einnahmen in Höhe von 2,5 Mrd. Euro erzielt hätte, dass der Staat durch seine Zustimmung zu den geänderten Bedingungen auf sein Recht auf Erzielung dieser Einnahmen verzichtet und damit eine zusätzliche Beihilfe gewährt habe. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass ING die Option nur unter bestimmten und keineswegs erwiesenen, nicht einmal wahrscheinlichen Umständen ausgeübt hätte.

30.      Die Kommission macht geltend, das Gericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Änderung der Rückzahlungsbedingungen anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers zu prüfen sei. Kern ihrer Argumentation ist die These, dass die Änderung nicht als eigenständige Maßnahme anzusehen sei, die isoliert von der Kapitalzuführung beurteilt werden müsse. Unstreitig handele es sich bei der Kapitalzuführung um eine staatliche Beihilfemaßnahme, deren integraler Bestandteil die ursprünglichen Rückzahlungsbedingungen gewesen seien. Der Staat als Träger öffentlicher Gewalt sei zum Erlass dieser Maßnahme verpflichtet gewesen, um eine durch den Zusammenbruch einer systemrelevanten Bank verursachte schwerwiegende Störung der niederländischen Volkswirtschaft zu verhindern. Ein privater Kapitalgeber könne niemals in diese Lage geraten, so dass für die Prüfung der Kapitalzuführung – einschließlich der ursprünglichen oder der geänderten Rückzahlungsbedingungen – anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers kein Raum sei. Zu beurteilen sei lediglich, ob ING durch die Änderung ein zusätzlicher Vorteil verschafft worden sei.

31.      Die anderen Parteien vertreten im Wesentlichen die Auffassung, dass die Änderung der Rückzahlungsbedingungen gegenüber der ursprünglichen Kapitalzuführung eigenständig sei. Nach erfolgter Kapitalzuführung habe sich der Staat in einer Lage befunden, in der auch ein privater Kapitalgeber hätte sein können, nämlich Inhaber von Wertpapieren zu sein. Es sei durchaus denkbar, dass ein solcher Kapitalgeber aus vernünftigen wirtschaftlichen Gründen bestrebt sei, die Rückkaufbedingungen für die Wertpapiere neu auszuhandeln. So habe es sich beim niederländischen Staat verhalten, der anstelle einer weniger sicheren, wenngleich potenziell höheren Rendite einen garantierten Rückzahlungsbetrag vorgezogen habe, der zwar niedriger gewesen sei, dennoch aber eine zufriedenstellende Kapitalrendite dargestellt habe. Bei diesem Sachverhalt sei es nicht nur möglich, sondern nach der Rechtsprechung auch zwingend geboten, die Frage, ob die Änderung der Rückzahlungsbedingungen eine staatliche Beihilfe ist, anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers zu prüfen.

32.      Darüber hinaus rügt ING, dass die Kommission mit ihrem Vorbringen, die Kapitalzuführung und die Änderung der Rückzahlungsbedingungen seien Teil einer Serie zusammenhängender Maßnahmen, eine unzulässige Tatsachenbehauptung aufstelle.

33.      Der Unzulässigkeitseinwand überzeugt mich nicht. Die tatsächlichen Zusammenhänge zwischen den Maßnahmen sind nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Es geht vielmehr um die Rechtsfrage, ob das Gericht angesichts dieser Zusammenhänge zu Recht entschieden hat, dass die Kommission die Änderung der Rückzahlungsbedingungen anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers hätte prüfen müssen.

34.      Ich möchte außerdem hervorheben, dass der erste Rechtsmittelgrund allein diese Frage betrifft. Zu welchem Ergebnis man gelangt wäre, wenn dieses Kriterium herangezogen worden wäre, ist unerheblich. Bis zu einem gewissen Grad ist die Argumentation in den letztgenannten Problemkreis abgeschweift und sollte insoweit außer Acht bleiben. Zudem hat die Kommission dieses Kriterium inzwischen angewandt, und die Klagen gegen die Modalitäten der Anwendung wurden zurückgenommen(10). Das ändert aber nichts daran, dass die Streitfrage entschieden werden muss, ob das Gericht zu Recht festgestellt hat, dass die Prüfung im Rahmen der streitigen Entscheidung anhand dieses Kriteriums hätte vorgenommen werden müssen.

35.      Meines Erachtens sind bei der Erörterung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers zwei Fragen zu beantworten: i) Handelt es sich um eine staatliche Beihilfe, die sinnvollerweise mit der Handlung eines privaten Kapitalgebers verglichen werden kann? ii) Falls diese Frage zu bejahen ist, waren dann für diese Handlung Erwägungen maßgeblich, die ausschließlich oder zumindest in erster Linie für den Staat als Träger öffentlicher Gewalt relevant sind, oder hätte dieselbe Handlung auch „unter normalen Marktbedingungen von einem privaten Kapitalgeber, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befindet wie der Staat“(11), vorgenommen worden können. Der Prüfungsschritt i) betrifft die Anwendbarkeit des Kriteriums, der Prüfungsschritt ii) die Anwendung des Kriteriums. Vorliegend geht es allein um die Anwendbarkeit.

36.      Die Kommission ist bestrebt, die Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Kapitalgebers zu beschränken. Möglicherweise befürchtet sie für den Fall einer regelmäßigen Heranziehung des Kriteriums, dass bei Maßnahmen, die unter Berücksichtigung aller Umstände von einem vernünftig handelnden privaten Kapitalgeber nicht getroffen worden wären, dieses Kriterium als erfüllt angesehen werden könnte(12). Sollte dies zutreffen, wäre das ein allgemeines Problem. Hier kann die Streitfrage nur konkret in Bezug auf die Umstände der Kapitalzuführung an ING und die Änderung der Rückzahlungsbedingungen geklärt werden.

37.      Was die Kapitalzuführung als solche betrifft, ist unstreitig, dass ein Vergleich zwischen dem Verhalten des Staates und dem eines privaten Kapitalgebers sinnvollerweise nicht möglich war. Bei der „Rettung“ einer systemrelevanten einheimischen Bank im Rahmen der 2008 eingetretenen schweren Finanzkrise handelte der niederländische Staat ausschließlich in seiner Eigenschaft als höchster Träger öffentlicher Gewalt, dem an der Stabilität der Volkswirtschaft als Ganzes gelegen ist. In solcher Eigenschaft würde und könnte ein privater Kapitalgeber einfach nicht handeln. Des Weiteren ist unstreitig, dass die Kapitalzuführung in ihrer zunächst vorgesehenen Ausgestaltung als Gesamtheit zu beurteilen war, einschließlich der ursprünglichen Rückzahlungsbedingungen, die integraler Bestandteil des Beihilfepakets waren.

38.      Somit stellt sich die Frage, ob die geänderten Rückzahlungsbedingungen auf der gleichen Grundlage wie die ursprünglichen Bedingungen zu beurteilen waren oder ob die Änderung als eigenständige Maßnahme anzusehen war.

39.      Meiner Meinung nach waren zwei Vorgehensweisen denkbar: erneute Prüfung der Kapitalzuführung als Ganzes mit Beurteilung der geänderten Rückzahlungsbedingungen anstelle der ursprünglichen zum Zweck der Neuberechnung des Beihilfebetrags oder Prüfung der Bedingungsänderung als eigenständige Maßnahme zum Zweck der Entscheidung, ob und in welchem Umfang dabei staatliche Mittel dazu verwendet wurden, ING einen Vorteil zu verschaffen. Bei der ersten Vorgehensweise wäre die Beurteilung der Rückzahlungsbedingungen Teil der Beurteilung der vom Staat in seiner Eigenschaft als Träger öffentlicher Gewalt vorgenommenen Kapitalzuführung gewesen; ein Vergleich mit dem Verhalten eines privaten Kapitalgebers war dann sinnvollerweise nicht möglich. Tatsächlich hat die Kommission jedoch die zweite Vorgehensweise gewählt. Ob diese Vorgehensweise richtig oder falsch war, ist an dieser Stelle ohne Belang. Tatsache ist, dass die Kommission so vorgegangen ist.

40.      Hiervon ausgehend meine ich, dass die Kommission jetzt schwerlich behaupten kann, die Änderung der Rückzahlungsbedingungen sei von der Kapitalzuführung nicht zu trennen und könne nur nach denselben Kriterien beurteilt werden. Ich bin ferner der Ansicht, dass im Fall einer Qualifizierung der Änderung als eigenständige Maßnahme ein Vergleich des staatlichen Verhaltens mit dem eines privaten Kapitalgebers durchaus möglich wird.

41.      Es stimmt zwar, dass die ursprüngliche Kapitalzuführung eine staatliche Beihilfe war und dass ein privater Kapitalgeber naturgemäß niemals in der Lage sein kann, staatliche Beihilfe zu gewähren. Mit der ursprünglichen Gewährung wurde der Staat jedoch Inhaber von Wertpapieren, die zu bestimmten Bedingungen zurückgekauft werden mussten. In einer solchen Lage könnte sich auch ein privater Kapitalgeber befinden. Dass der Wert der vom Staat gehaltenen Wertpapiere höher war, als dies bei einem privaten Kapitalgeber normalerweise der Fall ist, scheint mir kein entscheidender Gesichtspunkt zu sein. Das Gleiche gilt für den Aspekt, dass die Wertpapiere ungewöhnlicher Art waren, wie dies die Kommission geltend macht – was im Übrigen ohnehin eine Tatsachenfrage ist, über die zu befinden der Gerichtshof in einem Rechtsmittelverfahren nicht befugt ist. Jeder Inhaber von Wertpapieren gleich welchen Betrags und gleich welcher Art kann erneute Verhandlungen über die Bedingungen für ihren Rückkauf anstreben oder entsprechenden Neuverhandlungen zustimmen. Deshalb ist es sinnvoll, das diesbezügliche Verhalten des Staates dem Verhalten eines hypothetischen privaten Kapitalgebers, der sich in einer vergleichbaren Lage befindet, gegenüberzustellen. Die Frage lautet meines Erachtens ganz einfach: „Wäre es aus der Sicht eines privaten Kapitalgebers, der aus welchen Gründen auch immer Wertpapiere zu denselben Bedingungen hält und der auf die Marktverhältnisse achtet, vernünftig gewesen, derselben Änderung dieser Bedingungen zuzustimmen?“

42.      Ich betone, dass ich zu dieser Auffassung auf der Grundlage gelange, dass die Kommission, wie geschehen, die Änderung der Rückzahlungsbedingungen als eigenständige Maßnahme angesehen hat, die als Gewährung einer bestimmbaren Vergünstigung zugunsten von ING aus staatlichen Mitteln eingestuft werden kann. Ich will mich zwar nicht dazu äußern, ob diese Vorgehensweise richtig oder angemessen war, ich meine aber, dass jedes Risiko der oben in Nr. 36 geschilderten Art selbst bei Heranziehung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers hätte vermieden werden können, wenn die Kommission stattdessen die Kapitalzuführung als Ganzes und einschließlich der geänderten Rückzahlungsbedingungen beurteilt hätte. Falls die Kapitalzuführung insgesamt aus staatlichen Mitteln erfolgte, um einen Vorteil ohne adäquate wirtschaftliche Entschädigung oder Rendite für das konkrete Geschäft (im Gegensatz zu den allgemeinen Vorteilen für die Volkswirtschaft) zu gewähren, wäre das Kriterium des privaten Kapitalgebers wohl nicht erfüllt gewesen. Eine solche Beurteilung ist indessen nicht vorgenommen worden, so dass sich die Frage der Anwendbarkeit des Kriteriums bei einer solchen Fallgestaltung nicht stellte. Tatsächlich wurde die Änderung der Rückzahlungsbedingungen als eigenständige Maßnahme gewertet, so dass es keinen Grund für die Nichtanwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers gab.

43.      Deshalb würde ich den ersten Rechtsmittelgrund zurückweisen.

 Zweiter Rechtsmittelgrund (Bewertung der entgangenen Einnahmen)

44.      In den Randnrn. 135 bis 142 seines Urteils führt das Gericht aus, dass selbst unter der Annahme, dass die Kommission zu dem Schluss habe gelangen können, dass der Staat einen Einnahmenausfall erlitten habe, sie den Betrag dieses Einnahmenausfalls nicht ordnungsgemäß ermittelt habe. Die Kommission habe außer Acht gelassen, dass gemäß den geänderten Rückzahlungsbedingungen die den zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung aufgelaufenen Zinsen entsprechende Kuponzahlung nicht mehr von der Ausschüttung einer Dividende an die Inhaber von Stammaktien abhängig gewesen sei. Die Kommission habe Kenntnis von diesem Umstand gehabt und hätte ihn nicht außer Acht lassen dürfen. Der niederländische Staat habe bei der vorzeitigen Rückzahlung am 21. Dezember 2009 einen Betrag von 258,5 Mio. Euro erhalten, den er nach den ursprünglichen Bedingungen nicht erlangt hätte, da für 2009 keine Dividende ausgezahlt worden sei. Zwar habe die Kommission die Höhe dieses Betrags nicht im Voraus kennen können, sie hätte sich jedoch fragen müssen, welche Auswirkungen die mögliche Zahlung auf den in der angefochtenen Entscheidung in Betracht gezogenen Betrag der zusätzlichen Beihilfe hätte haben können. Der dem Staat gegebenenfalls entgehende Betrag sei in der streitigen Entscheidung um mehrere Hundert Millionen Euro zu hoch angesetzt worden – ein Fehler, der die Auslegung des Begriffs „Beihilfe“ durch die Kommission fehlerhaft mache.

45.      Die Kommission trägt erstens vor, dass nach den von den Niederlanden vorgelegten ursprünglichen Rückzahlungsbedingungen ING bei der Rückzahlung des zugeführten Kapitals zur Zahlung der aufgelaufenen Zinsen verpflichtet gewesen sei und dass nach Angaben der Niederlande die Rückzahlungsbedingungen im revidierten Umstrukturierungsplan unverändert geblieben seien; sie, die Kommission, habe daher die im Jahr 2009 tatsächlich gezahlten Zinsen zu Recht nicht in Abzug gebracht. Die niederländische Regierung und ING bestreiten dieses Vorbringen, werten es aber im Übrigen als Tatsachenbehauptung, zu deren Prüfung der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren nicht befugt sei.

46.      Zweitens macht die Kommission geltend, dass sich die von ihr nicht in Abzug gebrachten Zinsen (maximal 303 Mio. Euro) weder auf die Qualifizierung der Änderung der Rückzahlungsbedingungen als Beihilfe noch auf die Beurteilung der Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt noch auf die Bewertung des Umfangs der als Ausgleichsmaßnahme dienenden Verpflichtungszusagen hätten auswirken können. Dem halten die niederländische Regierung und ING entgegen, dass sie die fraglichen Verpflichtungszusagen (in Anhang II der streitigen Entscheidung) nicht freiwillig abgegeben hätten, sondern dass die Zusagen von der Kommission angesichts der Feststellung, dass es sich um eine Beihilfe handele, vorgegeben worden seien. Bei einer korrekten Ermittlung des Betrags hätte sich der Umfang der erforderlichen Verpflichtungszusagen geändert.

47.      Auch ich bin der Auffassung, dass der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren nicht zur Prüfung befugt ist, ob die geänderten Rückzahlungsbedingungen im revidierten Umstrukturierungsplan korrekt wiedergegeben wurden oder inwieweit sie von den ursprünglichen Bedingungen abwichen. Das Gericht hat festgestellt, dass sich die Bedingungen voneinander unterschieden hätten und dass die Kommission von diesem Umstand Kenntnis gehabt habe. Die Kommission stellt zwar den Sachverhalt anders dar, sie macht jedoch nicht geltend, dass das Gericht Beweismittel verfälscht habe.

48.      Materiell-rechtlich stellt sich die Frage, ob das Gericht aufgrund der vom ihm festgestellten Tatsachen zu Recht entschieden hat, dass „nicht ausgeschlossen“ werden könne, dass, wenn die Kommission die vom Staat erhaltenen zusätzlichen Zinsen berücksichtigt hätte, sich dies auf die Einstufung der Änderung der Rückzahlungsbedingungen als Beihilfe oder auf die Prüfung ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt oder des Umfangs der Ausgleichsmaßnahmen „hätte auswirken können“, und ob das Gericht zu Recht entschieden hat, dass „die Auslegung des Begriffs ‚Beihilfe‘“ somit durch einen Fehler in tatsächlicher Hinsicht fehlerhaft gemacht worden sei(13).

49.      Der Sachverhaltsdarstellung in den Randnrn. 14 ff. des angefochtenen Urteils lässt sich entnehmen, dass die von den Niederlanden und ING abgegebenen Verpflichtungszusagen zur Begrenzung der Wettbewerbsverzerrungen im Wesentlichen von der Kommission vorgegeben wurden als Voraussetzung für die Feststellung, dass die Beihilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar sei. Die Änderung der Rückzahlungsbedingungen – deren Beurteilung Gegenstand des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens ist – wurde der Kommission jedoch erst am 22. Oktober 2009 mitgeteilt, und im angefochtenen Urteil finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass infolge dieser Änderung die Verpflichtungszusagen in irgendeiner Form modifiziert worden wären. Ich bin mir auch nicht sicher, dass eine Differenz von 303 Mio. Euro angesichts einer Gesamtsumme von 1,79 Mrd. Euro bis 2,2 Mrd. Euro (das entspricht einer Differenz von ungefähr 14 % bzw. 17 %) die Entscheidung beeinflusst hätte, ob eine staatliche Beihilfe vorliegt und ob diese gegebenenfalls mit dem Binnenmarkt vereinbar ist. Ich halte es jedoch zumindest für denkbar, dass die Verpflichtungszusagen hätten revidiert werden müssen.

50.      Die vom Gericht verwendete Formulierung (es „kann nicht ausgeschlossen werden“, dass sich der Fehler in tatsächlicher Hinsicht, der festgestellt wurde, „auf die Beurteilung … hätte auswirken können“) scheint unter diesen Umständen vertretbar zu sein. Fraglich ist indessen, ob dadurch die „Auslegung des Begriffs ‚Beihilfe‘“ fehlerhaft gemacht wurde. Da das Gericht nicht befugt war, seine eigene Beurteilung an die Stelle der von der Kommission vorgenommenen zu setzen, konnte es meiner Meinung nach einzig und allein zu dem Ergebnis gelangen, dass die Kommission eine neue Beurteilung auf der Grundlage der korrekten Tatsachen durchzuführen habe.

51.      Deshalb würde ich den zweiten Rechtsmittelgrund zurückweisen.

 Dritter Rechtsmittelgrund (Nichtigerklärung des gesamten Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung)

52.      In den Randnrn. 151 bis 153 seines Urteils führt das Gericht aus, dass in Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung nicht zwischen den verschiedenen Elementen der „Umstrukturierungsbeihilfe“, die nach den Feststellungen eine staatliche Beihilfe darstelle, unterschieden werde, dass diese jedoch die aus der Änderung der Rückzahlungsbedingungen resultierende zusätzliche Beihilfe in Höhe von etwa 2 Mrd. Euro beinhalte. Das Gericht gelangt zu dem Ergebnis, dass Art. 2 Abs. 1 angesichts der Fehler, mit denen die Einstufung als zusätzliche Beihilfe behaftet sei, in vollem Umfang für nichtig zu erklären sei.

53.      Nach Auffassung der Kommission war das Gericht zur Nichtigerklärung des gesamten Art. 2 Abs. 1 nicht berechtigt. Da die Einstufung der anderen Maßnahmen als die Änderung der Rückzahlungsbedingungen (insbesondere der Kapitalzuführung und der IABF) von einer möglicherweise fehlerhaften Einstufung der Änderung als solcher getrennt werden könne, verstoße die Nichtigerklärung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Außerdem sei Art. 2 Abs. 1 ein rein bestätigender Akt in Bezug auf diese anderen Maßnahmen (die bereits im Rahmen der ursprünglichen Entscheidung geprüft worden seien), und ein solcher Akt sei im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nicht anfechtbar. Die Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung sei daher aufzuheben, soweit dieser Absatz andere Maßnahmen als die Änderung der Rückzahlungsbedingungen betreffe.

54.      Die niederländische Regierung und ING weisen darauf hin, dass der fragliche Absatz lediglich aus einem Satz bestehe, bei dem eine nur teilweise Nichtigerklärung in der Weise, dass die Feststellung des Vorliegens einer staatlichen Beihilfe in Bezug auf andere Maßnahmen als die Änderung der Rückzahlungsbedingungen formal bestehen bleiben könne, nicht möglich sei. Die Nichtigerklärung sei aber im Licht der vom Gericht gegebenen Begründung zu verstehen, aus der hervorgehe, dass lediglich die Einstufung der aus der Änderung der Rückzahlungsbedingungen resultierenden Beihilfe bemängelt worden sei. Im Übrigen lasse die Nichtigerklärung faktisch die ursprüngliche Entscheidung wiederaufleben, wonach die Kapitalzuführung eine staatliche Beihilfe darstelle; der fragliche Absatz habe auch nicht eine „rein“ bestätigende Funktion, da er auf einer erneuten Sachverhaltsprüfung beruht habe, einschließlich der neuen Sachverhaltselemente hinsichtlich der geänderten Bedingungen.

55.      Der Streit ist hier größtenteils formaler Natur. Unstreitig wollte das Gericht nicht die in der streitigen Entscheidung enthaltene Wertung für nichtig erklären, wonach die anderen Maßnahmen als die Änderung der Rückzahlungsbedingungen eine staatliche Beihilfe darstellen, und es wird auch nicht vorgetragen, dass das Gericht dies hätte tun sollen. Fraglich ist, welche Auswirkungen die Nichtigerklärung des gesamten Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung hat und ob das Gericht, nachdem es zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Einstufung der Änderung der Rückzahlungsbedingungen als staatliche Beihilfe fehlerbehaftet sei, anders hätte vorgehen können.

56.      Zu den Auswirkungen der Nichtigerklärung weist die Kommission zu Recht darauf hin, dass eine Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung, mit der lediglich eine frühere Entscheidung bestätigt wird, die ihrerseits nicht innerhalb der dafür geltenden Klagefrist angefochten wurde, unzulässig ist(14). Dieser Grundsatz, der die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage betrifft, trägt jedoch schlichtweg dem Umstand Rechnung, dass die frühere Entscheidung nicht mehr für nichtig erklärt werden kann, so dass eine Nichtigerklärung der bestätigenden Entscheidung die Rechtslage unberührt ließe. Soweit daher mit Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung frühere Entscheidungen bestätigt werden, in denen Maßnahmen als staatliche Beihilfe qualifiziert wurden, konnte sich seine Nichtigerklärung nicht auf diese früheren Feststellungen auswirken. Dieses Ergebnis gilt jedenfalls für die Feststellung, dass die Kapitalzuführung und die Stützungsfazilität für illiquide Vermögenswerte eine staatliche Beihilfe darstellten(15). Die Lage hinsichtlich der Garantien wird in der streitigen Entscheidung weniger deutlich beschrieben, jedoch sehe ich keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer früheren Entscheidung, mit der festgestellt worden wäre, dass die bereits gewährten Garantien eine staatliche Beihilfe darstellten(16).

57.      Somit hat es den Anschein, dass die Nichtigerklärung des gesamten Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung a) die zuvor erfolgte Einstufung der Kapitalzuführung und der Stützungsfazilität für illiquide Vermögenswerte unberührt lässt, jedoch b) beinhaltet, dass die in der streitigen Entscheidung selbst erfolgte Einstufung, wonach nicht nur die Änderung der Rückzahlungsbedingungen, sondern auch die Kreditgarantieregelung eine staatliche Beihilfe darstellen, nichtig ist. Die Qualifizierung der letztgenannten Beihilfe wurde im ersten Rechtszug jedoch nicht gerügt.

58.      Als Beispiel für eine alternative Vorgehensweise des Gerichts führt die Kommission eine Rechtssache an, in der das Gericht in der Tat einen vergleichbaren Artikelabsatz in einer Entscheidung über staatliche Beihilfe insoweit teilweise für nichtig erklärt hat, als der Artikelabsatz bestimmte Beträge betraf, die von ihm zwar umfasst, darin aber nicht getrennt ausgewiesen waren(17). Der Gerichtshof ist in vergleichbaren Fällen ganz ähnlich vorgegangen und hat z. B. eine Entscheidung über die Rückforderung von Beihilfebeträgen, die vier Unternehmen gewährt worden waren, für nichtig erklärt, soweit darin Zinsen einbezogen waren, die nach der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen zweier Unternehmen angefallen waren, die in dem einschlägigen Absatz im verfügenden Teil der Rückforderungsentscheidung nicht ausdrücklich genannt waren(18). Ich sehe keinen Grund, weshalb das Gericht im angefochtenen Urteil nicht ebenso hätte verfahren sollen.

59.      Ich bin daher der Ansicht, dass der dritte Rechtsmittelgrund durchgreift, soweit durch die Nichtigerklärung des gesamten Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung das Gericht die in dieser Entscheidung getroffene Feststellung für nichtig erklärt hat, dass die Garantien, die ING im Rahmen der nationalen Kreditgarantieregelung erhalten hat, eine staatliche Beihilfe darstellen.

 Vierter Rechtsmittelgrund (zwangsläufige Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 2 der streitigen Entscheidung)

60.      In den Randnrn. 154 bis 160 seines Urteils stellt das Gericht fest, dass die zusätzliche Beihilfe in Form der Änderung der Rückzahlungsbedingungen integraler Bestandteil der von der Kommission geprüften Umstrukturierungsbeihilfe sei. Diese zusätzliche Beihilfe lasse sich nicht vom verfügenden Teil der streitigen Entscheidung und der zugrunde liegenden Bewertung „der Bestimmung des für die Vereinbarkeitserklärung der Beihilfe erforderlichen Maßes an Verpflichtungszusagen“ trennen. Die Rechtswidrigkeit der Feststellung einer zusätzlichen Beihilfe von etwa 2 Mrd. Euro führe daher zwangsläufig auch zur Rechtswidrigkeit von Art. 2 Abs. 2 der streitigen Entscheidung, in dem es heiße, dass die Beihilfe „[v]orbehaltlich der in Anhang II aufgeführten Verpflichtungszusagen“ mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei, sowie zur Rechtswidrigkeit des Anhangs II selbst, da die Vereinbarkeit der Umstrukturierungsbeihilfe von einer Bewertung und von Verpflichtungszusagen abhänge, deren Inhalt sich am Maßstab des Beihilfebetrags beurteile, der die zusätzliche Beihilfe umfasse.

61.      Die Kommission macht im Wesentlichen geltend, dass dieser Ansatz des Gerichts fehlerhaft sei, da ING und der niederländische Staat die Verpflichtungszusagen angeboten hätten und sie, die Kommission, auch dann nicht befugt gewesen sei, diese zurückzuweisen, wenn die Zusagen über das zur Begrenzung von Wettbewerbsverzerrungen Erforderliche hinausgingen. Selbst wenn sie also den Gesamtbetrag der Beihilfe zu hoch angesetzt haben sollte, habe dies keine Auswirkungen auf die angebotenen und angenommenen Ausgleichsmaßnahmen gehabt und rechtfertige deshalb auch nicht die Nichtigerklärung derjenigen Teile der streitigen Entscheidung, in denen die Verpflichtungszusagen aufgeführt seien, die die Vereinbarkeitserklärung der Beihilfe ermöglicht habe. Darüber hinaus trägt die Kommission vor, dass es sich bei der streitigen Entscheidung nicht um eine Entscheidung über den Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens im Sinne von Art. 7 der Verordnung Nr. 659/1999(19) gehandelt habe und sie deshalb auch nicht befugt gewesen sei, ihre Entscheidung gemäß Abs. 4 dieser Bestimmung mit Bedingungen und Auflagen zu verbinden.

62.      Die anderen Parteien verweisen auf die Randnrn. 14 bis 36 des angefochtenen Urteils, aus denen hervorgehe, dass die Kommission tatsächlich auf die Verpflichtungszusagen bestanden habe, die erforderlich seien, um die Beihilfe für vereinbar erklären zu können. Das Gericht habe festgestellt, dass der Beihilfebetrag zu hoch angesetzt worden sei; wäre diese Bewertung fehlerfrei durchgeführt worden, hätte die Kommission nicht auf so belastende Verpflichtungszusagen dringen müssen, wie dies geschehen sei.

63.      Meines Erachtens muss zunächst von dem Sachverhalt ausgegangen werden, den das Gericht bezüglich der Entstehung der in Anhang II der streitigen Entscheidung aufgeführten Verpflichtungszusagen festgestellt hat. Insoweit halte ich das Vorbringen der Kommission, bei der streitigen Entscheidung habe es sich nicht um eine Entscheidung über den Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens gehandelt, für unerheblich. Entscheidend ist, ob – nach den Feststellungen des Gerichts – die Kommission die in Anhang II der streitigen Entscheidung aufgezählten Verpflichtungszusagen tatsächlich vorgegeben hat; sollte dies der Fall sein, kann sie sich nicht einfach auf den Standpunkt zurückziehen, sie sei zur Annahme weniger weit gehender Verpflichtungszusagen nicht befugt gewesen.

64.      Die Schilderung des Verwaltungsverfahrens in den Randnrn. 9 bis 37 des angefochtenen Urteils enthält eindeutige Feststellungen, dass die Kommission wiederholt die von ihr für notwendig erachteten Maßnahmen aufgezeigt und erklärt habe, dass der Umstrukturierungsplan ohne diese Maßnahmen nicht genehmigt würde. Das Gericht verwendet Formulierungen wie „Forderungen der Kommission“ (Randnr. 20), „wie sie die Kommission verlangt hatte“ (Randnr. 29) und „um den Erwartungen der Kommission zu entsprechen“ (Randnr. 31). Dagegen finden sich keine Hinweise auf ein entsprechendes Verhalten der Kommission nach der Mitteilung der Änderung der Rückzahlungsbedingungen am 22. Oktober 2009, und der Gerichtshof besitzt nicht die Befugnis, Feststellungen darüber zu treffen, ob zwischen diesem Zeitpunkt und dem Abschluss des den Entscheidungsentwurf betreffenden Schriftwechsels am 6. November 2009 irgendwelche der in Anhang II aufgeführten Verpflichtungszusagen auf Veranlassung der Kommission oder einer anderen Partei geändert wurden.

65.      Das Gericht stützt sein Ergebnis, das die Kommission mit dem vierten Rechtsmittelgrund rügt, jedoch nicht auf die Annahme, dass aufgrund der Änderung der Rückzahlungsbedingungen bestimmte Verpflichtungszusagen erforderlich gewesen seien. Es ist vielmehr der Auffassung, dass der Umfang der Verpflichtungszusagen, die die Kommission in ihrer Summe zu akzeptieren bereit war, in einem unmittelbar proportionalen Verhältnis zur Summe der Beihilfebeträge – einschließlich also der aus der Änderung der Rückzahlungsbedingungen resultierenden Beihilfe – stehe, deren Bewertung das Gericht zuvor als fehlerbehaftet festgestellt hat. Dies ist der Kontext, in dem der Einwand der Kommission zu sehen ist, dass sie zur Festlegung des Umfangs der Verpflichtungszusagen nicht befugt gewesen sei und dass die Begründung des Gerichts fehlerhaft sei.

66.      Meines Erachtens ist die betreffende Begründung in der Tat unzureichend, allerdings nicht aus dem von der Kommission geltend gemachten Grund. Die Tatsachenfeststellungen in den Randnrn. 9 ff. des angefochtenen Urteils lassen lediglich den Schluss zu, dass der Umfang der Verpflichtungszusagen, die zu akzeptieren die Kommission bereit war, vor dem 20. Oktober 2009 festgelegt wurde. Folglich hatte die nach diesem Zeitpunkt erfolgte Mitteilung der Änderung der Rückzahlungsbedingungen keine Auswirkungen auf diese Zusagen. Es bestand daher für das Gericht kein Anlass zur Nichtigerklärung derjenigen Teile der streitigen Entscheidung, in denen die Vereinbarkeit vorbehaltlich der Zusagen festgestellt wird. Hätte sich die Kommission aus diesem Grund gegen den betreffenden Teil des angefochtenen Urteils gewandt, wäre ich bereit gewesen, diesen Einwand gelten zu lassen.

67.      Der von der Kommission geltend gemachte Rechtsmittelgrund steht oder fällt jedoch mit dem Vorbringen, dass es nicht in ihrer Macht gestanden habe, die von dem Mitgliedstaat und der Bank freiwillig abgegebenen Verpflichtungszusagen zu beeinflussen – ein Vorbringen, das durch die Tatsachenfeststellungen des Gerichts widerlegt wird. Da die Kommission keine Verfälschung der Tatsachen rügt, ist der vierte Rechtsmittelgrund meines Erachtens zurückzuweisen.

 Fünfter Rechtsmittelgrund (ultra petita erfolgte Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 2 der streitigen Entscheidung)

68.      In den Randnrn. 64 und 66 seines Urteils gibt das Gericht die Klageanträge wieder. Das Königreich der Niederlande beantragte, „Art. 2 Abs. 1 der [streitigen] Entscheidung für nichtig zu erklären, der u. a. auf die im 98. Erwägungsgrund dieser Entscheidung dargelegte Feststellung gestützt ist, dass die Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung des von den Niederlanden zugeführten Kapitals eine zusätzliche Beihilfe für ING darstelle, die sich auf etwa 2 Mrd. Euro belaufe“; ING stellte drei Klageanträge, von denen das Gericht nur den ersten geprüft hat, nämlich den Antrag auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung, „soweit die Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung des zugeführten Kapitals als zusätzliche Beihilfe in Höhe von 2 Mrd. Euro angesehen wird“.

69.      Im Tenor des Urteils werden Art. 2 Abs. 1 und 2 sowie der Anhang II der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt.

70.      Die Kommission rügt, durch die Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 2 und Anhang II der streitigen Entscheidung habe das Gericht seine Zuständigkeit überschritten, den Grundsatz verletzt, wonach der Streitgegenstand des Verfahrens von den Parteien festgelegt werde, ultra petita entschieden sowie einen Verfahrensfehler begangen, der die Interessen der Kommission beeinträchtige. Die beantragte Nichtigerklärung, mit der sich das Gericht befasst habe, habe sich auf Art. 2 Abs. 1 beschränkt, und weder die Formulierung der Klageanträge (insbesondere die Wendung „u. a.“) noch die Antworten der Parteien auf die vom Gericht vor der mündlichen Verhandlung gestellten schriftlichen Fragen könnten den Streitgegenstand auf andere Teile der streitigen Entscheidung erweitern.

71.      Die niederländische Regierung meint, dass nach der Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung (Feststellung, dass die Umstrukturierungsbeihilfe eine staatliche Beihilfe darstelle) die Feststellung in Abs. 2 (dass die Beihilfe „[v]orbehaltlich der in Anhang II aufgeführten Verpflichtungszusagen“ mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei) ebenso wie diese Verpflichtungszusagen gegenstandslos geworden sei; das Gericht habe daher mit der auf den Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1 hin erfolgte Nichtigerklärung jener Teile der streitigen Entscheidung nicht ultra petita entschieden. Nach Ansicht von ING ist der Rechtsmittelgrund unzulässig, da die Kommission im ersten Rechtszug nicht die mangelnde Eindeutigkeit und Präzision der Klageanträge gerügt habe. Beide Rechtsmittelgegner tragen vor, dass ING mit ihrem zweiten Klageantrag (auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung, „soweit die Kommission die Genehmigung dieser Beihilfe, wie in der Entscheidung und ihrem Anhang II ausgeführt, davon abhängig gemacht hat, dass die Verbote der Vorgabe des geringsten Preises akzeptiert werden“) die Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 2 beantragt habe.

72.      Ich kann mich dem die Zulässigkeit dieses Rechtsmittelgrundes betreffenden Einwand von ING nicht anschließen. Es liegt auf der Hand, dass sich die Frage des Vorliegens einer Entscheidung ultra petita erst stellen kann, nachdem das Gericht sein Urteil erlassen hat.

73.      In der Sache stimme ich der niederländischen Regierung zu. Die Nichtigerklärung der Feststellung, dass die Umstrukturierungsbeihilfe eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG – und deshalb naturgemäß mit dem Gemeinsamen Markt grundsätzlich nicht vereinbar – sei, hat zur Folge, dass es sich nicht mehr um eine staatliche Beihilfe handelt und deshalb auch keine Unvereinbarkeit mehr gegeben ist. Dann kann die Feststellung, dass die Beihilfe vorbehaltlich bestimmter Verpflichtungszusagen mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei, keinen Bestand haben, denn andernfalls wären Verpflichtungszusagen im Hinblick auf eine Beihilfe verlangt worden, die auch ohne diese Zusagen vereinbar ist. Die Nichtigerklärung des Art. 2 Abs. 2 und des Anhangs II der streitigen Entscheidung war daher zwangsläufige Nebenfolge der Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1, die die Parteien im Rahmen der vom Gericht geprüften Klage beantragt hatten.

74.      Deshalb würde ich den fünften Rechtsmittelgrund zurückweisen.

 Hilfsweise geltend gemachter sechster Rechtsmittelgrund (unterlassene Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 3 der streitigen Entscheidung)

75.      Im Tenor seines Urteils hat das Gericht Art. 2 Abs. 1 und 2 der streitigen Entscheidung (d. h. die Feststellung, dass es sich bei der Umstrukturierungsbeihilfe um eine staatliche Beihilfe handele, bzw. die Feststellung, dass die Beihilfe vorbehaltlich der in Anhang II aufgeführten Verpflichtungszusagen mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei) für nichtig erklärt und damit Abs. 3 bestehen lassen, durch den die gegen ING gerichtete vorübergehende Beschränkung des Bilanzwachstums aufgehoben wurde.

76.      Für den Fall, dass ihre vorstehend genannten Rechtsmittelgründe nicht durchgreifen, macht die Kommission hilfsweise geltend, dass dem Gericht dadurch ein Rechtsfehler unterlaufen sei, dass es nach der Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1 und 2 der streitigen Entscheidung nicht auch Abs. 3 für nichtig erklärt habe.

77.      In der ursprünglichen Entscheidung werde auf die Verpflichtungszusage hingewiesen, dass ING das Wachstum ihrer Bilanzsumme beschränken werde, um die durch die Kapitalzuführung verursachte Wettbewerbsverzerrung zu begrenzen. Die Kommission habe entschieden, die Kapitalzuführung angesichts dieser Verpflichtungszusage vorläufig zu genehmigen. Durch Art. 2 Abs. 3 der streitigen Entscheidung sei die vorübergehende Beschränkung des Bilanzwachstums, die durch die ursprüngliche Entscheidung auferlegt worden sei, aufgehoben worden. Die Entscheidung zur Aufhebung dieser Beschränkungen und die Vereinbarkeitserklärung seien auf der Grundlage derselben Würdigungen und Verpflichtungszusagen ergangen und bildeten ein unteilbares Ganzes; die Begründung könne daher nicht aufgespalten werden. Sollte das Gericht diese Würdigung und Verpflichtungszusagen zu Recht für nichtig erklärt haben, hätte ING nicht von den Bilanzbeschränkungen befreit werden dürfen, denen sie vor Erlass der streitigen Entscheidung unterlegen habe. Dadurch, dass das Gericht nicht auch Abs. 3 für nichtig erklärt habe, sei die streitige Entscheidung inhaltlich geändert worden. Im Zuge seiner Nichtigerklärung habe das Gericht ING weder besser stellen dürfen, als diese vor der streitigen Entscheidung gestanden habe, noch habe das Gericht seine Beurteilung an die Stelle der von der Kommission in der ursprünglichen Entscheidung vorgenommenen Beurteilung setzen dürfen, in deren Rahmen sie die Kapitalzuführung vorläufig genehmigt habe.

78.      Der niederländischen Regierung erscheint fraglich, dass das Gericht Art. 2 Abs. 3 hätte für nichtig erklären können, da eine solche Nichtigerklärung nicht beantragt worden sei. Nach der Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1 und 2 sei Abs. 3 keineswegs gegenstandslos geworden. Zur Beantwortung der Frage, ob diese Nichtigerklärung auch zur Nichtigerklärung von Abs. 3 führen müsse, bedürfe es einer inhaltlichen Bewertung, die das Gericht nur auf entsprechenden Antrag hätte vornehmen können und die der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren nicht durchführen dürfe. Außerdem sei der Rechtsmittelgrund gegenstandslos geworden. Die Kommission habe am 11. Mai 2012 eine neue Entscheidung erlassen, in der sie wiederum feststelle, dass die Änderung der Rückzahlungsbedingungen eine staatliche Beihilfe darstelle (ohne diese jedoch zu beziffern), und mit der sie die Beihilfe bei Geltung derselben Bedingungen genehmige. Ähnlich argumentiert auch ING: Der Rechtsmittelgrund sei offensichtlich unzulässig, da die Kommission im ersten Rechtszug keinen entsprechenden Antrag gestellt habe; zudem sei er infolge der Entscheidung vom 11. Mai 2012 gegenstandslos.

79.      Meines Erachtens führte die Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung (und damit die zwangsläufig einhergehende Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 2) zu einem (wie die niederländische Regierung im Rahmen des dritten Rechtsmittelgrundes vorgetragen hat) Wiederaufleben der ursprünglichen Entscheidung, in der die Kapitalzuführung als staatliche Beihilfe gewertet wurde. Im angefochtenen Urteil heißt es, die Kommission habe in dieser Entscheidung erklärt, dass bei Vorlage eines Umstrukturierungsplans innerhalb von sechs Monaten die Geltungsdauer der ursprünglichen Entscheidung automatisch bis zur Entscheidung der Kommission über diesen Plan verlängert werde(20). Diese Geltungsdauer wurde also bis zum Erlass der streitigen Entscheidung verlängert. Die Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1 und 2 der streitigen Entscheidung bedeutet also, dass es keine Entscheidung über den Umstrukturierungsplan mehr gab. Daraus ergibt sich logischerweise, dass die verlängerte Geltungsdauer der ursprünglichen Entscheidung, die eine Wachstumsbeschränkung der ING-Bilanzsumme beinhaltete, erneut bis zu einer neuen endgültigen Entscheidung hätte bestehen bleiben müssen.

80.      Das Gericht hat Art. 2 Abs. 3 der streitigen Entscheidung jedoch bestehen lassen und somit – vermutlich unabsichtlich, da das angefochtene Urteil hierzu keine Ausführungen enthält – die ursprüngliche Entscheidung inhaltlich geändert.

81.      Es überrascht nicht, dass das Vorbringen der Parteien hierzu im Widerspruch zu ihrem Vorbringen zum fünften Rechtsmittelgrund steht. Dort vertritt die Kommission die Auffassung, dass das Gericht nicht berechtigt gewesen sei, einen Teil der Entscheidung für nichtig zu erklären, dessen Nichtigerklärung von den Klägern nicht ausdrücklich beantragt worden sei, während die anderen Parteien dort geltend machen, dass sich die Nichtigerklärung naturgemäß aus der Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung ergebe. Da die Kommission den sechsten Rechtsmittelgrund nur hilfsweise geltend macht, ist ihre Argumentation insoweit nicht widersprüchlich; Gleiches lässt sich von dem Vorbringen der anderen Parteien wohl nicht sagen.

82.      Ich selbst meine, dass im Einklang mit meiner Würdigung des fünften Rechtsmittelgrundes das Gericht nicht nur bloß berechtigt, sondern sogar verpflichtet war, sowohl Art. 2 Abs. 2 als auch Art. 2 Abs. 3 für nichtig zu erklären, um eine Änderung der ursprünglichen Entscheidung zu vermeiden, deren Geltungsdauer aufgrund der Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1 wiederhergestellt und verlängert wurde.

83.      Ich bin außerdem der Meinung, dass der von ING vorgetragene Unzulässigkeitseinwand unhaltbar ist. Von der Kommission konnte nicht erwartet werden, den jetzigen Antrag bereits im ersten Rechtszug zu stellen, da ihr Ziel einzig und allein in der Aufrechterhaltung der streitigen Entscheidung bestand.

84.      Meines Erachtens greift daher der sechste Rechtsmittelgrund durch.

 Folgen der Würdigung

85.      Ich bin zu der Auffassung gelangt, dass der dritte Rechtsmittelgrund teilweise und der sechste Rechtsmittelgrund zur Gänze durchgreift. Infolgedessen ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit darin im Rahmen der Nichtigerklärung des gesamten Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung die Feststellung, dass es sich bei den ING aus der nationalen Kreditgarantieregelung gewährten Garantien um staatliche Beihilfe handele, nicht von der Nichtigerklärung ausgenommen wird und soweit Art. 2 Abs. 3 nicht für nichtig erklärt wird.

86.      Meiner Ansicht nach genügt ein solches Urteil zur Erledigung des Rechtsmittels, ohne dass es einer Zurückverweisung der Sache an das Gericht zur weiteren Entscheidung bedarf. Zudem dürften sich aufgrund der späteren Entscheidung der Kommission vom 11. Mai 2012 die praktischen Folgen des Urteils ohnehin in Grenzen halten.

87.      Gemäß Art. 138, 140 und 184 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs sind meines Erachtens jeder Partei ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

 Ergebnis

88.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit darin im Rahmen der Nichtigerklärung des gesamten Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung die Feststellung, dass es sich bei den ING aus der nationalen Kreditgarantieregelung gewährten Garantien um staatliche Beihilfe handele, nicht von der Nichtigerklärung ausgenommen wird und soweit Art. 2 Abs. 3 nicht für nichtig erklärt wird;

–        jeder Partei ihre eigenen Kosten im Rechtsmittelverfahren aufzuerlegen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Urteil vom 2. März 2012, Niederlande und ING Groep/Kommission (T‑29/10 und T‑33/10, im Folgenden: angefochtenes Urteil).


3 – Entscheidung 2010/608/EG der Kommission vom 18. November 2009 über die staatliche Beihilfe C 10/09 (ex N 138/09) der Niederlande – Stützungsfazilität für illiquide Vermögenswerte zugunsten von ING und Umstrukturierungsplan (ABl. L 274, S. 139; im Folgenden: streitige Entscheidung).


4 – Vgl. z. B. Urteile vom 2. September 2010, Kommission/Scott (C‑290/07 P, Slg. 2010, I‑7763, Randnr. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 5. Juni 2012, Kommission/EDF (C‑124/10 P, Randnr. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Kriterium des privaten Kapitalgebers wird auch als Grundsatz des privaten Kapitalgebers bzw. als Grundsatz (oder Kriterium) des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers bezeichnet.


5 – Vgl. ABl. 2009, C 158, S. 13.


6 – Mitteilung der Kommission über die Behandlung wertgeminderter Aktiva im Bankensektor der Gemeinschaft (ABl. 2009, C 72, S. 1).


7 – Vgl. näher hierzu Randnrn. 1 bis 49 des angefochtenen Urteils.


8 – C(2012) 3150 endg. – Staatliche Beihilfe SA.28855 (N 373/2009) (ex C 10/2009 und ex N 528/2009) – Niederlande – ING – Umstrukturierungsbeihilfe. Vgl. insbesondere die Erwägungsgründe 114 bis 156.


9 – Beschluss des Präsidenten der Ersten Kammer des Gerichts vom 6. Dezember 2012, Niederlande und ING Groep/Kommission (T‑325/12 und T‑332/12).


10 – Siehe oben (Nrn. 25 und 26).


11 – Urteil EDF (Randnr. 79).


12 – Unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität könnte auch eingewandt werden, dass eine systematische Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers die Ressourcen der Kommission zu stark in Anspruch nehmen würde, weil dann eine komplexe wirtschaftliche Beurteilung erforderlich wird. Meines Erachtens kann ein solcher Einwand jedoch nicht rechtserheblich sein.


13 – Randnrn. 141 und 142 des angefochtenen Urteils.


14 – Vgl. z. B. Urteil vom 29. November 2012, Vereinigtes Königreich/Kommission (C‑416/11 P, Randnr. 32).


15 – Vgl. Erwägungsgründe 97 und 99 der streitigen Entscheidung.


16 – Die streitige Entscheidung befasst sich auch mit zukünftigen Garantien, von denen es aber heißt, dass sie in einem gesonderten Beschluss gewürdigt würden (vgl. 47. Erwägungsgrund).


17 – Urteil des Gerichts vom 13. September 2010, Griechenland u. a./Kommission (T‑415/05, T‑416/05 und T‑423/05, Slg. 2010, II‑4749).


18 – Urteil vom 12. Oktober 2000, Spanien/Kommission (C‑480/98, Slg. 2000, I‑8717).


19 – Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (ABl. L 83, S. 1).


20 – Randnr. 10 des angefochtenen Urteils; Erwägungsgründe 71 bis 74 der ursprünglichen Entscheidung.