Language of document : ECLI:EU:T:2022:513

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

7. September 2022(*)

„Öffentlicher Dienst – Einstellung – Bekanntmachung des allgemeinen Auswahlverfahrens EPSO/AD/378/20 (AD 7) – Rechts- und Sprachsachverständige für die kroatische Sprache beim Gerichtshof der Europäischen Union – Entscheidung des Prüfungsausschusses, den Kläger nicht zur nächsten Phase des Auswahlverfahrens zuzulassen – Zulassungsbedingungen – Kriterium im Hinblick auf ein Bildungsniveau, das einem mit Diplom abgeschlossenen Hochschulstudium der kroatischen Rechtswissenschaften entspricht – Besitz eines französischen Diploms der Rechtswissenschaften – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Aufhebungsklage“

In der Rechtssache T‑713/20,

OQ, vertreten durch Rechtsanwältin R. Štaba,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch D. Milanowska, R. Mrljić und L. Vernier als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni sowie der Richter L. Madise (Berichterstatter) und J. Martín y Pérez de Nanclares,

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien binnen der Frist von drei Wochen nach der Mitteilung, dass das schriftliche Verfahren abgeschlossen ist, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des daher gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit seiner Klage nach Art. 270 AEUV begehrt der Kläger, OQ, die Aufhebung der Entscheidung des Prüfungsausschusses vom 3. September 2020, ihn nicht zur nächsten Phase des allgemeinen Auswahlverfahrens EPSO/AD/378/20 zur Erstellung einer Reserveliste von Rechts- und Sprachsachverständigen für die kroatische Sprache beim Gerichtshof der Europäischen Union zuzulassen. Der Kläger beantragt auch die Aufhebung der Entscheidung des Prüfungsausschusses vom 12. Oktober 2020, mit der sein Antrag auf Überprüfung dieser Entscheidung zurückgewiesen wurde.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Der Kläger, ein kroatischer Staatsangehöriger, absolvierte sein Studium der Rechtswissenschaften in Italien und Frankreich. Im Jahr 2012 erwarb er in Frankreich einen „Master en droit, économie, gestion à finalité professionnelle, mention droit privé, spécialité juriste-linguiste“ (anwendungsorientierter Master Recht, Wirtschaft und Verwaltung, Schwerpunkt: Privatrecht, Spezialisierung: Jurist im Sprachendienst) an der Universität von Poitiers, der in Kroatien im Rahmen einer „beruflichen Anerkennung“ zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit anerkannt wurde. Der Kläger war von Ende 2013 bis Anfang 2017 etwas mehr als drei Jahre lang als Übersetzer beim Europäischen Parlament im kroatischen Sprachreferat tätig. Ab Herbst 2018 war er als Rechtsanwaltsanwärter in Kroatien tätig; diese Tätigkeit übte er auch noch aus, als er sich im April 2020 für das oben in Rn. 1 genannte allgemeine Auswahlverfahren bewarb. In seinem Bewerbungsbogen für dieses Auswahlverfahren führte er diese unterschiedliche Berufserfahrung an.

3        In der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens, an dem der Kläger teilnahm (ABl. 2020, C 72 A, S. 1, im Folgenden: Bekanntmachung des Auswahlverfahrens), wurde u. a. im Hinblick auf die besonderen Zulassungsbedingungen darauf hingewiesen, dass keine Berufserfahrung erforderlich ist und dass im Hinblick auf die „gesuchten Qualifikationen“, die sich sowohl auf Sprachkenntnisse als auch auf den Besitz von Bildungsabschlüssen bezogen, hinsichtlich der Abschlüsse „ein Bildungsniveau (siehe nachfolgende Abschlüsse) [vorausgesetzt wird], das einem abgeschlossenen Hochschulstudium der kroatischen Rechtswissenschaften entspricht: Diploma iz hrvatskog prava stečena na sveučilišnom studiju (magistar/magistra prava ili diplomirani pravnik/diplomirana pravnica)“. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Prüfungsausschuss, um festzustellen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, die zum Zeitpunkt des Erwerbs des Abschlusses geltenden Vorschriften zugrunde legt.

4        In seiner Entscheidung vom 3. September 2020 teilte der Prüfungsausschuss dem Kläger mit:

„In Anbetracht der Angaben in Ihrem Bewerbungsbogen erfüllen Sie die Zulassungsbedingungen hinsichtlich der Bildungsabschlüsse nicht: Sie verfügen nicht über ein Bildungsniveau, das einem mit einem der geforderten Diplome abgeschlossenen Hochschulstudium der kroatischen Rechtswissenschaften entspricht.“

5        In seinem Antrag auf Überprüfung machte der Kläger geltend, sein französisches Masterdiplom sei in Kroatien durch einen von ihm beigefügten Bescheid der zuständigen Behörde als einem kroatischen Master 2 gleichwertig anerkannt worden. Die Tragweite eines solchen Bescheids in der kroatischen Rechtsordnung sei in Entscheidungen des Ustavni sud (Verfassungsgericht, Kroatien) und des Vrhovni sud (Oberster Gerichtshof, Kroatien) präzisiert worden, die der Kläger ebenfalls beigefügt habe. Unter Verweis auf das Urteil vom 13. Oktober 2017, Brouillard/Kommission (T‑572/16, nicht veröffentlicht, im Folgenden: Urteil Brouillard III, EU:T:2017:720), machte der Kläger geltend, der Prüfungsausschuss sei verpflichtet, die Rechtswirkungen des genannten Bescheids zu berücksichtigen, nämlich dass sein französisches Masterdiplom nach kroatischem Recht dieselben Wirkungen wie ein in Kroatien erworbener Master 2 habe.

6        In seiner Entscheidung vom 12. Oktober 2020 wies der Prüfungsausschuss den Antrag auf Überprüfung mit der Begründung zurück, dass er an die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens gebunden sei, in der die für die zu besetzenden Stellen erforderlichen Kompetenzen festgelegt seien, und dass alle Bewerbungen anhand dieser Bekanntmachung in gleicher Weise geprüft worden seien. Die Rechts- und Sprachsachverständigen des Gerichtshofs der Europäischen Union müssten in der Lage sein, oftmals komplexe Rechtstexte oder Gesetzestexte aus mindestens zwei Sprachen in die „Sprache des Auswahlverfahrens“ zu übersetzen, was im vorliegenden Fall gründliche Kenntnisse des kroatischen Rechtssystems und der kroatischen Rechtsterminologie erfordere, was wiederum nur durch den Besitz eines Hochschuldiploms der kroatischen Rechtswissenschaften hätte sichergestellt werden können. Der Prüfungsausschuss wies insoweit darauf hin, dass der Kläger nicht kroatische Rechtswissenschaften studiert habe. Durch die Anerkennung seines französischen Diploms zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in Kroatien würden auch keine Kenntnisse des kroatischen Rechtssystems und der kroatischen Rechtsterminologie bescheinigt.

 Anträge der Parteien

7        Der Kläger beantragt, die Entscheidungen des Prüfungsausschusses vom 3. September und 12. Oktober 2020 aufzuheben und der Europäischen Kommission die Kosten aufzuerlegen.

8        Die Kommission beantragt, die Klage abzuweisen und dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

9        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 des Beschlusses 2002/620/EG des Europäischen Parlaments, des Rates, der Kommission, des Gerichtshofs, des Rechnungshofs, des Wirtschafts- und Sozialausschusses, des Ausschusses der Regionen und des Europäischen Bürgerbeauftragten vom 25. Juli 2002 über die Errichtung des Amtes für Personalauswahl der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2002, L 197, S. 53) bestimmt:

„Anträge und Beschwerden im Zusammenhang mit der Ausübung der gemäß Artikel 2 Absätze 1 und 2 übertragenen Befugnisse sind gemäß Artikel 91a des Statuts an das Amt zu richten. Jede Klage aus diesem Bereich ist gegen die Kommission zu richten.“

10      Aus diesem Grund ist die Beklagte in der vorliegenden Rechtssache die Kommission, obwohl eine Entscheidung eines Prüfungsausschusses für ein vom Europäischen Amt für Personalauswahl (EPSO) für den Gerichtshof der Europäischen Union organisiertes Auswahlverfahren in Rede steht. In Beantwortung einer Frage des Gerichts hat der Kläger nämlich darauf hingewiesen, dass die Klage tatsächlich gegen die Kommission gerichtet sein sollte, auch wenn er in der Klageschrift zunächst das EPSO angeführt habe (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2013, Italien/Kommission, T‑248/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:534, Rn. 25 und 26 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

11      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass, wenn ein Bewerber in einem Auswahlverfahren gemäß einer in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens festgelegten Regel die Überprüfung einer Entscheidung des Prüfungsausschusses beantragt, was vorliegend der Fall ist, die nach der Überprüfung der Situation des Bewerbers getroffene Entscheidung an die Stelle der ursprünglichen Entscheidung des Prüfungsausschusses tritt und folglich die beschwerende Maßnahme darstellt (Urteile vom 16. Dezember 1987, Beiten/Kommission, 206/85, EU:C:1987:559, Rn. 8, vom 11. Februar 1992, Panagiotopoulou/Parlament, T‑16/90, EU:T:1992:11, Rn. 20, und vom 5. September 2018, Villeneuve/Kommission, T‑671/16, EU:T:2018:519, Rn. 24).

12      Folglich ist in der vorliegenden Rechtssache davon auszugehen, dass der Aufhebungsantrag nur gegen die beschwerende Entscheidung gerichtet ist, d. h. die Entscheidung des Prüfungsausschusses vom 12. Oktober 2020 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), die auf den Antrag auf Überprüfung der Entscheidung vom 3. September 2020 ergangen ist und an deren Stelle tritt.

13      Der Kläger macht als Aufhebungsgrund geltend, dass der Prüfungsausschuss seine Befugnisse überschritten habe, weil er die Anerkennung seines französischen Diploms in Kroatien nicht berücksichtigt habe, und u. a. dadurch einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe, dass er die Berufserfahrung des Klägers nicht berücksichtigt habe.

14      Mit seinem ersten Klagegrund macht der Kläger geltend, der Prüfungsausschuss habe in die Zuständigkeiten der kroatischen Behörden eingegriffen, die sein französisches Diplom im Rahmen der beruflichen Anerkennung ausländischer Hochschuldiplome zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in Kroatien als einem kroatischen Diplom gleichwertig anerkannt hätten. In diesem Anerkennungsverfahren würden nur das Niveau der erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen berücksichtigt, ohne die Studienpläne zu vergleichen, und der Prüfungsausschuss habe sich daher zur Ablehnung der Bewerbung des Klägers nicht darauf stützen dürfen, dass in diesem Verfahren die Studienpläne für den Erwerb des französischen Diploms des Klägers und der in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens geforderten kroatischen Diplome nicht miteinander verglichen worden seien und dass die kroatischen Behörden die Kenntnisse des kroatischen Rechts des Klägers nicht überprüft hätten. Das französische Diplom des Klägers habe ihm ermöglicht, den Beruf des Rechtsanwalts in Kroatien aufzunehmen und nacheinander in zwei Kanzleien als bei der Rechtsanwaltskammer Zagreb (Kroatien) eingetragener Rechtsanwaltsanwärter tätig zu sein, obwohl es eine der grundlegenden Voraussetzungen für diese Berufslaufbahn sei, ein Hochschulstudium der Rechtswissenschaften an einer rechtswissenschaftlichen Fakultät in Kroatien abgeschlossen zu haben. Dies zeige, dass das rechtswissenschaftliche Diplom des Klägers einem in Kroatien erworbenen gleichwertigen rechtswissenschaftlichen Diplom nach kroatischem Recht vollständig gleichgestellt worden sei. Diese Umstände, einschließlich seiner Berufserfahrung, die er in seinem Bewerbungsformular angegeben habe, belegten, dass er sowohl in fachlicher als auch in formeller Hinsicht über ein Bildungsniveau verfüge, das demjenigen, das durch die in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens geforderten Diplome bescheinigt werde, in vollem Umfang gleichwertig sei. Daher führe die Entscheidung des Prüfungsausschusses zu einer Verletzung seiner Grundrechte als Unionsbürger, wie sie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert seien, insbesondere das Recht zu arbeiten, das Recht auf Gleichbehandlung und das Diskriminierungsverbot.

15      Mit seinem zweiten Klagegrund macht der Kläger geltend, der Prüfungsausschuss habe dadurch, dass er diese Gesichtspunkte nicht berücksichtigt habe, einen offensichtlichen Fehler bei der Beurteilung des Sachverhalts – insbesondere hinsichtlich seiner Kenntnisse des kroatischen Rechts – begangen. Durch diesen Fehler habe der Prüfungsausschuss seine Erfahrung sowohl hinsichtlich der praktischen Anwendung des kroatischen Rechts als auch hinsichtlich der Übersetzung außer Acht gelassen. Der Kläger weist außerdem darauf hin, dass er einige Monate nach Einreichung seiner Bewerbung die „Justizprüfung“ bestanden habe, für die sich Rechtsanwaltsanwärter anmelden könnten, nachdem sie 18 Monate in Kroatien tätig gewesen seien, und wodurch es ihnen gestattet werde, dort alle Tätigkeiten eines Rechtsanwalts auszuüben. Dadurch werde nachträglich belegt, dass er sehr wohl über die Kenntnisse des kroatischen Rechtssystems und der kroatischen Rechtsterminologie verfüge, die gemäß der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens erforderlich seien. Er beanstandet insoweit im Wesentlichen die Inkohärenz zwischen der Ablehnung seiner Bewerbung und der Zulassung von Bewerbungen von Personen, die nur theoretische Kenntnisse des kroatischen Rechts hätten.

16      In der Erwiderung antwortet der Kläger der Kommission, ohne sein Vorbringen mit einem bestimmten seiner Aufhebungsgründe in Verbindung zu bringen, da die Kommission selbst in der Klagebeantwortung diese Klagegründe gebündelt mit der Begründung beantwortet hatte, dass sie sich weitgehend überschnitten. Der Kläger macht geltend, der Prüfungsausschuss habe gegen Art. 5 Abs. 3 Buchst. c und Art. 27 des Statuts der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) verstoßen, die die Mindestanforderungen an die Ausbildung von Beamten und die Grundsätze für ihre Einstellungen beträfen. Ganz allgemein führt er aus, die Voraussetzungen für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren dürften nicht gegen die Unionsvorschriften verstoßen und der Prüfungsausschuss dürfe bei der Entscheidung, ob die Qualifikationen und die Berufserfahrung von Bewerbern dem in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens geforderten Niveau entsprächen, kein unbegrenztes Ermessen haben. Der Prüfungsausschuss müsse anhand folgender Rangfolge der Rechtsvorschriften vorgehen: die Gründungsverträge, das Statut und die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens. Der Prüfungsausschuss habe insoweit gegen Art. 45 AEUV über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union verstoßen, der für Einstellungen sowohl bei den Unionsorganen als auch bei den Mitgliedstaaten gelte. Deshalb hätte der Prüfungsausschuss die im Urteil vom 6. Oktober 2015, Brouillard (C‑298/14, im Folgenden: Urteil Brouillard I, EU:C:2015:652), aufgestellten Grundsätze anwenden müssen, d. h. alle seine Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise sowie seine einschlägige Berufserfahrung in der Weise berücksichtigen müssen, dass er die dadurch bescheinigten Qualifikationen mit den in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens vorgeschriebenen vergleiche.

17      Zur Begründetheit antwortet die Kommission ergänzend zu den Ausführungen des Prüfungsausschusses in seiner Entscheidung vom 3. September 2020 und in der angefochtenen Entscheidung, dass in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens angesichts der Anforderungen an die Tätigkeit von Rechts- und Sprachsachverständigen kroatischer Sprache beim Gerichtshof der Europäischen Union klar und genau angegeben worden sei, welche Bildungsabschlüsse erforderlich seien, um am Auswahlverfahren teilzunehmen: eine Hochschulausbildung, die Studieninhalte, nämlich kroatisches Recht, und Diplome, nämlich eines der angeführten kroatischen rechtwissenschaftlichen Diplome. In der Gegenerwiderung führt die Kommission aus, in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens werde nicht verlangt, dass das gesamte Studium in Kroatien absolviert worden sei. Der Kläger habe die zweite und die dritte der genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. Wie aber wiederholt entschieden worden sei, sei der Prüfungsausschuss eines Auswahlverfahrens verpflichtet, sich an den Wortlaut der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens zu halten. Die Anerkennung des französischen Masterdiploms des Klägers in Kroatien zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in Kroatien sei, selbst wenn damit dort der Beruf des Rechtsanwalts als Rechtsanwaltsanwärter aufgenommen werden dürfe, nicht als eines der kroatischen rechtswissenschaftlichen Diplome zu werten, die für die Teilnahme an dem Auswahlverfahren erforderlich seien, für das sich der Kläger zur Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit als Rechts- und Sprachsachverständiger beworben habe, und nicht zur Ausübung einer Tätigkeit in Kroatien. Der Prüfungsausschuss habe insoweit nicht in die Zuständigkeiten der kroatischen Behörden eingegriffen. Die Berufserfahrung des Klägers sei nicht relevant, da in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens darauf hingewiesen werde, dass keine Berufserfahrung erforderlich sei. Hätte der Prüfungsausschuss diese berücksichtigt, so hätte er gegen die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens verstoßen.

18      Im Übrigen macht die Kommission in der Gegenerwiderung geltend, dass die Berufung des Klägers auf Art. 5 Abs. 3 Buchst. c und Art. 27 des Statuts sowie Art. 45 AEUV im Stadium der Erwiderung unzulässig sei. Der Kläger habe unter Verstoß gegen Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts im Laufe des Verfahrens neue Klage- und Verteidigungsgründe vorgebracht.

19      Das Gericht wird im Folgenden die beiden in der Klageschrift als Aufhebungsgründe geltend gemachten Rügen zusammen prüfen. Wie die Kommission ausgeführt hat, überschneiden sie sich weitgehend. Die Überschriften „Überschreitung von Befugnissen“ und „Offensichtlicher Beurteilungsfehler“ umfassen in Wirklichkeit verschiedene Klagegründe und Argumente, die das Gericht erforderlichenfalls prüfen wird.

20      Wie die Kommission hervorhebt, ist der Prüfungsausschuss eines Auswahlverfahrens an den Wortlaut der Bekanntmachung dieses Auswahlverfahrens gebunden. Art. 5 Abs. 1 des Anhangs III („Auswahlverfahren“) des Statuts bestimmt, dass „[d]er Prüfungsausschuss … von den [Bewerbungsunterlagen] Kenntnis [nimmt] und … das Verzeichnis der Bewerber [aufstellt], die den Bedingungen der Stellenausschreibung entsprechen“. Diese Bestimmung dient u. a. zur Wahrung der entscheidenden Rolle, die die Ausschreibung des Auswahlverfahrens nach dem Statut zu spielen hat und die gerade darin besteht, die an einer Bewerbung Interessierten so genau wie möglich über die Art der für die fragliche Stelle notwendigen Voraussetzungen zu unterrichten, damit sie beurteilen können, ob sie sich bewerben sollen und welche Nachweise für die Arbeit des Prüfungsausschusses von Wichtigkeit und daher den Bewerbungsunterlagen beizufügen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Juni 1979, Anselme und Constant/Kommission, 255/78, EU:C:1979:175, Rn. 9, und vom 28. November 1991, Van Hecken/CES, T‑158/89, EU:T:1991:63, Rn. 23). Der Prüfungsausschuss kann somit weder Auswahlkriterien zu den in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens festgelegten hinzufügen, wie in den Rechtssachen, in denen die beiden vorstehend angeführten Urteile ergangen sind, entschieden wurde, noch Kriterien streichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2018, UR/Kommission, T‑761/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:968, Rn. 67).

21      Im vorliegenden Fall wurde, wie oben in Rn. 3 dargelegt, in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die Bildungsabschlüsse „ein Bildungsniveau (siehe nachfolgende Abschlüsse) [vorausgesetzt wird], das einem abgeschlossenen Hochschulstudium der kroatischen Rechtswissenschaften entspricht: Diploma iz hrvatskog prava stečena na sveučilišnom studiju (magistar/magistra prava ili diplomirani pravnik/diplomirana pravnica)“. Diese Bestimmung, die ausdrücklich auf kroatische rechtwissenschaftliche Diplome abstellt, konnte vom Prüfungsausschuss nicht dahin ausgelegt werden, dass es ihm gestattet ist, Äquivalente zum Besitz dieser Diplome zuzulassen, und er dadurch nicht gegen die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens verstößt. Zu dieser Feststellung kam im Übrigen auch der Prüfungsausschuss, als er in seiner Entscheidung vom 3. September 2020 ausführte:

„In Anbetracht der Angaben in Ihrem Bewerbungsbogen erfüllen Sie die Zulassungsbedingungen hinsichtlich der Bildungsabschlüsse nicht: Sie verfügen nicht über ein Bildungsniveau, das einem mit einem der geforderten Diplome abgeschlossenen Hochschulstudium der kroatischen Rechtswissenschaften entspricht.“

22      Der Kläger wirft dem Prüfungsausschuss also vor, sich an eine rechtswidrige Bekanntmachung des Auswahlverfahrens gehalten zu haben. Mit anderen Worten ist davon auszugehen, dass der Kläger insbesondere mit den oben in den Rn. 14 bis 16 dargelegten Klagegründen und Argumenten eine Einrede der Rechtswidrigkeit im Sinne von Art. 277 AEUV gegen die Bestimmung der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens über die erforderlichen Bildungsabschlüsse erhebt, und zwar insbesondere aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 45 AEUV.

23      Insoweit schreibt das Unionsrecht nicht vor, dass eine Einrede der Rechtswidrigkeit förmlich zu erheben ist. Eine Einrede der Rechtswidrigkeit kann nämlich implizit erhoben werden, sofern sich aus der Klageschrift relativ eindeutig ergibt, dass der Kläger eine solche Rüge erhoben hat (vgl. Urteil vom 27. November 2018, Mouvement pour une Europe des nations et des libertés/Parlament, T‑829/16, EU:T:2018:840, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Im Übrigen ist entgegen dem Vorbringen der Kommission in der Gegenerwiderung die Berufung des Klägers auf Art. 45 AEUV im Stadium der Erwiderung, insbesondere im Zusammenhang mit der hierzu erfolgten Auslegung im Urteil Brouillard I, im vorliegenden Verfahren nicht verspätet und daher nicht nach Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung unzulässig, gemäß dem das Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens unzulässig ist, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Wie oben aus Rn. 16 hervorgeht, stellt die Berufung auf Art. 45 AEUV in der Erwiderung nämlich nur eine Erweiterung der in der Klageschrift ausdrücklich geltend gemachten Klagegründe dar, da der Kläger in dieser im Wesentlichen die nicht erfolgte Berücksichtigung der Wertigkeit seines französischen Diploms in Kroatien und seiner – teilweise außerhalb von Kroatien erworbenen – Berufserfahrung gerügt hat; diese Umstände können im Rahmen der Beurteilung einer Bewerbung im Hinblick auf die sich aus dieser Bestimmung ergebenden Voraussetzungen, wie sie im Urteil Brouillard I ausgelegt wurden, unmittelbar maßgeblich sein (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 19. Mai 1983, Verros/Parlament, 306/81, EU:C:1983:143, Rn. 9 und 10, und vom 26. Februar 2016, Bodson u. a./EIB, T‑240/14 P, EU:T:2016:104, Rn. 30). Was insbesondere die Berufung auf das Urteil Brouillard I betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass es einem Kläger durch nichts untersagt ist, im Laufe des Verfahrens zusätzliche Präzedenzfälle der Rechtsprechung vorzutragen, sofern sie zur Stützung eines Klagegrundes dienen, der selbst zulässig ist.

25      Dagegen macht die Kommission zu Recht die Unzulässigkeit der in der Erwiderung vorgebrachten Klagegründe geltend, mit denen ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 Buchst. c und Art. 27 des Statuts geltend gemacht wird. Das Vorbringen in der Klageschrift steht nämlich nicht hinreichend direkt und offensichtlich in Zusammenhang mit einer Darlegung, die belegen könnte, dass gegen diese Bestimmungen verstoßen wurde, und im Laufe des Verfahrens ist kein neuer Umstand eingetreten, der das Vorbringen dieser neuen Klage- und Verteidigungsgründe im Stadium der Erwiderung rechtfertigen würde.

26      Nach dieser Klarstellung ist zunächst der Klagegrund zu prüfen, wonach die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens den Prüfungsausschuss dazu veranlasst habe, in die Kompetenzen der kroatischen Behörden einzugreifen, die das französische Diplom des Klägers im Rahmen einer beruflichen Anerkennung ausländischer Hochschuldiplome zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in Kroatien als einem kroatischen Diplom gleichwertig anerkannt hätten.

27      Dieser Klagegrund ist zurückzuweisen. Die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens hat den Prüfungsausschuss nicht dazu veranlasst, in Zweifel zu ziehen, dass das französische Diplom des Klägers gemäß einer Entscheidung der zuständigen kroatischen Behörde im Rahmen einer beruflichen Anerkennung ausländischer Hochschuldiplome zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in Kroatien als einem kroatischen Diplom gleichwertig anerkannt worden ist. Diese nationale Anerkennung zu diesem Zweck bedeutete jedoch nicht, dass dieses französische Diplom für die Zwecke eines Auswahlverfahrens zur Einstellung bei einem Unionsorgan automatisch als den kroatischen Diplomen gleichwertig anzuerkennen wäre, die in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens gefordert wurden. Die kroatischen Behörden sind nämlich nicht befugt, die Voraussetzungen für die Einstellung bei einem solchen Organ festzulegen. Daher kann im vorliegenden Fall die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens den Prüfungsausschuss nicht dazu veranlasst haben, in die Zuständigkeiten der kroatischen Behörden einzugreifen. Zunächst ist jedoch klarzustellen, dass diese Feststellung nicht bedeutet, dass eine solche nationale Anerkennung von einem Unionsorgan, das ein Auswahlverfahren zur Einstellung von Beamten durchführt, bei der Prüfung von Bewerbungen, in denen eine solche Anerkennung geltend gemacht wird, in keiner Weise zu berücksichtigen ist.

28      Sodann ist der Klagegrund zu prüfen, wonach die im vorliegenden Fall für den Gerichtshof der Europäischen Union veröffentlichte Bekanntmachung des Auswahlverfahrens im Hinblick auf die Situation des Klägers, wie er sie in seiner Bewerbung dargelegt hat, gegen Art. 45 AEUV verstößt.

29      Art. 45 AEUV bestimmt u. a., dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union gewährleistet ist und dass sie den Arbeitnehmern – vorbehaltlich von im vorliegenden Fall nicht maßgeblichen Beschränkungen und Voraussetzungen – das Recht gibt, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben, sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und sich dort aufzuhalten, um eine Beschäftigung auszuüben.

30      Falls ein Arbeitnehmer seine Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten ausgeübt hat, kann er sich, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung erfüllt sind, bei einem Unionsorgan und den Behörden der Mitgliedstaaten in gleicher Weise auf Art. 45 AEUV berufen (vgl. in diesem Sinne, in ihrer Gesamtheit, Urteile vom 15. März 1989, Echternach und Moritz, 389/87 und 390/87, EU:C:1989:130, Rn. 11, vom 6. Oktober 2016, Adrien u. a., C‑466/15, EU:C:2016:749, Rn. 25, und vom 14. September 2015, Brouillard/Gerichtshof, T‑420/13, nicht veröffentlicht, im Folgenden: Brouillard II, EU:T:2015:633, Rn. 93).

31      Im vorliegenden Fall kann sich der Kläger dadurch, dass er sein Hochschulstudium in anderen Mitgliedstaaten als dem Staat, nämlich Kroatien, absolviert hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, in einem Verfahren über den Zugang zu einer Beschäftigung bei einem Unionsorgan mit Erfolg auf Art. 45 AEUV berufen, da dieses Organ zu diesem Zweck das von ihm in Frankreich erworbene rechtswissenschaftliche Diplom sowie die in Kroatien erworbenen und in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens geforderten rechtswissenschaftlichen Diplome desselben Niveaus nicht als gleichwertig ansieht. Die im AEU‑Vertrag vorgesehene Freizügigkeit der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten wäre nämlich nicht voll verwirklicht, wenn die Anwendung dieser Bestimmung denjenigen dieser Staatsangehörigen versagt werden dürfte, die von den durch das Unionsrecht vorgesehenen Erleichterungen Gebrauch gemacht und dank dieser Erleichterungen berufliche oder akademische Qualifikationen in anderen Mitgliedstaaten als demjenigen erworben haben, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 31. März 1993, Kraus, C‑19/92, EU:C:1993:125, Rn. 16 und 17, und Brouillard I, Rn. 27 bis 29).

32      Sodann ist festzustellen, dass die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens, in der angegeben wurde, dass hinsichtlich der Bildungsabschlüsse „ein Bildungsniveau … [verlangt wird], das einem [mit einem der angeführten Diplome] abgeschlossenen Hochschulstudium der kroatischen Rechtswissenschaften entspricht“, in Bezug auf diesen Gesichtspunkt formuliert ist wie die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens, die in der Rechtssache in Rede stand, in der das Urteil Brouillard III ergangen ist. In diesem Urteil wurde entschieden, dass ein solcher Wortlaut zwar darauf hindeutet, dass der Besitz eines der genannten rechtswissenschaftlichen Diplome gefordert wurde, nicht aber darauf, dass eine bestimmte Ausbildung absolviert wurde oder mehrere bestimmte Fächer im Rahmen des Studiengangs belegt wurden, in dem eines dieser Diplome erworben wurde (Urteil Brouillard III, Rn. 49 und 50). Das Gericht sieht keinen Grund, um im vorliegenden Fall von dieser Auslegung abzuweichen, der sich die Kommission – wie oben in Rn. 17 dargelegt – anschließt. Die Bewerber, die einen Teil ihres Studiums außerhalb Kroatiens absolviert hatten, wurden daher nicht allein aus diesem Grund von dem in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Auswahlverfahren ausgeschlossen.

33      Ferner ist festzustellen, dass Art. 45 AEUV in Ermangelung von Harmonisierungsmaßnahmen, die zu diesem Zweck auf der Grundlage von Art. 46 AEUV erlassen worden sind, eine Einrichtung, wenn sie einen Arbeitnehmer einstellt und verlangt, dass Bewerber über bestimmte Diplome verfügen, nicht dazu verpflichtet, andere Diplome, die in anderen Mitgliedstaaten ausgestellt wurden, automatisch als gleichwertig zu akzeptieren, selbst wenn mit diesen Diplomen dasselbe Bildungsniveau in demselben Bereich bescheinigt wird.

34      Solange es an der genannten Harmonisierung fehlt, darf eine solche Einrichtung nämlich festlegen, welche besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der betreffenden Beschäftigung notwendig sind, und die Vorlage eines Diploms verlangen, mit dem diese Kenntnisse und Fähigkeiten bescheinigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Mai 1991, Vlassopoulou, C‑340/89, EU:C:1991:193, Rn. 9, und Brouillard I, Rn. 48 bis 50). Insbesondere verfügt ein Unionsorgan – vorbehaltlich der im Statut festgelegten Mindestanforderungen – bei der Bestimmung der für die zu besetzenden Stellen erforderlichen Fähigkeiten über einen großen Beurteilungsspielraum (Urteile vom 16. Oktober 1975, Deboeck/Kommission, 90/74, EU:C:1975:128, Rn. 29, und vom 27. September 2006, Blackler/Parlament, T‑420/04, EU:T:2006:282, Rn. 45). Außerdem wird im vorliegenden Fall vom Kläger nicht die Notwendigkeit in Frage gestellt, dass die Bewerber für das Auswahlverfahren zur Einstellung von Rechts- und Sprachsachverständigen kroatischer Sprache beim Gerichtshof der Europäischen Union, an dem er teilgenommen hat, gründliche Kenntnisse des kroatischen Rechtssystems und der kroatischen Rechtsterminologie haben, was die verlangten kroatischen rechtswissenschaftlichen Diplome bescheinigen sollten.

35      Zwar verlangt Art. 45 AEUV, dass andere Diplome berücksichtigt werden, die in anderen Mitgliedstaaten ausgestellt und von Bewerbern vorgelegt wurden, um einen Vergleich zwischen den Kenntnissen, die durch die von den Bewerbern vorgelegten Diplome bescheinigt werden, und denen vorzunehmen, die durch die von der betreffenden Einrichtung geforderten Diplome bescheinigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Mai 1991, Vlassopoulou, C‑340/89, EU:C:1991:193, Rn. 16 bis 19, und Brouillard I, Rn. 54 und 55), diese Bestimmung verpflichtet aber nicht dazu, diese unterschiedlichen Diplome automatisch als gleichwertig anzuerkennen.

36      Die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens, an dem der Kläger teilgenommen hat, verstößt daher nicht allein deshalb gegen Art. 45 AEUV, weil in ihr nicht vorgesehen war, dass die in anderen Mitgliedstaaten als Kroatien ausgestellten rechtswissenschaftlichen Diplome, mit denen das gleiche Bildungsniveau bescheinigt wird wie mit den verlangten kroatischen Diplomen, selbst wenn sie von den kroatischen Behörden als kroatischen Diplomen gleichwertig anerkannt wurden, im Rahmen dieses Auswahlverfahrens automatisch als gleichwertig anerkannt werden.

37      Würden jedoch Studien, die mit Diplom abgeschlossen werden, und Berufserfahrung, die ein Arbeitnehmer, der sich auf eine Stelle bewirbt, dadurch absolviert bzw. erworben hat, dass er von der in Art. 45 AEUV verankerten Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht hat, nicht berücksichtigt, würde dies zu einer Einschränkung des Umfangs dieser durch den AEU‑Vertrag garantierten Grundfreiheit führen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 31. März 1993, Kraus, C‑19/92, EU:C:1993:125, Rn. 32, und vom 10. Dezember 2009, Peśla, C‑345/08, EU:C:2009:771, Rn. 36). Insoweit bezieht sich der Kläger im vorliegenden Fall insbesondere auf die Rechtssache, in der das Urteil Brouillard I ergangen ist.

38      In der Rechtssache, in der das Urteil Brouillard I ergangen ist, hatte ein belgischer Staatsangehöriger, Herr Brouillard, sein Studium in Belgien begonnen und anschließend in Frankreich denselben Master erworben wie der Kläger in der vorliegenden Rechtssache, nämlich den „Master en droit, économie, gestion à finalité professionnelle, mention droit privé, spécialité juriste-linguiste“ (anwendungsorientierter Master Recht, Wirtschaft und Verwaltung, Schwerpunkt: Privatrecht, Spezialisierung: Jurist im Sprachendienst) an der Universität von Poitiers. Im Jahr 2011, als er bereits bei den Dienststellen der belgischen Cour de cassation (Kassationshof, Belgien) arbeitete, nahm er an einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Referenten bei diesem Gericht teil. Seine Bewerbung wurde mit der Begründung für unzulässig erklärt, dass er Inhaber eines an einer belgischen Universität erworbenen „Diplôme de docteur en droit“ (Promotion Rechtswissenschaft), „Diplôme de licencié en droit“ (Diplom Rechtswissenschaft) oder „Diplôme de master en droit“ (Master Rechtswissenschaft) hätte sein müssen, um seine Eignung für diese Verwendung nachzuweisen. Sein Antrag auf Anerkennung seines französischen Masterdiploms als gleichwertig mit dem belgischen rechtswissenschaftlichen Masterdiplom wurde zudem später von der zuständigen belgischen Behörde mit der Begründung abgelehnt, dass sein im Ausland absolviertes Studium nicht den Anforderungen der belgischen rechtswissenschaftlichen Fakultäten entspreche, die für juristische Tätigkeiten in der belgischen Rechtsordnung ausbilden würden. Insbesondere habe der Betroffene während seines Studiums bestimmte Kenntnisse des belgischen Rechts nicht erworben. Nachdem Herr Brouillard Klage gegen die Entscheidung über die Unzulässigkeit seiner Bewerbung erhoben hatte, hat der belgische Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

39      In Rn. 47 des Urteils Brouillard I hat der Gerichtshof die maßgeblichen Fragen wie folgt zusammengefasst:

„… das vorlegende Gericht [möchte] wissen, ob Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass der Prüfungsausschuss eines Auswahlverfahrens zur Einstellung von Referenten bei einem Gericht eines Mitgliedstaats bei der Prüfung einer Anmeldung eines Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats zu diesem Auswahlverfahren die Teilnahme daran vom Besitz der nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats erforderlichen Diplome oder von der Anerkennung der akademischen Gleichwertigkeit eines von der Universität eines anderen Mitgliedstaats erteilten Masterdiploms abhängig macht, ohne dabei sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Berufserfahrung des Betroffenen in der Weise zu berücksichtigen, dass er die dadurch bescheinigten Berufsqualifikationen mit den durch die genannten Rechtsvorschriften vorgeschriebenen vergleicht.“

40      Mit diesen Ausführungen hat der Gerichtshof unterschieden zwischen einerseits der Frage, ob in einem Mitgliedstaat ein in einem anderen Mitgliedstaat ausgestelltes Diplom allgemein als gleichwertig anerkannt wird oder nicht, und andererseits der eventuell vom Prüfungsausschuss zusätzlich vorgenommenen konkreten Beurteilung der Frage, ob die von einem Bewerber, der sein Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten ausgeübt hat, gegebenenfalls auch durch Berufserfahrung erworbenen Qualifikationen im Hinblick auf die für die Teilnahme an diesem Auswahlverfahren verlangten Qualifikationen gleichwertig sind. In Rn. 50 des Urteils Brouillard I hat der Gerichtshof klargestellt, dass es dem betreffenden Mitgliedstaat in diesem Fall freistand, die für den Zugang zu den genannten Tätigkeiten für notwendig erachteten Kenntnisse und Fähigkeiten zu bestimmen.

41      In den Rn. 53 und 54 des Urteils Brouillard I hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich nationale Qualifikationsvoraussetzungen, selbst wenn sie ohne Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit angewandt werden, dahin auswirken können, dass sie die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit beeinträchtigen, wenn die fraglichen nationalen Vorschriften die von dem Betroffenen in einem anderen Mitgliedstaat bereits erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten unberücksichtigt lassen. Die Behörden eines Mitgliedstaats, die mit einem Antrag eines Unionsbürgers auf Zulassung zu einem Beruf befasst sind, dessen Aufnahme nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation oder von Zeiten praktischer Erfahrung abhängt, müssen folglich sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Erfahrung des Betroffenen in der Weise berücksichtigen, dass sie die durch diese Nachweise und diese Erfahrung belegten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleichen.

42      In Rn. 57 des Urteils Brouillard I hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die zuständige Behörde, wenn der Vergleich von in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Diplomen mit den verlangten nationalen Diplomen zu der Feststellung führt, dass die mit diesen unterschiedlichen Diplomen bescheinigten Fähigkeiten u. a. aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten nur teilweise übereinstimmen, vom Betroffenen den Nachweis verlangen kann, dass er die fehlenden Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat.

43      In den Rn. 58 und 59 des Urteils Brouillard I hat der Gerichtshof insoweit klargestellt, dass die zuständigen nationalen Behörden beurteilen müssen, ob die im Aufnahmemitgliedstaat im Rahmen eines Studiengangs oder praktischer Erfahrung erworbenen Kenntnisse für den Nachweis des Erwerbs der fehlenden Kenntnisse ausreichen, und dass die zuständige Behörde, da jede praktische Erfahrung in der Ausübung verwandter Tätigkeiten die Kenntnisse eines Antragstellers erweitern kann, jede praktische Erfahrung berücksichtigen muss, die für die Ausübung des Berufs, zu dem der Zugang beantragt wird, nützlich ist. Der Gerichtshof hat ergänzt, dass die zuständige Behörde den genauen Wert, der dieser Erfahrung beizumessen ist, in Anbetracht der spezifischen wahrgenommenen Aufgaben, der in Wahrnehmung dieser Aufgaben erworbenen und angewandten Kenntnisse sowie der übertragenen Verantwortung und des Grades der dem Betroffenen gewährten Unabhängigkeit zu bestimmen hat.

44      In Rn. 65 des Urteils Brouillard I hat der Gerichtshof u. a. festgestellt, dass die Berufserfahrung von Herrn Brouillard, insbesondere die bei den Dienststellen der belgischen Cour de cassation erworbene, von Bedeutung sein konnte.

45      Folglich hat der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht geantwortet, dass Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsrechtsstreits dem entgegensteht, dass der Prüfungsausschuss eines Auswahlverfahrens zur Einstellung von Referenten bei einem Gericht eines Mitgliedstaats bei der Prüfung einer Anmeldung eines Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats zu diesem Auswahlverfahren die Teilnahme daran vom Besitz der nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats erforderlichen Diplome oder von der Anerkennung der akademischen Gleichwertigkeit eines von der Universität eines anderen Mitgliedstaats erteilten Masterdiploms abhängig macht, ohne dabei sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Berufserfahrung des Betroffenen in der Weise zu berücksichtigen, dass er die dadurch bescheinigten Berufsqualifikationen mit den durch die genannten Rechtsvorschriften vorgeschriebenen vergleicht.

46      Da die Unionsorgane, wie oben in Rn. 30 ausgeführt, in Fällen, in denen Art. 45 AEUV anwendbar ist, wie die Behörden der Mitgliedstaaten an die sich aus diesem Artikel ergebenden Grundsätze gebunden sind, ist festzustellen, dass sich der Sachverhalt, der zu dem vom Kläger angeführten Urteil Brouillard I geführt hat, und derjenige, der der vorliegenden Rechtssache zugrunde liegt, sehr stark gleichen.

47      Daher durfte, wie der Kläger vorträgt, seine Bewerbung für das allgemeine Auswahlverfahren, für das er sich beworben hat, nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil er nicht eines der in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens verlangten kroatischen rechtswissenschaftlichen Diplome besaß, da er in seinem Bewerbungsbogen nicht nur den Besitz eines gleichwertigen Masters des französischen Rechts angeführt hatte, der in Kroatien offensichtlich für den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts anerkannt worden war, sondern auch eine Berufserfahrung von etwas mehr als drei Jahren als Übersetzer beim Europäischen Parlament im kroatischen Sprachreferat und von 18 Monaten als Rechtsanwaltsanwärter in Kroatien. Diese Gesichtspunkte waren nämlich geeignet, einen Nachweis dafür zu erbringen, dass der Kläger über dieselben Qualifikationen verfügte, wie sie durch die verlangten kroatischen rechtswissenschaftlichen Diplome bescheinigt werden, die jedoch auf andere Weise erworben wurden, insbesondere im Rahmen der Ausübung seiner Freizügigkeit in der Union, was der Prüfungsausschuss hätte prüfen können müssen. Wie aber oben aus Rn. 6 hervorgeht, konnte der Prüfungsausschuss angesichts des oben in Rn. 3 angeführten Wortlauts der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens bei der Prüfung der Bewerbung des Klägers nicht über die Feststellung hinausgehen, dass dieser keines der verlangten kroatischen Diplome besaß und sein französisches Diplom ebenso wenig wie dessen Anerkennung zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in Kroatien Kenntnisse des kroatischen Rechtssystems und der kroatischen Rechtsterminologie belegten. Daher konnte der Prüfungsausschuss weder die tatsächliche Tragweite der Anerkennung des französischen Diploms des Klägers zur Ausübung einer juristischen Tätigkeit in Kroatien prüfen noch, ob dieser Gesichtspunkt, wenn er im Zusammenhang mit der Berufserfahrung des Klägers betrachtet wird, Kenntnisse des kroatischen Rechtssystems und der kroatischen Rechtsterminologie belegen konnte, die den durch den Besitz der verlangten kroatischen rechtswissenschaftlichen Diplome bescheinigten gleichwertig sind.

48      Es ist klarzustellen, dass entgegen dem Vorbringen der Kommission die Bestimmung in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens über die besonderen Zulassungsbedingungen, wonach keine Berufserfahrung vorausgesetzt wurde – die im Übrigen im Widerspruch zu der anderen Bestimmung steht, wonach diese Berufserfahrung eines der Kriterien für eine mögliche Vorauswahl, d. h. „anhand von Befähigungsnachweisen“ und dem sogenannten „Talentfilter“, darstellt, die anhand der in den Bewerbungsbögen gemachten Angaben erfolgt und mit der, falls erforderlich, die Anzahl der zu den Prüfungen zugelassenen Bewerber auf das 20‑Fache der Anzahl der Plätze auf der Reserveliste begrenzt werden sollte –, der Berücksichtigung von Berufserfahrung nicht entgegensteht, um gemäß der Auslegung von Art. 45 AEUV in der Rechtsprechung zu prüfen, ob die durch die in einer Bekanntmachung eines Auswahlverfahrens verlangten nationalen Diplome bescheinigten Qualifikationen von einem Bewerber, der keines dieser Diplome besitzt und sich auf die Bestimmungen von Art. 45 AEUV stützen kann, auf andere Weise erworben wurden.

49      Nach alledem ist die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens in Anbetracht der Situation des Klägers dadurch, dass es dem Prüfungsausschuss nicht gestattet war, dessen Bewerbung gemäß den Grundsätzen des Art. 45 AEUV zu prüfen, rechtsfehlerhaft, da ihre Bestimmungen über die Bildungsabschlüsse dazu führten, dass diese Bewerbung allein deshalb zurückgewiesen wurde, weil der Kläger über keines der in dieser Ausschreibung verlangten kroatischen rechtswissenschaftlichen Diplome verfügte. Da der Prüfungsausschuss die angefochtene Entscheidung auf diese Bestimmung der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens gestützt hat, die gemäß Art. 277 AEUV für nicht auf den Kläger anwendbar zu erklären ist, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben, ohne dass das übrige Vorbringen der Parteien geprüft zu werden braucht.

 Kosten

50      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des Klägers die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung des Prüfungsausschusses vom 12. Oktober 2020, mit der der Antrag auf Überprüfung von OQ zurückgewiesenund er nicht zur nächsten Phase des allgemeinen Auswahlverfahrens EPSO/AD/378/20 zur Erstellung einer Reserveliste für „Rechts- und Sprachsachverständige (AD 7) für die kroatische Sprache (HR)“ beim Gerichtshof der Europäischen Union zugelassen wurde, wird aufgehoben.

2.      Die Kommission trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten von OQ.

Gervasoni

Madise

Martín y Pérez de Nanclares

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 7. September 2022.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Kroatisch.