Language of document : ECLI:EU:T:2014:829

Rechtssache T‑445/12

Koscher + Würtz GmbH

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt
(Marken, Muster und Modelle) (HABM)

„Gemeinschaftsmarke – Widerspruchsverfahren – Internationale Registrierung mit Benennung der Europäischen Gemeinschaft – Bildmarke KW SURGICAL INSTRUMENTS – Ältere nationale Wortmarke Ka We – Relatives Eintragungshindernis – Verwechslungsgefahr – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Beschwerdeverfahren – Umfang der von der Beschwerdekammer vorzunehmenden Prüfung – Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Marke – Widerspruchsschrift – Zurückweisung der Eintragung der angemeldeten Marke ohne vorherige Prüfung der Voraussetzung der ernsthaften Benutzung der älteren Marke – Rechtsfehler – Abänderungsbefugnis“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Zweite Kammer) vom 26. September 2014

1.      Gemeinschaftsmarke – Beschwerdeverfahren – Klage vor dem Unionsrichter – Befugnis des Gerichts zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung – Grenzen – Klagegründe, die von der Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung gewürdigte Fragen betreffen – Folgen der Zurückweisung solcher Klagegründe

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 65 Abs. 3)

2.      Gemeinschaftsmarke – Beschwerdeverfahren – Beschwerde gegen die Entscheidung einer erstinstanzlich befassten Stelle des Amtes, die der Beschwerdekammer vorgelegt wird – Funktionale Kontinuität zwischen diesen beiden Dienststellen – Prüfung der Beschwerde durch die Beschwerdekammer – Umfang

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 64 Abs. 1)

3.      Gemeinschaftsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke – Notwendigkeit, die Frage dieser Benutzung, wenn sie vom Markenanmelder einmal aufgeworfen worden ist, vor der Entscheidung über den Widerspruch zu beantworten

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 42 Abs. 2)

4.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Gefahr der Verwechslung mit der älteren Marke – Beurteilung der Verwechslungsgefahr – Kriterien

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

5.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Gefahr der Verwechslung mit der älteren Marke – Bildmarke KW SURGICAL INSTRUMENTS und Wortmarke Ka We

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

6.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Ähnlichkeit der betreffenden Waren oder Dienstleistungen – Beurteilungskriterien

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

7.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Ähnlichkeit der betreffenden Marken – Beurteilungskriterien – Zusammengesetzte Marke

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

8.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Ähnlichkeit der betreffenden Marken – Möglichkeit einer bildlichen Ähnlichkeit zwischen einer Bild- und einer Wortmarke

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

9.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Gefahr der Verwechslung mit der älteren Marke – Geringe Unterscheidungskraft der älteren Marke – Auswirkung

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

10.    Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Gefahr der Verwechslung mit der älteren Marke – Gewichtung der ähnlichen oder unterschiedlichen Bestandteile der Zeichen – Berücksichtigung anderer Situationen als den Kauf der fraglichen Waren oder Dienstleistungen durch die maßgeblichen Verkehrskreise

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

1.      Die dem Gericht nach Art. 65 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke zustehende Abänderungsbefugnis ermächtigt es nicht, eine Frage zu beurteilen, zu der die Beschwerdekammer noch nicht Stellung genommen hat. Die Ausübung der Abänderungsbefugnis ist folglich grundsätzlich auf Situationen zu beschränken, in denen das Gericht nach einer Überprüfung der von der Beschwerdekammer vorgenommenen Beurteilung auf der Grundlage der erwiesenen tatsächlichen und rechtlichen Umstände die Entscheidung zu finden vermag, die die Beschwerdekammer hätte erlassen müssen.

Insoweit kann ein Klagegrund, mit dem ein Rechtsfehler geltend gemacht wird, den die Beschwerdekammer im Hinblick auf Art. 42 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 dadurch begangen habe, dass sie dem Widerspruch stattgegeben habe, ohne zu prüfen, ob die ältere Marke ernsthaft benutzt worden sei, nur zu einer Aufhebung der Entscheidung der Beschwerdekammer und Verweisung der Sache an sie führen. Denn das Gericht kann die ernsthafte Benutzung der älteren Marke nicht würdigen, da sich die Beschwerdekammer nicht dazu geäußert hat.

Dagegen könnte ein zweiter Klagegrund, mit dem die fehlende Verwechslungsgefahr geltend gemacht wird, es dem Kläger, wenn er durchgreifen würde, ermöglichen, eine umfassende Entscheidung des Rechtsstreits herbeizuführen. Das Gericht hat diesen Klagegrund daher zu prüfen.

Ergibt die Prüfung durch das Gericht, dass der zweite Klagegrund und damit der Abänderungsantrag des Klägers zurückzuweisen sind, muss das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle), nachdem es die Frage der ernsthaften Benutzung der älteren Marke geprüft hat, gegebenenfalls erneut über die Gefahr einer Verwechslung der einander gegenüberstehenden Marken befinden. Sollte die ältere Marke für bestimmte der durch sie erfassten Waren nicht ernsthaft benutzt worden sein, hat es daraus die Konsequenzen für den Vergleich zwischen den beiden Marken zu ziehen.

(vgl. Rn. 19, 39-41, 82, 83)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 28, 29)

3.      Das Verlangen, dass der Widersprechende den Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Marke erbringt, führt dazu, dass der Widersprechende die Beweislast für die ernsthafte Benutzung seiner Marke trägt, da sein Widerspruch sonst zurückgewiesen wird. Ist die Frage der ernsthaften Benutzung der älteren Marke vom Markenanmelder einmal aufgeworfen worden, muss sie somit grundsätzlich vor der Entscheidung über den Widerspruch an sich beantwortet werden. Wird der Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Marke verlangt, führt dies daher dazu, dass das Widerspruchsverfahren um eine spezifische Vorfrage ergänzt und sein Inhalt entsprechend geändert wird.

Der Beschwerdekammer unterläuft daher ein Rechtsfehler, wenn sie der Anmelderin für die Gemeinschaft den von ihr erlangten Schutz der internationalen Registrierung verweigert, ohne sich zur ernsthaften Benutzung der älteren Marke zu äußern, obwohl die Anmelderin vor der Widerspruchsabteilung den Nachweis der ernsthaften Benutzung dieser Marke verlangt hat.

(vgl. Rn. 30, 34)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 43, 44, 49, 67)

5.      Für deutsche Fachkreise mit Fachwissen im medizinischen Bereich, deren Grad an Aufmerksamkeit besonders hoch ist, besteht die Gefahr einer Verwechslung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke des Bildzeichens KW SURGICAL INSTRUMENTS, dessen Eintragung als Gemeinschaftsmarke für „Chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Apparate und Instrumente, künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne; orthopädische Artikel, chirurgisches Nahtmaterial“ der Klasse 10 des Abkommens von Nizza beantragt worden ist, und der älteren Wortmarke Ka We, die in Deutschland für „Ärztliche, gesundheitliche Instrumente und Geräte, Hörapparate, Bandagen, künstliche Gliedmaßen (mit Ausnahme von Waren aus oder in Verbindung mit Kautschuk)“ derselben Klasse dieses Abkommens eingetragen ist.

Denn die Wörter „surgical“ und „instruments“ sowie die Bildelemente eines Halbkreises und der Darstellung eines chirurgischen Instruments finden sich zwar nur bei der angemeldeten Marke, doch reichen diese Unterschiede nicht aus, um bei dem relevanten Verbraucher den Eindruck auszuräumen, dass diese Marken, in ihrer Gesamtheit betrachtet, bildlich eine schwache Ähnlichkeit aufweisen und klanglich identisch oder sehr ähnlich sind. Dass nur die angemeldete Marke den Wortbestandteil „surgical instruments“ aufweist, ist jedenfalls nicht geeignet, die bildlichen und klanglichen Ähnlichkeiten zwischen den beiden fraglichen Marken zu neutralisieren. Selbst unterstellt, dass eine Identität der durch die beiden einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren nicht erwiesen wäre, genügt schließlich der Grad der Ähnlichkeit, der zwischen ihnen zumindest dann besteht, wenn sämtliche durch die ältere Marke erfassten Waren berücksichtigt werden, für die Feststellung einer Verwechslungsgefahr.

(vgl. Rn. 45, 71-74)

6.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 46)

7.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 50)

8.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 51)

9.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 69)

10.    Dass die fraglichen Waren, die sich an Fachkreise richten, allenfalls ausnahmsweise telefonisch angeboten, vertrieben oder beworben werden, schließt die Gefahr einer Verwechslung von zwei klanglich identischen oder sehr ähnlichen Zeichen nicht aus, da sich die Benutzung des Zeichens in klanglicher Hinsicht nicht auf Situationen beschränkt, in denen die Waren vertrieben werden, sondern auch andere Situationen betreffen kann, in denen die fraglichen Fachleute mündlich auf diese Waren Bezug nehmen, z. B. wenn sie sie verwenden oder über diese Verwendung, insbesondere über die Vor- und Nachteile dieser Waren, sprechen.

In diesem Zusammenhang kann der für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr zuständigen Stelle nicht abverlangt werden, dass sie für jede Warenart einen Durchschnittswert der jeweiligen Aufmerksamkeit ermittelt, die der Verbraucher in verschiedenen Situationen aufbringt, und dass sie auf den geringsten Aufmerksamkeitsgrad abstellt, den das Publikum bei der Konfrontation mit einer Ware oder einer Marke an den Tag legt; es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass bei der Prüfung, ob Verwechslungsgefahr besteht, auf andere Situationen als den Kauf abgestellt werden kann.

(vgl. Rn. 79-81)