Language of document : ECLI:EU:T:2009:161

BESCHLUSS DES GERICHTS (Zweite Kammer)

19. Mai 2009(*)

„Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Dokumente über die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und die Justizreform in Bulgarien – Verweigerung des Zugangs – Wegfall des Streitgegenstands – Erledigung der Hauptsache“

In der Rechtssache T‑251/06

Thomas Meyer-Falk, wohnhaft in Bruchsal (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: S. Crosby, Solicitor,

Kläger,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Costa de Oliveira und A. Antoniadis als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung vom 6. November 2006, mit der die Kommission dem Kläger den Zugang zu zwei Dokumenten über die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und die Justizreform in Bulgarien verweigert hat,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová sowie der Richter K. Jürimäe und S. Soldevila Fragoso (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,


folgenden

Beschluss

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Mit Schreiben vom 6. Juni 2006 an den Vizepräsidenten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften beantragte der Kläger, der deutsche Staatsangehörige Thomas Meyer-Falk, auf der Grundlage der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43) den Zugang zu zwei Expertenberichten über die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und die Justizreform in Bulgarien, die im Rahmen der Verhandlungen über den Beitritt dieses Landes zur Europäischen Union erstellt worden waren (im Folgenden: beantragte Dokumente).

2        Die Generaldirektion (GD) „Erweiterung“ der Kommission antwortete dem Kläger am 13. Juli 2006, indem sie ihn ohne Äußerung zur Sache darauf hinwies, dass er einen amtlichen Antrag an das Generalsekretariat der Kommission richten könne. Da der Kläger dieses Schreiben als Ablehnung in der Sache wertete, stellte er am 24. Juli 2006 einen Zweitantrag, auf den die GD „Erweiterung“ am 15. September 2006 in dem Sinne antwortete, dass ihre Antwort vom 13. Juli keine Ablehnung gewesen sei, da das ursprüngliche Ersuchen kein rechtsgültiger Antrag gewesen sei.

3        Am 4. August 2006 legte der Kläger wegen der Bearbeitung seiner beiden Schreiben eine Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten ein. In seinem am 18. September 2006 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Antrag auf Prozesskostenhilfe beantragte er ferner die Nichtigerklärung der stillschweigenden Entscheidung im Sinne der Art. 7 und 8 der Verordnung Nr. 1049/2004, mit der die Kommission seinen Antrag auf Zugang zu den beantragten Dokumenten abgelehnt hatte. Die Kommission nahm daraufhin eine Überprüfung des Falles vor, bei der sie zu dem Ergebnis gelangte, dass der ursprüngliche Antrag als ordnungsgemäß gestellt anzusehen und das Schreiben vom 24. Juli 2006 daher ein Zweitantrag sei.

4        Mit Schreiben vom 6. November 2006 lehnte die Generalsekretärin der Kommission den Antrag des Klägers in der Sache ab.




5        Der Ablehnungsbescheid der Kommission ist auf drei Gründe gestützt.

6        Die Kommission beruft sich erstens auf die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2004 vorgesehene Ausnahme zum Schutz internationaler Beziehungen. In den beantragten Dokumenten, die nach der Validierung des Kapitels „Justiz und Inneres“ im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit der Republik Bulgarien erstellt worden seien, würden der Stand der Vorbereitungen der Republik Bulgarien und die in diesem Bereich erreichten Fortschritte behandelt. Die Kommission unterstreicht die Notwendigkeit, mit der Republik Bulgarien ein Klima des Vertrauens zu schaffen, und erklärt, die beantragten Berichte seien den bulgarischen Behörden und dem Rat der Europäischen Union vorbehalten. Es sei nämlich jeweils Sache des betroffenen Landes, im Interesse des Fortschritts der Reformen über die Angemessenheit der Veröffentlichung derartiger Dokumente zu entscheiden. Im vorliegenden Fall habe die Republik Bulgarien am 24. Oktober 2006 die Veröffentlichung der beantragten Dokumente ausdrücklich abgelehnt.

7        Die Kommission beruft sich zweitens auf die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2004 vorgesehene Ausnahme zum Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen. Da die Autoren der beantragten Dokumente namentlich bekannt seien und einer von ihnen infolge der Verbreitung von Teilen seines Berichts durch die Presse bereits in seiner Privatsphäre und Sicherheit beeinträchtigt worden sei, könne die Veröffentlichung der Berichte die Privatsphäre und die Integrität der Autoren beeinträchtigen.

8        Schließlich würde die Veröffentlichung der beantragten Dokumente den Entscheidungsprozess der Kommission beeinträchtigen, der durch Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2004 geschützt sei. Die beantragten Dokumente seien nämlich nur eine ihrer Informationsquellen, und sie habe ein Verfahren der Zusammenarbeit und der Überprüfung der von den Beitrittskandidatenländern erzielten Fortschritte eingeführt. Außerdem sei die Veröffentlichung der beantragten Dokumente nicht durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt.

 Verfahren und Anträge der Parteien

9        Mit Antragsschrift, die am 18. September 2006 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger Prozesskostenhilfe nach Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt, um die Nichtigerklärung der stillschweigenden Entscheidung zu erwirken, mit der die Kommission seinen Antrag auf Zugang zu den beantragten Dokumenten verweigert hatte.



10      Mit Schreiben vom 19. November 2006 hat der Antragsteller das Gericht ersucht, im Interesse der Prozessökonomie seinen ursprünglichen Prozesskostenhilfeantrag auch als Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 6. November 2006 zu betrachten, mit der ihm der Zugang zu den beantragten Dokumenten verweigert worden sei. Die Kommission hat gegen diese Erweiterung keine Einwände erhoben.

11      Mit Beschluss vom 21. Januar 2008 ist dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Mit Beschluss vom 14. Mai 2008 ist Herr S. Crosby als mit der Vertretung des Klägers beauftragter Anwalt bestimmt worden.

12      Mit Klageschrift, die am 15. Juli 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung vom 6. November 2006 erhoben, mit der die Kommission ihm den Zugang zu den beantragten Dokumenten verweigert hat.

13      In seiner Klageschrift hat der Kläger allerdings angegeben, dass sein Anwalt die beantragten Dokumente auf der Internetseite einer Nichtregierungsorganisation gefunden habe, die im Jahr 1999 gegründet worden sei, um das Verfahren des Beitritts der Republik Bulgarien zur Europäischen Union zu unterstützen, und die finanzielle Unterstützung von der Kommission erhalte. Die beantragten Dokumente seien seit dem 27. April 2006 auf dieser Seite verfügbar, ihm selbst aber nicht zugänglich gewesen, da es ihm nicht möglich sei, einen Internetanschluss zu erhalten.

14      In ihrer Klagebeantwortung vom 3. Oktober 2008 hat die Kommission bestätigt, dass es sich bei den auf dieser Seite verfügbaren Dokumenten tatsächlich um die beantragten Dokumente gehandelt habe, und ausgeführt, eine erneute Prüfung gemäß Art. 4 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1049/2004 habe ergeben, dass die in der Entscheidung vom 6. Juni 2006 angeführten Ausnahmebestimmungen zum Zeitpunkt der Klagebeantwortung nicht mehr anwendbar seien und einer Veröffentlichung der beantragten Dokumente nichts mehr entgegenstehe. Demgemäß hat sie geltend gemacht, dass sich der Rechtsstreit erledigt habe und dass der Kläger jedenfalls zum Zeitpunkt der Klageerhebung kein Rechtsschutzinteresse gehabt habe.

15      In seiner Erwiderung vom 25. November 2008 hat der Kläger im Hinblick auf die von der Kommission in ihrer Klagebeantwortung gegebenen Erläuterungen beantragt, den Rechtsstreit für gegenstandslos zu erklären und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

16      In ihrer Stellungnahme vom 12. Januar 2009 hat die Kommission dem Gericht mitgeteilt, dass sie keine Einwände gegen eine Feststellung der Erledigung der Hauptsache habe, und beantragt, dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

17      Nach Art. 113 der Verfahrensordnung kann das Gericht jederzeit von Amts wegen nach Anhörung der Parteien darüber entscheiden, ob unverzichtbare Prozessvoraussetzungen fehlen, oder feststellen, dass die Klage gegenstandslos geworden und die Hauptsache erledigt ist. Außerdem braucht nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Zulässigkeit einer Klage nicht geprüft zu werden, wenn der Gerichtshof die Hauptsache für erledigt erklärt, weil die Klage gegenstandslos geworden ist (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 12. Juli 2001, Kommission und Frankreich/TF1, C‑302/99 P und C‑308/99 P, Slg. 2001, I‑5603, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass angesichts dessen, dass den Schriftsätzen der Parteien zufolge der Kläger Zugang zu den beantragten Dokumenten hatte, eine Nichtigerklärung der Entscheidung vom 6. November 2006, mit der dem Kläger der Zugang zu den genannten Dokumenten verweigert wurde, gegenüber der vollständigen Verbreitung der Dokumente keine zusätzliche Auswirkung haben würde (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 23. November 2004, Turco/Rat, T‑84/03, Slg. 2004, II‑4061, Randnrn. 28 bis 30).

19      Da die Klage gegenstandslos geworden ist, ist die Hauptsache erledigt.

 Kosten

20      Erklärt das Gericht die Hauptsache für erledigt, so entscheidet es nach Art. 87 § 6 der Verfahrensordnung über die Kosten nach freiem Ermessen.

21      Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass dem Kläger nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er nicht gewusst hat, dass die beantragten Dokumenten auf einer Internetseite verfügbar waren, da die Kommission nicht bestreitet, dass er keine Möglichkeit des Zugangs zum Internet hatte. Es kann ihm ferner nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er seine Klage aufrechterhalten hat, nachdem ihm von seinem Anwalt mitgeteilt worden war, dass die beantragten Dokumente anscheinend im Internet verfügbar waren, da er weder die Echtheit dieser Dokumente prüfen noch wissen konnte, welchen Gebrauch er von ihnen machen konnte.

22      Zweitens hat das Gericht zu berücksichtigen, dass der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, dass sie von der Verbreitung der beantragten Dokumente auf einer Internetseite keine Kenntnis hatte, da sie vorträgt, dass deren Verbreitung nicht auf sie zurückgehe, und da der Umstand allein, dass sie diese Seite finanziell unterstützte, nicht für den Nachweis genügt, dass sie eine Kontrolle über deren Inhalt ausübte.

23      Nach alledem sind jeder Partei ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.


Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

beschlossen:

1.      Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt.

2.      Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 19. Mai 2009

Der Kanzler

 

      Die Präsidentin

E. Coulon

 

      I. Pelikánová


* Verfahrenssprache: Deutsch.