Language of document : ECLI:EU:T:2020:611

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

16. Dezember 2020(*)

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Einfrieren von Geldern – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden – Beibehaltung des Namens des Klägers auf der Liste – Verpflichtung des Rates, zu prüfen, ob die Entscheidung einer Behörde eines Drittstaats unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gefasst wurde“

In der Rechtssache T‑286/19,

Mykola Yanovych Azarov, wohnhaft in Kiew (Ukraine), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte G. Lansky und A. Egger,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch J. Van Blaaderen und P. Mahnič als Bevollmächtigte,

Beklagter,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2019/354 des Rates vom 4. März 2019 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2019, L 64, S. 7) und der Durchführungsverordnung (EU) 2019/352 des Rates vom 4. März 2019 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2019, L 64, S. 1), soweit der Name des Klägers auf der Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, auf die diese restriktiven Maßnahmen Anwendung finden, belassen wurde,

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten D. Spielmann, der Richterin O. Spineanu-Matei und des Richters R. Mastroianni (Berichterstatter),

Kanzler: S. Spyropoulos, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. September 2020

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die vorliegende Rechtssache fügt sich in den Rahmen der Streitsachen über die restriktiven Maßnahmen ein, die gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine nach der Unterdrückung der Demonstrationen auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew (Ukraine) vom Februar 2014 ergriffen wurden.

2        Der Kläger, Herr Mykola Yanovych Azarov, war vom 11. März 2010 bis 28. Januar 2014 Premierminister der Ukraine.

3        Am 5. März 2014 erließ der Rat der Europäischen Union den Beschluss 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2014, L 66, S. 26) und die Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2014, L 66, S. 1) (im Folgenden zusammen: Rechtsakte vom März 2014).

4        In den Erwägungsgründen 1 und 2 des Beschlusses 2014/119 wird ausgeführt:

„(1)      Der Rat hat am 20. Februar 2014 jede Gewaltanwendung in der Ukraine auf das Schärfste verurteilt. Er forderte die sofortige Beendigung der Gewalt in der Ukraine und die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten. Er rief die Regierung der Ukraine zu größter Zurückhaltung auf und appellierte an die Oppositionsführer, sich von denjenigen zu distanzieren, die zu radikalen Handlungen, einschließlich Gewaltanwendung, übergehen.

(2)      Der Rat hat am 3. März 2014 beschlossen, im Hinblick auf die Stärkung und Unterstützung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung der Menschenrechte in der Ukraine restriktive Maßnahmen für das Einfrieren und die Einziehung von Vermögenswerten auf Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie auf für Menschenrechtsverletzungen verantwortliche Personen zu konzentrieren.“

5        Art. 1 Abs. 1 und 2 dieses Beschlusses bestimmt:

„(1)      Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum der Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der mit ihnen verbundenen, in der Liste im Anhang aufgeführten, natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.

(2)      Den im Anhang aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.“

6        Die Modalitäten des Einfrierens werden in Art. 1 Abs. 3 bis 6 des Beschlusses festgelegt.

7        Die Verordnung Nr. 208/2014 schreibt gemäß dem Beschluss 2014/119 den Erlass von Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern vor und regelt die Modalitäten hierfür im Wesentlichen gleichlautend mit diesem Beschluss.

8        Die Namen der von den Rechtsakten vom März 2014 betroffenen Personen sind in identischen Listen im Anhang des Beschlusses 2014/119 und in Anhang I der Verordnung Nr. 208/2014 (im Folgenden: Liste) u. a. mit der Begründung für ihre Aufnahme verzeichnet.

9        Der Name des Klägers war mit den Identifizierungsinformationen „Premierminister der Ukraine bis Januar 2014“ und folgender Begründung in der Liste aufgeführt:

„Person ist in der Ukraine Gegenstand von Ermittlungen wegen der Beteiligung an Straftaten im Zusammenhang mit der Veruntreuung öffentlicher Gelder der Ukraine und des illegalen Transfers dieser Gelder in das Ausland“.

10      Mit am 12. Mai 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob der Kläger eine unter der Rechtssachennummer T‑331/14 in das Register eingetragene Klage u. a. auf Nichtigerklärung der Rechtsakte vom März 2014, soweit sie ihn betrafen.

11      Am 29. Januar 2015 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2015/143 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2015, L 24, S. 16) und die Verordnung (EU) 2015/138 zur Änderung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2015, L 24, S. 1).

12      Mit dem Beschluss 2015/143 wurden mit Wirkung ab dem 31. Januar 2015 die Benennungskriterien für die vom Einfrieren von Geldern betroffenen Personen verdeutlicht. Insbesondere wurde Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 durch folgenden Text ersetzt:

„(1)      Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum der Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der mit ihnen verbundenen, in der Liste im Anhang aufgeführten, natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.

Für die Zwecke dieses Beschlusses zählen zu Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich erklärt wurden, Personen, die Gegenstand von Untersuchungen der ukrainischen Behörden sind

a)      wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte der Ukraine oder wegen Beihilfe hierzu oder

b)      wegen Amtsmissbrauchs als Inhaber eines öffentlichen Amtes, um sich selbst oder einer dritten Partei einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen und wodurch ein Verlust staatlicher Gelder oder Vermögenswerte der Ukraine verursacht wird, oder wegen Beihilfe hierzu.“

13      Mit der Verordnung 2015/138 wurde die Verordnung Nr. 208/2014 entsprechend dem Beschluss 2015/143 geändert.

14      Am 5. März 2015 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2015/364 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2015, L 62, S. 25) und die Durchführungsverordnung (EU) 2015/357 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2015, L 62, S. 1) (im Folgenden zusammen: Rechtsakte vom März 2015). Der Beschluss 2015/364 ersetzte zum einen Art. 5 des Beschlusses 2014/119, wobei er die Anwendung der restriktiven Maßnahmen hinsichtlich des Klägers bis zum 6. März 2016 verlängerte, und änderte zum anderen den Anhang des Beschlusses 2014/119. Die Durchführungsverordnung 2015/357 änderte dementsprechend Anhang I der Verordnung Nr. 208/2014.

15      Die Rechtsakte vom März 2015 beließen den Namen des Klägers mit den Identifizierungsinformationen „Premierminister der Ukraine bis Januar 2014“ und folgender neuer Begründung auf der Liste:

„Person ist Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung seitens der ukrainischen Behörden wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte.“

16      Mit am 29. April 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob der Kläger eine unter der Rechtssachennummer T‑215/15 in das Register eingetragene Klage u. a. auf Nichtigerklärung der Rechtsakte vom März 2015, soweit sie ihn betrafen.

17      Mit Urteil vom 28. Januar 2016, Azarov/Rat (T‑331/14, EU:T:2016:49), erklärte das Gericht die Rechtsakte vom März 2014, soweit sie den Kläger betrafen, für nichtig.

18      Am 4. März 2016 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2016/318 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2016, L 60, S. 76) und die Durchführungsverordnung (EU) 2016/311 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2016, L 60, S. 1) (im Folgenden zusammen: Rechtsakte vom März 2016).

19      Durch die Rechtsakte vom März 2016 wurde die Anwendung der restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2017 verlängert, ohne dass die oben in Rn. 15 wiedergegebene Begründung für die Nennung des Klägers geändert worden wäre.

20      Mit am 27. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob der Kläger eine unter der Rechtssachennummer T‑190/16 in das Register eingetragene Klage auf Nichtigerklärung der Rechtsakte vom März 2016, soweit sie ihn betrafen.

21      Am 3. März 2017 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2017/381 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2017, L 58, S. 34) und die Durchführungsverordnung (EU) 2017/374 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2017, L 58, S. 1) (im Folgenden zusammen: Rechtsakte vom März 2017).

22      Durch die Rechtsakte vom März 2017 wurde die Anwendung der restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2018 verlängert, ohne dass die oben in Rn. 15 wiedergegebene Begründung für die Nennung des Klägers geändert worden wäre.

23      Mit am 27. April 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob der Kläger eine unter der Rechtssachennummer T‑247/17 in das Register eingetragene Klage auf Nichtigerklärung der Rechtsakte vom März 2017, soweit sie ihn betrafen.

24      Mit Urteil vom 7. Juli 2017, Azarov/Rat (T‑215/15, EU:T:2017:479), wies das Gericht die Nichtigkeitsklage des Klägers gegen die Rechtsakte vom März 2015 ab.

25      Am 7. September 2017 legte der Kläger gegen das Urteil vom 7. Juli 2017, Azarov/Rat (T‑215/15, EU:T:2017:479), ein Rechtsmittel beim Gerichtshof ein, das unter der Rechtssachennummer C‑530/17 P in das Register eingetragen wurde.

26      Am 5. März 2018 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2018/333 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2018, L 63, S. 48) und die Durchführungsverordnung (EU) 2018/326 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2018, L 63, S. 5) (im Folgenden zusammen: Rechtsakte vom März 2018).

27      Durch die Rechtsakte vom März 2018 wurde die Anwendung der restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2019 verlängert, und zwar mit folgender, gegenüber der Begründung in den Rechtsakten vom März 2015 leicht geänderter Begründung:

„Person ist Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung durch die ukrainischen Behörden wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte und wegen Beihilfe dazu.“

28      Mit Urteil vom 26. April 2018, Azarov/Rat (T‑190/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:232), wies das Gericht die Nichtigkeitsklage gegen die Rechtsakte vom März 2016 ab, soweit diese den Kläger betrafen.

29      Mit am 7. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob der Kläger eine unter der Rechtssachennummer T‑286/18 in das Register eingetragene Klage auf Nichtigerklärung der Rechtsakte vom März 2018, soweit sie ihn betrafen.

30      Am 26. Juni 2018 legte der Kläger gegen das Urteil vom 26. April 2018, Azarov/Rat (T‑190/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:232), ein Rechtsmittel beim Gerichtshof ein, das unter der Rechtssachennummer C‑416/18 P in das Register eingetragen wurde.

31      Mit Urteil vom 13. Dezember 2018, Azarov/Rat (T‑247/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:931), wies das Gericht die Nichtigkeitsklage gegen die Rechtsakte vom März 2017 ab, soweit diese den Kläger betrafen.

32      Mit Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat (C‑530/17 P, EU:C:2018:1031), hob der Gerichtshof das Urteil vom 7. Juli 2017, Azarov/Rat (T‑215/15, EU:T:2017:479), auf und erklärte die Rechtsakte vom März 2015 für nichtig, soweit sie den Kläger betrafen.

33      Zwischen November 2018 und Januar 2019 gab es einen Schriftwechsel zwischen dem Rat und dem Kläger über die mögliche Verlängerung der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen Letzterem gegenüber. Insbesondere übermittelte der Rat dem Kläger mehrere Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine (im Folgenden: Generalstaatsanwaltschaft) zu den gegen den Kläger geführten Strafverfahren, auf deren Grundlage die Verlängerung im Raum stand.

34      Am 26. Januar 2019 legte der Kläger gegen das Urteil vom 13. Dezember 2018, Azarov/Rat (T‑247/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:931), ein Rechtsmittel beim Gerichtshof ein, das unter der Rechtssachennummer C‑58/19 P in das Register eingetragen wurde.

35      Am 4. März 2019 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2019/354 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2019, L 64, S. 7) und die Durchführungsverordnung (EU) 2019/352 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2019, L 64, S. 1) (im Folgenden zusammen: angefochtene Rechtsakte).

36      Durch die angefochtenen Rechtsakte wurde die Anwendung der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2020 verlängert und der Name des Klägers mit der gleichen Begründung wie der oben in Rn. 27 angeführten unter folgender Präzisierung auf der Liste belassen:

„Aus den Informationen in der Akte des Rates geht hervor, dass die Verteidigungsrechte und das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz von Herrn Azarov in den Strafverfahren, auf die sich der Rat gestützt hat, gewahrt worden sind. Belege hierfür sind insbesondere die Entscheidung des Untersuchungsrichters vom 8. September 2018, mit der die Erlaubnis für Sonderermittlungen in Abwesenheit erteilt wird, sowie die Entscheidung des Untersuchungsrichters vom 16. August 2018, mit der die Genehmigung erteilt wird, Herrn Azarov festzunehmen, um ihn zum Zweck der Teilnahme an einer Anhörung über die Anwendung der Ingewahrsamnahme an das Gericht zu überstellen, sowie eine Reihe von gerichtlichen Entscheidungen über die Beschlagnahme von Eigentum.“

37      Mit Schreiben vom 5. März 2019 teilte der Rat dem Kläger mit, dass die restriktiven Maßnahmen ihm gegenüber aufrechterhalten blieben. Er antwortete auf die in den Schreiben vom 20. Dezember 2018 sowie vom 14., 25. und 31. Januar 2019 enthaltenen Stellungnahmen des Klägers und übermittelte diesem die angefochtenen Rechtsakte. Außerdem wies er den Kläger auf die Frist zur Abgabe einer Stellungnahme vor der Beschlussfassung über die etwaige weitere Führung seines Namens auf der Liste hin.

38      Mit Schreiben vom 9. April 2019 übermittelte der Rat dem Kläger auf dessen Antrag vom 5. März 2019 hin bestimmte, den Kläger betreffende Dokumente.

 Ereignisse nach Klageerhebung

39      Mit Urteil vom 11. Juli 2019, Azarov/Rat (C‑416/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:602), hob der Gerichtshof das Urteil vom 26. April 2018, Azarov/Rat (T‑190/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:232) (siehe oben, Rn. 28), auf und erklärte die Rechtsakte vom März 2016 für nichtig, soweit sie den Kläger betrafen.

40      Mit Urteil vom 11. September 2019, Azarov/Rat (T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577), erklärte das Gericht die Rechtsakte vom März 2018 für nichtig, soweit sie den Kläger betrafen.

41      Mit Beschluss vom 22. Oktober 2019, Azarov/Rat (C‑58/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:890), hob der Gerichtshof das Urteil vom 13. Dezember 2018, Azarov/Rat (T‑247/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:931) (siehe oben, Rn. 31), auf und erklärte die Rechtsakte vom März 2017 für nichtig, soweit sie den Kläger betrafen.

42      Am 5. März 2020 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2020/373 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2020, L 71, S. 10) und die Durchführungsverordnung (EU) 2020/370 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2020, L 71, S. 1), mit denen die Anwendung der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2021 verlängert wurde.

43      Gleichzeitig wurde mit diesen Rechtsakten der Eintrag zum Kläger in der Liste gestrichen.

 Verfahren und Anträge der Parteien

44      Mit Klageschrift, die am 3. Mai 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

45      Am 19. Juli 2019 hat der Rat seine Klagebeantwortung eingereicht.

46      Die Erwiderung ist am 6. September 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen.

47      Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts gemäß Art. 27 Abs. 5 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die Rechtssache der Fünften Kammer zugewiesen worden, der ein neuer Berichterstatter zugeteilt worden ist.

48      Am 25. Oktober 2019 sind die Gegenerwiderung und ein begründeter Antrag gemäß Art. 66 der Verfahrensordnung, den Inhalt bestimmter in den Anlagen zur Klagebeantwortung enthaltener Dokumente in den öffentlich zugänglichen Unterlagen der vorliegenden Rechtssache nicht zu zitieren, bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen. Am selben Tag ist das schriftliche Verfahren abgeschlossen worden.

49      Mit Schriftsatz, der am 20. November 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger beantragt, eine mündliche Verhandlung abzuhalten.

50      Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen, und den Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 Abs. 3 der Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt, die von ihnen fristgerecht beantwortet worden sind.

51      Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung am 16. September 2020, die auf Antrag des Rates und nach Anhörung des Klägers teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehalten worden ist, mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet. Am Ende der Sitzung ist das mündliche Verfahren geschlossen worden, und das Gericht ist in die Beratung der Rechtssache eingetreten.

52      Der Kläger beantragt im Wesentlichen,

–        die angefochtenen Rechtsakte, soweit sie ihn betreffen, für nichtig zu erklären;

–        den Rat zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Kläger beantragt außerdem den Beschluss bestimmter prozessleitender Maßnahmen.

53      Der Rat beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        hilfsweise, sofern die angefochtenen Rechtsakte, soweit sie den Kläger betreffen, für nichtig erklärt werden sollten, anzuordnen, dass die Wirkung des Beschlusses 2019/354 bis zum Wirksamwerden der teilweisen Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung 2019/352 fortbesteht;

–        dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

54      In der mündlichen Verhandlung hat der Rat auf eine Frage des Gerichts seinen zweiten Klageantrag zurückgenommen.

 Rechtliche Würdigung

55      Der Kläger stützt seine Klage auf einen einzigen Grund, mit dem er einen offensichtlichen Beurteilungsfehler rügt, den der Rat begangen habe, indem er auf der Grundlage von Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft und von ukrainischen Gerichtsentscheidungen entschieden habe, die in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen zu verlängern, ohne – sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht – zu prüfen, ob diese Entscheidungen unter Wahrung der Verteidigungsrechte des Klägers und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ergangen seien.

56      Als Erstes wirft der Kläger dem Rat vor, seine Prüfungspflichten verletzt zu haben. Erstens nämlich habe der Rat gegen seine Pflicht zur eigenständigen Prüfung verstoßen, indem er sich auf die Überprüfung durch einen Drittstaat verlassen habe. Zweitens habe der Rat nicht berücksichtigt, dass der Generalstaatsanwaltschaft die Zuständigkeit für die Ermittlungen fehle, die den Schreiben und Entscheidungen zugrunde lägen, auf die sich der Rat für den Erlass der angefochtenen Rechtsakte gestützt habe. Insbesondere habe er nicht berücksichtigt, dass die Zuständigkeit für Ermittlungen gegen bestimmte Amtsträger wie den Premierminister bei der nationalen Antikorruptionsbehörde liege. Somit seien sämtliche Maßnahmen der Generalstaatsanwaltschaft ohne Rechtsgrundlage erfolgt.

57      Drittens habe der Rat nicht geprüft, ob die Entscheidungen der ukrainischen Behörden, auf die er die Verlängerung der restriktiven Maßnahmen gegen den Kläger gestützt habe, unter Wahrung der Verteidigungsrechte des Klägers und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ergangen seien. Im Übrigen stehe im Wesentlichen bereits die ukrainische Gesetzeslage, auf die in den angefochtenen Rechtsakten verwiesen werde, der Wahrung dieser Rechte entgegen.

58      In den fünf Jahren der Ermittlungen im Rahmen der Strafverfahren gegen den Kläger seien grobe Verstöße begangen worden. Außerdem sei zum einen nicht klar, auf welche Verfahren sich der Rat gestützt habe, und zum anderen beträfen die in den angefochtenen Rechtsakten genannten Gerichtsentscheidungen lediglich das Strafverfahren [vertraulich](1) und auch nur einen Teilaspekt davon.

59      Insbesondere wendet sich der Kläger gegen die Entscheidungen des Bezirksgerichts Petchersk, Kiew (im Folgenden: Gericht Petchersk), auf die der Rat in den angefochtenen Rechtsakten Bezug nimmt. Er trägt zunächst hinsichtlich der im Rahmen des Verfahrens [vertraulich] ergangenen und die Erlaubnis für Sonderermittlungen in Abwesenheit gegen ihn betreffenden Entscheidung des Untersuchungsrichters beim Gericht Petchersk vom 3. September 2018 (im Folgenden: Entscheidung des Untersuchungsrichters vom 3. September 2018), die vom Rat in den angefochtenen Rechtsakten fälschlicherweise auf den 8. September 2018 datiert wird, vor, dass er nicht die Stellung eines Verdächtigen gehabt habe, da ihm die Verdachtsmitteilung im Rahmen der von der Generalstaatsanwaltschaft eingeleiteten Strafverfolgung nicht persönlich zugestellt worden sei. Des Weiteren sei die Generalstaatsanwaltschaft, die den Antrag auf Sonderermittlungen gestellt habe, für die Ermittlungen gegen ihn nicht zuständig gewesen, und das Verfahren, in dem die Entscheidung des Untersuchungsrichters vom 3. September 2018 ergangen sei, sei dem betreffenden Untersuchungsrichter durch einen Eingriff in das automationsunterstützte System der Rechtssachenzuteilung zugewiesen worden. Ferner sei der Grundsatz der Waffengleichheit nicht gewahrt worden, da ihm, anders als der Generalstaatsanwaltschaft, kein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung offenstehe. Hinzu komme, dass die wesentliche Voraussetzung für den Erlass einer solchen Entscheidung vorliegend nicht erfüllt gewesen sei, nämlich der Umstand, „zur internationalen Fahndung ausgeschrieben“ zu sein.

60      Im Übrigen habe der Untersuchungsrichter beim Gericht Petchersk in dem Verfahren, das zu der besagten Entscheidung geführt habe, eine Reihe seiner Anträge ohne jede Begründung abgelehnt, es seien Dokumente verfälscht worden, und kein Beweis belege seine Beteiligung an den ihm zur Last gelegten Straftaten.

61      Sodann macht der Kläger hinsichtlich der ebenfalls im Rahmen des Verfahrens [vertraulich] ergangenen Entscheidung des Untersuchungsrichters beim Gericht Petchersk vom 16. August 2018 (im Folgenden: Entscheidung des Untersuchungsrichters vom 16. August 2018) betreffend seine Festnahme zwecks Überstellung an das Gericht zur Teilnahme an einer Anhörung über einen Antrag auf Ingewahrsamnahme neben den Argumenten, die er schon in Bezug auf die Entscheidung des Untersuchungsrichters vom 3. September 2018 vorgebracht hat, außerdem geltend, dass zum einen keinerlei Gründe für die Anwendung einer derartigen freiheitseinschränkenden Maßnahme vorlägen, da für einen solchen Antrag auf Festnahme in Ermangelung einer Ausschreibung zur internationalen Fahndung ein Antrag auf Untersuchungshaft zu stellen sei, was im vorliegenden Fall nicht geschehen sei, und dass zum anderen diese Entscheidung nur befristet gelte.

62      Schließlich seien die „Gerichtsentscheidungen über die Beschlagnahme von Eigentum“ nicht geeignet, die Wahrung seiner Verteidigungsrechte und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu belegen, was sich aus ihrer gesetzlichen Regelung ergebe, die vorsehe, dass eine Verhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten und seines Verteidigers stattfinden könne und dass solche Entscheidungen nicht anfechtbar seien. Jedenfalls seien diese Entscheidungen für sich genommen nicht zum Nachweis dessen geeignet, dass die Aufrechterhaltung der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen unter Wahrung der genannten Rechte erfolgt sei.

63      Viertens sei die in den angefochtenen Rechtsakten gegebene Begründung für die Beibehaltung seines Namens in der Liste nicht ausreichend. Der Rat gebe nämlich zum einen nur den Inhalt einiger Vorschriften der ukrainischen Strafprozessordnung (im Folgenden: Strafprozessordnung) wieder und liefere zum anderen keine Begründung dafür, dass die ukrainischen Gerichtsentscheidungen unter Wahrung seiner Verteidigungsrechte und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen worden seien.

64      Als Zweites wirft der Kläger dem Rat im Wesentlichen vor, die inhaltliche Richtigkeit der angeführten Tatsachen nicht im Licht der klägerseits vorgelegten Stellungnahmen beurteilt zu haben und daher seiner aus der jüngeren Rechtsprechung der Unionsgerichte folgenden Pflicht, die Stichhaltigkeit der gegen den Kläger angeführten Begründung nachzuweisen, nicht nachgekommen zu sein.

65      Der Rat trägt vor, dass die Entscheidung über die Beibehaltung des Namens des Klägers in der Liste auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruhe und dass die einzige neue Vorgabe aus der Rechtsprechung den Nachweis betreffe, dass der Rat bei Erlass der restriktiven Maßnahmen geprüft habe, ob die ukrainischen Behörden die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz im Rahmen der gegen den Kläger eingeleiteten Strafverfahren gewahrt hätten. Im Übrigen habe der Kläger selbst bestätigt, dass er seine Verteidigungsrechte zu seinen Gunsten habe ausüben können, da Anträge und Bewilligungen der Ermittlungsbehörden abgelehnt beziehungsweise aufgehoben worden seien. Nicht geprüft werden müssten die materielle Stichhaltigkeit der von den ukrainischen Justizbehörden gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe oder die richtige Anwendung des ukrainischen Strafrechts. So habe das Gericht lediglich zu beurteilen, ob dem Rat ein offensichtlicher Beurteilungsfehler bei der Überprüfung der Wahrung dieser Rechte vorgeworfen werden könne.

66      Als Erstes geht der Rat davon aus, dieser Vorgabe zur Überprüfung und Begründung dadurch Folge geleistet zu haben, dass er mit der Hinzufügung eines neuen Abschnitts in den angefochtenen Rechtsakten dargelegt und begründet habe, dass er sich der Wahrung der genannten Rechte vergewissert habe, indem er überprüft habe, ob diese Rechte zum einen in den einschlägigen Vorschriften der Strafprozessordnung formell verankert seien und ob sie zum anderen von den ukrainischen Justizbehörden bei der strafrechtlichen Verfolgung des Klägers tatsächlich gewahrt worden seien.

67      Genauer werde die Wahrung der Verteidigungsrechte des Klägers und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in den Strafverfahren, die der Verlängerung der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen zugrunde lägen, durch die Entscheidungen des Untersuchungsrichters vom 16. August und 3. September 2018 sowie durch eine „Reihe von gerichtlichen Entscheidungen über die Beschlagnahme von Eigentum“ des Klägers belegt. Darüber hinaus habe der Rat bei den ukrainischen Behörden laufend Informationen und Gerichtsbeschlüsse zu den Schritten und Entwicklungen in den Strafverfahren gegen den Kläger eingeholt. Er habe sich auch mit den Einwänden des Klägers auseinandergesetzt und infolgedessen Nachfragen an die ukrainischen Behörden gerichtet; hierüber habe er den Kläger stets informiert.

68      Zu den gegen den Kläger geführten Strafverfahren macht der Rat geltend, aus den Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft gehe hervor, dass die Verdachtsbescheide dem Kläger zugestellt worden seien und dass dieser seine Verteidigungsrechte über die von ihm beauftragten Anwälte in vollem Umfang habe ausüben können. Außerdem gehe aus diesen Schreiben hervor, dass die Ermittlungsmaßnahmen zur Genehmigung von Sonderermittlungen, Ingewahrsamnahme und Beschlagnahme von Eigentum des Klägers der Strafprozessordnung gemäß nach Entscheidung des Untersuchungsrichters genehmigt und angeordnet worden seien sowie einer gerichtlichen Überprüfung unterlegen hätten. Auch habe der Kläger, obwohl jede Beschlagnahmeentscheidung mit einer ausdrücklichen Rechtsmittelbelehrung versehen gewesen sei, von einem Rechtsmittel keinen Gebrauch gemacht.

69      Der Rat tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen, er habe keine eigenständige Prüfung durchgeführt. Erstens macht er geltend, dass zum einen nur der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik den Dialog mit Drittstaaten führe und dass zum anderen die Generalstaatsanwaltschaft die am besten geeignete Quelle strafrechtlicher Informationen sei. Folglich stelle der Schriftwechsel mit der Generalstaatsanwaltschaft den am besten geeigneten Kanal zum Erhalt von Informationen und Gerichtsbeschlüssen zu in der Ukraine laufenden Strafverfahren dar.

70      Zweitens bringt der Rat hinsichtlich der Zuständigkeit der Generalstaatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf Schreiben der nationalen Antikorruptionsbehörde vom 6. Februar 2018 und der Generalstaatsanwaltschaft vom 20. Juni 2018 vor, dass die Übertragung von Kompetenzen und Verfahren von der Generalstaatsanwaltschaft auf die nationale Antikorruptionsbehörde nach den Übergangsbestimmungen der Strafprozessordnung nicht rückwirkend für von der Generalstaatsanwaltschaft bereits eingeleitete Ermittlungen gelte. Dies sei entgegen dem Vorbringen des Klägers ein Beleg für eine gewisse Rechtssicherheit, indem mit der Vermeidung einer rückwirkenden Änderung des Verfahrensrechts auch die Verteidigungsrechte des Klägers gestärkt würden.

71      Drittens tritt der Rat dem Vorbringen des Klägers zur Wahrung seiner Verteidigungsrechte und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz im Rahmen der gegen ihn geführten Strafverfahren entgegen. Zunächst sei nicht unüblich, dass Entscheidungen eines Untersuchungsrichters über das Einfrieren oder über die Beschlagnahme von Vermögensgegenständen eines Verdächtigen oder über die Festnahme eines flüchtigen Verdächtigen zwecks dessen Überstellung an ein Gericht ex parte getroffen würden. Gegen Entscheidungen über die Beschlagnahme von Vermögensgegenständen sei außerdem ausdrücklich ein Rechtsmittel eröffnet. Des Weiteren präzisiert der Rat, dass er sich auf zwei Strafverfahren gestützt habe und dass die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz des Klägers in beiden Strafverfahren in ihrem jeweiligen Kontext und Verfahrensstadium gewahrt worden seien. Die Ablehnung des Antrags auf Vernehmung per Videokonferenz habe diese Rechte nicht beeinträchtigt. Zudem habe der Kläger durchaus die Stellung eines Verdächtigen gehabt, da ihm im Rahmen der genannten Verfahren rechtzeitig vor dem Ergreifen von Ermittlungsmaßnahmen Verdachtsbescheide an seine registrierte Adresse zugestellt worden seien, was im Übrigen dadurch belegt werde, dass er Anwälte beauftragt habe, die sich an die Generalstaatsanwaltschaft und die Gerichte gewandt hätten, um Anträge zu stellen und Widerspruch einzulegen. Ferner bedeute der Umstand, dass die angeführten Entscheidungen vom gleichen Untersuchungsrichter erlassen worden seien, keineswegs, dass das Recht des Klägers auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht gewahrt worden sei. Dies zeige im Gegenteil eine gewisse Sicherheit des ukrainischen Gerichtssystems. Was die Behauptungen des Klägers anbelange, dass es bei der Zuweisung des Antrags auf vorgerichtliche Sonderermittlungen zu einer unerlaubten Einflussnahme auf das automatisierte Verteilungssystem gekommen sei, so falle die Überprüfung solcher Umstände nicht in die Zuständigkeit des Rates und das betreffende Anliegen sei den ukrainischen Justizbehörden zu unterbreiten. Schließlich weist der Rat hinsichtlich des Fehlens eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des Untersuchungsrichters vom 3. September 2018, die weder eine endgültige Entscheidung noch eine Verurteilung darstelle, darauf hin, dass es nicht von ihm und erst recht nicht vom Gericht zu prüfen sei, ob die Zurückweisung der Argumente des Klägers grundlos gewesen sei, die Beweise richtig gewürdigt worden seien und die Vorwürfe gegen den Kläger faktisch und rechtlich stichhaltig seien, da er oder das Gericht sich sonst an die Stelle der ukrainischen Ermittlungsbehörden oder Gerichte setzen würden.

72      Viertens ist der Rat der Auffassung, er habe dargetan, dass die Entscheidung, den Namen des Klägers in der Liste zu belassen, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruhe.

73      Als Zweites macht der Rat zum Vorbringen des Klägers, er habe die Stichhaltigkeit der behaupteten Tatsachen nicht geprüft, geltend, dass es nicht seine Aufgabe sei, die Umstände zu prüfen, auf die sich die ukrainischen Behörden stützten, um den Kläger strafrechtlich zu verfolgen.

74      Abschließend macht der Rat geltend, dass die vorläufigen, präventiven Ermittlungsmaßnahmen, auf die er sich gestützt habe, nur vorsorglichen Charakter hätten und einer eventuellen Verurteilung des Klägers nicht vorgriffen. Der Kläger sei ein flüchtiger Verdächtiger, der mehrere Anwälte beauftragt habe, die ihn vor den ukrainischen Gerichten verteidigt hätten, und dem daher die Schritte des Strafverfahrens bekannt seien. Die Vorschriften der Strafprozessordnung, die Entscheidungen mehrerer Gerichte sowie die Auskünfte der ukrainischen Ermittlungsbehörden entsprächen allesamt amtlichen Dokumenten, die die Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz des Klägers belegten, und die Ausführungen des Klägers, die sich auf Erklärungen seiner eigenen Anwälte stützten, könnten sie nicht entkräften.

75      Nach gefestigter Rechtsprechung müssen die Unionsgerichte bei der Kontrolle restriktiver Maßnahmen eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Union im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der Unionsrechtsordnung gewährleisten, zu denen u. a. das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und die Verteidigungsrechte gehören, wie sie in Art. 47 bzw. Art. 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankert sind (vgl. Urteile vom 11. September 2019, Azarov/Rat, T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76      Die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta garantierten gerichtlichen Kontrolle erfordert, dass sich der Unionsrichter, wenn er die Rechtmäßigkeit der Gründe prüft, die der Entscheidung zugrunde liegen, den Namen einer Person in die Liste der restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen aufzunehmen oder dort zu belassen, vergewissert, dass diese Entscheidung, die eine individuelle Betroffenheit dieser Person begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der Tatsachen voraus, die in der dem entsprechenden Beschluss zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Beurteilung der abstrakten Wahrscheinlichkeit der angeführten Gründe beschränkt, sondern auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich genommen als ausreichend angesehen wird, um diesen Beschluss zu stützen – erwiesen sind (vgl. Urteile vom 11. September 2019, Azarov/Rat, T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77      Der Erlass und die Aufrechterhaltung restriktiver Maßnahmen, wie sie im Beschluss 2014/119 und der Verordnung Nr. 208/2014 in ihren geänderten Fassungen vorgesehen sind und die gegen eine Person ergangen sind, die als für die Veruntreuung von Vermögenswerten eines Drittstaats verantwortlich identifiziert wurde, beruhen im Kern auf dem Beschluss einer – insoweit zuständigen – Behörde dieses Drittstaats, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen diese Person wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder einzuleiten und durchzuführen (vgl. Urteile vom 11. September 2019, Azarov/Rat, T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78      Auch wenn der Rat restriktive Maßnahmen gemäß dem oben in Rn. 12 wiedergegebenen Kriterium für die Aufnahme in die Liste (im Folgenden: Aufnahmekriterium) auf die Entscheidung eines Drittstaats stützen darf, schließt die ihm obliegende Verpflichtung, die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu wahren, die Pflicht ein, sich zu vergewissern, dass diese Rechte von den Behörden des Drittstaats, die die betreffende Entscheidung erlassen haben, gewahrt wurden (vgl. Urteile vom 11. September 2019, Azarov/Rat, T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

79      Das Erfordernis einer Überprüfung durch den Rat, dass die Entscheidungen von Drittstaaten, auf die er sich stützen möchte, unter Wahrung dieser Rechte gefasst wurden, soll zum Schutz der betroffenen Personen oder Organisationen sicherstellen, dass der Erlass oder die Aufrechterhaltung von Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern nur auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage erfolgt. Der Rat darf somit erst davon ausgehen, dass der Erlass oder die Aufrechterhaltung solcher Maßnahmen auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht, nachdem er selbst überprüft hat, dass die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz beim Erlass der Entscheidung durch den betreffenden Drittstaat, auf die er sich stützen möchte, gewahrt wurden (vgl. Urteile vom 11. September 2019, Azarov/Rat, T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80      Wenngleich im Übrigen mit dem Umstand, dass der Drittstaat zu den Staaten gehört, die der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) beigetreten sind, verknüpft ist, dass die in dieser Konvention gewährleisteten Grundrechte – die nach Art. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind – durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) überwacht werden, wird dadurch das vorstehend in Rn. 79 genannte Erfordernis der Überprüfung nicht überflüssig (vgl. Urteile vom 11. September 2019, Azarov/Rat, T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81      Nach der Rechtsprechung ist der Rat verpflichtet, in der Begründung für den Erlass oder die Aufrechterhaltung restriktiver Maßnahmen gegen eine Person oder Organisation – zumindest in gedrängter Form – die Gründe anzugeben, aus denen seiner Auffassung nach die Entscheidung des Drittstaats, auf die er sich stützen möchte, unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde. Um seiner Begründungspflicht zu genügen, muss der Rat daher in dem Beschluss, mit dem restriktive Maßnahmen verhängt werden, erkennen lassen, dass er geprüft hat, dass die Entscheidung des Drittstaats, auf die er diese Maßnahmen stützt, unter Wahrung der besagten Rechte ergangen ist (vgl. Urteile vom 11. September 2019, Azarov/Rat, T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82      Letztlich muss der Rat, wenn er den Erlass oder die Aufrechterhaltung restriktiver Maßnahmen wie derjenigen des vorliegenden Falles auf die Entscheidung eines Drittstaats stützt, ein Strafverfahren wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte durch die betroffene Person einzuleiten und durchzuführen, sich zum einen vergewissern, dass die Behörden des Drittstaats zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidung die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz der Person, gegen die das betreffende Strafverfahren geführt wird, gewahrt haben, und zum anderen in dem Beschluss, mit dem die restriktiven Maßnahmen verhängt werden, die Gründe nennen, die ihn zu der Annahme veranlassen, dass die Entscheidung des Drittstaats unter Beachtung dieser Rechte erlassen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2019, Azarov/Rat, T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577, Rn. 62, sowie vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83      Diese Rechtsprechungsgrundsätze bilden den Maßstab für die Feststellung, ob der Rat die entsprechenden Verpflichtungen eingehalten hat.

84      Vorab ist festzustellen, dass zwar der Rat in den angefochtenen Rechtsakten angegeben hat (vgl. oben, Rn. 36), aus welchen Gründen er der Ansicht war, dass die Entscheidung der ukrainischen Behörden, gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte und wegen Beihilfe hierzu einzuleiten und durchzuführen, unter Wahrung der Verteidigungsrechte des Klägers und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ergangen sei, dass aber gleichwohl zu prüfen ist, ob der Rat zu Recht von der Beachtung der genannten Rechte durch diese Behörden im Rahmen der den angefochtenen Rechtsakten zugrunde liegenden Verfahren ausgegangen ist.

85      Die Untersuchung der sachlichen Richtigkeit der Begründung, die zur materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Rechtsakte gehört und hier darin besteht, zu überprüfen, ob die vom Rat angeführten Punkte erwiesen und für den Nachweis geeignet sind, dass geprüft wurde, ob diese Rechte durch die ukrainischen Behörden gewahrt wurden, ist nämlich von der Frage der Begründung zu unterscheiden, bei der es sich um ein wesentliches Formerfordernis handelt und die nur das Gegenstück zur Pflicht des Rates darstellt, sich im Vorfeld der Wahrung der besagten Rechte zu vergewissern (vgl. Urteil vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

86      Mit den angefochtenen Rechtsakten wurden gegen den Kläger neue restriktive Maßnahmen auf der Grundlage des Aufnahmekriteriums verhängt, das in Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 in der durch den Beschluss 2015/143 präzisierten Fassung und in Art. 3 der Verordnung Nr. 208/2014 in der durch die Verordnung 2015/138 präzisierten Fassung genannt ist (siehe oben, Rn. 12 und 13). Nach diesem Kriterium werden die Gelder von Personen eingefroren, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, einschließlich der Personen, die Gegenstand von Untersuchungen der ukrainischen Behörden sind.

87      Der Rat stützte sich bei der Entscheidung, den Namen des Klägers auf der Liste zu belassen, auf den Umstand, dass der Kläger Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung seitens der ukrainischen Behörden wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte war, die durch die Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft, von denen der Kläger eine Kopie erhalten hatte, belegt gewesen sei (siehe oben, Rn. 33).

88      Die Aufrechterhaltung der gegen den Kläger erlassenen restriktiven Maßnahmen beruhte daher ebenso wie in den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat (C‑530/17 P, EU:C:2018:1031), vom 11. Juli 2019, Azarov/Rat (C‑416/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:602), und vom 11. September 2019, Azarov/Rat (T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577), sowie der Beschluss vom 22. Oktober 2019, Azarov/Rat (C‑58/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:890), ergangen sind, auf der Entscheidung der ukrainischen Behörden, strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen einer Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine oder wegen Beihilfe hierzu einzuleiten und durchzuführen.

89      Der Rat hat auch mit der Änderung des Anhangs des Beschlusses 2014/119 und des Anhangs I der Verordnung Nr. 208/2014 durch die angefochtenen Rechtsakte einen neuen Abschnitt angefügt, der vollständig den Verteidigungsrechten und dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewidmet ist und sich in zwei Teile gliedert.

90      Im ersten Teil findet sich ein einfacher allgemeiner Hinweis auf die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nach der Strafprozessordnung. Insbesondere wird zunächst auf die verschiedenen Verfahrensrechte verwiesen, die jeder Person, die in Strafverfahren verdächtigt oder angeklagt wird, gemäß Art. 42 der Strafprozessordnung zustehen. Sodann wird zum einen geschildert, dass nach Art. 306 der Strafprozessordnung Beschwerden gegen Entscheidungen, Maßnahmen oder Unterlassungen des Ermittlers oder des Staatsanwalts vom Untersuchungsrichter eines örtlichen Gerichts im Beisein des Beschwerdeführers oder seines Strafverteidigers oder rechtlichen Vertreters geprüft werden müssen. Zum anderen wird insbesondere angegeben, dass in Art. 309 der Strafprozessordnung die Entscheidungen der Untersuchungsrichter, gegen die Berufung eingelegt werden kann, festgelegt sind. Schließlich wird klargestellt, dass eine Reihe verfahrensrechtlicher Ermittlungsmaßnahmen – beispielsweise die Beschlagnahme von Eigentum und Inhaftierungsmaßnahmen – nur nach einer Entscheidung des Untersuchungsrichters oder eines Gerichts möglich sind.

91      Der zweite Teil des Abschnitts betrifft die Anwendung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz bei jeder der in der Liste aufgeführten Personen. Was genauer den Kläger betrifft, heißt es, dass ausweislich der Informationen in der Akte des Rates seine Verteidigungsrechte und sein Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in den Strafverfahren, auf die sich der Rat gestützt habe, gewahrt worden seien, was insbesondere durch die Entscheidungen des Untersuchungsrichters vom 16. August und 3. September 2018 sowie durch „eine Reihe von gerichtlichen Entscheidungen über die Beschlagnahme von Eigentum“ des Klägers belegt werde (vgl. oben, Rn. 36).

92      Im Schreiben vom 5. März 2019 (vgl. oben, Rn. 37) beschränkte sich der Rat zum einen auf den Hinweis, dass die Angaben der Generalstaatsanwaltschaft belegten, dass gegen den Kläger nach wie vor Strafverfahren in der Ukraine wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte und wegen Beihilfe dazu anhängig seien. Zum anderen führte der Rat zu den Verteidigungsrechten des Klägers und zu dessen Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Verfahren [vertraulich] aus, dass sich die Wahrung dieser Rechte daraus ergebe, dass die Entscheidungen des Untersuchungsrichters vom 16. August und 3. September 2018 nach einer mündlichen Verhandlung im Beisein der Verteidiger in öffentlicher Sitzung ergangen seien. In diesen Entscheidungen sei befunden worden, dass der Kläger ein Verdächtiger in dem fraglichen Strafverfahren sei, dass er zur Fahndung ausgeschrieben sei, dass die Anklage Belege für einen begründeten Verdacht beigebracht habe und dass Gründe für die Annahme bestünden, dass er sich vor den für die vorgerichtlichen Ermittlungen zuständigen Behörden versteckt halte.

93      Daraus folgt, dass das Verfahren [vertraulich], obwohl der Rat im Schreiben vom 5. März 2019 in allgemeiner Weise Strafverfahren gegen den Kläger in der Ukraine erwähnte, das einzige ist, für das er ausdrücklich bestätigt, die Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz des Klägers überprüft zu haben.

94      Allerdings bezieht sich der Rat im zweiten Teil des den Verteidigungsrechten und dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewidmeten Abschnitts der angefochtenen Rechtsakte (vgl. oben, Rn. 91) auch, wenngleich ganz allgemein, auf eine „Reihe von gerichtlichen Entscheidungen über die Beschlagnahme von Eigentum“ des Klägers.

95      Insoweit ist vorab festzustellen, dass der Rat nicht dartut, inwieweit all die genannten Entscheidungen Belege für die Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz des Klägers im Verfahren [vertraulich] wären. Dies gilt umso mehr für die Beschlagnahmen von Eigentum des Klägers, da zum einen der Rat nicht angibt, auf welche Entscheidungen er sich bezieht, und zum anderen aus den Angaben der Generalstaatsanwaltschaft nicht einmal hervorgeht, dass im Rahmen dieses Verfahrens Beschlagnahmen vorgenommen worden wären.

96      Wie oben in den Rn. 76 und 77 ausgeführt, war der Rat im vorliegenden Fall, bevor er die Aufrechterhaltung der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen beschloss, zu der Prüfung verpflichtet, ob die Entscheidung der ukrainischen Justizverwaltung, strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen einer vom Kläger begangenen Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte einzuleiten und durchzuführen, unter Wahrung der besagten Rechte des Klägers ergangen war.

97      Unter diesem Blickwinkel können die oben in Rn. 91 erwähnten gerichtlichen Entscheidungen nicht als die Aufrechterhaltung der restriktiven Maßnahmen rechtfertigende Entscheidungen, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und durchzuführen, eingeordnet werden. Gleichwohl kann zugestanden werden, dass in der Sache, da es sich um gerichtliche Entscheidungen handelt, zumindest die – in zeitlicher Hinsicht einschlägigen – Entscheidungen des Untersuchungsrichters vom 16. August und 3. September 2018 vom Rat de facto als tatsächliche Grundlage für die Aufrechterhaltung der in Rede stehenden Maßnahmen berücksichtigt wurden.

98      Es ist daher zu prüfen, ob der Rat zu Recht davon ausgehen konnte, dass diese beiden Entscheidungen sowie diejenigen über die Beschlagnahme von Eigentum des Klägers Belege für die Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz des Klägers waren.

99      Was als Erstes die Entscheidung des Untersuchungsrichters vom 3. September 2018 betrifft, so geht entgegen dem Vorbringen des Rates daraus nicht eindeutig hervor, dass die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz dem Kläger vorliegend gewährleistet wurden. Zwar wurde diese Entscheidung, wie vom Rat in seinem Schreiben vom 5. März 2019 betont (vgl. oben, Rn. 92), nach einer mündlichen Verhandlung im Beisein eines Vertreters der Verteidigung in öffentlicher Sitzung erlassen, doch geht aus den Aktenstücken nicht hervor, dass der Rat die Informationen, die ihm der Kläger in seinen Schreiben vom 30. November und 20. Dezember 2018 sowie in den Schreiben vom 14. und 31. Januar 2019 übermittelt hatte, tatsächlich berücksichtigt hätte.

100    Der Kläger hatte nämlich unter Vorlage entsprechender Dokumente geltend gemacht, dass sein Name nicht in der von der Internationalen kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) aufgestellten Liste der international gesuchten Personen (im Folgenden: Liste der von Interpol gesuchten Personen) geführt worden sei und dass zum einen die Voraussetzungen für die Zulassung des Verfahrens in Abwesenheit vorliegend nicht erfüllt gewesen seien und zum anderen in der Entscheidung des Untersuchungsrichters vom 3. September 2018 insoweit eine Verletzung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz liege, als dagegen kein Rechtsmittel habe eingelegt werden können, obwohl mehrere Prozessanträge der Verteidigung vom Untersuchungsrichter ohne wirkliche Begründung abgelehnt worden seien. Außerdem hatte er die Zuständigkeit der Generalstaatsanwaltschaft sowie im Wesentlichen die Unparteilichkeit des erkennenden Untersuchungsrichters in Abrede gestellt.

101    Insoweit ist erstens festzustellen, dass aus den Aktenstücken nicht hervorgeht, dass der Rat überprüft hätte, inwieweit eine Entscheidung wie diejenige, um die es hier geht, gegen die kein Rechtsmittel gegeben war, mit der Berufung auf die Vorschriften der Strafprozessordnung in Einklang zu bringen war, die in dem die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz betreffenden Abschnitt der angefochtenen Rechtsakte (vgl. oben, Rn. 90) ausdrücklich genannt werden und nach denen die verdächtigte Person namentlich das Recht hat, „Entscheidungen, Maßnahmen und Unterlassungen des Ermittlers, des Staatsanwalts und des Untersuchungsrichters anzufechten“ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 82).

102    Zweitens sind den Aktenstücken weder die Informationen, auf die sich der Untersuchungsrichter für die Annahme stützte, dass der Name des Klägers auf einer – nicht näher präzisierten – „Fahndungsliste“ geführt werde, noch die Gründe zu entnehmen, weshalb sich der Rat mit schlichten Behauptungen der Generalstaatsanwaltschaft und des Untersuchungsrichters zu diesem Punkt begnügte, obwohl ihm der Kläger Dokumente übermittelt hatte, die belegten, dass dessen Name seit dem 18. April 2017 nicht auf der Liste der von Interpol gesuchten Personen stand.

103    Im Übrigen ist der letztgenannte Aspekt bei der Beurteilung, ob die Verteidigungsrechte des Klägers und sein Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewahrt wurden, im Hinblick auf Art. 297 Abs. 4 der Strafprozessordnung nicht ohne Bedeutung, wonach der Eintrag in einer zwischenstaatlichen oder internationalen Fahndungsliste eine der beiden Voraussetzungen ist, die der Staatsanwalt nachzuweisen hat, wenn er die Zulassung eines Verfahrens in Abwesenheit beantragt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 87).

104    In seiner Entscheidung vom 3. September 2018 sprach der Untersuchungsrichter die beiden Voraussetzungen auch an, ohne sich jedoch ausdrücklich zu derjenigen zu äußern, die sich auf den Eintrag des Namens des Klägers in einer solchen Liste bezieht. Zur Generalstaatsanwaltschaft ist festzustellen, dass sie sich in ihrem Schreiben vom 22. November 2018 auf die Angabe beschränkte, dass der Name des Klägers [vertraulich] aufgenommen worden sei [vertraulich].

105    Das Vorbringen des Rates in der mündlichen Verhandlung, dass die Dokumente von Interpol nicht relevant gewesen seien, da sie sich auf das [vertraulich] Verfahren [vertraulich] und nicht auf das Verfahren [vertraulich] bezogen hätten, kann diese Feststellungen nicht in Frage stellen. Die Angaben zum Eintrag des Namens des Klägers in einer „Fahndungsliste“ ermöglichten es dem Rat nämlich jedenfalls nicht, die Einhaltung der entsprechenden Voraussetzung seitens des Staatsanwalts und damit die Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz des Klägers durch den Untersuchungsrichter beim Erlass von dessen Entscheidung zu überprüfen (vgl. oben, Rn. 103). Im Übrigen fehlte in den [vertraulich] zum Verfahren [vertraulich] gemachten Angaben der Hinweis auf die Streichung des Namens des Klägers aus der Liste der von Interpol gesuchten Personen, und es war nur davon die Rede, dass sein Name am 12. Januar 2015 in diese Liste aufgenommen worden sei. Unter diesen Umständen durfte es der Rat nicht mit den entweder lakonischen oder ungenauen Angaben, die ihm vorlagen, bewenden lassen, sondern er hätte zumindest um Aufklärung bei den ukrainischen Behörden nachsuchen müssen.

106    Was als Zweites die – im Verfahren [vertraulich] ergangene – Entscheidung des Untersuchungsrichters vom 16. August 2018 betrifft, ist festzustellen, dass sie entgegen dem Vorbringen des Rates zum einen nach einer nicht öffentlichen Verhandlung ohne Beteiligung eines Vertreters der Verteidigung, aber im Beisein des Staatsanwalts erlassen wurde und dass zum anderen auch gegen sie kein Rechtsmittel seitens des Klägers gegeben war. Im Übrigen geht, obwohl der Kläger in seinem Schreiben vom 31. Januar 2019 Einwände vorgebracht hatte, aus den Aktenstücken nicht hervor, dass der Rat überprüft hätte, inwieweit diese Entscheidung, die von demselben Untersuchungsrichter erlassen wurde, der auch die Entscheidung vom 3. September 2018 erlassen hatte, mit der Beachtung der Vorschriften der Strafprozessordnung in Einklang zu bringen war, die in dem die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz betreffenden Abschnitt der angefochtenen Rechtsakte ausdrücklich genannt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 2020, Pshonka/Rat, T‑291/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:448, Rn. 75).

107    Insoweit ist das Vorbringen des Rates zurückzuweisen, wonach der Umstand, dass nach der Strafprozessordnung die Entscheidung des Untersuchungsrichters unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels getroffen werde, nicht die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle in einem späteren Stadium des Verfahrens ausschließe. Damit räumt der Rat nämlich implizit ein, dass die Entscheidungen des Untersuchungsrichters, die er in den angefochtenen Rechtsakten als Beleg für die Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz des Klägers genannt hat, an sich diese Wahrung nicht gewährleisten können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 2020, Pshonka/Rat, T‑291/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:448, Rn. 76).

108    Was als Drittes die gerichtlichen Entscheidungen über die Beschlagnahme von Eigentum des Klägers betrifft, ist vorab festzustellen, dass sich aus den Aktenstücken ergibt, dass das einzige Strafverfahren gegen den Kläger wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder, in dem solche Maßnahmen getroffen wurden, das Verfahren [vertraulich] ist. In der mündlichen Verhandlung hat der Rat auf eine Frage des Gerichts erklärt, dass er sich auch auf dieses Verfahren stützen wolle. Nach den Angaben [vertraulich] ist dieses Verfahren [vertraulich] bis zur Beantwortung der [Ersuchen, vertraulich] ausgesetzt [vertraulich].

109    Aus den Aktenstücken ergibt sich aber, dass diese Beschlagnahmeentscheidungen vom Untersuchungsrichter beim Gericht Petchersk zwischen Oktober 2014 und Februar 2016, d. h. lange vor Erlass der angefochtenen Rechtsakte, getroffen wurden. Daraus folgt, dass sie nicht angeführt werden können, um darzutun, dass die Entscheidung der ukrainischen Justizverwaltung, auf die sich der Rat stützen möchte, um die in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen gegen den Kläger für die Zeit von März 2019 bis März 2020 aufrechtzuerhalten, unter Wahrung der Verteidigungsrechte des Klägers und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 2020, Arbuzov/Rat, T‑289/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:445, Rn. 84). Im Übrigen hatte das Gericht bereits Gelegenheit, sich in der Rechtssache, in der das vom Rat nicht angefochtene Urteil vom 11. September 2019, Azarov/Rat (T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577, Rn. 54, 72 und 73), ergangen ist, zu eben diesen Entscheidungen zu äußern und befand, dass sie nicht für den Nachweis geeignet waren, dass die besagten Rechte des Klägers im Rahmen des betreffenden Verfahrens gewahrt worden waren.

110    Jedenfalls ist auch darauf hinzuweisen, dass sich alle vorstehend genannten gerichtlichen Entscheidungen in den Rahmen der Strafverfahren, die der Rechtfertigung der Aufnahme des Namens des Klägers in die Liste und seiner Beibehaltung darauf dienen, einfügen und wegen ihres Charakters als vorläufige oder Verfahrensentscheidungen lediglich Zwischenentscheidungen in diesen Verfahren sind. Solche Entscheidungen, die allenfalls zum Nachweis des Bestehens einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage dienen können, nämlich der Tatsache, dass der Kläger dem Aufnahmekriterium entsprechend Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte und wegen Beihilfe dazu war, sind wesensmäßig für sich allein nicht geeignet, zu belegen, dass die Entscheidung der ukrainischen Justizverwaltung, die betreffenden Strafverfahren einzuleiten und durchzuführen, auf der im Wesentlichen die Aufrechterhaltung der restriktiven Maßnahmen gegen den Kläger beruht, unter Wahrung von dessen Verteidigungsrechten und dessen Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz getroffen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2019, Azarov/Rat, T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577, Rn. 73, und vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 92).

111    Im Übrigen führt der Rat kein Belegstück in der Akte des Verfahrens, das zum Erlass der angefochtenen Rechtsakte geführt hat, an, aus dem sich ergäbe, dass er die genannten Entscheidungen der ukrainischen Gerichte geprüft hat und aus ihnen den Schluss ziehen durfte, dass die Verfahrensrechte des Klägers in ihrem Wesensgehalt gewahrt wurden.

112    Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass der Rat verpflichtet war, eine solche Überprüfung unabhängig von jedem Beweis durchzuführen, den der Kläger für eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz im vorliegenden Fall vorgelegt hat, da das bloße Bestehen von Bestimmungen der Strafprozessordnung nicht ausreicht, um für sich genommen die Wahrung dieser Rechte durch die ukrainische Justizverwaltung nachzuweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2019, Klyuyev/Rat, T‑305/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:506, Rn. 72).

113    Im Übrigen erläutert der Rat auch nicht, wie insbesondere das Vorliegen der gerichtlichen Entscheidungen über die Beschlagnahme von Eigentum des Klägers die Annahme zulässt, dass der Schutz der fraglichen Rechte gewährleistet war, während sich, wie vom Kläger mehrfach in den Schreiben an den Rat geltend gemacht, zumindest das ursprünglich im Jahr 2014 eingeleitete (vgl. oben, Rn. 105) und derzeit ausgesetzte Verfahren [vertraulich] noch im Stadium der vorgerichtlichen Ermittlungen befand und die betreffende Rechtssache trotz des Erlasses einer Entscheidung des Gerichts Petchersk vom 31. Mai 2017, mit der die Generalstaatsanwaltschaft ermächtigt wurde, das Verfahren in Abwesenheit des Betroffenen durchzuführen, einem ukrainischen Gericht nicht in der Sache, sondern allenfalls nur im Hinblick auf Verfahrensfragen unterbreitet worden war (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Juni 2018, Arbuzov/Rat, T‑258/17, EU:T:2018:331, Rn. 98).

114    Art. 47 Abs. 2 der Charta, der den Maßstab darstellt, anhand dessen der Rat die Wahrung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz beurteilt, sieht aber vor, dass jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird (vgl. Urteil vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung).

115    Soweit die Charta Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, wie beispielsweise Rechte im Sinne des Art. 6 EMRK, haben diese nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird (Urteil vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 97).

116    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der EGMR bei der Auslegung von Art. 6 EMRK zum einen festgestellt hat, dass der Grundsatz einer angemessenen Frist u. a. bezweckt, die beschuldigte Person vor einer überlangen Verfahrensdauer zu schützen und zu verhindern, dass sie zu lange über ihr Schicksal im Ungewissen gelassen wird, sowie Verzögerungen zu vermeiden, die geeignet sind, die Effizienz und die Glaubwürdigkeit der Rechtspflege zu beeinträchtigen (vgl. EGMR, Urteil vom 7. Juli 2015, Rutkowski u. a./Polen, CE:ECHR:2015:0707JUD007228710, § 126 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zum anderen hat der EGMR geurteilt, dass ein Verstoß gegen diesen Grundsatz insbesondere dann festgestellt werden kann, wenn die Ermittlungsphase eines Strafverfahrens durch eine Reihe von Zeiträumen der Untätigkeit gekennzeichnet ist, die den für die Ermittlungen zuständigen Behörden zuzurechnen sind (vgl. in diesem Sinne EGMR, Urteile vom 6. Januar 2004, Rouille/Frankreich, CE:ECHR:2004:0106JUD005026899, §§ 29 bis 31, vom 27. September 2007, Reiner u. a./Rumänien, CE:ECHR:2007:0927JUD000150502, §§ 57 bis 59, und vom 12. Januar 2012, Borisenko/Ukraine, CE:ECHR:2012:0112JUD002572502, §§ 58 bis 62).

117    Ferner geht aus der Rechtsprechung hervor, dass der Rat, wenn eine Person wegen im Wesentlichen ein und desselben von der Generalstaatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahrens seit mehreren Jahren restriktiven Maßnahmen unterliegt, verpflichtet ist, sich vertieft mit der Frage zu beschäftigen, ob die ukrainischen Behörden möglicherweise die Grundrechte dieser Person verletzt haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2019, Azarov/Rat, T‑286/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:577, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

118    Daher hätte der Rat im vorliegenden Fall zumindest angeben müssen, aus welchen Gründen er entgegen dem Vorbringen des Klägers davon ausgehen konnte, dass dessen Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz vor der ukrainischen Justizverwaltung, bei dem es sich ersichtlich um ein Grundrecht handelt, in Bezug auf die Frage, ob seine Sache innerhalb einer angemessenen Frist verhandelt worden war, gewahrt wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).

119    Aus den Aktenstücken kann daher nicht der Schluss gezogen werden, dass der Rat aufgrund der Informationen, über die er beim Erlass der angefochtenen Rechtsakte verfügte, überprüfen konnte, ob die Entscheidung der ukrainischen Justizverwaltung unter Wahrung der Rechte des Klägers auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und auf Verhandlung seiner Sache innerhalb einer angemessenen Frist ergangen war.

120    Im Übrigen hat zwar nach gefestigter Rechtsprechung der Rat oder der Unionsrichter, wenn es um den Erlass eines Beschlusses über das Einfrieren von Geldern wie desjenigen geht, der den Kläger betrifft, nicht die Begründetheit der Ermittlungen in der Ukraine gegen die von diesen Maßnahmen betroffene Person zu prüfen, sondern nur die Begründetheit des Beschlusses über das Einfrieren der Gelder anhand des oder der Dokumente, auf die dieser Beschluss gestützt worden ist, doch kann diese Rechtsprechung nicht dahin ausgelegt werden, dass der Rat nicht verpflichtet wäre, zu prüfen, ob die Entscheidung des Drittstaats, auf die er den Erlass restriktiver Maßnahmen stützen möchte, unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juni 2020, Klymenko/Rat, T‑295/19, EU:T:2020:287, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung).

121    Schließlich ist das in der mündlichen Verhandlung wiederholte Vorbringen des Rates zurückzuweisen, wonach es ihm im Wesentlichen nicht zukomme, die Entscheidungen der ukrainischen Gerichte in Frage zu stellen, für die – auch aufgrund der zwischen der Union und der Ukraine bestehenden Übereinkommen zur Zusammenarbeit und Unterstützung im Bereich der Justiz – eine Art Rechtmäßigkeitsvermutung gelte. Zwar können nämlich, wie oben in Rn. 110 ausgeführt, solche Entscheidungen zur Bildung einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage für den Erlass der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen beitragen, doch bedeutet dies nicht, dass der Rat von seiner Pflicht befreit wäre, zu prüfen, ob die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz der von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Person im Hinblick auf die gerichtliche Tätigkeit gewahrt wurden. Dies gilt umso mehr, wenn wie im vorliegenden Fall die von diesen Maßnahmen betroffene Person Zweifel an der Wahrung ihrer Rechte im Zusammenhang mit dem Erlass der gerichtlichen Entscheidungen, auf die sich der Rat zu stützen beabsichtigte, hat aufkommen lassen. Jedenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Rat vor allem in Anbetracht der Stellungnahme des Klägers gehalten ist, die ukrainischen Behörden um nähere Informationen zur Wahrung der besagten Rechte zu ersuchen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2018, Klyuyev/Rat, T‑731/15, EU:T:2018:90, Rn. 240), was vorliegend nicht geschehen ist.

122    Nach alledem ist nicht erwiesen, dass sich der Rat vor Erlass der angefochtenen Rechtsakte vergewissert hat, dass die ukrainische Justizverwaltung in den Strafverfahren, auf die er sich gestützt hat, die Verteidigungsrechte des Klägers und dessen Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewahrt hat. Folglich ist dem Rat bei seiner Entscheidung, den Namen des Klägers auf der Liste zu belassen, ein Beurteilungsfehler unterlaufen.

123    Unter diesen Umständen sind die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären, soweit sie den Kläger betreffen, und dessen Antrag auf prozessleitende Maßnahmen kann dahingestellt bleiben.

 Kosten

124    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Klägers die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss (GASP) 2019/354 des Rates vom 4. März 2019 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine und die Durchführungsverordnung (EU) 2019/352 des Rates vom 4. März 2019 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine werden für nichtig erklärt, soweit der Name von Herrn Mykola Yanovych Azarov auf der Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, auf die diese restriktiven Maßnahmen Anwendung finden, belassen wurde.

2.      Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten.

Spielmann

Spineanu-Matei

Mastroianni

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Dezember 2020.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Deutsch.


1 Nicht wiedergegebene vertrauliche Angaben.