Language of document : ECLI:EU:T:2020:623

(Rechtssache T207/18)

(Auszugsweise Veröffentlichung)

PlasticsEurope

gegen

Europäische Chemikalienagentur

 Urteil des Gerichts (Achte Kammer) vom 16. Dezember 2020

„REACH – Festlegung einer Liste der für eine Aufnahme in Anhang XIV der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 in Frage kommenden Stoffe – Ergänzung der Eintragung des Stoffes Bisphenol A in diese Liste – Art. 57 und 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – ‚Beweiskraft der Daten‘-Ansatz – Explorative Studien – Verwendungen als Zwischenprodukt – Verhältnismäßigkeit“

1.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Ermessen der Unionsbehörden – Umfang – Pflicht der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), die derzeit laufenden Studien zu berücksichtigen – Fehlen

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 57, Art. 58 Abs. 8 und Art. 59)

(vgl. Rn. 52-54)

2.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Ermessen der Unionsbehörden – Umfang – Stoffe mit endokrinen Eigenschaften und wahrscheinlich schwerwiegenden Wirkungen auf die Umwelt – „Beweiskraft-der-Daten“-Ansatz – Möglichkeit der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), nicht relevante Studien außer Acht zu lassen

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 57 und 59 und Anhang XI)

(vgl. Rn. 62-64)

3.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Stoffe mit endokrinen Eigenschaften und wahrscheinlich schwerwiegenden Wirkungen auf die Umwelt – „Beweiskraft-der-Daten“-Ansatz – Berücksichtigung nicht standardisierter oder Sondierungsstudien – Zulässigkeit – Anwendung des Vorsorgegrundsatzes

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 13 Abs. 3, 57 Buchst. f und 59 Abs. 3, Anhänge XI und XV)

(vgl. Rn. 76-83, 88, 89)

4.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Ermessen der Unionsbehörden – Umfang – Gerichtliche Überprüfung – Grenzen

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 57 und 59)

(vgl. Rn. 94)

5.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Stoffe mit endokrinen Eigenschaften und wahrscheinlich schwerwiegenden Wirkungen auf die Umwelt – „Beweiskraft-der-Daten“-Ansatz – Gewichtung der Daten anhand ihrer wissenschaftlichen Zuverlässigkeit – Beachtung des Grundsatzes der höchsten Fachkompetenz

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 57 Buchst. f und Anhang XI)

(vgl. Rn. 102, 104, 107, 187, 188)

6.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Stoffe mit endokrinen Eigenschaften und wahrscheinlich schwerwiegenden Wirkungen auf die Umwelt – Beweismaß

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 57 Buchst. f)

(vgl. Rn. 198-200, 205, 207, 208)

7.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Stoffe mit endokrinen Eigenschaften und wahrscheinlich schwerwiegenden Wirkungen auf die Umwelt – Bestimmung, wie besorgniserregend ein Stoff ist

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 57 Buchst. f)

(vgl. Rn. 217-229)

Zusammenfassung

Mit dem Beschluss ED 01/2018 vom 3. Januar 2018 ergänzte die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) den bestehenden Eintrag für Bisphenol A in die Liste der für eine Aufnahme in Anhang XIV der Verordnung Nr. 1907/2006(1) in Frage kommenden Stoffe dahin, dass dieser Stoff als endokriner Disruptor mit wahrscheinlich schwerwiegenden Wirkungen auf die Umwelt im Sinne von Art. 57 Buchst. f der Verordnung eingestuft wurde.

PlasticsEurope ist ein internationaler Fachverband, der die Interessen seiner Mitglieder vertritt und verteidigt, die aus Unternehmen bestehen, die Kunststoffe herstellen und einführen. Fünf von ihnen spielen eine aktive Rolle beim Vertrieb von Bisphenol A auf dem Markt der Europäischen Union. Dieser Verband erhob gegen den Beschluss der ECHA Klage, in der er u. a. das Vorliegen mehrerer offensichtlicher Beurteilungsfehler bei der Ermittlung von Bisphenol A als besonders besorgniserregendem Stoff gemäß Art. 57 Buchst. f der Verordnung Nr. 1907/2006 geltend machte.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen und u. a. entschieden, dass die ECHA den „Beweiskraft-der-Daten“-Ansatz korrekt angewandt hat. Dieses Urteil ergänzt die auf das Urteil PlasticsEurope/ECHA (T‑636/17)(2) zurückgehende Rechtsprechung.

Würdigung durch das Gericht

Erstens hat das Gericht entschieden, dass die ECHA keinen offensichtlichen Fehler bei der Würdigung der zur Ermittlung von Bisphenol A als endokrinem Disruptor, der wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die Umwelt hat, für maßgeblich erachteten Beweise begangen hat.

Zum einen hat das Gericht festgestellt, dass die Ermittlung des Stoffes als besonders besorgniserregend unter Rückgriff auf den „Beweiskraft-der-Daten“-Ansatz erfolgt ist. Das Gericht hat klargestellt, dass dieser Ansatz und das der ECHA bei der Ermittlung besonders besorgniserregender Stoffe zustehende Ermessen bedeuten, dass sie Studien, die sie für nicht relevant hält, außer Acht lassen kann. Ein offensichtlicher Beurteilungsfehler kann nämlich nur dann festgestellt werden, wenn die ECHA zu Unrecht eine zuverlässige Studie völlig missachtet hätte, bei deren Berücksichtigung sich die Gesamtwürdigung der Beweise derart geändert hätte, dass der endgültige Beschluss nicht mehr plausibel gewesen wäre. Das ist vorliegend aber nicht der Fall.

Zum anderen hat das Gericht darauf hingewiesen, dass es der ECHA nicht grundsätzlich untersagt ist, „nicht standardisierte“ oder „Sondierungsstudien“ zu berücksichtigen, um im Rahmen des „Beweiskraft-der-Daten“-Ansatzes Schlussfolgerungen zu untermauern, die sie aus standardisierten Studien gezogen hat. Außerdem würde eine Vorgehensweise, bei der die Verwendung solcher Studien generell ausgeschlossen wäre, es unmöglich machen, Stoffe zu ermitteln, die ein Risiko für die Umwelt darstellen, was dem Vorsorgeprinzip, auf dem diese Verordnung beruht, zuwiderliefe.

Zweitens hat das Gericht festgestellt, dass die ECHA auch keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie Bisphenol A als einen endokrinen Disruptor mit wahrscheinlich schwerwiegenden Wirkungen auf die Umwelt ermittelt hat, die ebenso besorgniserregend sind wie die Wirkungen anderer in Art. 57 Buchst. a bis e der Verordnung Nr. 1907/2006 aufgeführter Stoffe.

Was zunächst die Bewertung der Daten betrifft, hat das Gericht festgestellt, dass die ECHA eine transparente und systematische Methodik angewandt und den Grundsatz der höchsten Fachkompetenz beachtet hat. Sie hat die aus zahlreichen wissenschaftlichen Studien gewonnenen Daten gewichtet und dabei die wissenschaftliche Zuverlässigkeit jeder Studie berücksichtigt. Das Gericht hat festgestellt, dass die ECHA auf der Grundlage der Beweiskraft dieser Daten ihre Schlussfolgerungen bezüglich der inhärenten Eigenschaften von Bisphenol A als endokrinem Disruptor treffen konnte.

Sodann hat das Gericht das Vorbringen zurückgewiesen, die ECHA habe nicht nachgewiesen, dass wissenschaftlich erwiesen sei, dass Bisphenol A wegen seiner endokrinschädlichen Eigenschaften wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die Umwelt im Sinne von Art. 57 Buchst. f der Verordnung Nr. 1907/2006 habe. Hierzu weist das Gericht darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein endokriner Disruptor schädliche Wirkungen auf die Umwelt haben kann, ausreicht, um einen ursächlichen Zusammenhang im Sinne dieses Artikels(3), der keinen absoluten Beweis des Kausalzusammenhangs verlangt(4), festzustellen. Nach der Prüfung der verwendeten Methode hat das Gericht die Schlussfolgerung der ECHA bestätigt, dass ein plausibler biologischer Zusammenhang zwischen der endokrinen Wirkungsweise von Bisphenol A und den schwerwiegenden Wirkungen auf die Umwelt besteht. Somit hat es festgestellt, dass die ECHA das erforderliche Beweismaß nicht verkannt hat.

Was schließlich die Bestimmung des gleichen Grades der Besorgnis gemäß Art. 57 Buchst. f der Verordnung Nr. 1907/2006 betrifft, hat das Gericht darauf hingewiesen, dass dieser Artikel kein Kriterium festlegt und keine genaue Angabe hinsichtlich der Art der Besorgnis enthält, die bei der Ermittlung eines Stoffes wie des in Rede stehenden berücksichtigt werden kann. Das Gericht hat ausgeführt, dass der ECHA nicht vorgeworfen werden kann, dass sie den durch die Wirkungen von Bisphenol A hervorgerufenen Grad der Besorgnis begründet hat, indem sie sich dabei auf die Unsicherheiten berufen hat, die sie hinsichtlich der Bestimmung eines Grenzwerts für eine unbedenkliche Bisphenol A-Exposition festgestellt hat. Daher hat das Gericht festgestellt, dass PlasticsEurope nicht dargetan hat, inwiefern die ECHA einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen haben soll.



1      Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. 2006, L 396, S. 1).


2      Im Urteil vom 20. September 2019, PlasticsEurope/ECHA (T‑636/17, EU:T:2019:639), hat das Gericht die Klage von PlasticsEurope gegen den Beschluss der ECHA zur Ergänzung des bestehenden Eintrags von Bisphenol A in die Liste der für eine Aufnahme in Anhang XIV der Verordnung Nr. 1907/2006 in Frage kommenden Stoffe insoweit abgewiesen, als dieser Stoff als endokriner Disruptor ermittelt wurde, der wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit hat.


3      Urteil des Gerichts vom 11. Mai 2017, Deza/ECHA (T‑115/15, EU:T:2017:329, Rn. 173).


4      Urteil des Gerichts vom 20. September 2019, PlasticsEurope/ECHA, T‑636/17, EU:T:2019:639, Rn. 94).