Language of document : ECLI:EU:T:2011:217

Rechtssache T‑299/08

Elf Aquitaine SA

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Natriumchloratmarkt – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen festgestellt wird – Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung – Verteidigungsrechte – Begründungspflicht – Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen – Grundsatz der Gesetzmäßigkeit von Strafen – Unschuldsvermutung – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Grundsatz der Rechtssicherheit – Ermessensmissbrauch – Geldbußen – Erschwerender Umstand – Abschreckung – Mildernder Umstand – Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens – Erheblicher Mehrwert“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien

(Art. 81 EG und 82 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

2.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt – Wahrung der Verteidigungsrechte – Tragweite

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 und 27 Abs. 1 Buchst. c)

3.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien

(Art. 81 Abs. 1 EG)

4.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit

(Art. 81 EG und 82 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

5.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien

(Art. 81 Abs. 1 EG)

6.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln – An mehrere Adressaten gerichtete Entscheidung – Notwendigkeit einer hinreichenden Begründung, insbesondere gegenüber der Einheit, der eine Zuwiderhandlung zuzurechnen ist

(Art. 81 Abs. 1 EG und 253 EG)

7.      Handlungen der Organe – Gültigkeitsvermutung – Entscheidung der Kommission, mit der einer Muttergesellschaft die von ihrer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht zugerechnet wird

(Art. 249 EG)

8.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Abschreckender Charakter

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 25 und 30)

9.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Nichtverhängung oder Herabsetzung einer Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens – Erforderlichkeit eines Verhaltens, das es der Kommission erleichtert hat, die Zuwiderhandlung festzustellen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18 und 23 Abs. 2; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission, Randnrn. 20, 21 und 23 Buchst. b)

10.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Ermessen der Kommission – Gerichtliche Nachprüfung – Befugnis des Unionsrichters zu unbeschränkter Nachprüfung

(Art. 229 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 31)

1.      Einer Muttergesellschaft kann das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft insbesondere dann zugerechnet werden, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die die beiden Rechtssubjekte verbinden. Dies liegt darin begründet, dass in einem solchen Fall die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit sind und damit ein einziges Unternehmen bilden, so dass die Kommission eine Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die Muttergesellschaft richten kann, ohne dass deren persönliche Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachzuweisen wäre.

In dem besonderen Fall, in dem eine Muttergesellschaft 100 % des Gesellschaftskapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen hat, kann zum einen die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten der Tochtergesellschaft ausüben und besteht zum anderen eine widerlegbare Vermutung, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt.

Unter diesen Umständen genügt es, dass die Kommission nachweist, dass die Muttergesellschaft das gesamte Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft hält, um anzunehmen, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik dieses Tochterunternehmens ausübt. Die Kommission kann in der Folge dem Mutterunternehmen als Gesamtschuldner die Haftung für die Zahlung der gegen dessen Tochterunternehmen verhängten Geldbuße zuweisen, sofern die vom Mutterunternehmen, dem es obliegt, diese Vermutung zu widerlegen, vorgelegten Beweise nicht für den Nachweis ausreichen, dass sein Tochterunternehmen auf dem Markt eigenständig auftritt.

Der Kommission obliegt es nämlich nicht, diese Vermutung der Ausübung eines bestimmenden Einflusses durch zusätzliche Indizien zu untermauern. Auch wenn eine frühere Entscheidungspraxis der Kommission darin bestanden haben sollte, diese Vermutung durch zusätzliche Indizien zu untermauern, kann sich eine solche Feststellung nicht auf das Ergebnis auswirken, wonach die Kommission ihre Vermutung, dass eine Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf ihr Tochterunternehmen ausübte, allein darauf stützen darf, dass die Muttergesellschaft nahezu das gesamte Gesellschaftskapital ihrer Tochtergesellschaft hielt.

(vgl. Randnrn. 49-52, 59)

2.      Die Wahrung der Verteidigungsrechte erfordert es, einem Unternehmen, das wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln belangt wird, im Verwaltungsverfahren vor der Kommission Gelegenheit zu geben, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission angeführten Tatsachen und Umstände sowie zu den Schriftstücken, auf die sie den Vorwurf einer Zuwiderhandlung gegen den Vertrag stützt, sachgerecht Stellung zu nehmen.

Die Verordnung Nr. 1/2003 sieht in Art. 27 Abs. 1 vor, dass den Beteiligten eine Mitteilung der Beschwerdepunkte übersandt wird, in der alle wesentlichen Tatsachen, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt, klar angegeben werden müssen, damit die Beteiligten von den Verhaltensweisen, die ihnen von der Kommission zur Last gelegt werden, tatsächlich Kenntnis erlangen können und sich wirksam verteidigen können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt.

Eine solche Mitteilung der Beschwerdegründe stellt eine Verfahrensgarantie dar, die Ausdruck eines tragenden Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts ist, dem zufolge die Verteidigungsrechte in allen Verfahren beachtet werden müssen. Dieser Grundsatz verlangt vor allem, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die die Kommission an ein Unternehmen richtet, gegen das sie eine Sanktion wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln zu verhängen beabsichtigt, die wesentlichen diesem Unternehmen zur Last gelegten Gesichtspunkte wie den ihm vorgeworfenen Sachverhalt, dessen Einstufung und die von der Kommission herangezogenen Beweismittel enthält, damit sich das Unternehmen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, das gegen es eingeleitet worden ist, sachgerecht äußern kann.

Insbesondere muss die Mitteilung der Beschwerdepunkte eindeutig angeben, gegen welche juristische Person Geldbußen festgesetzt werden könnten, sie muss an diese Person gerichtet sein, und sie muss angeben, in welcher Eigenschaft dieser Person die behaupteten Tatsachen zur Last gelegt werden. Durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte wird das betreffende Unternehmen nämlich über alle wesentlichen Gesichtspunkte informiert, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt. Folglich kann das betreffende Unternehmen seine Verteidigungsrechte erst nach Übersendung der Mitteilung umfassend geltend machen.

Somit stellt es, wenn die Kommission eine Muttergesellschaft in einer Mitteilung der Beschwerdepunkte über ihre Absicht informiert, ihr die Zuwiderhandlung ihrer Tochtergesellschaft auf der Grundlage der Vermutung der Ausübung eines bestimmenden Einflusses zuzurechnen, keine Verletzung der Verteidigungsrechte der Muttergesellschaft dar, dass die Kommission vor der Zustellung der Mitteilung der Beschwerdepunkte an sie keine Untersuchungsmaßnahmen gegen sie ergriffen hatte. Dieses Unternehmen hat insoweit Gelegenheit, sich im Verwaltungsverfahren zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte angeführten Tatsachen und Umstände sowohl durch seine Stellungnahme zu dieser Mitteilung als auch in der Anhörung durch den Anhörungsbeauftragten sachgerecht zu äußern.

(vgl. Randnrn. 134-140)

3.      Nach dem Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen darf eine natürliche oder juristische Person nur für ihr individuell zur Last gelegte Handlungen mit Sanktionen belegt werden. Dieser Grundsatz gilt in allen Verwaltungsverfahren, die zu Sanktionen gemäß den Wettbewerbsregeln führen können.

Dieser Grundsatz ist jedoch mit dem Unternehmensbegriff im Sinne von Art. 81 EG in Einklang zu bringen. Daher muss eine wirtschaftliche Einheit, wenn sie gegen die Wettbewerbsregeln verstößt, nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für diese Zuwiderhandlung einstehen.

Denn nicht ein zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft in Bezug auf die Zuwiderhandlung bestehendes Anstiftungsverhältnis und schon gar nicht eine Beteiligung Ersterer an dieser Zuwiderhandlung, sondern der Umstand, dass sie ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG darstellen, gibt der Kommission die Befugnis, die Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an das Mutterunternehmen einer Unternehmensgruppe zu richten.

Die Kommission verstößt daher nicht gegen den Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen, wenn sie gegen eine Muttergesellschaft wegen einer Zuwiderhandlung vorgeht, die ihr aufgrund ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zu ihrer Tochtergesellschaft, die es ihr erlaubten, deren Marktverhalten zu bestimmen, persönlich zur Last gelegt wird.

(vgl. Randnrn. 178-181)

4.      Aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit von Strafen folgt, dass das Gesetz die Straftaten und die für sie angedrohten Strafen klar definieren muss. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Rechtsunterworfene anhand des Wortlauts der einschlägigen Bestimmung und nötigenfalls mit Hilfe ihrer Auslegung durch die Gerichte erkennen kann, welche Handlungen und Unterlassungen seine strafrechtliche Verantwortung begründen.

Gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 kann die Kommission gegen Unternehmen, die u. a. gegen Art. 81 EG verstoßen, durch Entscheidung Geldbußen verhängen. Sofern eine Mutter- und ihre Tochtergesellschaft als ein Unternehmen im Sinne dieses Artikels anzusehen sind, kann die Kommission gegen die zu diesem Unternehmen gehörenden juristischen Personen eine Geldbuße verhängen, ohne gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit von Strafen zu verstoßen.

(vgl. Randnrn. 187-189)

5.      Der Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist

Bei einer Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße gegen eine Muttergesellschaft wegen eines von ihrer Tochtergesellschaft begangenen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln, die auf die Vermutung gestützt wird, wonach die Muttergesellschaft, die nahezu das gesamte Kapital der Tochtergesellschaft hält, bestimmenden Einfluss hat, verfügt die Kommission hinsichtlich der Frage, ob die Zuwiderhandlung der Muttergesellschaft zuzurechnen ist, über einen Ermessensspielraum.

Da für die Kommission, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen, die Möglichkeit, jedoch nicht die Verpflichtung besteht, der Muttergesellschaft eine Zuwiderhandlung zuzurechnen, impliziert folglich der bloße Umstand, dass sie eine solche Zurechnung in einer anderen Sache nicht vornahm, keine Verpflichtung der Kommission, in der angefochtenen Entscheidung die gleiche Beurteilung vorzunehmen. Eine solche Zurechnung unterliegt jedoch der Kontrolle durch die Unionsgerichte, deren Sache es ist, das Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Zurechnung zu überprüfen.

(vgl. Randnrn. 196-198)

6.      Die nach Art. 253 EG vorgeschriebene Begründung muss der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet.

Eine Entscheidung zur Anwendung von Art. 81 EG muss, wenn sie eine Mehrzahl von Adressaten betrifft und sich die Frage stellt, wem die Zuwiderhandlung zuzurechnen ist, im Hinblick auf jeden der Adressaten hinreichend begründet sein, insbesondere aber im Hinblick auf diejenigen, denen die Zuwiderhandlung in der Entscheidung zur Last gelegt wird. Somit muss die Entscheidung der Kommission, um in Bezug auf Muttergesellschaften von Tochtergesellschaften, die eine Zuwiderhandlung begangen haben, ausreichend begründet zu sein, eine eingehende Darstellung der Gründe enthalten, die die Zurechnung der Zuwiderhandlung an die Muttergesellschaft gerechtfertigt erscheinen lassen.

(vgl. Randnrn. 216-217)

7.      Für Entscheidungen der Kommission spricht eine Vermutung der Gültigkeit, und sie entfalten Rechtswirkungen, solange sie nicht für nichtig erklärt oder zurückgenommen worden sind. Die Kommission ist zudem nicht verpflichtet, ein gegen ein Unternehmen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln eingeleitetes Verfahren bis zur Entscheidung des Unionsrichters in einem Verfahren auszusetzen, in dem dasselbe Unternehmen gegen eine andere Entscheidung vorgeht, mit der es wegen anderer Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln belangt wurde. Die Kommission ist nämlich nach keiner gesetzlichen Bestimmung verpflichtet, den Erlass von andere Sachverhalte betreffenden Entscheidungen aufzuschieben.

(vgl. Randnr. 241)

8.      Im Rahmen der Befugnis der Kommission, gegen Unternehmen, die gegen Art. 81 EG verstoßen, Geldbußen zu verhängen, muss grundsätzlich die natürliche oder juristische Person, die das fragliche Unternehmen leitete, als die Zuwiderhandlung begangen wurde, für diese einstehen, auch wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung ergeht, mit der die Zuwiderhandlung festgestellt wird, eine andere Person für den Betrieb des Unternehmens verantwortlich ist. Für die Anwendung und den Vollzug von Entscheidungen der Kommission nach Art. 81 EG müssen diese jedoch an Einheiten mit Rechtspersönlichkeit adressiert werden. Somit muss die Kommission, wenn sie eine Entscheidung nach Art. 81 Abs. 1 EG erlässt, die Person oder die Personen – natürliche oder juristische – namhaft machen, die für das Verhalten des fraglichen Unternehmens verantwortlich gemacht werden kann oder können und gegen die deswegen Sanktionen verhängt werden können; gegen diese Personen ist die Entscheidung zu richten.

Die Leitlinien, die die Kommission für die Berechnung der Höhe der Geldbußen erlässt, schaffen Rechtssicherheit für die Unternehmen, da sie eine Regelung des Verfahrens enthalten, das sich die Kommission zur Festsetzung der Geldbußen auferlegt hat Die Verwaltung kann von ihnen im Einzelfall nicht ohne Angabe von Gründen abweichen, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind.

Im Fall von zwei Unternehmen, nämlich einer Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft, die bei der Begehung der Zuwiderhandlung ein Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG bildeten, aber zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der ihnen eine Geldbuße auferlegt wird, nicht mehr in dieser Form bestehen, kann die Kommission zum einen diesen beiden Unternehmen, die für die fragliche Zuwiderhandlung einstehen müssen, gemäß Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 als Gesamtschuldner eine Geldbuße auferlegen und zum anderen die Muttergesellschaft gesondert nach Ziff. 30 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1/2003 mit einem Aufschlag auf den Grundbetrag der Geldbuße belegen, da ihr Umsatz, der im Verhältnis zu den übrigen sanktionierten Einheiten zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung besonders hoch war, es ihr ermöglicht, die zur Zahlung der Geldbuße erforderlichen Mittel leichter aufzubringen.

Insoweit ist es nicht ungerecht, dass die zwecks Abschreckung gesondert der Muttergesellschaft auferlegte Geldbuße anhand des Grundbetrags der gegen beide Unternehmen als Gesamtschuldner verhängten Geldbuße berechnet wurde, der bereits einen besonderen Aufschlag zwecks Abschreckung enthält.

Die gegen beide Unternehmen als Gesamtschuldner verhängte Geldbuße entspricht nämlich dem Grundbetrag der Geldbuße, der einen zusätzlichen, nach einem bestimmten Anteil vom Umsatz der Tochtergesellschaft berechneten Aufschlag enthält, der gemäß Ziff. 25 der genannten Leitlinien dazu dienen soll, „die Unternehmen von vornherein von der Beteiligung an horizontalen Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen, Aufteilung von Märkten oder Mengeneinschränkungen abzuschrecken“.

Dagegen ist die gesondert der Muttergesellschaft auferlegte Geldbuße, die einen erheblichen Aufschlag auf den Grundbetrag der Geldbuße umfasst, gemäß Ziff. 30 der genannten Leitlinien darauf gerichtet, „dass die Geldbußen eine ausreichend abschreckende Wirkung entfalten“ in Bezug auf Unternehmen, die besonders hohe Umsätze mit Waren oder Dienstleistungen erzielt haben, die nicht mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehen.

Somit dienen der zusätzliche Betrag gemäß Ziff. 25 der genannten Leitlinien und der besondere Aufschlag, der gemäß Ziff. 30 dieser Leitlinien gegen die Muttergesellschaft verhängt wurde, zwei verschiedenen Abschreckungszielen, die die Kommission bei der Festsetzung der Geldbuße berücksichtigen kann.

(vgl. Randnrn. 250-253, 255-256, 288-289)

9.      Der Kommission steht hinsichtlich der Methode für die Berechnung von Geldbußen ein weites Ermessen zu; sie kann insoweit eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen, zu denen auch die Kooperationsbeiträge der betroffenen Unternehmen während der von den Dienststellen der Kommission durchgeführten Untersuchungen gehören. In diesem Rahmen muss die Kommission komplexe Tatsachenwürdigungen, wie die Würdigung der jeweiligen Kooperationsbeiträge dieser Unternehmen, vornehmen. Im Rahmen der Beurteilung der Zusammenarbeit der an einem Kartell Beteiligten kann nur ein offensichtlicher Beurteilungsfehler der Kommission beanstandet werden, da diese bei der Beurteilung der Qualität und der Nützlichkeit des Kooperationsbeitrags eines Unternehmens, insbesondere im Vergleich zu den Beiträgen anderer Unternehmen, über einen weiten Wertungsspielraum verfügt.

Die Kommission ist zwar verpflichtet, anzugeben, aus welchen Gründen sie der Ansicht ist, dass die von den Unternehmen im Rahmen der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen gemachten Angaben einen Beitrag darstellen, der eine Herabsetzung der festgesetzten Geldbuße rechtfertigt oder auch nicht, demgegenüber haben aber die Unternehmen, die die entsprechende Entscheidung der Kommission anfechten wollen, nachzuweisen, dass diese in Ermangelung derartiger, von diesen Unternehmen freiwillig gelieferter Angaben nicht in der Lage gewesen wäre, die wesentlichen Elemente der Zuwiderhandlung zu beweisen und somit eine Entscheidung über die Festsetzung von Geldbußen zu erlassen.

Die Ermäßigung von Geldbußen im Fall einer Zusammenarbeit von Unternehmen, die an Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht beteiligt waren, findet ihre Begründung in der Erwägung, dass eine derartige Zusammenarbeit die Aufgabe der Kommission erleichtert, die darauf abzielt, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festzustellen und dieser gegebenenfalls Einhalt zu gebieten Wegen dieses Geltungsgrundes der Ermäßigung kann die Kommission nicht die Nützlichkeit der vorgelegten Information unberücksichtigt lassen, die sich zwangsläufig nach dem Beweismaterial richtet, das sich bereits in ihrem Besitz befindet.

In Fällen, in denen ein Unternehmen bei der Kooperation nur bestimmte Aufschlüsse bestätigt, die ein anderes Unternehmen bei der Kooperation bereits gegeben hat, und dies zudem weniger genau und weniger explizit geschieht, kann der Mitwirkungsumfang dieses Unternehmens, selbst wenn er nicht eines gewissen Nutzens für die Kommission entbehren mag, nicht als gleich dem Ausmaß der Mitarbeit des Unternehmens angesehen werden, das die betreffenden Aufschlüsse als Erstes gegeben hat. Eine Erklärung, die in gewissem Umfang die der Kommission bereits vorliegenden Erklärungen erhärtet, erleichtert nämlich die Aufgabe der Kommission nicht nennenswert. Sie genügt deshalb nicht, um eine Herabsetzung der Geldbuße wegen Zusammenarbeit zu rechtfertigen. Zudem verleiht die Mitwirkung eines Unternehmens an der Untersuchung dann kein Recht auf eine Herabsetzung der Geldbuße, wenn diese Mitwirkung nicht über das hinausgegangen ist, wozu das Unternehmen nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 verpflichtet war.

(vgl. Randnrn. 340-344)

10.    Was die Nachprüfung wettbewerbsrechtlicher Entscheidungen der Kommission durch den Unionsrichter angeht, ermächtigt die nach Art. 229 EG dem Gericht durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 erteilte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung dieses, über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit hinaus, die nur die Zurückweisung der Nichtigkeitsklage oder die Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts ermöglicht, den angefochtenen Rechtsakt, auch ohne ihn für nichtig zu erklären, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände abzuändern und z. B. die Höhe der Geldbuße anders festzusetzen.

(vgl. Randnr. 379)