Language of document : ECLI:EU:T:2004:330

Rechtssache T‑402/02

August Storck KG

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM)

„Gemeinschaftsmarke – Bildmarke, die die Form einer zusammengedrehten Bonbonverpackung (Wicklerform) darstellt – Gegenstand der Anmeldung – Absolutes Eintragungshindernis – Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 40/94 – Durch Benutzung erworbene Unterscheidungskraft – Artikel 7 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 – Anspruch auf rechtliches Gehör – Artikel 73 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 – Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen – Artikel 74 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 40/94“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Markenfähige Zeichen – Grafische Darstellung einer Marke, insbesondere einer farbigen Marke – Anforderungen

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 4; Verordnung Nr. 2868/95 der Kommission, Artikel 1 Regel 3 Absatz 2)

2.      Gemeinschaftsmarke – Eintragungsverfahren – Rücknahme, Einschränkung und Änderung der Anmeldung – Erfordernis einer ausdrücklichen und unbedingten Erklärung – Erklärung, dass das Warenverzeichnis hilfsweise eingeschränkt werde – Keine Berücksichtigung

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 44 Absatz 1)

3.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken ohne Unterscheidungskraft – Bildmarke, die die Form einer zusammengedrehten Bonbonverpackung (Wicklerform) darstellt

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b)

4.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken ohne Unterscheidungskraft – Beurteilung durch das Amt – Für gängige Konsumartikel angemeldete Marke – Bezugnahme auf die übliche Praxis im Handel – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b)

5.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken ohne Unterscheidungskraft – Bildmarke, die die Form der Verpackung darstellt – Unterscheidungskraft – Beurteilungskriterien – Herstellungskosten der Form – Ausschluss

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b)

6.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Nicht unterscheidungskräftige, beschreibende oder übliche Marken – Ausnahme – Erwerb der Unterscheidungskraft durch Benutzung – Beurteilungskriterien

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 7 Absatz 3)

7.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Fehlende Unterscheidungskraft – Ausnahme – Erwerb durch Benutzung – Umfang – Marke, die in der gesamten Gemeinschaft keine Unterscheidungskraft hat – Erwerb durch Benutzung ebenfalls in der gesamten Gemeinschaft

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 7 Absatz 3)

8.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken ohne Unterscheidungskraft – Ausnahme – Erwerb durch Benutzung – Prüfung durch das Amt – Beschränkung auf die vom Anmelder angeführten Tatsachen und Beweismittel

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 7 Absatz 3 und 74 Absatz 1)

1.      Die grafische Darstellung einer Gemeinschaftsmarke im Sinne von Artikel 4 der Verordnung Nr. 40/94 und Regel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2868/95 muss es ermöglichen, das Zeichen insbesondere mit Hilfe von Figuren, Linien oder Schriftzeichen sichtbar so wiederzugeben, dass es genau identifiziert werden kann. Um ihre Funktion zu erfüllen, muss die grafische Darstellung klar, eindeutig, in sich abgeschlossen, leicht zugänglich, verständlich, dauerhaft und objektiv sein.

Diesen Anforderungen genügt etwa nicht ein bloßes Farbmuster, da es sich mit der Zeit verändern kann. Dagegen kann ein Farbmuster verbunden mit einer sprachlichen Beschreibung der Farbe eine grafische Darstellung sein, sofern die Beschreibung klar, eindeutig, in sich abgeschlossen, leicht zugänglich, verständlich und objektiv ist. Erfüllt ein Farbmuster in Verbindung mit einer sprachlichen Beschreibung nicht die an eine grafische Darstellung zu stellenden Voraussetzungen, insbesondere mangels Genauigkeit oder Dauerhaftigkeit, so kann dieser Mangel gegebenenfalls durch Hinzufügung der Bezeichnung der Farbe nach einem international anerkannten Kennzeichnungscode geheilt werden.

(vgl. Randnrn. 25-26)

2.      Wenn auch nach Artikel 44 Absatz 1 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke der Anmelder seine Anmeldung jederzeit zurücknehmen oder er das Waren‑ und Dienstleistungsverzeichnis jederzeit einschränken kann und somit nur er selbst durch einen jederzeit möglichen Antrag beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) zur Einschränkung des Waren‑ und Dienstleistungsverzeichnisses befugt ist, ist doch die Zurücknahme oder Einschränkung einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung oder die Einschränkung des darin enthaltenen Waren‑ und Dienstleistungsverzeichnisses ausdrücklich und unbedingt zu erklären.

Es kann daher nicht berücksichtigt werden, dass ein Anmelder im Rahmen seiner Beschwerde gegen die Zurückweisung seiner Anmeldung die Einschränkung des Waren‑ und Dienstleistungsverzeichnisses seiner Anmeldung nur hilfsweise für den Fall erklärt, dass die Beschwerdekammer eine Zurückweisung der Anmeldung für alle beanspruchten Waren beabsichtigt.

(vgl. Randnrn. 33-34)

3.      Ein Zeichen, das aus dem Erscheinungsbild einer goldfarbenen, zusammengedrehten Verpackung (Wicklerform) für Bonbons besteht und auch für „Bonbons“ in Klasse 30 des Nizzaer Abkommens angemeldet wurde, hat für diese Waren keine Unterscheidungskraft im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke, da sich diese zusammengedrehte Verpackung nicht wesentlich von den handelsüblichen Verpackungen der fraglichen Erzeugnisse, die als typische Verpackungen dieser Waren naheliegend sind, unterscheidet, so dass die charakteristischen Merkmale, die die Kombination der Form und der Farbe der angemeldeten Marke aufweist, nicht geeignet erscheint, von den maßgeblichen Verkehrskreisen als Hinweise auf die betriebliche Herkunft im Gedächtnis behalten zu werden.

(vgl. Randnrn. 57, 62)

4.      Für seine Beurteilung, dass eine für gängige Konsumartikel angemeldete Gemeinschaftsmarke keine originäre Unterscheidungskraft im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 besitzt, darf sich das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) auf die übliche Praxis im Handel mit diesen Waren beziehen, ohne für diese Praxis konkrete Beispiele anführen zu müssen. Denn das Amt darf seine Beurteilung auf Tatsachen stützen, die sich aus der allgemeinen praktischen Erfahrung im Handel mit gängigen Konsumartikeln ergeben, die jeder kennen kann und die insbesondere den Verbrauchern dieser Waren auch bekannt sind.

(vgl. Randnr. 58)

5.      Zu den maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung der Frage, ob ein als Gemeinschaftsmarke angemeldetes Bildzeichen, das aus der Darstellung einer Verpackungsform besteht, im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 Unterscheidungskraft hat, gehören nicht die Herstellungskosten der Verpackungsform. Hat nämlich eine Form keine Unterscheidungskraft, so kann sie diese auch nicht durch die Kosten ihrer Herstellung erwerben.

(vgl. Randnr. 59)

6.      Der Erwerb von Unterscheidungskraft durch Benutzung der Marke im Sinne von Artikel 7 Absatz 3 der Verordnung Nr. 40/94 setzt erstens voraus, dass zumindest ein erheblicher Teil der maßgeblichen Verkehrskreise die betreffenden Waren oder Dienstleistungen aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt. Jedoch können die Umstände, unter denen die Voraussetzung des Erwerbs von Unterscheidungskraft durch Benutzung als erfüllt anzusehen ist, nicht nur anhand von generellen und abstrakten Angaben, wie z. B. bestimmten Prozentsätzen, festgestellt werden.

Zweitens muss für die Zulassung einer Marke zur Eintragung nach Artikel 7 Absatz 3 der Verordnung Nr. 40/94 die durch ihre Benutzung erlangte Unterscheidungskraft in dem Teil der Europäischen Union nachgewiesen werden, in dem die Marke nach Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben b bis d der Verordnung nicht unterscheidungskräftig wäre.

Drittens sind für die Beurteilung, ob eine Marke im Einzelfall Unterscheidungskraft durch Benutzung erworben hat, Gesichtspunkte wie der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, die geografische Verbreitung und die Dauer ihrer Benutzung, der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke, der Anteil der beteiligten Verkehrskreise, der die Ware aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt, sowie Erklärungen von Industrie und Handelskammern oder anderen Berufsverbänden zu berücksichtigen.

Viertens ist die Unterscheidungskraft einer Marke einschließlich der durch ihre Benutzung erworbenen Unterscheidungskraft in Bezug auf die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet worden ist, sowie im Hinblick darauf zu beurteilen, wie ein normal informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die in Rede stehende Kategorie von Waren oder Dienstleistungen vermutlich wahrnimmt.

(vgl. Randnrn. 77-80)

7.      Eine Gemeinschaftsmarke, der das absolute Eintragungshindernis nach Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 in der gesamten Gemeinschaft entgegensteht, muss, um nach Artikel 7 Absatz 3 der Verordnung eintragbar zu sein, auch in der gesamten Gemeinschaft durch Benutzung Unterscheidungskraft erworben haben.

(vgl. Randnr. 86)

8.      Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Gemeinschaftsmarke gemäß Artikel 7 Absatz 3 der Verordnung Nr. 40/94 Unterscheidungskraft durch Benutzung erworben hat, braucht das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) Tatsachen, die eine durch Benutzung erlangte Unterscheidungskraft der Anmeldemarke begründen können, nur dann zu prüfen, wenn der Anmelder sie geltend gemacht hat.

Auch wenn es nämlich im Hinblick auf Artikel 7 Absatz 3 der Verordnung Nr. 40/94, anders als in Artikel 74 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung hinsichtlich der relativen Eintragungshindernisse vorgesehen, keine Regelung gibt, wonach die Prüfung des Amtes (d. h. des Prüfers oder gegebenenfalls der Beschwerdekammer) auf die von den Beteiligten vorgetragenen Tatsachen beschränkt ist, ist dem Amt die Prüfung einer durch Benutzung erlangten Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke doch faktisch unmöglich, wenn deren Anmelder diese nicht geltend macht.

(vgl. Randnr. 96)