Language of document : ECLI:EU:T:2005:298

Verbundene Rechtssachen T-49/02 bis T-51/02

Brasserie nationale SA (vormals Brasseries Funck-Bricher et Bofferding) u. a.

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Kartelle – Luxemburgischer Biermarkt – Geldbußen“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Abschluss von Kartellen, um Wirkungen von Rechtsvorschriften, die für allzu ungünstig gehalten werden, zu neutralisieren – Unzulässigkeit

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

2.      Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Rechtfertigung einer nach Artikel 81 Absatz 1 EG verbotenen Vereinbarung aufgrund einer Vernunftsregel (rule of reason) – Unzulässigkeit

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

3.      Wettbewerb – Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien – Wettbewerbswidriger Zweck – Feststellung ausreichend

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

4.      Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Begriff – Willensübereinstimmung bezüglich des künftigen Marktverhaltens – Ausdrucksform des Willens – Unerheblich

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

5.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Verpflichtung zur Abgrenzung des relevanten Marktes – Umfang

(Artikel 81 EG)

6.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Vorsätzliche Begehung – Begriff

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)

7.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Ermessen der Kommission – Gerichtliche Nachprüfung

(Artikel 229 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 17)

8.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Besonders schwerwiegende Zuwiderhandlungen – Aufteilung des Marktes – Abschottung des Marktes

(Artikel 81 Absatz 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

9.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Dauer der Zuwiderhandlungen – Vereinbarung, die unabhängig von ihren Wirkungen wegen ihres wettbewerbswidrigen Zweckes geahndet worden ist – Berücksichtigung der Dauer des Bestehens der Vereinbarung ungeachtet ihrer Nichtanwendung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

10.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Tatsächliche Nichtdurchführung einer Vereinbarung – Beurteilung anhand des individuellen Verhaltens jedes einzelnen Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Abschnitt 3)

1.      Es kann nicht hingenommen werden, dass Unternehmen die Wirkungen von Rechtsvorschriften, die sie für allzu ungünstig halten, unter dem Vorwand, dass durch sie ein Ungleichgewicht zu ihren Lasten geschaffen worden sei, zu neutralisieren versuchen, indem sie Kartelle abschließen, die diese Nachteile korrigieren sollen.

(vgl. Randnr. 81)

2.      Wenn feststeht, dass der Zweck einer Vereinbarung ihrer Natur nach auf eine Wettbewerbsbeschränkung, wie z. B. eine Aufteilung der Kunden, gerichtet ist, kann diese Vereinbarung gemäß einer Vernunftsregel (rule of reason) nicht deshalb aus dem Anwendungsbereich des Artikels 81 Absatz 1 EG herausfallen, weil mit ihr möglicherweise auch rechtmäßige Zwecke verfolgt werden.

(vgl. Randnr. 85)

3.      Soweit eine Vereinbarung zwischen Unternehmen bezweckt, den Wettbewerb zu beschränken, braucht nicht geprüft zu werden, ob sie auch eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt hat.

(vgl. Randnrn. 97, 140)

4.      Der Begriff der Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 EG ist durch das Vorliegen einer Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien gekennzeichnet, deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt.

(vgl. Randnr. 119)

5.      Die Kommission muss in einer Entscheidung nach Artikel 81 EG nur dann eine Abgrenzung des relevanten Marktes vornehmen, wenn ohne eine solche Abgrenzung nicht bestimmt werden kann, ob die Vereinbarung, der Beschluss der Unternehmensvereinigung oder die abgestimmte Verhaltensweise, um die es geht, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt.

(vgl. Randnr. 144)

6.      Für eine vorsätzlich begangene Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags ist es nicht erforderlich, dass sich das Unternehmen der Beschränkung des Wettbewerbs bewusst gewesen ist, sondern es genügt, dass es sich nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, dass das beanstandete Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte, und es kommt nicht darauf an, ob das Unternehmen sich der Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 EG bewusst war oder nicht.

(vgl. Randnr. 155)

7.      Die Schwere der Zuwiderhandlungen gegen das Gemeinschaftsrecht ist anhand zahlreicher Gesichtspunkte zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Sache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssen. Außerdem verfügt die Kommission bei der Festlegung der Höhe der Geldbußen im Rahmen der Verordnung Nr. 17 über ein Ermessen, um die Unternehmen dazu anhalten zu können, die Wettbewerbsregeln einzuhalten.

Das Gericht hat jedoch nachzuprüfen, ob der Betrag der festgesetzten Geldbuße in einem angemessenen Verhältnis zu Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung steht, und die Schwere der Zuwiderhandlung und die vom Kläger geltend gemachten Umstände gegeneinander abzuwägen. Die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 KS festgesetzten Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen greifen hierbei der Beurteilung der Geldbuße durch den Gemeinschaftsrichter, der insoweit nach Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hat, nicht vor.

(vgl. Randnrn. 169-170)

8.      Die Aufteilung und die Abschottung des Marktes gehören zu den schwersten Verstößen gegen Artikel 81 EG.

Was die Aufteilung des Marktes betrifft, so bilden derartige Kartelle Beispiele von Kartellen, die Artikel 81 Absatz 1 Buchstabe c EG ausdrücklich für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt. Sie sind denn auch als offenkundige Beschränkungen des Wettbewerbs angesehen worden.

Hinsichtlich der Abschottung des Gemeinsamen Marktes ist daran zu erinnern, dass eine solche offenkundige Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ihrer Natur nach besonders schwer wiegt. Sie läuft den grundlegenden Zielen der Gemeinschaft und insbesondere der Verwirklichung eines einheitlichen Marktes zuwider.

(vgl. Randnrn. 173-175)

9.      Wenn die Kommission nicht nachgewiesen hat, welche Wirkungen eine Vereinbarung hatte, und hierzu auch nicht verpflichtet war, weil mit der betreffenden Vereinbarung ein wettbewerbsbeschränkender Zweck verfolgt wurde, ist es für die Berechnung der Dauer des Verstoßes unerheblich, ob ein Gesichtspunkt dieser Vereinbarung ins Werk gesetzt worden ist oder nicht. Für die Berechnung der Dauer einer Zuwiderhandlung, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt, braucht nämlich nur bestimmt zu werden, wie lange die Vereinbarung bestanden hat, d. h. der Zeitraum von ihrem Abschluss bis zu ihrer Beendigung.

(vgl. Randnr. 185)

10.    Nummer 3 zweiter Gedankenstrich der gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 KS festgesetzten Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen ist nicht so auszulegen, dass sie den Fall betrifft, dass ein Kartell unabhängig vom Verhalten des jeweiligen Unternehmens insgesamt nicht angewandt wird, sondern dahin verstanden werden muss, dass sie auf einen im individuellen Verhalten des jeweiligen Unternehmens wurzelnden Umstand verweist.

(vgl. Randnr. 195)