Language of document : ECLI:EU:T:2021:792

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

17. November 2021(*)

„Unionsmarke – Anmeldung einer Unionsbildmarke, die rote Schnürsenkelenden darstellt – Zurückweisung der Anmeldung – Absolute Eintragungshindernisse – Fehlende Unterscheidungskraft – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001 – Im Wesentlichen identische frühere Anmeldung – Keine Rechtskraft – Begründungspflicht – Anspruch auf rechtliches Gehör – Art. 94 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 – Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen – Art. 95 der Verordnung 2017/1001“

In der Rechtssache T‑298/19,

Think Schuhwerk GmbH mit Sitz in Kopfing (Österreich), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Gail,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch D. Walicka, S. Hanne und M. Eberl als Bevollmächtigte,

Beklagter,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Fünften Beschwerdekammer des EUIPO vom 1. März 2019 (Sache R 1170/2018-5) über die Anmeldung eines Bildzeichens in Form roter Schnürsenkelenden als Unionsmarke

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin A. Marcoulli sowie der Richter S. Frimodt Nielsen (Berichterstatter) und R. Norkus,

Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 13. Mai 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 24. Juli 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

aufgrund des Antrags der Klägerin auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und des gemäß Art. 106 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, das mündliche Verfahren zu eröffnen,

aufgrund der am 9. März, 2. Juni, 29. September 2020 und 22. Februar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen Anträge der Klägerin, den Termin der mündlichen Verhandlung zu verlegen,

aufgrund der schriftlichen Fragen des Gerichts an die Parteien und deren Antworten hierauf, die am 17. April und am 4. Mai 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind,

aufgrund der am 26. und am 31. Mai 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Anträge der Klägerin, den Termin der mündlichen Verhandlung zu verlegen,

auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2021,

folgendes

Urteil

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 10. Mai 2010 meldete die Klägerin, die Think Schuhwerk GmbH, beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) die nachstehend wiedergegebene „sonstige“ Marke mit der Beschreibung „Schuhe mit Schnürsenkeln, an deren Schnürsenkelenden rote Nadeln angeordnet sind“ (im Folgenden: frühere Anmeldung) an:

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2        Die Marke wurde für folgende Waren in Klasse 25 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet: „Schuhwaren, insbesondere Schnürsenkel“.

3        Der Prüfer wies die frühere Anmeldung mit der Begründung zurück, die betreffende Marke besitze keine Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) (jetzt Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung [EU] 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke [ABl. 2017, L 154, S. 1]). Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Beschwerde ein.

4        Diese wurde mit Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer vom 23. Februar 2012 (Sache R 1552/2011-1) zurückgewiesen.

5        Gegen die Entscheidung der Beschwerdekammer vom 23. Februar 2012 erhob die Klägerin eine Klage, die mit Urteil vom 11. Juli 2013, Think Schuhwerk/HABM (Rote Schnürsenkelenden) (T‑208/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:376), abgewiesen wurde.

6        Das von der Klägerin gegen dieses Urteil eingelegte Rechtsmittel wurde mit Beschluss vom 11. September 2014, Think Schuhwerk/HABM (C‑521/13 P, EU:C:2014:2222), zurückgewiesen.

7        Am 26. Februar 2016 meldete die Klägerin nach der Verordnung Nr. 207/2009 (ersetzt durch die Verordnung 2017/1001) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eine Unionsmarke an.

8        Die Marke, deren Eintragung beantragt wurde, ist nachstehend wiedergegeben:

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9        In der Anmeldung ist die Marke wie folgt beschrieben:

„Es handelt sich bei der vorliegenden Marke um eine Positionsmarke. Markenschutz wird beansprucht für die auf dem Schuh angeordneten roten Schnürsenkelenden in Form von roten Nadeln (Farbton: Rot) (Pantoneton: 18-1658TCX Pompeian Red); sonstige in der bildlichen Darstellung erkennbare Formgebungen und/oder Gestaltungsmerkmale sind nicht Bestandteil dieser Marke.“

10      Die Marke wurde für folgende Waren in den Klassen 10 und 25 des Abkommens von Nizza angemeldet:

–        Klasse 10: „Orthopädische Schuhe, nämlich Schnürschuhe“;

–        Klasse 25: „Schuhwaren, nämlich Schnürschuhe“.

11      Am 10. November 2016 erhob der Prüfer gegen die Eintragung der Anmeldemarke Einwände mit der Begründung, dass sie keine Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 besitze. Die Klägerin beanstandete die vorläufige Beurteilung des Prüfers und machte geltend, dass die Marke Unterscheidungskraft durch Benutzung im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt Art. 7 Abs. 3 der Verordnung 2017/1001) erworben habe. Der Klägerin wurde daraufhin eine Frist von zwei Monaten zur Vorlage der erforderlichen Nachweise gewährt. Diese Frist wurde um zwei Monate verlängert.

12      Mit Entscheidung vom 24. April 2018 wies der Prüfer die Anmeldung der Marke auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 zurück. Er war ferner der Ansicht, dass die durch Benutzung erworbene Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 nicht nachgewiesen worden sei.

13      Am 20. Juni 2018 legte die Klägerin beim EUIPO nach den Art. 66 bis 71 der Verordnung 2017/1001 Beschwerde gegen die Entscheidung des Prüfers ein. Darin ersuchte die Klägerin die Beschwerdekammer u. a., ihr mitzuteilen, welche weiteren Unterlagen sie zum Nachweis der durch Benutzung erworbenen Unterscheidungskraft vorlegen müsse und ob eine Marktstudie erforderlich sei.

14      Mit Entscheidung vom 1. März 2019 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Fünfte Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde zurück. Insbesondere stellte die Beschwerdekammer fest, dass der Anmeldemarke die Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 fehle und dass der Nachweis des Erwerbs von Unterscheidungskraft durch Benutzung der Anmeldemarke im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung nicht erbracht worden sei.

15      In Rn. 42 der angefochtenen Entscheidung führte die Beschwerdekammer aus:

„In diesem Zusammenhang weist die Beschwerdekammer auch auf folgende [Entscheidungen] hin: [Beschluss vom 11. September 2014, Think Schuhwerk/HABM (C‑521/13 P, EU:C:2014:2222), und Urteil vom 11. Juli 2013, Think Schuhwerk/HABM (Rote Schnürsenkelenden), T‑208/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:376, Rn. 42 und 43]. Die dort relevante Positionsmarke beanspruchte Schutz für Schuhe mit Schnürsenkeln, an deren Schnürsenkelenden rote Nadeln angeordnet sind. Diese der verfahrensgegenständlichen Anmeldemarke zumindest stark ähnliche Marke wurde für ‚Schuhwaren, insbesondere Schnürsenkel‘ in Klasse 25 als nicht unterscheidungskräftig im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b [der Verordnung Nr. 207/2009] zurückgewiesen.“

II.    Anträge der Parteien

16      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

17      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

18      Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Gründe. Der erste Klagegrund, mit dem sie einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 rügt, gliedert sich in drei Teile, mit denen zwei Begründungsmängel, eine Verletzung des in Art. 76 der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt Art. 95 der Verordnung 2017/1001) enthaltenen Grundsatzes der Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen sowie der Umstand geltend gemacht werden, dass es der Anmeldemarke nicht an Unterscheidungskraft fehle. Mit dem zweiten Klagegrund rügt die Klägerin eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, da die Beschwerdekammer von ihrer Entscheidungspraxis abgewichen sei. Mit dem dritten Klagegrund wird eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach „Art. 75 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009“ (jetzt Art. 94 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung 2017/1001) gerügt.

19      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass der vorliegende Sachverhalt in Anbetracht des Zeitpunkts der fraglichen Anmeldung, nämlich der 26. Februar 2016, der für die Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts maßgeblich ist, unter die materiell-rechtlichen Vorschriften der Verordnung Nr. 207/2009 fällt (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 5. Oktober 2004, Alcon/HABM, C‑192/03 P, EU:C:2004:587, Rn. 39 und 40, sowie Urteil vom 23. April 2020, Gugler France/Gugler und EUIPO, C‑736/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:308, Rn. 3 und die dort angeführte Rechtsprechung). Darüber hinaus unterliegt, da nach ständiger Rechtsprechung bei Verfahrensvorschriften im Allgemeinen davon auszugehen ist, dass sie ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens Anwendung finden (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2012, Kommission/Spanien, C‑610/10, EU:C:2012:781, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung), der Rechtsstreit den verfahrensrechtlichen Bestimmungen der Verordnung 2017/1001, die während des laufenden Prüfungsverfahrens in Kraft getreten ist.

20      Folglich sind vorliegend, was die materiell-rechtlichen Vorschriften betrifft, die Bezugnahmen der Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung auf Art. 7 Abs. 1 und 3 der Verordnung 2017/1001 als Bezugnahme auf den gleichlautenden Art. 7 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 207/2009 zu verstehen. Was die vorliegend anwendbaren Verfahrensvorschriften betrifft, sind die Bezugnahmen der Klägerin auf Art. 75 Satz 2 bzw. Art. 76 der Verordnung Nr. 207/2009 als Bezugnahme auf die gleichlautenden Art. 94 Abs. 1 Satz 2 bzw. Art. 95 der Verordnung 2017/1001 zu verstehen.

A.      Zum ersten Klagegrund

21      Der erste Klagegrund gliedert sich in drei Teile. Die Klägerin macht erstens zwei Begründungsmängel der angefochtenen Entscheidung geltend. Zweitens habe die Beschwerdekammer den Grundsatz der Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen verkannt. Drittens fehle es der Anmeldemarke nicht an Unterscheidungskraft, und die Beschwerdekammer habe mit ihrer gegenteiligen Feststellung gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 verstoßen.

22      Das EUIPO hält den ersten Klagegrund für unzulässig. Über die Frage, ob die Anmeldemarke inhärente Unterscheidungskraft besitze, sei nämlich bereits bei der Prüfung der früheren Anmeldung entschieden worden (vgl. oben, Rn. 1 ff.) Die angefochtene Entscheidung habe daher rein bestätigenden Charakter. Folglich gingen die im Rahmen des ersten Klagegrundes erhobenen verfahrensrechtlichen Rügen (Begründungsmängel und fehlende Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen) ins Leere. Das EUIPO erhebt ferner eine Einrede der Unzulässigkeit, die auf das Fehlen eines spezifischen Vorbringens der Klägerin zu den Waren in Klasse 10 gestützt wird (siehe oben, Rn. 10). Das Gericht hält es für zweckmäßig, zunächst diese letztgenannte Einrede der teilweisen Unzulässigkeit zu prüfen.

1.      Zur Zulässigkeit des ersten Klagegrundes

a)      Zu den Waren in Klasse 10

23      Das EUIPO ist der Ansicht, die Klägerin habe die in Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung des Gerichts vorgesehenen Anforderungen an Klarheit und Genauigkeit der Klageschrift verkannt, da sie keine spezifischen Ausführungen zu orthopädischen Schuhen (in Klasse 10) im Vergleich zu Schuhwaren im Allgemeinen (in Klasse 25) gemacht habe.

24      Zwar hat die Beschwerdekammer bei der Bestimmung der maßgeblichen Verkehrskreise die Besonderheit von orthopädischen Schnürschuhen berücksichtigt (Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung), doch ist sie nicht davon ausgegangen, dass die Prüfung der Unterscheidungskraft des Anmeldezeichens unterschiedlich ausfallen müsse, je nachdem, ob sie sich auf orthopädische Schuhe oder auf Schuhwaren im Allgemeinen beziehe (Rn. 32 der angefochtenen Entscheidung). Unter diesen Umständen war die Klägerin auch nicht verpflichtet, zur Vermeidung der Unzulässigkeit ihrer Klage in Bezug auf orthopädische Schuhe spezielle Argumente zu diesen Waren vorzubringen. Im Übrigen kann das Fehlen solchen spezifischen Vorbringens nicht dahin ausgelegt werden, dass die Klägerin darauf verzichtet hätte, die angefochtene Entscheidung anzufechten, soweit mit ihr die Anmeldung für orthopädische Schuhe in Klasse 10 zurückgewiesen wird.

25      Daraus folgt, dass die vom EUIPO in Bezug auf orthopädische Schuhe erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen ist.

b)      Zum bestätigenden Charakter der angefochtenen Entscheidung und zur Rechtskraft

26      In seinen Schriftsätzen hat das EUIPO die Auffassung vertreten, die angefochtene Entscheidung bestätige die Entscheidung der Beschwerdekammer vom 23. Februar 2012, die aufgrund der Ab- bzw. Zurückweisung der gegen diese erste Entscheidung eingelegten gerichtlichen Rechtsbehelfe bestandskräftig geworden sei (vgl. oben, Rn. 1 ff.). Da die vorliegende Anmeldung denselben Gegenstand wie die frühere Anmeldung habe, sei die Klage gegen die angefochtene Entscheidung unzulässig.

27      In seiner Antwort auf die ihm hierzu in der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen hat das EUIPO eingeräumt, dass sich die Umstände des vorliegenden Falles von den Präzedenzfällen unterschieden, auf die es seine Argumentation in der Klagebeantwortung gestützt habe, da sich die angefochtene Entscheidung nicht darauf beschränke, ohne erneute Prüfung aller relevanten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte durch die Beschwerdekammer eine frühere Entscheidung zu übernehmen, die nicht innerhalb der Klagefrist angefochten worden sei. Dem EUIPO nach ist sein Vorbringen jedoch dahin zu verstehen, dass der Grundsatz der Rechtskraft der Zulässigkeit des dritten Teils des ersten Klagegrundes entgegenstehe.

28      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Rechtskraft eines Urteils der Zulässigkeit einer Klage entgegensteht, wenn die Klage, die zu dem fraglichen Urteil geführt hat, dieselben Parteien und denselben Gegenstand betraf und auf denselben Grund gestützt war (Urteile vom 19. September 1985, Hoogovens Groep/Kommission, 172/83 und 226/83, EU:C:1985:355, Rn. 9, vom 5. Juni 1996, NMB France u. a./Kommission, T‑162/94, EU:T:1996:71, Rn. 37, und vom 25. Juni 2010, Imperial Chemical Industries/Kommission, T‑66/01, EU:T:2010:255, Rn. 197).

29      Was die Voraussetzung betrifft, dass derselbe Gegenstand betroffen sein muss, so stellt der Rechtsakt, dessen Aufhebung beantragt wird, einen wesentlichen Gesichtspunkt dar (Urteile vom 27. Oktober 1987, Diezler u. a./WSA, 146/85 und 431/85, EU:C:1987:457, Rn. 14 bis 16, und vom 5. Juni 1996, NMB France u. a./Kommission, T‑162/94, EU:T:1996:71, Rn. 38). Jedoch genügt es für die Feststellung der fehlenden Identität des Gegenstands nicht, dass die Klagen gegen unterschiedliche, formell von der Verwaltung erlassene Entscheidungen gerichtet sind, wenn diese Entscheidungen im Wesentlichen denselben Inhalt haben und auf dieselben Gründe gestützt sind (Urteil vom 13. September 2011, Michail/Kommission, F‑100/09, EU:F:2011:132, Rn. 30, und Beschluss vom 27. Februar 2014, Walton/Kommission, F‑32/13, EU:F:2014:37, Rn. 41).

30      Wie die Klägerin hier in der mündlichen Verhandlung jedoch zutreffend ausgeführt hat, unterscheidet sich die vorliegende Anmeldung, über die die Beschwerdekammer mit der angefochtenen Entscheidung befunden hat, von der früheren Anmeldung, über die die Beschwerdekammer mit der Entscheidung vom 23. Februar 2012 befunden hat (siehe oben, Rn. 4), über deren Rechtmäßigkeit das Gericht mit Urteil vom 11. Juli 2013, Think Schuhwerk/HABM, Rote Schnürsenkelenden (T‑208/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:376), und der Gerichtshof mit Beschluss vom 11. September 2014, Think Schuhwerk/HABM (C‑521/13 P, EU:C:2014:2222) rechtskräftig entschieden haben – und zwar dadurch, dass die rote Farbe der Schnürsenkelenden in der vorliegenden Anmeldung genauer definiert wurde und sich die von dieser Anmeldung erfassten Waren von denen unterscheiden, die von der früheren Anmeldung erfasst waren (vgl. oben, Rn. 1, 2, 8, 9 und 10).

31      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die vorliegende Klage und die früheren Rechtsbehelfe, über die mit den oben in Rn. 30 genannten Entscheidungen entschieden wurde, nicht denselben Gegenstand betreffen. Daher ist die vom EUIPO gegen den dritten Teil des ersten Klagegrundes erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.

2.      Zur Begründetheit des ersten Klagegrundes

32      Zunächst ist der dritte Teil des ersten Klagegrundes zu prüfen, mit dem die Klägerin geltend macht, die Beschwerdekammer habe gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 verstoßen, indem sie die Unterscheidungskraft der Anmeldemarke zu Unrecht verneint habe.

a)      Zum dritten Teil des ersten Klagegrundes

33      Gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 sind Marken, die keine Unterscheidungskraft haben, von der Eintragung ausgeschlossen.

34      Die Unterscheidungskraft einer Marke im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 besagt, dass die Marke geeignet ist, die Ware, für die die Eintragung beantragt wurde, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (Urteile vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 34, sowie vom 11. Juli 2013, Think Schuhwerk/HABM, Rote Schnürsenkelenden, T‑208/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:376, Rn. 31).

35      Die Unterscheidungskraft einer Marke ist zum einen im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie angemeldet worden ist, und zum anderen im Hinblick auf ihre Wahrnehmung durch die maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen (Urteile vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 35, sowie vom 22. Juni 2006, Storck/HABM, C‑25/05 P, EU:C:2006:422, Rn. 25).

36      Die Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise kann durch die Art des Anmeldezeichens beeinflusst werden. Da die Durchschnittsverbraucher aus Zeichen, die mit dem Erscheinungsbild der Ware selbst verschmelzen, gewöhnlich nicht auf die betriebliche Herkunft dieser Waren schließen, sind solche Zeichen nur dann unterscheidungskräftig im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009, wenn sie erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweichen. Daher sind Neuheit oder Originalität keine maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft einer Marke. Es genügt für die Eintragungsfähigkeit einer Marke nämlich nicht, dass sie originell ist; sie muss sich vielmehr wesentlich von den handelsüblichen Grundformen der betreffenden Ware abheben und darf nicht nur als bloße Variante dieser Formen erscheinen (vgl. Beschluss vom 11. September 2014, Think Schuhwerk/HABM, C‑521/13 P, EU:C:2014:2222, Rn. 48 und 49 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil vom 11. Juli 2013, Think Schuhwerk/HABM, Rote Schnürsenkelenden, T‑208/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:376, Rn. 33 und 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).


37      Vorliegend hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass die Anmeldemarke mit einem Teil der Waren, nämlich dem Schnürsenkelende der Schnürschuhe, verschmelze. Um unterscheidungskräftig im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 zu sein, müsse das Anmeldezeichen daher erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweichen (Rn. 19 bis 22 der angefochtenen Entscheidung).

38      Die maßgeblichen Verkehrskreise in Bezug auf Schuhwaren in Klasse 25 seien die allgemeinen Verkehrskreise, die einen normalen Aufmerksamkeitsgrad aufwiesen. Die maßgeblichen Verkehrskreise bei orthopädischen Schuhen in Klasse 10 seien Fachkreise mit einem überdurchschnittlichen Aufmerksamkeitsgrad (Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung).

39      Die roten Schnürsenkelenden würden von den maßgeblichen Verkehrskreisen, seien es die allgemeinen Verkehrskreise oder die Fachkreise, nicht als unterscheidungskräftiges Zeichen wahrgenommen. Schnürsenkelenden komme ein rein dekorativer Charakter zu und würden nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren angesehen. Die Auswahl eines bestimmten Rottons (Pantone: 18-1658 TCX Pompeian Red) ändere daran nichts (Rn. 32 und 33 der angefochtenen Entscheidung). Daher weiche das Anmeldezeichen nicht erheblich von der Branchenüblichkeit ab; der Prüfer habe nämlich dargelegt, dass es offenkundig zahlreiche Gestaltungen von Schnürsenkeln gebe, deren Enden eine andere Farbe als die der übrigen Schnürsenkel hätten (Rn. 34 bis 37).

40      Die Klägerin hat es mit keinem ihrer Argumente vermocht, nachzuweisen, dass die Beschwerdekammer mit dieser Entscheidung gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 verstoßen hat.

41      Erstens hat das Gericht, was den Grad an Aufmerksamkeit der maßgeblichen Verkehrskreise betrifft, nämlich bereits festgestellt, dass dieser bei Schuhwaren in Klasse 25 nicht höher als durchschnittlich ist (Urteil vom 11. Juli 2013, Rote Schnürsenkelenden, T‑208/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:376, Rn. 42). Das Vorbringen der Klägerin, bei Schuhen in Klasse 25 sei der Aufmerksamkeitsgrad der maßgeblichen Verkehrskreise hoch, ist daher zurückzuweisen. Außerdem hat die Beschwerdekammer in Bezug auf orthopädische Schuhe in Klasse 10 in Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass es um Fachkreise mit einem überdurchschnittlichen Aufmerksamkeitsgrad gehe (vgl. oben, Rn. 38). Die Akten enthalten nichts, was diese im Übrigen unbestrittenen Erwägungen zu orthopädischen Schuhen in Frage stellen könnte.

42      Zweitens hat die Beschwerdekammer im vorliegenden Fall, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, ebenfalls zu Recht das Kriterium der erheblichen Abweichung von der Norm oder der Branchenüblichkeit angewandt. Es steht nämlich fest, dass sich die Anmeldung, die eine Positionsmarke betrifft, auf das Erscheinungsbild der Ware bezieht; dies genügt, um das oben in Rn. 36 angeführte Kriterium anwendbar zu machen. Folglich kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Beschwerdekammer nicht habe berücksichtigen dürfen, dass es auf dem Markt Waren mit identischen oder ähnlichen Merkmalen gebe.

43      Daraus folgt weiter, dass die Klägerin ebenso wenig geltend machen kann, die Beschwerdekammer habe ein „übermäßig strenges“ Beurteilungskriterium angewandt, da das Anmeldezeichen nicht als „von der Ware unabhängig“ angesehen werden könne. Des Weiteren ist das Vorbringen, die Beschwerdekammer habe die Position des fraglichen Bestandteils nicht berücksichtigt, als sachlich unzutreffend zurückzuweisen. In Rn. 37 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die rote Einfärbung der Schnürsenkelenden als ein rein dekoratives Element wahrgenommen werde.

44      Drittens ist, selbst wenn man annimmt, dass es, wie die Klägerin behauptet, auf dem Markt keine anderen Schuhe gebe, die mit Schnürsenkeln mit Enden in der Farbe Pompeian Red verkauft würden, die Anerkennung des erforderlichen Minimums an Unterscheidungskraft der Anmeldemarke nicht davon abhängig, wie neu oder originell diese ist, sondern davon, dass sie von der Branchenüblichkeit erheblich abweicht (vgl. oben, Rn. 36), was aus der Akte nicht hervorgeht.

45      Viertens geht das Argument, dass kein Allgemeininteresse daran bestehe, dass das beanspruchte Zeichen für alle Unternehmen des Wirtschaftszweigs freigehalten werde, ins Leere. Denn jedes der in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 genannten Eintragungshindernisse ist von den anderen unabhängig und muss getrennt geprüft werden (Urteile vom 21. Oktober 2004, HABM/Erpo Möbelwerk, C‑64/02 P, EU:C:2004:645, Rn. 39, und vom 12. Januar 2006, Deutsche SiSi-Werke/HABM, C‑173/04 P, EU:C:2006:20, Rn. 59).

46      Der Rechtsprechung zufolge sind diese Eintragungshindernisse im Licht des Allgemeininteresses auszulegen, das jedem von ihnen zugrunde liegt. Das bei der Prüfung jedes dieser Eintragungshindernisse berücksichtigte Allgemeininteresse kann oder muss sogar je nach dem betreffenden Eintragungshindernis in unterschiedlichen Erwägungen zum Ausdruck kommen (Urteil vom 8. Mai 2008, Eurohypo/HABM, C‑304/06 P, EU:C:2008:261, Rn. 55).

47      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der dem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 zugrunde liegende Begriff des Allgemeininteresses und die Hauptfunktion der Marke, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung dadurch zu garantieren, dass sie ihm die Unterscheidung dieser Ware oder Dienstleistung ohne Verwechslungsgefahr von Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft ermöglicht, offensichtlich ineinander übergehen (vgl. Urteil vom 8. Mai 2008, Eurohypo/HABM, C‑304/06 P, EU:C:2008:261, Rn. 56 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Hingegen besteht das Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 zugrunde liegende Allgemeininteresse darin, sicherzustellen, dass die Zeichen, die eines oder mehrere Merkmale der Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung als Marke beantragt wird, beschreiben, von allen Wirtschaftsteilnehmern, die solche Waren oder Dienstleistungen anbieten, frei verwendet werden können (Urteile vom 10. März 2011, Agencja Wydawnicza Technopol/HABM, C‑51/10 P, EU:C:2011:139, Rn. 37, und vom 30. Mai 2013, ultra air/HABM – Donaldson Filtration Deutschland [ultrafilter international], T‑396/11, EU:T:2013:284, Rn. 19).

48      Es steht indes fest, dass sich die Beschwerdekammer für ihre Feststellung, dass die Anmeldemarke von der Eintragung auszuschließen sei, ausschließlich auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 gestützt hat. Daher hätte, wie das Gericht bereits entschieden hat, das Freihaltebedürfnis des Zeichens, dem die Klägerin genügen will, zwar für die Anwendung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 relevant sein können; es ist aber nicht das Kriterium, das für die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung gilt (Urteile vom 12. Januar 2006, Deutsche SiSi-Werke/HABM, C‑173/04 P, EU:C:2006:20, Rn. 62 und 63, vom 13. Juli 2011, Evonik Industries/HABM [Auf einer Seite nach außen gewölbtes Rechteck in Purpur], T‑499/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:367, Rn. 38, und vom 11. Juli 2013, Rote Schnürsenkelenden, T‑208/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:376, Rn. 51).

49      Fünftens ändert das Vorbringen der Klägerin, es sei üblich, dass Schnürsenkelenden die gleiche Farbe hätten wie die Schnürsenkel selbst, nichts an der Gültigkeit der Beurteilung der Beschwerdekammer. In Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer nämlich zahlreiche Beispiele von Schnürsenkeln angeführt, deren Enden eine andere Farbe haben, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Anmeldemarke von der Branchenüblichkeit oder der Norm erheblich abweicht. Das Kriterium, dem die Anmeldemarke vorliegend genügen muss, ist aber eben nicht das der bloßen Originalität; vielmehr muss die Anmeldemarke, um eingetragen werden zu können, erheblich von der Branchenüblichkeit abweichen (vgl. oben, Rn. 36), was aus der Akte nicht hervorgeht.

50      Folglich ist der Antrag der Klägerin, das Gericht möge ein Sachverständigengutachten zum Nachweis der Originalität des Anmeldezeichens anordnen, zurückzuweisen. Denn zum einen könnte das Gericht jedenfalls neue Tatsachen, die nicht rechtzeitig vor dem EUIPO vorgetragen wurden, nicht berücksichtigen (Urteil vom 12. Dezember 2002, eCopy/HABM [ECOPY], T‑247/01, EU:T:2002:319, Rn. 46, vgl. auch Urteil vom 24. November 2005, Sadas/HABM – LTJ Diffusion [ARTHUR ET FELICIE], T‑346/04, EU:T:2005:420, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung), und zum anderen ist, wie oben in Rn. 49 bereits ausgeführt, das Kriterium der bloßen Originalität für sich genommen nicht ausreichend.

51      Sechstens macht die Klägerin zu Unrecht geltend, dass die Beschwerdekammer nicht nur im Licht der Verordnung Nr. 207/2009 habe beurteilen dürfen, ob die Anmeldemarke eingetragen werden dürfe. Zwar können weder die Parteien noch das Gericht selbst daran gehindert werden, in die Auslegung des Unionsrechts Elemente einzubeziehen, die sich aus der nationalen, internationalen oder Unionsrechtsprechung ergeben (Urteil vom 14. April 2016, Henkell & Co. Sektkellerei/EUIPO – Ciacci Piccolomini d'Aragona di Bianchini [PICCOLOMINI], T‑20/15, EU:T:2016:218, Rn. 55). Jedoch kann die Entscheidungspraxis der nationalen Ämter und Gerichte, auch wenn sie vom EUIPO und vom Unionsrichter berücksichtigt werden kann, nicht zur Anwendung anderer als der in den Verordnungen über die Unionsmarke vorgesehenen Kriterien führen. Wie jedoch oben in den Rn. 36 und 49 festgestellt worden ist, steht Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 in seiner Auslegung durch die Unionsrechtsprechung der Eintragung von Marken entgegen, die wie die Anmeldemarke mit dem Erscheinungsbild der Ware verschmelzen und nicht erheblich von den Normen und der Branchenüblichkeit abweichen.

52      Siebtens geht das Vorbringen der Klägerin, dass alle anderen „Designs“ ihren Konkurrenten weiterhin zur Verfügung stünden, aus den oben in den Rn. 45 bis 48 dargelegten Gründen ins Leere, da nicht die fehlende Verfügbarkeit des beanspruchten Zeichens der Grund ist, mit dem die Beschwerdekammer die Zurückweisung der Anmeldung gerechtfertigt hat; vielmehr hat sie ihre Entscheidung ausschließlich auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 gestützt.

53      Nach alledem ist der dritte Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

b)      Zum ersten Teil des ersten Klagegrundes

54      Der erste Teil des ersten Klagegrundes besteht aus zwei Rügen. Die Klägerin macht zum einen geltend, die Beurteilung der Beschwerdekammer, wonach sich die Anmeldemarke in den Augen der maßgeblichen Verkehrskreise nicht von der Form der Ware unterscheide, sei nicht genügend „durchdacht“ und die angefochtene Entscheidung insoweit mit einem Begründungsmangel behaftet. Zum anderen seien die Beurteilungen in den Rn. 22, 32 und 40 der angefochtenen Entscheidung nicht hinreichend begründet.

55      Das Recht auf eine gute Verwaltung umfasst gemäß Art. 41 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union u. a. die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen. Diese Verpflichtung, die sich auch aus Art. 94 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung 2017/1001 ergibt, dient dem doppelten Ziel, die Beteiligten über die Gründe für die erlassene Maßnahme zu unterrichten, damit sie ihre Rechte verteidigen können, und es dem Unionsrichter zu ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu überprüfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Mai 2012, Helena Rubinstein und L'Oréal/HABM, C‑100/11 P, EU:C:2012:285, Rn. 111, sowie vom 17. März 2016, Naazneen Investments/HABM, C‑252/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:178, Rn. 29).

56      Des Weiteren hat diese Begründungspflicht den gleichen Umfang wie die aus Art. 296 Abs. 2 AEUV, wonach die Begründung die Überlegungen des Urhebers des Rechtsakts klar und eindeutig zum Ausdruck zu bringen hat; dabei brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts diesen Anforderungen genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Oktober 2004, KWS Saat/HABM, C‑447/02 P, EU:C:2004:649, Rn. 63 bis 65, und Beschluss vom 14. April 2016, KS Sports/EUIPO, C‑480/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:266, Rn. 32). Außerdem ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung, Entscheidungen zu begründen, um ein wesentliches Formerfordernis handelt, das von der Frage der sachlichen Richtigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7 . März 2002, Italien/Kommission, C‑310/99, EU:C:2002:143, Rn. 48, und vom 17. September 2015, Ricoh Belgium/Rat, T‑691/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:641, Rn. 32).

1)      Zur Stichhaltigkeit des ersten Teils des ersten Klagegrundes

57      Da das EUIPO den dritten Teil des ersten Klagegrundes für unzulässig hält, macht es geltend, dass der erste Teil dieses Klagegrundes, mit dem ein Begründungsmangel gerügt werde, ins Leere gehe.

58      Wie sich jedoch oben aus den Rn. 26 bis 31 ergibt, ist die vom EUIPO gegen den dritten Teil des ersten Klagegrundes erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen. Folglich ist auch das Vorbringen des EUIPO zurückzuweisen, wonach der erste Teil dieses Klagegrundes ins Leere gehe.

2)      Zur Begründetheit des ersten Teils des ersten Klagegrundes

i)      Zur ersten Rüge

59      Die Klägerin weist darauf hin, die Beschwerdekammer habe in Rn. 21 der angefochtenen Entscheidung die Auffassung vertreten, dass die maßgeblichen Verkehrskreise, wenn sie mit Schuhen mit roten Schnürsenkelenden konfrontiert würden, nicht in der Lage seien würden, ein Zeichen zu identifizieren, das sich vom Erscheinungsbild eines Teils der Waren, für die die Eintragung beantragt worden sei, unterscheide. Nach Ansicht der Beschwerdekammer unterscheide sich das Anmeldezeichen daher nicht vom Erscheinungsbild der Ware selbst.

60      Diese Beurteilung sei nicht „genügend durchdacht“. Es sei nicht notwendig, dass alle Schnürsenkelenden rot seien. Daher weise die angefochtene Entscheidung, „durch die mangelnde Notwendigkeit am Ende der Schnürsenkel eine farbliche Differenzierung vorzunehmen, … einen Begründungsmangel auf“. Das Anmeldezeichen seinerseits sei vollkommen genau. Die Gründe, weshalb die Beschwerdekammer der Ansicht gewesen sei, dass das Zeichen mit der Ware selbst verschmelze, seien daher nicht nachvollziehbar.

61      Obwohl die Klägerin formal die Begründung der angefochtenen Entscheidung beanstandet, stellt sie mit dieser ersten Rüge in Wirklichkeit die Stichhaltigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung in Abrede. Jedoch war, wie oben in Rn. 39 ausgeführt, die Feststellung der Beschwerdekammer, dass das Anmeldezeichen mit dem Erscheinungsbild der von der Anmeldung erfassten Waren verschmelze, unzweideutig und hinreichend klar, so dass sie von der Klägerin beanstandet und vom Gericht kontrolliert werde konnte.

62      Soweit ferner anzunehmen ist, dass die Klägerin die Beurteilung der Beschwerdekammer, dass das Anmeldezeichen mit dem Erscheinungsbild der von der Anmeldung erfassten Waren verschmelze, in der Sache beanstandet, so hat sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt, dass das vorliegend anwendbare Kriterium das der erheblichen Abweichung von der Branchenüblichkeit ist (vgl. oben, Rn. 42); was die Anwendung dieses Kriteriums betrifft, wird auf vorstehende Rn. 49 verwiesen.

ii)    Zur zweiten Rüge

63      Zur Stützung der zweiten im Rahmen des ersten Teils des ersten Klagegrundes geltend gemachten Rüge weist die Klägerin als Erstes darauf hin, die Beschwerdekammer habe in Rn. 22 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass für die Beurteilung der Unterscheidungskraft der Anmeldemarke das Kriterium der erheblichen Abweichung von der Norm oder der Branchenüblichkeit anzuwenden sei. Die Beschwerdekammer habe indes nicht angegeben, auf welche „Branchenüblichkeit“ sie sich gestützt habe. Diese Lücke stelle einen Begründungsmangel dar.

64      Jedoch hat die Beschwerdekammer in Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung Beispiele angeführt, aufgrund deren sie annehmen durfte, dass sich die Anmeldemarke nicht wesentlich von der Branchenüblichkeit unterscheide (vgl. oben, Rn. 49). Unter diesen Umständen war die Beschwerdekammer entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht verpflichtet, näher zu bestimmen, was branchenüblich ist.

65      Als Zweites habe die Beschwerdekammer nicht erläutert, aus welchen Gründen sie in Rn. 32 der angefochtenen Entscheidung die Annahme des Prüfers bestätigt habe, die angesprochenen Verkehrskreise würden den roten Schnürsenkelenden einen rein dekorativen Charakter zuschreiben, so dass es der Anmeldemarke an Unterscheidungskraft fehle.

66      Da die Beschwerdekammer jedoch mit den in Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung angeführten Beispielen nachgewiesen hat, dass es auf dem Markt Schnürsenkel gibt, deren Ende eine andere Farbe hat als der Rest des Schnürsenkels, durfte sie davon ausgehen, dass sich die Anmeldemarke nicht wesentlich von den Marktgewohnheiten unterscheidet. Nach der oben in Rn. 56 angeführten Rechtsprechung brauchen in der Begründung nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, so dass die Beschwerdekammer nicht verpflichtet war, anzugeben, aus welchen Gründen sie entschieden hat, dass die angesprochenen Verkehrskreise den roten Schnürsenkelenden einen rein dekorativen Charakter zuschreiben würden.

67      Als Drittes führt die Klägerin aus, dass eine Marke, die aus der besonderen Position eines Bildelements bestehe, Unterscheidungskraft besitzen könne, auch wenn es möglich sei, dass das Bildelement selbst, unabhängig von dieser Position, keine Unterscheidungskraft habe. Da die Beschwerdekammer in Rn. 40 der angefochtenen Entscheidung von dieser Prämisse ausgegangen sei, hätte sie daraus schließen müssen, dass die Anmeldemarke Unterscheidungskraft habe. Es sei nicht erforderlich, Schnürsenkel am Ende mit einer Farbe zu versehen. Somit sei die Anmeldemarke, die auf eine einzige Farbe beschränkt sei, erkennbar. Sie sei nicht als dekorativ, sondern als „einfaches Zeichen, wie man dies auch früher bei der Kennzeichnung beispielsweise von Rindern vorgenommen [habe], um die Besitzverhältnisse klarzustellen“, einzustufen.

68      Wie oben in Rn. 49 ausgeführt, hat die Beschwerdekammer jedoch hinreichend nachgewiesen, dass das rote Ende der vorliegend in Rede stehenden Schnürsenkel nicht erheblich von den Gepflogenheiten in der Branche abweicht. Daher war sie nicht verpflichtet, anzugeben, aus welchen Gründen vorliegend die Position des fraglichen Bildbestandteils, d. h. die Schnürsenkelenden, der Anmeldemarke keine Unterscheidungskraft verleihen konnte. Dieses Vorbringen der Klägerin ist, soweit es so zu verstehen sein sollte, dass es sich auf die Stichhaltigkeit der Gründe in der angefochtenen Entscheidung und nicht auf deren Begründung bezieht, aus den oben in den Rn. 42 bis 52 dargelegten Gründen zurückzuweisen.

69      Nach alledem ist der erste Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

c)      Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes

70      Mit dem zweiten Teil des ersten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, die Unterscheidungskraft der Anmeldemarke nachzuweisen, und dass sie insoweit gleichwohl ausreichende Beweise vorgelegt habe. Indem das EUIPO die Beweislast umgekehrt und die Beweiskraft der von ihr vorgelegten Beweise bestritten habe, habe es den in Art. 95 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 vorgesehenen Amtsermittlungsgrundsatz verletzt.

1)      Zur Stichhaltigkeit des zweiten Teils des ersten Klagegrundes

71      Das EUIPO hält den dritten Teil des ersten Klagegrundes für unzulässig und macht deshalb geltend, dass der zweite Teil dieses Klagegrundes ins Leere gehe.

72      Aus den oben in Rn. 58 genannten Gründen ist auch dieses Vorbringen zurückzuweisen.

2)      Zur Begründetheit des zweiten Teils des ersten Klagegrundes

73      Was die Begründetheit des zweiten Teils des ersten Klagegrundes betrifft, so erlaubt es der in Art. 95 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 geregelte Amtsermittlungsgrundsatz dem EUIPO schlicht, in Fällen, in denen es wie hier um ein absolutes Eintragungshindernis geht, Tatsachen festzustellen, die von den Beteiligten des Eintragungsverfahrens nicht beigebracht werden.

74      Dagegen war die Klägerin, die die Zurückweisung der Anmeldung durch den Prüfer beanstandete, verpflichtet, hinreichende Beweise vorzulegen, um die Beanstandung zu untermauern. Daher hat die Beschwerdekammer dadurch, dass sie die angefochtene Entscheidung auf vom Prüfer vorgelegte Beweise gestützt hat, deren Beweiskraft die Klägerin nicht bestritten hat, weder die Beweislast umgekehrt noch den Amtsermittlungsgrundsatz nach Art. 95 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 verletzt.

75      Daraus folgt, dass der zweite Teil des ersten Klagegrundes und damit dieser Klagegrund insgesamt zurückzuweisen ist.

B.      Zum zweiten Klagegrund

76      Mit dem zweiten Klagegrund macht die Klägerin einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz geltend, da die Beschwerdekammer die Anmeldung nicht zugelassen habe, obwohl die Klägerin im Laufe des Verfahrens Entscheidungen über die Eintragung vergleichbarer Marken angeführt habe. Die Beschwerdekammer habe diese früheren Entscheidungen jedoch weder berücksichtigt noch sei sie auf sie eingegangen.

77      So legt die Klägerin als Anlage acht Entscheidungen vor, die ihrer Ansicht nach belegen, dass die Anmeldemarke eingetragen werden könne. Diese habe die Beschwerdekammer zu Unrecht nicht berücksichtigt.

1.      Zur Stichhaltigkeit des zweiten Klagegrundes

78      Das EUIPO hält den dritten Teil des ersten Klagegrundes für unzulässig und macht daher geltend, dass der zweite Klagegrund ins Leere gehe.

79      Aus den oben in Rn. 58 genannten Gründen ist auch dieses Vorbringen zurückzuweisen.

2.      Zur Begründetheit des zweiten Klagegrundes

80      Wie oben in den Rn. 76 und 77 ausgeführt, macht die Klägerin mit ihrem zweiten Klagegrund geltend, die Beschwerdekammer habe den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, weil sie frühere Entscheidungen, mit denen die Eintragung verschiedener Positionsmarken u. a. für Schuhe zugelassen worden sei, nicht berücksichtigt habe.

81      Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass nach den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der ordnungsgemäßen Verwaltung das EUIPO bei der Prüfung der Anmeldung einer Unionsmarke die zu ähnlichen Anmeldungen ergangenen Entscheidungen berücksichtigen und besonderes Augenmerk auf die Frage richten muss, ob im gleichen Sinne zu entscheiden ist oder nicht (Urteil vom 10. März 2011, Agencja Wydawnicza Technopol/HABM, C‑51/10 P, EU:C:2011:139, Rn. 73 und 74).

82      Allerdings müssen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der ordnungsgemäßen Verwaltung mit dem Gebot der Rechtmäßigkeit in Einklang gebracht werden. Folglich kann sich der Anmelder eines Zeichens als Marke nicht auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung zugunsten eines anderen berufen, um eine identische Entscheidung zu erlangen. Im Übrigen muss aus Gründen der Rechtssicherheit und gerade auch der ordnungsgemäßen Verwaltung die Prüfung jeder Anmeldung streng und umfassend sein, um eine ungerechtfertigte Eintragung von Marken zu verhindern. Diese Prüfung muss in jedem Einzelfall erfolgen. Die Eintragung eines Zeichens als Marke hängt nämlich von besonderen, im Rahmen der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls anwendbaren Kriterien ab, anhand deren ermittelt werden soll, ob das fragliche Zeichen nicht unter ein Eintragungshindernis fällt (Urteil vom 10. März 2011, Agencja Wydawnicza Technopol/HABM, C‑51/10 P, EU:C:2011:139, Rn. 75 bis 77).

83      Vorliegend ergibt sich aus der Prüfung des ersten Klagegrundes, dass der Markenanmeldung der Klägerin das Eintragungshindernis aus Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 entgegensteht. Daher kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf frühere Entscheidungen des EUIPO berufen.

84      Der zweite Klagegrund ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

C.      Zum dritten Klagegrund

85      Zur Stützung ihres dritten Klagegrundes weist die Klägerin darauf hin, dass sie die Beschwerdekammer in der Beschwerdebegründung ersucht habe, anzugeben, welche Beweise erforderlich seien, und insbesondere, ob sie eine Marktstudie vorlegen solle. Die Beschwerdekammer habe ihr jedoch vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht ihren Standpunkt in dieser Angelegenheit mitgeteilt. Damit habe sie ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

86      Das EUIPO tritt diesem Vorbringen entgegen.

87      Der in Art. 94 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung 2017/1001 geregelte Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, dass die Entscheidungen des EUIPO nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Dagegen bedeutet dieser Anspruch nicht, dass das EUIPO den Beteiligten mitteilt, welche Beweise sie für die Begründetheit ihres Vorbringens vorlegen müssen.

88      Da die Klägerin nicht geltend macht, dass sich die Beschwerdekammer auf Beweismittel gestützt habe, zu denen sie sich nicht habe äußern können, ist auch der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

89      Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

IV.    Kosten

90      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

91      Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Think Schuhwerk GmbH trägt die Kosten.

Marcoulli

Frimodt Nielsen

Norkus

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. November 2021.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

      S. Papasavvas


*      Verfahrenssprache: Deutsch.