Language of document : ECLI:EU:T:2021:260

URTEIL DES GERICHTS (Zehnte erweiterte Kammer)

12. Mai 2021(*)

„Institutionelles Recht – Europäische Bürgerinitiative – Handel mit militärisch besetzten Gebieten – Ablehnung der Registrierung – Offenkundiges Fehlen von Befugnissen der Kommission – Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 – Gemeinsame Handelspolitik – Art. 207 AEUV – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Art. 215 AEUV – Begründungspflicht – Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 211/2011“

In der Rechtssache T‑789/19,

Tom Moerenhout, wohnhaft in Humbeek (Belgien), und weitere Kläger, deren Namen im Anhang(1) aufgeführt sind, Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt G. Devers,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch I. Martínez del Peral und S. Delaude als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses (EU) 2019/1567 der Kommission vom 4. September 2019 über die vorgeschlagene Bürgerinitiative „Gewährleistung einer mit den EU-Verträgen und dem Völkerrecht im Einklang stehenden gemeinsamen Handelspolitik“ (ABl. 2019, L 241, S. 12)

erlässt

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas, der Richter A. Kornezov und E. Buttigieg, der Richterin K. Kowalik-Bańczyk (Berichterstatterin) und des Richters G. Hesse,

Kanzler: M. Marescaux, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2021

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Kläger, Tom Moerenhout und sechs weitere Bürger, deren Namen im Anhang aufgeführt sind, haben die europäische Bürgerinitiative „Gewährleistung einer mit den EU-Verträgen und dem Völkerrecht im Einklang stehenden gemeinsamen Handelspolitik“ (im Folgenden: geplante EBI) initiiert, die am 5. Juli 2019 gemäß Art. 4 der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative (ABl. 2011, L 65, S. 1) zur Registrierung an die Europäische Kommission übermittelt wurde.

2        Die geplante EBI hatte folgenden Gegenstand:

„Regulierung des Geschäftsverkehrs mit Unternehmen des Besatzers, die in besetzten Gebieten ansässig oder tätig sind, indem verhindert wird, dass Waren, die ihren Ursprung in den besetzten Gebieten haben, auf den EU-Markt gelangen.“

3        Mit der geplanten EBI wurde das nachstehende Ziel verfolgt:

„Als Hüterin der Verträge muss die Kommission die Kohärenz der Politik der Union und die Wahrung der Grundrechte und des Völkerrechts in allen Bereichen des EU-Rechts, einschließlich der gemeinsamen Handelspolitik, gewährleisten. Sie muss Rechtsakte vorschlagen, mit denen verhindert wird, dass juristische Personen in der EU Erzeugnisse, die ihren Ursprung in illegalen Siedlungen besetzter Gebiete haben, in die EU einführen sowie auch, dass juristische Personen in der EU Erzeugnisse in diese Gebiete ausführen. Mit diesen Rechtsakten soll sichergestellt werden, dass die Integrität des Binnenmarkts gewährleistet und die Aufrechterhaltung solcher rechtswidriger Situationen nicht unterstützt wird.“

4        Im Abschnitt „Einschlägige Bestimmungen der Verträge und des Völkerrechts“ haben die Kläger die Art. 2, 3 Abs. 5, Art. 6 Abs. 3 und Art. 21 EUV sowie Art. 2 Abs. 1, Art. 3, 205 und 207 Abs. 1 und 2 AEUV angeführt. Sie haben außerdem auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Verordnung (EG) Nr. 2368/2002 des Rates vom 20. Dezember 2002 zur Umsetzung des Zertifikationssystems des Kimberley-Prozesses für den internationalen Handel mit Rohdiamanten (ABl. 2002, L 358, S. 28), die Verordnung (EU) 2019/125 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Januar 2019 über den Handel mit bestimmten Gütern, die zur Vollstreckung der Todesstrafe, zu Folter oder zu anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe verwendet werden könnten (ABl. 2019, L 30, S. 1), auf die Urteile vom 30. Juli 1996, Bosphorus (C‑84/95, EU:C:1996:312), und vom 25. Februar 2010, Brita (C‑386/08, EU:C:2010:91), sowie auf gewisse Bestimmungen und Quellen des Völkerrechts verwiesen, darunter insbesondere die Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und die Gutachten des Internationalen Gerichtshofs.

5        Mit dem Beschluss (EU) 2019/1567 vom 4. September 2019 über die vorgeschlagene Bürgerinitiative „Gewährleistung einer mit den EU-Verträgen und dem Völkerrecht im Einklang stehenden gemeinsamen Handelspolitik“ (ABl. 2019, L 241, S. 12; im Folgenden: angefochtener Beschluss) lehnte die Kommission die Registrierung der geplanten EBI ab.

6        Die Kommission begründete diese Ablehnung in den Erwägungsgründen 5 bis 7 des angefochtenen Beschlusses wie folgt:

„(5)      Ein Rechtsakt, in dem der Gegenstand der [geplanten EBI] behandelt wird, könnte nur auf der Grundlage des Artikels 215 AEUV angenommen werden.

(6)      Voraussetzung für einen auf der Grundlage des Artikels 215 AEUV zu erlassenden Rechtsakt ist jedoch ein Beschluss gemäß Titel V Kapitel 2 [EUV], der die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu dem betreffenden Drittland vorsieht. Die Kommission ist nicht befugt, Vorschläge für einen solchen Beschluss zu unterbreiten. In Ermangelung eines entsprechenden Beschlusses gemäß Titel V Kapitel 2 [EUV] ist die Kommission nicht befugt, einen Vorschlag für einen Rechtsakt vorzulegen, der auf der Grundlage des Artikels 215 AEUV erlassen werden soll.

(7)      Somit liegt die [geplante EBI] im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 Buchstabe b in Verbindung mit Artikel 2 Nummer 1 der Verordnung [Nr. 211/2011] offenkundig außerhalb des Rahmens, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen.“

 Verfahren und Anträge der Parteien

7        Mit Klageschrift, die am 14. November 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben.

8        Die Kommission hat am 30. Januar 2020 ihre Klagebeantwortung eingereicht.

9        Die Kläger haben am 20. April 2020 eine Erwiderung eingereicht.

10      Die Kommission hat am 9. Juli 2020 eine Gegenerwiderung eingereicht.

11      Auf Vorschlag der Zehnten Kammer hat das Gericht gemäß Art. 28 seiner Verfahrensordnung beschlossen, die Rechtssache an einen erweiterten Spruchkörper zu verweisen.

12      Die Parteien haben in der Sitzung vom 14. Januar 2021 mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

13      Die Kläger beantragen,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

14      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

15      Die Kläger stützen ihre Klage auf vier Klagegründe. Erstens wird ein Verstoß gegen Art. 41 Abs. 1 der Charta der Grundrechte sowie gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 211/2011 geltend gemacht, da die Kommission die geplante EBI verfälscht habe, indem sie deren eigentlichen Zweck, nämlich eine Maßnahme im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik, missachtet habe. Zweitens wird ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 dieser Verordnung geltend gemacht, da die Kommission ihrer Pflicht zur Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht nachgekommen sei. Drittens wird ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung geltend gemacht, da die Kommission zu Unrecht angenommen habe, dass die in der geplanten EBI angeregte Maßnahme nur auf der Grundlage von Art. 215 AEUV angenommen werden könne. Viertens wird ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 Buchst. b dieser Verordnung geltend gemacht, da die Kommission weitere Rechtsgrundlagen, an die die geplante EBI offenkundig anknüpfe, ignoriert habe.

16      Das Gericht hält es für zweckmäßig, zunächst den zweiten Klagegrund zu prüfen, mit dem geltend gemacht wird, dass der angefochtene Beschluss nicht ausreichend begründet sei.

17      Im Rahmen dieses Klagegrundes tragen die Kläger im Wesentlichen drei Rügen hinsichtlich der Begründung des angefochtenen Beschlusses vor.

18      Erstens habe die Kommission nicht erläutert, weshalb Art. 207 Abs. 2 AEUV aus ihrer Sicht keine geeignete Rechtsgrundlage für die in der geplanten EBI angeregte Maßnahme darstelle, obwohl diese Bestimmung und die Verordnung 2019/125 in der geplanten EBI ausdrücklich erwähnt würden. Aus der geplanten EBI gehe nämlich hervor, dass eine Maßnahme im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik bezweckt werde.

19      Zweitens hätte die Kommission vor dem Hintergrund, dass ihrer Ansicht nach nur Art. 215 AEUV, der Maßnahmen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) betreffe, als geeignete Rechtsgrundlage für die geplante EBI in Frage kommt, erläutern müssen, weshalb ihrer Meinung nach die vorrangige Zielsetzung dieses Vorschlags eine Maßnahme im Bereich der GASP und nicht eine Maßnahme im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik sei.

20      Drittens habe die Kommission nicht zwischen den beiden Absätzen von Art. 215 AEUV unterschieden. Die pauschale Bezugnahme auf diesen Artikel als Rechtsgrundlage für die mit der geplanten EBI bezweckte Maßnahme lasse nicht erkennen, warum das im genannten Vorschlag vorgesehene Verbot restriktive Maßnahmen gegen Länder (auf der Grundlage von Abs. 1 dieses Artikels) und nicht restriktive Maßnahmen gegen Personen (auf der Grundlage von Abs. 2 dieses Artikels) betreffen müsse.

21      Die Kommission tritt dem Vorbringen der Kläger entgegen und macht im Wesentlichen geltend, dass der angefochtene Beschluss ausreichend begründet sei.

22      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es im Verfahren zur Registrierung einer geplanten Bürgerinitiative gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 211/2011 Sache der Kommission ist, zu prüfen, ob die in Abs. 2 dieses Artikels festgelegten Bedingungen für die Registrierung erfüllt sind.

23      Eine dieser Bedingungen besteht nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 darin, dass eine geplante Bürgerinitiative von der Kommission registriert wird, sofern sie „nicht offenkundig außerhalb des Rahmens [liegt], in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen.“ Die Kommission darf die Registrierung einer geplanten Bürgerinitiative nach dieser Bestimmung nur dann ablehnen, wenn die geplante Bürgerinitiative in Anbetracht ihres Gegenstands und ihrer Ziele, wie sie aus den obligatorischen und gegebenenfalls den zusätzlichen Informationen hervorgehen, die von den Organisatoren gemäß Anhang II dieser Verordnung bereitgestellt worden sind, offenkundig außerhalb des Rahmens liegt, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Europäischen Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen (Urteile vom 12. September 2017, Anagnostakis/Kommission, C‑589/15 P, EU:C:2017:663, Rn. 50 und vom 7. März 2019, Izsák und Dabis/Kommission, C‑420/16 P, EU:C:2019:177, Rn. 54).

24      Wenn die Kommission es ablehnt, eine geplante Bürgerinitiative zu registrieren, unterrichtet sie nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 211/2011 die Organisatoren über die Gründe der Ablehnung.

25      Nach der Rechtsprechung ist die Ablehnung der Registrierung der geplanten Bürgerinitiative geeignet, die tatsächliche Wirksamkeit des in Art. 24 Abs. 1 AEUV verankerten Rechts der Bürger zu beeinträchtigen, eine derartige Initiative zu ergreifen. Folglich muss aus einem solchen Rechtsakt klar hervorgehen, mit welchen Gründen die Ablehnung gerechtfertigt wird (vgl. Urteil vom 3. Februar 2017, Minority SafePack – one million signatures for diversity in Europe/Kommission, T‑646/13, EU:T:2017:59, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Der Bürger, der eine geplante Bürgerinitiative vorgelegt hat, muss nämlich in die Lage versetzt werden, die Gründe zu verstehen, aus denen sie von der Kommission nicht registriert wird, so dass die mit einer solchen Bürgerinitiative befasste Kommission diese zu würdigen, aber auch die verschiedenen Gründe für ihre Weigerung in Anbetracht der damit verbundenen Auswirkungen auf die tatsächliche Ausübung des im Vertrag verankerten Rechts anzugeben hat. Dies ergibt sich schon aus der Natur dieses Rechts, das, wie es im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 211/2011 heißt, die europäische Bürgerschaft stärken und zu einer Verbesserung der demokratischen Funktionsweise der Union durch Beteiligung der Bürger am demokratischen Leben der Union führen soll (vgl. Urteil vom 3. Februar 2017, Minority SafePack – one million signatures for diversity in Europe/Kommission, T‑646/13, EU:T:2017:59, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Die Verwirklichung der im zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 211/2011 angeführten Zielsetzung, den Bürger zur Teilnahme am demokratischen Leben zu ermutigen und die Union zugänglicher zu machen, wäre ohne eine vollständige Begründung des ablehnenden Beschlusses ernsthaft gefährdet (Urteil vom 3. Februar 2017, Minority SafePack – one million signatures for diversity in Europe/Kommission, T‑646/13, EU:T:2017:59, Rn. 29).

28      Die Verpflichtung zur Unterrichtung der Organisatoren über die Gründe für die Ablehnung der Registrierung ihrer geplanten EBI, wie sie in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 211/2011 vorgesehen ist, stellt die spezifische Ausprägung der in Art. 296 AEUV verankerten Pflicht zur Begründung von Rechtsakten in Bezug auf die europäische Bürgerinitiative dar (Urteil vom 12. September 2017, Anagnostakis/Kommission, C-589/15 P, EU:C:2017:663, Rn. 28).

29      Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach dieser Bestimmung vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen von Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteil vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 63; vgl. auch Urteil vom 1. Juli 2008, Chronopost und La Poste/UFEX u. a., C‑341/06 P und C‑342/06 P, EU:C:2008:375, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Auch wenn die Organe in der Begründung der von ihnen erlassenen Entscheidungen nicht auf alle Argumente einzugehen brauchen, die die Betroffenen im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens vorbringen, müssen sie doch die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführen, denen nach dem Aufbau ihrer Entscheidungen eine wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 169, und vom 6. September 2012, Storck/HABM, C‑96/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:537, Rn. 21).

31      Im Licht dieser Grundsätze ist zu prüfen, ob die Kommission den angefochtenen Beschluss ausreichend begründet hat.

32      Wie oben in Rn. 6 ausgeführt, hat die Kommission in diesem Fall im angefochtenen Beschluss festgestellt, dass ein Rechtsakt, in dem der Gegenstand der geplanten EBI behandelt werde, nur auf der Grundlage von Art. 215 AEUV angenommen werden könnte (Erwägungsgrund 5), und dass sie nicht befugt sei, auf dieser Grundlage einen Vorschlag für einen Rechtsakt vorzulegen (Erwägungsgrund 6). Sie hat dargelegt, dass die geplante EBI im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Buchst. b in Verbindung mit Art. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. 211/2011 also offenkundig außerhalb des Rahmens ihrer Befugnisse liege (Erwägungsgrund 7).

33      Aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses geht somit hervor, dass die Kommission ihre Ablehnung im Wesentlichen darauf gestützt hat, dass sie nicht befugt sei, einen Vorschlag für einen Rechtsakt vorzulegen, der den Gegenstand der geplanten EBI behandeln könne, da Art. 215 AEUV die einzige anwendbare Rechtsgrundlage sei.

34      Es ist jedoch festzustellen, dass im angefochtenen Beschluss, wie die Kläger geltend machen, nicht ausgeführt wird, warum die Kommission der Ansicht war, dass nur mit einem auf der Grundlage von Art. 215 AEUV erlassenen Rechtsakt das Ziel der geplanten EBI erreicht werden könne. Außerdem geht aus dem Wortlaut des angefochtenen Beschlusses zwar implizit hervor, dass die Kommission der Auffassung war, dass die anderen von den Klägern in der geplanten EBI angeführten Bestimmungen, insbesondere Art. 207 AEUV, keine geeignete Rechtsgrundlage für die mit der geplanten EBI bezweckten Maßnahme darstellen könnten, jedoch hat sie ihre Überlegungen in dieser Hinsicht nicht weiter erläutert.

35      Ob eine solche Begründung des angefochtenen Beschlusses ausreicht, ist anhand der nachfolgenden Erwägungen zu beurteilen.

36      Erstens wurde der angefochtene Beschluss darauf gestützt, dass die Kommission offenkundig nicht befugt sei, einen Vorschlag für einen Rechtsakt vorzulegen, der dem Gegenstand und dem Ziel der geplanten EBI entsprechen könne. Die offenkundig nicht vorhandene Befugnis war aus Sicht der Kommission darauf zurückzuführen, dass die geplante Maßnahme ausschließlich in den Bereich der GASP falle.

37      Daher kam der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung des Gegenstands und der Ziele der geplanten EBI gemäß der oben in Rn. 23 angeführten Rechtsprechung und in weiterer Folge hinsichtlich der anwendbaren Rechtsgrundlage nach dem Aufbau des angefochtenen Beschlusses im Sinne der oben in Rn. 30 genannten Rechtsprechung eine wesentliche Bedeutung zu. Daraus folgt, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss entgegen ihrem Vorbringen ihre Überlegungen zur geeigneten Rechtsgrundlage hätte erläutern müssen.

38      Es liegt auf der Hand, dass anhand der Begründung des angefochtenen Beschlusses durch die Kommission, die sich im Wesentlichen darauf beschränkt, Art. 215 AEUV als einzige mögliche Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt anzuführen, der dem Gegenstand der geplanten EBI entsprechen könnte, die Überlegungen, die zur Wahl dieser Rechtsgrundlage geführt haben, nicht nachvollzogen werden können. Dass im sechsten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses erwähnt wird, dass der Kommission die Befugnis fehle, einen „Beschluss, der die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu dem betreffenden Drittland vorsieht“, zu erlassen, was eine Wiedergabe des Wortlauts von Art. 215 Abs. 1 AEUV darstellt, stützt diese Einschätzung in keiner Weise. Es ist vielmehr anzumerken, dass die Kommission nicht erläutert hat, warum die von der geplanten Bürgerinitiative vorgesehene Maßnahme ihrer Ansicht nach zwangsläufig und ausschließlich einen Rechtsakt bezwecke, der die Aussetzung oder Einschränkung der Handelsbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern im Sinne von Art. 215 Abs. 1 AEUV vorsehe.

39      Zweitens stellt der Inhalt der geplanten EBI im Sinne der oben in Rn. 29 angeführten Rechtsprechung einen Aspekt des Kontexts dar, der für die Beurteilung maßgeblich ist, ob die Begründung des angefochtenen Beschlusses ausreicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2017, Anagnostakis/Kommission, C‑589/15 P, EU:C:2017:663, Rn. 29 und 36 bis 39).

40      Im vorliegenden Fall haben die Kläger in der geplanten Bürgerinitiative mehrfach ausdrücklich auf die gemeinsame Handelspolitik sowie auf Bestimmungen dieses Bereichs Bezug genommen.

41      Zum einen haben die Kläger nämlich in dem Abschnitt der geplanten EBI, der sich mit deren Ziel beschäftigt, darauf hingewiesen, dass die Kommission „die Kohärenz der Politik der Union und die Wahrung der Grundrechte und des Völkerrechts in allen Bereichen des EU-Rechts, einschließlich der gemeinsamen Handelspolitik“ gewährleisten müsse (siehe oben, Rn. 3) und im Abschnitt zum Gegenstand dieses Vorschlags auf den Erlass einer Maßnahme zur „Regulierung des Geschäftsverkehrs“ mit besetzten Gebieten (siehe oben, Rn. 2) verwiesen.

42      Zum anderen haben die Kläger im Abschnitt „Einschlägige Bestimmungen der Verträge und des Völkerrechts“ der geplanten EBI zahlreiche Bestimmungen angeführt, die sich auf die gemeinsame Handelspolitik beziehen (siehe oben, Rn. 4). Sie haben insbesondere auf Art. 207 Abs. 1 und 2 AEUV verwiesen, der u. a. vorsieht, dass die Maßnahmen, mit denen der Rahmen für die Umsetzung der gemeinsamen Handelspolitik bestimmt wird, vom Europäischen Parlament und vom Rat durch Verordnungen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden, sowie auf Art. 3 AEUV, aus dem sich ergibt, dass die gemeinsame Handelspolitik ein Bereich ist, der in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fällt. Zudem haben sie zwei im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik erlassene Verordnungen angeführt, die den Handel mit bestimmten Arten von Erzeugnissen aus Drittländern regeln und diesen insbesondere von einem Genehmigungssystem abhängig machen, sowie zwei Urteile des Gerichtshofs zur Anwendung von Rechtsakten der Union, die in diesen Bereich fallen.

43      Aus den in der geplanten EBI enthaltenen Informationen ging somit hervor, dass die Kläger erreichen wollten, dass die Kommission auf der Grundlage von Art. 207 AEUV einen Vorschlag für einen Rechtsakt im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik vorlegt.

44      Die Kommission weist zu Recht darauf hin, dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, im angefochtenen Beschluss auf die fehlende Relevanz jeder einzelnen der von den Klägern in der geplanten EBI angeführten Bestimmung oder Rechtsquelle einzugehen.

45      Angesichts der ausdrücklichen und wiederholten Verweise auf die gemeinsame Handelspolitik in der geplanten EBI, insbesondere auf Art. 207 AEUV, hätte die Kommission im vorliegenden Fall jedoch die Gründe darlegen müssen, die sie zu dem impliziten Schluss veranlasst haben, dass die mit der geplanten EBI bezweckte Maßnahme im Hinblick auf ihren Gegenstand und ihr Ziel nicht in diesen Bereich falle und daher nicht auf der Grundlage von Art. 207 AEUV erlassen werden könne. Im angefochtenen Beschluss wird darauf jedoch nicht eingegangen.

46      Da der angefochtene Beschluss im Wesentlichen darauf gestützt wurde, dass die geplante EBI offenkundig nicht von den Befugnissen der Kommission umfasst sei, kommt der Einschätzung, dass dieser Vorschlag nicht mit der gemeinsamen Handelspolitik in Zusammenhang stehen könne, nach dem Aufbau des angefochtenen Beschlusses auch eine wesentliche Bedeutung zu. Im Unterschied zur GASP ist die gemeinsame Handelspolitik nämlich ein Bereich, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union auf der Grundlage von Art. 207 AEUV zu unterbreiten.

47      Drittens ist die Frage, ob der angefochtene Beschluss ausreichend begründet ist, auch im Hinblick auf die Ziele von Art. 11 Abs. 4 EUV, Art. 24 Abs. 1 AEUV und der Verordnung Nr. 211/2011 zu beurteilen, die darin bestehen, die Bürger zur Teilnahme am demokratischen Leben zu ermutigen und die Union zugänglicher zu machen. Wie oben in den Rn. 25 bis 27 ausgeführt, hat die Kommission aufgrund dieser Ziele klar darzulegen, mit welchen Gründen die Ablehnung der Registrierung einer geplanten europäischen Bürgerinitiative gerechtfertigt wird.

48      Ohne eine vollständige Begründung wäre es aber kaum möglich, eine neue, den Einwänden der Kommission gegen die Zulässigkeit des Vorschlags Rechnung tragende geplante EBI vorzulegen, was zugleich die Verwirklichung der im zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 211/2011 angeführten Zielsetzung gefährdet, den Bürger zur Teilnahme am demokratischen Leben zu ermutigen und die Union zugänglicher zu machen (Urteil vom 3. Februar 2017, Minority SafePack – one million signatures for diversity in Europe/Kommission, T‑646/13, EU:T:2017:59, Rn. 29). Nur durch eine angemessene Darlegung der Gründe, aus denen sie zu der Auffassung gelangt ist, dass die von der geplanten EBI bezweckte Maßnahme ausschließlich in den Bereich der GASP falle und nicht mit der gemeinsamen Handelspolitik in Zusammenhang stehe, hätte die Kommission dem Ziel entsprochen, gemäß Art. 11 Abs. 4 EUV und Art. 24 Abs. 1 AEUV sowie gemäß den Zielen der Verordnung Nr. 211/2011 die Bürger zur Teilnahme am demokratischen Leben zu ermutigen.

49      Nach alledem ist, ohne dass die Frage zu prüfen ist, ob die Kommission im angefochtenen Beschluss auch hätte präzisieren müssen, welcher Absatz von Art. 215 AEUV auf die von der geplanten EBI bezweckte Maßnahme anwendbar ist, festzustellen, dass der angefochtene Beschluss keine ausreichenden Angaben enthält, die den Klägern das Erkennen der Gründe für die Ablehnung der Registrierung der geplanten EBI und dem Gericht die Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Ablehnung ermöglichen. Dieser Beschluss genügt daher nicht der Begründungspflicht nach Art. 296 AEUV und Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 211/2011.

50      Daraus folgt, dass dem zweiten Klagegrund stattzugeben und der angefochtene Beschluss für nichtig zu erklären ist, ohne dass eine Prüfung der übrigen von den Klägern geltend gemachten Klagegründe erforderlich ist.

 Kosten

51      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kläger die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss (EU) 2019/1567 der Kommission vom 4. September 2019 über die vorgeschlagene Bürgerinitiative „Gewährleistung einer mit den EU-Verträgen und dem Völkerrecht im Einklang stehenden gemeinsamen Handelspolitik“ wird für nichtig erklärt.

2.      Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

Papasavvas

Kornezov

Buttigieg

Kowalik-Bańczyk

 

      Hesse

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Mai 2021.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Französisch.


1Die Liste der weiteren Kläger ist nur der Fassung beigefügt, die den Parteien übermittelt wird.